Kein alltägliches Konstrukt
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Kein alltägliches Konstrukt
MANAGEMENT Serie Versicherungskunden (3): Stadt Zürich Kein alltägliches Konstrukt Die grösste Schweizer Stadt arbeitet seit letztem Jahr mit einem flächendeckenden Risikomanagement-System. Damit sollen nicht nur Gefahren minimiert, sondern explizit auch Chancen genutzt werden. VON WERNER RÜEDI D Viel zu optimieren Ece und sein Team sind gut auf alle möglichen Schäden vorbereitet, besonders seit der Stadtrat Ende 2007 ein neues Risiko- und Versicherungskonzept genehmigt hat. Kernstück ist eine Lösung, die nur noch Grossschäden NACHGEFRAGT Starke Eigenfinanzierung Tolga Ece, Leiter Kompetenzzentrum Risiko- und Versicherungsmanagement der Stadt Zürich. Was war Ihr bisher krassester Fall? Ece: Sehr speziell war 2009 der Fall beim Kulturzentrum «Rote Fabrik», bei dem politische 42 MÄRZ 2012 | SCHWEIZER VERSICHERUNG BILD: KEYSTONE/ WALTER BIERI er Stromausfall von Ende Januar hat ganze Stadtteile von Zürich lahmgelegt und für Hektik gesorgt. Nicht so an der Badenerstrasse 108, dem Sitz des Kompetenzzentrums für Risiko- und Versicherungsmanagement der Stadt Zürich (RVZ). «Gefordert waren in jenen Stunden primär die Teams des Elektrizitätswerkes, um den Schaden raschmöglichst zu beheben», winkt RVZChef Tolga Ece ab. «Wir hier warten zuerst mal ab um zu sehen, welche Forderungen auf uns zukommen. Dann klären wir zusammen mit Fachleuten und Juristen, ob überhaupt eine Haftung gegeben ist.» Es sei nämlich gar nicht sicher, dass die Stadt eine Haftung treffe, weil grundsätzlich wie bei anderen Elektrizitätswerken auch keine Garantie zur Stromlieferung bestehe. Wer haftet? Grossflächiger Stromausfall in der Stadt Zürich am 26. Januar. Aktivisten einen grossen Teil der BacksteinFassade mit weisser Farbe einfärbten. Weil sie Ölfarbe verwendeten, war der Schaden beträchtlich. Entsprechend hoch waren dann auch die Kosten, um den Original-Zustand wiederherzustellen. Bieten Sie auch Eigenversicherungen an? Ja. Beispielseise bei der Motorfahrzeugversicherung. Bei einer Flotte von rund 2500 Fahrzeugen macht es durchaus Sinn, das Kasko selber zu tragen. Wir gestalten die Vertragsbedingungen übrigens selber wie eine Versicherungsgesellschaft. Haben Sie dazu eine eigene Gesellschaft oder einen Captive gegründet? Nein, das machen wir über Rückstellungen. Mit den Prämieneinnahmen, die wir unseren internen Kunden in Rechnung stellen, bilden wir Reserven, die wir dann für die Schadendeckung verwenden. Sind Sie bei der Finma als Vermittler registriert? Nein, als Inhouse Broker betreuen wir hauptsächlich die über 70 Dienstabteilungen der Stadt Zürich. INTERVIEW: WERNER RÜEDI deckt. Basierend auf diesem Konzept folgte dann auf Anfang 2009 ein neues Versicherungskonstrukt. Treibende Kraft hinter der Neuausrichtung war Martin Vollenwyder, Stadtrat und Vorsteher des Finanzdepartementes, dem die Risikofähigkeit der Stadt im Hinblick auf die Optimierung der Versicherungen wie auch der Finanzen ein grosses Anliegen war und dem die damalige Situation, dass zahlreiche Versicherungsverträge mit uneinheitlichen Deckungen, tiefen Selbstbehalten und entsprechend hohen Prämien bestanden, ein Dorn im Auge war. Nachteilig wirkte sich zudem eine dezentrale Organisation aus. Vollenwyder lancierte das Projekt «Charm», das «Chancen- und Risikomanagement und Internes Kontrollsystem». «Im Grunde ging es darum, verschiedene Baustellen zu einer gemeinsamen Baustelle zusammenzulegen», erinnert sich Thomas Kuoni, stellvertretender Direktor Finanzverwaltung. Bis dahin waren Bereiche wie Chancen- und Risikomanagement, Versicherungen, Internes Kontrollsystem und Accounting Manual mehr oder weniger autarke Systeme, welche das Synergiepotenzial nicht zu nutzen in der Lage waren, «obwohl», so Kuoni – der den Auftrag erhalten hatte, neue Versicherungslösungen zu implementieren –, «beispielsweise Stadtspitäler, Elektrizitätswerk oder Verkehrsbetriebe bereits über Risikomanagement-Systeme verfügten.» Diese waren wegen des hohen vorhandenen Fachwissens aber sehr spezifisch auf die eigenen Risiken konzentriert und weniger auf Aspekte wie departementsübergreifende Versicherungen und Finanzen. Hohe Risikofähigkeit Das Versicherungswesen der Stadt Zürich ist grob in Personen- und Sachversicherung getrennt. So werden Vorsorge und Unfall durch die Pensionskasse sowie die Unfallversicherung der Stadt abgedeckt und nicht – obwohl gewisse Schnittmengen vorhanden sind – durch das Kompetenzzentrum RVZ, das der Finanzverwaltung angegliedert ist. Das Budget der Stadt von rund acht Milliarden Franken bedeutet eine hohe Risikofähigkeit, welche vor allem bei Sach- und Haftpflichtversicherung einen hohen Selbstbehalt ermöglicht − mit entsprechenden Prämieneinsparungen. Kleinschäden bis 20 000 Franken müssen die betroffenen Abteilungen aus dem eigenen Budget berappen. Schäden über diesem Betrag bis zu 10 Millionen Franken werden zwar über Versicherer abgewickelt, dann aber via RVZ zurückbelastet. Faktisch ist es also so, dass bis unter 10 Millionen Franken Scha- denaufwendungen keine Versicherungsdeckung besteht und Schäden mithin selber getragen werden müssen. Zwischen 10 und 100 Millionen Franken kommt der Versicherungsschutz bei Sach- und Haftpflicht zum Tragen. Für Schäden über 100 Millionen besteht wiederum keine Versicherungsdeckung. Thomas Kuoni: «Wir haben die Historie der Stadt Zürich genau durchleuchtet mit allen bisherigen Schäden und dabei gesehen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Grossereignisses äusserst gering ist, sodass wir ruhigen Gewissens bei 100 Millionen Franken einen Deckel draufsetzen können.» Das ist kein alltägliches Konstrukt. Die Schadenbearbeitung wird ebenfalls separat bezahlt, diese ist in der Prämie nicht enthalten. Ece: «Wir überlegen uns bei jedem Ereignis, ob wir den Fall einer Versicherungsgesellschaft weiterreichen wollen oder ob wir das gleich selber erledigen. Denn sonst fallen Schadenbearbeitungkosten an, die an die betroffene Dienstabteilung überwälzt werden. Wir wollen vieles aber selber tragen, um die Risiken selber zu überwachen und zu steuern.» Gegensteuer geben Statistisch werden alle Ereignisse auch unter 20 000 Franken durch die Abteilungen erfasst und vom RVZ ausgewertet. «Das hilft, unerwünschte Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und allenfalls Gegenmassnahmen einzuleiten, denn auch viele Kleinschäden ergeben zusammengenommen einen grossen Betrag», erklärt Ece. Das könnte der Fall sein, wenn beispielswiese bei einzelnen Schulen und Turnhallen eine Zunahme von Einbrüchen festgestellt wird, sodass es sich lohnen könnte, Bewegungsmelder einzubauen, welche das Licht einschalten. Ece, der nach einer technischen Lehre bei der «Winterthur» ins Versicherungsgeschäft einstieg, zur Swiss Life und anschliessend zum Industriekonzern Rieter als Inhouse Broker wechselte, führt mit seinem RVZ-Team Workshops in den Geschäftsleitungen der Departemente und Abteilungen durch, um diese für Risiken und Chancen zu sensibilisieren. Durch das neue Versicherungsmodell ist es gelungen, jährlich wiederkehrend rund 1,2 Millionen Franken an Prämiengeldern einzusparen. Die Stadt Zürich hat die beiden Konzernversicherungen für Haftpflicht- und Sachrisiken nach einer öffentlichen Ausschreibung an die Zurich Versicherungsgesellschaft sowie die Axa-Winterthur vergeben. Obwohl Ece gegenüber Erstversicherern als Broker agiert, arbeitet das RVZ von Fall zu Fall auch mit Brokern zusammen. Kleine Metropole In der grössten Schweizer Stadt leben rund 380 000 Zürcherinnen und Zürcher aus über 160 Ländern. Die Verwaltung setzt sich mit ihren 26 500 Beschäftigten aus neun Departementen und den dazugehörigen Dienstabteilungen zusammen. Geleitet wird die Verwaltung durch den Stadtrat mit seinen neun Mitgliedern, die je einem Departement vorstehen. Es sind dies Präsidiales (u.a. Bevölkerungsamt, Museum Rietberg, Kultur, Stadtentwicklung); Finanzen (u.a. Liegenschaftenverwaltung, Steueramt, Human Resources, Informatik); Polizei; Gesundheit und Umwelt (u.a. mit den Stadtspitälern Waid und Triemli, Pflegezentren, Altersheimen, Umwelt- und Gesundheitsschutz); Tiefbau- und Entsorgung (u.a. Entsorgung + Recycling, Grün Stadt Zürich, Tiefbauamt); Hochbau (u.a. Ämter für Städtebau, Hochbauten, Immobilien-Bewirtschaftung und für Baubewilligungen); Industrielle Betriebe (u.a. Wasserversorgung, Elektrizitätswerk, Verkehrsbetriebe); Schule und Sport; Soziales. Details: stadt-zuerich.ch, sirm.ch, vib-inhousebroker.ch. PRÄMIENSPLIT DER STADT ZÜRICH Versicherungen 5% 2% 8% 39% 12% 34% Haftpflicht Motorfahrzeuge Technische Sach Bau Übrige Das Prämienvolumen beträgt 13,1 Millionen Franken jährlich. Davon ausgenommen sind BVG und UVG. QUELLE: RVZ SCHWEIZER VERSICHERUNG | MÄRZ 2012 43