Ein jeder Tag hat seine eigene Plage
Transcription
Ein jeder Tag hat seine eigene Plage
„Ein jeder Tag hat seine eigene Plage“ Sharon Brunke, 13 Jahre Es war ein nebliger, stürmischer, aber für meinen Geschmack schöner Freitagmorgen. Ich stand nur ungern aus meinem kuscheligen, warmen Bett auf, aber die Schule wartete schon mit verlockenden Prozentrechnungen und lieblichen Französischvokabeln. Den vor mir liegenden Umständen entsprechend schlurfte ich schlaftrunken in unsere Küche. „Morgen Schatz!“, rief meine Mutter, wie immer gut gelaunt. Leider konnte ich so viel Begeisterung diesem Morgen gegenüber nicht aufbringen, weshalb ich nur mit einer kurzen Handbewehung und einem langen Gähnen antwortete. Wenn ich auch nur an das heutige Geschichtsreferat dachte, wurde mir übel. Und zur Besserung trug auch nicht gerade der dampfende Grießbrei bei. Dankend schob ich ihn beiseite. „Geht’s dir heute morgen nicht gut, Schatz?“, fragte meine Mutter. Nach kurzem Überlegen fragte ich mich, wie man einen Morgenmuffel hätte besser definieren können, als die zwei Worte: Schlechte Laune?! Das jedoch sagte ich nicht, nein, ich besann mich einer besseren Antwort. „Nein Mama, alles okay!“. „Gut!“, rief sie entzückt, Da ich nicht auf weitere „MamaGespräche“ aus war, verließ ich geschwind die Küche. Ich war froh und erleichtert, einem wohl verhängnisvollen Gespräch mit meiner lieben Mutter entgangen zu sein. Also schloss ich die breite, mit Blütenranken verzierte Eichentür, atmete tief ein und machte mich auf den Weg zur Schule. Obwohl man verärgerten die Leute über das Wetter bis hier hin schimpfen hörte, gefiel es mir merklich gut. Der Wind zerrte an meiner relativ dünnen Baumwolljacke und die Blätter, so schien es, tanzten eine Polka unter der großen Eichenallee. Fensterläden klapperten und versuchten dem enormen Luftdruck Stand zu halten. Es sah fast so aus, als kämpfte jeder ums Überleben, und ich war glücklich. Und so lief ich noch einige Meter, dachte nach, schaute dem unsichtbaren Wind hinterher, bis mich an dem großen Gebäude unserer Schule unsanft die Wirklichkeit wieder einholte. … „So und die nächsten. Die ums das Referat über die Zeit Karl des Großen vortragen werden, kommen jetzt bitte nach vorne!“. Ich murmelte etwas von „Komme schon“ und „Verdammter Mist, ich wollte mir den Text noch einmal anschauen“ und stand schließlich mit meiner besten Freundin Alice vorm Lehrerpult. Sie schien das ganze ziemlich locker zu sehen und wirkte entspannt. Soviel Tatendrang konnte ich nicht hervorbringen und versuchte lediglich, mich auf meinen Text zu konzentrieren. „Na dann legt mal los!“, rief Herr Rach erheitert. Mit einem etwas unguten Gefühl begann ich schließlich Karls Steckbrief loszuwerden. Nach mehreren „Ähms“ und einigen Sprechfehlern, die manchmal in ein merkwürdiges Lispeln übergingen – was einige Kinder in der ersten Reihe ziemlich amüsierte – lief es eigentlich recht gut. Auch Alice kam gut mit ihrem Part zurecht und war so gut, dass sie prompt zusagte, als Herr Rach Freiwillige für das nächste Referat suchte… Dennoch war ich sehr erleichtert, als ich unseren Klassenraum mit einem relativ guten Gefühl verließ. Ich schlenderte mit meinem köstlich duftenden Käsebrot und meiner Freundin Alice, die ihr Gesicht diskret naserümpfend von mir abwandte, über den Schulhof. Da entdeckte ich plötzlich Marius. Genau so diskret schüttelte ich meine liebe Freundin ab und lief in seine Richtung. Meine verdammten Schuhe waren mal wieder offen und die herumhängenden Schnüre der Schuhe schienen es schon darauf angelegt zu haben, mich zu Boden zu reißen. Doch auch dieses Komplott konnte mich nicht von meinem Weg abbringen. Aber natürlich, es kam wie es kommen musste: Die blöde Schwerkraft riss mich zu Boden. Ich schimpfte und fluchte und versprach den Schnüren meiner Schuhe ein nettes Ende in der Schreddermaschine. Nachdem ich sämtliche Verwünschungen an alle, die mich doof anstarrten ausgesprochen hatte, beschloss ich aufzustehen und den Boden sein zu lassen. Da kam mir eine Hand zuvor, ich schaute auf und blickte in das Gesicht von Marius. Ich nahm die Hand und zog mich hoch. Dann lächelte er und verschwand in der riesigen Schülermenge, noch bevor mir Alice kopfschüttelnd eine Predigt über offene Schuhe hielt. Ich war froh, als ich den Heimweg antrat und so Zeit zum Nachdenken hatte. Eigentlich war der Tag ja doch nicht so schlecht gelaufen: Marius hatte mir ein Lächeln geschenkt und das Referat war einigermaßen gut gelaufen. Doch da wusste ich noch nicht, was zu Hause auf mich warten würde… Ich klingelte, doch niemand machte die Tür auf. Da erinnerte ich mich an den Schlüssel den mir Mutter gegeben hatte, für Fälle wie diesen. Ganze fünf Minuten angelte ich in dem Chaos meiner Schultasche nach dem Haustürschlüssel! Als ich schließlich fündig wurde und das gewünschte Objekt in meinen Händen hielt, schloss ich auf und trat hinein. Die Tatsache, dass meine Mutter nicht zu Hause war, um auch ja darauf zu achten, dass ich genug esse, beunruhigte mich doch sehr. Dann fand ich ihn, einen kleinen, gelben Zettel am Kühlschrank: „Bin mit deinem Bruder im Krankenhaus, er ist gestürzt! Kuss Mama“. Wie sollte der Tag noch schöner werden? Ich legte meine Schultasche beiseite und begann mir ein Toastbrot zu belegen. Komisch, sonst tat das meine Mutter immer und dementsprechend sauber sah danach auch die Küche aus. Ich kroch, bewaffnet mit Eimer und Lappen durch die Küche. Schweißgebadet, aber zufrieden mit meinem Werk, gab ich Kater „Fat Joe“ sein Futter. Er schaute mich misstrauisch von der Seite an, als ob ich ihm Zyankali beigemischt hätte. Ich dachte: „So, jetzt mache ich mir einen schönen Nachmittag!“ Dann fielen mir alle Hausaufgaben wieder ein und meine Stimmung erreichte erneut ihren Tiefpunkt. Missmutig machte ich mich ans Werk. Nach fast drei Stunden Verzweiflung war ich schließlich fertig. Da es schon fast fünf Uhr war, konnte ich ein Treffen mit Freunden knicken. Außerdem fühlte ich mich krank. Meine Nase lief und sah dementsprechend „verführerisch“ aus. Ich legte mich aufs Sofa, genoss die Wärme unter der Baumwolldecke und schlief fest ein. Als ich wieder erwachte, erschrak ich erst einmal und überlegte, wer den Fernseher ausgeschaltet hatte. Da sah ich meine Mutter im Türrahmen stehen, die offenbar die Szene und insbesondere meinen Gesichtsausdruck sehr belustigend fand, was ich leider nicht nachvollziehen konnte. „Na, erschreckt?“. Mein Gesicht sprach Bände und mir standen die Haare in Büscheln ab. Dennoch winkte ich ab. „Ach, vor was denn, bitte?“, fragte ich so lässig, wie jemand nur sein kann, der noch vor fünf Minuten glaubte, einem Rendezvous mit einem Geist entkommen zu sein. Ich ersparte mir weitere Peinlichkeiten, indem ich mich in mein Zimmer verzog. Nach einer halben Stunde kam auch schon mein Vater und wir setzten uns an den Tisch. Wir begannen das Essen mit belanglosen Plaudereien bezüglich des Unfalls meines Bruders, der vergeigten Mathearbeit meiner Schwester und – über eine lange Rechnung. An diesem Punkt horchte meine Mutter auf und verzog gequält das Gesicht. „Also, ähm … das Auto, es ist anders als ihr jetzt denkt…“, begann mein Vater und wand sich wie ein Wurm am Angelhaken. „Was ist damit?“, schaltete sich meine Mutter mit einem netten Unterton in der Stimme ein. „Ich hatte einen kleinen Unfall und, tja der andere hatte Vorfahrt!“, würgte Vater hervor. „Außerdem gibt’s dieses Jahr keine Gehaltserhöhung und damit auch keinen Mallorca –Urlaub!“ Jetzt reichte es selbst meiner sonst so verständnisvollen Mutter. Mit einer Handbewegung fegte sie die Tischdecke mit dem gesamten Abendessen hinunter – was mich nicht wesentlich störte, denn diese „schmackhafte“ Lasagne bereitete mir so viel Freude, wie eine fünf in Englisch. Nachdem ich schließlich, zum zweiten Mal an diesem Tag sämtliche Essensreste vom Boden gekratzt hatte, schlich ich in mein Zimmer und begann auf meinem Kuschelsofa nachzudenken. Ich kam zudem Entschluss: „Hey Sharon, dein Tag war doch gar nicht so schlimm.