Sinéad O`Connor

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Sinéad O`Connor
WIENERINPEOPLE
SINÉAD O’CONNOR
Frühstück bei
Sinéad
SIE ist für ihre Auszucker mindestens so berühmt wie für ihre
Musik. Vor ihrem Wien-Konzert am 28. April lud uns die irische
Ausnahmesängerin zu einem ihrer raren Interviews nach Hause
ein und ließ im Talk weder ihren Selbstmordversuch noch ihre
Ehemänner oder die Liebe zum Heiligen Geist aus.
INTERVIEW, TEXT Heidi Rietsch
FOTOS Christina Karagiannis
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„Wir waren wie Bruder und Schwester –
und zu jung für ein Leben ohne Sex!“
SINÉAD O'CONNOR ÜBER DEN GRUND FÜR IHRE ERSTE SCHEIDUNG
V
ierzig Zugminuten
von Dublin entfernt stehe ich vor
dem Bahnhof des
Küstenstädtchens
Bray. „Wo geht’s
denn hier zum
Haus von Sinéad O’Connor?“, erkundige ich mich bei einem Grüppchen
Taxifahrer. „Du machst ein Interview mit Sinéad O’Connor?“, interessiert sich der Typ mit dem GuinessBierbauch. „Viel Glück! Hoffentlich
hat sie ihre Medikamente genommen.“ Ein anderer zeigt die Straße
runter in Richtung Uferpromenade.
Als ich mich zum Gehen wende, flüstert ein kleiner Zahnloser, den Blick
auf seine Schuhe gerichtet: „Sie hat
das schönste Paar Augen.“
HÖHENANGST. Sinéad O’Connor
ist Irlands kontroverses Nationalheiligtum: die Wahnsinnige mit dem
rasierten Schädel und dem intensiven
Blick. 1990 bekam sie diesen Stempel
aufgedrückt. Ihr Welthit Nothing
Compares 2 U und das preisgekrönte
Video dazu – die Augen, riesengroß
und verletzlich erschienen sie am
Bildschirm, der krasse Gegensatz zur
Stoppelglatze – hatten die damals
24-jährige Alternative-Musikerin in
eine Rolle gedrängt, an der sie scheitern musste: die des internationalen
Superstars. Von da an schwankte
O’Connor zwischen brutaler Offenheit und verletztem Rückzug, Selbstmordversuch inklusive. Sie zerriss
ein Bild des Papstes, erklärte sich zur
Lesbe und überlegte es sich wieder
anders, legte sich mit der Politik an
und ließ Journalisten gegenüber mitunter die Fäuste sprechen.
Entsprechend gespannt läute
ich jetzt an der Tür von O’Connors
weißem Haus mit den kurzen
Rasta-Streifen an der Seite. Hoffentlich ist sie gut drauf, denke ich, und
EXKLUS
IV
Interview
Biografie.
Als drittes von fünf Kindern durchlebte die Irin
eine schwierige Jugend.
Anfang 20 landete sie mit
dem Prince-Cover Nothing
Compares 2 U einen Welthit. Seither ließ die heute
46-Jährige weniger durch
Musik als durch Skandale
aufhorchen. Ihr aktuelles,
neuntes Studioalbum How
about I be me (and you be
you)? wird von Kritikern als
Kehrtwende gefeiert. Am
28. April spielt sie im Wiener
Konzerthaus.
murmle noch mal ihren Vornamen
zur Übung: „Schinäid“.
HAUSBESUCH. Sie sieht noch aus
wie damals im Video. Die Augen.
Der rasierte Kopf. Etwa 1,60 Meter winzig ist sie, begrüßt mich mit
einer faszinierenden Aura aus zarter Verletzlichkeit und vibrierender
Stärke. Der Druck ihrer tätowierten
Hand imponiert, ihr Blick ist geradeaus und musternd, ihr Lächeln verschmitzt. „Kaffee?“, erkundigt sich
die 46-Jährige und geht vor in die geräumige Küche, die an einen verwilderten Garten grenzt. „Der bräuchte
Pflege“, murmelt sie entschuldigend
und stellt mir bröselige Scones hin,
dazu Butter und ein Glas mit Himbeermarmelade, die ihre 17-jährige
Tochter selbst gemacht hat, wie sie
stolz erzählt.
Ständig in Bewegung spricht sie
abwechselnd in ihr iPhone, zur Haushälterin und mit mir. Am Nachmittag soll sie nach Schweden fliegen,
noch längst nicht alles ist organisiert. „Ich singe in einer Gameshow.
Ist das nicht verdammt komisch?“
Im nächsten Moment bemerkt sie,
dass ich mein Frühstück brav verputzt habe, lächelt und sagt: „Der
Kleine kommt um eins aus der
Schule. Sollen wir anfangen?“
Wir schnappen unsere Kaffeetassen und steigen die knarzenden
Treppen hinauf in den ersten Stock.
In dem alten Haus vermischt sich
buntes Kinderspielzeug mit kitschigen Marienstatuen, Familienfotos
mit Heiligenbildern. Wir knotzen in
O’Connors „Lieblingszimmer“, einer
spirituellen Welt aus fluffigem Teppichboden, an die Wand gemalten,
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schenkte ihr damals ihre erste
Gitarre und förderte ihr musisches
Talent. Mit 21 produzierte sie ihr
erfolgreiches Debütalbum The Lion
and The Cobra und bekam ihr erstes
Kind von Schlagzeuger John Reynolds, den sie später heiratete.
Seitdem hat die Künstlerin weitere
acht Alben veröffentlicht, insgesamt
vier Männer geehelicht und ebenso viele Kinder bekommen: Jake, 25,
ist Koch in London. Tochter Róisin,
17, Shane, 9, und Yeshua, 6, leben
bei ihr in Bray. Baby Nummer eins
und drei waren eine „willkommene
Überraschung“, verrät O’Connor, die
anderen seien geplant gewesen. Das
Gerücht, sie habe Kinder verloren
„Ich sch*** auf
alles – außer
den Heiligen
Geist und die
Kids.“
„ES GIBT NUR EINEN GRUND, EIN ALBUM ZU MACHEN ...
... du wirst verrückt, wenn du es nicht tust“, sagt Sinéad O’Connor und zupft eine
Melodie in ihrem Proberaum. „Aber heute will jeder nur reich und berühmt werden.
Alles Schwanzlutscher.“ Ihre größten Vorbilder kommen aus dem Reggae. Überall in
ihrem Haus und ihrer Arbeit stößt man deshalb auf die Farbkombination Grün-GelbRot. „Die Rasta-Leute verstehen ihre Musik als Priesterschaft. Genauso wie ich.“
Außerdem hätte sie gern Dreadlocks, „aber das dauert so lang – Jahre. Verdammt!“.
blauen Hindu-Göttern und zarten
Sonnenstrahlen, die durch das große
Fenster hereindrängeln.
LIEBESDINGE. Sinéad O’Connors
Hektik weicht plötzlich gespannter
Ruhe und in den nächsten anderthalb Stunden redet sie über alles:
ihre (Sehn-)Süchte und Verzweiflungstaten – und den frühen Tod
ihrer Mutter, einer Kleptomanin, die
Sinéad und ihre Geschwister grob
misshandelt und geschlagen hatte:
„Ich war 17 oder 18, als sie starb. Ein
Autounfall. Zuvor hatte ich sie mit
all den Dingen konfrontiert, die sie
uns angetan hatte, und sie hat alles
abgestritten. Trotzdem war ich im
Frieden mit ihr, als sie ging. Sie ist
meine Mum, ich liebe sie.“
Die Sängerin wuchs großteils bei
ihrer „magischen“ Oma und ihrem
Vater auf. Doch niemand vermochte
den Teenager zu bändigen. Weil die
Rebellin so häufig beim Klauen und
Schwänzen erwischt wurde, steckte
sie ein Sozialarbeiter in eines der berüchtigten irischen „Magdalene Asylums“, katholische Besserungsanstalten für Mädchen und ledige Mütter.
„Eine schmerzhafte Zeit“, erzählt sie, „aber auch der Wendepunkt
in meinem Leben. Sonst wäre ich
im Knast gelandet.“ Eine Nonne
oder abgetrieben und den Song Three
Babies darüber geschrieben, sei dagegen „völliger Schwachsinn“. Auch
die Behauptung, sie habe ihr halbes
Leben lang gesoffen, stimme nicht:
„Ich bin allergisch gegen Alkohol.
Das kommt alles sofort wieder hoch.
Toller Partytrick übrigens.“
HEIRATSSACHEN. Aber zurück zu
den Männern. Warum sie immer
wieder vor den Altar getreten sei,
will ich wissen. O’Connor denkt
nach, zündet sich die x-te Zigarette
an und seufzt: „Aus romantischen
Vorstellungen. Manchmal, wenn du
etwas vermisst in deiner Kindheit,
versuchst du es als Erwachsener zu
kreieren – was selbstverständlich
nicht funktioniert. Aber man projiziert alles Mögliche hinein in Dinge:
Sicherheit und all diesen Scheiß.“
Sie spricht leise, hin und wieder
lächelt sie oder blickt aus dem Fenster in ihren Garten, oft benutzt sie
Wörter wie „Fuck“ oder „Shit“, wirkt
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BOTSCHAFTERIN.
Die geweihte Priesterin einer katholischen
Splitterkirche fühlt
sich beseelt vom
Heiligen Geist. „Ohne
ihn gäbe es nichts“,
sagt sie und zeigt das
große Jesus-Tattoo auf
ihrer Brust. Trotzdem,
oder gerade deshalb,
greift sie immer
wieder die katholische
Kirche an. „Männer in
Kleidern“ hätten den
Glauben verraten und
Kinder missbraucht.
„Wir brauchen keine
Religionsführer“, ist
sie überzeugt. „Wir
müssen nur ein universelles Prinzip kennen:
Seid gut zueinander.“
dabei aber nie brutal oder primitiv.
Ihr letzter Mann, Barry, ein Therapeut, wohne gleich die Straße runter,
erzählt sie. Die beiden schworen sich
im Dezember 2011 in Las Vegas die
ewige Liebe und trennten sich 17
Tage später wieder. „Wir lassen uns
aber nicht scheiden, damit ich nicht
sofort wieder losrennen und heiraten kann.“ Jetzt lacht sie zum ersten
Mal. Rau hört sich das an. Seemännisch. „Ich fühle mich sehr männlich, ziemlich testosteronisch. Ich
glaube an die Theorie, dass wir halb
weiblich und halb männlich sind.“
Das Telefon klingelt. Auf dem Display leuchtet „Dad Mobile“. Das Verhältnis zu ihrem Vater beschreibt sie
als eng und herzlich. Genauso wie
jenes zu ihren Kindern. „Sie sollen
wissen, dass sie verdammt großartig
sind. Als meine Tochter klein war,
kam sie einmal in die Küche und sagte: ,Rate mal‘, und ich: ,Was?‘, und sie:
,Ich bin toll!‘. Das will ich für meine
Kinder: Selbstbewusstsein. Gerade deshalb, weil ich es nicht hatte.“
Dabei wirkt die Musikerin ausgeglichen, fast glücklich. „Ich habe mich
spirituell weiterentwickelt“, sagt sie.
„Und ich scheiße auf alles – außer auf
den Heiligen Geist und die Kids.“
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GESPALTEN. Vor einigen Jahren
wurde bei der Sängerin eine manischdepressive Störung diagnostiziert.
Seither nimmt sie Medikamente gegen Symptome wie Schlaflosigkeit,
Unruhezustände und Appetitlosigkeit. Doch im Frühjahr 2012 erlitt sie
einen schweren Zusammenbruch und
musste die Tour zu ihrem Album How
about I be me (and you be you)? ab-
TIPP!
ICH WILL! Auf ihrer
aktuellen Single 4th
and Vine besingt Sinéad
O’Connor den sprichwörtlich schönsten Tag im Leben
einer Frau: die Hochzeit.
Mit ihren vier Ehen hat die
fröhliche Nummer allerdings nichts zu tun. Sagt sie.
brechen. „Ich habe mich gefühlt, als
würde ich unter Wasser laufen“, erinnert sie sich. Der Grund für den Rückfall: O’Connor hatte die Medikamente
abgesetzt, weil sie davon so stark zunahm. „Aber heute bin ich richtig eingestellt und freue mich auf die Fortsetzung der Crazy Baldhead-Tour.“
Ihre Bi-Polarität sei sogar segensreich, aus kreativer Perspektive. Ihr
Verhältnis zur Musik sei dadurch
noch stärker: „Ich war einmal in einem Club mit schrecklichem Sound.
Also habe ich mir LSD reingeknallt.
Aber nichts passierte. Erst als ich einen Fuß auf die Straße setzte, meinte
ich zu fliegen.“ Sie ist sicher: „Es war
die Musik, die mich gestoppt hatte.“
Später zog sie aus London weg,
weil sie ihre Kinder nicht den Drogen
und der Kriminalität aussetzen
wollte. „Nicht mehr so Rock ’n’ Roll“,
sagt sie, klingt zufrieden, fast stolz.
ALLES GUT. Als ich ihr zum Abschied vom Kompliment des zahnlosen Taxifahrers erzähle, lacht sie:
„Das war bestimmt Peter. Wir sind
befreundet.“ Dann umarmen wir
uns und ich bin raus – kurz bevor ihr
Sohn um die Ecke biegt: „Mama, ich
bin daheim!“
SINÉAD O'CONNORS SCHÖNSTE SONGS: ANHÖREN AUF WWW.WIENERIN.AT
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