Neue Medien – neue Metaphern? Sprachliche
Transcription
Neue Medien – neue Metaphern? Sprachliche
Neue Medien – neue Metaphern? Sprachliche Erschließung des neuen Mediums Internet durch Metaphern (deutsch-französisch) Wissenschaftliche Hausarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magister Artium der Universität Hamburg vorgelegt von Birte Schnadwinkel aus Oldenburg Hamburg 2002 Kontakt: [email protected] Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung............................................................................................... 4 2. 2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.3.1.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.4.1 2.3.4.2 2.3.4.3 2.3.5 2.3.5.1 2.3.5.2 2.3.5.3 2.4 Grundzüge einer kognitiven Metapherntheorie................................. 7 Der klassische Metaphernbegriff ............................................................... 7 Das ‘neuere’ Metaphernverständnis .......................................................... 8 Die kognitive Metapherntheorie nach Lakoff und Johnson........................ 9 Die Metapher als alltägliches Phänomen und konzeptuelles Instrument..... 9 Konzeptuelle vs. sprachliche Metaphern – ein Beispiel.............................. 11 Idealisierte kognitive Modelle nach Lakoff ............................................... 13 Ursprungs- und Zielbereiche der metaphorischen Übertragung................. 14 Klassifikation der konzeptuellen Metaphern ............................................. 15 Orientierungsmetaphern ........................................................................... 15 Ontologische Metaphern .......................................................................... 17 Strukturelle Metaphern ............................................................................ 19 Die kognitiven Funktionen der Metapher .................................................. 21 Erklärungs- und Verständnisfunktion ........................................................ 21 Das kreative Potential .............................................................................. 22 Der Fokussierungseffekt .......................................................................... 24 Zusammenfassung .................................................................................... 25 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.5.1 Das Internet – seine Geschichte und Entwicklung ........................... Der militärisch-wissenschaftliche Hintergrund.......................................... Einflüsse aus der alternativen Computer-Szene......................................... Die Erfindung des Internet als ‘Netz der Netze’ ........................................ Die zweite Geburtsstunde des Internet: das World Wide Web................... Die jüngste Entwicklung .......................................................................... Das Internet als Kommunikations- und Informationsmedium in Krisenzeiten und Notsituationen: der 11. September 2001 ....................... 4. 4.1 4.2 4.2.1 4.3 5. 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.2 Metaphern in der Fachterminologie: die technische Einordung des Internet ........................................................................................... Allgemeines zum Gebrauch von Metaphern in Fachsprachen.................... Metaphern in der Fachsprache des Internet ............................................... Die Entstehung der Metapher ‘Internet-Surfen’ ........................................ Schlußfolgerungen .................................................................................... Die Metaphorisierung des Internet: soziale und kulturelle Aspekte ................................................................................................. Zur Herkunft der zentralen Internet-Metaphern ‘Cyberspace’, ‘Datenautobahn’ und ‘globales Dorf’ ........................................................ Die Metapher ‘Cyberspace’ ...................................................................... Die Metapher ‘Datenautobahn’ ................................................................. Die Metapher ‘globales Dorf’ ................................................................... Zusammenfassung .................................................................................... 26 27 29 30 31 32 35 37 37 39 45 48 49 50 50 55 61 63 3 6. 6.1 6.2 6.5 Korpusanalyse...................................................................................... Zum Textkorpus und zur Methode ........................................................... Der Cyberspace – ein Raum der unbegrenzten Möglichkeiten, der Freiheit und Gefahren? ............................................................................. Die Datenautobahn – eine schnelle und leistungsfähige Technologie in einer guten Infrastruktur? ......................................................................... Non-verbaler Gebrauch der Datenautobahn-Metapher .............................. Das globale Dorf – ein Ort der Kommunikation und des Gemeinschaftsgefühls? ............................................................................. Ergebnisse der Korpusanalyse .................................................................. 7. Schlußbetrachtung und Ausblick....................................................... 100 8. 8.1 8.2 Literaturverzeichnis.............................................................................104 Korpus .................................................................................................... 104 Fachliteratur ............................................................................................ 106 9. Anhang.................................................................................................. 112 6.3 6.3.1 6.4 65 65 67 83 92 94 99 4 1. Einleitung Der Cyberspace. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2002. Dies sind die Abenteuer einer jungen Sprachwissenschaftlerin, die aufgebrochen ist, eine neue Welt zu erforschen. Viele Mausklicks von der Vergangenheit entfernt, dringt sie in das digitale Zeitalter der Zukunft vor. Auf ihrer mal rasanten, mal schleichenden Fahrt über die Datenautobahn wird sie vielen Bewohnern des globalen Dorfes begegnen: den Netz-Pionieren, die es aufbauten, den Netizens, die sich in Chaträumen und elektronischen Kaufhäusern die Zeit vertreiben – aber auch den Cyberpiraten, die über das Datenmeer surfen, und den Hackern, die mit VirenAttacken die virtuelle Welt bedrohen. Natürlich wurde dieser kurze Text speziell für die Einleitung der vorliegenden Arbeit konzipiert und entstammt somit nicht der Fachliteratur. Er umreißt jedoch in wenigen Worten das Thema der folgenden Untersuchung: die sprachliche Erschließung eines neuen Mediums durch Metaphern. In keiner dieser Zeilen wird es explizit genannt, und doch dürfte jeder medienerfahrene Leser sofort erkennen, daß es sich hier um das Internet handelt.1 Dieser Effekt wird dadurch erzeugt, daß in dem Text zahlreiche Metaphern verwendet werden, die jedem Internet-Nutzer geläufig sind. Noch vor wenigen Jahren hätte derselbe Wortlaut völliges Unverständnis hervorgerufen; niemand hätte den Sinn dieser Zeilen erschließen können, da das Internet noch bis zum Beginn der 90er Jahre nur einem relativ begrenzten Kreis von Wissenschaftlern und Computer-Experten bekannt und zugänglich war. Erst als das Internet durch verschiedene technische Neuentwicklungen ‘nutzerfreundlicher’ wurde, begann es auch für den Computer-Laien interessant zu werden. Das neue Medium verbreitete sich innerhalb kürzester Zeit in weiten Kreisen der westlichen Welt – und mit ihm zahlreiche neue Metaphern, wie etwa die des Cyberspace oder der Datenautobahn. 1 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß der Begriff „Medium“ in der Literatur sehr unterschiedlich definiert wird. So ist es keineswegs klar, ob das Internet überhaupt als ‘Medium’ oder lediglich als ‘neue Technologie’ zu sehen ist. Vgl. hierzu z.B. Weischenberg (1998). In der vorliegenden Arbeit soll der Medienbegriff an die Definition von Rössler (1998b) angelehnt werden, der zwischen „Medien 1. Ordnung“ und „Medien 2. Ordnung“ (ebd., S. 19) unterscheidet. Das Internet als Computernetzwerk ist nach dieser Definition ein Medium 1. Ordnung, d.h. ein technischer Gegenstand mit verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten. Die einzelnen Anwendungen des Internet, wie E-Mail, Internet Relay Chat, World Wide Web etc. sind danach Medien 2. Ordnung, denn: „Zu den Medien im Sinne einer ‘sozialen Bedeutungsproduktion und -vermittlung’ werden die technischen Medien erst durch die Art und Weise ihres Gebrauchs“ (ebd.). 5 Am Beispiel der deutschen und der französischen Sprache sollen diese ‘InternetMetaphern’ in der vorliegenden Arbeit analysiert werden. Ziel dieser Untersuchung ist es herauszufinden, wie diese Metaphern verwendet werden: In welchen Kontexten sind sie hauptsächlich anzutreffen? Werden sie synonym gebraucht oder in jeweils spezifischen Zusammenhängen? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich hier für die beiden betrachteten Sprachen feststellen? Um diesen Fragen nachgehen zu können, muß zunächst ein Blick auf den Metaphernbegriff geworfen werden. In Abkehr von den klassischen Theorien, die in der Metapher ein rein sprachliches Phänomen sahen, das ausschließlich ästhetischen Zwecken dient und somit nur in poetisch-rhetorischen Texten anzutreffen ist, wurde der Metaphernbegriff in der Sprachwissenschaft des 20. Jahrhunderts grundlegend erweitert, als die kognitiven und kommunikativen Funktionen der Metapher erkannt wurden: Sie ist keineswegs nur Zierat poetischer Texte, sondern vielmehr ein fundamentaler Bestandteil des alltäglichen Sprachgebrauchs. Dieses kognitive Metaphernverständnis liegt der vorliegenden Arbeit zugrunde. Es basiert auf der Theorie des Linguisten George Lakoff und des Philosophen Mark Johnson, die in der Metapher das Ergebnis eines kognitiven Prozesses sehen und sich mit ihrem Metaphernbegriff deutlich vom traditionellen Verständnis absetzen. Metaphern strukturieren zum einen die alltäglichen Wahrnehmungen und Handlungen, zum anderen veranschaulichen sie abstrakte Sachverhalte und erklären komplexe Zusammenhänge. Es erscheint daher einleuchtend, daß ein von vielen Menschen als sehr abstrakt und wenig ‘greifbar’ empfundenes Medium wie das Internet mit einer Vielzahl von Metaphern sprachlich erschlossen wird. Im folgenden Kapitel wird zunächst das von Aristoteles und Quintilian vertretene klassische Metaphernverständnis vorgestellt und zu neueren Ansätzen wie der Interaktionstheorie von Max Black in Beziehung gesetzt. Im Anschluß daran werden die Grundzüge der kognitiven Metapherntheorie von George Lakoff und Mark Johnson2 dargestellt. Entstehungsgeschichte 2 Das dritte Kapitel gibt einen Überblick über die und Entwicklung Im folgenden mit ‘Lakoff/Johnson’ abgekürzt. des Internet, denn die 6 Kenntnis des historischen und technischen Hintergrundes ist für die Analyse und das Verständnis von Metaphern grundlegend. In Anlehnung an die onomasiologische Metaphern-Analyse von Jäkel3 wird im vierten Kapitel die Internet-Fachterminologie auf metaphorische Ausdrücke hin untersucht, da gerade die Fachsprache zahlreiche Metaphern aufweist. Im Gegensatz zu diesen von Computer-Experten geprägten metaphorischen Fachtermini bilden im fünften Kapitel die Internet-Metaphern des Laien, also des Nutzers ohne profunde Fachkenntnisse, den Untersuchungsgegenstand. Drei sehr verbreitete Metaphern werden auf ihre Herkunft sowie auf die mit ihnen verknüpften Assoziationen und Konnotationen hin analysiert: Cyberspace / cyberespace, Datenautobahn / autoroute de l’information, globales Dorf / village global. Ziel der Analyse ist die Klärung der Frage, ob diese Metaphern synonym verwendet werden oder aber aufgrund der ihnen zugeschriebenen Eigenschaften in einem jeweils spezifischen Kontext anzutreffen sind. Darüber hinaus wird untersucht, ob die einzelnen Metaphern in den beiden betrachteten Sprachen unterschiedlich konnotiert sind und es somit zu einem divergenten Gebrauch kommt. Zu diesem Zweck werden im sechsten Kapitel exemplarisch französische und deutsche Pressetexte analysiert, um eventuelle Regelmäßigkeiten in der Verwendung der betrachteten Internet-Metaphern festzustellen. Hier erscheint eine auf der semasiologischen Metaphern-Untersuchung4 basierende Korpusanalyse als sinnvollste Methode: Ausgehend von einer spezifischen Metapher (wie etwa dem Cyberspace) wird die Fragestellung verfolgt, in welchen Kontexten sie hauptsächlich auftritt. Das zugrundeliegende Korpus setzt sich aus Artikeln der überregionalen Zeitungen Le Monde (bzw. deren Internet-Ausgabe Le Monde Interactif ), L’Humanité, Libération sowie Die Welt, Süddeutsche Zeitung und die tageszeitung zusammen. Die Verfügbarkeit bildet einen wichtigen Grund für die Auswahl gerade dieser Zeitungen: Es handelt sich im wesentlichen um Texte aus den kostenlos zugänglichen Online-Archiven der jeweiligen Zeitung; bei der Süddeutschen Zeitung standen die Jahresausgaben 1995 und 2000 als CD-ROMs zur Verfügung.5 Das siebte Kapitel bildet den Abschluß der Untersuchung: Hier werden die Ergebnisse 3 4 5 Vgl. Jäkel (1997), S. 141ff. Vgl. ebd., S. 143. Eine ausführliche Beschreibung des untersuchten Textkorpus sowie der Analysemethode erfolgt im 6. Kapitel. 7 der Arbeit zusammengefaßt und ein Ausblick auf mögliche weiterführende Studien gegeben.6 2. Grundzüge einer kognitiven Metapherntheorie 2.1 Der klassische Metaphernbegriff Das klassische, seit der Antike geltende Metaphernverständnis betrachtete die Metapher (von griech. metaphorá - „Übertragung“) als rein sprachliches Phänomen, das der poetisch-rhetorischen Ausschmückung der Rede dienen und somit in erster Linie ästhetischen Ansprüchen genügen sollte. Diesem klassischen Verständnis zufolge weichen metaphorische Äußerungen von der sprachlichen Norm ab und wirken auf diese Weise oftmals „erkenntnisverhindernd“7 – weshalb sie in ‘alltäglicher Rede’8 und informativen Texten angeblich nicht vorkommen. „Charakteristisch [...] für das vorherrschende Metaphernverständnis ist die Überzeugung, eine Metapher sei ein stets auf literale Bedeutung reduzierbares, rein ästhetischen Zwecken dienendes, sprachliches Phänomen, welches an feststellbare Ähnlichkeiten objektiv existierender Sachverhalte oder Dinge in der Welt gebunden sei.“9 Die Metapher wird als ein auf objektiven Ähnlichkeiten basierender Vergleich angesehen, bei dem das eigentlich gemeinte Wort durch einen ‘uneigentlichen’, metaphorischen Begriff ersetzt Ausdrucksform eines letztlich wird. auch Sie dient damit nicht-metaphorisch als künstlerische beschreibbaren Sachverhaltes. Begründer dieser Substitutions- und Vergleichstheorie sind Aristoteles 6 7 8 9 Ein Hinweis zur Literaturangabe: Internet-Dokumente werden in der Fußnote wie folgt angegeben: Name des Autors (Erscheinungsjahr), Internet-Adresse. Die Adresse ersetzt die sonst übliche Seitenzahl, die bei Webseiten naturgemäß entfällt, da es sich hier um ‘fließende Dokumente’ handelt. Nicht immer sind der Name und das Erscheinungsjahr in der jeweiligen Internet-Quelle vermerkt, so daß in einem solchen Fall nur die Internet-Adresse in die Fußnote aufgenommen werden kann. Pielenz (1993), S. 61. Mit Jäkel (1997, S. 20) sollen die Begriffe ‘alltägliche Rede’ bzw. ‘Alltagssprache’ hier und im folgenden als Abgrenzung zu ‘künstlerisch-literarischer Sprache’ dienen, ohne daß damit eine soziolinguistische Einordnung verbunden wäre. Baldauf (1997), S. 14. 8 und Quintilian.10 Festzuhalten bleibt, daß solche als nicht-konstruktivistisch bezeichneten Theorien11 in der Metapher ein bewußt eingesetztes, schmückendes, rein rhetorisches – und somit verzichtbares – Element sehen und keinen Zusammenhang zwischen der Kognition und dem Erzeugen und Verstehen von Metaphern herstellen. 2.2 Das ‘neuere’ Metaphernverständnis Eine deutliche Abkehr von diesem über Jahrtausende geltenden Metaphernbegriff findet erst im 20. Jahrhundert statt.12 Ein wichtiger Vertreter des ‘neueren’ Metaphernverständnisses ist Max Black mit seiner Interaktionstheorie, die sich bewußt gegen die „main defects of substitution and comparison views“13 richtet und der Metapher „eine wesentliche wirklichkeitsstrukturierende Rolle“14 zuweist.15 Demgemäß werden durch eine Metapher zwei verschiedene Gegenstände miteinander verbunden, die am besten als „Systeme“16 zu sehen sind. Bei diesem Vorgang werden auf den ersten Gegenstand (das „principal subject“17) bestimmte „Wissensbestände“18 übertragen, welche in der jeweiligen Sprachgemeinschaft allgemein mit dem zweiten Gegenstand (dem „subsidiary subject“19) assoziiert werden – ganz gleich, ob diese Wissensbestände einer objektiven Wahrheit entsprechen oder lediglich auf Hypothesen basieren. Black wählt als Beispiel den Satz „Man is a wolf“20: Auf das principal subject „man“ werden hier die dem 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird auf eine differenzierte Darstellung dieser Theorie verzichtet. Ausführlichere Betrachtungen finden sich zum Beispiel bei Jäkel (1997), S. 89ff., Osthus (2000), S. 77ff. sowie Pielenz (1993), S. 61ff. Vgl. Pielenz (1993), S. 59f. Allerdings weist Baldauf (1997, S. 286) darauf hin, daß sich bereits „im Rahmen der historischvergleichenden Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts [...] Grundgedanken des neuen Metaphernverständnisses wiederfinden [lassen] [...].“ Und auch Jäkel (1997, S. 121f.) benennt Vorläufer aus dem 19. Jahrhundert zu dem im 20. Jahrhundert entwickelten Metaphernbegriff, so zum Beispiel Franz Wüllner (1827), Johann Adam Hartung (1831) und Hermann Paul (1880). Black (1962), S. 38. Pielenz (1993), S. 63, Hervorhebung im Original. Jäkel (1997, S. 99) weist allerdings darauf hin, daß Blacks Theorie eine Weiterentwicklung des bereits 1936 von Ivar Armstrong Richards begründeten metapherntheoretischen Ansatzes darstellt. Black (1962, S. 44) spricht hier von „‘systems of things’, rather than ‘things’“. Ebd. Jäkel (1997), S. 101. Black (1962, S. 40) spricht hier von einem „system of associated commonplaces“. Black (1962), S. 44. Ebd., S. 39f. 9 subsidiary subject „wolf“ zugeschriebenen Merkmale projiziert. Bei dieser metaphorischen Übertragung kommt es zu einer Veränderung in der Wahrnehmung: „Man“ erscheint jetzt in einem anderen Licht, da nun die Eigenschaften des „wolf“ in ihm gesehen und andere Charakteristika verdeckt werden. Eine metaphorische Aussage kann demnach zu einer veränderten Sichtweise führen. Somit weist die Interaktionstheorie im Gegensatz zur klassischen Substitutions- und Vergleichstheorie schon „starke kognitive Ansätze“21 auf. Sie betrachtet die Metapher nicht mehr als rein sprachliches Phänomen, sondern sieht in ihr ein einflußreiches Instrument zur Gestaltung und Strukturierung unserer Wirklichkeit.22 Mit der Substitutions- und Vergleichstheorie hat die Interaktionstheorie jedoch gemeinsam, daß sie sich in erster Linie auf kreative und innovative Metaphern bezieht und dabei die durch den alltäglichen Sprachgebrauch konventionalisierten Metaphern weitestgehend vernachlässigt.23 Dies ändert sich erst mit Lakoff und Johnson, die bei der Entwicklung ihrer Metapherntheorie Fragen nach der Allgegenwart, nach dem Grad der Konventionalisierung und vor allem nach dem kognitiven Status der Metapher ins Zentrum rücken. 2.3 Die kognitive Metapherntheorie nach Lakoff und Johnson 2.3.1 Die Metapher als alltägliches Phänomen und konzeptuelles Instrument Das Buch Metaphors we live by (1980) von George Lakoff und Mark Johnson bezeichnet einen Wendepunkt in der Metaphernforschung.24 Die Autoren entwickeln darin eine Theorie, die in der Metapher ein konzeptuelles Instrument sieht, das von allen Menschen im alltäglichen Sprachgebrauch unbewußt genutzt wird: 21 22 23 24 Jäkel (1997), S. 102. Ausführlichere Betrachtungen der Interaktionstheorie finden sich zum Beispiel bei Jäkel (1997), S. 99ff., Osthus (2000), S. 83ff. sowie Pielenz (1993), S. 63f. Vgl. hierzu Jäkel (1997), S. 105f. Darüber hinaus wird im folgenden auf weitere wichtige Werke der beiden Theoriebegründer Bezug genommen: Johnson (1987), Lakoff (1987) sowie Lakoff/Turner (1989). 10 „[...] metaphor is pervasive in everyday life, not just in language but in thought and action. Our ordinary conceptual system, in terms of which we both think and act, is fundamentally metaphorical in nature.“25 In Abkehr vom traditionellen Metaphernverständnis werden Metaphern hier nicht nur als Teil der Sprache, sondern als ein das menschliche Denken und Handeln umfassendes Phänomen gesehen. Dieser Metaphernbegriff legt ein konzeptuell metaphorisches System zugrunde, das den Menschen dazu befähigt, seine alltäglichen Wahrnehmungen und Handlungen zu strukturieren: „The concepts that govern our thought are not just matters of the intellect. They also govern our everyday functioning, down to the most mundane details. Our concepts structure what we perceive, how we get around in the world, and how we relate to other people. Our conceptual system thus plays a central role in defining our everyday realities. If we are right in suggesting that our conceptual system is largely metaphorical, then the way we think, what we experience, and what we do every day is very much a matter of metaphor.“26 Der Mensch ist demnach metaphorisch konzeptuell strukturiert, und seine täglichen Erfahrungen, sein Denken und Handeln werden durch dieses metaphorische System bestimmt. Pielenz führt diese Gedanken weiter: „[...] da das konzeptuelle System des Menschen fundamental ist, also ein Raster aller menschlichen kognitiven Fähigkeiten vorstellt, muß auch die Sprache als eine zentrale kognitive Fähigkeit konzeptuell determiniert sein. Und da das konzeptuelle System, so die These, metaphorisch ist, müssen die metaphorischen Strukturen in der Sprache aufzufinden sein.“27 Sprache reflektiert also das metaphorisch strukturierte Konzeptsystem des Menschen und ist somit ebenfalls grundlegend metaphorisch strukturiert – Metaphern können als humanes Konstruktionsprinzip betrachtet werden. Lakoff/Johnson bringen den Kern ihrer Theorie in einem mittlerweile vielzitierten Satz auf den Punkt: „The essence of metaphor is understanding and experiencing one kind of thing in terms of another.“28 Das Wesen der Metapher besteht demnach darin, daß der Mensch durch sie eine Sache oder einen Vorgang mit Hilfe von Begriffen einer anderen Sache bzw. eines anderen Vorgangs verstehen und erfahren kann. Daß es im alltäglichen Diskurs überhaupt zu sprachlichen Metaphern kommt, ist allein der Tatsache zu verdanken, daß der Mensch über ein metaphorisch strukturiertes 25 26 27 28 Lakoff/Johnson (1980), S. 3. Ebd. Pielenz (1993), S. 67, Hervorhebung im Original. Lakoff/Johnson (1980), S. 5, Hervorhebung im Original. 11 Konzeptsystem verfügt.29 Aus diesem Grund unterscheiden Lakoff/Johnson zwischen der sprachlichen und der konzeptuellen Metapher. Der Begriff „Metapher“ ist somit prinzipiell mehrdeutig und kann sich sowohl auf die sprachliche als auch auf die konzeptuelle Ebene beziehen. Im Zweifel muß die jeweilige Bedeutung aus dem Kontext erschlossen werden. Jäkel resümiert:30 „Konzeptuelle Metaphern bestehen in der systematischen Verbindung zwischen zwei verschiedenen konzeptuellen Domänen, von denen die eine (X) als Zielbereich (target domain) und die andere (Y) als Ursprungsbereich (source domain) der metaphorischen Übertragung (metaphorical mapping) fungiert. Auf diese Weise wird X als Y verstanden, die eine konzeptuelle Domäne durch Rückgriff auf einen anderen Erfahrungsbereich kognitiv verfügbar gemacht [...] .“31 Die metaphorische Übertragung findet nicht etwa auf der sprachlichen, sondern auf der konzeptuellen Ebene zwischen zwei unterschiedlichen Konzeptbereichen statt. Auf der sprachlichen Ebene schlägt sich dieser Vorgang dann in „verschiedenen konventionell-metaphorischen Redewendungen“32 nieder. Diese auf den ersten Blick sehr komplex erscheinende Theorie erläutern Lakoff/Johnson mit Hilfe zahlreicher Beispiele, von denen einige im folgenden vorgestellt werden.33 2.3.1.1 Konzeptuelle vs. sprachliche Metaphern – ein Beispiel Was genau ist nun ein metaphorisches Konzept? Auf welche Weise strukturiert es alltägliche Wahrnehmungen und Handlungen? Zur Verdeutlichung wählen Lakoff/Johnson u.a. das Konzept ZEIT und die konzeptuelle Metapher ZEIT IST 29 30 31 32 33 Vgl. ebd., S. 6. Jäkel (1997), S. 21, Hervorhebungen im Original. Die Terminologie der source und target domain sowie des mapping führen Lakoff und Johnson erst 1987 ein: „Each metaphor has a source domain, a target domain, and a source-to-target mapping“ (Lakoff 1987, S. 276); vgl. auch Johnson (1987), S. 116. Jäkel (1997), S. 22. Anmerkung: Jäkel (1997, S. 132ff.) weist darauf hin, daß der deutsche Sprachwissenschaftler Harald Weinrich bereits 1958 und 1976 „quasi eine europäische Vorwegnahme der Theorie Lakoffs und Johnsons“ (ebd., S. 139) vornimmt, die in der anglophonen Welt jedoch kaum rezipiert wurde. Weinrich prägt in seiner Theorie andere Termini, die jedoch durchaus Entsprechungen in der Theorie von Lakoff/Johnson finden: Die konzeptuelle Metapher entspricht Weinrichs „Bildfeld“, der Ursprungsbereich (source domain) ist Weinrichs „bildspendendes Feld“, der Zielbereich (target domain) das „bildempfangende Feld“ (vgl. ebd.). 12 GELD.34 Diese schlägt sich in unserer Alltagssprache in einer ganzen Reihe sprachlicher Metaphern nieder:35 (1a) ZEIT IST GELD Du vergeudest/verschwendest meine Zeit. Dies wird Ihnen viel Zeit ersparen. Dieser platte Reifen kostete mich eine Stunde. Lohnt sich das zeitlich für dich? Der Zeitgewinn ist enorm. Ich habe keine Zeit zu verlieren. Danke, daß Sie sich für uns Zeit genommen haben. (1b) LE TEMPS, C’EST DE L’ARGENT Tu me fais perdre mon temps. Cela vous fera gagner des heures et des heures. Réparer ce pneu crevé m’a coûté une heure. Cela vaut-il la peine que tu y consacres ton temps? Le gain de temps est énorme. Je n’ai pas de temps à perdre. Merci de nous avoir donné de votre temps. Auch andere Sprachen unseres Kulturraumes verfügen über metaphorische Ausdrücke dieser Art (englisch z.B. time is money, to spend time, this costs me an hour, to waste time; spanisch z.B. el tiempo es oro, perder el tiempo, me falta tiempo). Das abstrakte Konzept der Zeit wird in der abendländischen Kultur also offensichtlich mit der Terminologie des Geldes metaphorisiert, was darauf hindeutet, daß hier die Zeit (wie das Geld) als knappe Ressource und wertvolles Gut betrachtet wird. Dies verdeutlicht schon allein die Tatsache, wie vielfältig die konzeptuelle Metapher ZEIT IST GELD in unserem Kulturkreis angewendet wird36: Telefongebühren werden pro Zeiteinheit gezahlt, Arbeit wird in Stunden-, Monatsoder Jahreslöhnen vergütet, Hotelpreise gelten pro Übernachtung (auch dies ist eine Zeiteinheit), Unternehmen stellen einen Jahresetat auf etc. Im Juli 2001 wird unter deutschen Politikern gar über die Einführung von „Lebensarbeitszeitkonten“ für Arbeitnehmer diskutiert. 34 35 36 Im folgenden wird die Notierungsweise von Lakoff/Johnson übernommen, die KONZEPTUELLE METAPHERN zur besseren Unterscheidung von sprachlichen Metaphern in VERSALIEN darstellt. Vgl. Lakoff/Johnson (1980), S. 7f. Da sich die vorliegende Arbeit im wesentlichen auf deutsches und französisches Sprachmaterial beziehen soll, wird hier und im folgenden auf die englischen Originalbeispiele verzichtet und auf deutsche und französische Sprachbeispiele zurückgegriffen. Bei ersteren handelt es sich um eigene Übersetzungen, während letztere der französischen Übersetzung von Metaphors we live by (Les métaphores dans la vie quotidienne, Paris 1985) entnommen wurden. Vgl. Lakoff/Johnson (1980), S. 8. 13 So strukturiert das metaphorische Konzept ZEIT IST GELD (bzw. die daraus folgenden metaphorischen Konzepte ZEIT IST EINE KNAPPE RESSOURCE und ZEIT IST EIN WERTVOLLES GUT) tatsächlich ganz alltägliche Aktivitäten. Wir handeln in der Tat so, als ob die Zeit (wie das Geld) ein wertvolles Gut sei, und dies schlägt sich in der Art und Weise nieder, wie wir mit ihr umgehen: Zeit ist für uns etwas, das man verschenken, sparen, investieren, verschwenden oder verlieren (französisch: donner, épargner, investir, gaspiller, perdre) kann. Wir greifen bei der Konzeptualisierung der Zeit auf unsere alltäglichen Erfahrungen im Umgang mit Geld, knappen Ressourcen und Wertgegenständen zurück. „Somit liefert die konzeptuelle Metapher ZEIT IST GELD die semantische Motivation für eine ganze Reihe konventioneller Redeweisen, sprachlicher Metaphern und idiomatischer Ausdrücke, die ansonsten als arbiträr angesehen werden müßten. [...] Einzelne metaphorische Ausdrücke sind nicht isoliert zu sehen, sondern als sprachliche Realisierungen konzeptueller Metaphern.“37 2.3.2 Idealisierte kognitive Modelle nach Lakoff George Lakoff entwickelt die kognitive Metapherntheorie noch weiter.38 Er geht davon aus, daß einzelne konzeptuelle Metaphern oftmals miteinander vernetzt sind und somit komplexe Strukturzusammenhänge bilden, mit deren Hilfe wir unser Wissen organisieren: „The main thesis [...] is that we organize our knowledge by means of structures called idealized cognitive models, or ICMs, and that category structures and prototype effects are by-products of that organization. [...] Each ICM is a complex structured whole, a gestalt [...].“39 Diese kognitiven Modelle beruhen auf menschlichen (physischen wie kulturellen) Erfahrungen und bilden ein „gestalthaftes Hintergrundwissen“40, welches unbewußt das Weltbild – und somit auch das Denken und Handeln – einer Sprachgemeinschaft bestimmt.41 In der Sprache schlagen sich solche kognitiven Modelle in 37 38 39 40 41 Jäkel (1997), S. 23f. Vgl. Lakoff (1987), S. 68ff. Ebd., S. 68, Hervorhebung im Original. Baldauf (1997), S. 72. Lakoff (1987, S. 68f.) wählt zur Verdeutlichung das christlich-abendländische Modell der 7-TageWoche. Obwohl es sich nur um ein idealisiertes Modell handelt („Seven-day weeks do not exist objectively in nature. They are created by human beings“, ebd., S. 69), organisieren wir unser 14 metaphorischen Ausdrücken nieder – weshalb Lakoff/Johnson davon ausgehen, daß „the way we think, what we experience, and what we do every day is very much a matter of metaphor.“42 Auf eine eingehendere Betrachtung der Theorie der idealized cognitive models soll im Rahmen dieser Arbeit verzichtet werden.43 Festzuhalten bleibt jedoch, daß die kognitive Metapherntheorie weit über die Beschreibung sprachlicher Phänomene hinausgeht, denn mit der Annahme komplexer kognitiver Modelle, die aus einem System zusammenhängender konzeptueller Metaphern bestehen, leistet sie „auch im übergeordneten Rahmen der Kognitionswissenschaften einen eigenständigen Beitrag zur Erfassung kognitiver Strukturen der Wissensorganisation.“44 2.3.3 Ursprungs- und Zielbereiche der metaphorischen Übertragung Wie funktioniert nun die metaphorische Übertragung? Welcher Natur sind die bereits erwähnten Ursprungs- und Zielbereiche, und wie werden diese miteinander verbunden? Die kognitive Metapherntheorie geht davon aus, daß ein abstrakter und komplexer Gegenstandsbereich (die Zieldomäne) durch „den metaphorischen Rückgriff“45 auf einen konkreteren, einfacher strukturierten und erfahrungsnäheren Gegenstandsbereich (die Ursprungsdomäne) konzeptualisiert wird: „The metaphors come out of our clearly delineated and concrete experiences and allow us to construct highly abstract and elaborate concepts [...].“46 Der Mensch hat demnach die Tendenz, das weniger Konkrete in den Begrifflichkeiten des Konkreteren zu verstehen47 und drückt deshalb in der Regel einen abstrakten Sachverhalt in der Terminologie eines für ihn ‘greifbareren’ (weil erfahrungsnäheren und somit vertrauteren) Gegenstandsbereiches aus. Um bei dem bereits erwähnten Beispiel der konzeptuellen Metapher ZEIT IST GELD zu bleiben: 42 43 44 45 46 Leben nach ihm. In anderen Kulturkreisen existieren zum Teil völlig andere kalendarische Strukturen, so daß es dort auch zu anderen ICM’s kommt. Lakoff/Johnson (1980), S. 3. Ausführlichere Darstellungen finden sich außer bei Lakoff (1987), S. 68ff. zum Beispiel bei Baldauf (1997), S. 71ff. sowie Osthus (2000), S. 126ff. Jäkel (1997), S. 26, Hervorhebung im Original. Ebd., S. 27. Lakoff/Johnson (1980), S. 105. 15 Das abstrakte Konzept ZEIT bildet den Zielbereich, auf den die Strukturen und Begrifflichkeiten des als konkreter und ‘greifbarer’ empfundenen Ursprungsbereiches GELD projiziert werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß die Übertragung dabei zumeist „unidirektional“48 verläuft, das heißt vom Konkreten zum Abstrakten – nicht umgekehrt oder bidirektional, wovon beispielsweise die Interaktionstheorie ausgeht.49 2.3.4 Klassifikation der konzeptuellen Metaphern Lakoff/Johnson unterscheiden bei den Metaphernkonzepten und -systemen drei große Gruppen alltäglicher Metaphorik: Metaphern der räumlichen Orientierung, ontologische und strukturelle Metaphern. Diese werden im folgenden näher dargestellt. 2.3.4.1 Orientierungsmetaphern Die „orientational metaphors“50 ergeben sich aus den Grunderfahrungen des Menschen vom Raum, in dem er sich in verschiedene Richtungen bewegen kann und den er sich mit Hilfe von horizontalen und vertikalen Achsen strukturiert. Der Mensch orientiert sich also an seinen körperlich motivierten räumlichen Gegensätzen wie oben-unten, innen-außen, vor-hinter, vor-zurück, über-unter etc. und überträgt diese 47 48 49 50 51 durch einen metaphorischen Prozeß auf abstrakte Sachverhalte.51 Vgl. ebd., S. 109. Vgl. Jäkel (1997), S. 28f. Zum Aspekt der bidirektionalen Metaphorisierung ist jedoch auf eine neuere Arbeit von Settekorn (1997) hinzuweisen. Settekorn kann am Beispiel der Bereiche SPORT und WIRTSCHAFT belegen, daß eine gegenseitige Metaphorisierung zweier Domänen durchaus möglich ist und auch praktiziert wird: „Il s’agit de la métaphorisation mutuelle de domaines qui est pratiquée de plus en plus intensément dans les discours de mass-médias. Les domaines sources et les domaines cibles y sont utilisés par substitution mutuelle. [...] Sport et économie sont les deux domaines, dans lesquels les processus de métaphorisation mutuelle sont particulièrement appréciés“ (ebd., S. 206, Hervorhebung im Original). Die beiden Bereiche stehen sich also gegenseitig als source und target domain zur Verfügung. Lakoff/Johnson (1980), S. 14. Eine erweiterte Untersuchung hierzu findet sich in Johnson (1987). 16 Lakoff/Johnson nennen hierfür zahlreiche Beispiele52, von denen einige im folgenden aufgeführt werden: (2a) GLÜCKLICH SEIN IST OBEN; TRAURIG SEIN IST UNTEN sich obenauf fühlen den Geist beflügeln im siebten Himmel sein niedergeschlagen sein die Stimmung sank (2b) LE BONHEUR EST EN HAUT; LA TRISTESSE EST EN BAS être aux anges cela m’a remonté la morale être au septième ciel être déprimé il est retombé dans la dépression (3a) MEHR IST OBEN; WENIGER IST UNTEN die Zahl der Bücher, die jedes Jahr gedruckt werden, steigt stetig die künstlerischen Aktivitäten dieses Staates sind letztes Jahr gesunken mein Einkommen ist gestiegen/gefallen unter 18 sein (3b) LE PLUS EST EN HAUT; LE MOINS EST EN BAS le nombre de livres imprimés chaque année ne cesse de s’élever mes revenus ont grimpé/chuté l’année dernière le volume des activités artistiques a baissé il est en-dessous de la limite d’âge (4a) GUT IST OBEN; SCHLECHT IST UNTEN die Entwicklung zeigt nach oben letztes Jahr haben wir eine Spitze/einen Höhepunkt erreicht, aber jetzt geht es bergab die Lage hat einen Tiefpunkt erreicht er verrichtet hochwertige Arbeit (4b) LE BON EST EN HAUT; LE MAUVAIS EST EN BAS l’espoir remonte nous avons atteint un sommet l’année dernière, mais les choses sont sur le déclin depuis les choses en sont au point le plus bas jamais atteint il fait un travail de haute qualité Diese Beispiele zeigen, wie der Mensch sich mit Hilfe eines metaphorischen Übertragungsprozesses einen abstrakten Vorstellungsbereich erschließt, indem er sich eine Orientierung analog zu seiner räumlichen Erfahrung verschafft. Er macht sich also bei der Darstellung und Vergegenwärtigung eines abstrakten Sachverhaltes seine alltäglichen Erfahrungen im physischen Raum zunutze. 52 Vgl. Lakoff/Johnson (1980), S. 14ff. 17 2.3.4.2 Ontologische Metaphern Ebenso wie die Orientierungsmetaphern nutzen die „ontological metaphors“53 elementare Alltagserfahrungen des Menschen. Diese beziehen sich jedoch auf die Erfahrungen mit konkreten Objekten und Substanzen in seiner Umwelt, die auf abstrakte Vorstellungen projiziert werden und ihnen die Eigenschaften von Objekten bzw. Substanzen verleihen. Wenn eine Erfahrung erst einmal als Entität oder Substanz identifiziert wurde, kann man sich auf sie beziehen, sie kategorisieren, sie quantifizieren und letztlich über sie reflektieren. „Just as the basic experiences of human spatial orientation give rise to orientational metaphors, so our experiences with physical objects (especially our own bodies) provide the basis for an extraordinarily wide variety of ontological metaphors, that is, ways of viewing events, activities, emotions, ideas, etc., as entities and substances.“54 Die einzelnen ontologischen Metaphern dienen dabei unterschiedlichen Zwecken, und die verschiedenen Arten von Metaphern spiegeln die Zielsetzungen wider, für die sie gebraucht werden können. Sie sind daher äußerst vielfältig und häufig im Sprachgebrauch Lakoff/Johnson anzutreffen. zahlreiche Auch für 55 Beispiele , diese von Metaphern-Gruppe denen einige im nennen folgenden herausgegriffen werden. (5a) DER MENSCHLICHE GEIST IST EINE MASCHINE Meine Denkmaschine ist heute nicht in Betrieb/funktioniert heute nicht. Jetzt kommen meine Gedanken in Fahrt. Ich bin/mein Gehirn ist etwas eingerostet. Wir haben schon den ganzen Tag an diesem Problem gearbeitet und haben nun keine Kraft mehr/sind nun kaputt. (5b) L’ESPRIT EST UNE MACHINE Mon esprit est incapable de fonctionner aujourd’hui. Ça tourne rond maintenant. Je suis un peu rouillé aujourd’hui. J’ai bien travaillé toute la journée mais maintenant je suis en panne. Seit der immer größeren Verbreitung des Computers läßt sich dieser Metaphernbereich sogar noch um metaphorische Ausdrücke aus einem Bereich erweitern, den man am besten mit DER MENSCHLICHE GEIST IST EIN 53 54 55 Ebd., S. 25. Ebd. Vgl. ebd., S. 26ff. 18 COMPUTER beschreiben könnte. In der alltäglichen Sprache schlägt sich dieses Konzept in Ausdrücken wie „Hast du das abgespeichert?“, „Meine Festplatte streikt.“ oder „Ich brauche mehr Input.“ nieder.56 Zu den ontologischen Metaphern zählen Lakoff/Johnson auch die sogenannten Behältermetaphern.57 Mit ihrer Hilfe erhalten abstrakte Sachverhalte (seien es Ereignisse, Tätigkeiten, Emotionen oder Zustände) klare Grenzen und somit ein „Inneres“ und ein „Äußeres“. So werden die verschiedensten Emotionen und Zustände als Behältnisse metaphorisiert, zum Beispiel: (6a) Er ist in Liebe entbrannt. Wir sind aus den Schwierigkeiten heraus. Er wacht aus dem Koma auf. Er ist in Form. Er verfiel in Euphorie. Er fiel in eine tiefe Depression. (6b) Il est en plein désespoir. Il sort du coma. Je suis en forme. Il est entré dans une phase d’euphorie. Il a plongé dans la dépression. Als eine besonders bemerkenswerte Form ontologischer Metaphern betrachten Lakoff/Johnson das Phänomen der Personifizierung: „Perhaps the most obvious ontological metaphors are those where the physical object is further specified as being a person. This allows us to comprehend a wide variety of experiences with nonhuman entities in terms of human motivations, characteristics, and activities.“58 Hierbei werden abstrakte Sachverhalte und Gegenstandsbereiche nach dem eigenen menschlichen ‘Vorbild’ konzeptualisiert, gewissermaßen ‘vermenschlicht’, um sie für den Menschen zu konkretisieren: 56 57 58 Vgl. zu den unterschiedlichen Metaphern für das Denken auch Draaisma (1999). Vgl. Lakoff/Johnson (1980), S. 29ff. Ebd., S. 33. 19 (7a) Seine Theorie erklärte mir das Verhalten der Fabrikhühner. Diese Tatsache spricht gegen die klassischen Theorien. Das Leben hat mich enttäuscht. Die Inflation frißt unsere Gewinne auf. Seine Religion verbietet ihm den Genuß von Wein. Die Krankheit warf ihn nieder. (7b) Sa théorie m’a fait comprendre le comportement des poulets élevés de manière industrielle. Ce fait plaide contre les théories classiques. La vie m’a trompé. L’inflation dévore tous nos profits. Sa religion lui interdit de boire du vin. La maladie l’a frappé. Die Tatsache, daß ontologische Metaphern (mit ihren ‘Unterklassen’ der Behältermetaphern und Personifizierungen) in unserem alltäglichen Sprachgebrauch so häufig vorkommen, in verschiedensten Zusammenhängen praktisch allgegenwärtig sind und dabei kaum als Metaphern wahrgenommen werden, verweist auf ihre Funktion als „[...] wichtige Hilfsmittel der Kognition, die es ermöglichen, Erfahrungen des Alltags begreifbar und rational wie sprachlich verfügbar zu machen. Eine Anpassung abstrakter, vager Vorstellungen an die Welt der Konkreta erleichtert ihre Charakterisierung und ermöglicht eine den Konkreta analoge Strukturierung von Erfahrungen, die weniger klar umrissen sind.“59 2.3.4.3 Strukturelle Metaphern In die von Lakoff/Johnson als „structural metaphors“60 bezeichnete MetaphernGruppe fallen jene Metaphern, die einen komplexen Erfahrungsbereich durch einen vertrauteren Bereich konzeptualisieren. Ein abstrakter Sachverhalt wird durch einen konkreteren metaphorisch strukturiert: „one concept is metaphorically structured in terms of another.“61 Ein Beispiel für diese Art von Metaphern ist das bereits oben erwähnte metaphorische Konzept ZEIT IST GELD. Als ein weiteres Beispiel wählen Lakoff/Johnson das Konzept ARGUMENTIEREN und die konzeptuelle Metapher ARGUMENTIEREN IST KRIEG.62 Auch diese 59 60 61 62 Baldauf (1997), S. 22. Lakoff/Johnson (1980), S. 14. Ebd. Vgl. ebd., S. 4ff. 20 schlägt sich in unserer Alltagssprache in einer ganzen Reihe metaphorischer Ausdrücke nieder: (8a) ARGUMENTIEREN IST KRIEG Ihre Behauptungen sind unhaltbar. Er griff jeden einzelnen Schwachpunkt meiner Argumentation an. Seine Kritik traf ins Schwarze. Ich schmetterte sein Argument ab. Ich habe noch nie eine Auseinandersetzung mit ihm gewonnen. Du bist anderer Meinung? Okay, schieß los! Wenn Du nach dieser Strategie vorgehst, wird er dich vernichten. Er machte alle meine Argumente nieder. (8b) LA DISCUSSION, C’EST LA GUERRE Vos affirmations sont indéfendables. Il a attaqué chaque point faible de mon argumentation. Ses critiques visaient droit au but. J’ai démoli son argumentation. Je n’ai jamais gagné sur un point avec lui. Tu n’es pas d’accord? Alors, défends-toi! Si tu utilises cette stratégie, il va t’écraser. Les arguments qu’il m’a opposés ont tous fait mouche. Auch bei diesem Beispiel wird die Struktur des einen Konzeptes (KRIEG) auf das andere Konzept (ARGUMENTIEREN) übertragen; das eine läßt sich exakt in der Terminologie des anderen ausdrücken. Man kann also davon ausgehen, daß wir in unserem Kulturkreis das Argumentieren als eine Art Krieg oder Kampf auffassen – wenn auch nicht physisch, so doch zumindest verbal. Unsere Argumentationsstruktur spiegelt das ‘Kriegsgeschehen’ durch metaphorische Ausdrücke wie Argumente angreifen/abschmettern, Argumentationsstrategie etc. (französisch: attaquer une affirmation, démolir l’argumentation, stratégie de l’argumentation etc.) wider. Die konzeptuelle Metapher ARGUMENTIEREN IST KRIEG bzw. LA DISCUSSION, C’EST LA GUERRE ist demzufolge eine strukturelle Metapher, nach der wir in unserer Kultur leben – sie strukturiert unser argumentatives Handeln. Zweifellos empfinden wir Diskussionen tatsächlich oft als Kampf, bei dem man gewinnen oder verlieren kann – was darauf hindeutet, daß auch diese konzeptuelle Metapher nicht nur in unseren Worten präsent ist, sondern in unserem ganzen Denken und Handeln. Sicherlich gibt es Kulturgemeinschaften, in denen eine gänzlich andere Vorstellung vom Argumentieren herrscht und deren Mitglieder demzufolge mit unseren Metaphorisierungen nur schwer etwas anfangen könnten. So weisen Lakoff/Johnson darauf hin, daß es Kulturen geben mag, in denen das Argumentieren nicht als 21 „Krieg“, sondern als „Tanz“ aufgefaßt wird63 – die Argumentierenden wären hier Partner und handelten nach rein ästhetisch-künstlerischen Maßstäben. Argumente wären wohlgeformte und harmonische sprachliche Äußerungen mit dem einzigen Ziel, sowohl den Argumentierenden selbst als auch dem Publikum Vergnügen zu bereiten – anstatt wie häufig in unserer Kultur den „Gegner“ mit Hilfe einer klugen „Strategie“ „niederzumachen“ und die Diskussion zu „gewinnen“. In der Sprache einer solchen Kultur schlüge sich das Argumentieren in ganz anderen metaphorischen Begrifflichkeiten nieder, da das argumentative Handeln hier von einer völlig anderen konzeptuellen Metapher strukturiert würde. Metaphern sind also Träger von Wertvorstellungen und gelten als Nachweis für soziokulturelle Phänomene und Prozesse. 2.3.5 Die kognitiven Funktionen der Metapher Nachdem die drei Metaphern-Gruppen nach Lakoff/Johnson vorgestellt wurden, sollen nun im folgenden die funktionalen Aspekte untersucht werden. Es lassen sich im wesentlichen drei kognitive Funktionen der Metapher herausstellen: die Erklärungs- bzw. Verständnisfunktion, das kreative Potential sowie der Fokussierungseffekt.64 2.3.5.1 Erklärungs- und Verständnisfunktion Wie bereits gesehen, besteht die vielleicht wichtigste Funktion der Metapher darin, abstrakte Sachverhalte zu konkretisieren. Durch den metaphorischen Rückgriff auf einen einfacheren, erfahrungsnäheren Ursprungsbereich wird ein als komplex empfundener Zielbereich verständlich gemacht. Konzeptuelle Metaphern stellen erklärende Denkmodelle bereit, mittels derer Gegenstandsbereiche überhaupt erst zugänglich werden. 63 64 Vgl. ebd. Vgl. Jäkel (1997), S. 31ff. einige hoch abstrakte 22 „Eine regelrechte kognitive Erschließungsfunktion übernimmt die Metapher daher prinzipiell für abstrakte Begriffsdomänen, theoretische Konstrukte und metaphysische Ideen. Konzeptuelle Metaphern sorgen durch Rückbindung des abstrakt-begrifflichen Denkens an die sinnliche Anschauung für die körperlich-biophysische Fundierung der Kognition und gewährleisten die Kohärenz und Einheit unserer Erfahrung.“65 Dies gilt für wissenschaftliche Theorien und philosophische Ideen ebenso wie für vermeintlich einfache, dem Menschen aber ähnlich schwer zugängliche Domänen wie ZEIT oder LIEBE66, die sich kaum nicht-metaphorisch ausdrücken lassen. „Jede Metapher hat die Eigenschaft, eine erklärungskräftige Struktur aus einem bekannten Erfahrungsbereich in einem anderen anzuwenden, der entweder noch erklärungsbedürftig ist oder den es neu zu verstehen gilt. Auf diese Weise gibt die Metapher einem unvertrauten oder unzureichend strukturierten Erfahrungsbereich eine neue Klarheit, Offensichtlichkeit und greifbare Gestalt. Metaphern bieten sogar eine sehr viel größere Experimentierfreiheit als physikalische Modelle.“67 Was dies im Zusammenhang mit dem Verständnis neuer Technologien oder Medien wie dem Internet bedeuten kann, wird in den Kapiteln 4 bis 6 ausführlich behandelt. 2.3.5.2 Das kreative Potential Neben ihrer wichtigen Funktion als erklärendes Instrument ist das kreative Potential der Metapher zu erwähnen. Einzelne konzeptuelle Metaphern bieten ganze Paletten von Möglichkeiten zur Konzeptualisierung abstrakter Zieldomänen an. Lakoff/Turner verdeutlichen dies am Beispiel der strukturellen konzeptuellen Metapher DAS LEBEN IST EINE REISE.68 Wir konzeptualisieren das Leben oftmals als Reise, was sich an ganz alltäglichen metaphorischen Ausdrücken wie Lebensweg, Lebensziel, am Scheideweg stehen, Weg- bzw. Lebensgefährte, Durststrecke, in eine Sackgasse geraten, die falsche Richtung einschlagen, auf Abwege geraten, gute/schlechte Startbedingungen haben etc. (französische Beispiele: avoir un but dans la vie, se trouver à la croisée des chemins, s’engager dans une impasse, atteindre le point de non-retour, s’écarter du droit chemin, être sur la bonne voie etc.) erkennen läßt. Neben diesen konventionell-metaphorischen Ausdrücken wäre es durchaus möglich, innerhalb desselben Konzeptes (der REISE) andere Metaphern für den Zielbereich 65 66 67 Ebd., S. 42, Hervorhebung im Original. Vgl. Lakoff/Johnson (1980), S. 85ff. Krippendorff (1994), S. 80. 23 LEBEN zu bilden. Jäkel wählt hier das Beispiel eines uns durch das Leben führenden „himmlischen Reiseleiters“69 – dieser Ausdruck ist allgemein verständlich, obwohl er nicht zu den üblichen Metaphern der deutschen Alltagssprache gehört. „Die Grenze [...] zwischen den konventionell genutzten Optionen einer Metapher und den nicht realisierten, aber potentiell nutzbaren ist völlig offen und unbefestigt.“70 Dieses kreative Potential konzeptueller Metaphern wird natürlich vor allem in der Poesie ausgenutzt, findet sich jedoch offensichtlich auch häufig im alltäglichen Diskurs. Durch metaphorische Neubeschreibung eines Gegenstandsbereiches wird es sogar möglich, „eingefahrene Denkmuster umzustrukturieren“71. Eine neue Metapher bzw. die Ausweitung eines bekannten Metaphernbereiches kann dazu führen, daß wir etwas in einem ganz anderen Licht sehen. Lakoff/Johnson nehmen gar an, daß neue Metaphern (bzw. Metaphernkonzepte) die „Macht“ haben, unsere Wirklichkeit zu verändern – nämlich dann, wenn wir beginnen, nach diesen neuen Konzepten zu handeln: „Many of our activities [...] are metaphorical in nature. The metaphorical concepts that characterize those activities structure our present reality. New metaphors have the power to create a new reality. This can begin to happen when we start to comprehend our experience in terms of a metaphor, and it becomes a deeper reality when we begin to act in terms of it. If a new metaphor enters the conceptual system that we base our actions on, it will alter that conceptual system and the perceptions and actions that the system gives rise to. Much of cultural change arises from the introduction of new metaphorical concepts and the loss of old ones.“72 Daß das Auftauchen bzw. die Einführung neuer Metaphernkonzepte gar zu kulturellen Veränderungen führen kann, erläutern Lakoff/Johnson am Beispiel der ‘Verwestlichung’ von Gesellschaftssystemen in der ganzen Welt. Diese sei zum Teil auf die ‘Einführung’ des Metaphernkonzeptes ZEIT IST GELD zurückzuführen73 – eine These, die auf den ersten Blick etwas weit gegriffen erscheint, jedoch durchaus Sinn macht, wenn man sich zum Beispiel die gesellschaftlichen Folgen von Kolonialherrschaften in den jeweiligen Ländern vergegenwärtigt. 68 69 70 71 72 73 Vgl. Lakoff/Turner (1989), S. 3ff. sowie 60ff. Jäkel (1997), S. 34. Ebd. Ebd., S. 35, Hervorhebung im Original. Lakoff/Johnson (1980), S. 145, meine Hervorhebungen. Vgl. ebd. 24 2.3.5.3 Der Fokussierungseffekt Eine weitere wichtige Funktion der Metapher ist eine Eigenschaft, die Jäkel als „Fokussierungseffekt“74 bezeichnet. Lakoff/Johnson verwenden hierfür die Begriffe „highlighting and hiding“75. Was damit gemeint ist, erläutern sie u.a. am Beispiel des Konzeptes ARGUMENTIEREN. Sie betonen, daß das Konzept KRIEG hierfür nicht die einzig mögliche metaphorische Repräsentation darstellt.76 So gibt es zum Beispiel genügend sprachliche Ausdrücke für die strukturelle konzeptuelle Metapher EINE ARGUMENTATION IST EINE REISE/UNE DISCUSSION EST UN VOYAGE, die hervorhebt, daß wir mit dem Argumentieren einen Weg beschreiten und ein Ziel verfolgen: Wir gehen von etwas aus, fahren in unserer Argumentation Schritt für Schritt fort, gelangen zum nächsten Punkt, folgen der Argumentation oder drehen uns im Kreis (französische Beispiele: Il s’est écarté de la ligne de son argumentation. Est-ce que tu suis mon raisonnement? Nous nous sommes de nouveau engagés dans la mauvaise direction. J’ai perdu mon chemin. Tu tournes en rond.). Wenn wir unser Augenmerk dagegen auf den Inhalt richten, so bedienen wir uns der ontologischen konzeptuellen Metapher EINE ARGUMENTATION IST EIN BEHÄLTNIS/UNE DISCUSSION EST UN CONTENANT: Wir verstehen den Kern eines Argumentes nicht, entdecken etwas in einem Argument, sehen viel/wenig Substanz in einem Argument und halten es für wasserdicht oder auch lückenhaft (französische Beispiele: Ton argumentation n’a pas beaucoup de contenu. Cette argumentation-là est creuse. Vous n’avez pas grand-chose comme argument, mais les objections de vos adversaires ont encore moins de substance. J’en ai assez de ces arguments vides. Vous ne trouverez pas cette idée dans son argumentation.). Ein Konzept kann also aus unterschiedlichen Perspektiven erfaßt und sprachlichmetaphorisch realisiert werden. Es werden jeweils adäquate Aspekte eines Konzeptes hervorgehoben – die anderen bleiben dabei zwar immer latent erhalten, werden jedoch durch diesen Vorgang der Fokussierung verborgen. Auf diese Weise wird die menschliche Wahrnehmung eines Sachverhaltes beeinflußt, wenn nicht sogar manipuliert – was vor allem im Zusammenhang mit der Verwendung von Metaphern 74 75 76 Vgl. Jäkel (1997), S. 37 ff. Lakoff/Johnson (1980), S. 10f. Vgl. ebd., S. 89ff. sowie Pielenz (1993), S. 70ff. 25 in Medien interessant ist.77 Die Systematik, aufgrund derer wir den Aspekt eines Konzeptes in Strukturen eines anderen Konzeptes erfassen können, verstellt uns den Blick auf alle anderen Aspekte. Wenn wir uns also beim Argumentieren nur auf die kriegerischen Facetten dieses Konzeptes konzentrieren, können wir leicht die anderen, letztlich positiveren Aspekte aus den Augen verlieren und somit den Argumentationsvorgang wirklich als Kampfhandlung betrachten – der Gesprächspartner gerät zum Gegner oder gar Feind, den es zu zerstören gilt. Metaphern reflektieren also eine ganz bestimmte Weltsicht; mit ihnen werden gewisse Aspekte – bewußt oder unbewußt – hervorgehoben bzw. ausgeblendet. „In allowing us to focus on one aspect of a concept [...], a metaphorical concept can keep us from focusing on other aspects of the concept that are inconsistent with that metaphor.“78 Wird dieser Effekt bewußt ausgenutzt, kann dies durchaus zu einer einseitigen Wahrnehmung führen, wie Jäkel eindrucksvoll am Beispiel der konzeptuellen Metapher POLITISCHE FLÜCHTLINGE SIND EINE NATURKATASTROPHE79 zeigt. Diese schlägt sich in Metaphern wie „Asylantenflut“ nieder, deren „Zustrom“ man „eindämmen“ müsse oder gegen die man das „volle Boot“ Deutschland „abzuschotten“ habe. 2.4 Zusammenfassung In ihrem Buch Metaphors we live by und weiterführenden Arbeiten entwickeln Lakoff und Johnson eine kognitive Metapherntheorie, die sich deutlich vom klassischen Metaphernverständnis abhebt. Die Metapher kann nicht als rein sprachliches Phänomen betrachtet werden, das lediglich der poetischen und rhetorischen Ausschmückung dient. Lakoff/Johnson sehen in der Metapher das Ergebnis eines kognitiven Prozesses und begreifen sie als konzeptuelles Instrument, das dem Menschen dabei hilft, seine alltäglichen Wahrnehmungen und Handlungen zu strukturieren – weshalb Metaphern im täglichen Sprachgebrauch allgegenwärtig 77 78 79 Vgl. hierzu den Aufsatz von Lakoff (1992), in dem er darlegt, wie die US-Regierung den Golfkrieg 1991 mit Hilfe von bestimmten Metaphern nicht nur rechtfertigte, sondern – so die These – gar ermöglichte („Metaphors can kill. The discourse over whether to go to war in the gulf was a panorama of metaphor“, ebd., S. 463). Lakoff/Johnson (1980), S. 10. Jäkel (1997), S. 39. 26 sind. Lakoff/Johnson unterscheiden zwischen sprachlichen und konzeptuellen Metaphern: Die metaphorische Übertragung findet auf der konzeptuellen Ebene statt und schlägt sich dann auf der sprachlichen Ebene in konventionell-metaphorischen Redewendungen nieder. Die Übertragungsrichtung verläuft dabei zumeist vom Konkreten zum Abstrakten. Metaphern erfüllen wichtige kognitive Funktionen: Sie dienen der Erklärung und dem besseren Verständnis abstrakter oder neuer Sachverhalte, können aufgrund ihres kreativen Potentials Denkmuster umstrukturieren und auf diese Weise zu neuen Sichtweisen führen und haben darüber hinaus die Eigenschaft, bestimmte Aspekte eines Konzeptes hervorzuheben bzw. auszublenden und damit unterschiedliche Perspektiven auf einen Sachverhalt zu eröffnen. Nachdem nun die Grundzüge der kognitiven Metapherntheorie von Lakoff/Johnson vorgestellt wurden, soll im folgenden auf den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit eingegangen werden: das Internet. Nach der Theorie von Lakoff/Johnson ist zu vermuten, daß Metaphern bei der sprachlichen Erschließung dieses neuen und von den meisten Menschen als sehr komplex und abstrakt empfundenen Mediums eine grundlegende Rolle spielen. 3. Das Internet – seine Geschichte und Entwicklung Vor einer Untersuchung der im Zusammenhang mit dem Internet auftretenden Metaphern erscheint es sinnvoll, zunächst einen Blick auf die Entstehungsgeschichte und die wichtigsten Dienste dieses Mediums zu werfen. Es ist davon auszugehen, daß die Kenntnis des historischen und technischen Hintergrundes zu einem besseren Verständnis und Urteilsvermögen darüber führt, warum bei der sprachlichen Erfassung des Internet bestimmte Metaphern verwendet werden. Daher soll dieses Kapitel einen kurzen Überblick über die Entwicklung des Mediums geben.80 80 Die nachfolgenden Ausführungen basieren im wesentlichen auf Hafner/Lyon (2000), Kreuzberger (1997), Runkehl et al. (1998) sowie Zehnder (1999). 27 3.1 Der militärisch-wissenschaftliche Hintergrund Das Internet wird gemeinhin als ‘neues’ Medium gesehen, obwohl seine Wurzeln bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts zurückreichen. Im Oktober 1957 schoß die Sowjetunion – für die westliche Welt völlig unerwartet – den ersten künstlichen Satelliten Sputnik ins All und versetzte den USA damit förmlich einen Schock. Mitten im Kalten Krieg mußten die Vereinigten Staaten plötzlich befürchten, technologisch und militärisch ins Hintertreffen zu geraten. Aus diesem Grunde rief Präsident Dwight D. Eisenhower schon kurze Zeit später die ARPA (Advanced Research Projects Agency) ins Leben, „um den technologischen Vorsprung und damit die Sicherheit der westlichen Welt in der Zeit des eskalierenden Rüstungswettlaufs zwischen den USA und der Sowjetunion sowie dem damit verbundenen Szenario einer weltweiten nuklearen Vernichtung zu gewährleisten.“81 Die neue Behörde wurde im Verteidigungsministerium angesiedelt und beschäftigte sich in der ersten Zeit mit Fragen der Raketenabwehr und ähnlichen militärisch ausgerichteten Projekten, später dann mehr und mehr mit der Entwicklung neuer Techniken im Bereich Kommunikation und Datenübertragung. Dabei arbeitete sie sowohl mit Universitäten als auch Unternehmen der Computerindustrie eng zusammen, um das gesamte Wissenspotential zu bündeln. Die Kooperation wurde jedoch erheblich dadurch erschwert, daß jede Institution mit eigenen Computersystemen und Programmen arbeitete, die zumeist nicht mit denen der anderen kompatibel waren – weshalb oftmals an mehreren Universitäten gleichzeitig ähnliche Forschungsprojekte liefen. Aus diesem Problem entwickelte sich nach und nach „die Idee, ein ‘integriertes Netzwerk’ zu schaffen, um teure Hardwareressourcen und akademische Schaffenskraft ökonomischer einzusetzen.“82 Denn wenn man die Rechner mehrerer Forschungsstätten elektronisch miteinander verbinden würde, könnten sich Wissenschaftler, die in verschiedenen Institutionen und Landesteilen an ähnlichen Projekten arbeiteten, nicht nur Rechnerkapazitäten 81 82 Runkehl et al. (1998), S. 9. Ebd., S. 10. 28 teilen, sondern auch auf die Daten ihrer Kollegen zurückgreifen und Ergebnisse austauschen.83 Neben dieser ‘zivilen’ Idee der Schaffung eines Netzwerkes gab es jedoch schon seit längerem Überlegungen, wie man die nationalen Kommunikationssysteme so miteinander vernetzen könnte, daß Militär und Behörden im Falle eines kriegerischen Angriffs dennoch kommunikations- und handlungsfähig blieben. Ein zentral gesteuertes Netz wäre extrem verwundbar; bedeutete es doch bei der Zerstörung der Zentrale den totalen Ausfall des gesamten Systems und den Verlust aller zentral gespeicherten Daten. Ein sicheres Netzwerk müßte also dezentral organisiert sein, so daß „Teilbereiche auch nach einer größeren Zerstörung anderer Teile noch als zusammengehörige Einheit funktionierten.“84 1968 vergab die ARPA an das Unternehmen Bolt, Beranek and Newman (BBN) den Auftrag zur Entwicklung entsprechender Großrechner, die in einem solchen dezentralen Netzwerk als ‘Knoten’ (d.h. Rechner zur Übertragung und Verteilung von Daten) dienen sollten. Bereits im Jahr 1969 war es soweit: Vier Universitäten85 wurden elektronisch miteinander verbunden – ihre Rechner bildeten die ersten vier Knoten des ‘ARPANET’. Das Netz wuchs in der Folgezeit stetig: 1971 verfügte es bereits über 15 Knoten, 1972 waren es schon 37. Im selben Jahr entwickelte Ray Tomlinson von BBN das erste Programm zur elektronischen Postzustellung – und schuf mit dem @-Zeichen (zur Trennung von Nutzernamen und Server in der E-Mail-Adresse) das „Symbol für die vernetzte Welt schlechthin“.86 Ein Jahr später bestanden bereits 75 Prozent des Datenverkehrs im ARPANET aus E-Mails.87 Als erste außeramerikanische Organisationen schlossen sich 1973 das University College of London und die seismologische Forschungsgemeinschaft Norsar in Norwegen dem ARPANET an. Inzwischen war es jedoch nicht mehr das einzige existierende Netzwerk. Seit dem Beginn der 70er Jahre entstanden weitere Netze88, wie das Funknetzwerk ‘Packet Radio Network’ und das digitale Satellitennetzwerk ‘SATNET’. Letzteres blieb nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt, auch 83 84 85 86 87 88 Vgl. Hafner/Lyon (2000), S. 48. Ebd., S. 65. Es handelte sich um die University of California in Los Angeles (UCLA), das Stanford Research Institute (SRI), die University of California in Santa Barbara und die State University of Utah. Hafner/Lyon (2000), S. 228. Vgl. Runkehl et al. (1998), S. 12. Vgl. Hafner/Lyon (2000), S. 262f. 29 Großbritannien, Norwegen, Italien und Deutschland erhielten Satellitenverbindungen. Ferner wurden in immer mehr Staaten nationale Versionen des ARPANET entwickelt, so z.B. das französische ‘Cyclades’. 3.2 Einflüsse aus der alternativen Computer-Szene Als erstes nicht forschungsorientiertes Netz entstand 1979 das ‘Usenet’: Studenten der Duke University und der University of North Carolina verknüpften per Modem89 mehrere Unix-Rechner ihrer Universitäten miteinander und schufen auf diese Weise eine erschwingliche Alternative zum teuren ARPANET. Es entwickelte sich eine Art Gegenbewegung zu den staatlich unterstützten, auf militärische und wissenschaftliche Zwecke ausgerichteten Netzen: „[...] in parallel to the efforts by the Pentagon and Big Science to establish a universal computer network with public access, within ‘acceptable use’ norms, a sprawling computer counterculture emerged in the United States, often mentally associated with the aftershocks of the 1960s movements, in their most libertarian/utopian version. An important element of the system, the modem, was one of the technological breakthroughs emerging from the pioneers of this counterculture, originally labeled ‘the hackers’ before the term took on its malignant connotation.“90 Die Entwicklung des Netzes wurde also entscheidend von den sogenannten Hackern91 mitgetragen, die an einer ‘Demokratisierung’ dieses neuen Kommunikationssystems interessiert waren. Sie wollten die Nutzung nicht einer kleinen, elitären Gruppe von Spitzenforschern und Militärs überlassen, sondern auch selbst davon Gebrauch machen, es nach ihren eigenen Bedürfnissen mitgestalten und möglichst breiten Bevölkerungsschichten Zugang verschaffen: 89 90 91 Modem – gebildet aus „Modulator-Demodulator“; auch dies ist eine Erfindung zweier Studenten, nämlich Ward Christensen und Randy Suess aus Chicago, die 1978 ein System zum Austausch von Computerprogrammen via Telefonleitung entwickelten, um sich den Weg durch das winterlichkalte Chicago zu ersparen. Vgl. hierzu Castells (1996), S. 353. Ebd. Zu jener Zeit hatte die Bezeichnung ‘Hacker’ noch keine negative Bedeutung. Es handelte sich um hochqualifizierte Computerspezialisten (darunter sehr viele Studenten), die ihre Kreativität in umfangreichen Programmierarbeiten auslebten – und dabei auf der Tastatur ‘herumhackten’. Erst als ‘schwarze Schafe’ unter ihnen ihr Wissen zum unbefugten Eindringen in fremde Rechner (zwecks Manipulation oder Spionage) mißbrauchten, erhielt der Begriff seine negative Konnotation. Vgl. hierzu Hafner/Lyon (2000), S. 225 sowie Kreuzberger (1997), S. 31. Die Bezeichnung ‘Cracker’ für jene bewußt kriminell agierenden Personen setzt sich bisher nur langsam durch. Vgl. Mandel/Van der Leun (1998b), S. 266. 30 „Die Entstehung [...] verdankt sich einer wirklichen sozialen Bewegung – mit ihren Anführern, ihren Schlüsselwörtern und ihren kohärenten Zielen. [...] Ausgebaut haben [...] [das Internet] überwiegend anonyme, unentgeltlich arbeitende Menschen, die beständig die Kommunikationsmittel verbesserten, und nicht die großen Namen, die Regierungen oder Firmenchefs, von denen uns in den Medien bis zum Überfluß erzählt wird. [...] Man muß an die Techniker denken, die zum Funktionieren der ersten elektronischen Briefe und Foren beitrugen, an die Studenten, die die Kommunikationssoftware für die Computer unentgeltlich entwickelten, verteilten und verbesserten, an die Millionen Nutzer und Verwalter von Mailbox-Systemen.“92 Die Schaffung neuer Netzwerke blieb nicht auf diese ‘alternative Hacker-Szene’ beschränkt; auch private Unternehmen begannen mit der Entwicklung eigener Systeme, so daß sich die Anzahl der nebeneinander existierenden Netze ständig vergrößerte.93 3.3 Die Erfindung des Internet als ‘Netz der Netze’ Die meisten der bis dahin vorhandenen Netzwerke arbeiteten mit unterschiedlichen Technologien und waren in sich geschlossen, d.h. von den anderen isoliert. Ein Kommunizieren der Netze untereinander war aufgrund der Vielzahl der Systeme unmöglich. Aus diesem Umstand erwuchs die Idee, die bestehenden Netze miteinander zu einem großen Netzwerk zu verbinden – ein ‘Netz der Netze’ zu schaffen, in dem alle Rechner problemlos miteinander kommunizieren können. Vorreiter dieser Idee waren Robert Kahn von BBN und Vinton C. Cerf von der University of California Los Angeles. Sie entwickelten zwischen 1973 und 1974 gemeinsam das TCP/IP-Protokoll94, das die zu versendenden Daten in kleine Pakete aufteilt und nach der Übermittlung am Bestimmungsort wieder zusammensetzt. Mit Hilfe dieses Protokolls war es nun erstmals möglich, Daten von einem Netzwerk auf ein anderes zu übertragen – das Internet war geboren; und Vinton C. Cerf und Robert Kahn gelten bis heute als dessen Väter. Ihr Protokoll setzte sich immer weiter durch und wurde schließlich 1983 zum offiziellen Standard des ARPANET.95 Noch heute bildet es die Grundlage des Internet, d.h. „jeder Rechner, der daran teilnehmen will, muß es [das Protokoll] verstehen.“96 Zum Zeitpunkt der Umstellung auf TCP/IP war 92 93 94 95 96 Lévy (1998), S. 75f. Vgl. Kreuzberger (1997), S. 10f. TCP = Transmission Control Protocol, IP = Internet Protocol. Vgl. Hafner/Lyon (2000), S. 294. Kreuzberger (1997), S. 11. 31 das ARPANET bereits so groß, daß der militärische Teil des Netzes aus Sicherheitsgründen abgespalten und als ‘MILNET’ weitergeführt wurde. Die ständige Ausdehnung des Netzes hatte zur Folge, daß es immer mehr Rechner gleichen Namens gab, wodurch ein gezieltes Anwählen bald nicht mehr möglich war. Aus diesem Grunde wurde 1984 das Domain Name System (DNS) eingeführt, das mit Hilfe von Zusätzen wie .org, .com oder Länderkürzeln wie .de, .fr die Adressierung regelte.97 Ein Jahr später finanzierte die amerikanische Stiftung National Science Foundation (NSF) zur Förderung des wissenschaftlichen Austausches den Aufbau eines sogenannten Backbone-Netzwerkes, das fünf „Supercomputerzentren“98 in den gesamten Vereinigten Staaten miteinander verband. Es erhielt den Namen ‘NSFNET’ und ermöglichte den angeschlossenen Hochschulen einen schnellen Zugang. „Das NSFNET entwickelte sich sehr schnell zum ‘Rückgrat’ des Internet, da seine Leitungen mehr als 25mal schneller waren als die ARPANET-Leitungen.“99 Immer mehr Institutionen und Länder traten dem NSFNET bei. 1988 wurde Frankreich, ein Jahr später Deutschland angeschlossen. Im Jahr 1990 wurde das ARPANET schließlich offiziell aufgelöst. Seither spricht man nur noch vom ‘Internet’. 3.4 Die zweite Geburtsstunde des Internet: das World Wide Web Als „zweite Geburtsstunde“100 des Internet gilt die Entwicklung des World Wide Web (WWW) durch Tim Berners-Lee und Robert Cailliau vom Genfer Kernforschungszentrum CERN im Jahr 1991. Dank ihres Hypertext Transfer Protocol (HTTP) und einer graphischen Benutzeroberfläche wurde es möglich, per Mausklick problemlos von einer Seite zur anderen zu springen, nicht-lineare Texte zu lesen, Bilder anzusehen und zwischen einzelnen Datenquellen ‘herumzusurfen’101. 97 98 99 100 101 Vgl. Hafner/Lyon (2000), S. 299f. Ebd., S. 290. Ebd., S. 301. Runkehl et al. (1998), S. 14. Zur Herkunft der Metapher „surfen“ siehe Abschnitt 4.2.1. 32 Was dem World Wide Web jedoch endgültig zum Durchbruch – auch in der nichtwissenschaftlichen Welt – verhalf, war die Erfindung des Informatik-Studenten Marc Andreesen vom National Center for Supercomputing Applications (NCSA) in Illinois102: Er entwickelte 1993 den ersten benutzerfreundlichen Browser (den ‘NCSA Mosaic’ – ein Jahr später als ‘Netscape Navigator’ auf den Markt gebracht), der die im World Wide Web gespeicherten Seiten für jedermann sichtbar machte. War das Netz bis dahin vor allem Informatik-Fachleuten und Wissenschaftlern vorbehalten, so wurde es jetzt aufgrund der leichten Bedienbarkeit und optischen Aufbereitung auch für den Computer-Laien interessant: „Plötzlich konnte man mit der Maus in der Hand durchs Web surfen, statt wie bisher endlose Befehle über die Tastatur einzugeben. Das Datenmeer bestand nicht mehr nur aus lauter Buchstaben und Ziffern, sondern aus grafischen Welten [...].“103 Seit diesem Zeitpunkt war der Aufstieg des Internet nicht mehr aufzuhalten.104 Immer mehr Menschen bekamen Zugang zum Netz und begannen, es nicht nur für berufliche und universitäre Zwecke, sondern auch in ihrer Freizeit zu nutzen. Und auch die Wirtschaft wurde auf das Internet aufmerksam – inzwischen gibt es kaum noch ein Unternehmen ohne eigenen ‘Web-Auftritt’. 3.5 Die jüngste Entwicklung Die jüngste Geschichte des Internet wird durch folgende Ereignisse bestimmt105: 1998 wird die private Organisation Icann (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) gegründet, der die US-Regierung die Kontrolle und Vergabe neuer Domain-Namen überträgt. Ein Jahr später startet an 37 US-Universitäten Internet2 Abilene106, das – hundertmal schneller als das heutige Internet – bisher nur 102 103 104 105 106 Vgl. Runkehl et al. (1998), S. 15. Zehnder (1999), S. 61. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß das World Wide Web oft fälschlicherweise mit dem Internet gleichgesetzt wird. Es handelt sich jedoch nur um einen Teil, eine Anwendung des Internet. Weitere wichtige Anwendungen sind folgende: E-Mail zum Austausch elektronischer Post, FTP (File Transfer Protocol) zum elektronischen Austausch von Dateien, Newsgroups als eine Art elektronisches ‘Schwarzes Brett’ und der Internet Relay Chat als synchrones Kommunikationsforum. Die folgenden Ausführungen basieren im wesentlichen auf Simon (2001), S. 85. Der Projektname ‘Abilene’ geht auf den Eisenbahnknotenpunkt Abilene in Kansas zurück, von wo aus im 19. Jahrhundert die Erschließung des nordamerikanischen Kontinents begann. Die an der zweiten Internet-Generation beteiligten Forscher sehen hier Parallelen: „The links of last century’s 33 in der Spitzenforschung genutzt wird. Wenig später beginnen die Planungen für Internet3, das eines Tages die Datenübertragung zwischen von Menschen besiedelten Planeten übernehmen soll. Im selben Jahr richten zwei über das Internet verbreitete Computer-Viren107 (‘Melissa’ und ‘Explore-Zip’) erstmals millionenschweren Schaden an. Seitdem werden immer wieder mehr oder minder gefährliche Viren über das Internet in Umlauf gebracht, in jüngster Zeit zum Beispiel die Viren ‘I love you’ und ‘Red Code’. Waren 1989 noch weniger als 20 Viren bekannt, zählt man im Jahr 2001 bereits mehr als 50.000.108 Zum Teil werden sie in harmloser und spielerischer Absicht programmiert und versandt, doch stehen inzwischen hinter vielen Viren durchaus bewußt kriminell agierende Urheber. Da die Viren über das Internet sehr schnell weltweit verbreitet werden und die Computernetzwerke ganzer Firmen und Behörden für Stunden oder gar Tage lahmlegen können, wird mittlerweile auf internationaler Ebene an Frühwarnsystemen gearbeitet und die Urheber strafrechtlich verfolgt. Im Oktober 2000 findet die erste Internet-Wahl statt: Per Mausklick können registrierte Internetnutzer über die Direktoren der inzwischen häufig als ‘InternetWeltregierung’ bezeichneten Icann abstimmen. Vorsitzender wird einer der InternetVäter: Vinton C. Cerf.109 Wenig später läßt Icann zum ersten Mal seit 1984 neue Domain-Namen zu (zum Beispiel .aero, .biz, .museum), da die meisten der bisherigen Kürzel inzwischen so ausgeschöpft sind, daß kaum noch neue InternetAdressen möglich sind. 107 108 109 railway changed the way people worked and lived. The Abilene Project will transform the work of researchers and educators into the next millennium“ (http://www.ucaid.edu/ abilene/html/faqgeneral.html; UCAID = University Corporation for Advanced Internet Development, die Dachgesellschaft des Abilene-Projektes). Bei einem Virus handelt es sich um ein mehr oder weniger komplexes Computer-Programm, das via Internet oder ‘verseuchter’ Diskette in andere Programme eingeschleust wird und sich dort selbst vervielfältigt. Die Folgen reichen von harmlosen Darstellungen auf dem Computerbildschirm (z.B. ein kleines Feuerwerk wie beim Virus ‘Millennium’) bis hin zu irreparablen Schäden an einzelnen Dateien oder gar ganzen Festplatten. Schutz bieten sogenannte Antiviren-Programme. Zur Herkunft der Virus-Metapher siehe Abschnitt 4.2. Vgl. Crouzet (2001), S. 190. Als Repräsentant für Europa wird übrigens Andy Müller-Maguhn gewählt, Sprecher des Hamburger Chaos Computer Clubs, der in den 80er Jahren mit spektakulären Hacker-Angriffen auf die Rechenanlagen großer Institutionen wie der NASA Schlagzeilen gemacht hatte. 34 Im Laufe seiner Geschichte hat sich das Internet von einem auf militärische und universitäre Zwecke beschränkten, staatlich kontrollierten Computernetzwerk zu einer Art globalem ‘Volksnetz’ entwickelt, das von immer mehr Menschen in der westlichen Welt genutzt wird. Das Besondere an diesem Netzwerk ist, daß es weiterhin dezentral organisiert ist und weder über eine fixe Struktur noch einen Besitzer oder eine Kontrollinstanz verfügt (abgesehen von Icann, die jedoch nur über die Vergabe von Domain-Namen, nicht über die Inhalte von Webseiten entscheidet110): „Das Netz funktioniert so, wie es funktioniert, nicht weil irgendeine zentrale Regierung es so bestimmt hat, sondern weil die User selbst es entsprechend ihren jeweiligen Bedürfnissen geformt und aufgebaut haben.“111 Es ist aufgrund fehlender Hierarchien und relativ leichter Bedienbarkeit theoretisch jedermann zugänglich (das heißt, jeder kann Informationen im Internet abrufen und verbreiten) – wenn es auch praktisch bislang in erster Linie den Mitgliedern der ‘entwickelten’ westlichen Welt vorbehalten bleibt. Gemäß den Zahlen der Organisation ‘NUA Internet Surveys’, die regelmäßig nationale Internet-Studien vergleicht und auf dieser Basis Statistiken über die Benutzer des Internet erstellt, waren im Mai 2002 weltweit insgesamt 580,78 Millionen Menschen online.112 Die in der vorliegenden Arbeit betrachteten Länder Deutschland und Frankreich verzeichnen einen starken Anstieg der Internetnutzer-Zahlen: Waren Ende 1997 in Deutschland noch 4,4 Millionen Personen im Alter zwischen 14 und 69 Jahren (10% der deutschsprachigen Bevölkerung) regelmäßig online, so stiegen die Zahlen bis Juni 2002 auf 31,92 Millionen (49,8%)113 an. In Frankreich wuchs die Zahl der Nutzer im gleichen Zeitraum von 400.000 (0,9% der französischsprachigen Bevölkerung) auf 110 111 112 113 Es sollte allerdings nicht verschwiegen werden, daß sich die kritischen Stimmen gegenüber Icann mehren. Vor allem die Internet-Pioniere der ersten Stunde befürchten, daß diese Institution langfristig zuviel Macht im Internet ausüben könnte, da sie es ist, die über die Vergabe – oder eben Nicht-Vergabe – von Internet-Adressen entscheidet und durchaus in der Lage ist, Webseiten zu sperren. Die Bezeichnung der „Internet-Weltregierung“ ist somit nicht aus der Luft gegriffen, und die Zukunft wird zeigen, ob sich die Befürchtungen bewahrheiten. Mandel/Van der Leun (1998a), S. 16. Vgl. NUA (2002), http://www.nua.net/surveys/how_many_online/index.html. Vgl. SevenOne Interactive (2002), http://www.SevenOneInteractive.de [regelmäßige Befragungen im Auftrag des deutschen Marktforschungsinstitutes Forsa]. 35 16,97 Millionen (33,4%).114 Es sei an dieser Stelle allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Ermittlung wirklich exakter Zahlen schwierig bis unmöglich ist. Aufgrund der Vielzahl möglicher Untersuchungsmethoden können die Ergebnisse verschiedener Studien mehr oder weniger stark differieren und somit letztendlich wohl nur eine Tendenz wiedergeben. Es kann jedoch mit Sicherheit gesagt werden, daß immer mehr Menschen vom Internet Gebrauch machen und sich die ‘InternetGemeinde’ somit ständig vergrößert. Immer mehr Dinge des täglichen Lebens lassen sich über das Internet erledigen, seien es Bankgeschäfte, Korrespondenz, Bibliotheks-Recherchen, Einkäufe jedweder Art oder das Buchen von Reisen. Es werden psychologische und medizinische OnlineSprechstunden angeboten, Behörden stellen Formulare zum Herunterladen ins Netz, immer mehr Online-Zeitungen erscheinen, und es gibt auch schon virtuelle Seminare und Vorlesungen. In Chatrooms (Online-Diskussionsforen) ‘treffen’ sich Menschen, um miteinander in Echtzeit zu kommunizieren, wobei der Vielfalt der Themen hier keine Grenzen gesetzt sind. Für nahezu jedes Interessengebiet lassen sich inzwischen solche Gesprächsforen finden – die Bandbreite reicht vom ‘alltäglichen Geplauder’ bis zum wissenschaftlichen Diskurs. So hält das Internet in immer mehr Lebensbereiche Einzug, und viele Menschen möchten es nicht mehr missen, erspart es ihnen doch so manchen lästigen Weg. 3.5.1 Das Internet als Kommunikations- und Informationsmedium in Krisenzeiten und Notsituationen: der 11. September 2001 In welchem Maße das Internet bereits genutzt wird, zeigen die Ereignisse des 11. September 2001, als die USA zum Ziel von Terroranschlägen bisher nicht gekannten Ausmaßes wurden: Die Nachricht verbreitete sich innerhalb weniger Minuten nicht nur über die ‘konventionellen’ Medien, sondern auch über das Internet in alle Welt, und schon nach kurzer Zeit waren die Server vieler Online-Zeitungen durch die massenhaften Zugriffe so überlastet, daß sich ihre Webseiten nicht mehr aufrufen ließen. Einige Zeitungen, wie zum Beispiel Die Welt Online, entschieden 114 Vgl. Médiamétrie (2002), http://www.mediametrie.fr/web/resultats/barometre/resultats.php?id=569 und AFA (2002), http://www.afa-france.com/html/chiffres/bas.html [AFA = Association des Fournisseurs d’Accès et de Services Internet]. 36 sich daraufhin zu ‘Notausgaben’ – statt ihres üblichen Online-Angebots mit sämtlichen Tagesereignissen, Archiv- und Suchfunktionen sowie Werbebannern stellten sie eine einzelne Seite ins Netz, auf der sie die jüngsten Ereignisse kurz darstellten. In dieser Situation erwiesen sich die ‘alten’ Medien Rundfunk und vor allem das Fernsehen als die besseren und schnelleren Informationsvermittler, da überlastungsbedingte Ausfälle hier nahezu ausgeschlossen sind und Nachrichten sowie Bildmaterial ohne nennenswerte Verzögerungen übermittelt werden können. Darüber hinaus werden sie von einem Moderator bzw. Kommentator präsentiert. Neben den Webseiten der Online-Zeitungen und Nachrichtendienste ließen sich in den Stunden nach dem Attentat auch viele andere Seiten nur sehr langsam aufrufen. Dazu gehörten vor allem vielgenutzte Suchmaschinen wie google oder yahoo, aber auch die Seiten vieler Anbieter, die SMS-Nachrichten115 versenden, wie web oder freenet. Daneben waren auch viele Chatrooms durch den großen Andrang überlastet – es herrschte offensichtlich ein großes Kommunikationsbedürfnis. In den Stunden und Tagen nach der Katastrophe gewann das Internet eine zusätzliche Bedeutung: Angehörige stellten Suchaufrufe mit Fotos von Vermißten ins Netz, und umgekehrt erschienen immer mehr Meldungen von Vermißten, die ihre Angehörigen beruhigten. Wenige Tage nach den Attentaten hatten sich bereits über 6200 Menschen in eine offizielle „I’m okay-List“116 eingetragen – was eine wirkliche Hilfe für jene Menschen darstellte, die aufgrund der tagelang überlasteten Telefonleitungen ihre Angehörigen nicht erreichen konnten. Diese Ereignisse zeigen, wie sehr die Menschen in der westlichen Welt das Internet bereits ganz selbstverständlich für die unterschiedlichsten Zwecke nutzen: Es dient neben dem Handel vor allem der Kommunikation und Information – und in Notsituationen sogar offensichtlich als wichtiges Hilfsmittel. Tatsache ist allerdings auch, daß die Kapazitäten des Internet heute noch nicht einem millionenfachen gleichzeitigen Zugriff gewachsen sind, da sich weltbewegende Geschehnisse sofort auf die Schnelligkeit des Netzes auswirken. Trotz des immer größer werdenden Einflusses, den der Gebrauch des Internet auf das alltägliche Leben ausübt, erscheint es den meisten Menschen als etwas sehr 115 116 SMS = Short Message Service (Kurzmitteilungen, die entweder von einem Mobiltelefon zum anderen, oder aber per Internet zum Mobiltelefon gesandt werden können). Vgl. http://okay.prodigy.net/ (17.09.2001). 37 Abstraktes, in seiner Struktur nicht Greifbares. Gemäß den in Kapitel 2 herausgearbeiteten kognitiven Funktionen der Metapher ist daher zu vermuten, daß die Sprache, mit der über das Internet gesprochen wird, einen hohen Anteil metaphorischer Ausdrücke aufweist, durch die wir uns das neue Medium erschließen. In den folgenden Kapiteln soll deshalb untersucht werden, welche Metaphern es zur Konzeptualisierung des Internet gibt und welche Auswirkungen sie auf den Umgang mit dem Internet haben. 4. Metaphern in der Fachterminologie: die technische Einordnung des Internet 4.1 Allgemeines zum Gebrauch von Metaphern in Fachsprachen Bereits im vorigen Kapitel fielen im Zusammenhang mit dem Internet eine ganze Reihe metaphorischer Ausdrücke ins Auge. So ist zum Beispiel von „Viren“ die Rede, von Web-„Seiten“, „Knoten“ und Internet-„Adressen“. Bei näherer Betrachtung der von Informatikern, Software-Entwicklern und anderen ComputerExperten geprägten Fachterminologie des Internet stößt man insgesamt auf ein Vokabular, das ganz wesentlich von metaphorischen Ausdrücken bestimmt ist. Und schon lange vor der Verbreitung des Internet wies die Computer-Fachterminologie zahlreiche Metaphern auf.117 „Der Benutzer eines Macintosh Computers etwa hat den Eindruck, er öffne Dateien, wandere durch Dokumente, reorganisiere, redigiere, schreibe Textdateien und werfe die unerwünschten Textteile in einen elektronischen Papierkorb. Der Computer arbeitet jedoch nach einer Logik, die nur wenig mit solchen Benutzervorstellungen gemein hat. Im Computer gibt es keine Dateien, keine Papierkörbe, keine Zeichen des Alphabets, nicht einmal physikalische Objekte, die bewegt würden – es gibt nur komplexe Felder binärer Zustände, die sich angesichts anderer binärer Zustände ändern. Der Erfolg des Macintosh Computers liegt zum einen darin begründet, daß er von seinem Benutzer nicht einmal ein entferntes Verständnis davon verlangt, was in ihm vorgeht, und zum anderen darin, daß er Schnittstellen bietet, die an die vertraute Welt des Benutzers sinnvoll anschließen.“118 117 118 Vgl. hierzu Busch (1998) sowie Weingarten (1989 und 1997). Krippendorff (1994), S. 96, meine Hervorhebungen. Die Ausführungen Krippendorffs sind mittlerweile nicht mehr auf den Macintosh-Computer beschränkt; sie gelten heute ebenso für den PC. 38 Der hohe Anteil metaphorischer Ausdrücke in dieser Fachterminologie ist kein Einzelfall, wie zahlreiche Untersuchungen von Fachsprachen der verschiedensten Gebiete (neben dem Bereich Computer/Informatik zum Beispiel die Bereiche Naturwissenschaften, Technik oder Wirtschaft)119 belegen. Dies gilt sowohl für das Deutsche als auch für die romanischen Sprachen. Bei den genannten Bereichen handelt es sich zumeist um sehr abstrakte und komplexe Wissensgebiete, die zunächst nur einem kleinen Kreis von Experten zugänglich sind. Erst mit Hilfe von sprachlichen Bildern – also Metaphern – aus vertrauten Erfahrungsbereichen werden die Zusammenhänge verständlich gemacht – womit sich die These von der kognitiven Erschließungsfunktion der Metapher bestätigt. Und nicht nur neuere Untersuchungen räumen der Metapher in der Sprache der Wissenschaften und komplexen Fachgebiete eine große Bedeutung ein. Schon 1936 schrieb Ortega y Gasset: „Dos usos de rango diferente tiene en la ciencia la metáfora. Cuando el investigador descubre un fenómeno nuevo, es decir, cuando forma un nuevo concepto, necesita darle un nombre. Como una voz nueva no significaría nada para los demás, tiene que recurrir al repertorio del lenguaje usadero, donde cada voz se encuentra ya adscrita una significación. De esta manera, el término adquiere la nueva significación a través y por medio de la antigua, sin abandonarla. Esto es la metáfora.“120 Welche Metaphern finden sich nun speziell in der von Fachleuten geprägten Sprache des Internet? Aus welchen Erfahrungs- bzw. Ursprungsbereichen stammen sie? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich für das Deutsche und Französische feststellen? In Anlehnung an die onomasiologische Metaphernanalyse von Jäkel121 wird diesen Fragen anhand einiger Beispiele nachgegangen.122 119 120 121 122 Vgl. hierzu zum Beispiel die fachsprachlichen Untersuchungen von Alameda Nieto (1998) [spanische Internet-Terminologie], Biere/Liebert (1997) [Wissenschaft], Busch (1998) [Informatik], Habscheid (1998) [Computer], Jakob (1991) [Technik], Schmitt (1988 und 1993) [französische Wirtschafts- bzw. spanische Computerterminologie], Seewald (1998) [deutsche und romanischsprachige Internet-Terminologie] sowie Weingarten (1989 bzw. 1997) [Technik bzw. Computer]. Ortega y Gasset (1936), S. 123, zitiert nach Alameda Nieto (1998), S. 274f. Vgl. Jäkel (1997), S. 141ff. Die im folgenden genannten Fachtermini basieren im wesentlichen auf den deutsch-französischen Glossaren von Bruns (2001), Cheval/Huber (1998), Reinart (1997), dem französischen InternetHandbuch von Crouzet (2001), der französischen Internet-Einführung von Alberganti/Eudes (2000) sowie den deutschsprachigen Internet-Handbüchern von Kreuzberger (1997) und Zehnder (1999). 39 4.2 Metaphern in der Fachsprache des Internet Im Gegensatz zur Computer-Hardware kann das Internet in seiner Form und Struktur weder optisch noch haptisch erfaßt werden. Folglich erscheint es den meisten Menschen als etwas Abstraktes und schwer Greifbares. „Es erschließt sich den Benutzern lediglich unter Rückgriff auf eine Vielzahl von Metaphern vermittels der am eigenen Computerbildschirm beobachtbaren Funktionen und Wirkungen.“123 Die Metaphern entstammen dabei erfahrungsnahen Ursprungsbereichen, von denen einige im folgenden beispielhaft herausgegriffen werden.124 DAS NETZ Ein zentrales Metaphernkonzept des Internet ist dabei natürlich das NETZ oder das aus dem Englischen entlehnte WEB (frz. LE RÉSEAU / LA TOILE, oder die englischen Entlehnungen LE NET / LE WEB), mit dessen Hilfe wir uns eine Vorstellung von der Beschaffenheit und Form dieses Systems von miteinander verbundenen Computern verschaffen. Innerhalb dieses Netzes gibt es Knoten (frz. nœuds) und als Verbindungen die Links125 (frz. liens). Zwar fallen unter das NETZKonzept somit nur sehr wenige metaphorische Fachausdrücke, jedoch treten diese so häufig auf, daß es durchaus berechtigt ist, von einem für das Internet zentralen Metaphernkonzept zu sprechen. 123 124 125 Seewald (1998), S. 364. Der Bereich des Internet läßt sich nicht immer klar vom „allgemeinen“ Computer- bzw. Informatik-Bereich abgrenzen, so daß es bei einigen der im folgenden genannten Fachtermini zu Überschneidungen kommt. Es wurden jedoch bewußt jene Termini ausgewählt, die hauptsächlich für das Internet verwendet werden bzw. hier von besonderer Bedeutung sind, selbst wenn sie schon vor dessen Verbreitung in der Fachsprache der Informatik existierten. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß das Deutsche in der Fachsprache des Internet einen deutlich größeren Anteil an Anglizismen aufweist als das Französische. Vgl. hierzu Bruns (2001), S. 24 sowie Cheval/Huber (1998), S. 169. 40 TECHNIK / WERKSTATT „Zur Erklärung und Veranschaulichung von neuer Technik werden [...] Metaphern älterer Technik verwendet.“126 Dies läßt sich auch für das Internet feststellen: In der Fachterminologie finden sich eine Reihe metaphorischer Ausdrücke, die sich unter einem Konzept TECHNIK / WERKSTATT zusammenfassen lassen. So gibt es zum Beispiel die Suchmaschine (frz. moteur/outil de recherche oder moteur d’interrogation), die Werkzeugleiste (frz. barre d’outils), die Toolbox (frz. boîte à outils) und den Knopf/Button (frz. bouton), der mit dem Mauspfeil ‘gedrückt’ wird, um eine bestimmte Funktion auszulösen.127 Auch den metaphorischen Fachterminus herunterladen (frz. télécharger) von Seiten bzw. Informationen aus dem Internet könnte man im weitesten Sinne diesem Konzept zuordnen. POSTWESEN / EMPFANGEN UND VERSENDEN VON POST Die Art und Weise der Informationsübertragung im Internet wird durch das Konzept POSTWESEN / EMPFANGEN UND VERSENDEN VON POST metaphorisiert. Dieses Konzept schlägt sich in der Fachsprache zum Beispiel in folgenden metaphorischen Ausdrücken nieder: (dt.) 126 127 128 elektronische Post, (E-) Mail (frz.) courrier électronique, message électronique, mél, e-mail, courriel [québ.]128 Mail versenden / empfangen, mailen envoyer / recevoir un message électronique, poster, câbler (Internet- / Mail-) Adresse adresse Internet / électronique (Daten-) Paket paquet Empfangsbestätigung accusé de réception Adressbuch carnet d’adresses Mailbox / Briefkasten boîte aux lettres Debatin (1997), http://www.uni-leipzig.de/~debatin/German/NetMet.html. Bei der französischen Zeitung L’Humanité stellt man sich unter einem bouton allerdings interessanterweise keinen Knopf im technisch-maschinellen Sinne vor: In ihrer Online-Ausgabe (vgl. http://www.humanite.presse.fr/journal) werden die boutons durch verschiedenfarbige Kleidungs-Knöpfe symbolisiert – was eine interessante Wort-Bild-Spielerei darstellt. Das Französische in Québec weist im Bereich der Internet-Fachsprache zum Teil Abweichungen von der französischen Sprache in Frankreich auf. Diese Québecismen werden im folgenden mit [québ.] markiert. 41 Anhang annexe, fichier attaché, fichier joint Schneckenpost, Snail Mail courrier postal, courrier escargot, l’escargotique Junk Mail, Bulk Mail pollupostage, publipostage sauvage, courrier poubelle Bei vielen Mail-Programmen wird dieses Konzept zusätzlich mit Hilfe von Symbolen visualisiert: So wird zum Beispiel der Button ‘Neue E-Mail’ häufig durch das Symbol einer leeren Seite vor einem beschrifteten und frankierten Briefumschlag ergänzt, der Button ‘Adressen’ durch ein aufgeschlagenes Adressbuch. BÜROORGANISATION / LESEN UND SCHREIBEN Ein weiteres metaphorisches Konzept kann unter dem Begriff BÜROORGANISATION / LESEN UND SCHREIBEN zusammengefaßt werden.129 Schon die Computer-Fachterminologie weist hierzu zahlreiche metaphorische Ausdrücke auf, wie zum Beispiel Schreibtisch/Desktop, Ordner, Datei, Papierkorb (frz. bureau, dossier, fichier, poubelle), die ebenfalls zusätzlich zum sprachlichen Bild mit anklickbaren Symbolen visualisiert werden. In der Fachsprache des Internet werden aus diesem Konzept noch zahlreiche weitere Metaphern aktiviert, wie die folgenden Beispiele zeigen: (dt.) Lesezeichen / Bookmark 129 (frz.) signet, marque-page Web- / Internet-Seite page Web / page Internet Homepage page d’accueil Startseite page de départ / d’ouverture Protokoll protocole Dokument document (électronique) Formular formulaire (électronique) Unterschrift / Signatur signature Zwischen-Ablage presse-papiers [=Briefbeschwerer] Verteilerliste liste de distribution Archiv (site) archive Vgl. Seewald (1998), S. 370. 42 Einen interessanten Unterschied im deutschen und französischen Sprachgebrauch bildet hier die Bezeichnung für den Browser. Im Deutschen wurde auf den englischen Ausdruck zurückgegriffen, und dieser fällt eindeutig unter das Konzept LESEN UND SCHREIBEN (to browse through = blättern130). Im Französischen kennt man zwar auch den feuilleteur, jedoch hat sich in der Fachwelt die Bezeichnung navigateur bzw. logiciel de navigation durchgesetzt, die (wie das Internet-Surfen) einem Konzept WASSER oder FORTBEWEGUNG AUF DEM WASSER zugeordnet werden muß. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, daß der erste auf dem Markt verfügbare Browser (wie in Kapitel 3 erwähnt) „Netscape Navigator“ hieß und diese Bezeichnung von den französischen Computer-Experten ins Französische übernommen wurde. Eine ganz besondere Abweichung findet sich im Französischen Québecs: Hier heißt der Browser butineur [butiner = Honig sammeln (Biene)] und verweist damit auf ein Konzept aus der Tierwelt. Ein anderer frankokanadischer Terminus für den Browser ist der fureteur [fureter = fig. herumschnüffeln, -stöbern, -schmökern], der dann wiederum der wörtlichen Bedeutung des Browsers nahekommt. Allen vier genannten Termini ist jedoch ein gemeinsames Konzept übergeordnet, das man im weitesten Sinne mit SUCHE umschreiben könnte – zum einen die zielgerichtete (butineur, navigateur), zum anderen die eher ziellose Suche (browser, fureteur). 130 Vgl. Oxford Advanced Learner’s Dictionary of Current English (1983), S. 108: „to browse: to read parts of a book or books without any definite plan, for interest or enjoyment“. Es muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß diese Bedeutung im deutschen Sprachgebrauch wohl von den wenigsten Nutzern wahrgenommen wird und die metaphorische Wirkung folglich zumeist verloren geht. Und tatsächlich können sich deutschsprachige Internet-Anfänger häufig zunächst nichts unter dem Browser vorstellen – durch die Homophonie mit dem deutschen Verb „brausen“ kommt es zuweilen sogar zu Ausdrücken wie „schnell durch das Internet browsen“. Zum besseren Verständnis ist deshalb in vielen Internet-Glossaren eine deutsche Übersetzung des englischen Lexems hinzugefügt. Dagegen kann davon ausgegangen werden, daß die wörtliche Bedeutung der meisten anderen genannten englischen Direktentlehnungen der Mehrheit der Nutzer geläufig ist, da es sich bei ihnen um relativ ‘gängige’, sprich allgemein bekannte oder leicht zu übersetzende Lexeme handelt (z.B. Mailbox, Homepage, Firewall) – was auch daran erkennbar ist, daß hier in den Glossaren zumeist auf eine Übersetzung verzichtet wird. Bei diesen Direktentlehnungen geht der metaphorische Effekt nicht verloren, und die (in diesem Fall bereits konventionalisierte) Metapher erfüllt damit tatsächlich die Funktion der sprachlichen Erschließung der Zusammenhänge im Internet. 43 GEFAHREN / BEDROHUNGEN Ein weiteres Beispiel für ein metaphorisches Konzept ist der Bereich GEFAHREN / BEDROHUNGEN, der ebenfalls zu zahlreichen fachsprachlichen Metaphern geführt hat. Insbesondere fällt der bereits genannte metaphorische Ausdruck Virus131 (frz. ebenfalls virus) ins Auge. Ein solcher Virus ist – wie das ‘Original’ aus der Medizin – in der Lage, einen Organismus bzw. ein System (in diesem Fall: Programme oder Dateien) zu infizieren oder gar zu verseuchen (frz. infecter, contaminer, parasiter). Vor ansteckenden Viren (frz. virus virulents) kann man sich mit Hilfe von AntivirenProgrammen (frz. programmes antivirus) schützen und bereits vorhandene Viren entfernen. Zwei bekannte Antiviren-Programme tragen dann auch entsprechende medizinische Namen: „Aspirine“ bzw. „Dr. Solomon“.132 Die Bezeichnungen für Untergruppen des Virus entstammen zwar nicht dem Bereich der Krankheiten, wirken jedoch ähnlich beängstigend: Sie heißen Logische Bombe (frz. bombe logique), Wurm (frz. ver) und Trojanisches Pferd (frz. cheval de Troie), wobei letzteres – ähnlich dem Original Homers – ein scheinbar nützliches Programm ist, das jedoch unbemerkt einen ‘Eindringling’ (in Form einer Programmfunktion) ‘einschleppt’, der sich dann auf der Festplatte ‘einnistet’ und wichtige Nutzerdaten wie Passwörter oder Kreditkartennummern ‘ausspäht’ und über das Internet versendet. Zum selben Konzept GEFAHREN / BEDROHUNGEN gehört auch der metaphorische Fachterminus Flame [Nachricht mit beleidigendem Inhalt in 131 132 Zur Herkunft der Metapher ‘Computer-Virus’ gibt es unterschiedliche Theorien. Sehr häufig findet sich in der Literatur jedoch folgende Entstehungsgeschichte: Die Metapher wurde in den frühen 80er Jahren von Len Adleman, Professor für Informatik an der University of Southern California, geprägt. Er betreute die Dissertation von Fred Cohen über sich selbst reproduzierende Computerprogramme und stellte dabei deren Ähnlichkeit zu biologischen Viren fest: „Adleman pointed out the similarity to a biological virus, which uses the resources of the cell it attacks to reproduce itself, and the term ‘computer virus’ began its journey into everyday English“ (Mullens 1997, http://www.sciam.com/askexpert/computers/computers9.html; Sciam = Scientific American). Vgl. hierzu auch Busch (1998), S. 55f. sowie Lotter (2000), http://www.brandeins.de/ magazin/archiv/2000/ausgabe_05/kolumnen/artikel5_1.html. Im Internet herunterladbar unter http://www.aspirine.altasecu.com bzw. http://www.drsolomon.com. Interessanterweise weicht die Fachsprache beim Entfernen des Virus aus einer Datei jedoch vom medizinischen Konzept ab und bedient sich hier wiederum eines technischen Terminus: Die Datei wird nicht ‘geheilt’, sondern ‘repariert’ (frz. ebenfalls réparer). Beim Antiviren-Programm Norton Antivirus erscheint bei diesem ‘Reparatur’-Vorgang dann auch anstelle eines ‘Arztes’ ein mit Schraubenziehern ausgestatteter ‘Handwerker’ auf dem Bildschirm – nach erfolgreichem Abschluß erhält man allerdings wiederum die Meldung, der Computer sei jetzt gegen den Virus ‘geimpft’. Hier wird also zwischen zwei Konzepten (MEDIZIN und TECHNIK/WERKSTATT) gewechselt. 44 Newsgroups und Chatrooms] (frz. coup de feu, torpille), der sich zu einem wahren Flame War bzw. Flame Krieg (frz. fusillade, bataille, guerre d’insultes) ausweiten kann. Das Feuer als Bedrohung schlägt sich auch bei der Bezeichnung einer Schutzmaßnahme metaphorisch nieder: Interne Netze von Firmen werden durch eine Firewall (frz. pare-feu, coupe-feu) vor eindringenden Hackern aus dem Internet geschützt. SOZIALE INTERAKTION / SPRACHLICHE KOMMUNIKATION Im Internet kommen Menschen zusammen, die miteinander kommunizieren und anderweitig interagieren. Auch dieser Umstand hat zu einer Reihe metaphorischer Fachtermini geführt, die man unter dem Konzept SOZIALE INTERAKTION / SPRACHLICHE KOMMUNIKATION zusammenfassen kann.133 Beispiele für metaphorische Fachausdrücke aus diesem Konzept sind folgende: (dt.) Newsgroup (frz.) forum / groupe de discussion Server serveur Client client [einzelner Rechner, der auf den Server zugreift, also als eine Art „Kunde“ von diesem bedient wird] Sprache (zum Beispiel HTML) langage (HTML) Begrüßungsseite page d’accueil / de bienvenue Chat; Chatroom bavardage, causette, chat; bavardoir, salon Netikette, Netiquette nétiquette, netiquette, Net’iquette [Verhaltensregeln für den Umgang im Internet; eine Art „Knigge“] RAUM / BAUWERK Das Internet wird häufig als Raum gedeutet, in dem man sich analog zum physikalischen Raum bewegen kann, was sich schon an alltagssprachlichen Ausdrücken wie im Internet sein, auf eine Seite gehen, vor/zurück gehen/springen 133 Vgl. Seewald (1998), S. 371. 45 bzw. nach oben/unten gehen (französische Beispiele: se promener/se balader sur Internet, sauter de page en page, parcourir une page, revenir en arrière, aller en avant, remonter)134 erkennen läßt. Doch auch die Fachsprache weist zu einem Konzept RAUM / BAUWERK eine Reihe metaphorischer Ausdrücke auf, wie die folgenden Beispiele zeigen:135 (dt.) Portal Gateway (frz.) portail passerelle, porte [Verbindung zwischen 2 Netzen] Chatroom bavardoir, salon Pfad chemin d’accès, chemin Kanal, Channel canal Plattform plateforme Rollbalken, Bildlaufleiste barre de déplacement / de défilement, ascenseur (horizontal, vertical) Firewall pare-feu, coupe-feu, barrière de sécurité, garde-barrière, guérite, écluse [Server zum Schutz des Intranet eines Unternehmens gegen eindringende Hacker aus dem Internet] Fenster / Fenster öffnen fenêtre / ouvrir une fenêtre Passwort mot de passe Zugangsberechtigung droit d’accès umleiten rediriger 4.2.1 Die Entstehung der Metapher ‘Internet-Surfen’ Die Metapher des Internet-Surfens bildet in der Fachsprache des Internet einen Sonderfall. Zwar handelt es sich um einen Ausdruck, der Eingang in die Fachterminologie gefunden hat, jedoch wurde er im Gegensatz zu den bereits genannten nicht von Informatikern oder sonstigen Computer-Experten geprägt. Es war die New Yorker Bibliothekarin Jean Armour Polly, die 1992 den Begriff einführte, als sie für die Fachzeitschrift Wilson Library Bulletin einen speziell für 134 135 Eine interessante Studie, wie sich englischsprachige Nutzer das Internet als Raum vorstellen und entsprechende sprachlich-metaphorische Ausdrücke verwenden, legen Maglio/Matlock (1998) vor. Vgl. insbesondere die Abschnitte „HOW PEOPLE TALK ABOUT THE WEB“ (ebd., S. 138f.) sowie „STUDY: LANGUAGE USE UPON THE WEB“ (ebd., S. 140ff.). Das vorliegende Kapitel beschränkt sich auf fachsprachliche Ausdrücke. Die von den ComputerLaien geprägten Metaphern zum RAUM-Konzept werden in den Kapiteln 5 und 6 ausführlich behandelt. 46 Anfänger konzipierten Artikel zur Internetbenutzung schrieb. Zu jener Zeit gab es noch kaum Literatur zum Internet; Einführungen für Anfänger fehlten fast völlig. Da Pollys Aufsatz „Surfing the Internet“136 kurz und überblicksartig gehalten war, verbreitete er sich sehr schnell über das Internet und wurde in viele Sprachen übersetzt, so daß der Begriff Internet-Surfen nahezu weltweit in viele Sprachen einging.137 Wie kam Jean Polly selbst auf diese Metapher? Auf ihrer Homepage schreibt sie: „In casting about for a title for the article, I weighed many possible metaphors. I wanted something that expressed the fun I had using the Internet, as well as hit on the skill, and yes, endurance necessary to use well. I also needed something that would evoke a sense of randomness, chaos, and even danger. I wanted something fishy, net-like, nautical.“138 Laut Polly sprachen zu jener Zeit noch viele Menschen im Zusammenhang mit dem Internet vom ‘Graben’ oder ‘Fischen’, doch drückte dies für sie nicht den „fun“ aus, den sie selbst bei der Benutzung des Internet empfand. Sie suchte nach einem adäquaten sprachlichen Bild, das sowohl Spaß als auch Ausdauer, Können und eine gewisse Gefahr transportierte. Bei ihren Überlegungen fiel ihr Blick auf das von ihr benutzte Mousepad, das einen Surfer auf einer riesigen Welle darstellte139 – für Polly bildeten die Eigenschaften dieser Sportart ein exaktes Äquivalent zu ihren Erfahrungen bei der Internet-Nutzung. „Also Surfen: Inbegriff der Freiheit, der Gefahr und der Fähigkeit, die Kontrolle zu behalten. Polly sah das Internet als Ozean ‘mit all seinen Irrwegen und all seinen Schätzen’.“140 Mit ihrem Aufsatz verbreitete sich diese Metapher sehr schnell weltweit und ging auf diese Weise nicht nur in den allgemeinen Sprachgebrauch, sondern auch in die Internet-Fachterminologie vieler Sprachen ein – und die Internet Society weist in ihrer Zeitleiste zur Geschichte des Internet Jean Polly als offizielle Urheberin des Begriffes Internet-Surfen aus.141 136 137 138 139 140 141 Vgl. Polly (1994), http://www.netmom.com/about/surfing.shtml. Vgl. Volkery (1999), http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,43453,00.html. Polly (1994), http://www.netmom.com/about/birth.shtml. Auch dieses Mousepad ist auf der Homepage von Jean Polly zu sehen (vgl. ebd.). Volkery (1999), http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,43453,00.html. Vgl. ISOC (2001), http://www.isoc.org/internet/history. Ganz unumstritten ist dieses ‘Urheberrecht’ allerdings nicht. So weist zum Beispiel McKeown darauf hin, daß Polly als offizielle Begründerin der Metapher Internet-Surfen gilt, „though surfing analogies had been applied to various aspects of computing and information technology prior to this“ (McKeown 2001, 47 Daß diese Metapher jedoch zunächst nicht von allen Menschen akzeptiert wurde, beweist die Gründung einer Newsgroup mit dem Namen „A Pox Upon Jean Polly“ durch ‘echte’ Surfer, also Wassersportler. Sie wünschten Polly in dieser Newsgroup „die Pocken oder gar Schlimmeres“142, weil ihr Hobby ihrer Meinung nach mit „dem vermeintlich stumpfen Starren auf den Bildschirm gleichgesetzt wurde.“143 Mittlerweile sind diese Stimmen jedoch verstummt. Die Metapher des Surfens hat sich allgemein durchgesetzt und ist einer der wenigen Fachtermini, die von einem Computer-Laien geprägt und in die Fachsprache aufgenommen wurden. Heute ist das Internet-Surfen sowohl im fachlichen als auch im allgemeinen Sprachgebrauch eine konventionalisierte Metapher. Diese Entstehungsgeschichte ist darüber hinaus ein gutes Beispiel für die Funktion des highlighting and hiding bzw. des Fokussierungseffektes von Metaphern: Polly suchte explizit nach einem metaphorischen Ausdruck, der die für sie selbst wichtigen Charakteristika des Internet – Spaß, Ausdauer, Können, Gefahr – hervorhob. Die bis dahin vielfach benutzten Metaphern des ‘Grabens’ oder ‘Fischens’ fokussierten ihrer Meinung nach offensichtlich nicht auf die wirklich wesentlichen Aspekte, so daß eine neue, ‘passendere’ Metapher geprägt werden mußte. Die Tatsache, daß diese von den ‘echten’ Surfern zunächst vehement abgelehnt wurde, weist einmal mehr auf den großen Stellenwert von Metaphern hin: Die Surfer erkannten in dem neuen Medium zu jener Zeit offensichtlich nur negative Seiten – für sie wiesen source und target domain demnach keinerlei Ähnlichkeiten auf. Sie sahen ihren Sport allein durch die Metapher verunglimpft. Mit der zunehmenden Verbreitung des Internet schwanden die Vorbehalte gegenüber diesem Medium – und die Surf-Metapher wurde schließlich auch von den echten Surfern akzeptiert. Metaphern üben also tatsächlich einen großen Einfluß auf die menschliche Wahrnehmung aus und können somit durchaus wirklichkeitsstrukturierend wirken. 142 143 http://mypage.uniserve.ca/~ttrevor/cyber/cyberetymology.html). Dennoch führt auch McKeown sie in seiner Cyberetymology unter dem Eintrag „Surfing“ als Urheberin auf (vgl. ebd.). Volkery (1999), http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,43453,00.html. Ebd. 48 4.3 Schlußfolgerungen Wie im vorliegenden Kapitel gezeigt wurde, weist die von Computer-Experten geprägte Fachterminologie des Internet sowohl im Deutschen als auch im Französischen einen hohen Anteil metaphorischer Ausdrücke auf. Diese stammen in der Regel aus Erfahrungsbereichen, die dem Nutzer sehr viel vertrauter und ‘lebensnäher’ sind als das komplexe und in seiner Form und Funktionsweise nicht greifbare Internet. Die Ursprungsbereiche sind dabei in beiden Sprachen bis auf wenige Ausnahmen (z.B. „Browser“ vs. „navigateur/butineur/fureteur“) nahezu identisch. Es werden nur zu einem relativ geringen Teil unterschiedliche Metaphern aus demselben Konzept aktiviert (zum Beispiel „Zwischen-Ablage“ vs. „pressepapiers“ aus dem gemeinsamen Konzept BÜROORGANISATION); zum größten Teil handelt es sich um direkte Entsprechungen – was vor allem darauf zurückzuführen ist, daß die meisten Internet-Termini aus dem Englischen stammen und als direkte Übersetzungen Eingang in die Terminologie anderer Sprachen fanden (bzw. noch immer finden). Metaphorische Fachtermini tragen ganz wesentlich dazu bei, die Zusammenhänge und Strukturen des Internet sprachlich zu verdeutlichen und auf diese Weise kognitiv verfügbar zu machen. Damit erfüllen Metaphern insbesondere in komplexen Wissensgebieten ihre vielleicht wichtigste Funktion der kognitiven Erschließung abstrakter Bereiche durch den sprachlichen Rückgriff auf erfahrungsnahe Ursprungsdomänen. „Voraussetzung für die Bildung von Metaphern gerade in den Fachsprachen ist, daß sich die Wissenschaft als Erkennungsprozeß versteht und mit Hilfe der Analogie neu erkannte Vorgänge verdeutlicht.“144 Nachdem die Bedeutung metaphorischer Ausdrücke in der Fachterminologie des Internet dargestellt wurde, sollen nun im folgenden Kapitel jene Metaphern untersucht werden, die der Computer-Laie für das Internet prägt. Es ist zu vermuten, daß es hier zu gänzlich anderen Metaphern kommt, die weniger auf die Technologie als vielmehr auf die sozialen und kulturellen Aspekte des neuen Mediums fokussieren und somit möglicherweise andere Vorstellungen transportieren als die fachsprachlichen Metaphern. 49 5. Die Metaphorisierung des Internet: soziale und kulturelle Aspekte Der Begriff „Internet“ bezeichnet zunächst nur die Technologie, das Computernetzwerk als solches, mit dem Daten zwischen den miteinander verbundenen Computern übertragen werden können. Es ist eine Bezeichnung, die aus der Fachwelt der Internet-Entwickler stammt. Technik besteht immer nur in Wechselwirkung mit den jeweiligen Nutzern, und so ist es ganz natürlich, daß mit der zunehmenden Verbreitung des Internet in der Welt des ‘normalen’ Anwenders mit begrenztem Computer-Fachwissen neue Begrifflichkeiten entstehen, die von der Expertensprache stark abweichen. An das Internet „knüpfen sich [...] vielfältige soziale Phantasien“145, so daß sich zu seiner Beschreibung die Verwendung sprachlicher Bilder geradezu anbietet. Wie in Kapitel 2 dargestellt, bedient man sich bei der Erschließung neuer und komplexer Sachverhalte einer Vielzahl von Metaphern, die das abstrakte Neue (in der Terminologie von Lakoff/Johnson also die target domain) in den Begrifflichkeiten des Altbekannten (der source domain) erfahrbar und somit verständlich machen. Es ist also zu erwarten, daß auch im Zusammenhang mit dem Internet zahlreiche Metaphern auftreten. Im folgenden soll das Internet – bzw. die Sprache, mit der über dieses neue Medium gesprochen wird – auf Metaphern hin untersucht werden. Beim Verständnis der technischen Zusammenhänge helfen, wie in Kapitel 4 dargestellt, metaphorische Fachtermini. Soziale und kulturelle Aspekte finden sich jedoch in ganz anderen Metaphern wieder; und so soll es hier im Unterschied zum vorangegangenen Kapitel um jene Metaphern gehen, die von den ‘Laien’ geprägt werden, also von Menschen, die sich nicht professionell mit der Technologie des Internet auseinandersetzen und es nur in seiner Eigenschaft als Medium sehen. Zu diesem Zweck soll zunächst die Entstehungsgeschichte dreier zentraler ‘InternetMetaphern’ näher betrachtet und die mit ihnen verknüpften Assoziationen und Konnotationen herausgearbeitet werden. Im Anschluß daran soll eine Analyse von 144 145 Schmitt (1988), S. 115. Neverla (1998), S. 18. 50 deutschen und französischen Zeitungsartikeln Aufschluß darüber geben, in welchen Kontexten diese Metaphern verwendet werden. 5.1 Zur Herkunft der zentralen Internet-Metaphern ‘Cyberspace’, ‘Datenautobahn’ und ‘globales Dorf’ Sowohl im Deutschen als auch im Französischen gibt es zentrale Metaphern, mit denen über das Internet gesprochen und geschrieben wird. So dürften wohl jedem, der sich mit diesem Medium beschäftigt, die Metaphern Cyberspace, Datenautobahn, oder globales Dorf (frz. cyberespace, autoroute de l’information, village global) vertraut sein. Gerade jene Metaphern, die sehr häufig im Zusammenhang mit dem Internet gebraucht werden, haben oftmals eine interessante Entstehungsgeschichte; zum Teil wurden sie sogar bewußt lanciert. Im folgenden werden daher diese drei häufig vorkommenden Metaphern hinsichtlich ihrer Herkunft und der mit ihnen verknüpften Assoziationen und Konnotationen näher beleuchtet. 5.1.1 Die Metapher ‘Cyberspace’ Die Metapher Cyberspace (im Französischen cyberespace) stammt aus der ScienceFiction-Literatur. Sie wurde Anfang der 80er Jahre von dem US-amerikanischen Autor William Gibson geprägt. Populär wurde sie mit seinem 1984 erschienenen Roman Neuromancer. Der Cyberspace ist hier ein computergenerierter Raum hinter dem Bildschirm, in den sich die Romanfiguren (mittels Elektroden und Implantaten in ihrem Gehirn) begeben. Das Eintauchen in den Cyberspace hat für die Figuren eine bewußtseinserweiternde, jedoch zugleich zerstörerische Wirkung (ähnlich einer Droge), weshalb hier mit diesem Begriff düstere Zukunftsvisionen verbunden werden.146 In einer folgendermaßen: 146 Vgl. Bühl (1996), S. 19f. Schlüsselstelle beschreibt Gibson den Cyberspace 51 „Cyberspace. Eine Konsens-Halluzination, tagtäglich erlebt von Milliarden zugriffsberechtigter Nutzer in allen Ländern, von Kindern, denen man mathematische Begriffe erklärt... Eine grafische Wiedergabe von Daten aus den Banken sämtlicher Computer im menschlichen System. Unvorstellbare Komplexität. Lichtzeilen im NichtRaum des Verstands, Datencluster und -konstellationen. Wie die zurückweichenden Lichter einer Stadt... [...] Wie ein Origamitrick in flüssigem Neon entfaltete sich seine distanzlose Heimat, sein Land, ein transparentes Schachbrett in 3-D, das sich in die Unendlichkeit dehnte.“147 Der Begriff „Cyberspace“ ist ein von Gibson geprägter Neologismus. Die erste Komponente „cyber“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet dort soviel wie „navigieren, steuern“ (kybernetike = griech. Steuermannskunst148). Die zweite Komponente „space“ (engl. Raum) leitet sich vom lateinischen „spatium“ (Raum, Weite) ab.149 Es wird mit dieser Metapher also ausdrücklich der Raum in den Vordergrund gestellt, und zwar nicht der geschlossene Raum (der im Englischen mit „room“ übersetzt würde), sondern ein grenzenloser Raum ähnlich dem Weltall. Ein wesentliches Charakteristikum dieser Metapher liegt folglich in der Unendlichkeit, Grenzenlosigkeit und im Unbekannten. Bollmann weist darauf hin, daß es nicht Gibson selbst, sondern der USamerikanische Autor und Bürgerrechtler John Perry Barlow war, der den CyberspaceBegriff aus dem Bereich der Science Fiction herauslöste und mit dem Internet in Verbindung brachte: „Barlow beharrte darauf, daß Cyberspace als eine qualitativ neue Welt betrachtet werden sollte, als eine ‘Grenze’. Laut Barlow konnte die Welt der elektronischen Kommunikation, wie sie nun durch den Computer-Bildschirm einsehbar wurde, sinnvollerweise nicht länger als ein Wirrwarr von Hightech-Kabeln betrachtet werden. Statt dessen war sie zu einem Ort, einem Platz, einem ‘Technotop’ geworden, der nach einer Reihe neuer Metaphern, neuer Regeln und Verhaltensmuster verlangte. Der Ausdruck, wie ihn Barlow gebrauchte, traf den richtigen Ton, und sein Begriff von ‘Cyberspace’ wurde von Time, Scientific American, Datenschützern, Hackern und selbst bestallten Wissenschaftlern aufgegriffen. Mittlerweile ist ‘Cyberspace’ wohl zu einer dauerhaften sprachlichen Bildung geworden.“150 Die Tatsache, daß diese Metapher inzwischen allgemein mit dem Internet in Zusammenhang gebracht wird, läßt darauf schließen, daß es hier offensichtlich wirklich die Vorstellung eines Raumes ‘hinter dem Bildschirm’ gibt. Dabei handelt es sich, wie der Wortteil „space“ bereits ausdrückt, um einen grenzenlosen, nahezu unendlichen und unbekannten Raum, den es – ähnlich dem Weltraum – zu erforschen 147 148 149 Gibson (1996), S. 73ff. Auf dem griechischen „kybernetike“ basiert auch die Kybernetik (engl. cybernetics), die Wissenschaft von den Steuerungs- und Regelungsvorgängen verschiedener Systeme natürlicher und künstlicher Art. Vgl. Bühl (1996), S. 19. Vgl. ebd. 52 gilt. Die Assoziation mit dem Weltraum läßt sich auch aus weiteren Begrifflichkeiten ersehen: In Anlehnung an die Raumfahrt werden Internet-Nutzer häufig als „Cybernauten“ (im Französischen „internautes“ – seltener „cybernautes“) bezeichnet. Kleinsteuber sieht darüber hinaus Parallelen zu einer amerikanischen Erfahrung, die zeitlich sehr viel früher liegt als die Erforschung des Weltraums. Er bringt die ‘Eroberung’ des Cyberspace in Verbindung mit der Besiedelung Nordamerikas: „Mit Cyberspace wird zudem an uralte amerikanische Erfahrungen angeknüpft. Der nordamerikanische Kontinent wurde lange Zeit als grenzenloser und damit offener Raum interpretiert, in dem das Individuum auf sich gestellt und ohne reglementierende Staatsmacht überleben konnte und mußte. Diese als glorreich verklärte Zeit bietet z.B. den Hintergrund für die amerikanische Metaphern-Welt des Western-Films.“151 Wie einst der nordamerikanische Kontinent ein unbekanntes Gebiet war, in dem es für die Pioniere weder Grenzen noch Gesetze gab und somit die Freiheit und der Überlebenswille des Einzelnen zählten, so wird mit der Metapher Cyberspace das Internet als unbekannter, weitläufiger und nicht reglementierter Raum wahrgenommen, den sich der Nutzer erobern muß.152 Und schon sehr viel früher segelten Seefahrer wie Christoph Kolumbus unbekannten Zielen entgegen und entdeckten auf diese Weise neue Gebiete, die sie für sich (bzw. die jeweilige Krone) in Besitz nahmen. Der Wortteil „cyber“ lehnt sich damit nicht zufällig an die Seefahrt als ‘Steuermannskunst’ an. Und auch die Metapher Netzpirat153 (frz. pirate du Net oder pirate de l’Internet) bringt den Cyberspace mit den in den Weiten des Meeres lauernden Gefahren in Verbindung. So unterschiedlich die beschriebenen Missionen auch sein mögen, sie haben eines gemeinsam: Die Erschließung bzw. Eroberung neuer Räume ist nur mit Hilfe der jeweils modernsten Technik möglich. Seefahrer waren (und sind bis heute) auf Navigationsinstrumente angewiesen; für die Erschließung des nordamerikanischen Kontinents war die Eisenbahn von großer Bedeutung; und ohne modernste Raumfahrttechnik wäre die Erkundung des Weltraums unmöglich. Es überrascht 150 151 152 Bollmann (1998b), S. 164. Kleinsteuber (1996b), S. 32, Hervorhebung im Original. Daß auch William Gibson bei seiner Wortschöpfung den Cyberspace mit diesem ‘Wilden Westen’ assoziierte, zeigt die Bezeichnung, die er seinen Protagonisten gab: Sie nennen sich „Consolencowboys“. 53 daher nicht, wenn sich die in Verbindung mit dem Cyberspace verwendeten Begrifflichkeiten an jene Erfahrungen aus der älteren wie jüngsten Geschichte anlehnen und diese somit im Sinne von Lakoff/Johnson als source domain für die target domain Internet dienen. Was dem Seefahrer das Schiff, dem Pionier die Eisenbahn und dem Kosmonauten die Raumfähre, ist dem Internet-Nutzer der Browser: ein ‘Vehikel’, mit dem man sich einen unbekannten Raum erschließt. Bezeichnenderweise tragen die beiden bekanntesten Browser entsprechende Namen: Netscape Navigator bzw. Internet Explorer154. Der Projektname Abilene für die zweite Internet-Generation weist ebenfalls auf diese Parallele hin, geht er doch auf den Eisenbahnknotenpunkt Abilene in Kansas zurück, von wo aus im 19. Jahrhundert die Erschließung des nordamerikanischen Kontinents begann.155 Insgesamt wird mit dem Internet als Cyberspace also offensichtlich ein gewisser Pioniergeist assoziiert – was sich zum Beispiel auch in den Metaphern Netzpionier bzw. Internetpionier niederschlägt (frz. pionnier de l’Internet). Die Metapher des Cyberspace ist damit eng an die Begriffe von Freiheit und Unabhängigkeit geknüpft. Hier findet der amerikanische Traum seine Fortsetzung: Ein noch nicht erschlossener und unbesiedelter Raum hat natürlicherweise weder einen Besitzer noch eine Kontrollinstanz und unterliegt somit keinerlei Reglementierungen. Dies bedeutet jedoch gleichzeitig, daß jeder auf sich gestellt und damit auch unberechenbaren Gefahren ausgesetzt ist. „Diese Herrschaftslosigkeit [...] [findet] ihre politische Parallele in der Anarchie“156 – und tatsächlich wird die Cyberspace-Metapher vor allem von jener Gruppe von Hackern und anderen Netzpionieren der ersten Stunde (gern auch „Cyberpunk“-Bewegung genannt) befürwortet, die sich einst mit dem Aufbau von unabhängigen Bürgernetzen gegen das staatlich geförderte ARPANET stellten und somit eine Art rechtsfreien Raum schufen. Sie wenden sich bis heute gegen die zunehmende ‘Besetzung’ des Internet durch Wirtschaft und Politik, und vor allem auch gegen die reglementierende Funktion der ‘Internet-Weltregierung’ Icann. 153 154 155 156 Mit dieser Bezeichnung ist jemand gemeint, der sich unter Umgehung der anfallenden Gebühren kostenpflichtige Angebote aus dem Internet lädt (z.B. Musik, Spiele, Programme) – sprich: stiehlt – und sie weiterverbreitet. Zusätzlich zum sprachlichen Bild bewegt sich bei beiden Browsern während des Suchvorganges ein passendes bildliches Symbol über den Monitor: In früheren Versionen des Netscape Navigators war dies ein historisches Schiffssteuerrad, in neueren Versionen dann ein Leuchtturm. Beim Internet Explorer dreht sich während des Suchvorganges eine Weltkugel. Vgl. Abschnitt 3.5 der vorliegenden Arbeit, Fußnote 106. Kleinsteuber (1996b), S. 33. 54 Neben den positiven Assoziationen von Freiheit und Unabhängigkeit schwingen bei der Cyberspace-Metapher auch negative Merkmale mit. Mit dem Cyberspace eng verbunden ist der Begriff der Virtuellen Realität157 (frz. realité virtuelle), der in den 80er Jahren von dem amerikanischen Computerwissenschaftler Jaron Lanier geprägt wurde. Er entwickelte Datenhandschuhe und -brillen, mit denen es möglich ist, in computersimulierte Welten einzutauchen und sich darin scheinbar zu bewegen, da jede reale Hand- und Kopfbewegung im virtuellen Raum umgesetzt wird.158 „Virtuell“ bedeutet laut Duden „der Kraft oder Möglichkeit nach vorhanden, scheinbar“159, weist also auf etwas letztlich nicht real Vorhandenes hin; und so ist der Begriff der Virtuellen Realität semantisch ein Widerspruch in sich. Genau darin sehen viele Netzkritiker die Gefahr: Sie befürchten, daß das Internet eines Tages für viele Menschen die Wirklichkeit ersetzen und zur Realitätsflucht in den nur virtuell existierenden Raum Cyberspace führen könnte.160 Bühl hält daher die Metaphern Cyberspace und Virtuelle Realität aus zweierlei Gründen für geeignet: „Zum einen die Tatsache, daß etwas wirklich da ist, das wir erkunden können, weil es auf unsere Sinne wirkt und durch unsere Handlungen verändert werden kann, und zum anderen die Feststellung, daß ein Teil dieser Wirkungen auf einer Täuschung oder einer idealisierten Annahme beruht. [...] Die Metaphern vom Cyberspace und der virtuellen Welt [erfassen] damit ein wesentliches Phänomen des Prozesses: die Virtualisierung gesellschaftlicher Verhältnisse, die Dopplung der Realität [...] sowie die sich aus der Dopplungsstruktur ergebenden sozialen, kulturellen und subjektbezogenen Konsequenzen. [...] [So erfaßt] die Cyberspace-Metapher gerade auch die Gefahren der technologischen Entwicklung.“161 Nach Betrachtung der beim Cyberspace mitschwingenden Assoziationen ist zu vermuten, daß diese Metapher vor allem in jenen Kontexten auftritt, in denen es um die individuelle Freiheit und unbegrenzten Möglichkeiten des Internet-Nutzers geht: Jeder kann das Internet für seine Zwecke nutzen, sich jegliche Information beschaffen bzw. eigene verbreiten, jeder kann mit jedem überall auf der Welt kommunizieren. Auf der anderen Seite könnte die Metapher verstärkt dort auftauchen, wo von den Gefahren, die von dem neuen Medium ausgehen, die Rede ist – und zwar nicht nur den Gefahren der Realitätsflucht, sondern auch jenen, die in 157 158 159 160 161 Virtual Reality, häufig mit VR abgekürzt. Vgl. zum Beispiel Bollmann (1998b), S. 165. Vgl. Duden (2000), S. 1043. Tatsächlich wird heute immer häufiger über Fälle von Internet-Sucht berichtet, und Mediziner und Psychologen warnen bereits vor den Folgen der zunehmenden Verbreitung dieses Krankheitsbildes. Bühl (1996), S. 21. 55 der Freiheit selbst liegen: Grenzenlose Freiheit bedeutet schließlich auch die Freiheit, ungehindert gefährliche oder kriminelle Informationen und Inhalte verbreiten bzw. abrufen zu können (Kinderpornographie, Vernetzung terroristischer Gruppierungen, Neonazi-Propaganda etc.). Als Raum- und Bewegungsmetapher müßte sie darüber hinaus vor allem in jenen Zusammenhängen erscheinen, in denen das Internet als ‘neue Welt’, als ‘Raum hinter dem Bildschirm’ wahrgenommen wird, in dem man sich analog zum realen Raum bewegen kann.162 Ferner könnte sie dort auftreten, wo von Konflikten zwischen Hackern und den reglementierungswilligen Institutionen die Rede ist. Es ist also zu erwarten, daß die Cyberspace-Metapher sowohl in Verbindung mit positiv-schwärmerischen als auch düsteren Zukunftsvisionen gebraucht wird. Die Korpusanalyse in Kapitel 6 soll Aufschluß darüber geben, ob diese Vermutungen zutreffen. 5.1.2 Die Metapher ‘Datenautobahn’ Die Metapher Datenautobahn (frz. autoroute de l’information) stammt im Gegensatz zum Cyberspace nicht aus der Science Fiction, sondern aus der Politik. Es war der damalige US-amerikanische Vizepräsident Al Gore, der im September 1993 in einer Regierungserklärung vor dem nationalen Presseclub den Ausbau einer nationalen Informations-Infrastruktur (‘National Information Infrastructure NII’) ankündigte, die eine Vernetzung aller Universitäten, Schulen, Krankenhäuser und Bibliotheken der USA zwecks Förderung wirtschaftlicher und sozialer Interessen vorsah. In diesem Zusammenhang sprach Gore von ‘information highways’163: 162 163 Daß das Internet tatsächlich häufig als Raum wahrgenommen wird, beweist die relativ neue Disziplin der Cybergeographie, die sich damit beschäftigt, die ‘virtuelle Welt’ mittels ‘Landkarten’ zu visualisieren. So sammelt zum Beispiel der britische Wissenschaftler Martin Dodge Pläne der Internet-Provider, Karten der großen Telekommunikationsfirmen sowie wissenschaftliche Untersuchungen und faßt die darin enthaltenen Informationen (wie Netzknoten, Rechenzentren, Datenleitungen, Anzahl der Internet-Nutzer etc.) zu ‘Cyberlandkarten’ zusammen. Auf diese Weise entstand ein ‘Atlas’ des Cyberspace, der regelmäßig aktualisiert wird. Vgl. Dodge (2001), http://www.cybergeography.org. Bühl weist darauf hin, daß Al Gore mit der Highway-Metapher auch versucht, „an den Mythos seines Vaters, des Highway-Gores, des allseits geachteten Schöpfers eines Schnellstraßennetzes, anzuknüpfen.“ (Bühl 1996, S. 14). Gores Vater hatte 1956 mit dem ‘Federal Aid Highway Act’ den Ausbau des US-amerikanischen Interstate-Highway-Netzes vorangetrieben. 56 „One helpful way is to think of the National Information Infrastructure as a network of highways much like the Interstates begun in the ‘50-s. These are highways carrying information rather than people or goods. And I’m not talking about just one eight-lane turnpike. I mean a collection of Interstates and feeder roads made up of different materials in the same way that roads can be concrete or macadam – or gravel. Some highways will be made up of fiber optics.“164 In den deutschen Medien tauchte diese Metapher erstmals Anfang 1994 auf165, allerdings wurde hier aus dem information highway eine Datenautobahn. Wer der deutsche Urheber dieser Metapher war, ist unklar. Vielfach wird hier auf den sogenannten ‘Bangemann-Report’166 verwiesen, den Bericht einer Europäischen Kommission unter Vorsitz von Martin Bangemann, der sich an die Gore-Initiative anlehnt und für Europa die Schaffung eines modernen transeuropäischen Netzes von Hochschulen, Forschungszentren und sozialen Einrichtungen als Basis für die Entwicklung der Informationsgesellschaft empfiehlt und Vorschläge zu kommerziellen Bereichen wie Home-Shopping oder Telebanking unterbreitet. Canzler et al.167 können jedoch belegen, daß bereits vor Erscheinen des BangemannReports in etlichen Presseberichten und Werbeanzeigen die Metapher der Datenautobahn auftauchte. Im Französischen wurde der ‘information highway’ direkt mit autoroute de l’information übersetzt. Auch hier ist unklar, von wem die Metapher erstmals verwendet wurde, und vielfach wird auch hier auf einen offiziellen politischen Bericht verwiesen. So soll es der ‘Rapport Théry’ von Gérard Théry an den französischen Premierminister gewesen sein, in dem 1994 erstmals von ‘autoroutes de l’information’ die Rede war.168 Bei allen Zweifeln an der deutschen bzw. französischen ‘Urheberschaft’ scheint jedoch eines klar zu sein: Die Datenautobahn-Metapher hat einen politischen Hintergrund. Sie wurde in den USA von einem Politiker lanciert und in Europa ebenfalls von der Politik aufgenommen und verwendet. Damit dürfte sie schon allein 164 165 166 167 168 Microsoft Encarta Enzyklopädie, Eintrag „Datenautobahn“, http://www.encarta.msn.de/find. Vgl. Canzler et al. (1995), http://duplox.wz-berlin.de/texte/caheho/, Abschnitt 3.1. Vgl. Bangemann (1994). Dieser vielbeachtete Bericht des FDP-Politikers und damaligen EUKommissars veranlaßte u.a. die Abschaffung der nationalen Telekommunikations-Monopole innerhalb der EU und damit die Öffnung des Telekommunikations-Marktes für private Anbieter. Vgl. Canzler et al. (1995), http://duplox.wz-berlin.de/texte/caheho/, Abschnitt 2.1. Vgl. z.B. Gauron (1998), S. 24 und 41. Gérard Théry, ehemals Vorsitzender von France Télécom, unter Präsident Giscard d’Estaing directeur général des télécommunications und von 1995-97 Leiter der Cité des sciences et de l’industrie (La Villette), gilt als einer der ‘Väter’ des in Frankreich weitverbreiteten und sehr erfolgreichen Minitel (dessen deutsches Äquivalent BTX – Bildschirmtext – sich hierzulande nicht durchsetzen konnte) und engagierte sich ebenfalls sehr für die Verbreitung des Internet in Frankreich. 57 aufgrund ihrer Herkunft gänzlich andere Konnotationen aufweisen als die Metapher des Cyberspace. Welches sind nun die Assoziationen, die sich an die Datenautobahn-Metapher knüpfen? Es ist zu vermuten, daß ihre Urheber vor allem die positiven Aspekte im Blick hatten. Hier ist zunächst der hohe Wiedererkennungswert und Vertrautheitsgrad zu nennen: Jeder Bewohner eines industrialisierten Landes kennt Autobahnen und weiß um ihre Vorzüge. Es handelt sich (idealerweise) um gut ausgebaute, mehrspurige Straßen, die schnelles Fahren erlauben und somit die schnelle Beförderung von Personen und Gütern ermöglichen. Autobahnen stellen folglich wichtige Lebensadern für einen Industriestaat dar. Beim Vergleich des Internet mit einer Autobahn wird also zunächst die Geschwindigkeit in den Vordergrund gestellt.169 Statt Personen und Waren werden hier Daten schnell von einem Ort zum anderen transportiert. Eng damit verbunden sind weitere positive Aspekte, wie ‘hohe Effizienz’, ‘Gradlinigkeit’ und ‘gute Infrastruktur’. Nicht zu unterschätzen ist auch die Assoziation der stetigen Vorwärtsbewegung. Rückwärtsfahren ist auf der Autobahn nicht möglich, und so wird suggeriert, daß es auch auf der Datenautobahn stets ‘nach vorn’ geht, was – in Anlehnung an die Ausführungen von Lakoff/Johnson in ihrem Kapitel über „orientational metaphors“170 – im Gegensatz zu Rückwärtsbewegungen als positiv angesehen wird (man beachte allein die Konnotationen der Ausdrücke vorankommen, nach vorn streben vs. Rückschritte machen bzw. avancer vs. faire un pas en arrière). In unserem Sprach- und Kulturraum liegt die Zukunft vor uns, während wir die Vergangenheit hinter uns lassen, so daß bei der Datenautobahn-Metapher sicherlich auch das Bild vom ‘Weg in die Zukunft’ mitschwingt. Auf den ersten Blick scheinen diese positiven Aspekte die Autobahn zu einer idealen ‘Metaphern-Lieferantin’ für das Internet zu machen: „Autobahnen sind etwas lange Bekanntes, Vertrautes. Durch ihre unübersehbare, unüberhörbare physische Beschaffenheit und massenhafte Nutzung eignen sie sich als anschauliches Funktionsmodell für Dinge, die noch unbekannt oder noch gar nicht realisiert sind oder sich aufgrund ihrer physischen Beschaffenheit der direkten Anschauung entziehen. All dies trifft zu für die Computernetzwerke.“171 169 170 171 Bühl nennt die Datenautobahn dann auch eine „Geschwindigkeitsmetapher“ (Bühl 1996, S. 14). Vgl. Lakoff/Johnson (1980), S. 14ff. sowie Abschnitt 2.3.4.1 der vorliegenden Arbeit. Canzler et al. (1995), http://duplox.wz-berlin.de/texte/caheho/, Abschnitt 5.4. 58 Doch mit der Autobahn verbinden sich auch eine ganze Reihe negativer Assoziationen. Jeder Autobahn-Benutzer weiß, daß es auf diesen Straßen keineswegs immer schnell geht – es kommt aus den unterschiedlichsten Gründen (Rush Hour, Urlaubszeit, Baustellen, schlechte Straßenverhältnisse, Unfälle) regelmäßig zu stockendem Verkehr und Staus. So mancher Urlaub beginnt mit stundenlangem Stillstand auf der Autobahn. Dagegen ist ein beabsichtigtes Anhalten oder gar Verweilen nicht nur unmöglich, sondern sogar verboten. Darüber hinaus gibt es vielfach Geschwindigkeitsbegrenzungen, die den Autofahrer in seiner Freiheit einschränken – selbst in Deutschland, wo eigentlich das vom ADAC geprägte Motto ‘freie Fahrt für freie Bürger’ gilt. Auf der anderen Seite verbinden viele gerade den Hang zum Geschwindigkeitsrausch und zur rücksichtslosen ‘Raserei’ sowie die daraus resultierende Unfallgefahr negativ mit der Autobahn; und viele Menschen denken auch an die negativen ökologischen Folgen wie Landschaftszerstörung und Umweltbelastung durch Abgase. Hinzu kommen Assoziationen von Lärm, Gestank, Streß oder auch monotoner Langeweile durch stundenlanges Geradeausfahren. Und nicht zuletzt wird auch die Flexibilität eingeschränkt, denn das Auffahren bzw. Verlassen der Autobahn ist nur an den Autobahnauf- bzw. -abfahrten möglich. Auf das Internet übertragen, ergibt sich aus der Summe dieser negativen Assoziationen das Bild einer unflexiblen, ungesunden, regelmäßig überlasteten, langsamen – und somit wenig brauchbaren Technologie. Aufgrund dieser relativ großen Anzahl negativer Konnotationen wird die Datenautobahn-Metapher von vielen Seiten kritisiert und für den Vergleich mit dem Internet häufig als wenig geeignet angesehen. So weist zum Beispiel Bill Gates darauf hin, daß man mit dem realen Highway immer auch die Notwendigkeit verbindet, sich von einem Ort zum anderen bewegen zu müssen, was beim Internet gerade nicht der Fall ist. Gates unterstreicht außerdem, daß das Internet nicht wie der Highway aus einer einzelnen ‘Straße’ (also Datenleitung) von A nach B besteht, sondern aus einem Netz unzähliger Verbindungen: „Einer der bemerkenswertesten Aspekte dieser neuen Kommunikationstechnik ist aber, daß sie die Entfernung aufhebt. Es spielt keine Rolle, ob derjenige, mit dem Sie kommunizieren, sich im Zimmer nebenan oder auf einem anderen Kontinent befindet, weil Meilen oder Kilometer für dieses hochgradig vermittelte Netzwerk belanglos sind. Beim Begriff Highway stellt man sich zudem vor, daß alle auf derselben Strecke unterwegs sind. Dieses 59 Netzwerk erinnert jedoch mehr an eine Vielzahl von Landstraßen, wo jeder sich umschauen oder seinen persönlichen Interessen folgen kann.“172 Andere Gegner dieser Metapher weisen auf die großen funktionellen und technischen Unterschiede zwischen realen Autobahnen und der Datenautobahn hin. Vielfach wird auch die politische Herkunft – und somit Besetzung – des Begriffes kritisiert. „Politisch verwertete Metaphern wollen das Denken der Menschen in bestimmte Richtungen lenken, wollen dominieren und andere Leitbilder verdrängen. [...] Die HighwayMetapher [...] hinterläßt ein Gefühl von polizeilichem Ordnen, von einschneidenden Verkehrsbestimmungen und einer Überwachung durch die Staatsmacht.“173 Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Studien, die sich kritisch mit dieser Metapher auseinandersetzen. Als Beispiele seien hier die Untersuchungen von Bühl, Canzler et al., Helmers et al. sowie Kleinsteuber174 genannt, deren Betrachtungen aber aufgrund ihrer weniger linguistischen als vielmehr soziologischen Ausrichtung im Rahmen dieser Arbeit nicht näher dargestellt werden. Doch schon die Tatsache, daß die Adäquatheit einer Metapher derart heftig diskutiert wird, es sogar ausgesprochene ‘Gegner’ gibt, unterstreicht die Bedeutung, die dieses sprachliche Phänomen auch außerhalb der Sprach- und Literaturwissenschaften genießt. Man ist sich offensichtlich allgemein des großen Einflusses von Metaphern auf die Wahrnehmung eines Sachverhaltes bewußt und weiß um ihr auf dem ‘Fokussierungseffekt’ beruhendes Manipulationspotential.175 Festzuhalten bleibt, daß die Metapher der Datenautobahn ein äußerst ambivalentes Bild transportiert. Dies wirft für die Analyse der deutschen und französischen Presseartikel interessante Fragestellungen auf. So ist zum Beispiel zu überlegen, ob diese Metapher aufgrund ihrer Herkunft und der beschriebenen Konnotationen hauptsächlich in politischen, wirtschaftlichen und technischen Zusammenhängen verwendet wird. Tritt sie vor allem in jenen Kontexten auf, in denen es um die Geschwindigkeit und die Entwicklung der Infrastruktur des Internet geht? Ist sie eher positiv oder negativ besetzt? 172 173 174 175 Gates (1995), S. 21. Kleinsteuber (1996b), S. 31. Vgl. Bühl (1996), S. 13-19, Canzler et al. (1995), Helmers et al. (1994), Kleinsteuber (1996a), hier insbesondere S. 17-47. Von amerikanischer Seite sind hier insbesondere die Kritiker John Perry Barlow, George Gilder und Alvin Toffler zu nennen. Vgl. Barlow (1998) sowie Dyson/Gilder/Keyworth/Toffler (1998). Vgl. Abschnitt 2.3.5.3 der vorliegenden Arbeit. 60 Interessant ist auch die Frage, ob die deutsche Datenautobahn anders konnotiert ist und somit in anderen Zusammenhängen auftritt als die französische autoroute de l’information. Dies erscheint durchaus möglich, da deutsche und französische Autobahnen in der jeweiligen Gesellschaft einen unterschiedlichen Stellenwert besitzen. Sie unterscheiden sich nicht nur in ihrer Geschichte176, sondern auch in ganz praktischen Eigenschaften. So sind die französischen Autobahnen im Gegensatz zu den deutschen gebührenpflichtig, weshalb in Frankreich mit der autoroute de l’information unter Umständen die Sorge vor hohen Internet-Kosten assoziiert werden könnte. Darüber hinaus gibt es auf deutschen Autobahnen vergleichsweise wenig Geschwindigkeitsbeschränkungen; das Motto von der ‘freien Fahrt für freie Bürger’ trifft hier eher zu als in Frankreich oder auch in anderen Ländern. Selbst in den ‘autofreundlichen’ USA gelten auf den Highways fast aller Bundesstaaten strenge Tempolimits.177 Es ist also möglich, daß die deutsche Datenautobahn mit mehr ‘Freiheitsgefühl’ verbunden wird als die französische autoroute de l’information und somit eine ‘freiere’ Sichtweise des Internet evoziert. Zudem könnte bei der Datenautobahn eher die Geschwindigkeit des Internet im Vordergrund stehen als bei der autoroute de l’information. Diesen Vermutungen und Fragen wird in der Korpusanalyse nachgegangen. 5.1.3 Die Metapher ‘globales Dorf’ Im Zusammenhang mit dem Internet wird neben den bereits beschriebenen Begrifflichkeiten auch die Metapher globales Dorf (frz. village global, zuweilen auch 176 177 Vgl. hierzu Canzler et al. (1995), http://duplox.wz-berlin.de/texte/caheho/, Abschnitt 3.2 „Die deutschen Autobahnen: ‘Pyramiden des Dritten Reiches’“. Auf einen Vergleich mit der amerikanischen information-highway-Metapher soll im Rahmen dieser Arbeit zwar verzichtet werden, doch wäre es sicherlich lohnend, diesen an anderer Stelle mittels englischsprachiger Texte in die Analyse miteinzubeziehen, da der Highway in den USA sehr ‘mythenumrankt’ ist (man denke an die legendäre Route 66, die amerikanische Trucker-Romantik oder an das Film-Genre der Road Movies) und der information highway unter Umständen in anderen Kontexten auftritt als seine europäischen Äquivalente. Vgl. hierzu Bühl (1996), S. 14 sowie Kleinsteuber (1996a). Die relativ uneingeschränkte ‘freie Fahrt’ auf deutschen Autobahnen ist auch in den USA bekannt, so daß in der amerikanischen Presse neben dem information highway vielfach der sich an das deutsche Lexem anlehnende Begriff infobahn verwendet wird. Auch hier böte sich eine vergleichende Untersuchung an. Denkbar wäre sogar ein Vergleich mit Textmaterial aus Québec, um zu untersuchen, ob die ‘französische’ autoroute de l’information anders konnotiert 61 village planétaire) verwendet. Bei dieser Metapher läßt sich die Herkunft ebenfalls zurückverfolgen. Sie wurde bereits in den 60er Jahren von dem US-amerikanischen Mediensoziologen Marshall McLuhan geprägt178 – also lange vor der Verbreitung des Internet. Schon damals hatte er die Vorstellung, daß durch elektronische Medien neue Gemeinschaftsformen entstehen könnten. „McLuhan hatte dabei wohl an die Kultur eines ‘primitiven’ Dorfs gedacht, dessen Zusammenhalt sich durch ein flexibles System aus oraler Poesie, dem Erzählen von Geschichten, der Rechtsprechung usw. herstellt. Er hat die Annahme nahegelegt, daß die neuen Medien auch eine neue Ära der Oralität einleiten.“179 Mit dem globalen Dorf verknüpfen sich natürlicherweise andere Assoziationen als mit dem Cyberspace oder der Datenautobahn. Ein Dorf ist ein kleiner, überschaubarer Ort, in dem – im Gegensatz zu einer Stadt – relativ wenige Menschen leben. Die meisten kennen sich persönlich, man sieht sich fast täglich, kommuniziert miteinander, teilt ‘Freud und Leid’. Anonymität ist hier ein Fremdwort, und im Unterschied zur Hektik der Städte geht es in einem Dorf ruhiger zu.180 Negative Assoziationen liegen allerdings gerade in der Enge – sowie darin, daß man sich nicht zurückziehen kann und ‘jeder alles von jedem’ weiß. Junge Menschen beklagen hier häufig eine gewisse Langeweile durch das Fehlen einer vielfältigen Freizeitkultur. Wenn man vom Internet als globalem Dorf spricht, hat man folglich weniger die Infrastruktur, die Geschwindigkeit oder die Erschließung neuer Räume im Blick. Das Internet wird als sozialer Ort wahrgenommen, in dem Menschen zusammenkommen und miteinander kommunizieren, so daß die räumlich weite Welt zu einem „Dorf“ zusammenrückt.181 Hier steht also eindeutig die Gemeinschaft im Vordergrund. Bühl spricht dann auch von einer „Sozietäts-Metapher“182. Debatin wählt hier den Begriff 178 179 180 181 182 ist als die ‘frankokanadische’, die unter Umständen eher Ähnlichkeiten mit dem US-information highway aufweist. Vgl. McLuhan/Powers (1995). Bolter (1997), S. 53. Diese Assoziationen beziehen sich allerdings eher auf das traditionelle, gewachsene Dorf, weniger auf die zahlreichen modernen Neubaugebiete im Umkreis größerer Städte. Solche ‘neuen’ Dörfer verfügen nicht über eine gewachsene Struktur von Menschen, die sich seit ihrer Kindheit kennen, und oftmals geht es dort ähnlich anonym zu wie in einer Stadt. Orte dieser Art werden aber üblicherweise nicht mit dem Dorf-Begriff assoziiert, und McLuhan dürfte in der Tat eher an das traditionelle Dorf gedacht haben – wie es ja auch Bolter in seiner Definition vom ‘primitiven’ Dorf vermutet. In diesem Zusammenhang wird in jüngster Zeit häufig von der „Glokalisierung“ (gegenüber der Globalisierung) der Welt gesprochen. Bühl (1996), S. 23. 62 „Siedlungsmetaphorik“183 und faßt darunter auch ausdrücklich Raum-Metaphern wie digitale Stadt oder Chatroom zusammen. „Das Internet ist darüber hinaus ein sozialer Raum, [...] ein vieldimensionales Gebilde also, das durch Interaktionen, Emotionen, persönliche Nähe und Distanz, sowie durch gemeinsam geteilten Sinn definiert wird.“184 Eng mit der Metapher des globalen Dorfes verbunden ist der Begriff der virtuellen Gemeinschaft, der auf den US-amerikanischen Wissenschaftsjournalisten Howard Rheingold zurückgeht: „Eine virtuelle Gemeinschaft ist eine Gruppe von Menschen, die miteinander kommunizieren, die sich zu einem gewissen Grad untereinander kennen, in gewissem Maß Wissen und Information teilen und sich bis zu einer gewissen Grenze als menschliche Wesen umeinander kümmern, sich treffen und in erster Linie über Computernetzwerke miteinander kommunizieren.“185 Auch Rheingold rückt den Menschen mit seinen sozialen Beziehungen und persönlichen Emotionen in den Vordergrund. Das Internet als modernes Kommunikationsmedium besteht nur in Wechselwirkung mit den Menschen, die es nutzen; die Technologie als solche ist lediglich Mittel zum Zweck. Durch das Internet werden Gemeinschaften konstituiert, es entsteht „ein Geflecht persönlicher Beziehungen“186, das sich über den ganzen Globus erstreckt – eben ein globales Dorf. Mit der Metapher vom globalen Dorf werden also hauptsächlich die kommunikativen Aspekte des Internet beleuchtet. Es ist mit ihr die positive Auffassung verbunden, daß sich durch das neue Medium Menschen über geographische Grenzen hinweg näherkommen und Gemeinschaften bilden. Im Gegensatz zur Datenautobahn weckt das globale Dorf Assoziationen einer gewissen Ruhe und Gemütlichkeit; im Unterschied zum Cyberspace verbindet man mit dieser Metapher weder Aufbruchstimmung noch Gefahren. Insgesamt evoziert sie eine positive, fast idyllische Sicht des Internet. Gerade deshalb ist jedoch zu fragen, inwieweit sie überhaupt Chancen hat, sich langfristig im allgemeinen Sprachgebrauch über das Internet durchzusetzen. Mit ihrer Reduktion auf kommunikative Aspekte hebt diese Metapher in erster Linie die positiven Eigenschaften des Mediums hervor und 183 184 185 186 Debatin (1997), http://www.uni-leipzig.de/~debatin/German/NetMet.html. Ebd., Hervorhebung im Original. Rheingold (1998), S. 271. Ders. (1994), S. 16. 63 verstellt damit den Blick auf seine negativen Charakteristika bzw. Gefahren. Sie dürfte folglich nur in Kontexten auftreten, in denen das Internet schwärmerisch als menschenverbindendes und gemeinschaftsförderndes Medium dargestellt wird – oder gerade in solchen Zusammenhängen, in denen sich der Sprecher kritisch mit den negativen Folgen der weltweiten Vernetzung auseinandersetzt, die die Menschen eben nicht zu einem großen Dorf zusammenschweißt (denn schließlich ist das Internet bisher nur in der westlichen Welt wirklich verbreitet, und auch hier nur in bestimmten sozialen Schichten). Im Gegensatz zur Datenautobahn-Metapher sind hier für das Deutsche und Französische keine größeren Differenzen in den Konnotationen zu erwarten, da mit einem Dorf wohl ähnliche Assoziationen verknüpft werden. Insofern dürften sich die Verwendungsarten der Dorf-Metapher kaum unterscheiden. Zu einer Klärung dieser Thesen und Vermutungen soll auch hier die Korpusanalyse beitragen. 5.2 Zusammenfassung Die drei hier analysierten Metaphern unterscheiden sich wesentlich darin, welche Charakteristika des Internet hervorgehoben werden sollen: Mit dem Cyberspace / cyberespace als Raum- und Bewegungsmetapher werden jene Aspekte des Internet beleuchtet, die das neue Medium als einen grenzen- und hierarchielosen Raum sehen, in dem jeder Einzelne die Freiheit hat, ihn nach seinen eigenen Wünschen zu nutzen, das heißt Inhalte jedweder Art zu verbreiten und abzurufen – und das von jedem Ort der ‘vernetzten Welt’ aus. Gleichzeitig schwingen hier jedoch auch negative Assoziationen wie die Gefahr durch HackerAngriffe, Verbreitung krimineller Inhalte oder Realitätsflucht mit. Die wesentlichen Charakteristika der Cyberspace-Metapher lassen sich also mit ‘Freiheit und Gefahr’ umschreiben. Die Datenautobahn / autoroute de l’information fokussiert auf einen ganz anderen Aspekt des Internet: Nicht der Raum und die ‘unbegrenzten Möglichkeiten’ des neuen Mediums stehen im Vordergrund, sondern die Geschwindigkeit, Technologie und eine – im Gegensatz zum unreglementierten Cyberspace – geordnete 64 Infrastruktur. Dies gilt vor allem für die deutsche Datenautobahn. Es ist zu fragen, ob die französische autoroute de l’information ähnlich konnotiert ist oder ob es hier aufgrund der unterschiedlichen soziokulturellen Verankerung der ‘echten’ Autobahnen zu Differenzen kommt. So ist es denkbar, daß die französische Metapher weniger häufig im Zusammenhang mit Geschwindigkeit auftritt und eher in Kontexten verwendet wird, die die Kosten des Internet in den Vordergrund stellen. Da die Metapher von Politikern lanciert wurde, ist darüber hinaus zu fragen, ob sie verstärkt in politischen Kontexten auftaucht. Wird das Internet schließlich als globales Dorf / village global beschrieben, so hat man hier in erster Linie positive Aspekte wie ‘Gemeinschaftsgefühl’ und ‘Kommunikation’ im Blick. Im folgenden Kapitel soll nun anhand einer Korpusanalyse geklärt werden, ob die einzelnen Metaphern wirklich hauptsächlich in den jeweils vermuteten Kontexten auftreten. Im Sinne von Jäkel würden sie somit nur auf bestimmte Aspekte des Internet fokussieren bzw. in der Terminologie von Lakoff/Johnson die Funktion des highlighting and hiding erfüllen und damit – so die These – nicht synonym verwendet werden. 6. Korpusanalyse 6.1 Zum Textkorpus und zur Methode Das analysierte Korpus umfaßt insgesamt 63 Artikel aus folgenden überregionalen französischen und deutschen Tageszeitungen: Le Monde (bzw. deren ebenfalls täglich erscheinender Internet-Ausgabe Le Monde Interactif), L’Humanité und Libération sowie Die Welt, Süddeutsche Zeitung und die tageszeitung.187 Ein wichtiger Grund für die Auswahl dieser Zeitungen liegt in ihrer Verfügbarkeit: Es handelt sich im wesentlichen um Texte, die den kostenlos zugänglichen OnlineArchiven der jeweiligen Tageszeitungen entnommen wurden; bei der Süddeutschen 65 Zeitung standen die Jahresausgaben 1995 und 2000 als CD-ROMs zur Verfügung. Das relative Übergewicht zugunsten der links bzw. linksliberal ausgerichteten Presse gegenüber einer einzigen konservativen Zeitung (Die Welt) ist also ‘umständebedingt’ – für eine eventuelle weiterführende Untersuchung wäre es aufgrund der Vergleichbarkeit wünschenswert, auch die (kostenpflichtigen) OnlineArchive bzw. CD-ROMs der konservativen französischen Presse in die Analyse miteinzubeziehen. Die Online-Archive unterscheiden sich in ihren Suchmodi zum Teil erheblich188, so daß eine einheitliche Begrenzung auf eine bestimmte Zeitspanne schwierig ist. Soweit möglich, wurden in erster Linie Texte aus den Jahren 2000 und 2001 in das Korpus aufgenommen, da dieser Zeitraum von der Mehrheit der Archive abgedeckt wird; vereinzelt finden sich jedoch auch Artikel aus früheren Jahren. Um den im vorangegangenen Kapitel aufgestellten Thesen nachgehen zu können, erscheint hier eine auf der semasiologischen Metaphern-Untersuchung von Jäkel189 basierende Korpusanalyse als sinnvollste Methode: Ausgehend von einer spezifischen Metapher wird die Fragestellung verfolgt, in welchen Kontexten sie hauptsächlich auftritt. Sowohl bei den Online-Archiven als auch bei den CD-ROMs besteht die Möglichkeit, Artikel nach Schlüssellexemen zu selektieren, was eine semasiologische Metaphern-Analyse unterstützt: Es konnten auf diese Weise Texte herausgegriffen werden, in denen die im vorangegangenen Kapitel dargestellten Metaphern Cyberspace / cyberespace, Datenautobahn / autoroute de l’information oder globales Dorf / village global vorkommen. Im folgenden werden diese Texte auf die herausgearbeiteten Assoziationen und Konnotationen der jeweiligen Metaphern hin analysiert. Es wird untersucht, in welchen Kontexten sie auftreten und welcher Art das sie umgebende sprachliche Umfeld ist – kommt es zum Beispiel zu 187 188 189 In der Korpusanalyse werden diese Zeitungen wie folgt abgekürzt: Le Monde: LM, Le Monde Interactif: LMI, L’Humanité: H, Libération: Lib, Die Welt: W, Süddeutsche Zeitung: SZ, die tageszeitung: taz. Bei der Welt und der tageszeitung sind die jeweiligen Gesamtausgaben seit 1995 (Welt) bzw. der jeweils letzten 12 Monate (die tageszeitung) kostenlos im Netz abrufbar; die Auswahl läßt sich darüber hinaus auf bestimmte Zeiträume begrenzen. L’Humanité und Libération stellen ebenfalls kostenlos ihre Gesamtausgaben seit 1996 (L’Humanité) bzw. 1999 (Libération) ins Netz, jedoch kann nur bei L’Humanité der Zeitraum eingegrenzt werden. Le Monde Interactif stellt lediglich einen ausgewählten – und modifizierten – Teil seiner Ausgabe aus den Jahren 1999 bis 2001 zur Verfügung, der ebenfalls zeitlich begrenzt werden kann. Hier finden sich auch ausgewählte Artikel aus der Internet-Hauptausgabe von Le Monde, deren Archiv ansonsten kostenpflichtig ist und daher im Rahmen dieser Arbeit keine Verwendung findet. Bei den für das Korpus verwendeten Le Monde-Artikeln handelt es sich also um Texte, die bei Le Monde Interactif veröffentlicht wurden. Vgl. Jäkel (1997), S. 143. 66 Isotopieketten? Werden stets ähnliche Bilder transportiert? Für eine sinnvolle Analyse erscheint es daher notwendig, nicht nur jene Sätze aus dem Korpus herauszugreifen, die die jeweilige Metapher enthalten, sondern auch die Schlüssellexeme des isotopischen Gerüstes zu beleuchten, da diese ganz wesentlich zum Gesamtbild des Textes beitragen. Darüber hinaus werden die beiden betrachteten Sprachen auf Konvergenzen und Divergenzen hinsichtlich des Gebrauchs der einzelnen Metaphern untersucht – stehen diese im Deutschen grundsätzlich in einem ähnlichen Kontext wie im Französischen, oder kommt es hier zu Differenzen? Insgesamt liegt der Schwerpunkt weniger auf quantitativen Auswertungen (wie etwa statistische Verteilungen der Metaphern) als vielmehr auf einer qualitativen Analyse. Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur um eine exemplarische Untersuchung handeln kann. Die daraus resultierenden Thesen erheben daher keinen Anspruch auf Repräsentativität, können aber durchaus Tendenzen widerspiegeln. 67 6.2 Der Cyberspace – ein Raum der unbegrenzten Möglichkeiten, der Freiheit und Gefahren? Eine der zu untersuchenden Thesen lautet, daß die Cyberspace-Metapher vor allem in jenen Kontexten auftaucht, in denen das Internet als eine ‘freie und unreglementierte neue Welt’ gesehen wird, für deren Erschließung ein gewisser Pioniergeist notwendig ist, also Eigenschaften wie Mut, Kreativität und Intelligenz. Es müßten sich demzufolge im Umfeld der Cyberspace-Metapher Schlüssellexeme und Isotopieketten finden lassen, die genau dieses Bild vom zu erobernden Raum mit all seinen Freiheiten und Gefahren transportieren. Tatsächlich lassen sich hierfür sowohl im französischen als auch im deutschen Korpus zahlreiche Belege nachweisen. Betrachten wir zunächst drei französische Textbeispiele: 190 (1) [Entdeckung neuer Einsatzfelder im Internet, Beispiel Architektur] L’utilisation du numérique et la prise en compte du cyberespace dans l’architecture sont explorées par quelques expérimentateurs géniaux. [...] L’informatique appliquée à l’architecture libère la forme, ouvre la discipline aux autres pratiques créatrices et lui donne les moyens de conquérir le cyberespace. [...] Davantage, ils colonisent l’espace Internet, en prolongeant systématiquement le bâti par un site web ou en le concevant en référence à ses futurs habitants, tous internautes. Les œuvres de ces pionniers sont encore rarissimes dans le paysage réel. [...] Ceux qui décrochent une commande, et construisent, se comptent sur les doigts de la main. Les autres, la grande majorité, s’inquiètent [...]. En effet, l’architecture mondiale prend tout juste conscience de l’espace du réseau et n’a pas encore «trouvé sa grammaire spatiale du cyberespace», remarque joliment Pierre Bohrer, cofondateur de l’agence d’architectes [...]. (LMI 14.06.00) In diesem Text wird der Cyberspace als Raum dargestellt, den es zu erforschen und zu erobern gilt, was an Schlüssellexemen wie „explorer“, „conquérir“ und „coloniser l’espace“ deutlich wird. Man fühlt sich hier unweigerlich an die Pioniere erinnert, die seinerzeit unbekannte Räume wie etwa den amerikanischen Kontinent erkundeten; und so wundert es nicht, daß explizit von „pionniers“ gesprochen wird. Es paßt zum Pioniergeist, daß es sich bei ihnen um „expérimentateurs géniaux“ mit „pratiques créatrices“ handelt, denn Kreativität, Experimentierfreude und ein gewisses Maß an Genialität bilden Grundvoraussetzungen für die Erschließung unbekannter Räume für künftige Bewohner („futurs habitants“) – im Cyberspace also die „internautes“. Die Pioniere tragen einen wesentlichen Teil zur ‘Befreiung’ von alten Konventionen bei 190 Im folgenden wird die Notierungsweise von Polzin (1999, S. 214ff.) übernommen: Die jeweiligen Schlüsselmetaphern sind in den Beispieltexten fett, die weiteren Elemente des isotopischen Gerüsts kursiv gedruckt, die Antonyme unterstrichen. Das Thema des jeweiligen Artikels ist dem Textbeispiel in [eckigen Klammern] vorangestellt. 68 („libère la forme“) und eröffnen den Nachfolgenden neue Möglichkeiten („ouvre la discipline“). Und wie in den ‘alten Zeiten’ sind die Pioniere noch in der Minderheit – „se comptent sur les doigts de la main“; die große Mehrheit hat Vorbehalte und Ängste („Les autres, la grande majorité, s’inquiètent“). Der Hinweis, daß solche Pionierarbeiten im „paysage réel“ noch sehr rar sind, ist ein weiterer Beleg dafür, daß der Cyberspace offensichtlich ebenfalls als eine Art Raum, hier also als „Landschaft“ wahrgenommen wird. Auch das folgende Textbeispiel bringt den Cyberspace mit Pioniertaten in Verbindung: (2) [Diskussion über die Vorteile für Unternehmen, das Internet sinnvoll zu nutzen] [...] Un énorme fossé sépare les entreprises ancrées dans le passé de celles qui inventent l’avenir: il tient à la capacité de se servir d’Internet pour innover. [...] Toutes les entreprises ont accès à la technologie de l’Internet, mais la question cruciale est de savoir quelles sont celles qui ont les capacités intellectuelles, le courage et la créativité nécessaires pour en tirer profit. [...] Les entreprises les plus intelligentes passent à un niveau supérieur. [...] Chez les pionniers, la question de savoir si le terrible saut dans le cyberespace doit être accompli ne se pose plus. La réponse est évidente. [...] A la base de ces stratégies audacieuses, on trouve souvent une crise qui a forcé au changement. [...] Utiliser le Web pour la première fois reste cependant plus difficile qu’on ne le pense. De nombreux projets déçoivent – ou n’aboutissent tout simplement pas. [...] D’après une enquête [...], 69% des PDG interrogés se disent inquiets de n’avoir pas suffisamment réfléchi à leurs projets avant de se lancer sur le Web et 34% disent avoir peur que leurs efforts échouent. Pourtant, le risque d’aller de l’avant et de se tromper est nettement moins important que celui d’en faire trop peu. [...] Cela nécessite de l’intelligence, du courage et de l’imagination. Mais il n’est pas trop tard pour fabriquer vos propres balles Web. Ce n’est pas parce que votre société existe depuis cent ans qu’elle ne pourra pas prospérer durant les cent prochaines années. Alors, s’agit-il d’être prudent? Pour faire partie du Top 50 du Web, il n’en est pas question. [...] (LMI 19.10.00) Auch hier erscheint der Cyberspace als ein Raum, den ein Unternehmen nur mit Pioniergeist für sich erobern kann. Dazu gehören „capacités intellectuelles“, „courage“, „créativité“, „intelligence“, „stratégies audacieuses“ und „imagination“. Dennoch bleibt dieser Schritt ein großes Risiko, ja sogar ein „terrible saut dans le cyberespace“. Oftmals werden die „pionniers“ durch eine Krise dazu gezwungen, dieses Wagnis einzugehen („une crise qui a forcé au changement“) – auch dies erinnert an die ‘echten’ Pioniere, die aufgrund schlechter wirtschaftlicher Bedingungen ihre Heimat verließen, um ihr Glück in der neuen Welt zu suchen. Und wie den ‘echten’ Pionieren gelingt es nur „les entreprises les plus intelligentes“, Nutzen aus dem Cyberspace zu ziehen („tirer du profit“) und ein „niveau supérieur“ zu erreichen. Die weniger Begabten versagen: „de nombreux projets déçoivent – ou 69 n’aboutissent tout simplement pas“, weshalb viele von sich sagen, sie seien „inquiets“ und hätten „peur que leurs efforts échouent“. Der Rat des Autors an die Unternehmen ist dennoch, daß es besser ist, das Risiko auf sich zu nehmen („le risque d’aller de l’avant et de se tromper“) und nicht zuviel Vorsicht walten zu lassen, wenn das Geschäft „prosperieren“ soll und man ganz nach oben will: „être prudent? Pour faire partie du Top 50 du Web, il n’en est pas question.“ Die Zukunft wird nur denen gehören, die sich des Internet zu bedienen wissen und auf diese Weise „inventent l’avenir“. Jene Unternehmen, die die Möglichkeiten des Cyberspace nicht nutzen, werden immer „ancrées dans le passé“ bleiben; es entsteht gar ein „énorme fossé“. Das müssen selbst Großkonzerne wie Walt Disney erkennen, wie ein anderes Beispiel zeigt: (3) [Disney hat es im Gegensatz zu seinen Konkurrenten bisher versäumt, seine Produkte auch über das Internet zu vermarkten] Mais aussi puissante que soit la marque Walt Disney dans «l’économie traditionelle», elle est une épée de bois pour la conquête du cyberespace. (LMI 30.05.00) Sprich: mit „traditionellen“ Methoden mag man in der ‘alten’ Welt sehr erfolgreich sein und Macht besitzen, jedoch reichen diese für die „conquête“ der ‘neuen’ Welt des Cyberspace nicht aus – sie wirken dort wie ein stumpfes Holzschwert. Die Verwendung dieses „épée de bois“ impliziert darüber hinaus, daß man zur Eroberung der neuen Welt auf gute Waffen angewiesen ist – wie sicherlich auch viele der ‘echten’ Pioniere erfahren mußten. Daß die Cyberspace-Metapher im deutschen Sprachgebrauch ein ähnliches Bild transportiert, belegen die beiden folgenden Textbeispiele: (4) [Porträt über Bernd Kolb, Erfinder neuer Formen der Werbung im Internet] Mit digitalen Doppelgängern menschelt es im Cyberspace [Überschrift] [...] Kolb [machte] etwas, woran keiner glauben wollte: Werbung im Netz. Und künstliche Menschen. [...] Nichts von dem ist so geworden, wie es sich die Eltern gedacht hatten. Er wurde einer von den neuen Vagabunden. [...] [Seine Firma I-D Media] hilft dabei, neue Märkte zu finden und neue Produkte ins Laufen zu kriegen. [...] Der guten Ordnung halber machte er noch das [juristische Staats-] Examen. Dann wechselte er in die Welt, die sein Zuhause bleiben sollte. „Der Unruheherd zieht mich magisch an. Tolle Umgebung. [...] Ich bin Unternehmer, ich packe gern an.“ [...] Eine Laufbahn als Angestellter wäre für den agilen Vielarbeiter undenkbar gewesen. [...] Verrückter hätte seine Idee [...] nicht sein können. [...] Nur einer kapierte es [Kolbs Konzept der Internet-Werbung]: West wollte ins Web. Die Zigarettenmarke, die sich marketingmäßig dem Zusammenbringen von Welten verschrieben hat, wagte sich mit Kolb ins Internet. Was damals revolutionär und eine Pioniertat war, würde heute nur noch ein Gähnen auslösen: Die Zigarette bot ihren Fans unter west.de einen Chatroom an [...]. Dass Kolb den richtigen Riecher hatte, zeigten die Reaktionen. [...] Fortan konnte Kolb seine Pionierarbeit kapitalisieren [...]. Kolb will weg vom anonymen 70 Suchmaschinen- und Chatroom-Internet. Er stellt sich eine Schnittstelle zur digitalen Welt vor, die nicht vom PC und Texten bestimmt ist. Es soll menscheln. Um das zu erreichen, hat Kolb Cyber-Wesen geschaffen. Wieder war er einer der Ersten. [...] „Das ist die Zukunft des Marketing. [...] Konventionelle Werbewege nutzen sich immer mehr ab.“ [...] Das Geschäft mit Cycosmos wird [jedoch] erst dann laufen, wenn das Netz schneller geworden ist, noch mehr Menschen drin sind und auch der letzte Technophobe überzeugt ist. Bernd Kolb wird also noch eine Weile bei Gegenwind durchhalten müssen. Aber Visionäre hatten es noch nie leicht. (W 01.03.00) Auch hier erscheint der Cyberspace als eine neue Welt, die nur mit „Pioniertaten“ bzw. „Pionierarbeit“ zu meistern ist. Diese Welt ist ein „Unruheherd“, eine „tolle Umgebung“ und verlangt einen „Unternehmer“, einen „agilen Vielarbeiter“, der „anpacken“ kann, den „richtigen Riecher“ besitzt und „verrückte Ideen“ hat – auch hier fühlt man sich an die ‘echten’ Pioniere erinnert. Der in dem Artikel porträtierte Bernd Kolb war stets „einer der Ersten“ und besitzt soviel Überzeugungskraft, daß viele Unternehmen die „konventionellen (Werbe-) Wege“ verlassen und sich in die neue Welt – den Cyberspace – „wagen“. Das konventionelle juristische Studium absolvierte er „nur der guten Ordnung halber“; seitdem „vagabundiert“ er im „Unruheherd“ Cyberspace und erschließt sich hier mit „neuen Produkten“ „neue Märkte“, auch wenn seine Ideen zunächst „revolutionär“ waren und keiner so recht an ihn glauben wollte. Der Erfolg gelingt mit Hilfe von Gleichgesinnten (wie dem Tabak-Unternehmen der Zigarettenmarke West), die einen ähnlichen Mut besitzen und die „alte“ mit der „neuen“, also der „digitalen Welt“ verbinden wollen. Neue Welten brauchen offensichtlich eine neue Art von Bewohnern – Kolb nennt seinen Teil der neuen Welt folgerichtig „Cycosmos“ (der Vergleich mit dem Kosmos weist auf die Grenzenlosigkeit hin) und setzt „Cyber-Wesen“ in sie hinein (die aber über menschliche Eigenschaften verfügen, denn durch sie „menschelt“ es im Cyberspace). Doch er hat noch ein gutes Stück Arbeit vor sich; seine neuen Ideen müssen sich immer wieder durchsetzen. Trotzdem glaubt er an die „Zukunft“, selbst wenn ihm – wie einem Seefahrer – stetig der „Gegenwind“ entgegenbläst. Doch als „Pionier“ und „Visionär“ besitzt er dafür das nötige Durchhaltevermögen. Auch das folgende Beispiel erzählt von einem solchen Pionier: (5) [Geschäftsidee ‘Books on Demand’] Mit seinem „Verlag der Criminale“ will Wolfram Göbel ganz groß in das Zukunftsgeschäft mit Büchern auf Abruf einsteigen. [...] Gutenberg trifft Cyberspace. Die Buchdruck-Kunst geht online, und immer mehr namhafte Verleger weisen den Weg. [...] Wolfram Göbel preist dieses Verfahren als Schatzkarte zur Erschließung des Worldwide-Web-Universums, als Erwiderung auf die Globalisierung, als Forum für unentdeckte Talente und neue Erzählformen, kurz als Chance, [...] alles zu machen, das möglich ist und nicht viel Geld kostet. [...] Libri ist ein Pionier der „Books on Demand“-Technik [...]. (SZ 07.01.00) 71 Der in diesem Artikel vorgestellte Wolfram Göbel nutzt den Cyberspace ebenfalls als Raum für die Beschreitung neuer Wege in die „Zukunft“. Er will die alte mit der neuen Welt verbinden, die Vorteile der ‘alten’ Buchdruck-Kunst mit denen des neuen Raumes zusammenbringen: „Gutenberg trifft Cyberspace“. Göbel sieht seine Idee gar als „Schatzkarte zur Erschließung des Worldwide-Web-Universums“, geht also offensichtlich davon aus, daß die neue Welt – wie das Universum – ein unendlicher Raum ist, in dem wahre Schätze zu finden sind, wenn man über eine entsprechende „Karte“ (hier in Form einer guten Geschäftsidee) verfügt. Er ist eine Chance für „unentdeckte Talente“ und bietet auch demjenigen die Möglichkeit, „alles zu machen“, der nicht über große finanzielle Mittel verfügt. Auch in diesem Text erscheint der Cyberspace also als Raum der unbegrenzten Möglichkeiten, der zuerst von ideenreichen Pionieren erschlossen wird; und so wird auch hier explizit vom „Pionier“ gesprochen. Daß in der neuen Welt des Cyberspace tatsächlich ‘Schätze’ vermutet werden, belegen folgende Textbeispiele: (6) [Bericht über die Musiktauschbörse Napster] [...] Les internautes disposent ainsi d’un moyen simple de devenir des producteurs et d’apporter leur contribution à l’enrichissement de la Toile. D’où une augmentation vertigineuse de la richesse potentielle du cyberespace. (LM 27.02.01) (7) [Bericht über die Zukunft des Internet] Bienvenue dans le monde du libre [Überschrift] Qui n’a pas rêvé d’un monde aux richesses inépuisables où l’on pourrait donner à tous, sans pour autant restreindre l’appétit d’aucun, un monde où partage équitable entre tous ne limiterait en rien l’abondance pour chacun? Cette utopie, jusqu’ici inaccessible, est en passe de devenir réaliste, tout au moins sur ce nouveau continent que constitue le cyberespace. [...] Dans le cyberespace, l’idée de rareté est techniquement absurde [...]. (H 15.03.00) In beiden Beispielen wird der Cyberspace fast schwärmerisch als eine Welt der Reichtümer dargestellt, Beispiel (7) spricht gar von einer Welt mit unerschöpflichen Schätzen, von der jeder geträumt hat: einer „monde du libre“ mit „richesses inépuisables“, einem „nouveau continent“, auf dem schon die „idée de rareté“ nahezu „absurde“ ist. Es ist fast verwunderlich, daß der Begriff des Paradieses nicht fällt, denn als solches erscheint der Cyberspace hier. 72 Der Cyberspace als Raum der unbegrenzten Möglichkeiten ist jedoch nicht durchweg positiv besetzt. So finden sich vor allem im deutschen Korpus zahlreiche Texte, in denen mit der Cyberspace-Metapher eher negative Assoziationen verknüpft werden: (8) [Abwärtstrend der New Economy] An den Aktienmärkten ist Ernüchterung zu spüren, wo noch vor wenigen Monaten Euphorie dominierte. [...] Doch eines ist der Cyberspace eben nicht: eine Gelddruckmaschine für Erfinder noch so absurder Geschäftsideen und Business-Evangelisten, die dem digitalen Goldrausch verfallen sind. [...] Den meisten denkenden Menschen ist es sogar ein Gräuel, sich durch den „gigantischen digitalen Müllberg“ zu wühlen, wie der ComputerPionier und Buchautor, Joseph Weizenbaum, das World Wide Web genannt hat. [...] (SZ 30.10.00) Die „euphorische“ Goldgräberstimmung (hier gar als „digitaler Goldrausch“ diffamiert) ist inzwischen der „Ernüchterung“ gewichen: Man hat erkannt, daß auch die neue Welt des Cyberspace nicht allen Erwartungen gerecht wird. Hatte man eine Zeitlang geglaubt, es genüge eine „absurde Geschäftsidee“ bzw. ein nahezu religiöser Glaube an das Business („Business-Evangelisten“), um aus dem Cyberspace eine „Gelddruckmaschine“ zu machen, so muß man jetzt einsehen, daß die potentiellen Kunden ausbleiben, weil die meisten „denkenden Menschen“ die vielen Angebote des Cyberspace gar nicht nutzen, ihn gar als „gigantischen digitalen Müllberg“ sehen. Auf diese Weise bleibt das erhoffte schnelle Geld natürlich aus – die Erwartungen der Pioniere an die Chancen in der ‘neuen Welt’ werden enttäuscht. Auch hier steht die Cyberspace-Metapher in einem sprachlichen Umfeld, das eine Reihe weiterer Bilder evoziert, die an die ‘echten’ Pioniere erinnern, deren Hoffnungen oftmals ebenfalls nicht erfüllt wurden. Der Cyberspace wird häufig als Raum mit eigenen, ganz besonderen Regeln gesehen, wie das folgende Textbeispiel zeigt: (9) [Negative Seiten des Internet] [...] Der Durchbruch des digitalen Prinzips, von Internet und Cyberspace, lässt einen „sechsten Kontinent“ erstehen, dessen Besonderheit nicht allein darin besteht, dass er entterritorialisiert ist, sondern auch von der Unmittelbarkeit gelenkt und beherrscht wird. Gegenwärtig verlagert sich – in erschreckender Regellosigkeit – eine menschliche Tätigkeit nach der anderen auf diesen seltsamen Kontinent: Handel und Finanzen, Kultur, Kommunikation, Wirtschaft usw. [...] Zur Zeit stehen die Nationalstaaten wie die Demokratie als solche machtlos vor diesem neuen digitalen Kontinent, der voller Gefahren ist und insofern einem wilden Dschungel gleicht. (taz 10.08.01) Hier wird gleich dreimal vom Cyberspace als „Kontinent“ gesprochen; allerdings ist es ein „seltsamer Kontinent“, zeichnet er sich doch dadurch aus, daß er 73 „entterritorialisiert“ ist – folglich paradoxerweise gar kein Territorium besitzt. Hier gelten völlig andere Regeln als auf den ‘alten’ fünf Kontinenten; er wird „von der Unmittelbarkeit gelenkt und beherrscht“, hat also seine eigenen Gesetze. Er ist „voller Gefahren“ und gleicht „einem wilden Dschungel“, in dem vertraute Werte wie die Demokratie „machtlos“ sind. Dennoch übt er eine starke Anziehungskraft aus, da sich „eine menschliche Tätigkeit nach der anderen“ auf ihn verlagert – und dies sogar in „erschreckender Regellosigkeit“. Sämtliche bekannten Gesetze und Regeln scheinen auf dem neuen Kontinent ihre Gültigkeit zu verlieren. Diese düstere Schilderung zeichnet das beängstigende Bild eines seltsamen und gefährlichen Kontinents – und läßt darüber fast vergessen, daß es hier lediglich um ein neues Medium, nämlich das Internet, geht. Daß es jedoch Möglichkeiten gibt, sich den Gefahren des Cyberspace entgegenzusetzen, zeigen die beiden folgenden Textbeispiele: (10) [Streit zwischen einer Internetkünstler-Gruppe und einem Großkonzern über die Nutzung des Domain-Namens ‘etoy.com’] [...] Krieg im Internet [...] Sieben Wochen lang tobte eine Übernahmeschlacht, deren Ausgang das Lamento von der völligen Kommerzialisierung des Cyberspace zumindest ein klein wenig korrigieren könnte. [...] Die Kraftprobe der Netzaktivisten mit dem schier übermächtigen Feind sollte unter Beweis stellen, dass die kommerziellen Anbieter sich in ihrem börsenfinanzierten Goldrausch nicht alles erlauben können. [...] es [geht] darum, einen bedrohten Frei- und Lebensraum vor parasitärer Profitlogik zu bewahren. [...] Je realistischer sich im Netz aber die Machtverhältnisse aus der echten Welt abbilden [...], desto attraktiver oder anfälliger wird das Netz für Interessenskonflikte, die in den kalifornischen Träumen der utopistischen Pioniere [...] einfach nicht vorkamen. Bald dürfte sich endgültig herausstellen, dass die Projektionsfläche des Cyberspace nichts anderes ist als ein neuer öffentlicher Raum, der genauso umkämpft ist wie der städtische der bürgerlichen Gesellschaft von einst. [...] Die Ökos des Cyberspace [Zwischenüberschrift; gemeint sind die vorgenannten ‘Netzaktivisten’] [...] (SZ 19.02.00) Auch hier erscheint der Cyberspace als ein Raum außerhalb der ‘echten Welt’. Doch handelt es sich hier nicht wie im vorigen Beispiel um einen gefährlichen Kontinent, in dem völlig eigene Gesetze gelten, sondern um einen „Frei- und Lebensraum“, der von ähnlichen Regeln beherrscht wird wie die reale Welt. Es finden sich hier dieselben „Machtverhältnisse“ wieder: „Netzaktivisten“ „kämpfen“ wie Umweltschützer der „echten Welt“ gegen den „übermächtigen Feind“ in seinem „börsenfinanzierten Goldrausch“, nämlich die Großkonzerne mit ihrer „parasitären Profitlogik“. Und so „toben“ wie in der realen Welt auch hier wahre „Kriege“ und „Schlachten“ gegen die „Kommerzialisierung“, so daß der Cyberspace letztendlich doch „nichts anderes ist als ein neuer öffentlicher Raum“, in dem ähnliche Regeln 74 gelten wie im altbekannten städtischen Raum: „Öko“ gegen „bürgerliche Gesellschaft“. Die „Träume der utopistischen Pioniere“ vom Cyberspace als einer anderen Welt, in der Gleichheit, Demokratie und Partizipation herrschen, haben sich offensichtlich nicht erfüllt. Und auch der folgende Text berichtet von einem Kampf dieser Art: (11) [Die Gewerkschaft der Telekommunikationsarbeiter kappte aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen des US-Telekommunikationskonzerns Verizon dessen Leitungen mit Hilfe simpler Kneifzangen und verursachte damit einen vorübergehenden Zusammenbruch des gesamten Telekommunikationssystems an der amerikanischen Ostküste] [...] Die durchgeklemmten Kabel [...] sind der Beweis dafür, dass die Cyberwelt so virtuell denn auch nicht ist. [...] Die Arroganz mit der man, vom Neuen Markt aus, über die Realitäten der menschlichen Existenz außerhalb der Cybermetropolen hinweggesehen hat, muss zu einem bösen Ende führen. [...] Es hat den euphorisch in die Zukunft stürmenden Pionieren des digitalen Zeitalters gezeigt, dass es an der New Frontier des Cyberspace ganz reale, altmodisch analoge Grenzen gibt. [...] (SZ 12.08.00) Wie in Beispiel (10) ist der Cyberspace auch hier ein Raum, der zwar „virtuell“ ist, sich jedoch nicht sehr von der „realen“ Welt unterscheidet. Mit nahezu „altmodischen“ Mitteln (nämlich simplen Kneifzangen) kann sich ‘der kleine Mann’ gegen einen Großkonzern zur Wehr setzen und damit diesen „euphorisch in die Zukunft stürmenden Pionieren“ zeigen, daß es auch zur Eroberung der ‘neuen Welt’ eine Grenze zu überwinden gilt.191 Diese Grenze zwischen dem Cyberspace und der realen Welt wird auch in den beiden folgenden Textbeispielen thematisiert: (12) [Geschichte des Internet] [...] Après la conquête de l’Ouest et de l’espace – sidéral –, le cyberespace devient la nouvelle frontière à repousser, le nouvel eldorado. [...] (LMI 29.11.00) (13) [Interview mit David Post, Direktor des Cyberspace Law Institute an der Universität Temple/Philadelphia] [...] Thomas Jefferson voulait explorer l’Amérique, mais beaucoup de gens, y compris George Washington, étaient inquiets à l’idée d’aller à l’Ouest. Ils pensaient qu’il n’y aurait pas de lois, que ces nouvelles terres seraient difficiles à contrôler. L’Internet suscite le 191 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Verwendung des Begriffes „New Frontier“. Die „frontier“ ist ein zentraler Begriff des amerikanischen Paradigmas von der Eroberung des Westens – gemeint ist jene Grenze, die den von ‘Indianern’ besiedelten ‘wilden’ Westen von dem bereits eroberten Gebiet des ‘weißen Mannes’ trennte. Diese „inner frontier“ wurde Ende des 19. Jahrhunderts geschlossen, als das gesamte Land zwischen der Ost- und der Westküste erobert und verteilt war. Der „frontier spirit“ ist in der US-amerikanischen Gesellschaft bis heute fest verankert und beinhaltet Begriffe wie ‘Freiheit und Unabhängigkeit’. Vgl. hierzu z.B. Sieper (1988), S. 197f. Eine heute sehr einflußreiche Organisation zur Verteidigung des Internet vor staatlichen Reglementierungen knüpft an eben diesen „frontier spirit“ an: Sie nennt sich Electronic Frontier Foundation (EFF) und sieht eine neue, elektronische Grenze zwischen der realen Welt und der noch zu erobernden Welt des Cyberspace. Vgl. z.B. Kleinsteuber (1996b), S. 32f. 75 même genre d’interrogations. Je suis du côté de Jefferson: il aurait exploré le cyberespace. Une société a besoin d’une frontière vers laquelle lorgner. [...] Nous sommes sur le rivage de l’Internet, un nouvel endroit sauvage, intéressant, où les gens peuvent redémarrer de zéro et penser l’impensable. [...] (Lib 19.12.00)192 In beiden Beispielen wird die Erforschung bzw. Eroberung des Cyberspace explizit mit der Eroberung Amerikas gleichgesetzt. Wie einst die Grenze zum Westen Amerikas muß heute jene zum neuen Raum des Cyberspace überwunden werden – noch befinden wir uns erst an dessen „rivage“. Der „nouvel endroit“ ist „sauvage“ und „intéressant“ und bietet wie einst der unentdeckte amerikanische Westen die Chance, noch einmal von vorne zu beginnen und das Unmögliche möglich zu machen („redémarrer de zéro et penser l’impensable“) – er ist gar ein neues Eldorado. In Beispiel (12) wird der Cyberspace darüber hinaus mit dem Weltraum verglichen: Nach dessen Eroberung steht nun die Erforschung des ähnlich grenzenlosen Cyberspace auf dem Plan. In allen bisher betrachteten Texten wird der Cyberspace als ein Raum, eine neue Welt oder gar als neuer Kontinent wahrgenommen, in dem jeder die Möglichkeit hat, seine Ziele zu verwirklichen, wenn er einen gewissen Pioniergeist besitzt. Auffallend ist, daß sehr häufig Parallelen zur Eroberung des amerikanischen Kontinents gezogen werden, ja sogar das Paradigma des „frontier spirit“ auf den Cyberspace übertragen wird – und dies sowohl in französischen als auch deutschen Texten, also auch außerhalb des anglo-amerikanischen Sprach- und Kulturraumes. In beiden Sprachen steht der Cyberspace in einem Umfeld ähnlicher Schlüssellexeme wie etwa „Pioniere, Raum, neue Welt, Freiheit, Eroberung, Erforschung, Unendlichkeit, Zukunft, Reichtum/Goldrausch, Chancen, Regellosigkeit, Risiken, Gefahren“. Wie vermutet, scheint die Metapher des Cyberspace sowohl im Deutschen als auch im Französischen verstärkt dort verwendet zu werden, wo das Internet als ein Raum der ‘unbegrenzten Möglichkeiten’, der individuellen Freiheit, aber auch der Gefahren dargestellt werden soll. Häufig kann man beim Lesen eines solchen Textes sogar vorübergehend vergessen, daß hier ein neues Medium beschrieben wird – und eben kein realer Raum. 192 Es ist bei diesem Text allerdings darauf hinzuweisen, daß es sich hier um eine Übersetzung aus dem Englischen handelt; er kann also streng genommen nur mit Einschränkungen als französisches Sprachbeispiel gelten. 76 Es ist schwer vorstellbar, daß in den betrachteten Texten die Metapher des Cyberspace durch eine der beiden anderen in dieser Arbeit behandelten Metaphern ersetzt werden könnte – Formulierungen wie ‘die Eroberung der Datenautobahn durch Pioniere’ oder ‘die Gefahren des unendlichen globalen Dorfes’ sind doch eher unwahrscheinlich. Wie sieht es nun mit der These aus, die der Cyberspace-Metapher negative und bedrohliche Assoziationen wie Terrorismus, Kriminalität oder Realitätsflucht zuweist? Auch hierfür finden sich in beiden Korpora Belege: (14) [Hacker-Attacken und Viren bedrohen Wirtschaft und Politik] Cybercrime, que fait la police? [Überschrift] La Toile serait-elle devenue un repaire de malfrats en tout genre menaçant la sécurité des Etats pour que le G8 [...] décide de consacrer à la cybercriminalité une réunion spéciale [...] ? Pour que le Conseil de l’Europe projette de mettre sur pied une convention sur la criminalité dans le cyberespace? Pour que [...] la ministre de la justice américaine appelle [...] la création d’une police de l’Internet dont les cybershérifs pourraient délivrer des mandats d’arrêt internationaux? [...] Car les premières victimes des délinquants de la Toile, ce sont les entreprises. [...] L’actualité a montré que même les sites des géants de la Netéconomie que sont Yahoo! et Amazon étaient vulnérables [...]. [...] les Etats ne sont pas pour autant à l’abri de cyberattaques. [...] le cyberterrorisme est devant nous [...]. Après les frappes «chirurgicales», la guerre cybernétique! [...] Car la lutte contre la cybercriminalité en est encore à ses balbutiements, particulièrement en France. [...] Chaque Etat invoque la souveraineté nationale alors qu’Internet est un espace transfrontalier [...]. Faute d’un accord multilatéral, la lutte contre la cybercriminalité tant annoncée pourrait tourner à la guerre... des polices. (LMI 10.05.00) (15) [Hacker-Attacken auf Webseiten der US-Regierung] Les sites gouvernementaux américains victimes d’attaques musclées [Überschrift] [...] le site principal de l’US Army sur Internet était victime des hackers. [...] Cette nouvelle intrusion s’inscrit dans la vague de terrorisme cyberspatial qui a sévi aux Etats-Unis pendant le mois de mai. [...] Le simple fait de pénétrer dans le système informatique gouvernemental sans autorisation peut être sanctionné par une peine d’un an d’emprisonnement. Cela ne semble guère refroidir les ardeurs des hackers, qui multiplient leurs raids. [...] Le même jour, le site du Sénat était victime du même type d’attentat. [...] Une vingtaine d’autres sites Internet auraient également souffert d’attaques se traduisant par l’affichage de messages hostiles au FBI et précisant que son récent coup de filet avait déclenché une «véritable révolution» dans le milieu du piratage. [...] Au lieu de ne viser que l’exploit technique, les pirates pratiquent désormais des actions de représailles. De quoi inaugurer un terrorisme organisé dans le cyberespace. Longtemps solitaires, les hackers s’organisent en groupuscules [...]. (LMI 02.07.99) In beiden Texten scheint der Cyberspace ein ‘Hort des Bösen’ zu sein, ein „repaire de malfrats“, in dem sich Piraten, Hacker, Terroristen und andere Kriminelle organisieren, um – länderübergreifend – Wirtschaft und Politik zu bedrohen. Der Staat und die Polizei scheinen bisher machtlos gegen den sich anbahnenden „guerre cybernétique“, der immer mehr „victimes“ fordert. Sogar „géants“ wie Amazon oder Yahoo sind „vulnérables“ und „leiden“ unter den Attacken. In Beispiel (14) fällt eine Häufung von mit „cyber“ gebildeten Komposita ins Auge: cybercrime, cybercriminalité, cybershérifs, cyberattaques, cyberterrorisme, guerre cybernétique – 77 der Cyberspace ist hier ganz eindeutig Leitmetapher. In beiden Beispielen wirkt der Cyberspace bedrohlich und gefährlich; er ist hier in erster Linie ein Raum der unbegrenzten Möglichkeiten für Kriminelle. Auch im deutschen Korpus lassen sich hierfür Belege finden: (16) [Hacker legen die Webseiten großer Firmen lahm] Terroristen im Cyberspace [Überschrift] Im Grunde ist das ein Albtraum, [...] man kann das zu Recht als Cyber-Terrorismus bezeichnen. [...] Am Montag war die weltgrößte Internet-Suchmaschine Yahoo für drei Stunden von ComputerEindringlingen außer Gefecht gesetzt worden. [...] [Auch andere große Firmen] wurden Opfer unbekannter Computer-Piraten. [...] Der Angriff kam aus der Datenleitung [...]. [...] Auch das FBI, das in die Ermittlungen eingeschaltet wurde, hatte bereits im Dezember vor derartigen Überfällen gewarnt. [...] Überrascht zeigte sie [die Pressesprecherin von Yahoo] sich von der ungewöhnlichen Massivität des Angriffs: „Das war einfach nicht zu erwarten.“ (W 10.02.00) (17) [Kampf gegen Hacker-Attacken] Ausgehackt. Das attackierte Internet [Überschrift] Frühlingserwachen im Cyberspace. [...] Jedes Jahr, so ab Mitte Februar zeigen sich [neben den Hackern] die „Cyber-Hunter“ auch wieder an der Erdoberfläche. [...] Das Reagansche „Reich des Bösen“ aus dem Kalten Krieg hat dann in den kaum begreifbaren Gefilden des Virtuellen einen adäquaten Nachfolger gefunden. [...] Man kann sagen, wir sind im Krieg. Im Cyberkrieg. Es sei schon das „Vorspiel für ein elektronisches Pearl Harbor“ gewesen. In diesem Februar sind die Internet-Vandalen nun über kommerzielle Seiten hergefallen. [...] Seit dem 98er Hack gilt die Landesverteidiung im Cyberspace als Chefsache: Der [US-amerikanische] Präsident persönlich kümmert sich darum. [...] [Doch] die frisch eingerichteten kybernetischen Vereitelungseinheiten, die versuchen sollen, Hacker-Angriffe zurückzuverfolgen, [tappen] wie in jedem Februar im Dunkeln. (SZ 11.02.00) In beiden Beispielen wird von einem „Krieg“ gesprochen: Terroristen, Hacker, Vandalen, Eindringlinge und Piraten attackieren aus dem Cyberspace heraus „mit ungewöhnlicher Massivität“ die reale Welt, indem sie über deren Verbindungen in den Cyberspace (nämlich die Webseiten) „herfallen“. Die Angriffe gehen so weit, daß der Cyberspace analog zur Zeit des Kalten Krieges als neues, virtuelles „Reich des Bösen“ gesehen wird. Die Attacken und Überfälle bewirken gar einen ähnlichen Schock wie der japanische Angriff auf Pearl Harbor im 2. Weltkrieg – heute gibt es ein „elektronisches Pearl Harbor“. Noch stehen die „Cyber-Hunter“, die „kybernetischen Vereitelungseinheiten“ dem Hacker-Treiben relativ machtlos gegenüber, obwohl die „Landesverteidigung“ bereits zur „Chefsache“ des Präsidenten erhoben wurde. Doch die Ermittler geben nicht auf: (18) [Bericht über einen US-amerikanischen Ermittler gegen Hacker] Die Jagd nach Beezwax und Mafiaboy. [...] John Vranesevich, Ermittler im Cyberspace [Überschrift und Unterüberschrift] [...] „So stellt man sich einen Cyberterroristen wohl nicht vor“, auf dem ausgedruckten Foto ist ein Junge zu sehen [...]. [...] Ab und zu hat er die Cyberunterhaltung mit dem Jungen, dessen Foto er gerade ausgedruckt hat, kommentiert: „Asshole“ – „what the fuck“. [...] Dass man auf der Suche nach der Hackerpsyche in die amerikanische Pampa vordringen muss, ist bezeichnend in einem Krieg, der im Cyberspace stattfindet. [...] Auch er [John Vranesevich] hat im Cyberspace 78 mehrere Identitäten. [...] Doch in dieser Welt gilt nur eines: Traue keinem, niemals. Es ist eine Welt der falschen Identitäten und falschen Freunde. [...] (SZ 06.05.00) Auch hier ist der Cyberspace eine andere Welt, und zwar „eine Welt der falschen Identitäten und falschen Freunde“, in der sich Hacker und Cyberterroristen tummeln und von Ermittlern gejagt werden – die sich wie die Hacker selbst hinter mehreren Identitäten verstecken. Auch die Kommunikations- und Umgangsformen scheinen im Cyberspace rauher zu sein als in der realen Welt: Beleidigungen und Flüche sind in „Cyberunterhaltungen“ offensichtlich an der Tagesordnung. Sowohl in den französischen als auch in den deutschen Beispielen wird mit der Cyberspace-Metapher häufig ein gefährlicher Raum assoziiert, in dem sich vor allem Terroristen, Hacker, Kriminelle und Piraten aufzuhalten scheinen. Die ‘reale Welt’ ist diesen Feinden nicht gewachsen, selbst große Konzerne und staatliche Institutionen halten den Angriffen aus dem Cyberspace nicht stand – es herrscht Krieg zwischen zwei Welten. Daß jedoch umgekehrt auch der Cyberspace selbst als eine bedrohte Welt wahrgenommen wird, belegen folgende Textbeispiele: (19) [Wahl des europäischen Icann-Vertreters Andy Müller-Maguhn] [...] Pour défendre ses intérêts au sein de la très fermée Icann, l’Europe a choisi Andy Mueller-Maguhn [...]. [...] cet expert en informatique entend bien user de sa nouvelle position pour imposer sa vision du cyberespace. A commencer par « lutter contre l’influence excessive des intérêts commerciaux sur la Toile » [...]. (LMI 25.10.00) (20) [Icann-Wahl] [...] Contrairement au mythe selon lequel le Réseau des réseaux serait incontrôlable, il s’est de lui-même organisé et structuré autour de nombreuses associations privées ou publiques. [...] Créée en 1998 sur initiative du gouvernement américain, l’Icann a pour mission de prendre le contrôle, à partir de l’automne 2000, du cœur technique du Réseau. [...] Quiconque contrôle les noms de domaine possède une influence sur l’utilisation du cyberespace par les internautes [...]. [...] (LMI 28.06.00) (21) [Kritik an Icann] [...] Ein Mysterium, das die einen als kosmopolitische Internet-Regierung loben und andere als tödliche Bedrohung der Freiheit im Cyberspace sehen. [...] Angst vor Regulation und Dominanz ökonomischer Interessen hat die Netzgemeinde erfasst. [...] Er [Jon Postel] war einer der Gründungsväter des Internet und sein Chef-Verwalter, er war der Herr über die Nummern und Namen des Domain-Name-Systems, die im Cyberspace alles bedeuten. [...] Die so harmlos-technische Domainverwaltung ist ein machtvolles Instrument und zentral für jeden, der an der Kontrolle der Netzaktivitäten interessiert ist. Wer unliebsam ist, kann einfach „ausgeschaltet“ werden. Und dann geht es natürlich um Geld, viel Geld. [...] (SZ 25.07.00) (22) [Hacker-Proteste gegen die Kommerzialisierung des Internet] Heckenschützen gegen digitalen Kommerz [Überschrift] [...] Was einer Atombombe standhält, ist jedoch nicht unbedingt gegen Partisanen gefeit, die mit Guerrilla-Taktik aus dem Hinterhalt kämpfen. Als solche sehen sich viele Computerhacker: als aufrechte Krieger im Kampf um den Erhalt des demokratischen, nichtkommerziellen Cyberspace. [...] (SZ 12.02.00) 79 Hierzu paßt auch das bereits erwähnte Beispiel (10), in dem der Cyberspace als ein „bedrohter Frei- und Lebensraum“ bezeichnet wird, den es „vor parasitärer Profitlogik zu bewahren“ gilt. Allen hier genannten Beispielen ist gemeinsam, daß die Cyberspace-Metapher die Vorstellung eines gefährdeten Raumes evoziert. Gefahr droht von zweierlei Seiten: der Kontrolle und der Kommerzialisierung. Zum einen ist der Cyberspace von Regulierungsbestrebungen seitens der ‘Internet-Regierung’ Icann bedroht. In den Beispielen (20) und (21) wird vor dem großen Einfluß und der Macht dieser Institution gewarnt – die Unkontrollierbarkeit des Netzes sei schlicht ein „Mythos“. In den anderen Beispielen geht es um die zunehmende Kommerzialisierung, die den Cyberspace als freien Lebensraum bedroht. Beispiel (20) sieht in den Aktivitäten einiger Hacker keinen kriminellen Akt, sondern einen „Kampf um den Erhalt des demokratischen, nicht-kommerziellen Cyberspace“. Als „Heckenschützen“, „Partisanen“ und „Krieger“ kämpfen sie „mit Guerrilla-Taktik aus dem Hinterhalt“ gegen die sich immer weiter im Cyberspace ausbreitenden Konzerne, bieten ihnen also wie die „Netzaktivisten“ aus Beispiel (10) erbitterte Gegenwehr. Die genannten Beispiele scheinen also die These zu bestätigen, daß mit der Cyberspace-Metapher neben positiven auch eine Reihe negativer Assoziationen verknüpft werden. Zum einen erscheint der Cyberspace als eine von Hackern, Kriminellen und Terroristen besetzte Welt, zum anderen aber auch als ein Raum, dem selbst Gefahr droht. Dagegen läßt sich im gesamten Korpus nur ein einziger Beleg für die These finden, daß der Cyberspace als ein Ort der Realitätsflucht wahrgenommen wird: (23) [Bericht über internetsüchtige Studenten] Sie chatten, sie surfen und verschicken E-Mails in die ganze Welt. [...] Was lockt, ist einzig der Cyberspace – eine virtuelle Welt mit virtuellen Freunden. [...] Für Online-Junkies wird alles andere zur Nebensache. [...] (SZ 13.04.00) Die Cyberspace-Metapher scheint sich in diesem Zusammenhang also (noch) nicht durchgesetzt zu haben; die Internet-Sucht wird vermutlich zumeist auf andere Weise versprachlicht. Dennoch ist auch dieses Beispiel ein Beleg dafür, daß der Cyberspace als eine andere, nämlich „virtuelle Welt“ gesehen wird. Daß der Cyberspace nicht nur als ein von Pionieren zu erobernder Raum wahrgenommen, sondern bereits häufig als ein Ort betrachtet wird, dessen 80 unbegrenzte Möglichkeiten schon vielfältig genutzt werden, belegen folgende Textbeispiele: (24) [Bericht über die Nutzung des Internet für politische Zwecke, glossenhaft formuliert als ‘Nachhilfestunde’ für die ältere Generation] [...] Or le Net, dont le produit d’appel est précisément la liberté d’expression, peut t’aider à user de celle-ci sans effort, rapidement et à toute heure! [...] On est plus en 1936, Mamie! Ce site Web aurait été votre bunker: les autorités n’auraient franchement pas pu continuer d’ignorer votre détermination devenue soudain très encombrante pour eux dans le cyberespace. De là, vous auriez mené l’offensive [...]. [...] (Lib 23.02.01) Hier ist der Cyberspace ein Ort des Widerstands, aus dem heraus man „sans effort“ für seine Rechte kämpfen, ja sogar eine Offensive führen kann. Jeder kann hier problemlos von seinem demokratischen Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen. Darüber hinaus dient er als „Bunker“, bietet also Schutz vor den „autorités“. Auch im folgenden Beispiel steht die Cyberspace-Metapher in einem ähnlichen politischen Kontext: (25) [Im Internet gibt es bereits einen Palästinenser-Staat (in Form offizieller Webseiten)] La Palestine libre sur le Net [Überschrift] [...] Dans un pays encore largement occupé et morcelé, le réseau fait office de fenêtre ouverte sur l’extérieur. Yasser Arafat a réalisé son rêve d’indépendance, mais uniquement dans le cyberespace. [...] (Lib 13.06.97) In der Welt des Cyberspace ist schon verwirklicht, was in der realen Welt noch unmöglich ist: Hier gibt es bereits einen unabhängigen Palästinenser-Staat. Mit Hilfe des Netzes wird das „Fenster nach außen“ geöffnet, eine Verbindung zur wirklichen Welt geschaffen. Als eine solche Verbindung zweier Welten wird der Cyberspace auch in folgendem Beispiel gesehen: (26) [Internetprojekt im Berliner Gefängnis Tegel] [...] Die Website gibt Außenstehenden per virtueller „Einlassverfügung“ einen wirklich gut gemachten Einblick in die Gefängniswelt. Die Idee damals war, der Welt draußen per Cyberspace einen Einblick in die von Mauern umgebene Gefängniswelt zu geben. [...] (taz 13.12.00) Hier ist der Cyberspace offensichtlich ein Raum zwischen zwei Welten: der „Gefängniswelt“ und der „Welt draußen“. Er bietet den Gefängnisinsassen die Chance, den Kontakt zur Außenwelt zu wahren – und den „Außenstehenden“ die Möglichkeit, einen „Einblick“ in das Leben einer für sie unbekannten, von Mauern umgebenen Welt zu erhalten. Im Cyberspace sind auch Reisen in die Vergangenheit möglich: 81 (27) [Bericht über eine neu entwickelte Museums-Software] Im Cyberspace wird Troja wieder aufgebaut [Überschrift] Das was Schliemann an der türkischen Südküste einst entdeckt hat, soll nun im Cyberspace virtuelle Realität (VR) werden – unter dem Namen Troja VR. Ein Projekt, das alle bisher bekannten archäologischen VR-Modelle weit übertreffen soll, da nicht nur die urbanen Anlagen virtuell begehbar sein werden, sondern auch die jeweilige Landschaft. [...] Das Besondere an diesen Cyberspace-Welten sind die enormen Datenmengen, die in Echtzeit aktiviert, geordnet und je nach Anforderung umgruppiert werden müssen. [...] Mit Unterstützung des Deutschen Archäologischen Institutes in Kairo soll die VR-Applikation so weit „aufgerüstet“ werden, dass virtuelle Zeitreisende sich auch in die angrenzenden Kulturen des Pharaonenreiches zoomen können. [...] (W 13.02.01) Der Cyberspace bietet die Möglichkeit, „virtuelle Zeitreisen“ zu unternehmen. Er erscheint hier als ein Raum, der regelrecht bebaut werden kann: Troja wird wieder „aufgebaut“, und seine Anlagen sowie die Landschaft der Umgebung werden „virtuell begehbar“ sein, als handele es sich hier wirklich um eine Welt, in der man sich wie in der realen Welt bewegen kann. Diese Möglichkeit des Sich-Bewegens im Cyberspace wird auch im folgenden Beispiel beschrieben, hier allerdings aus einem kritischen Blickwinkel: (28) [Interview mit Philippe Breton, französischer Soziologe und Internet-Kritiker] [...] Un culte se développe à l’intérieur des milieux d’Internet. Je ne parle pas des personnes pour qui Internet est un outil de travail, mais d’un petit groupe qui a vu dans Internet une occasion de fétichiser la technique et d’affirmer d’autres idées [...]. [...] Le cyberespace permettrait de se débarrasser de la «lourdeur» du corps. [...] Pour eux, Internet n’est pas un simple outil qui s’ajoute à d’autres, mais une révolution globale [...]. [...] (LMI 29.11.00) Hier wird genau jene fast euphorische Sichtweise des Internet kritisiert, die den Cyberspace als einen Raum betrachtet, in dem man sich bewegen könne, weil man von der „Schwere seines Körpers“ befreit sei. Dies gehe soweit, daß das Internet von einem kleinen Teil der Gesellschaft („un petit groupe“) als ein Kult fetischisiert und als „révolution globale“ verstanden werde. Es ist einer der wenigen Texte im Korpus, die sich kritisch mit eben dieser Auffassung vom Cyberspace als Parallelwelt auseinandersetzen und dafür plädieren, das Internet schlicht als „Werkzeug“, als Medium zu sehen. Dagegen ist der folgende Textausschnitt wiederum ein Beispiel für die vielfach vertretene, nahezu schwärmerische Sicht des Cyberspace als einer anderen, besseren Welt: (29) [Interview mit dem kanadischen Philosophen und Internet-Befürworter Pierre Lévy] [...] Je veux dire qu’aujourd’hui, le cyberespace est le ferment de la civilisation, comme l’imprimerie le fut à la fin du XVe siècle. [...] Notre culture devient plus sophistiquée. Toutes les traditions de pensé, 82 toutes les lignées de pratiques se retrouvent aujourd’hui dans le cyberespace. [...] L’éthique de l’intelligence collective, qui consiste à entrelacer les points de vue différents, se manifeste largement dans le cyberespace. [...] Un nouvel espace public émerge. [...] Le débat social et politique est extrêmement vif et animé dans le cyberespace. C’est vraiment l’invention d’une nouvelle forme d’agora, d’une nouvelle façon de faire de la politique. (LMI 29.11.00) Der Cyberspace wird hier als „ferment de la civilisation“ idealisiert, mit dessen Hilfe sich die Kultur – wie seinerzeit mit der Erfindung der Druckkunst – weiterentwickeln werde. Im Cyberspace finden sich nach dieser Auffassung sämtliche Traditionen des Denkens, ja sogar „l’éthique de l’intelligence collective“ wieder. Einmal mehr wird er als ein neuer Raum betrachtet, und zwar als ein öffentlicher Raum, in dem ein lebhafter sozialer und politischer Austausch stattfindet. Der Cyberspace wird hier mit der antiken griechischen Agora verglichen, bildet also das Zentrum des politischen und geschäftlichen Lebens. Wie in zahlreichen der bisherigen Beispiele wird die Cyberspace-Metapher auch hier in einer Weise verwendet, die den Leser fast vergessen läßt, daß nicht von einem neuen Raum die Rede ist, sondern von einem neuen Medium. Genau dieses Phänomen wird im folgenden Beispiel thematisiert: (30) [Besprechung eines Internet-Sachbuches] [...] Die digitale Welt hinter dem Computerbildschirm ist für unzählige Internet-Benutzer Alltag geworden, und damit das Bewusstsein eines neuen Raums, der Schätzungen zufolge alle drei Monate sein Volumen um 25 Prozent vergrößert. Tatsache ist auch, dass das physikalisch nicht zu verortende Net von den Benutzern als ein „Ort“ empfunden wird, an den man sich, zumindest mit einem Teil seines Selbst, hinbegibt: der Cyberspace. [...] [Es] entstand mit dem Cyberspace ex nihilo ein gänzlich neuer Raum, der sich der physikalischen Erfassbarkeit entzieht. [...] (SZ 18.10.00) Dieser Textausschnitt faßt im Grunde das zusammen, was viele Internet-Nutzer in dem neuen Medium sehen: einen sich ständig vergrößernden Raum ‘hinter dem Bildschirm’, eine digitale Welt, die zwar physikalisch nicht zu lokalisieren ist, in die man sich jedoch trotzdem hineinbegeben kann. In einem solchen Text erscheint die Verwendung der Cyberspace-Metapher logisch, evoziert sie doch offensichtlich, wie auch die Beispiele (1) bis (29) zeigen, das Bild eines „gänzlich neuen Raumes“. Alle behandelten Textbeispiele scheinen in der Tat die These zu belegen, daß mit der Cyberspace-Metapher sowohl im Deutschen als auch im Französischen die Vorstellung eines weiten, zumeist sogar grenzenlosen Raumes assoziiert wird. Diesem Raum werden sowohl positive als auch negative Eigenschaften zugeschrieben: Zum einen ist es eine neue, freie Welt der unbegrenzten 83 Möglichkeiten und Chancen, zum anderen drohen hier jedoch Gefahren. Umgekehrt wird hier aber auch häufig ein Raum beschrieben, der selbst in seiner Freiheit gefährdet ist – sei es durch die zunehmende Kommerzialisierung oder durch übermäßige Kontrollbestrebungen und Machtinteressen diverser Institutionen. Die relativ große Bandbreite der Kontexte, in denen die Cyberspace-Metapher Verwendung findet, weist sie als eine vielfältig einsetzbare Metapher aus. Daraus resultierende Vermutungen, es handele sich hier um eine Universal-Metapher, die mittlerweile generell als Synonym für ‘das Internet’ gebraucht werde, sind jedoch zurückzuweisen: Sie scheint fast ausschließlich in jenen Kontexten aufzutauchen, in denen das Internet als ein neuer Raum bzw. eine neue Welt gesehen wird – sei es als chancenreiche oder gefährliche Welt. Häufig steht die Cyberspace-Metapher in einem isotopischen Umfeld von Schlüssellexemen, das den Leser fast vergessen läßt, daß hier eigentlich ‘nur’ ein Medium beschrieben wird. Und wie vermutet, ist der Cyberspace in beiden betrachteten Sprachen ähnlich konnotiert; es scheint hier keine nennenswerten Differenzen in der Verwendung zu geben. Auffallend ist die Tatsache, daß in keinem der behandelten Texte gleichzeitig die Metaphern der Datenautobahn oder des globalen Dorfes auftauchen. Diese scheinen also offensichtlich in anderen Kontexten verwendet zu werden. Ob die in Kapitel 5 aufgestellten Thesen auch für diese beiden Metaphern zutreffen, wird im folgenden näher beleuchtet. 6.3 Die Datenautobahn – eine schnelle und leistungsfähige Technologie in einer guten Infrastruktur? Im Gegensatz zur Cyberspace-Metapher ist bei der Metapher der Datenautobahn bzw. autoroute de l’information nicht zu erwarten, daß sie hauptsächlich in Kontexten auftritt, in denen es um eine ‘neue, grenzenlose Welt’ geht. Die in Kapitel 5 herausgearbeiteten Assoziationen und Konnotationen lassen eher vermuten, daß die Datenautobahn vor allem mit Geschwindigkeit, Leistungsfähigkeit und Zukunftstechnologie in Verbindung gebracht wird. Darüber hinaus ist zu erwarten, daß sie aufgrund ihrer Herkunft verstärkt in politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen verwendet wird. Interessant ist bei dieser Metapher die Frage, ob 84 es angesichts des unterschiedlichen Stellenwertes der ‘echten’ Autobahnen in der jeweiligen Gesellschaft zu Differenzen in der Konnotation kommt und sich der Gebrauch der Datenautobahn somit von dem der autoroute de l’information unterscheidet. Ein Ergebnis kann bereits an dieser Stelle vorweggenommen werden: Es lassen sich im Korpus tatsächlich zahlreiche Belege dafür finden, daß diese Metapher im Deutschen und Französischen unterschiedlich eingesetzt wird. Dies gilt sowohl für den Kontext als auch für die rein sprachliche Verwendung. So tritt die autoroute de l'information zum Beispiel weitaus häufiger in politischen Zusammenhängen auf als ihr deutsches Äquivalent: (1) [Bericht über eine französische Tagung zur Zukunft der Informationsgesellschaft unter Vorsitz von Präsident Jacques Chirac im Januar 2001] Jacques Chirac à Autrans: pour un réseau sécurisé et rapide pour tous [Überschrift] Pas d’Internet rapide sans Internet pour tous. Tel est le mot d’ordre [...]. «Comment faire en sorte que l’accès à l’Internet soit garanti à tous les territoires?» et «comment assurer la sécurité des réseaux?» demandait le chef de l’Etat. L’inquiétude de «voir le progrès profiter exclusivement aux grands pôles urbains», celle pour les zones rurales «de ne pas être désservies par les autoroutes de l'information comme certaines ont été tenues à l’écart des grands axes routiers et ferroviaires» ne seraient pas sans fondement pour Jacques Chirac. [...] (LMI 15.01.01) (2) [Bericht über ‘Cœur de réseau’, eine von der französischen Regierung geplante, hochleistungsfähige 2. Internet-Generation] [...] C’est un projet très ambitieux, présenté comme une sorte d’Internet II à la française, plus fiable, plus rapide. Cité Cœur de réseau [...] se veut l’embryon des futures autoroutes de l'information. [...] Près de 23 millions de francs, dont 10 millions de subventions au titre du programme Autoroutes de l’information du ministère de l’Industrie, ont été dépensés pour bâtir un réseau informatique s’appuyant sur des technologies dernier cri [...]. [...] (Lib 19.12.97) (3) [Bericht über den im Vergleich zu den USA verspäteten Durchbruch des Internet in Frankreich] [...] «L’entrée de la France dans la société de l’information constitue un enjeu décisif pour l’avenir.» Lionel Jospin, premier ministre. [...] Al Gore, qui ne s’est pas privé de rappeler durant sa campagne qu’il était le «père» d’Internet, est le premier à construire un programme politique qui intègre les technologies de l’information. C’est pour une autre campagne [...] que ce fils d’un des principaux architectes du réseau autoroutier américain sort de son chapeau [...] le concept d’«autoroutes de l’information». [...] Les autoroutes de l’information mettront tout de même cinq ans à trouver un pont pour traverser l’Atlantique. [...] [Lionel Jospin:] «L’essor des nouveaux réseaux d’information et de communication offre des promesses sociales, culturelles et, en définitive, politiques [...].» [...] (LMI 29.11.00) In allen genannten Beispielen wird die autoroute de l'information in einem politischen Zusammenhang verwendet, und zwar in einer Weise, wie es gemäß ihrer Herkunft zu erwarten ist: Sie wird von hochrangigen französischen Politikern gebraucht, wenn es um offizielle Regierungsprogramme zur Entwicklung des Internet bzw. zur Verbreitung des Mediums in ganz Frankreich geht. So ist es nicht verwunderlich, daß ein Programm des Industrieministeriums zum Aufbau eines 85 Hochleistungs-Internet den Titel „Programme Autoroutes de l’information“ trägt. Die autoroutes de l'information werden von der Politik als Zukunftschance begriffen, weshalb es von größter Wichtigkeit ist, allen Menschen im Land Zugang zum Internet zu verschaffen: „Internet pour tous“ lautet die Parole – „le mot d’ordre“ –, die vom französischen Präsidenten, also von ‘ganz oben’ lanciert wird. Die autoroutes de l'information werden mit den ‘echten’ Verkehrswegen verglichen, doch im Gegensatz zu diesen „grands axes routiers et ferroviaires“ sollen mit ihnen diesmal auch die ländlichen Gebiete Frankreichs erschlossen werden, damit diese nicht wieder „à l’écart“ bleiben. Die autoroute de l'information erscheint hier wirklich als ‘Chefsache’ der französischen Politik – schließlich bildet der Eintritt Frankreichs in die Informationsgesellschaft nach Auffassung des Premierministers Lionel Jospin „un enjeu décisif pour l’avenir“. Der Geschwindigkeits-Aspekt ist zwar auch von Bedeutung („pour un réseau sécurisé et rapide“, „Internet II à la française, plus fiable, plus rapide“), er scheint jedoch dem der ‘sozialen Gerechtigkeit’ nachgeordnet zu sein: „Pas d’Internet rapide sans Internet pour tous“. Es ist überhaupt auffallend, daß die französische Metapher verstärkt in Kontexten auftaucht, in denen es um soziale Belange geht: (4) [Bericht über die hohen Kosten des Internet] Les oubliés de la Toile [Überschrift] Il y a ceux qui ont fait le choix de se déconnecter. Et puis il y a ceux, nombreux, qui assistent au développement d’Internet et des nouvelles technologies sans pouvoir y participer, faute de moyens financiers ou de connaissances. [...] Est-il pour autant logique de laisser définitivement sur le bord des autoroutes d l’information les personnes en grande difficulté sociale? [...] (LMI 31.10.01) (5) [‘Multimediales Nord-Süd-Gefälle’ zwischen den reichen Industriestaaten und den armen Entwicklungsländern] [...] l’accès aux autoroutes de l’information creuse au Nord et au Sud, entre le Nord et le Sud, le gouffre des disparités économiques, sociales, culturelles. [...] (H 18.11.99) (6) [Konferenz der nicht-kommerziellen und nicht-staatlichen Internet-Akteure in Barcelona] Les réseaux citoyens tentent de se rassembler [Überschrift] [...] «Les Etats ne font pas de place aux réseaux citoyens, qui véhiculent d’autres valeurs que celles du secteur marchand», se plaint Valérie Peugeot, coorganisatrice du congrès et membre de Vecam (Veille européenne et citoyenne sur les autoroutes de l’information et le multimédia) [...]. Alors que faire? «Rassembler nos forces et nous organiser pour faire pression sur le pouvoir politique et défendre notre vision d’un Internet citoyen et solidaire.» [...] (LMI 15.11.00) Bei der in Beispiel (6) genannten Vecam (Veille européenne et citoyenne sur les autoroutes de l’information et le multimédia) handelt es sich um eine 1995 gegründete, nicht-staatliche europäische Organisation mit Sitz in Frankreich, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den Menschen aller Gesellschaftsschichten Zugang zu den 86 neuen Medien zu verschaffen, um soziale Benachteiligungen zu verhindern. Zu diesem Zweck sollen sogenannte Bürgernetze entstehen.193 Es ist bezeichnend, daß eine Organisation, die sich für eine gerechte und flächendeckende Verbreitung der neuen Medien einsetzt, die autoroute-Metapher in ihrem Namen trägt. Mit dieser Metapher scheint, wie auch die vorigen Beispiele zeigen, im Französischen vor allem der Aspekt eines ‘Internet für alle’ assoziiert zu werden – und dies gilt sowohl für Politiker als auch für Bürgerbewegungen. So paßt es ins Bild, daß die Metapher auch in Pressetexten vor allem dort verwendet wird, wo es um die für viele Gesellschaftsschichten zu hohen Internet-Kosten (Beispiel 4) oder das ‘multimediale Nord-Süd-Gefälle’ zwischen den Industriestaaten und Entwicklungsländern (Beispiel 5) geht. Bei der Betrachtung deutscher Zeitungsartikel ergibt sich dagegen ein ganz anderes Bild. Es lassen sich im Korpus keinerlei Belege dafür finden, daß die Datenautobahn in einem ähnlichen sozialen oder politischen Kontext auftritt wie die autoroute de l'information. Wenn sie in einem politischen Zusammenhang gebraucht wird, ist das Thema zumeist weniger brisant: (7) [Der Regierende Bürgermeister Berlins, Eberhard Diepgen, absolviert eine Internet-Schulung] [...] Ganz demonstrativ beschritt Diepgen gestern nun offiziell die Datenautobahn. In einer IBM-Schulung – ein Geburtstagsgeschenk von Kollegen – absolvierte er einen so genannten Internetführerschein. [...] Kurz vor dem Start ins Netz hatten Fernsehvertreter die Gelegenheit, investigative Fragen zu stellen. [...] Kurzzeitig verirrte sich Diepgen doch auf der Datenautobahn und mutierte zum Geisterfahrer. Bei seiner Irrfahrt streifte er eine junge Journalistin mit der Gegenfrage: „Wann haben Sie denn mal den letzten Zehn-Seiten-Brief geschrieben? Das gabs doch nur noch bei Ihrer Großmutter.“ [...] (taz 03.02.01) Zwar ist der in diesem Beispiel genannte „Internetführerschein“ ein offizielles Zertifikat, das von der Europäischen Union konzipiert wurde und mit seiner Bezeichnung ausdrücklich auf die Datenautobahn-Metapher verweist, doch im Grunde dient der Führerschein in diesem Text nur als ‘Aufhänger’. Die Datenautobahn wird hier eher spielerisch verwendet – Eberhard Diepgen „verirrt“ sich auf ihr, wird zum „Geisterfahrer“ und „streift“ eine Journalistin. Es werden also Lexeme aktiviert, die zum Konzept der ‘echten’ Autobahn gehören. Der politische 193 Auf ihrer Homepage schreiben sie: „L’association Veille européenne et citoyenne sur les autoroutes de l’information et le multimédia (Vecam) est à la fois un lieu de réflexion sur les impacts des nouveaux multimédias, un réseau d’échange d’expériences sur l’utilisation des nouvelles technologies de l’information pour lutter contre l’exclusion sociale et un organisme de formation pour démocratiser l’usage de ces technologies.“ (Vecam 2001, http://www.vecam.org). 87 Kontext steht hier im Gegensatz zu den französischen Beispielen eindeutig nicht im Vordergrund. Die Datenautobahn-Metapher scheint weitaus häufiger mit der realen Autobahn in Verbindung gebracht zu werden als ihr französisches Äquivalent. Dies gilt sowohl für den Aspekt der Geschwindigkeit als auch für andere autobahntypische Assoziationen: (8) [Internet-Nutzung im Geschäftsleben] [...] Die großen Business-Provider wie Uunet, Xlink, Nacamar oder die Deutsche Telekom bieten für jede Anforderung die geeignete Auffahrt zur Datenautobahn. Von der einfachen Wählverbindung über Standleitung und Hochgeschwindigkeitsanbindung bis zur Satellitenverbindung ist fast alles erhältlich. [...] (SZ 23.02.00) (9) [Bedeutung von Logistik-Unternehmen für den E-Commerce] [...] Und während der UPS-Laster in den Feierabendstau auf der A 43 aufbricht, hat die E-Bestellung ihre Reise auf der Datenautobahn längst beendet. Nächste Station, online wie offline: das UPS-Umschlagzentrum in Herne. [...] (W 13.12.00) (10) [UMTS-Technik] Von unterwegs ein schneller Ausflug auf die Datenautobahn [Überschrift] Mobile Datenreisen mit Höchstgeschwindigkeit bietet ab 2002 die dritte Mobilfunkgeneration [...] an. [...] (W 01.12.00) (11) [UMTS-Technik im Auto] Der Verkehr auf der Daten-Autobahn nimmt zu [Überschrift] [...] Telematik heißt die Technik, die das Auto überhaupt erst auf die Datenautobahn bringen soll. [...] (SZ 21.10.00) (12) [technische Neu-Entwicklungen im Internet-Bereich] Sichere Abfahrten auf der Datenautobahn [Überschrift] [...] Die Staus auf den Datenautobahnen kommen jedoch nicht nur durch überlastete Übertragungsleitungen zustande. Sie werden auch durch die Verbindungsstellen verursacht, in denen Schalter den Signalfluss steuern: quasi den Auf- und Abfahrten auf die Autobahnen. [...] (SZ 23.02.00) (13) [überlastete Leitungen] [...] Oft sind die Leitungen aber hoffnungslos überlastet, und wenn eine Verbindung zustande kommt, entpuppt sich die Datenautobahn eher als digitale Tempo-30Zone. [...] (SZ 14.04.00) (14) [neuer Mobilfunkstandard GPRS] [...] Bis die Netze komplett mit den breiten Auffahrten auf die Datenautobahn ausgestattet sind und endlich Vollgas mit 112 Kbits/s gegeben werden kann, wird es wohl noch ein paar Monate länger dauern. [...] (SZ 03.11.00) (15) [Vorteile von Glasfaserkabeln] [...] Ohne Glasfaserkabel läuft im Internet nichts. Müssten sich die Bits und Bytes durch Kupferkabel quälen, stünden die Surfer noch viel häufiger im Datenstau als jetzt schon. Für die meisten Nutzer endet die Datenautobahn allerdings in Sichtweite der eigenen Wohnung oder des Büros. [...] Doch das könnte sich bald ändern. [...] (SZ 01.08.00) Diese Beispiele sind charakteristisch für die Verwendung der DatenautobahnMetapher im deutschen Sprachgebrauch. Sie steht meistens in einem isotopischen Umfeld von Lexemen, die dem Konzept der realen Autobahnen entstammen. So gibt es sichere und breite Auf- und Abfahrten, man kann Vollgas geben (wobei die 88 üblichen km/h einfach durch „Kbits/s“ ersetzt werden), erreicht Höchstgeschwindigkeiten – oder steht im Stau. Man kann hier sogar Geisterfahrern begegnen (siehe Beispiel 7). Mit der Datenautobahn-Metapher wird also auf Erfahrungswerte referiert, die der Sprecher mit dem wirklichen Befahren von Autobahnen assoziiert. Zuweilen werden auch direkte Vergleiche zwischen ihnen gezogen, wie Beispiel (9) belegt („Feierabendstau auf der A 43“ vs. „Reise auf der Datenautobahn“). Der „Stau auf der Datenautobahn“ ist eine häufig gebrauchte Metapher, wenn es um überlastete Datenleitungen geht – was nicht überrascht, wenn man sich das als ‘typisch deutsches Autofahrer-Ärgernis’ empfundene Stau-Problem auf den Autobahnen vergegenwärtigt.194 Auf ein ähnlich charakteristisches Ärgernis wird in Beispiel (13) Bezug genommen: Hier wird das Internet gar zur „digitalen Tempo-30-Zone“ – man kommt also nur sehr langsam voran. Belege dieser Art sind im französischen Sprachgebrauch dagegen sehr rar. Im gesamten Korpus läßt sich nur ein einziges Beispiel ausmachen, in dem ebenfalls auf das Stau-Problem referiert wird: (16) [Überlastete Internet-Leitungen] [...] Tous les internautes le savent, le principal problème d’Internet, c’est sa lenteur. Victime de son succès, le réseau des réseaux connaît parfois des embouteillages. Deux raisons à cela: le nombre toujours croissant d’internautes et des données de plus en plus volumineuses (images, sons, animations) congestionnent les autoroutes de l’information, constituées de lignes téléphoniques, de câbles et de liaisons satellites. [...] (H 06.05.00) Das Stau-Phänomen scheint sich also hauptsächlich im deutschen Sprachgebrauch niederzuschlagen. Ähnliches gilt für den Geschwindigkeits-Aspekt: Während die deutsche Datenautobahn vor allem in Kontexten auftaucht, in denen es um die Leistungsfähigkeit und Schnelligkeit des Internet geht, finden sich hierfür im Französischen nur sehr wenige Belege. Hier scheinen bei der Verwendung der autoroute-Metapher eher die Kosten des Internet und die damit verbundenen sozialen Aspekte im Vordergrund zu stehen, wie die Beispiele (1) bis (6) belegen. Es ist zu vermuten, daß dies tatsächlich am unterschiedlichen Stellenwert der Autobahn in der jeweiligen Gesellschaft liegt. Während auf deutschen Autobahnen – zumindest theoretisch – das Recht auf schnelles und kostenfreies Fahren herrscht, wird auf den französischen Schnellstraßen nicht nur die Geschwindigkeit beschränkt, sondern 194 Dies wird übrigens auch in anderen Bereichen deutlich: So war das alljährlich von der Gesellschaft für deutsche Sprache gewählte ‘Wort des Jahres’ 1997 der „Reformstau“ (vgl. Duden 2000, S. 1155), während bei der Hamburger Justiz häufig der „Verfahrensstau“ beklagt wird. 89 darüber hinaus eine Benutzungsgebühr erhoben (was finanziell schwächer gestellte Bürger von der regelmäßigen Nutzung ausschließt). Somit unterscheiden sich die ‘Autobahn-Erfahrungen’ in den beiden Gesellschaften grundlegend. Folgerichtig ist die Metapher der Datenautobahn anders konnotiert als ihr französisches Pendant. Dies zeigt auch der folgende Textausschnitt, in dem explizit auf den „péage“ verwiesen wird: (17) [Abschaffung der Internet-Gebühren bei einigen französischen Providern] Internet sans péage [Überschrift] [...] Fin des péages sur les autoroutes de l’information? Dès cet été, c’est fait! Il faudra, bien sûr, continuer à payer le carburant, c’est-à-dire les consommations téléphoniques. Toutefois, le coût du surf, de la balade sur Internet, sera moindre. [...] (H 24.06.99) Die unterschiedliche Konnotierung wirkt sich auf die Verwendung der Metapher aus. So kann es passieren, daß die deutsche Datenautobahn sogar in Kontexten auftaucht, in denen es gar nicht um das Internet geht. Das Stau-Problem scheint ein im deutschen Sprachgebrauch internalisiertes Phänomen zu sein, wie eine Glosse aus der taz zeigt. Sie handelt vom Berliner Verkehrssenator, dem das allgemeine Verkehrschaos auf den Straßen der Hauptstadt angelastet wird. Als es einmal völlig unerwartet nicht zum Stau kam, entstand folgender Artikel: (18) Nix los auf der Avus. Stau-Senator versagt [Überschrift] Seit Monaten hat die Stadt gezittert. Und jetzt das. Stau-Senator Peter Strieder [...] versagt auf der ganzen Avus. Nicht einmal ein ordentliches Verkehrschaos am Dreieck Funkturm kriegt der zuständige SPD-Senator hin. Warum das Nadelöhr unverstopft blieb – niemand weiß es. Sind die Autofahrer auf die Datenautobahn geflüchtet, um virtuell zur Internet World aufs Messegelände zu rasen? Haben sie in der S-Bahn aus Angst vor Kontrollettis gezittert, oder heizten die Potsdamer Pendler über Zehlendorfer Kopfsteinpflaster-Nebenstraßen? [...] (taz 23.05.00) Hier dient die Datenautobahn-Metapher als Wortspiel in einem Artikel, der ein reales Verkehrsproblem, und eben nicht den ‘Datenverkehr’ im Internet thematisiert. Ein Vergleich bietet sich an, weil zur selben Zeit zufällig eine Internet-Messe in Berlin stattfindet. Es ist auffallend, daß sich die spielerische Verwendung dieser Metapher im deutschen Sprachgebrauch weitaus häufiger findet als im französischen: (19) [Zwei Jura-Studenten hatten Gutachten per Internet angeboten] Ausgebremste Juristen [Überschrift] [...] Für zwei Freiburger Studenten führte die Datenautobahn rasch auf den Rechtsweg: Die beiden Jungjuristen boten im Internet Gutachten an, wurden aber per einstweiliger Verfügung von einer Anwaltskanzlei gestoppt. [...] (SZ 07.11.00) (20) [Bericht über die ‘Münchner Mädchencomputertage’] Mädchen und Mäuse auf der Datenautobahn [Überschrift] [...] Bewerbungen via Internet, Homepage basteln, mailen, 90 chatten, recherchieren, surfen – der Schwerpunkt liegt klar auf dem Fahren auf der Datenautobahn. [...] (SZ 12.07.00) (21) [hohe Beliebtheit von Autorennsport-Webseiten] [...] Doch bei den sportlich interessierten Internet-Freaks ist alles rund um die Formel 1 trotzdem der Renner auf der Datenautobahn. [...] (W 08.04.00) (22) [private Homepages] [...] Und wie kriegt man Besucher auf die Homepage? Indem man sich in Suchmaschinen einträgt. [...] So wird auch die selbstgebaute Homepage gefunden, selbst wenn sie nur eine kleine Hütte irgendwo an der Datenautobahn ist. (W 24.12.00) (23) [Glosse über den Untergang ‘altmodischer’ deutscher Wörter zugunsten von modischen Neologismen wie ‘Frühstücks-Cerealien’] [...] Ich vermisse in letzter Zeit so dies und jenes. Vor allem Wörter. „Aufschneider“ zum Beispiel scheint es im Sprachgebrauch der Slasher-gestählten nachwachsenden Generation nicht mehr zu geben. [...] Oder das schöne Bild von der „Zwickmühle“. [...] Aber letztlich sei das doch alles nicht so schlimm, [...] ein jegliches habe eben seine Zeit. A propos: „Schnelllebig“ ist in Zeiten der Datenautobahn wohl auch schon wieder zu langsam. (taz 12.08.00) In all diesen Beispielen wird die Datenautobahn-Metapher als sprachspielerisches Element verwendet und bildet Isotopien mit anderen metaphorischen Ausdrücken. Juristen werden „ausgebremst“ und „gestoppt“ und landen via Datenautobahn auf dem „Rechtsweg“, Mädchen „fahren“ auf der Datenautobahn, die Formel 1 ist nicht nur auf der Piste ein „Renner“, und die private Homepage wird zur „Hütte“ an der Datenautobahn. Der Textausschnitt (23) ist ein weiteres Beispiel für die Verwendung in einem Kontext, der nicht das Internet behandelt: In einer Glosse, die sich ausdrücklich mit dem Niedergang ‘altmodischer Wörter’ zugunsten von Neologismen auseinandersetzt, darf die Metapher der Datenautobahn offensichtlich nicht fehlen. Daß sie zu dem als altmodisch empfundenen Lexem „schnelllebig“ in Beziehung gesetzt wird, weist einmal mehr auf die Bedeutung des GeschwindigkeitsAspektes hin. Während der spielerische Gebrauch der Datenautobahn-Metapher im Deutschen sehr verbreitet ist, finden sich im Französischen hierfür kaum Belege. Im französischen Korpus läßt sich nur ein Artikel nachweisen, in dem die autoroute-Metapher als Wortspiel verwendet wird: (24) [Kritik an der Kommerzialisierung] Le Net, c’est l’apothéose du frivole et du mercantile, des autoroutes de la consommation plus que de l’information. [...] Bienvenue sur les autoroutes de la consommation: vous êtes prié d’acquérir, au premier péage, un ordinateur équipé du processeur Intel Pentium. [...] (Lib 21.05.98) 91 In einer ironisch formulierten, kritischen Auseinandersetzung mit der zunehmenden Kommerzialisierung des Internet werden die autoroutes de l’information zu „autoroutes de la consommation“. Und auch hier wird wieder auf die Kosten Bezug genommen: Zum Befahren der autoroute ist gleich an der ersten péage-Station die Gebühr zu entrichten – in Form eines Computers mit Intel-Pentium-Prozessor. Daß die Metapher der autoroute de l’information offensichtlich relativ selten zu Wortspielen herausfordert, erscheint auf den ersten Blick atypisch für die französische Sprache, in der jeux de mots eigentlich seit jeher sehr verbreitet sind. Es ist zu vermuten, daß dies an dem bereits mehrfach erwähnten Stellenwert der realen Autobahnen liegt – sie scheinen in der französischen Gesellschaft weitaus weniger fest verankert zu sein als hierzulande. Die relativ große Bedeutung der Autobahnen in der deutschen Gesellschaft führt im deutschen Sprachgebrauch offensichtlich zu einer Fülle weiterer metaphorischer Ausdrücke aus dem Autobahn- bzw. Automobilkonzept. Dieser Unterschied scheint in der Tat die These von Lakoff/Johnson zu belegen, nach der Metaphern soziokulturelle Phänomene widerspiegeln und es demzufolge zu Differenzen zwischen zwei Sprachgemeinschaften kommen kann.195 Das quantitative Übergewicht deutscher Datenautobahn-Beispiele gegenüber französischen autoroute-de-l’information- Texten (15 vs. 9) ist kein Zufall: Tatsächlich wird die deutsche Metapher in Presseberichten deutlich häufiger verwendet als ihr französisches Pendant. Dennoch scheint es sich in beiden Sprachen um eine bereits konventionalisierte Metapher zu handeln, wie der folgende Abschnitt zeigt. 6.3.1 Non-verbaler Gebrauch der Datenautobahn-Metapher Daß eine Metapher sogar dann wirken kann, wenn sie gar nicht explizit genannt wird, beweist ein Werbeplakat des Hamburger Telekommunikations-Anbieters HanseNet (siehe Abbildung 1 im Anhang). Unter der Überschrift „Mouse-Tuning!“ ist das Bild einer Maus mit einem Rennfahrer-Helm zu sehen. Die Bildunterschrift lautet „Ihr Turbo zum Surfen und Freistunden zum Abtelefonieren“. Jeder Internet-Nutzer dürfte sofort die intendierte Botschaft verstehen: Mit HanseNet wird der Internet-Anschluß ‘getunet’, also leistungsfähiger gemacht (to tune = mot. die Leistung erhöhen), das Internet wird ‘schneller’ – das heißt, Webseiten bauen 195 Vgl. Lakoff/Johnson (1980), S. 7ff. sowie Kapitel 2.3.4.3 der vorliegenden Arbeit. 92 sich schnell auf, Informationen können in kürzester Zeit heruntergeladen werden etc. Dieser Effekt wird durch den hohen Bekanntheitsgrad der Datenautobahn-Metapher erzielt. Wenn sie nicht im allgemeinen Sprachgebrauch über das Internet vorkäme, verfehlte diese Werbung völlig ihr Ziel: Niemand wüßte, warum hier mit Elementen aus der Welt des Autorennsports gearbeitet wird, denn man verbindet üblicherweise weder die Begriffe ‘Tuning’ und ‘Turbo’ noch einen Rennfahrer-Helm mit dem Internet. Der Transfer gelingt dennoch, und zwar allein aufgrund der Existenz und des hohen Bekanntheitsgrades der Datenautobahn-Metapher, die diese Assoziationen ermöglicht. Daneben wird noch mit weiteren Metaphern gespielt, die jedoch im Unterschied zur Datenautobahn explizit genannt bzw. sogar bildlich dargestellt werden: das Surfen – und nicht zu vergessen die Maus, denn auch hierbei handelt es sich um einen metaphorischen Ausdruck. Dieses Gerät gehört heute zu jedem Computer und ist für die Nutzung des Internet unverzichtbar. Somit dürfte sich die Fotomontage einer ‘echten’ Maus mit Rennfahrer-Helm, die von den sprachlichen Elementen ‘Tuning’, ‘Turbo’ und ‘Surfen’ umrahmt wird, bei jedem Internet-Nutzer sofort zu einem Gesamtbild bzw. der intendierten Botschaft fügen: ‘HanseNet beschleunigt das Internet’. Vor der Verbreitung des Internet und der mit ihm verbundenen Metaphern wäre ein solches Werbeplakat völlig unverständlich gewesen. Dieses Beispiel zeigt, wie stark Metaphern in unserem Bewußtsein verankert sind und welchen Einfluß sie auf unsere Wahrnehmung ausüben. Es verdeutlicht darüber hinaus, daß es sich bei der Datenautobahn um eine bereits konventionalisierte Metapher handeln muß, die von den meisten Sprechern verstanden wird, da sie sogar ohne explizite Nennung, allein aufgrund der sie umgebenden verbalen und non-verbalen Elemente assoziiert wird. Auch im französischen Sprachgebrauch scheint die Metapher der autoroute de l’information bereits konventionalisiert zu sein, was sich ebenfalls durch eine Werbeanzeige beweisen läßt (siehe Abbildung 2 im Anhang). Allerdings geht es hier weniger um Schnelligkeit als vielmehr um den ‘sparsamen Verbrauch’: Der InternetProvider LibertySurf wirbt mit dem Bild eines stilisierten Armaturenbrettes; der Betrachter sieht eine große Benzinuhr, einen Ölstandsanzeiger (beide zusätzlich visualisiert durch eine Tanksäule bzw. eine Ölkanne) sowie eine Art Tachometer mit 93 Digitalanzeige. Letzterer sieht auf den ersten Blick nicht anders aus als ein normaler Geschwindigkeitsmesser im Auto; man sieht Zahlen und Buchstabenkombinationen, die spontan an die übliche Abkürzung ‘km/h’ für ‘Kilometer pro Stunde’ denken lassen. Erst auf den zweiten Blick erkennt der Betrachter die wirkliche Bedeutung: ‘30 h 145F/mois’ steht für ‘30 Stunden Internetnutzung für 145 Francs pro Monat’. Durch die Überschrift „Pour faire le plein d’Internet, difficile de faire plus économique“ wird diese Aussage zusätzlich gestützt. Auch hier wird ein Ausdruck aus dem Automobilbereich verwendet bzw. auf das Internet angepaßt: „faire le plein (d’essence)“ bedeutet „volltanken“ – der Internet-Nutzer „tankt“ also preisgünstig „voll“. Die Botschaft dieser Werbeanzeige ist somit folgende: ‘Niedrige InternetKosten durch LibertySurf’. Auch im französischen Sprachgebrauch ist es also offensichtlich problemlos möglich, das Internet mit sprachlichen und bildlichen Elementen aus dem Automobilbereich darzustellen – und zwar auch hier, ohne daß die Metapher der autoroute de l’information explizit genannt wird. Dies legt die Vermutung nahe, daß diese Metapher auch im Französischen konventionalisiert sein muß. Es ist zumindest schwer vorstellbar, daß die intendierte Botschaft spontan verstanden würde, wenn die autoroute-Metapher nicht im allgemeinen Sprachgebrauch über das Internet vorkäme. Und nicht nur die Konventionalisierung der Autobahn-Metapher läßt sich durch die beiden Werbeanzeigen belegen: Neben den analysierten Zeitungsartikeln können sie als weiterer Beweis für die These dienen, daß bei der deutschen Datenautobahn in der Tat die Geschwindigkeit des Internet im Vordergrund steht, während mit der französischen autoroute de l’information offensichtlich eher hohe Internet-Kosten assoziiert werden. Zusammenfassend läßt sich folgendes festhalten: Sowohl im französischen als auch im deutschen Sprachgebrauch wird das Internet häufig durch die Datenautobahn bzw. autoroute de l'information metaphorisiert. Doch während die Datenautobahn Assoziationen wie ‘Geschwindigkeit’, ‘gute Infrastruktur’ oder ‘Spitzentechnologie’ hervorruft, evoziert die autoroute de l'information eher die Sorge vor sozialer Benachteiligung durch hohe Kosten. Folglich wird die Metapher in den beiden Sprachen unterschiedlich verwendet: Im Deutschen taucht sie zumeist in Kontexten 94 auf, die die Geschwindigkeit und technische Entwicklung des Internet thematisieren; im Französischen wird sie dagegen häufiger in politischen und sozialen Zusammenhängen gebraucht. Auffallend ist darüber hinaus, daß die Datenautobahn sehr häufig in einem Umfeld weiterer Lexeme aus dem Automobilbereich steht, während es hierfür bei der autoroute de l'information nur wenige Belege gibt. Die in Kapitel 5 aufgestellten Thesen lassen sich also auch bei dieser Metapher weitgehend bestätigen: Die Datenautobahn ist anders konnotiert und wird folglich in anderen Zusammenhängen verwendet als ihr französisches Äquivalent. Dagegen läßt sich nur für das Französische bestätigen, daß sie vorwiegend in politischen Kontexten auftaucht. Aufgrund ihrer Herkunft war eine solche Verwendung auch für das Deutsche zu erwarten, doch ließ sich diese Vermutung durch die Korpusanalyse nicht belegen. Als letzte ‘Internet-Metapher’ soll nun schließlich das globale Dorf bzw. village global näher betrachtet werden. 6.4 Das globale Dorf – ein Ort der Kommunikation und des Gemeinschaftsgefühls? Die für die Metapher des globalen Dorfes zu untersuchende These besagt, daß das globale Dorf als „Sozietäts-Metapher“ hauptsächlich in jenen Kontexten auftaucht, in denen die kommunikativen Aspekte des Internet hervorgehoben werden – und dies entweder aus einer positiv-schwärmerischen oder aber einer negativen Perspektive. Zwar sollen quantitative Auswertungen in dieser Analyse weiterhin der qualitativen Untersuchung nachgeordnet sein, doch muß an dieser Stelle erwähnt werden, daß das globale Dorf im Vergleich zu den beiden anderen betrachteten Metaphern sowohl im französischen als auch im deutschen Textkorpus relativ selten anzutreffen ist, wie die Anzahl der ausgewählten Beispiele zeigt. Somit scheint eine Vermutung bereits bestätigt: Das globale Dorf hat sich als Metapher für das Internet nicht in derselben Weise durchsetzen können wie der Cyberspace oder die Datenautobahn. Tritt die Metapher nun wirklich vor allem dort auf, wo das Internet als ein kommunikativer und gemeinschaftsfördernder – also dorfähnlicher – Ort wahrgenommen wird? Die folgenden Beispiele scheinen dies zu belegen: 95 (1) [Bericht über die Website des französischen Internet-Künstlers Nicolas Frespech] Nicolas a deux maisons. Une dans le «village global», celle des Immondes Pourceaux, un site web «bancal, cheap, limite kitsch et dérisoire»; l’autre, à Montélimar, où il est né. Une maison banale avec son jardin où rouille une voiture, ses deux chiens et quelques canaris. [...] (Lib 02.10.98) (2) [Bericht über das Internet als Hilfe zur Aufrechterhaltung der Kontakte zwischen Emigranten und ihren Familienmitgliedern in der Heimat] Ma famille habite sur la Toile [Überschrift] D’aucun parle de village global pour l’Internet. Si on trouve tout et n’importe quoi dans un joyeux capharnaüm HTML sur la Toile, il y a une famille qui a trouvé ces marques: celles des expatriés. [...] Ils sont des centaines comme lui à avoir élu domicile sur le Web et laissé ainsi une porte toujours ouverte à des parents restés à l’autre bout du monde. [...] L’Internet est vraiment devenu un réseau de solidarité pour ceux qui sont partis de chez eux. [...] (Lib 28.06.01) (3) [Interview mit der Sängerin Courtney Love über die Verbreitung von Musik über das Internet] [...] Künstler können ihre CDs direkt an die Fans verkaufen, mit Tausenden von Websites zusammenarbeiten und ihre Musik Millionen Menschen vorstellen, die die alten Plattenfirmen nie erreichen. Ich suche Menschen, die mir helfen, mehr Fans zu erreichen, weil ich glaube, dass die Fans ein Trinkgeld für das Vergnügen bezahlen werden, das ich ihnen bereite. Es wird ein globales Dorf entstehen, wo eine Milliarde Menschen einen Künstler erreichen und ihm ein Trinkgeld hinterlassen können. Wir erleben eine radikale Demokratisierung. Jeder Künstler kann jeden Fan erreichen und jeder Fan jeden Künstler [...] (W 21.06.00) (4) [künftige gesellschaftliche Folgen des Internet und der New Economy] [...] les nouvelles technologies sont un piège pour les riches. Elles sont révolutionnaires. Parce qu’elles créent une transparence et une proximité, qui rendra [...] les inégalités plus insupportables, parce que plus fortes et plus visibles. Dans le village global, on ne peut pas édifier de murs pour cacher définitivement la pauvreté. Les riches essaieront de tenir les pauvres à distance par la distraction. Mais les pauvres s’uniront, avec ou sans l’aide de riches, et ils viendront prendre leur part du formidable festin qui s’annonce. La distraction n’a jamais empêché la révolution. (Lib 05.05.00) In allen Beispielen ist das Internet als globales Dorf positiv besetzt: Man hat dort eine Art zweites Zuhause, kann über alle Grenzen hinweg die Verbindung zu seinen Angehörigen halten (ihnen „eine Tür offen lassen“) oder mit seiner Musik „eine Milliarde Menschen“ erreichen. Der Mensch als kommunizierendes und soziales Wesen steht hier eindeutig im Vordergrund: Wie in einem Dorf kann jeder mit jedem leicht Kontakt aufnehmen und diesen auch aufrechterhalten. Darüber hinaus wird durch das globale Dorf eine „radikale Demokratisierung“ möglich – in Beispiel (4) wird gar prophezeit, daß sich durch die dörfliche „transparence“ und „proximité“ die Armen in geradezu revolutionärer Weise zusammenschließen und ihren Teil vom „formidable festin“ der Reichen einfordern werden. Schließlich könne man im globalen Dorf ja keine Mauern zur Abschottung gegen die Armen errichten; alles sei hier sichtbar und transparent – eben wie in einem Dorf. Wie die avisierte Revolution aussehen wird, läßt der Autor dieser etwas nebulösen Zeilen zwar völlig offen, doch 96 sieht auch er im Internet offensichtlich in erster Linie den menschenverbindenden Aspekt. Neben diesen doch sehr glorifizierenden Schilderungen des Internet als eines großen Dorfes, in dem ‘jeder für jeden da ist’, werden mit dem globalen Dorf jedoch auch negative Assoziationen verknüpft: (5) [Bill Clintons ‘Praktikantinnen-Affäre’ 1998: weltweite Verbreitung des ‘Starr-Reports’ via Internet] Irréductible village global [Überschrift] [...] Que dans la notion de village global, si chère à McLuhan, il fallait non pas s’attarder sur l’adjectif «global», qui finalement ne dit pas grand-chose, si ce n’est qu’on est tous ensemble dans la même galère, mais surtout privilégier la notion de «village», son atmosphère tellement mortifère, ses rues aussi étroites que l’esprit de ses habitants, ses habitudes qu’aurait si bien dépeintes un Clouzot. C’était – imparfait, mais aussi présent, mais aussi futur – le règne des rideaux qui se soulèvent, [...] des rumeurs sans autre fondement que la volonté de nuire. [...] (Lib 18.09.98) Zwar wird mit dem Titel „Irréductible village global“ auf die in Frankreich sehr populären Asterix-Comics referiert und somit eigentlich eine positive Erwartungshaltung beim Leser erzeugt.196 Im weiteren Verlauf des Artikels werden jedoch eindeutig die negativen Aspekte eines Dorfes auf das Internet übertragen: Die „rues“ sind ebenso „étroites“ wie der Geist der Dorfbewohner, die Atmosphäre ebenso „mortifère“. Hier stehen nicht die positiven menschenverbindenden und kontaktfördernden Eigenschaften im Vordergrund, sondern gerade die negativen Charakteristika einer solchen Dorfgemeinschaft. Hinter ihren „Vorhängen“ beobachten die Bewohner das Geschehen und sind von dem einzigen Wunsch beseelt, ihre Nachbarn durch die Verbreitung von Gerüchten zu schädigen. Und tatsächlich verfolgte der Chef-Ermittler Kenneth Starr in der Clinton-Affäre 1998 genau dieses Ziel: Durch die massenhafte Verbreitung seines Berichtes über das Internet sollte der Ruf von Bill Clinton auf der ganzen Welt – in der großen globalen Dorfgemeinschaft – so geschädigt werden, daß er schließlich als Präsident der USA untragbar würde und seines Amtes enthoben werden könnte (was allerdings letztlich nicht gelang). Und tatsächlich wurde der Starr-Report auf der ganzen Welt gelesen und in unzähligen Chatrooms diskutiert – die ‘Gerüchteküche brodelte’ wie in einem Dorf. Die folgenden Beispiele stellen das globale Dorf ebenfalls negativ dar: 196 Bei dem „irréductible village“ handelt es sich um das Dorf der beiden Helden Asterix und Obelix. Als einziges Dorf in ganz Gallien widersetzt es sich immer wieder erfolgreich der Eroberung durch die römischen Besatzer. 97 (6) [Bericht über das ‘Festival der Kulturen’, eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel ‘Future Communities’] Die maschinelle Dorfgemeinschaft [Überschrift] Die Zeiten, da die digitalen Kommunikationsmittel als allein selig machendes Wundermittel im Globalisierungsprozess galten, sind wohl vorüber. Selbst bei ausgesprochenen Aposteln der neuen Informationstechnologien hat die naive Global-Village-Gläubigkeit einem kritischen medienphilosophischen Diskurs Platz gemacht. An der grundlegenden Veränderung der Gesellschaften und der Weltwirtschaft durch die Kommunikationsnetze aber zweifelt niemand mehr. [...] (SZ 10.11.00) (7) [Reflexion über die Art der durch das Internet entstehenden Beziehungen und Gemeinschaften] [...] Sur l’Internet, les relations se font et se défont à la vitesse de l’éclair. Dès lors, on doit se poser une question: existe-t-il des communautés sans mémoire (je ne dis pas sans histoire)? Je n’ai aucune réponse définitive à cette question, mais il me paraît clair que l’on doit interroger des expressions comme celles de «village planétaire» ou de «village global», qui laissent croire que l’Internet ne ferait que porter sur un plan nouveau, élargi, une réalité ancienne. Ce qui se passe dans cet espace, est-ce bien la même chose que ce qui se passait et se passe toujours sur la place du marché? Je ne le crois pas et je ne suis pas sûr que Marshall McLuhan aurait conservé pareilles expressions pour désigner le monde des communications d’aujourd’hui et les «communautés» qu’il crée, puis efface. (Lib 11.06.99) (8) [weltweite Verbreitung des Internet: Kluft zwischen armen und reichen Ländern] Im globalen Dorf stehen noch viele Häuser leer [Überschrift] [...] Ägypten und Südafrika: zwischen beiden Ländern liegt ein ganzer Erdteil, der im virtuellen Raum nicht existiert – ein Tal der Ahnungslosen von kontinentalen Ausmaßen. [...] Das World-Wide-Web ist alles andere als weltumspannend und grenzenlos. Auf der globalen Ebene ist es vielmehr eine äußerst exklusive Angelegenheit der wohlhabenden Industrienationen. [...] Internet, E-Commerce, E-mail und WAP haben die Welt nicht in ein globales Dorf verwandelt – zumindest stehen noch ganze Häuserreihen leer. [...] (W 31.03.01) (9) [Reflexion über Qualität und Wahrheitsgehalt der über das Internet erhältlichen Informationen] [...] Informationen über Informatikkanäle zu erhalten, wie über Internet, birgt die Gefahr einer tatsächlichen oder sogar beabsichtigten Desinformation. Die traditionelle Presse bot eine Art Sicherheitsnetz, indem sie ihre Informationen überprüfte und Fehler normalerweise korrigierte. Die Informatik-Freaks von heute hingegen bieten nicht mehr Sicherheit als die Radio-Amateure von gestern. Wer glaubt, wir steuern direkt auf ein globales Dorf zu, wie es Marshall McLuhan vor 30 Jahren prophezeit hatte, unterschätzt die Probleme, die unsere Informations-Infrastruktur aufweist. Die Hauptstraße des globalen Dorfes, von dem McLuhan spricht, wird vielleicht eines Tages erleuchtet sein, doch seine Gassen und Nebenstraßen werden wohl noch eine zeitlang im Dunkeln liegen. (SZ 23.02.95) Im Gegensatz zu Beispiel (5) setzen sich diese Texte kritisch mit der Übertragbarkeit der Dorf-Metapher auf das Internet auseinander. Zwar ist auch hier von den Straßen und Häusern eines Dorfes die Rede (Beispiele 8 und 9), doch wird eher über die Adäquatheit der von McLuhan geprägten Metapher reflektiert. Alle Autoren sind der Ansicht, daß das Internet nicht mit einem Dorf verglichen werden könne, weil sich hier ganz andere Formen der Gemeinschaft und Kommunikation konstituierten: In Text (6) wird diese Gemeinschaft als eine „maschinelle Dorfgemeinschaft“ diffamiert und die „naive Global-Village-Gläubigkeit“ kritisiert, in Beispiel (7) ist diese Gemeinschaft eine flüchtige und vergängliche „communauté sans mémoire“ und der Vergleich mit einem traditionellen Dorf somit nicht passend. Beispiel (8) 98 setzt sich mit der Tatsache auseinander, daß die Entwicklungsländer weitestgehend von den neuen Medien ausgeschlossen sind und die Welt auf diese Weise eben nicht zu einem großen globalen Dorf zusammenwächst. Beispiel (9) beleuchtet schließlich kritisch die Qualität der Informationen, die über das Internet verbreitet werden: Da jede Information ungeprüft ins Netz gestellt werden könne und der Wahrheitsgehalt somit fraglich sei, werde allenfalls eine „beleuchtete Hauptstraße“ (wahrer und qualitativ guter Informationen) entstehen, während viele „Gassen und Nebenstraßen“ im „Dunkeln“ blieben. Wie vermutet, wird die Metapher des globalen Dorfes in beiden Sprachen sowohl in positiv-schwärmerischen Beschreibungen des Internet als eines dorfähnlichen Gebildes verwendet als auch in jenen Kontexten, die die kommunikations- und gemeinschaftsfördernde Wirkung des Mediums in Frage stellen. Die Konnotationen und Assoziationen scheinen sich im Französischen und Deutschen nicht wesentlich voneinander zu unterscheiden, da die Metapher in ähnlichen Zusammenhängen eingesetzt wird. Die in Kapitel 5 aufgestellte These, daß das ‘globale Dorf’ langfristig kaum Chancen hat, sich im allgemeinen deutschen und französischen Sprachgebrauch durchzusetzen, scheint durch die im Vergleich zu den anderen betrachteten Metaphern relativ geringe Anzahl der Belege ebenfalls bestätigt zu sein. Und auch die Tatsache, daß häufig über ihre Adäquatheit reflektiert wird, deutet darauf hin, daß die positiven Aspekte ‘Kommunikation’ und ‘Gemeinschaftsgefühl’ hinter den bereits behandelten Charakteristika des Internet zurückzutreten. 6.5 Ergebnisse der Korpusanalyse Durch die Korpusanalyse konnten die in Kapitel 5 aufgestellten Thesen weitgehend bestätigt werden. In beiden betrachteten Sprachen wird das Internet häufig mit Hilfe der drei untersuchten Metaphern Cyberspace / cyberespace, Datenautobahn / autoroute de l’information und globales Dorf / village global beschrieben, doch werden diese nicht synonym verwendet – was schon allein daran erkennbar ist, daß in keinem der behandelten Texte gleichzeitig alle drei Metaphern auftauchen. Jede dieser Metaphern evoziert spezifische Vorstellungen, die sowohl semantisch als auch etymologisch begründet sind. Das durch die jeweilige Metapher hervorgerufene Bild 99 wird sehr häufig mit Hilfe weiterer sprachlicher Elemente (metaphorischer wie nichtmetaphorischer Art) aus demselben konzeptuellen Bereich verstärkt – auf diese Weise entstehen Isotopieketten, die sich zu einem homogenen Gesamtbild fügen. Durch die mit den Metaphern verknüpften Assoziationen und Konnotationen werden jeweils unterschiedliche Aspekte des Internet hervorgehoben; folglich tauchen sie in verschiedenen Kontexten auf – und erfüllen damit tatsächlich die von Lakoff/Johnson postulierte Funktion des highlighting and hiding. Und auch eine weitere These läßt sich anhand der Korpusanalyse belegen: Metaphern spiegeln laut Lakoff/Johnson neben elementaren menschlichen Erfahrungen auch soziokulturelle Phänomene wider – somit sind die Datenautobahn und die autoroute de l'information aufgrund des unterschiedlichen gesellschaftlichen Stellenwertes der ‘echten’ Autobahnen verschieden konnotiert und führen in den beiden Sprachen zu einem divergenten metaphorischen Gebrauch. Dagegen besteht eine weitgehende Konvergenz hinsichtlich der Verwendung der Metaphern des Cyberspace und des globalen Dorfes; hier scheinen die Assoziationen und Konnotationen übereinzustimmen. Zwar wurden quantitative Aspekte im Rahmen dieser Korpusanalyse zugunsten einer qualitativen Untersuchung zurückgestellt, doch sei an dieser Stelle auf eine von Bühl aufgestellte These eingegangen: „Die Metapher von der Datenautobahn, als eine der eher jüngeren Metaphern [...] hat [...] ein weiteres wesentliches Ziel: die Verdrängung anderer Metaphern, welche als Sozietätsmetaphern bezeichnet werden können, wie die Metapher vom globalen Dorf [...]; Metaphern, die im Unterschied zur Datenautobahn die soziale Seite des Prozesses in den Vordergrund stellen. Verdrängt wurde aber auch die Metapher vom Cyberspace, die in Anlehnung an die Science Fiction Literatur auch düstere Zukunftsvisionen zur Sprache bringt.“197 Anhand der zahlenmäßigen Verteilung im Korpus198 läßt sich Bühls Vermutung nur für die Sozietätsmetapher des globalen Dorfes bestätigen. Die sozialen Aspekte des Internet scheinen in der Tat eine untergeordnete Rolle zu spielen, so daß das globale Dorf in beiden Sprachen relativ selten verwendet wird. Bei der Cyberspace-Metapher ergibt sich dagegen ein ganz anderes Bild: Sie kommt in beiden Sprachen häufiger vor als die der Datenautobahn – gemäß den herausgearbeiteten Assoziationen und 197 198 Bühl (1996), S. 16. 30 x Cyberspace, 24 x Datenautobahn, 9 x globales Dorf. 100 Konnotationen scheint das Internet heute also vor allem als eine Art ‘Parallelwelt’ hinter dem Bildschirm wahrgenommen zu werden, und zwar sowohl eine Welt der Chancen als auch der Risiken. Ob sich diese Sichtweise des Internet langfristig durchsetzen wird, werden in den kommenden Jahren vor allem die Metaphern zeigen. 7. Schlußbetrachtung und Ausblick Neue Medien bringen neue Metaphern mit sich – diese These konnte in der vorliegenden Arbeit am Beispiel des Internet belegt werden. Sowohl im französischen als auch im deutschen Sprachgebrauch werden im Zusammenhang mit dem Internet zahlreiche Metaphern verwendet. Dies liegt in den kognitiven Funktionen von Metaphern begründet: Gemäß Lakoff/Johnson dienen sie der Veranschaulichung Zusammenhänge, abstrakter indem sie Sachverhalte auf und vertrautere, der Erklärung erfahrungsnähere komplexer Konzepte zurückgreifen. Das läßt sich zum Beispiel an der hohen Anzahl metaphorischer Termini in der Fachsprache des Internet erkennen – Begriffe aus allgemein bekannten Bereichen wie dem Postwesen oder der Büroorganisation werden auf die komplexen Vorgänge der Internet-Technologie übertragen und diese somit metaphorischsprachlich erschlossen. Doch nicht nur die technischen Zusammenhänge werden durch Metaphern veranschaulicht, auch die kulturellen und sozialen Aspekte des Internet schlagen sich in metaphorischen Begrifflichkeiten nieder. Drei metaphorische Ausdrücke werden dabei in beiden betrachteten Sprachen besonders häufig verwendet: der Cyberspace bzw. cyberespace, die Datenautobahn bzw. autoroute de l’information sowie das globale Dorf bzw. village global. Diese Internet-Metaphern weisen sehr unterschiedliche Entstehungsgeschichten auf – so stammt der Cyberspace aus der Science Fiction, die Datenautobahn aus der Politik und das globale Dorf aus der Soziologie. Es war also zu vermuten, daß die drei Metaphern aufgrund ihrer Herkunft und der mit ihnen verknüpften Assoziationen und Konnotationen in jeweils spezifischen Kontexten auftreten und nicht etwa synonym für ‘das Internet’ verwendet werden. Darüber hinaus war anzunehmen, daß die deutsche 101 Datenautobahn anders konnotiert ist als die französische autoroute de l’information, da die ‘echten’ Autobahnen in der jeweiligen Gesellschaft einen unterschiedlichen Stellenwert besitzen. Für beide Thesen konnten bei der Analyse von französischen und deutschen Zeitungsartikeln zahlreiche Belege nachgewiesen werden: Die Cyberspace-Metapher wird sowohl im Französischen als auch im Deutschen vor allem in jenen Kontexten verwendet, die das Internet als einen Raum hinter dem Bildschirm wahrnehmen, in dem jeder Nutzer über ‘unbegrenzte Möglichkeiten’ verfügt, sich aber auch Gefahren ausgesetzt sieht. Häufig sind in diesen Texten Parallelen zur Eroberung des nordamerikanischen Kontinents zu finden. Als globales Dorf wird das Internet dagegen dann metaphorisiert, wenn die kommunikativen und gemeinschaftsfördernden Aspekte des Internet hervorgehoben werden sollen – in beiden Sprachen geschieht dies im Vergleich zur Cyberspace-Metapher relativ selten. Für die Datenautobahn / autoroute de l’information konnte ein divergenter Gebrauch bestätigt werden: Während sie im Deutschen vor allem mit Geschwindigkeit und Technologie in Verbindung gebracht wird, taucht sie im Französischen hauptsächlich in politischen und sozialen Kontexten auf. Darüber hinaus wird die Datenautobahn weitaus häufiger sprachspielerisch eingesetzt als ihr französisches Äquivalent. Anhand der Korpusanalyse konnten zwei weitere kognitive Funktionen der Metapher belegt werden: Zum einen heben Metaphern immer nur bestimmte Aspekte eines Sachverhaltes hervor; die anderen Aspekte werden dabei verdeckt – diese Funktion wird von Lakoff/Johnson als highlighting and hiding, von Jäkel als Fokussierungseffekt bezeichnet. So erscheint es logisch, daß der Cyberspace in anderen Zusammenhängen auftaucht als die Datenautobahn oder das globale Dorf, weil hier stets auf unterschiedliche Aspekte des Internet fokussiert wird. Darüber hinaus dienen Metaphern häufig als Nachweise für soziokulturelle Phänomene, was am Beispiel des divergenten Gebrauchs der Datenautobahn bzw. autoroute de l’information bewiesen werden konnte. Für eine weiterführende Untersuchung erscheint ein Vergleich mit angloamerikanischen Texten lohnenswert, da der US-amerikanische information highway aufgrund der gesellschaftlichen Verankerung des realen Highways unter Umständen noch weitere Konnotationen aufweist. Darüber hinaus wäre es interessant, auch frankokanadische Texte in die Untersuchung einzubeziehen, da die dortigen 102 Autobahnen möglicherweise mit anderen Assoziationen verknüpft werden als die französischen und die Metapher der autoroute de l'information demzufolge anders verwendet werden könnte als in Frankreich. Im Rahmen dieser Arbeit wurden hauptsächlich Texte aus den vergangenen zwei Jahren analysiert; die Untersuchung bezieht sich also im wesentlichen auf den aktuellen Stand. Für eine anschließende Arbeit wäre es sicherlich lohnenswert, auch Texte aus früheren Jahren einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen. Es könnten dabei unter Umständen Entwicklungen in der Metaphernverwendung festgestellt werden. So könnte zum Beispiel der Frage nachgegangen werden, ob das globale Dorf zu Beginn der 90er Jahre häufiger für das Internet verwendet wurde als heute – was durchaus denkbar ist, wenn man sich die anfänglich großen Erwartungen an die weltweite Kommunikations- und Gemeinschaftsförderung des neuen Mediums vor Augen führt. Es wäre auch interessant zu fragen, ob die Datenautobahn kurz nach ihrem Erscheinen im deutschen Sprachgebrauch 1994 häufiger in politischen Kontexten verwendet wurde als heute, also seinerzeit aufgrund ihrer politischen Herkunft ähnlich konnotiert war wie ihr französisches Äquivalent. Neben den drei exemplarisch analysierten Metaphern existieren natürlich noch weitere Internet-Metaphern, wie etwa der Datendschungel oder das Datenmeer. Auch hier böte sich eine vergleichende Analyse an, zumal gerade die Wasser- und Seefahrtsmetaphorik für das Internet bedeutsam zu sein scheint – man denke an bekannte metaphorische Ausdrücke wie surfen, navigieren, Piraterie oder Datenfluß. 103 Auch die weitere Metaphern-Entwicklung dürfte interessant sein: Wird sich im Zuge der fortschreitenden Verbreitung und Entwicklung des Internet eine einzige Metapher zu Lasten der beiden anderen im allgemeinen Sprachgebrauch durchsetzen? Werden neue Metaphern auftauchen und die anderen verdrängen? Wird das Internet eines Tages von einem anderen Medium abgelöst werden und mit ihm auch seine Metaphern? Alles scheint möglich, doch die Antworten auf diese Fragen liegen noch in den Weiten des Cyberspace verborgen. 104 8. Literaturverzeichnis 8.1 Korpus Die Quellen deutsch: die tageszeitung, Online-Archiv unter http://www.taz.de, Berlin 2001. Die Welt, Online-Archiv unter http://www.welt.de, Berlin 2001. Süddeutsche Zeitung, Jahresausgabe 1995 auf CD-ROM, München 1997. Süddeutsche Zeitung, Jahresausgabe 2000 auf CD-ROM, München 2001. französisch: Le Monde Interactif, Online-Archiv unter http://www.interactif.lemonde.fr, Paris 2001. L’Humanité, Online-Archiv unter http://www.humanite.presse.fr/journal, Paris 2001. Libération, Online-Archiv unter http://www.liberation.fr, Paris 2001. Die einzelnen Artikel (jeweils geordnet nach Erscheinungsdatum) Anmerkung: Die Angabe von Seitenzahlen ist nur bei der CD-ROM der Süddeutschen Zeitung möglich; bei den Internet-Dokumenten entfällt sie. die tageszeitung (taz) „Nix los auf der Avus. Stau-Senator versagt“, taz 23.05.00. „Fehlende Worte“, taz 12.08.00. „Planet Tegel mit Trabant“, taz 13.12.00. „Er ist drin: Diepgen internettauglich“, taz 03.02.01. „Die vernetzte Bedrohung“, taz 10.08.01. Die Welt (W) „Terroristen im Cyberspace“, W 10.02.00. „Mit digitalen Doppelgängern menschelt es im Cyberspace“, W 01.03.00. „Formel 1 ist auch der Renner auf der Datenautobahn“, W 08.04.00. „Die Plattenfirmen sind die wahren Piraten!“, W 21.06.00. „Von unterwegs ein schneller Ausflug auf die Datenautobahn“, W 01.12.00. „Die Vollstrecker“, W 13.12.00. „Internet zum selber machen“, W 24.12.00. „Im Cyberspace wird Troja wieder aufgebaut“, W 13.02.01. „Im globalen Dorf stehen noch viele Häuser leer“, W 31.03.01. 105 Süddeutsche Zeitung (SZ) „Ein Schlüssel zur Machtausübung“, SZ 23.02.95, S. 903. „Die Schatzkarte auf der Computer-Festplatte“, SZ 07.01.00, S. 16. „Ausgehackt“, SZ 11.02.00, S. 15. „Heckenschützen gegen die Kommerzialisierung des Internet“, SZ 12.02.00, S. 4. „Das große Spiel der Netzbeschmutzer“, SZ 19.02.00, S.18. „Mehr als nur drin sein“, SZ 23.02.00, S. 13. „Sichere Abfahrten auf der Datenautobahn“, SZ 23.02.00, S. 14. „Plaudern am Limit“, SZ 13.04.00, S. 28. „Boom auf überlasteten Leitungen“, SZ 14.04.00, S. 47. „Die Jagd nach Beezwax und Mafiaboy“, SZ 06.05.00, S. 3. „Mädchen und Mäuse auf der Datenautobahn“, SZ 12.07.00, S. 4. „Die Herren der Namen“, SZ 25.07.00, S. 23. „Rillen im Glas“, SZ 01.08.00, S. 10. „Kabel und Hiebe“, SZ 12.08.00, S. 14. „Paradies ohne Leib“, SZ 18.10.00, S. B 20. „Der Verkehr auf der Datenautobahn nimmt zu“, SZ 21.10.00, S. 29. „Aufbruch in die vierte Dimension“, SZ 30.10.00, S. 1. „Bessere Zeiten für Surfer“, SZ 03.11.00, S. 17. „Ausgebremste Juristen“, SZ 07.11.00, S. 24. „Die maschinelle Dorfgemeinschaft“, SZ 10.11.00, S. 20. Le Monde / Le Monde Interactif (LM/LMI) „Les sites gouvernementaux américains victimes d’attaques musclées“, LMI 02.07.99. „Cybercrime, que fait la police?“, LMI 10.05.00. „Disney cherche encore son partenaire dans les réseaux“, LMI 30.05.00. „L’architecture revisitée par le virtuel“, LMI 14.06.00. „Automne 2000: un vote pour la régulation“, LMI 28.06.00. „Un hacker pour défendre l’Europe“, LMI 25.10.00. „Votre entreprise fait-elle partie de l’élite du Web?“, LMI 19.10.00. „Les réseaux citoyens tentent de se rassembler“, LMI 15.11.00. „Le nouvel eldorado politique“, LMI 29.11.00. „Philippe Breton: ‘Nous devons laïciser Internet’“, LMI 29.11.00. „Pierre Lévy: ‘Nous inventons une nouvelle civilisation’“, LMI 29.11.00. „Jacques Chirac à Autrans: pour un réseau sécurisé et rapide pour tous“, LMI 15.01.01. „Napster n’est pas près de se taire“, LM 27.02.01. „Les oubliés de la Toile“, LMI 31.10.01. L’Humanité (H) „Internet sans péage“, H 24.06.99. „Que peut l’informatique?“, H 18.11.99. „Bienvenue dans le monde du ‘libre’“, H 15.03.00. „Les déboires du haut débit“, H 06.05.00. 106 Libération (Lib) „La Palestine libre sur le Net“, Lib 13.06.97. „Le réseau des irréductibles Gaulois“, Lib 19.12.97. „Internet ou le cybermensonge“, Lib 21.05.98. „Irréductible village global“, Lib 18.09.98. „La petite maison dans la vraie vie“, Lib 02.10.98. „Affinités express“, Lib 11.06.99. „La nouvelle économie est par nature anticapitaliste“, Lib 05.05.00. „L’Icann exerce un pouvoir inquiétant“, Lib 19.12.00. „Manifestation en ligne“, Lib 23.02.01. „Ma famille habite sur la Toile“, Lib 28.06.01. 8.2 Fachliteratur Alberganti, Michel / Eudes, Yves: „Internet – mode d’emploi. Les dix commandements“. In: Le Monde Interactif. Supplément au Monde no. 17204 du 19 mai 2000. Paris 2000, S. 2. Alameda Nieto, Irene Zoe: „El empleo de la metáfora en el vocabulario tecnológico español de internet“. In: Gil, Alberto / Schmitt, Christian (Hgg.): Kognitive und kommunikative Dimensionen der Metaphorik in den romanischen Sprachen. Akten der gleichnamigen Sektion des XXV. Deutschen Romanistentages, Jena (28.9.-2.10.1997). Bonn 1998, S. 260-280. Baldauf, Christa: Metapher und Kognition. Grundlagen einer neuen Theorie der Alltagsmetapher. Frankfurt/Main 1997. Bangemann, Martin: Europa und die globale Informationsgesellschaft. Empfehlungen an den Europäischen Rat. Brüssel 1994. Barlow, John Perry: „Eine Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“. In: Bollmann, Stefan / Heibach, Christiane (Hgg.): Kursbuch Internet. Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Hamburg 1998, S. 119-124. Biere, Bernd Ulrich / Holly, Werner (Hgg.): Medien im Wandel. Wiesbaden 1998. Biere, Bernd Ulrich / Liebert, Wolf-Andreas (Hgg.): Metaphern, Medien, Wissenschaft. Opladen 1997. Black, Max: Models and Metaphors. Ithaca, New York 1962. Bollmann, Stefan (Hg.): Kursbuch Neue Medien. Trends in Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Hamburg 1998a. Bollmann, Stefan: „Einführung in den Cyberspace“. In: Ders. (Hg.): Kursbuch Neue Medien. Trends in Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Hamburg 1998b, S. 163-166. Bollmann, Stefan / Heibach, Christiane (Hgg.): Kursbuch Internet. Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Hamburg 1998. Bolter, Jay D.: „Das Internet in der Geschichte der Technologie des Schreibens“. In: Münker, Stefan / Roesler, Alexander (Hgg.): Mythos Internet. Frankfurt/Main 1997, S. 37-55. Bruns, Thomas: „Französische Internet-Terminologie (DE-FR), Teil 1“. In: Lebende Sprachen. Nr. 1/2001, S. 24-31. 107 Bruns, Thomas: „Französische Internet-Terminologie (DE-FR), Teil 2“. In: Lebende Sprachen. Nr. 2/2001, S. 72-83. Bühl, Achim: Cybersociety: Mythos und Realität der Informationsgesellschaft. Köln 1996. Busch, Carsten: Metaphern in der Informatik. Modellbildung – Formalisierung – Anwendung. Wiesbaden 1998. Castells, Manuel: The Rise of the Network Society. Oxford 1996. Cheval, Mireille / Huber, Herbert: „Internet: comment s’y retrouver? Quelques aspects d’une terminologie en constante évolution (français – allemand)“. In: Lebende Sprachen. Nr. 4/1998, S. 169-172. Crouzet, Thierry: Je réussis mes recherches sur Internet. Paris 2001. Draaisma, Douwe: Die Metaphernmaschine. Eine Geschichte des Gedächtnisses. Darmstadt 1999. Dyson, Esther / Gilder, George / Keyworth, George / Toffler, Alvin: „Magna Charta für das Zeitalter des Wissens“. In: Bollmann, Stefan / Heibach, Christiane (Hgg.): Kursbuch Internet. Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Hamburg 1998, S. 104-117. Fuchs, Volker (Hg.): Von der Unklarheit des Wortes in die Klarheit des Bildes? Festschrift für Johannes Thiele. Tübingen 1998. Gates, Bill: Der Weg nach vorn. Die Zukunft der Informationsgesellschaft. Hamburg 1995. Gauron, André: „Das digitale Zeitalter“. In: Bollmann, Stefan (Hg.): Kursbuch Neue Medien. Trends in Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Hamburg 1998a, S. 24-41. GEO WISSEN Nr. 27: Mensch & Kommunikation. Internet @ Computer @ Gesellschaft. Hamburg 2001. Gibson, William: Die Neuromancer Trilogie. Neuromancer – Biochips – Mona Lisa Overdrive. Hamburg 1996. Gil, Alberto / Schmitt, Christian (Hgg.): Kognitive und kommunikative Dimensionen der Metaphorik in den romanischen Sprachen. Akten der gleichnamigen Sektion des XXV. Deutschen Romanistentages, Jena (28.9.-2.10.1997). Bonn 1998. Habscheid, Stephan: „Die sprachliche Aneignung von Computermedien“. In: Strohner, Hans / Sichelschmidt, Lorenz / Hielscher, Martina (Hgg.): Medium Sprache. Frankfurt/Main 1998, S. 123-135. Hafner, Katie / Lyon, Matthew: Arpa Kadabra oder die Geschichte des Internet. Heidelberg 22000. Jäkel, Olaf: Metaphern in abstrakten Diskurs-Domänen: eine kognitiv-linguistische Untersuchung anhand der Bereiche Geistestätigkeit, Wirtschaft und Wissenschaft. Frankfurt/Main 1997. Jakob, Karlheinz: Maschine, mentales Modell, Metapher: Studien zur Semantik und Geschichte der Technik-Sprache. Tübingen 1991. Johnson, Mark: The Body in the Mind. Chicago 1987. Kalverkämper, Hartwig (Hg.): Fachsprachen in der Romania. Tübingen 1988. Kleinsteuber, Hans J. (Hg.): Der ‘Information Superhighway’. Amerikanische Visionen und Erfahrungen. Opladen 1996a. Kleinsteuber, Hans J.: „Der ‘Information Superhighway’: Analyse einer Metapher“. In: Ders. (Hg.): Der ‘Information Superhighway’. Amerikanische Visionen und Erfahrungen. Opladen 1996b. Kramer, Johannes / Plangg, Guntram A. (Hgg.): Verbum Romanicum: Festschrift für Maria Iliescu. Hamburg 1993. 108 Kreuzberger, Thomas: Internet: Geschichte und Begriffe eines neuen Mediums. Wien/Köln/Weimar 1997. Krippendorff, Klaus: „Der verschwundene Bote. Metaphern und Modelle der Kommunikation“. In: Merten, Klaus / Schmidt, Siegfried J. / Weischenberg, Siegfried (Hgg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen 1994, S. 79-113. Lakoff, George / Johnson, Mark: Metaphors we live by. Chicago/London 1980. Lakoff, George / Johnson, Mark: Les métaphores dans la vie quotidienne. Paris 1985. Lakoff, George: Women, Fire, and Dangerous Things. What Categories Reveal about the Mind. Chicago 1987. Lakoff, George: „Metaphor and war: The metaphor system used to justify war in the gulf“. In: Pütz, Martin (Hg.): Thirty Years of Linguistic Evolution. Philadelphia/ Amsterdam 1992, S. 463-481. Lakoff, George: „The contemporary theory of metaphor“. In: Ortony, Andrew (Hg.): Metaphor and Thought. Cambridge 21993, S. 202-251. Lakoff, George / Turner, Mark: More than Cool Reason. A Field Guide to Poetic Metaphor. Chicago 1989. Lévy, Pierre: „Cyberkultur. Universalität ohne Totalität“. In: Bollmann, Stefan / Heibach, Christiane (Hgg.): Kursbuch Internet. Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Hamburg 1998, S. 60-87. Lüger, Heinz-Helmut: Pressesprache. Tübingen 21995. Maglio, Paul P. / Matlock, Teenie: „Constructing social spaces in virtual environments: Metaphors we surf the web by“. In: Workshop on Personal and Social Navigation in Information Space. Stockholm 1998, S. 137-147. Mandel, Thomas / Van der Leun, Gerard: „Einführung“. In: Bollmann, Stefan / Heibach, Christiane (Hgg.): Kursbuch Internet. Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Hamburg 1998a, S. 13-29. Mandel, Thomas / Van der Leun, Gerard: „Die Zwölf Gebote des Cyberspace“. In: Bollmann, Stefan / Heibach, Christiane (Hgg.): Kursbuch Internet. Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Hamburg 1998b, S. 263-270. McLuhan, Marshall / Powers, Bruce R.: The Global Village. Der Weg der Mediengesellschaft in das 21. Jahrhundert. Paderborn 1995. Merten, Klaus / Schmidt, Siegfried J. / Weischenberg, Siegfried (Hgg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen 1994. Münker, Stefan / Roesler, Alexander (Hgg.): Mythos Internet. Frankfurt/Main 1997. Neverla, Irene (Hg.): Das Netz-Medium. Opladen 1998. Ortony, Andrew (Hg.): Metaphor and Thought. Cambridge 21993. Osthus, Dietmar: Metaphern im Sprachenvergleich. Frankfurt/Main 2000. Pielenz, Michael: Argumentation und Metapher. Tübingen 1993. Polzin, Claudia: „Metaphern im Sprachvergleich. Eine kontrastive Studie an französischen und deutschen Texten“. In: Reinart, Sylvia / Schreiber, Michael (Hgg.): Sprachvergleich und Übersetzen: Französisch und Deutsch: Akten der gleichnamigen Sektion des ersten Kongresses des Franko-Romanistenverbandes (Mainz, 24.-26. September 1998). Bonn 1999, S. 209-235. Pütz, Martin (Hg.): Thirty Years of Linguistic Evolution. Philadelphia / Amsterdam 1992. Reichertz, Jo: „Metaphern als Mittel der Sinnzuschreibung in der ‘Computerwelt’“. In: Biere, Bernd Ulrich / Holly, Werner (Hgg.): Medien im Wandel. Wiesbaden 1998, S. 173-186. Reinart, Sylvia: „Internet-Glossar (F-D)“. In: Lebende Sprachen. Nr. 2/1997, S. 68-78. 109 Reinart, Sylvia / Schreiber, Michael (Hgg.): Sprachvergleich und Übersetzen: Französisch und Deutsch: Akten der gleichnamigen Sektion des ersten Kongresses des Franko-Romanistenverbandes (Mainz, 24.-26. September 1998). Bonn 1999. Rheingold, Howard: Virtuelle Gemeinschaft. Soziale Beziehungen im Zeitalter des Computers. Bonn / Paris / Reading 1994. Rheingold, Howard: „Lernen, damit umzugehen“. In: Bollmann, Stefan / Heibach, Christiane (Hgg.): Kursbuch Internet. Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Hamburg 1998, S. 271-278. Rössler, Patrick (Hg.): Online-Kommunikation. Opladen 1998a. Rössler, Patrick: „Wirkungsmodelle. Die digitale Herausforderung“. In: Ders. (Hg.): Online-Kommunikation. Opladen 1998b, S. 17-46. Runkehl, Jens / Schlobinski, Peter / Siever, Torsten: Sprache und Kommunikation im Internet. Opladen/Wiesbaden 1998. Schmitt, Christian: „Gemeinsprache und Fachsprache im heutigen Französisch. Formen und Funktionen der Metaphorik in wirtschaftsfachsprachlichen Texten“. In: Kalverkämper, Hartwig (Hg.): Fachsprachen in der Romania. Tübingen 1988, S. 113-129. Schmitt, Christian: „Der Personalcomputer und sein Einfluß auf die Entwicklung des Wortschatzes der spanischen Gegenwartssprache. Ein Beitrag zur lexikalischen Wortbildungslehre“. In: Kramer, Johannes / Plangg, Guntram A. (Hgg.): Verbum Romanicum: Festschrift für Maria Iliescu. Hamburg 1993, S. 317-325. Seewald, Uta: „Gebrauch der Metaphorik in der Sprache des Internet. Untersuchungen am Beispiel des Französischen, Italienischen und Spanischen“. In: Gil, Alberto / Schmitt, Christian (Hgg.): Kognitive und kommunikative Dimensionen der Metaphorik in den romanischen Sprachen. Akten der gleichnamigen Sektion des XXV. Deutschen Romanistentages, Jena (28.9.-2.10.1997). Bonn 1998, S. 360-378. Settekorn, Wolfgang: „Métaphorisations mutuelles, mise en scène et médias: invitations à l’induction?“ In: Communication & Organisation No. 12, 2e semestre 1997. Induction et communication. Actes du colloque du Grec/o Bordeaux, juin 1997. Bordeaux 1997, S. 203-225. Sieper, Roswitha: The Student’s Companion to the USA. Ismaning 1988. Simon, Claus Peter: „Die Geschichte des Internet“. In: GEO WISSEN Nr. 27: Mensch & Kommunikation. Internet @ Computer @ Gesellschaft. Hamburg 2001, S. 80-85. Strohner, Hans / Sichelschmidt, Lorenz / Hielscher, Martina (Hgg.): Medium Sprache. Frankfurt/Main 1998. Weingarten, Rüdiger: Die Verkabelung der Sprache. Grenzen der Technisierung von Kommunikation. Frankfurt/Main 1989. Weingarten, Rüdiger (Hg.): Sprachwandel durch Computer. Opladen 1997. Weinrich, Harald: Sprache in Texten. Stuttgart 1976. Weischenberg, Siegfried: „Pull, Push und Medien-Pfusch. Computerisierung – kommunikationswissenschaftlich revisited“. In: Neverla, Irene (Hg.): Das NetzMedium. Opladen 1998, S. 37-61. Zehnder, Matthias W.: Internet-Starter-Buch. Kilchberg 1999. 110 Internet-Dokumente Anmerkung: Die Angabe der Internet-Quellen erfolgt nach der Reihenfolge: Name, Vorname des Autors*: Titel. Erscheinungsdatum bzw. -jahr*. [*soweit in der Quelle vermerkt] [Internet-Adresse (Abrufdatum)]. Die Angabe des Abrufdatums ist insofern von Bedeutung, als daß Webseiten zuweilen verändert oder aus dem Netz genommen werden. Es handelt sich bei den in der vorliegenden Arbeit zitierten InternetQuellen also immer um jene Version, die zum jeweiligen Abrufdatum im Netz stand. Aspirine: Logiciel Aspirine Antivirus. 2001. [http://www.aspirine.altasecu.com (25.09.2001)]. Association des Fournisseurs d’Accès et de Services Internet (AFA): Les chiffres au 31 mars 2002). 2002. [http://www.afa-france.com/html/chiffres/bas.html (15.08.2002)]. Canzler, Weert / Helmers, Sabine / Hoffmann, Ute: „Die Datenautobahn. Sinn und Unsinn einer populären Metapher“. In: WZB Discussion Paper FS II 95-101. Wissenschaftszentrum Berlin. 1995. [http://duplox.wz-berlin.de/texte/caheho/ (16.02.2001)]. Debatin, Bernhard: Metaphern und Mythen des Internet. Demokratie, Öffentlichkeit und Identität im Sog der vernetzten Datenkommunikation. 1997. [http://www.uni-leipzig.de/~debatin/German/NetMet.html (23.02.2001)]. Dodge, Martin: Atlas of Cyberspace. 2001. [http://www.cybergeography.org (06.11.2001)]. Helmers, Sabine / Hoffmann, Ute / Hofmann, Jeanette: „Alles Datenautobahn – oder was? Entwicklungspfade in eine vernetzte Zukunft“. In: Kommunikationsnetze der Zukunft - Leitbilder und Praxis. Dokumentation einer Konferenz am 3. Juni 1994 im WZB. WZB Discussion Paper FS II 94-103, Wissenschaftszentrum Berlin. 1994. [http://duplox.wz-berlin.de/texte/ausblick/ (06.03.2001)]. Internet Society (ISOC): Internet History. 2001. [http://www.isoc.org/internet/history (22.06.2001)]. Lotter, Wolf: „Morbus Digitalis“. In: brand eins Wirtschaftsmagazin. 2000. [http://www.brandeins.de/magazin/archiv/2000/ausgabe_05/kolumnen/artikel5_ 1.html (28.09.2001)]. McAfee.com Corporation: Dr. Solomon’s Antivirus. 2001. [http://www.drsolomon.com (25.09.2001)]. McKeown, Trevor W.: „The etymology of cyber“. In: Ders.: Communications Cybernetics. 2001. [http://mypage.uniserve.ca/~ttrevor/cyber/cyberetymology.html (22.06.2001)]. Médiamétrie: Les baromètres multimedia - premiers résultats. 2002. [http://www.mediametrie.fr/web/resultats/barometre/resultats.php?id=569 (15.08.2002)]. Metaphorik.de. Das Online-Journal zur Metaphorik in Sprache, Literatur, Medium. 2001. [http://www.metaphorik.de (01.11.2001)]. Microsoft Encarta Enzyklopädie. 2001. [http://www.encarta.msn.de/find (01.03.2001)]. Mullens, Lauri: „When and how did the metaphor of the computer ‘virus’ arise?“ In: Scientific American. 02.09.1997. 111 [http://www.sciam.com/askexpert/computers/computers9.html (28.09.2001)]. NUA INTERNET SURVEYS: How many online? 2002. [http://nua.net/surveys/how_many_online/index.html (15.08.2002)]. Polly, Jean Armour: About Net-mom: Birth of a Metaphor. The Nascence of Surfing the Internet. 1994. [http://www.netmom.com/about/birth.shtml (22.06.2001)]. Polly, Jean Armour: About Net-mom: Surfing the Internet. 1994. [http://www.netmom.com/about/surfing.shtml (22.06.2001)]. Rohrer, Tim: Conceptual Blending on the Information Highway: How Metaphorical Inferences Work. 1997. [http://philosophy.uoregon.edu/metaphor/iclacnf4.htm (01.03.2001)]. SevenOne Interactive: @facts. 2002. [http://www.SevenOneInteractive.de (15.08.2002)]. The National „I’m Okay“ Message Center: I’m Okay-List. 2001. [http://okay.prodigy.net/ (17.09.2001)]. University Corporation for Advanced Internet Development: The Abilene Project. 2001. [http://www.ucaid.edu/abilene/html/faq-general.html (28.09.01)]. Vecam (Veille européenne et citoyenne sur les autoroutes de l’information et le multimédia). 2001. [http://www.vecam.org (15.11.01)]. Volkery, Carsten: „Internet-Geschichte. Die Frau, die das Surfen erfand“. In: Spiegel Online. 24.09.1999. [http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,43453,00.html (22.06.2001)]. Nachschlagewerke Bußmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft. Stuttgart 1990. Duden. Das Neue Lexikon in zehn Bänden. Mannheim 1996. Duden. Die deutsche Rechtschreibung. 22., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2000. Le Nouveau Petit Robert. Dictionnaire alphabéthique de la langue française. Paris 1993. Oxford Advanced Learner’s Dictionary of Current English, Berlin 1983. 112 9. Anhang Abbildung 1: Werbeanzeige HanseNet Abbildung 2: Werbeanzeige LibertySurf