Ausgabe 77 - MOE-Kultur
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Ausgabe 77 - MOE-Kultur
MOE- KULTUR. DE Kulturveranstaltungen aus Mittel- und Ost Europa in Berlin-Brandenburg www.moe-kultur.de EIN PROJEKT VON JOE - PLATTFORM BERLIN E.V. AUSGABE 77 JUNI 2011 REDAKTIONSSCHLUSS 30-05-2011 • Termine • Partner • Impressum • Veranstaltungsadressen unter www.moe-kultur.de InformationsZentrum Sozialwissenschaften Abt. Informationstransfer Osteuropa DGO Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e.V. SÜDOSTEUROPAGESELLSCHAFT e.V. Zweigstelle Berlin Unsere Partner: Wissenschaftlich relevante Veranstaltungshinweise finden Sie im Berlin-Brandenburger Forum Osteuropa http://www.gesis.org/Kooperation/Information/Osteuropa/newslist.htm 1 JUNI 2011 MOE- KULTUR. DE Ausstellung • Diskussionen • Film • Literatur • Performance • Musik • Tanz • Theater • Vortrag INHALT Kalendarium >>Kulturkalender Feb/März (S.3-9) Ausstellungen – Diskussionen – Film – Literatur – Performance – Musik – Tanz - Theater Notabene >> Aufgepasst!!! (S. 10-11) - besondere Termine – Hintergrundinformationen - Es stand die Mutter schnmerzerfüllt • Hannelore Bracht >> Reihe: Profile (S. 11-15) - Polentransport • Piotr Olszowka - Be young, be Roma • Michael Kleineidam - New Generation „Radical Jewish Culture“ Angelika Buchelt im Gespräch mit Arnold Dreyblatt >> Lesetipp (S. 15) - Überlandleitung...Bulgarien • Irina Lazarova (u.a.) >> Nachtrag (S. 16-19) - Ein ganz normales Genie • Michael Kleineidam - Theatertreffen 2011. Fantastisches Theater - Sein oder Nichtsein - Frühstück mit Früh-Stücken • Iwona Uberman >> Besondere Orte – einzigartige Geschichten (S. 19- 24) - Die hässlichen Seiten der Schatzsuche • Michael Kleineidam - Reval – Tallinn: 19./20. Jahrhundert • Karsten Brüggemann >>Kurz notiert (S. 25) - wichtige Hinweise - Termine - Ausschreibungen und einiges mehr >> Unsere Partner: Osteuropa Zentrum Berlin Verlag (S. 15) Newsletter des Deutschen Kulturforums östliches Europa (S. 24) IMPRESSUM M O E - Kultur- Newsletter ein Projekt der JOE-Plattform Berlin e.V. www.joe-plattform.de REDAKTION Ewa Strózczynska-Wille (Gesamtredaktion) Angelika Buchelt Michael Kleineidam Agnieszka Mikolajewicz Iwona Uberman Natalie Wasserman Mario Schneider (auch Layout) Weitere Informationen: www.moe-kultur.de (auch Veranstaltungsadressen) [email protected] Tel: 030-8524897 MOE JUNI 2011 SEITE 2 JUNI 2011 MOE- KULTUR. DE Ausstellung • Diskussionen • Film • Literatur • Performance • Musik • Tanz • Theater bis 10.06. • CZ A Tschechischen Republik Jiri Anderle: Radierungen 1964–1984 Die Ausstellung zeigt frühe Arbeiten des Graphikers, Malers und Buchillustrators Jiri Anderle (geb. 1936), die Werke stammen aus den Sammlungen von Mary Slaton Randhawa und Hartmut Rampoldt. Wilhelmstraße 44 bis 14.06 • PL A Polnisches Institut Berlin Ausstellung Ultramöbel - Karsten Konrad & Jan Mioduszewski Karsten Konrad schafft Skulpturen, Wandreliefs und Rauminstallationen aus Sperrmüll oder auf Berliner Flohmärkten gefundenen Elementen. Das Ergebnis sind räumliche Kaleidoskope, verrückte Objekte , Collagen aus Fundstücken, die den Raum sprengen. Verweise zu minimalart, architekturgeprägtes Denken sind dabei unübersehbar. Jan Mioduszewski beschäftigt die Illusion, die Kunst des trompe l´oeil, die Meta-Malerei. Mit viel Witz und Ironie schafft er eine illusionistische Mischung aus gemalten und echten Elementen, wobei kaum zu unterscheiden ist, welche dreidimensional und welche gemalt sind. Beide Künstler verbindet ihre Liebe zum Sperrmüll, ihre besessene Sammlertätigkeit und das Spiel mit der Konstruktion und Dekonstruktion. Burgstr. 27 bis 22.06. • BG A GALERIE 100 Konrad-Wolf-Str. 99 MARIO LISCHEWSKY Malerei bis 25.06. • PL A Galerie ZaK ROMAN OPALKA: OKTOGON Roman Opalka ist einer der radikalsten und berühmtesten konzeptuellen Künstler der Gegenwart. In seinem Lebensprojekt, Opalka 1965/1–∞ malt er seit 1965 fortlaufende Zahlenreihen mit weißer Farbe auf immer gleich großen Leinwänden (195 x 135 cm). Aktuell hat der Künstler in seinen Bildern die Zahl 5 590 000 erreicht. Anlässlich Opalkas achtzigstem Geburtstag werden acht fotografische Selbstporträts präsentiert. Es ist die erste Ausstellung in Berlin seit siebzehn Jahren. Lindenstr. 35 bis 30.06. • CZ A Bildungszentrum der Stasi-UnterlagenBehörde, Zimmerstraße 90/91 Prag durch das Objektiv der Geheimpolizei Die Ausstellung zeigt Fotos, die bei der verdeckten Beobachtung von Regimegegnern durch die tschechoslowakische Staatssicherheit StB in den 1970er und 1980er Jahren entstanden. bis 01.07. • CZ A Tschechisches Zentrum Berlin Jiri Balcar: Graphiken 1965–1968 Der Maler und Graphiker Jiri Balcar (1929– 1968) war Ende der 1950er Jahre ein Weg- bereiter der neuen Welle der tschechischen Abstraktion. Die Ausstellung zeigt graphische Arbeiten zwischen Pop-Art und Neuer Figuration aus der Privatsammlung von Mary Slaton Randhawa. Friedrichstraße 206 MOE JUNI 2011 SEITE 3 JUNI 2011 MOE- KULTUR. DE Ausstellung • Diskussionen • Film • Literatur • Performance • Musik • Tanz • Theater • Vortrag bis 01.07. • CZ A Institut für Slawistik der HumboldtUniversität zu Berlin, Boeckh-Haus Karel Hynek Macha Die Ausstellung des Museums der tschechischen Literatur in Prag stellt Werk und Leben des Dichters Karel Hynek Macha (1810–1836) vor, des Begründers der modernen tschechischen Dichtung und wichtigsten Vertreters der tschechischen Romantik. Weitere Informationen: www.slawistik.hu-berlin.de Dorotheenstraße 65 bis 31.08. • PL A Polnisches Institut Berlin Ausstellung Alicja Kwade – 52°31´17.23, 13°62.65 52°31´17.23, 13°62.65 sind die Ortskoordinaten des Polnischen Instituts Berlin. Zur Ausstellungseröffnung sind am Himmel von diesem Standort aus die Sternbilder Andromeda, Herkules und Eidechse zu sehen. Alicja Kwade (*1979, Katowice) bespielt mit ihrer Sternenhimmel-Installation die gesamte Schaufensterfront des Instituts. Nachts sieht der Betrachter von außen die Sterne in der Galerie. Ausstellungseröffnung: 30.06.2011, 21:00 Uhr Burgstr. 27 06.06. 19:00 Uhr • HU L Collegium Hungaricum Der Direktor liest Hamvas. Eine Montagsreihe Der Direktor des .CHB liest montags von 19 bis 20 Uhr (Achtung: pünktlicher Beginn) Texte von Béla Hamvas (1897-1968) in deutscher Übersetzung. Dies ist Teil der Projektreihe des .CHB Vorbereitung auf Béla Hamvas, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Großmeister des ungarischen Essays des 20. Jahrhunderts dem deutschen Publikum näher zu bringen. Dorotheenstr. 12 07.06. 19:30 Uhr • HU A Collegium Hungaricum Moholy-Nagy Galerie Vernissage: Manifest: KassÁk! Eine intermediale Annäherung Mit Lajos Kassák (1887–1967) ist in Ungarn ein neuartiger Künstlertyp in Erscheinung getreten. Er war ein souveräner und unbeirrbarer Künstler, Organisator und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens – kurz: ein Networker. Sein Lebenswerk ist durch seine Offenheit gegenüber progressiven künstlerischen Tendenzen und durch sein gesellschaftliches Engagement gekennzeichnet. Die interaktive Präsentation geht auch der Frage nach, wie diese international anerkannte Figur des Modernismus in unterschiedlichen politischen Systemen Stellung bezogen hat. Ausstellungsdauer: bis 25.9. Dorotheenstr. 12 08.06. 19:00 Uhr • PL V Haus der BrandenburgischPreußischen Geschichte gGmbH Nicht nur Danzig alleine. Städtebilder aus einem Land zwischen Deutschland und Polen Vortrag von Dr. Peter Oliver Loew, Darmstadt im Rahmen der Ausstellung: Westpreußen um 1900 – Hermann Ventzke (1847–1936) unterwegs mit der Plattenkamera Schloßstr. 12 MOE JUNI 2011 SEITE 4 JUNI 2011 MOE- KULTUR. DE Ausstellung • Diskussionen • Film • Literatur • Performance • Musik • Tanz • Theater • Vortrag 09.06. 17:30 Uhr • RO F FSK Kino am Oranienplatz, Filmvorführung und Masterclass Film, unser geheimes Rezept: „Polizeilich, Adjektiv“ von Corneliu Porumboiu gefolgt von einer Masterclass “Film, unser geheimes Rezept” ist eine Serie von Masterclasses mit weltbekannten Filmregisseuren, die jeweils nach ihrem gezeigten Film mit dem Publikum über ihre Motive und Inspirationen diskutieren. Der bekannte rumänische Regisseur Corneliu Porumboiu präsentiert innerhalb dieser Reihe seinen weltweit gekrönten Film „Polizeilich, Adjektiv”. Der Regisseur lädt nach dem Film zu einer Masterclass ein und beantwortet die Fragen des Publikums. Das Gespräch wird vom deutschen Journalisten Bernd Buder moderiert. Segitzdamm 2 11.06. 20:50 Uhr • RO M Amphitheater im Monbijoupark Lieder von Maria TANASE und Gipsy-Musik Konzert: Sanda Weigl und der Balanescu-Quartett Sanda Weigl, in Bukarest geboren, siedelte 1961 mit ihrer Familie aus politischen Gründen nach Ost-Berlin über. Mit Beatband Team 4 gelang sie mit dem Lied Der Abend ist gekommen in einer der DDR-Hitparaden auf den ersten Platz. 1992 siedelte die Künstlerin schließlich nach New York über. Neben ihrer 2002 erschienenen CD Gypsy Killer erzielten insbesondere ihre Auftritte bei der RuhrTriennale in den Jahren 2005 und 2007 öffentliche Aufmerksamkeit. Der 1987 gegründete Balanescu-Quartett zählt zu den bedeutendsten zeitgenössischen Musikbands. Der Quartett spielte an Standorten wie „London’s South Bank Centre“ oder „New York’s Knitting Factory“ und trat als Vorgruppe bei einem Konzert der Pet Shop Boys in der Londoner Wembley Arena auf. 11.06. 21.00 Uhr • PL F Zeughauskino, DHM Im Rahmen von: The Celluloid CurtainSpotkanie ze szpiegiem / Begegnung mit einem SpionPL 1964; R: Jan Batory; 105 min, OmeU; D: Ignacy Machowski, Beata Tyszkiewicz, Stanislaw Mikulski. Zu Beginn das Meer, ein U-Boot, verdächtiges Treiben im Halbdunkel – ein mysteriöser Mann fliegt mit einem Ballon in Polen ein. Nach seiner Landung tötet er eiskalt den ersten Zeugen seiner Ankunft. Doch längst wurde sein Eindringen von den polnischen Sicherheitsorganen bemerkt: Die Jagd beginnt... Weiterer Termin: 17.06.2011 21:00 Uhr Unter den Linden 2 16.06. 18.00 Uhr • PL L/DIS Ort der Information Denkmal für die ermordeten Juden Europas, „Was wusste die Welt damals vom Holocaust im besetzten Polen?“ Lesung & Gespräch Es werden zuerst ausgewählter Passagen aus dem soeben in deutscher Übersetzung erschienenen Autobiographie Jan Karski »Mein Bericht an die Welt« gelesen. Danach diskutieren deutsche und polnische Historiker und Journalisten über die Rolle Jan Karskis im polnischen Widerstand und seine vergebliche Mission, die Welt über die Verbrechen der Nazis aufzuklären und aufzurütteln. Cora-Berliner-Straße 1 MOE JUNI 2011 SEITE 5 JUNI 2011 MOE- KULTUR. DE Ausstellung • Diskussionen • Film • Literatur • Performance • Musik • Tanz • Theater • Vortrag 17.06. 20.00 Uhr • MOE/INT L Maxim Gorki Theater Im Rahmen des poesiefestival berlin 2011 Weltklang – Nacht der Poesie Das poesiefestival berlin beginnt mit einem internationalen Konzert aus Stimmen, Sprachen und Versen. Zu Weltklang – Nacht der Poesie treten die Meister der Dichtkunst auf und entfachen ein Feuerwerk zeitgenössischer Lyrik: von der klassischen Lesung über Rap und Lautpoesie bis hin zum Songwriting. Mit Marcel Beyer (Deutschland), Iva Bittová (Tschechien), Yves Bonnefoy (Frankreich), Tsead Bruinja und dem Musiker Jaap van Keulen (Niederlande), Billy Collins (USA), El Général (Tunesien), Kim Hyesoon (Südkorea), Silvio Rodríguez (Kuba) und Kathrin Schmidt (Deutschland) Moderation: Knut Elstermann (Journalist, Berlin) 17.06. 20.00 Uhr • MOE P Haus der Kulturen der Welt Im Rahmen von: IN TRANSIT 11 Spectator Performing Arts Festival I-ON Performance – Work in Progress Ivo Dimchev (Brüssel) in Zusammenarbeit mit Franz West (Wien) I-ON ist die performative Erkundung der Skulpturen von Franz West. Die tragbaren, zumeist in Gaze und Gips eingewickelten Alltagsgegensta?nde werden erst dann zu fertigen Kunstobjekten, wenn jemand etwas mit ihnen macht. Und genau das tut Ivo Dimchev. Er wird zum Beobachter der Skulpturen und offenbart in einem wild wuchernden Stilmix aus Tanz, Musik und Gesang, wie er sein performatives Selbst den Werken von Franz West anpasst. 09.06. 20:00 Uhr • HU D Collegium Hungaricum netz. macht. kultur: Ein Multimedialer Clubabend im Rahmen des 6. Kulturpolitischen Bundeskongresses In Zeiten der Digitalisierung steht eine neue Kulturpolitik auf der Tagesordnung. Wir leben seit gut zwei Jahrzehnten in einer digitalen Gesellschaft, deren immer schnellerer Rhythmus nach einer Neudefinition zentraler Codes der modernen Zivilgesellschaft – wie Freiheit, Kultur, Eigentum, Muße, Privatheit und Öffentlichkeit – verlangt. Es geht um neue Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe und die Frage, ob traditionelle Formen von Partizipation und Präsentation verschwinden. Die Tagung ist gebührenpflichtig, Anmeldung: www.netz-macht-kultur.de 18.06. Ab 11.00 Uhr • PL M Breidscheidplatz Charlottenburg Open-Air-Konzert Deutsch-Polnische Begegnungen Konzert mit: Justyna Steczkowska, Kapela ze Wsi Warszawa, Maria Helmin, Thomas Godoj, Patrycja Kazadi, Patrycia Ziolkowska, Polkaholix, Celina Muza, Jola Wolters, Folklore-Tanzensemble: “Perelka” aus Duisburg und „Polonia” aus Hannover, Jugend-Künstlergruppe des Ensembles „Polonia” aus München. Anlässlich des 20. Jahrestages der Unterzeichnung des Deutsch-Polnischen Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit. MOE JUNI 2011 SEITE 6 JUNI 2011 MOE- KULTUR. DE Ausstellung • Diskussionen • Film • Literatur • Performance • Musik • Tanz • Theater • Vortrag 18.06. 16.30 Uhr • MOE P Haus der Kulturen der Welt Im Rahmen von: IN TRANSIT 11 Spectator Performing Arts Festival E.I.O. Performance Deutschland-Premiere Von und mit: Dragana Bulut/Eduard Gabia/Maria Baroncea (Berlin/Belgrad/Bukarest) Bei E.I.O. folgt alles dem Prinzip der Entscheidungsfreiheit: Jeder kann selbst bestimmen, was er zahlt und dann sogar, ob er Publikum oder Performer werden möchte. Als Letzterem stehen einem alle Mittel und Wege zur künstlerischen Verwirklichung frei: Auf der Bühne liegen Stoffe, Plastik, Drähte, Bretter, Leitern, Tische mit Werkzeug und Materialien... wer zum besten Performer gekürt wird, darf die Einnahmen des Abends mit nach Hause nehmen. 19.06. 18. 30 Uhr • MOE/INT L Akademie der Künste, Pariser Platz, Black Box Im Rahmen des poesiefestival berlin 2011 e.poesie Poesiegespräch: e.poesie Mit Ondrej Adámek (Komponist, Tschechien), Mark Barden (Komponist, USA), Rozalie Hirs (Komponistin und Autorin, Niederlande), Sjón (Autor, Island) Moderation: Lydia Rilling (Musikwissenschaftlerin, Berlin)Lydia Rilling diskutiert mit beteiligten Komponisten und Poeten über ihre spannende, außergewöhnliche Zusammenarbeit zur e.poesie und stellt Werke der sich anschließenden Konzertperformance vor. 19.06. 20.00 Uhr • MOE/INT L/M Akademie der Künste, Im Rahmen des poesiefestival berlin 2011 e.poesie Räume aus Klang: e.poesie Für e.poesie beziehen fünf Komponisten gemeinsam mit internationalen Dichtern Positionen im Grenzbereich zwischen deklamiertem Text, Instrumentalmusik und Klang- bzw. Lautperformance. Die offene, divergente Architektur des Gebäudes am Brandenburger Tor wird dabei bewusst mit einbezogen. Mit dabei sind die Komponisten Ondrej Adámek (Tschechien), Mark Barden (USA), Eliav Brand (Israel), Dmitri Kourliandski (Russland), die Dichterin und Komponistin Rozalie Hirs (Niederlande) sowie die Dichter Stanislav Lvovsky (Russland), Zakaria Mohammed (Palästina), Sjón (Island) und Michael Stauffer (Schweiz). 20.06. 20.00 Uhr • PL L/DIS Hackesche Höfe Kino, filmPOLSKA reloaded Jutro bedzie lepiej / Morgen wird alles besser PL/JPN 2010; R/B: Dorota Kedzierzawska; 118 min; OmdU; K: Arthur Reinhart; D: Oleg Ryba, Jewgienij Ryba, Akhmed Sardalov Drei obdachlose Jungen beschließen wegzulaufen. Sie überqueren die „grüne Grenze“ nach Polen und hoffen auf ein besseres Morgen. Der Film wurde mit dem diesjährigen Friedensfilmpreis und dem „Grand Prix Deutsches Hilfswerk“ während der Berlinale ausgezeichnet. Rosenthaler Straße 40/41 MOE JUNI 2011 SEITE 7 JUNI 2011 MOE- KULTUR. DE Ausstellung • Diskussionen • Film • Literatur • Performance • Musik • Tanz • Theater • Vortrag 20.06. 20.00 Uhr • EUR F Literarisches Colloquium Berlin, Im Rahmen des Milosz-Jahres Im Schneckenhaus der Biographien. Czeslaw Milosz zum 100. Geburtstag Podiumsdiskussion und Lesung mit der deutschen Milosz-Übersetzerin Doreen Daume, dem polnischen Lyriker, Essayist, Kritiker Tadeusz Dabrowski und dem Schweizer Literaturwissenschaftler Ulrich Schmid Moderation: Manfred Sapper von der Zeitschrift OSTEUROPA Weitere Informationen: www.weltlesebuehne.de, www.lcb.de Am Sandwerder 5 21.06. 18:00 Uhr • PL A Collegium Hungaricum FilmEuropean Stories: Iskas Reise Die Filmreihe European Stories des .CHB und der Schwarzkopf-Stiftung zeigt prämierte Filme junger Filmemacher über aktuelle gesellschaftliche und politische Themen in Europa. „Iskas Reise“ des ungarischen Regisseurs Csaba Bollók begleitet ein Mädchen in einer Phase ihres Lebens zwischen Altmetall und Alkohol, in der sie beim Kampf um das Überleben endgültig den Boden unter den Füßen zu verlieren droht. Die Titelrolle verkörpert Mária Varga, deren Leben viele Parallelen zu Iskas Schicksal zeigt. Anmeldung erbeten: Fax: 030/280 95 150 E-Mail: [email protected] kinoPOLSKA im Arsenal Dorotheenstr. 12 22.06. 19.30 Uhr • PL F Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2 Bez konca / Ohne Ende PL 1985; R: Krzysztof Kieslowski; 109 min; OmdU; B: Krzysztof Kieslowski / Krzysztof Piesiewicz, K: Jacek Petrycki; M: Zbigniew Preisner; D: Grazyna Szapolowska, Jerzy Radziwilowicz, Aleksander Bardini, Maria Pakulnis u.a.. Ohne Ende ist eine Mischung aus politischem und metaphysischem Kino. Kieslowski skizziert in seinem Werk Polen in der Zeit des Kriegsrechts zwischen 1981 und 1983 und in der Zeit der politischen Prozesse... Gast des Abends: Grazyna Szapolowska Weitere Informationen: www.arsenal-berlin.de 23.06. 19.30 Uhr • PL F Kino Arsenal, kinoPOLSKA im Arsenal Pan Tadeusz / Herr Tadeusz PL 1999; R: Andrzej Wajda; 145 min; OmeU; B: Andrzej Wajda, Jan Nowina-Zarzycki, Piotr Werezniak; K: Pawel Edelman; M: Wojciech Kilar; Szenenbild: Allan Starski; D: Boguslaw Linda, Michal Zebrowski, Grazyna Szapolowska, Alicja Bachleda-Curus, Daniel Olbrychski, Marek Kondrat, Krzysztof Kolberger, Andrzej Seweryn, Roman Polanski u.a. „Pan Tadeusz“, Polens romantisches Nationalepos, erzählt die Geschichte des Streits zweier Adelsgeschlechter und ihrer Versöhnung angesichts des gemeinsamen Feindes. Wie auch bei anderen Literaturverfilmungen ist es Andrzej Wajda meisterhaft gelungen, die Vorlage und den Geist der Epoche filmisch umzusetzen Weitere Informationen: www.arsenal-berlin.de Potsdamer Str. 2 MOE JUNI 2011 SEITE 8 JUNI 2011 MOE- KULTUR. DE Ausstellung • Diskussionen • Film • Literatur • Performance • Musik • Tanz • Theater • Vortrag 28.06.18:00 Uhr • PL A Filmmuseum Potsdam Zum 70. Geburtstag von Krzysztof Kieslowski: Die zwei Leben der Veronika R: Krzysztof Kieslowski, PL/F/D 1991 Veronika und Véronique sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Beide sind Linkshänderinnen, verfügen über eine außergewöhnliche Stimme und leiden unter verborgener Herzschwäche. Nur ein einziges Mal – Veronika wächst in Krakau auf, Véronique in Paris – begegnen sie sich, ohne sich zu erkennen. Als Veronika während eines großen Konzerts stirbt, empfindet Véronique diesen Verlust und gibt ihre Karriere als Sängerin auf, um künftig Musik zu unterrichten. Der Marionettenspieler Alexandre, in den sich Véronique verliebt, scheint ihre „doppelte Geschichte“ zu erahnen. Krzysztof Kieslowski inszeniert das Motiv des Doppelgängers voller Poesie. Die ergreifende Filmmusik stammt von Zbigniew Preisner, der neben Kieslowski mit Regisseuren wie Louis Malle, Agnieszka Holland und Thomas Vinterberg zusammenarbeitete. Weitere Termine: 29. und 30. Juni Breite Str. 1a/ Marstall 30.06. 21.00 Uhr • PL F Polnisches Institut Berlin Ausstellungseröffnung Alicja Kwade – 52°31´17.23, 13°62.65 52°31´17.23, 13°62.65 sind die Ortskoordinaten des Polnischen Instituts Berlin. Zur Ausstellungseröffnung sind am Himmel von diesem Standort aus die Sternbilder Andromeda, Herkules und Eidechse zu sehen. Alicja Kwade (*1979, Katowice) bespielt mit ihrer Sternenhimmel-Installation die gesamte Schaufensterfront des Instituts. Nachts sieht der Betrachter von außen die Sterne in der Galerie. Ausstellungsdauer: 01.07.-31.08.2011 Burgstr. 27 MOE JUNI 2011 SEITE 9 MOE- KULTUR. DE JUNI 2011 NOTABENE >> Aufgepasst!!! Bis zum 31.8. Ausstellung Ungarische Gegenwartskunst aus Berlin Gabor A. Nagy, Adam Bote, Konstantin Déry, Deenesh Ghyczy Spüren den Zeitgeist einer modernen Metropole nach... Ort: Ungarische Botschaft, Unter den Linden 76, 10117 Berlin 7.6., 17. Uhr Diskussion “Quo vadis Ungarn? Eine junge Demokratie auf dem Prüfstand”ffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffff Seit Ende 2010 / Anfang 2011 ist das Interesse an den politischen Entwicklungen in Ungarn durch das umstrittene Mediengesetz und die neue Verfassung beträchtlich gewachsen. - Wie konnte aus diesem Land, das einst der bewunderte Schrittmacher der Reformen in der kommunistischen Welt war, ein Nährboden für rechtsradikale Parteien werden? Welche Konsequenzen soll die Europäische Union ziehen? – Ein Gespräch mit Attila Mesterházy (Vorsitzender der MSZP-Fraktion im ungarischen Parlament) - Prof. Paul Lendvai (Autor und Journalist) - Michael Roth (MdB, Europapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion) – Moderatorin: Cathrin Kahlweit (Süddeutsche Zeitung)hhhhhhhhhhh Ort: Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin www.fes.d 15.6. - 18.6. IN TRANSIT 11 Spectator Performing Arts Festival untersucht die Politik des Sprechens und die Politik der Blicke. Wie soll man sprechen? Wer darf wem was sagen? Welcher Blick macht wen zu was? Über diese Diskurse entsteht Definitionsmacht in der Öffentlichkeit. Zugleich zeigt sich, wie fragil Identitäten und Zuschreibungen sind und wie lustvoll das Spiel mit ihnen sein kann. Performances von Branch Nebula (Sydney), Bulut/Gabia/Baroncea (Berlin/Belgrad/ Bukarest), Ivo Dimchev (Brüssel), Ruud Gielens (Brüssel), Geumhyung Jeong (Seoul), Eisa Jocson (Manila), Daniel Kok (Berlin), Angélica Liddell (Madrid), Yann Marussich (Genf), Song-Ming Ang (Singapur), Dave St. Pierre (Montreal), Dick Wong (Hongkong), Ming Wong (Singapur/Berlin), Ann Liv Young (New York) Informationen/ Programm: www.hkw.de RADIO-TIPP 5.6., 11.05 Inforadio (rbb) 20 Jahre deutsch-polnische Beziehungen Vor 20 Jahren, am 17. Juni 1991, unterzeichneten Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl und Ministerpräsident Jan Bielecki den deutsch-polnischen Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit. Das Forum im Inforadio und die Europäische Akademie Berlin fragen nach den politischen Rahmenbedingungen und den konkreten Beispielen im Alltag: Wo gelingt die Zusammenarbeit, was hindert sie? - Und welche Rollen können beide Länder, können aber vor allem die Menschen der Grenzregionen in Europa und der Welt spielen? Es diskutieren: Prof. Dr. Gesine Schwa n (Präsidentin Humboldt-Viadrina School of Governance gGmbH) - Dr. KaiOlaf Lang (wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik) - Dr. Weronika Priesmeyer-Tkocz (Studienleiterin der Europäischen Akademie Berlin) Elzbieta Nowakowska-Kühl (Leiterin des Klubs “Storrady” in Szczecin, 2.Vorsitzende des JOE-Plattform Berlin e.V.) Moderation:Harald Asel (Inforadio /rbb) www.inforadio.de Über ihre Zeit hinaus – Europäische Biografien In seinem Jahresschwerpunkt 2011 präsentiert das Kulturforum Biografien von deutschsprachigen Persönlichkeiten aus dem östlichen Europa,die grenzüberschreitend und über ihre Zeit hinaus gewirkt haben. www.kulturforum.info bis 31. 6. Ausstellung Westpreußen um 1900. Hermann Ventzke (1847– 1936) unterwegs mit der Plattenkamera Ort: Schloss Caputh Rahmenveranstaltungen: Die Region an der unteren Weichsel, in Deutschland als Westpreußen, in Polen als Pomorze Gdanskie bezeichnet, war über Jahrhunderte hinweg ein Brennpunkt der deutschpolnischen Beziehungen. 1466 gelangte der westliche Teil des Deutschordensstaates als „Preußen königlichen Anteils“ unter die Hoheit des polnischen Königs. Mit der Ersten Teilung Polens 1772 fiel Westpreußen an Preußen, 1920 entschied der Versailler Vertrag über die Zugehörigkeit des so genannten „Korridors“ zu Polen. 1939 wurde die Region Teil des „Reichsgaus Danzig-Westpreußen“, seit 1945 gehört sie zur (Volks-) Republik Polen. Ungeachtet aller politischen Veränderungen lebten am Unterlauf der Weichsel Deutsche, Polen und Kaschuben, Katholiken, Protestanten, Mennoniten und Juden nebenund miteinander. Im Mittelpunkt der deutschen und polnischen Geschichtsschreibung, aber auch der Überlieferung der MOE JUNI 2011 SEITE 10 JUNI 2011 MOE- KULTUR. DE NOTABENE deutschen Vertriebenen und der polnischen Neuansiedler stand lange der deutsch-polnische Konflikt um diese Region: War Westpreußen deutsch oder Pomorze Gdanskie polnisch? Der Vortrag bietet eine Annäherung an eine vergangene Kulturlandschaft – nicht in nostalgischer Rückschau, sondern als Beitrag zum gemeinsamen Erbe im zusammenwachsenden Europa. - 8. 6., 19 Uhr Vortrag Nicht nur Danzig alleine. Städtebilder aus einem Land zwischen Deutschland und Polen Vortrag: Dr. Peter Oliver Loew - 29.6., 19 Uhr Kloster und Burg. Die Architektur des Deutschen Ordens in Preußen und Livland – Vortrag: Prof. Dr. Christofer Herrmann Informationen: www.kulturforum.info >> PROFILE Menschen Orte Projekte POLENTRANSPORT Piotr Olszówka Im Chor der Philosophen - das Bild stammt vom Peter Bieri - selbst, wenn sich einzelne Ansichten, Erklärungsmodelle, Versatzstücke widersprechen, können sie trotzdem wie eine Art „Musik der Sphären“ aufgenommen werden. Jeder trägt so seinen eigenen Chor bei sich, der sich verändert und für jeden anders zusammengestellt ist. Solange keine Ausschließlichkeit, kein Anspruch auf das einzig Wahre und unantastbare erhoben wird, ist es möglich, produktiv und bereichernd, mehrere Stimmen im Chor der Kulturen zu hören. Alsbald es sich jedoch um eine exklusive Wahrheit handelt, die auch gar nicht verändert werden kann, endet jeder Dialog, vielmehr ist dann der Dialog entweder eine Unterwerfung oder eine Provokation. Die Kultur ist ihrem Wesen nach pluralistisch: jeder versteht sie anders, weil in seinem Chor andere Stimmen zu hören sind, oder in anderer Proportion, als bei einem anderen, selbst bei einem aus der gleichen Sippe, dem gleichen Dorf, der gleichen Familie. Eine Kohorte hat einen gemeinsamen Ton, der sich von dem einer anderen Kohorte unterscheidet, eine lokale Gemeinschaft einen anderen Ton, als eine andere. jeder ist ein Künstler Jerzy Grotowski und Joseph Beuys wurden beide von vielen für Scharlatane gehalten. Ihre Utopien betrachteten die Zeitgenossen meist entweder mit weitgehender Skepsis oder mit einem glaubensähnlichen Enthusiasmus. Grotowski entwickelte seine Theaterarbeit einerseits indem er alles Theatralische im Theater reduzierte: das Bühnenbild, die Musik, die Kostüme, die Requisite. Sein armes Theater war eines des Schauspielers und des Zuschauers, Empfängers. Andererseits war sein Theater eines der absoluten Perfektion, der Biomechanik nach der Lehre Meyerholds, des Schauspielers als eines totalen Resonanzkörpers. Nachdem sein Laboratorium den Gipfel des Theatralischen erreicht hatte, brach Grotowski gänzlich mit dem Theater als solchem und eröffnete eine Phase der anthropologischen MOE JUNI 2011 Recherche, die dem Schamanismus und der direkten Erfahrung des Zwischenmenschlichen nachgegangen ist. Der Weg von Joseph Beuys führte auch diesen Künstler zur ähnlichen Ufern, seine Festestellung: „jeder ist ein Künstler“ war den Feststellungen des Grotowski gleich, obzwar auf eine andere Weise begründet und anders praktiziert. Beuys ging im Jahre 1981 nach Polen, konkret nach Lódz zum Muzeum Sztuki, wo er sein „Polentransport“ hin brachte. Das Konvolut seiner künstlerischen und – vor allem – postkünstlerischen We r ke hatte eine unüberschätzbare Bedeutung. In Polen dauerte damals die 16-monatige Periode der Solidarnosc, die totalitäre Ordnung war aus den Fugen geraten, es spielte sich in der Praxis das ab, was Beuys im Jahre 1972 in Italien proklamierte: „La Revoluzione siamo noi“. Heute brauchen wir solche PolenTransporte, die auf der Essenz des Menschlichen, auf dem Prinzip Widerstand – Freiheit - Solidarität basieren, in viele Richtungen. Ein solcher Polen-Transport ist vorerst gescheitert, der der Aufklärung nach Peking. Doch Polen-Transporte nach Tunesien, Ägypten, Libyen sind notwendig und sollen folgen. Es geht nicht nur um Brot und Geld. Wichtiger ist unsere Solidarität, mit den Unterdrückten, mit denjenigen, die Widerstand für die Freiheit leisten. Der polnische Philosoph, Józef Tischner, spricht, wenn er von der Ethik der Solidarität schreibt, von der Wiedergeburt des Menschen nach dem Totalitarismus, nach dem Tode des Menschen und des Gottes in Auschwitz und Kolyma. Eine Wiedergeburt erlebte auch Joseph Beuys als er, auf der Krim als Pilot abgeschossen, von den Tataren im Fett und Filz gewickelt mit schammanischen Ritualen ins Diesseits zurück geholt worden ist. Das Schamanische in der Kunst der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, speziell bei Beuys und bei Grotowski, bezieht sich auf das Menschliche in uns, auf das, was sich nicht weiter reduzieren lässt, auf das Wesentliche. Das „arme Theater“ Grotowskis, die Aktionen Beuys, seine geheimnisvollen Objekte, für die man eigentlich nur Fremdscham empfindet, begründen die Entblößung unserer Wehrlosigkeit, unserer hoffnungslosen Lächerlichkeit, das Vordringen in die intimsten Regionen unserer Persönlichkeit. wir alle sind die Revolution Dem „Po l e n t ransport“ von 1981 stehen viele ähnliche Bewegungen moralisch-ästhetischer Art gegenüber. Noch eher ich nach Deutschland kam, traf ich viele Deutsche. Ich dachte mir in den 60er-70er Jahren, Deutschland ist ein Land mit vier großen Metropolen: Oberhausen, Donaueschingen, Bayreuth und der Hauptstadt Kassel, wo der Schamane Beuys 7000 Eichen gepflanzt hat. Oft werde ich gefragt, was ich hier mache? - Eine mögliche Antwort ist: mein Leben in Deutschland ist ein Gegenbesuch zum Beuys „Polentransport“. Seine Haltung hat uns in Polen damals imponiert, sie hat uns geholfen und gezeigt, dass wir alle tatsächlich die Revolution sind. Es hat sich dann gezeigt, dass auch die Deutschen die Revolution sind, es sind auch die Tunesier, Ägypter, Libyer. So lange jeder von uns der Künstler ist, wie Beuys das verstand, jeder eine Schwingung, eine Revolution, eine Wende – können wir alle miteinander kommunizieren, uns austauschen, uns im metaphysischen Sinne begegnen. 1959 entstand in Opole (Oppeln) das Theater der 13 Ränge, später Teatr Laboratorium, das nach Breslau umzog. In den Jahrzehnten der intensiven Arbeit an den Techniken des Schauspielers ging Grotowski in eine ähnliche Richtung wie Beuys. Durch die Reduzierung und den Wegfall des SEITE 11 MOE- KULTUR. DE JUNI 2011 NOTABENE Unnötigen und die Perfektionierung des Wesentlichen an der zwischenmenschlichen Kommunikation ist er an einen Punkt gekommen, wo das Theater nicht mehr möglich war und die Kunst nunmehr zu einem Vehikel wurde. In seinen Vorlesungen an der College de France 1997/98 stellte er die „organische Linie im Theater und im Ritual“ vor. Diese organische Linie war Joseph Beuys eigen. Auch sein „Polentransport“ war eine Aktion, die ohne narrativen Inhalt, ohne wesentliche Artefakte, vielmehr als ein den posttheatralischen Aktionen Grotowskis analogischer Akt der Annäherung verstanden werden muss. Unweit von Breslau, wo Jerzy Grotowski in den 60er bis 80er Jahren sein Teatr Laboratorium leitete, in Kreisau, traf sich in den 40er Jahren ein Kreis der Frauen und Männer, die von einem Europa sprachen, das nach der Nazidiktatur entstehen sollte, Helmut James von Moltke und einige andere aus diesem Kreis bezahlten diese Pläne mit ihrem Leben. In den 80er Jahren bildete sich eine neue Kreisau-Initiative, eine gegen den anderen Totalitarismus gerichtete. Einer der wichtigsten Initiatoren war hier der Anfang dieses Monats verstorbene Ludwig Mehlhorn, ein seit 1969 als Mitglied der Aktion Sühnezeichen nach Polen reisender DDR-Bürger, einer der mutigsten Oppositionellen in diesem Staat. Ludwig lernte nicht nur die polnische Sprache und die polnische Kochkunst, sondern hat auch mit polnischen Augen gesehen, was Widerstand, Freiheit und Solidarität bedeuten und wie wichtig sie sind. Vor allem seinem Engagement ist zu verdanken, dass Helmut Kohl und Tadeusz Mazowiecki, der erste demokratisch gewählte Regierungschef in der sowjetischen Einflusszone sich in Kreisau getroffen haben, wo später eine lebendige Begegnungsstätte entstand. Joseph Beuys, Jerzy Grotowski und Ludwig Mehlhorn zeigen mögliche Wege der „gelebten kulturellen Pluralität“ und „interkulturellen Kompetenz“ – das allerwichtigste ist es, eigene Kultur bis zur Reduktion auf das Wesentliche zu hinterfragen, einen universellen Kern in ihr zu finden. Der zweite Schritt bedeutet, den anderen gegenüber sich zu stellen – als eine Gabe – wie im „Polentransport“, der eigentlich ein Transport der Ladung „Joseph Beuys“ selbst war, nicht von Artefakten oder Performances dieses Jahrhundertkünstlers. Grotowski plädierte dafür, sich zu opfern, sein Weg, von ihm „via negativa“ genannt, sollte zu einer Grenzerfahrung führen, zu einem „Gesamtakt“ der Entblößung, zum Sich-mit-teilen. Ludwig Mehlhorn, verwandelt sich nach den Anfängen des Sühnezeichens in einen Doppelbotschafter zweier Kulturen. Er teilt sich mit indem er sich aufteilt: in den Polenbotschafter in Deutschland und den Deutschlandbotschafter in Polen. Weder Beuys noch Grotowski verstanden sich selbst als nationale Künstler, als primär ein Deutscher oder ein Pole, Ludwig Mehlhorn, der zwar kein Künstler war, nahm oft die Position des Mittlers, weil er genauso gut die Motive und Hintergründe der Deutschen und der Polen verstand, in der Phase nach 1989 arbeitete er auf der europäischen Ebene, organisierte Treffen mit Ukrainern, Weißrussen, Russen, mit allen, die Widerstand, Freiheit und Solidarität noch brauchen, bei welchen der „Polentransport“ noch nicht angekommen ist. Eine conditio sine qua non der kulturellen Pluralität ist demnach ein kulturelles Selbstbewusstsein. Darauf aufbauend das Bedürfnis, sich mitzuteilen, eigenes Wesen als Gabe für andere zu begreifen. Dies kann nur dann gelingen, wenn auch der Andere von mir als interessant, weil anders und zugleich weil dem Wesen nach ähnlich, im Kern identisch ist MOE JUNI 2011 – wir sind gleich und doch verschieden, das ist die Grundlage und das Ergebnis des lebenslangen Handelns und Denkens von Joseph Beuys, Jerzy Grotowski und Ludwig Mehlhorn. Der Kulturwissenschaftler und Philosoph Piotr Olszówka stellte diesen Beitrag am 25. Mai 2011 in Genshagen vor. Be young, be Roma Berlins Sinti und Roma gehen in die Offensive Michael Kleineidam Es ist erklärtes Ziel von Amaro Foro, dem Berliner Landesverband der bundesweiten Jugendselbstorganisation, dem negativen Image der Sinti und Roma, Europas größter und gleichzeitig am stärksten diskriminierter Minderheit, positive Bilder entgegen zu setzen. Mit dem 3. „Herdelezi Roma Kulturfestival“, lud er die BewohnerInnen ganz Berlins am 7. Mai zu einem großen, öffentlichen Straßenfest nach Berlin-Neukölln ein, um sich gegenseitig kennen zu lernen und zusammen den “Herdelezi” (St. Georgs Tag) zu feiern, der vor allem in Südosteuropa von muslimischen, sowie christlich-orthodoxen Roma als einer der wichtigsten Festtage angesehen wird. Es war ein traumhaft schöner Mai-Tag und der Ort, das untere Ende der Boddinstraße nahe dem Rathaus Neukölln, war klug gewählt. Dort befinden sich das „Rroma Aether Klub Theater“ sowie das dazu gehörige Café. Beide wurden 2006 von serbischen „Cigans“, den Brüdern Slavi?a und Neboj?a Markovic, gegründet und sind bereits nach kurzer Zeit eine bekannte Adresse. Im gleichen Straßenabschnitt gibt es eine arabische Shisha Bar, einen türkischen Kulturverein, einen Afro-Shop, einen Thai-Imbiss, eine Pizzeria und eine deutsche Kneipe, in der Briefmarken getauscht werden – ganz Neukölln in der Nussschale eines Straßenabschnittes. Entsprechend bunt gemischt waren die BesucherInnen des Festes, darunter sehr viele Kinder und Jugendliche aus der Umgebung. Ihnen gehörten am Nachmittag die Straße und die große Bühne, auf der sie unter Anleitung von Roma -und nicht-Roma JugendleiterInnen aus neun Ländern kleine, sorgsam einstudierte Stücke darboten. Es war zu sehen, mit welchem Selbstbewusstsein sie die Bühne betraten und mit welchem Stolz sie sie wieder verließen. Am Abend bot auf gleicher Bühne u.a. „Fanfara Kalashnikov“, eine Berliner Band mit überwiegend rumänischen Wurzeln, energiegeladenen Balkan-Pop. Hungrige und Durstige wurden an nichtkommerziellen Ständen versorgt, Wissbegierige erhielten Informationen über die Menschenrechtslage von jungen Sinti und Roma in ganz Europa am Stand von „ternYpe Internationales Roma Jugendnetzwerk“, das mit dem Slogan „Be young, be Roma“ warb. Schon knapp zwei Wochen zuvor, nicht weit vom Ort des Straßenfestes entfernt, erhielt Berlin im Aufbau Haus am Moritzplatz mit der Galerie Kai Dikhas (deutsch: “Ort des Sehens”) den ersten Ausstellungsort in Westeuropa für zeitgenössische Kunst der Sinti und Roma. Aktuell sind Werke der katalanischen Malerin Lita Cabellut zu sehen, bis Jahresende 2011 soll es zwei weitere Einzelausstellungen, im Winter 2011 eine Gruppenausstellung geben. Auch Moritz Pankok, der künstlerische Leiter der Galerie, unterstreicht, dass er ein anderes Bild von der diskriminierten Minderheit zeigen wolle, als das, was man üblicherweise im Kopf habe. Besonders in der bildenden Kunst bestehe - im Gegensatz zur Musik – noch ein erheblicher Nachholbedarf. SEITE 12 MOE- KULTUR. DE JUNI 2011 NOTABENE Roma-Musik gab es zum gleichen Zeitpunkt allerdings auch im Aufbau Haus, das noch immer eine Baustelle ist und erst am 17. Juni offiziell eröffnet wird. Bereits am 6. Mai präsentierte das Theater Aufbau Kreuzberg (TAK) mit dem dreitägigen „NILAJ- Kulturfrühling der Sinti und Roma“ sein erstes Bühnenprogramm, das mit Gipsy.cz aus Tschechien, der legendären „Queen of the Gypsies“ Esma Red?epova aus Mazedonien und der Supergruppe Mahala Raï Banda aus Rumänien international bekannte Vertreter osteuropäischer Roma-Musik aufbot. Von 2011 an soll NILAJ ein fester Termin im Jahresprogramm des Aufbau Hauses werden. MOE-TIPP Lita Cabellut, Ausstellung, der Galerie Kai Dikhas bis zum 19. Juni 2011 In diesem Zusammenhang Neukölln stellt Lehrer für Roma-Kinder ein Schulen in Neukölln haben elf Lehrer eingestellt, um eine Vielzahl neuer Schüler aus Südosteuropa unterrichten zu können. Das Bezirksamt reagiert damit auf den großen Zulauf besonders von Roma-Familien. 540 südosteuropäische Schüler wurden gezählt, drei Viertel von Ihnen sprechen kein Deutsch. dpa-meldung, 20.4.2011 MOE im GESPRÄCH New Generation “RADICAL JEWISH CULTURE” – Einblicke in die Musikszene New Yorks seit 1990 Angelika Buchelt Im Jüdischen Museum Berlin stellte Cilly Kugelmann, Stellvertreterin des Direktors und Programmdirektorin seit September 2002, die Sonderausstellung “Radical Jewish Culture” vor. Sie konstatierte, dass es zuvor noch nie eine Musikausstellung im Jüdischen Museum gab und dass dieser Themenbereich sich besonders schwierig in der Umsetzung gestaltete. Die Ausstellung startete in Paris Musée d ´art et d´histoire du Judïsme -. Mathias Dreyfuss war der Ku rator. Anfangs war der Blick auf diese Ausstellung sehr skeptisch, weil man es ja bei Ausstellungen eigentlich mit der visuellen Kultur zu tun hat und nicht mit der akustischen. Cilly Kugelmann sprach von den spannenden Interviews, die sich während der Auseinandersetzung mit der Ausstellung eröffneten, und dass diese letztendlich den Ausschlag für die Projektumsetzung in Deutschland ergaben. Was verbirgt sich unter dem Stichwort - Radical Jewish Culture -? In erster Linie geht es um die Musik. Alles, was sich darin versammelt, hat ausgerechnet in Deutschland eine Art Wendepunkt erfahren und zwar auf einem Musikfestival “Art Projekt `92” in München. John Zorn, New Yorker Komponist und Saxophonist und einer der sieben künstlerischen Leiter, betitelte seinen Programmteil als “Festival for New Jewish Culture”. Er versammelte Musiker unter diesem Dach, die sich eigentlich nie als jüdische Musiker verstanden haben. Cilly Kugelmann MOE JUNI 2011 sprach davon, dass der jüdische Fokus auch ein bisschen kompliziert ist, weil es nicht darum geht, dass die Musik von Juden geschrieben und gespielt wird. Das macht sie noch nicht zur jüdischen Musik. Es ist eine Ausstellung, die auf jeden Fall gut in ein jüdisches Museum passt, weil wir weder genau wissen, was jüdische Kunst und Musik ist und diese Frage bleibt offen für John Zorn und für jedes jüdische Museum. Zu dem Musikfestival in München lud John Zorn jüdische Musiker unterschiedlicher Genres wie alternativer Rock, NoWave, Jazz und Punk ein. Klezmer spielten nur wenige. Ihr Ausgangspunkt war, verborgene Tradition subversiven Judentums entdeckt zu haben, die sie in der Musik umsetzten wollten und Klezmer als künstlerisches Ausdrucksmittel nicht mit einbezogen. Frau Kugelmann gab bei ihrer Vorstellung des Projekts zu bedenken, dass das Musikfestival zwei Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in der DDR statt fand. Gerade zu diesem Zeitpunkt gab es viele rassistische, antisemitische Aktionen. Asylheime wurden angezündet und es war eine brisante politische Atmosphäre vielerorts anzutreffen. Keiner wusste genau, wie man das interpretieren sollte, damit umgehen sollte und in welche Richtung sich alles entwickeln würde. Mit den Folgeerscheinungen haben wir es heute immer noch zu tun. In dieser Zeit des Umbruchs fand das “Art Projekt “ in München statt. John Zorn dirigierte dort zum ersten Mal seine Komposition “Kristallnacht”. Es ist seine persönliche Auseinandersetzung vor, während und nach der Shoa. Ein Ausschnitt seines Werkes ist im Rahmen der Ausstellung im Jüdischen Museum zu sehen und zu hören. Es war eine bewegte Zeit, 1992. John Zorn hat Musiker zusammengestellt, die sich nicht ausschließlich als jüdische Musiker verstanden. Einige fanden erst bei der gemeinsamen Arbeit heraus, dass sie Juden sind. Man hat sich aber auch nicht unter dieser Prämisse getroffen. Es ging nicht darum, jüdisch tradierte Musikkultur fortzusetzen, sondern es ist eine Musikrevolution gewesen, die sich nicht auf die jüdische Kultur bezieht, sondern beim Pop, beim Rock, beim Punk, bei der zeitgenössischen Musik und der 12-Ton Musik zu finden ist. Das “Radical” an der Musik ist, dass es keine Musik zum Mitsingen, Mitsummen oder Mittanzen ist. Man nimmt zwar Elemente der Musiktradition an, aber eigentlich nur, um die Musiktradition zu dekonstruieren. Die Interpreten bedienen sich unterschiedlicher Elemente für ihre Ausdrucksweise. Es gibt Musik, die wir nicht als solche bezeichnen können, sondern als Geräusche wahrnehmen. Manchmal ist es auch nur ein provokantes Hörerlebnis. Das Dargebotene ist jedenfalls ein spannendes Kapitel amerikanischer, jüdischer Kultur. Ausgangspunkt war München 1992. Weitere Veranstaltungen folgten in New York und in verschiedenen europäischen Städten in Mittel- und Osteuropa, und immer mehr Künstler schlossen sich an. John Zorn war dabei die treibende Kraft. Eng verbunden mit den führenden Musikern dieser Szene waren Marc Ribot, Anthony Coleman und Frank London aus der Downtown-Szene in den Clubs des südlichen Manhattans. In den 60er Jahren entstanden dort neue Formen jenseits von kommerzieller und akademischer Musik. Es gibt zwar einen Bezug zur jüdischen Tradition, jedoch wird dieser immer wieder selbst in Frage gestellt. Das soziale und politische Engagement wird in den Mittelpunkt gerückt. Auch die Protagonisten dieser Bewegung sind älter geworden und somit haben sich auch ihre Ausdrucksformen verändert. Wo die Reise nach zwanzig Jahren sich hinbewegen wird, was an ihre Stelle tritt, bleibt im Ungewissen. Es gibt einen Ausblick am Ende der SEITE 13 MOE- KULTUR. DE JUNI 2011 NOTABENE Ausstellung. Angelika Buchelt im Gespräch mit Arnold Dreyblatt Arnold Dreyblatt wurde 1953 in New York geboren. Er studierte Komposition, Vergleichende Musikwissenschaften und Medienwissenschaft. Sein künstlerisches Repertoire ist weitgefächert. Seit 1984 lebt er in Berlin. Seine performative MultimediaOper “Who´s Who in Central & East Europe 1933” wurde 1991 uraufgeführt und von John Zorn koproduziert. Das Ensemble “Orchestra Of Excited Strings” wurde von Dreyblatt gegründet und führte sein sein Werk auf. Auch Shelley Hirsch, eine Spoken Word-Künstlerin der “Radical Jewish Culture” Szene, gehörte ab 1991 mit dazu. Seine Installation “Unausgesprochen” befindet sich in der Dauerausstellung des Jüdischen Museums. Seit 2009 ist er Professor für Medienkunst an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. 2007 wurde er zum Mitglied der Akademie der Künste Berlin gewählt. New York ist ihre Heimat, und Sie haben sich mit diesem Musikgenre schon seit längerer Zeit beschäftigt. Ich komme aus New York, vertrete aber diese Bewegung nicht, obwohl ich zwei CD - Produktionen von Tzadik erstellt habe. Die erste Reihe entstand Mitte der 90er Jahre. Es waren die ersten fünf bis zehn CDs, die er herausgebracht hat. Die zweite Reihe, vom letzten Jahr, das ist meine Musik. Ich kenne John seit vielen Jahren, ich kenne viele Musiker, die darin involviert sind. Meine eigene Musik ist nicht improvisiert, die Wurzeln sind im Symbolismus zu finden. Es ist eine eigene Art von Musik. Vielleicht bin ich hier, in dieser Stadt, die einzige lebende Person, die mit dieser Art von Musik überhaupt etwas zu tun hat. Wahrscheinlich wurde ich aus diesem Grund mit dazu gebeten. Ich bin auch bildender Künstler und habe eine permanente Ausstellung am Ende des Museums. In New York hatten Sie keinen Kontakt zu dieser Musikrichtung? Ja, weil ich schon weg war, nicht mehr in New York lebte. Ich hatte Kontakt zu den Anfängen der Klezmerbewegung. Für die erste Platte von Andy Statman habe ich die Label Note geschrieben. Es gibt eine kleine CD von G. Tillmann aus Wien, aus den frühen 90er Jahren. Es gibt ein paar Verbindungen, aber die Musiker aus dieser Szene habe ich erst kennen gelernt, als ich schon in Deutschland war. Mit Shelley Hirsch habe ich viel zusammen gearbeitet. Sie war bei einigen Theaterproduktionen von mir mit dabei. 1984 kamen Sie nach Deutschland. Die Mauer stand noch. Wie haben Sie die jüdische Kultur, das jüdische Leben in Berlin erlebt? Das ist eine lange Geschichte. Natürlich, ich fand eine sehr traurige Gemeinde vor, als ich aus New York kam. Es waren ungefähr dreitausend bis viertausend Leute involviert, alle traumatisiert. Viele kamen aus DP- Lagern (DisplacedPersons DPs; im besetzten Nachkriegsdeutschland), die hier geblieben sind. Für mich war es ein trauriges Erlebnis. Aber über die vielen Jahre habe ich versucht, in unterschiedlicher Art und Weise, Kontakt zur Gemeinde aufzubauen und bin Mitglied geworden. Ich versuche meinem Sohn etwas über das Judentum zu vermitteln. In Interviews habe ich immer wieder gesagt, diese Ausstellung hier in Deutschland, im Jüdischen Museum, ist für die Deutschen meistens mit einem religiösen Hintergrund verbunden. Der Zusammenhang für NichtJuden besteht darin, dass man denkt, es hat etwas mit einer MOE JUNI 2011 religiösen Gemeinschaft und dem Holocaust zu tun. Wenn man in Deutschland über die normale Sozialisation der Juden spricht, sind drei Elemente ausschlaggebend: die Religion, die israelische Politik und die Shoa - die Vergangenheit. Das betrifft aber nicht die jüdische Kultur. Es gibt keine jüdische Kultur mehr in Deutschland. Viele bekannte jüdische Intelektuelle in Kulturkreisen, die bis zum Krieg hier tätig waren, waren aber nicht religiös. Dann stellt sich die Frage, was ist religiös? In New York ist eine junge Generation aufgewachsen, die sich ähnliche Fragen stellt: Was könnte Religion für mich heute bedeuten? Bezeichnend ist aber auch, Kultur ist nicht nur Musik. Aber mit einem Fragezeichen versehen. Die Frage wurde nie beantwortet, worin besteht der Zusammenhang? Die Musikrichtung hat ihre Wurzel, glaube ich, in einer improvisierten Art. Es wurde nie beantwortet, was es eigentlich ist. Es gibt einige geistige und musikalische Elemente. Aber genau kann man es nicht definieren. Bemerkten Sie eine Veränderung nach der Maueröffnung, in Hinblick auf die jüdische Gemeinde? Wie viel es mit der Maueröffnung zu tun hat, das weiß ich nicht. Die Gemeinde ist größer geworden. Es gibt mehr Pluralität, in diese Richtung ist mehr möglich geworden. Zum Beispiel entstanden die Klezmer-Cafés. Deutsche spielen Klezmer. Da stellt sich für mich die Frage, was ist das? Ich möchte es nicht kritisieren, aber es ist auch zu hinterfragen, was spielt sich psychologisch bei den jungen Menschen ab? Als die “Kristallnacht” von John Zorn in München uraufgeführt wurde, nahm Sie die breite Öffentlichkeit kaum wahr. Nur in speziellen Musikkreisen. Der Zusammenhang mit Deutschland ist offensichtlich. Es ist wa h r, was Cilly Kugelmann gesagt hatte. Viele wussten nicht, dass die anderen Juden sind. So war es auch bei Lou Reed. Aber dann stellt sich die Frage von selbst, was das heute für jeden Einzelnen zu bedeuten hat. Was möchten Sie heute der jungen Generation vermitteln? Das ist nicht so einfach zu beantworten. Ich beschäftige mich nicht nur mit der Musik. Ich bin auch bildender Künstler und Professor für bildende Kunst und in verschiedenen Bereichen tätig. Ein Schwerpunkt sind Installationen, die ich zur Gedenkkultur erstellt habe. Konnten Sie sich die Ausstellung im Jüdischen Museum schon in Ruhe anschauen, und gefällt sie Ihnen? Ich habe sie gesehen und sie gefällt mir. Sie zu zeigen, finde ich für Deutschland wichtig. Ich danke Ihnen für das Gespräch MOE-TIPP - “Radical Jewish Culture. Musikszene New York seit 1990”, Sonderausstellung, bis zum 24. Juli 2011 im Jüdischen Museum Berlin. Begleitet wird di Ausstellung von Video- und Audiostationen. - Im Himmel, unter der Erde. Der Jüdische Friedhof Weißensee Regie: Britta Wauer Der Dokumentarfilm ist so etwas wie ein Denkmal für ein Denkmal: 1880 wurde der Friedhof Berlin-Weißensee angelegt. Es ist der mit 115.000 Grabstellen größte jüdische Friedhof Europas, seit den 1970ern steht er unter SEITE 14 JUNI 2011 MOE- KULTUR. DE NOTABENE Denkmalschutz, in einigen Jahren soll er außerdem von der UNESCO zum Welterbe ernannt werden. Die rund 86 Fußballfelder umfassende Ruhestätte wird immer noch genutzt. Vorsichtig nähert Wauer sich dem erhabenen Ort samt all den großen Geistern und vergessenen Namen, die dort wie in einem Geschichtsbuch versammelt sind... Kino Krokodil: 10., 12., 13.06., 17.30 und 14.06., 18.30 www.kino-krokodil.de >> Lesetipp Osteuropa Zentrum Berlin Verlag www.oezb-verlag.de Überlandleitung ... Bulgarien Irina Lazarova kein einziges „zwischen“. Alle sind hier – die Protagonisten, die Autorin, die Sprache, das Publikum. Simone Kornappel, die Gesprächspartnerin Sofronieva am Abend, steuert die nächsten Themen – Preise, Projekte, Netzwerke, Ideen. Mitte der 90er initiiert Sofronieva das Netzwerk Verbotene Worte, das sich mit belasteten, politisch missbrauchten oder unübersetzbaren Worte wie Heimat, Seele oder Trost auseinandersetzt, aktuell im digitalen Zeitalter sind es Projekte wie Web Streaming Poetry. Und immer wieder stellt sich die Frage nach der SPRACHE. - Wie wählt man die Sprache für ein Gedicht – Bulgarisch, Deutsch oder Englisch? „Die Sprache kommt wie sie gerade will. Die Sprache ist nicht das Werkzeug, sondern die Denkweise.“ – erklärte die Lyrikerin wie ihre Gedichte entstehen. Sofronieva hat auf Deutsch zu schreiben begonnen, um Deutschland zu verstehen. Obwohl sie das Essentielle des Landes (oder zumindest des Berlins) langst begriffen hat, schreibt sie weiter in dieser Sprache und ihr erster Roman ist bereits abgeschlossen. Das Gespräch ist zu Ende, die leeren Gläser liegen an dem Tresen, am Bahnhof hört man die Sprachen Berlins. Lese-Tipps: > Tzveta Sofronieva: Diese Stadt kann auch weiß sein, Erzählband, Verlag Hans Schiler, Berlin/Tübingen, 2010 > Tzveta Sofronieva: VIA DUKTE, Lyrikband, ICHverlag Häfner + Häfner, Nürnberg, 2010 http://www.tzveta-sofronieva. Das Licht der kleinen Kerze verwandelt mein Glass in ein leuchtendes Kaleidoskop. Wände und Fenster sind kahl, paar Bilder machen die noch kahler. Die Flecken auf der Decke – eine Karte der Zeit. In der Mitte des Salons sitzen an einem runden Tisch zwei Frauen, zwei Lyrikerin – die eine liest, die andere fragt. Das Publikum hört mit und mischt sich im Gespräch. Es geht um Sprachen, Länder, Männer und Frauen, Texte und Literaturpreisen. Obwohl sich Tzweta Sofronieva nicht gerne in der „Migration“-Schublade der Literaturkritiker sieht, ist sie die erste Schriftstellerin im Programm der Lesereihe „Überlandleitung“ in der Kreuzberger Literaturhaus Lettrétage. In Bulgarien wird sie als „zu Deutsch“ wahrgenommen, in Deutschland für „bulgarisch“. Der Gastgeber von Lettrétage, Tom Bresemann, eröffnet die Reihe mit der Frage: „Was bedeutet zwischen Sprachen zu leben und zu schreiben?“ Eine Antwort gibt Sofronieva mit der Erzählung „Paramount, Westbulgarien“. Eine Geschichte, die nicht nur Ländergrenzen überschreitet sondern auch zeitliche. Es geht um Kriege auf dem Balkan, aber auch um heutige EU Entscheidungen. Die ernste Materie ist mit einer Prise zwischensprachliche Ironie gewürzt: „Auf Bulgarisch nennte man diese Soldaten Pechotinzi, solche, die zu Fuß gehen, doch Pechotinzi kann man auch die, die am meisten Pech haben verstehen.“ Ein zentrales Thema der Erzählung sind die Unbenennungen und daran schließt sich die Diskussion danach. Es ist wenig bekannt in Deutschland wie Ende der 80er die Namen der Türken in Bulgarien geändert wurden und dadurch Menschen von ihrem Zuhause vertrieben wurden. „Das Geräusch“ ist der zweite am Abend vorgelesene Text. Eine Erzählung, die Sofronieva in der literarische Schublade „Berliner Autorin“ bringt. Die Geschichte spielt „nahe am See und den Wäldern im Süden der Stadt“ und man findet MOE JUNI 2011 Polen-Analysen Nr. 90 Die polnische EU-Ratspräsidentschaft - Analyse Die polnische Ratspräsidentschaft in der Europäischen OUnion: Herausforderungen, Erwartungen, Pläne und MMöglichkeiten Agnieszka Lada, Warschau - Dokumentation Die EU-Ratspräsidentschaft Polens in Zahlen und TTerminen - Umfrage Einstellungen der polnischen Bevölkerung zur EUMMitgliedschaft Die Polen-Analysen erscheinen am 1. und 3. Dienstag im Monat als E-Mail-Dienst. Sie werden gemeinsam vom Deutschen Polen-Institut Darmstadt, von der Bremer Forschungsstelle Osteuropa und der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde herausgegeben. www.deutsches-polen-institut.de SEITE 15 JUNI 2011 MOE- KULTUR. DE NOTABENE >> Nachtrag Ein ganz normales Genie Der Pianist Rafal Blechacz im Konzerthaus Berlin Michael Kleineidam Lange mussten die polnischen Musikenthusiasten warten, bis 2005 mit Rafal Blechacz wieder ein Gewinner des Internationalen Chopin-Wettbewerbs aus Polen kam. 30 Jahren zuvor gewann Krystian Zimerman diesen seit 1927 ausgetragenen, bedeutendsten Klavierwettbewerb der Welt, der ab 1955 in einem 5-Jahre-Rhythmus stattfindet. Mit Halina Czerny-Stefanska (1949) und Adam Harasiewicz (1955) stammten ohnehin erst zwei weitere 1. Preisträger aus Chopins Geburtsland. Als Blechacz gewann, vergab das Preisgericht, um die Ausnahmestellung des Siegers zu betonen, keinen 2. Preis, auch drei Sonderpreise gingen an den damals zwanzigjährigen Pianisten. Schließlich erhielt er auch noch den von Krystian Zimerman gegründeten Preis für die „Beste Aufführung einer Sonate“. Dieser Triumph öffnete ihm einerseits die Türen derrenommiertesten Konzertsäle der Welt, andererseits dürfte durch ihn der Erfolgsdruck ernorm gewachsen sein, was schon so manches Talent frühzeitig zerstörte. Blechacz ging mit dem Erfolg sehr besonnen um. Zunächst schloss er 2007 sein Studium an der Feliks N o w o w i e j s k i-Musikakademie Byd g o s zcz ab. Es folgten Tourneen durch Europa und erste, inzwischen vielfach ausgezeichnete CD-Aufnahmen. Nebenbei begann er ein Philosophiestudium an der Universität Poznan. Immer wenn er im Flugzeug sitze, erzählt er, oder im Hotel sei, habe er seine Bücher dabei. Und noch immer spielt er in der Kirche seines Heimatortes Naklo nad Notecia in Nordpolen in der Messe am Sonntag die Orgel. Das Berliner Publikum war im April diesen Jahres mit entsprechend hohen Erwartungen in den Kammermusiksaal des Ko n zerthauses gekommen, um Blechacz in einem Solokonzert mit Werken von Bach, Mozart, Debussy, Chopin und Szymanowski zu erleben. Nicht schüchtern, aber zurückhaltend betrat er das Podium, keine Spur von Glamour eines Sterns am Pianistenhimmel. Nach kurzen Momenten der Konzentration und gedanklicher Antizipation begann er mit dem „Italienisches Konzert“ FDur von J.S. Bach und nahm sogleich die ZuhörerInnen mit auf eine musikalische Erlebnisreise, von der er sie erst mit den letzten Takten entließ. Blechacz ist ein begnadeter Erzähler am Klavier, er lässt es singen und wo angebracht auch tanzen. Es wurde viel gesungen und oft getanzt an diesem Abend, auch schon bei J.S. Bach. In Mozarts später Klaviersonate B-Dur KV 570 fügte Blechacz mit enormer musikalischer Intelligenz die Fülle unterschiedlichster, oft erstaunlich „bühnennaher“, Einfälle zu einem Ganzen voll lebendiger Frische zusammen. Dann Debussys „Estampes (Kupferstiche)“, drei Charakterstücke mit den die Schauplätze bestimmenden Werktiteln „Pagode“, „La Soirée dans Grenade“ und „Jardin sous la Pluie“. In diesen impressionistischen Stücken kann Blechacz die technische Brillanz und den ganzen Farbenreichtum seines Spiels entfalten. Man ahnt, warum Manuel de Falla über „La Soirée dans Grenade“ urteilte: „Was uns hier geboten wird ist Andalusien: die Wirklichkeit ohne Authentizität, möchte man sagen, weil kein einziger Takt Folklore entliehen wurde. Und dennoch atmet das ganze Stück bis in die kleinsten Einzelheiten Spanien“. Ähnliches ließe sich auch über den Regen im Bois de Bologne sagen. Den MOE zweiten Teil JUNI 2011 dieses mediterran inspirierten Konzertabends widmete Blechacz Kompositionen seiner polnischen Landsleute Chopin und Szymanowski. Schon mit dem kraftvollen Auftakt der Barcarolle Fis-Dur machte er deutlich, dass er Chopins Musik weit entfernt von jeder sentimentalen Süße versteht. Wie Blechacz, ein Zauberer der Klangnuancen, dieses Gondellied als Liebesgeschichte auf einem venezianischen Kanal im Rhythmus der Ruderschläge gestaltete, war einfach herzbewegend schön. Von den drei Mazurken op. 50 rückte er die ersten beiden eher in die Nähe eines einfachen polnischen Volksfestes, als dass er sie im feinen Ambiente eines Konzertsaales ansiedelte. Mit Karol Szymanowski präsentierte Blechacz einen nicht oft gespielten, großen polnischen Komponisten aus der 1. Hälfte des letzten Jahrhunderts, Nachfolger des Klassikers Chopin und Wegbereiter der „Modernen“ wie Baird, Lutoslawski und Penderecki. Mit “Präludium und Fuge in CisMoll“ gewann Szymanowski 1909 einen Preis in einem Wettbewerb, bei dem u.a. Ferrucio Busoni Preisrichter war. Noch als Student schrieb er die Variationen b-moll op. 3, zwölf eng an konventionellen Formprinzipien orientierte Stücke mit je eigenem Charakter und voller überraschender Klangspiele, die er seinem Freund, dem später weltberühmten Pianisten Artur Rubinstein widmete. Mit der letzten Variation – allegro con fuoco – zeigte Blechacz, dass er lustvoll virtuos sein kann, auch wenn er es nicht immer und überall beweisen muss. Das Publikum sollte schließlich wissen, wann es endlich in Applaus ausbrechen durfte. Mag sein, in vielen Jahren wird einmal eine der heutigen, jungen, begeisterten Zuhörerinnen ihren Kindern vorschwärmen: damals habe ich den großen Blechacz am Gendarmenmarkt gehört… Theatertreffen 2011 Fantastisches Theater Stück einer polnischen Autorin beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens 2011 Wenn ein junger deutscher Autor gefragt nach dem Thema seines Schaffens mit „Ich bin auf Deutschland und deutsche Angelegenheiten fixiert“ antworten würde, brächte ihm das sicherlich weder Sympathie noch Popularität ein. Jedes Land hat jedoch seine eigenen Sitten und was hier nicht geht, geht vielleicht gut bei den Nachbarn, kulturelle Muster hängen oft mit der Geschichte zusammen. Malgorzata SikorskaMiszczuk wurde in Polen schon vor einigen Jahren als eine sehr interessante Autorin entdeckt, sie wird geschätzt, gilt aber auch als umstritten. Sikorska hat einen ungewöhnlichen Lebenslauf und vielseitige Schreiberfahrungen. Die in den 60er Jahren geborene Warschauerin studierte Politikwissenschaften und Journalismus in der Hauptstadt und hat bald entschieden, in die Kunst zu wechseln. Sie lernte Drehbuchschreiben an der renommiertesten polnischen Hochschule für Film, Fernsehen und Theater in Lodz (die mit Namen wie Andrzej Wajda, Jerzy Skolimowski und Roman Polanski verbunden ist). Erfolgreich als Drehbuchautorin für Spielfime und Fernsehserien, begnügte sich Sikorska-Miszczuk nicht damit, auf diesem Feld zu bleiben, sondern erweiterte ihr Schaffen um Hörspiele und Erzählungen, auch Werbetexte. Vom Theater hielt sie sich sehr lange fern, obwohl sie schon immer eine große Faszination für diese Kunstgattung verspürte. Das Leben der Autorin scheint jedoch dadurch bestimmt zu werden, nie angekommen zu sein, sondern stets nach neuen Erfahrungen und weiteren Herausforderungen zu suchen. Preise – es waren nicht wenige – sind für sie Bestätigung aber kein Grund bei „ihrem SEITE 16 MOE- KULTUR. DE JUNI 2011 NOTABENE Leisten“ zu bleiben. Sie sind eher ein Signal, dass es an der Zeit ist, nach Neuem zu suchen. Mit 40 fängt Sikorska ein Studium von Gender Studies an und stößt gleichzeitig auf ein Projekt des Theaters Teatr Rozmaitosci. Die Leiter des Hauses sind der Meinung, dass dramatisches Schreiben handwerklich gelernt werden kann, entgegen der bis dahin im Land verbreiteten Auffassung, dass man als Dramatiker geboren wird und „natürliches Talent“ sowie „Wunder des Schaffens“ alles sind, worauf man sich verlassen muss. Sikorska-Miszczuk meldet sich zur Werkstatt an und ihr erstes Drama „Psychoterapia dla psów i kobiet“ („Psychotherapie für Hunde und Frauen“) wird einer von zwei Texten, die am Ende des Studiums im Teatr Rozmaitosci eine öffentliche Lesung erfahren. 2006 gewinnt Sikorska mit dem Drama „Smierc CzlowiekaWiewiórki“ („Der Tod des Eichhörnchenmenschen“ übersetzt von A. Volk) einen Wettbewerb und erlebt nicht nur die erste polnische Premiere ihres Stückes, sondern auch Lesungen in Schweden und den USA. Die Inszenierung von Marcin Liber wird auf drei Festivals in Deutschland präsentiert: 2007 bei „Cut and Paste“ im HAU in Berlin, bei Transfusion auf Kampnagel in Hamburg und ein Jahr später bei der Theaterbiennale „Neue Stücke aus Europa“ in Wiesbaden. „Der Tod des Eichhörnchenmenschen“ handelt von der RAF. Als eine skurrile Farce wird das Leben von Ulrike Meinhof vermischt mit Fantasie-Erfindungen erzählt, wobei die Fragen, wie werden Menschen von Macht geprägt und wie schlägt sich Politik im Privatleben nieder, über die Geschichte der Journalistin hinausgehen. Es ist einer der wenigen Texte der Autorin, der keine polnische Thematik behandelt. Sonst ist Sikorska-Miszczuks’ Thema hauptsächlich ihr Land Polen, genauer gesagt die polnisch-polnischen Angelegenheiten, darunter insbesondere die, die am meisten traumatisch besetzt sind. Die Autorin setzt sich mit schmerzhaften aktuellen Problemen auseinander und sie tut es nicht selten auf eine Weise, die man in Polen „den Stock in einen Ameisenhaufen stecken“ nennt. Sie stellt nationale Stereotypen bloß und kritisiert scharf den polnischen Nationalismus, was in Polen - manch deutscher Leser mag staunen - nicht populär ist. In ihrer Weltbetrachtung (Selbstbetrachtung inbegriffen) steht Siko rs k a- M i s zczuk in der Tradition von Witkacy, Gombrowicz und Mrozek (der erste von ihnen wartet immer noch darauf, in Deutschland entdeckt zu werden). Alle drei kennzeichnete eine sehr kritische, sogar auslachend-verhöhnende und nicht realistische Sicht auf die Welt. „Realismus ist langweilig, die Avantgarde ist nicht tot“ – Sikorska-Miszczuk drückt einfacher als ihre Vorgänger dieselben Gedanken aus. Diese Einfachheit passt zu ihrer Zeit. Die Autorin plädiert für das Theater des Absurden, für „pure >> nonsense“ und das Surreale. Das Stück „Szajba“ („Rad ab“, übersetzt von A. Volk) ist eine verrückte, absurde und schwarze Komödie, die in Polen auch als das „komödische Nationaltheater“ bezeichnet wurde. Das Drama wurde als „erste polnische ’political fiction & comedy’“ gefeiert, übrigens sehr oft verbunden mit der Zusatzbemerkung: „die dazu von einer Frau geschrieben wurde“ – auch das dürfte dem deutschen Leser eher etwas ungewohnt vorkommen. Das Innovative bei Sikorska-Miszczuk liegt einerseits im Erschaffen einer neuen Form in der polnischen Dramatik, andererseits im Wiederbeleben und Weiterentwickeln der polnischen Tradition des Absurden. Ein anderes, interessantes Element ihres Schaffens ist die fiktionale und absurde Darstellung von Themen zeitgenössischer Geschichte. Im Fall von „Burmistrz“ („Der Bürgermeister“ übersetzt von B. Voelkel) ist es sogar ein Thema, das in Polen bisher – falls überhaupt angesprochen – fast ausschließlich in dokumen- MOE JUNI 2011 tarisch-historischer Form angefasst wurde. Das Dra m a << (ähnlich wie bei der Meinhof-Geschichte) ist vor allem ein Geschöpf der Phantasie, obwohl der Auslöser, der zum Entstehen des Textes führte, eine von der Dramatikerin gelesene, auf Fakten basierende Zeitungsreportage war. Es war ein Artikel der in Polen bekannten Tageszeitung Gazeta Wyborcza, in dem berichtet wurde, was mit dem Bürgermeister von Jedwabne passierte, nachdem er erste offizielle Feierlichkeiten zum Jahrestag des Mordes an den Juden im Ort durchführte. Er wurde von den Einwohnern abgewählt und emigrierte in die USA. Um kurz zu erinnern, Jedwabne ist der Ort, wo 1941 unter deutscher Besatzung nicht die SS ein Massaker an jüdischen Bewohnern verübte, sondern die polnischen Mitbewohner. Trotz des historischen Hintergrundes ist „Der Bürgermeister“ eine bizarre FantasieErfindung, die nicht der Realität, sondern der Welt der Kunst entsprungen ist. Wer nun erwartet, dass Sikorska-Miszczuk zu einer Leitfigur oder Richtungsvorgeberin in der polnischen Literaturwelt werden könnte, wird schnell enttäuscht sein. Auch hier steht die Autorin in der Tradition von Künstlern, die nicht als Vorzeige-Figuren taugen. Man kann sie nicht in eine vornehme Schublade stecken, nicht mal in eine Schublade, die nur für eine Richtung oder Position gilt. Ihre Texte strotzen vor Widersprüchen, viele Aussagen sind politisch und menschlich inkorrekt, man findet Äußerungen, die peinlich sind und nicht in einen gesellschaftlichen Salon gehören, manches bringt die Zuhörer in Verlegenheit. Aber gerade Sprachschöpfungen und Wortspiele sind Sikorskas Stärke. Sie schöpft aus den Volkssprachen (in einem Land, wo noch vor kurzem Dialekte als unfein galten) und aus der Fäkalsprache (was zwar seit den Erfolgen von D o r o t a Maslowska nicht mehr ganz verpönt, aber bei der „hohen“ Literatur immer noch nicht gut angesehen ist). Musikalität der Texte ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt. Das Stück „Der Bürgermeister“ hat sich als einer von acht aus insgesamt 356 Texten, die zum Stückemarkt des Berliner Theatertreffens 2011 eingereicht worden waren, durchgesetzt. Das diesjährige Motto des Wettbewerbs lautete „Erkenne dich selbst, verrate den anderen“. Man könnte sagen, dass das Drama von Sikorska-Miszczuk mit seinem Thema zu diesem Leitmotiv wie „ Arsch auf Nachttopf“ passt. Es ist anzunehmen, dass eine so formulierte Einschätzung der Autorin gefallen würde. Sie könnte ihrer Feder entstammen. Sein oder Nichtsein Ein deutsch-polnisches Projekt am Maxim-GorkiTheater Berlin Iwona Uberman Man schreibt das Jahr 2011. Es gibt ein vereinigtes Europa und Deutschland und Polen sind seine Mitglieder. Zwischen den beiden Ländern gibt es seit Langem keinen Krieg mehr. Stattdessen spielt man gemeinsam Theater. Herrliche Zeiten. Natürlich erinnert man sich noch an die Vergangenheit, die Zeiten des Krieges sind auf beiden Seiten noch nicht ganz vergessen. Deshalb spielt man auch darüber Theater, über die Zeit als man gegeneinander kämpfte. Um jedoch nicht zu erlauben, dass nur das Tragische über alles bestimmt, steuert man geschickt an, Gleichgewicht einzubringen und die Seite des Komischen SEITE 17 JUNI 2011 MOE- KULTUR. DE NOTABENE bewusst zu betonen. Man entscheidet also, über den Krieg eine Komödie zu spielen. Inzwischen gibt es ja mehrere davon, darunter einige wirklich sehr gute wie zum Beispiel einen der Klassike r, der zu der gegebenen Situation besonders gut passt: „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch. Bis dahin ist an dieser guten Idee wirklich nichts auszusetzen. Aber nicht nur gute, sogar geniale Ideen gelingen bei ihrer Umsetzung nicht immer. So ist auch bei dem gemeinsamen Projekt des Berliner Maxim-Gorki-Theaters und des Krakauer Teatr Stary, dessen Ergebnis eine deutsch-polnische Doppelinszenierung von Nick Whitbys Komödie „Sein oder Nichtsein“ in der Regie von Milan Peschel ist, leider nicht alles lobenswert, vor allen, wenn man ins Detail geht. Aber auch in dieser Hinsicht haben sich die Zeiten inzwischen verändert: Man darf streng und ehrlich zueinander sein, ohne gleich der Ressentiments verdächtigt zu werden. Man darf Kritik üben, statt nur diplomatisch höflich zu bleiben, ohne befürchten zu müssen, dass man gleich wieder zum Krieg anstochert, statt Versöhnung und dauerhafte Freundschaft zu festigen. Auch gemeinsame Projekte dürfen auf den Prüfstand. Diese langsam fortschreitende Normalisierung der Verhältnisse ist gut und gesund und bezeugt wachsende Nähe zueinander. Man mag vielleicht manchmal die Vorteile der Schonzeit vermissen, es bleibt einem jedoch nichts anderes übrig: man wächst selbst mit der Zeit. Jedoch zurück zum Stück. Der Plot dürfte den meisten Zuschauern aus dem Film von Ernst Lubitsch bekannt sein: Während des 2. Weltkrieges werden Schauspieler eines polnischen Theaters in Warschau zu Widerstandskämpfern und beteiligen sich erfolgreich an der Bekämpfung von NaziDeutschland, indem sie in spektakulären Aktionen imstande sind, den Führer zu imitieren, für Verwirrung zu sorgen und den Feind zu überlisten. Dieser Vorlage folgt die Theaterfassung streckenweise, wobei sie sich mal von der ursprünglichen Geschichte sehr entfernt, mal plötzlich detailgetreu an nicht immer wirklich wichtigen Stellen in ihr festhält, so dass dem Ganzen nicht selten eine gewisse Unentschiedenheit und Unschlüssigkeit anzusehen ist. Dazu kommt, dass sich in die Story sachliche Veränderungen einschleichen, die unnötig bis ärgerlich sind. Dass man dank ihnen mal einen Lacher hervorruft, macht die Sache nicht besser. Manche von Lubitsch übernommene Witze werden größer und gröber gemacht, hintereinander wiederholt und in einen anderen Kontext gestellt: zur Sicherheit lacht man über sie selbst sehr laut auf der Bühne. Auch die offene Rollenzusammenlegung (Re g i s s e u rSchauspieler und Garderobiere sind eine Person) verändern die Beziehungen zwischen den Personen und schwächen die allgemeine Rahmensituation. Dazu kommt, dass man – wie man im Stück erfährt – die in ganz Polen berühmteste Theaterdiva Maria Tura und ihren ebenfalls als genialen Darsteller geltenden Mann Josef Tura als tollpatschige und bornierte Trottel erlebt. Dasselbe lässt sich über den jungen Verehrer der Diva Stanislaw Sobinski sagen, der laut Beschreibung einer der Elite-Offiziere einer polnischen Flieger-Sondereinheit ist. Es ist schwer zu sagen, ob die Gegengewichte zur platten Situationskomik in den Szenen schon im Text fehlen oder erst durch Weglassen bei der Inszenierung auf der Strecke bleiben. Das Einbauen einer langen Hamlet-Monolog-Szene sollte vielleicht als Versuch dienen, gegen diese falschen Proportionen zu wirken, misslingt jedoch gänzlich. Schon im Text vorhandene Schwächen werden zusätzlich durch die Darstellungsart der Figuren verstärkt. Das nur auf H e r vorheben der Lächerlichkeiten statt des beiläufigen Zeigens menschlicher Macken und Schwächen, auf Plattheit statt Doppelbödigkeit und auf bauernhafte Dummheit statt MOE JUNI 2011 Widersprüchlichkeit bei unterdurchschnittlichen Charakteren hinauslaufende Spielen verliert sich in seiner Einseitigkeit und nimmt den teilweise bravourös ausgespielten komischen Einzelszenen viel von ihrer Kraft. Nur Wilhelm Eilers als Spion-Professor Silewski gelingt es kurz vor seiner szenischen Hinrichtung, in eine andere Haltung zu wechseln, wodurch die Szene für einen Moment die wirkliche Spannung und Gefährlichkeit der Situation einfängt. Es ist schade, dass der Regisseur nicht darauf achtete, dass eine wirklich gute Komödie immer von Doppelbödigkeit, vom Wechsel vom Komischen und Tieftragischen lebt. Raum dafür gäbe das Stück genug, sowohl durch die Ausgangssituation als auch bei der möglichen Facettengestaltung der meisten Figuren. Wenn man dazu noch den Eifersuchtsplot nicht so gewaltig exponieren, einige Witzwiederholungen streichen und lange Slapsticknummer straffen würde, wäre dies dem Abend nur zugute gekommen. Aber es gibt auch schöne Lösungen an diesem Abend: gelungenes Vollziehen des Ortswechsels vom Warschauer Theater zu dem Fliegerlager in England und dann zurück zum Fallschirmspringer in der privaten Wohnung der Turas in Warschau. Auch das Spiel mit den Sprachen ist interessant, was im Fall der Kombination Deutsch-Polnisch viel schwieriger als beim von vielen verstandenem DeutschEnglisch oder Deutsch-Französisch ist. Das Ende des Stückes kommt abrupt und wirkt wie ein plötzliches Hineingeraten in eine Sackgasse, aus der man nicht mehr hinaus kann. Die Theatertruppe sitzt auf der Bühne und fragt sich zweisprachig, wie es weiter gehen soll. Sie findet keine Antwort. Im Publikum hat man den Eindruck, dass man in die Situation zufällig geraten ist und weiß wirklich einfach nicht mehr weiter. Die Luft ist raus, vielleicht auch die Lust, aus der Misere herauszukommen. So bleibt man zusammen mit dem Bühnenpersonal irgendwo auf der Strecke, sitzend nach einem halb gelungenen und halb verlorenen Abend. Man hat auch keine große Lust, Bilanz zu ziehen und kann sich selbst nur trösten, dass ja nicht immer alles beim ersten Mal gelingen kann und dass man nicht selten erst durch Übung Meister wird. Und dennoch, wenn man die Lage an ihrem Ausgangspunkt misst: „am Anfang führten Deutschland und Polen Krieg miteinander“, darf man mit dem heutigen Zustand ganz zufrieden sein. Also „Sein“ nicht „Nichtsein“ ist hier erwünscht. Oder wäre es passender zu sagen: „Spiel es noch einmal Sam“? Frühstück mit Früh-Stücken Iwona Uberman Am liebsten würde man den Tipp für sich behalten. Aus Eigennutz. Um in Zukunft den Erhalt einer Karte für sich selbst nicht zu gefährden, da dieses schon jetzt nur dann möglich ist, wenn man sich beeilt. Die Kapazität des Saals ist nämlich nicht besonders groß. Etwa 120 Leute finden darin Platz. Die Sitzplätze sind auch jetzt schon immer belegt, obwohl die Veranstaltung zurzeit noch eher als ein Geheimtipp gilt. Die Rede ist von „Früh-Stücken“, einer etwa zweimonatlich im Saal des Deutschen Theaters stattfindenden Informationsveranstaltung, die über die nächsten Premieren auf den drei Bühnen des Hauses und manchmal auch an anderen Orten in Berlin Auskunft gibt. Bei diesen Treffen sonntags um 11Uhr ist es tatsächlich möglich, im DT zu frühstücken, jedoch ist es nicht die leibliche, sondern die geistige Speisekarte, wegen der man so gern kommt. SEITE 18 MOE- KULTUR. DE JUNI 2011 NOTABENE >> Die ursprüngliche Idee war, ein Meeting ins Leben zu rufen, bei dem Freunde des Theaters Einblicke in die Tätigkeit des Hauses bekommen und wo sie einiges mehr erfahren als das, was im öffentlichen PR-Material zu finden ist oder mehr als die Endergebnisse der Arbeiten selbst, die schon fertigen Inszenierungen auf der Bühne, zu sehen bekommen. So bestehen diese Treffen aus kurzen inhaltlichen Einführungen in die gerade inszenierten Stücke, aus „Kostproben“ von ihnen in Form von Lesungen oder Darstellungen einiger Szenen, aus Gesprächen mit Autoren (wann trifft man sie schon?) und Regisseuren (wann sieht man sie halbprivat so nahe), die sich gern dafür gewinnen lassen, sich über das konkrete Stück hinaus, über eigenes Leben, politische Meinung, Erfahrungen mit dem Theaterbetrieb und anderes zu äußern. Sehr schön an den konkreten Vorstellungen des Kommenden ist, dass man sich jedes Mal genau überlegt hat, wie man das sich nähernde Ereignis angeht. Bei bekannten Stücken wird man nicht mit ihren Zusammenfassungen konfrontiert, sondern man bekommt zusätzliche Aspekte der Theaterarbeit geboten - ein Gespräch mit dem Regisseur wie im Falle der „Weber“, wo Michael Thalheimer u.a. seine über mehrere Stücke hinweg andauernde Auseinandersetzung mit Hauptmann reflektierte. Bei noch wenig bekannten Dramen wie z.B. Nis-Memme Stockmann’s „Kein Schiff wird kommen“ wird das Gespräch zuerst auf das Thema des Stückes geleitet. Über die Projekte des Jungen DT wird durch Präsentation vo n Fragmenten berichtet, so dass man mit etwas Wissen „aus erster Hand“ entscheiden kann, ob man nicht doch Interesse für den Abend entwickelt. Überhaupt den Schwerpunkt auf die Inszenierungen zu legen, die man durch bloßes Studieren des Monatsprogramms leicht übersehen könnte, wenn einem beispielsweise weder der Autor noch der Titel etwas sagt, ist ein gut überlegtes Vorgehen bei diesen Treffen. Es ist längst nicht mehr nur eine Veranstaltung für den engen Freundeskreis des DT, sondern inzwischen hat es sich bei dem an Theater interessierten Publikum Berlins, Kulturschaffenden und Fachkollegen, Familienmitgliedern und Mitbegleitern der Teilnehmer von Junges DT-Projekten und vereinzelten Journalisten herumgesprochen, dass diese wunderbar öffentliche aber nicht offizielle Veranstaltung zu den neuen und wieder sehr gelungenen Ideen des DT gehört. Natürlich bringen Treffen dieser Art für ihre Macher auch Gefahren mit sich, etwa wenn man eine Inszenierung eines gerade für das DT neu geschriebenen Theaterstückes sehr interessant findet, man sich gleich auf sie freut und den Termin im Kalender notiert, um dann festzustellen, dass sie doch nicht stattfinden wird. Solche Überraschungen und plötzliche Veränderungen der ursprünglichen Pläne werden natürlich stark wahrgenommen, aber soviel Flexibilität müssen beide Seiten zeigen und auch mal die Tatsache akzeptieren, dass ja im Theater nicht immer alles wie geplant läuft. Eine solche Offenlegung seines Handelns darf sich das DT sicherlich leisten. Zu den großen Entdeckungen des letzten Frühstücks im April gehörte für einen Teil der Anwesenden mit Sicherheit „ÜberLeben“ von Judith Herzberg. Lyrik bewanderte Leser werden den Namen der Autorin gekannt haben, aber als Dramatikerin ist sie in Deutschland eine wirkliche Entdeckung, was sich bereits gleich nach Lesung einiger Szenen des Stückes sagen lässt. Warum sie auf den deutschen Bühnen bisher so wenig bekannt ist, konnte die zum Gespräch eingeladene Verlegerin Dr. Maria Müller-Sommer auch nicht erklären. Man konnte jedoch von ihr nicht nur über die Schriftstellerin MOE JUNI 2011 und Person Judith Herzberg viel Interessantes erfahren, sondern auch inspirierende Gedanken zum Thema: jüdische Figuren also jüdisches Schreiben? (Herzberg selbst versteht sich keinesfalls als jüdische Autorin) hören und danach zu einem anderen, durch Frau Sommer für Deutschland entdeckten, in Ungarn geborenen Schriftsteller George Tabori und seinem ersten Inszenieren von „Kannibalen“ in Berlin, das der Verlegerin zu verdanken war, gelangen. Von dort aus war es nur ein kleiner Schritt zu der ebenfalls von Sommer vertretenen Christa Wolf und zu den eigenen Erinnerungen des in Berlin geborenen 12-jährigen Mädchens Maria Janicki, das an den Auftritten zu den Olympischen Spielen 1936 teilnahm sowie ihrer Betrachtung der entlegenen Zeiten aus der heutigen Perspektive einer erfahrenen Frau. Dass das Gespräch mit der Verlegerin so höchst spannend war, liegt natürlich an ihrer Persönlichkeit und an dem interessanten Leben der großen Dame des Verlagswesens. Aber die Idee sie einzuladen und es auch richtig zu organisieren, ist dem DT selbst zu verdanken. Es ist nicht nur das Erkennen, dass auch in einer Großstadt (oder gerade wegen der städtischen Größe und Anonymität) durchaus ein Bedürfnis nach publikumsnahem Theater besteht, sondern auch diese Idee bei mehreren Veranstaltungen so gelungen und im Detail so sorgfältig überlegt durchzuführen, ist ein großer Gewinn für Berlins Kulturinteressierte. Neues Theater des heutigen Tages auf eine neue Art zu machen, kann unterschiedliche Formen haben. DT hilft auf einfallsreiche Weise, sie zu entdecken. Die „Früh-Stücke“ sind ohne Zweifel ein sehr gelungenes Beispiel. << Besonder Orte – einzigartige Geschichten Die hässlichen Seiten der Schatzsuche Michael Kleineidam Die Orte der Inszenierungen liegen nur wenige Hundert Meter voneinander entfernt: das Pergamonmuseum auf der Berliner Museumsinsel und das Deutsche Theater in der Reinhardtstraße. Beide Male handeln die Geschichten von der Suche nach wertvollen Schätzen und von den Männern, die sie betreiben. Allerdings könnten die Herangehensweisen an diese Thematik unterschiedlicher kaum sein. Das Pergamonmuseum präsentiert seit Ende Januar die sensationelle Ausstellung „Die geretteten Götter aus dem Palast vom Tell Halaf“. Sie entführt die BesucherInnen mit Hilfe von 3000 Jahre alten, prachtvollen Monumentalskulpturen von Göttern und Göttinnen, Grabfiguren, Tierplastiken, Fabelwesen und Reliefplatten mit Darstellungen aus der Mythologie und des realen Lebens in die Zeit des 1.Jahrtausends vor Christus im heutigen Nordosten Syriens. Dort hatte der der gelernte Jurist und deutsche Diplomat Max von Oppenheim 1899 einen Hügel mit den Überresten eines aramäischen Fürstenpalastes entdeckt. Zehn Jahre später quittierte er den Dienst als Legationsrat am Kaiserlichen Generalkonsulat in Kairo und legte von 1911 bis 1913 und 1929 auf eigene Kosten spektakuläre Paläste und Gräber frei. Völlig zu Recht stehen diese frühgeschichtlichen Funde mit ihrem unvergleichlichen Charme einschließlich einer Leihgabe aus dem Nationalmuseum Aleppo im SEITE 19 MOE- KULTUR. DE JUNI 2011 NOTABENE Mittelpunkt der Ausstellung. Der zweite Schwerpunkt der Ausstellung befasst sich mit dem, was ihre sensationelle Seite ausmacht. Nach der Aufteilung der Funde 1927 besaß Oppenheim eine einzigartige Sammlung, die er dem Pergamonmuseum andiente. Dieses lehnte aus Geldmangel ab, worauf Oppenheim am 15. Juli 1930 in einer leer stehenden Fabrikhalle in BerlinCharlottenburg das private Tell Halaf-Museum eröffnete. In der Bombennacht am 23. November 1943 wurde das Museum völlig zerstört, alle Ausstellungsstücke aus Kalkstein und die großartige Palastrekonstruktion aus Gips verbrannten, die Skulpturen aus Basalt zerbarsten durch das Löschwasser in tausende Stücke. Offiziell hieß es 1954 „Das Tell-Halaf-Museum ist als Ganzes zugrunde gegangen.“ Allerdings wurden die Trümmer sichergestellt und nach dem Krieg in den Heizungskellern der Museumsinsel aufbewahrt. Erst Anfang der neunziger Jahre wurden die Kisten wieder entdeckt. Vor neun Jahren nun begann eine Gruppe von Archäologen und Restauratoren unter Leitung von Nadja Cholidis und Lutz Martin das scheinbar Unmögliche Realität werden zu lassen: etwa 27.000 Basaltbruchstücke wurden begutachtet, identifiziert, zusammengesetzt, verklebt und teilweise ergänzt. Die Zerstörung und Wiederherstellung der Götterstandbilder und Tierreliefs wird in der Ausstellung eindrucksvoll dokumentiert. Ein dritter Teil der Ausstellung ist Max von Oppenheim gewidmet. Und hier geschieht etwas schwer Begreifbares. Gezeigt wird der patriotische Diplomat Oppenheim, der Privatgelehrte und kenntnisreiche Orientalist, der besessene Ausgräber und stolze Besitzer einer großartigen frühgeschichtlichen Sammlung. Dies alles ist nicht falsch, doch weit davon entfernt, die Wahrheit über die widersprüchliche Persönlichkeit des 1860, als Sohn eines zum Katholizismus konvertierten jüdischen Bankiers geborenen Baron Max von Oppenheim zu sein. Schon nicht mehr im diplomatischen Dienst entwickelte der Spezialist für den Orient zu Beginn des 1. Weltkrieges für das Auswärtige Amt ein Propagandakonzept, wie in den muslimischen englischen und französischen Kolonien sowie in muslimischen Teilen Russlands die Bevölkerung gegen die Kolonialherren aufgebracht werden könnte. Er forderte, „zu jedem Mittel zu greifen, das zu einer Revolutionierung der feindlichen Länder führen kann.“ Der religiöse Begriff „ Dschihad - der heilige Krieg“ wurde politisiert, so hieß auch eine Zeitung, die an muslimische Kriegsgefangene verteilt wurde. Zur Durchsetzung der deutschen imperialistischen Ziele initiierte Oppenheim 1914 die für den deutschen Generalstab und das Auswärtige Amt als Propagandainstrument und Nachrichtendienst tätige, halbstaatliche “Nachrichtenstelle für den Orient” mit zahlreichen Büros. In der Ausstellung wird vermerkt, dass er deren Leiter und Mitarbeiter war, über ihren Charakter wird kein Wort verloren. Auch Oppenheims „Offenheit“ der arabischen Kultur gegenüber zeigte Besonderheiten. In Kairo residierte er fürstlich mit Dienern und Zeitfrauen, nach eigener Angabe mit einer 15 Jahre alten “Araberin mit abessinischem Einschlag”. Beim Besuch der Ausstellung drängt sich bald die Frage auf, wie es dem nach NS-Verständnis als „Halbjude“ geltenden Oppenheim möglich war, sein Museum zu erhalten. Man versucht zu deuten: „Wer Jude ist, bestimme ich“, soll Göring gesagt haben. Die Ku n s t h i s t o r i kerin Elke Linda Buchholz schreibt im Berliner „Tagesspiegel“: „Vermutlich schützten ihn mächtige Freunde im Auswärtigen Amt. Manche munkelten, Hitler habe ihn zum ’Ehrenarier’ ernannt“. Der Journalist und Autor Arno Widmann wird in der „Berliner Zeitung“ genauer. MOE JUNI 2011 Dort heißt es: „Max von Oppenheim wurde schon am 1. April 1933 zum Ehrenarier ernannt. Am 29. Januar 1937 erhielt er für seine Verdienste bei der Ausrufung eines AntiEntente-Dschihads während des Ersten Weltkriegs ’Im Namen des Führers und Reichskanzlers’ das ’Ehrenkreuz für Frontkämpfer’“. Und weiter: „Am 25. Juli 1940 ließ Max von Oppenheim Hitler ein Memorandum zur Palästina-Frage vorlegen. Er empfahl Hitler den Judenfeind al-Husseini, GroßMufti von Jerusalem, als Führer eines ’judenreinen Palästina’“. All dies findet in der Ausstellung keine Erwähnung. Vieles im Leben des Max von Oppenheim mag noch rätselhaft sein. Aber dies nicht einmal zu thematisieren, ist in mehrfacher Hinsicht Verrat: an den Besuchern, an der Wahrheit und, worauf Widman hinwies, auch an Oppenheim selbst, der so simpel gestrickt, wie er hier beschönigend dargestellt wird, nicht war. Inzwischen sollte es auch bei staatlichen Museen angekommen sein, dass die Wahrheit den BesucherInnen zumutbar sein muss. Orts- und Zeitwechsel. Im Deutschen Schauspielhaus Berlin inszenierte Stephan Kimmig “Öl”, das neueste Stück des Schweizer Autors Lukas Bärfuss. Die Suche ist diesmal aufs Öl gerichtet, aber das ist nebensächlich, es könnten auch Kupfer, Uran oder seltene Erden sein. Der Geologe Herbert Kahmer und sein Ingenieur Edgar betreiben diese manische, von anderen als hoffnungslos eingestufte Jagd nach dem „schwarzen Gold“ in Beryok, eine fremde, imaginäre Dritte-Welt-Gegend, in der Krieg ist, Nomaden und Rentiere leben. Amerikaner, Engländer und Franzosen sind über das Land hinweggezogen, haben es ausgeplündert und bereits wieder verlassen. Herbert und Edgar sind die spät Gekommenen. „Bäume. Steppe. Mücken. Kein Öl.“ Mit dabei ist Kahmers Frau Eva, die seit drei Jahren in einem bunkerartigen Verschlag mit abgerissenen Tapeten (Bühne: Katja Haß) haust, nicht richtig weiß, was sie, die europäische Akademikerin hier eigentlich soll, und vergeblich auf einen Erfolg der Glücksritter wartet. Dies geht nicht ohne Alkohol. Es ist ein “Scheißland. Mit Scheißmenschen. Einer Scheißkultur”, darüber sind sich die Europäer einig. Aber es locken geldwerte Reichtümer, zu denen im Vergleich die Funde von Tell Halaf pekuniärer Kleinkram sind. Das unfreiwillige Gastland erhält Bühnenpräsenz durch die einheimische Haushaltshilfe Gomua. Bruchbude hin oder her, eine Dienerin muss sein, ist sie doch einziger Kontakt in der Fremde, und sei es nur um Befehle zu empfangen und Demütigungen hinzunehmen. Eva zwingt Gomua zu Deutschlernübungen, fragt die hundert häufigsten Wörter der deutschen Sprache ab, was zu einem dadaeske n Wortduell führt. Denn die Dienerin spricht die ihr fremde Sprache perfekt, steht zu ihr jedoch hörbar auf Distanz. Immer wieder taucht in dem Stück eine geheimnisvolle, viel deutbare Frauenfigur auf. Ganz zu Beginn zitiert sie in schwarzem Anzug und weißem Hemd ausführlich den chinesischen Militärstrategen Sun Tzu: “Es gibt kein Mitleid”. Um Krieg in all seinen Facetten geht es also in dem Stück. Das P r i vate ist hier nur besonders krasser Ausdruck des Politischen. Später ist die Frau Terroristin, Racheengel, Albtraumerscheinung, Ratgeberin von Eva, gar ihr besseres Ich, oder überhaupt nur eine Folge des Alkoholgenusses? Die grandiosen Leistungen der Schauspielerinnen Nina Hoss (Eva), Margit Bendokat (Gomua) und Susanne Wolff (Frau) waren an diesem Theaterabend die wahren Schätze, die es zu entdecken galt. Die Männer Felix Goesers (Herbert) und Ingo Hülsmann (Edgar) hatten es nicht einfach, gegen dieses Trio zu bestehen, bewiesen aber gerade wegen der Undankbarkeit ihrer Rollen großes Format. SEITE 20 MOE- KULTUR. DE JUNI 2011 NOTABENE Bärfuss und Kimmig zeigten im Deutschen Theater, was geschieht, wenn ungehemmte Gier nach Reichtum und Wohlstand Denken und Handeln beherrscht. Die von den Akteuren ausgehende Gewalt richtet sich schließlich gegen sie selbst, zerfrisst und zerstört sie. Außerordentlich unterhaltsam wird dies gezeigt, aber es ist ja nicht untersagt, beim oder nach dem Lachen auch zu denken. So dürfte kaum jemanden entgangen sein, dass die Figuren da oben auf der Bühne im Auftrag und zum Nutzen der Wohlstandsgesellschaft agieren, die unten im Saal sitzt und zuschaut. Genauso wenig sollte das Publikum der Tell HalafAustellung ausblenden, wer die Schätze nach Berlin brachte, die wir heute so bewundern. > MOE-TIPP „Die geretteten Götter aus dem Palast vom Tell Halaf“, Ausstellung Pergamonmuseum Berlin, bis zum 14. August 2011 TALINN – Kulturhauptstadt Europas 2011 www.tallinn2011.ee Reval – Tallinn: 19./20. Jahrhundert Karsten Brüggemann In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stand das Schicksal Revals unter keinem guten Stern. Nicht zuletzt dank der staatlichen Handelspolitik, die vor allem St. Petersburg und Riga bevorzugte, wurde Reval mehr und mehr zu einem Zentrum des Klein- und Binnenhandels für lokale Bedürfnisse. Der größte Arbeitgeber Re vals blieb die Admiralität, in deren Werkstätten die zarische Flotte instand gehalten wurde; mit dem Aufkommen der Dampfschiffe verlor sie jedoch zusehends an Bedeutung, da Russland seine modernen Kriegsschiffe in Kronstadt konzentrierte. In Reval wurde es ruhig. Johann Georg Kohl betonte in seinem Reisebericht zu Beginn der 1840er Jahre dass die Revalenser das »dolce far niente eben so gut wie die Italiener zu würdigen« wüssten. »Indem unser Dreigespann die kaufende und verkaufende Menge des besetzten Marktes durchbrach, glaubten wir, da Alles stand und uns anschaute, den ganzen Handel von Rewal auf einige Minuten unterbrochen zu haben. Doch bald gewahrten wir unseren Irrthum; denn drei Viertel jener Menge bestanden aus Müßigen aller Klassen, während das letzte Viertel sich eben nicht in seinen Geschäften beeilen zu müssen glaubte. (…) Die uns begegnenden, sparsam beladenen Fuhrwagen bewegen sich eben so langsam fort wie der Handel der Stadt«. Zu dieser Zeit aber war die Stadt dank der von Kohl festgestellten »wohltuenden Rewalschen Ruhe« bereits für eine ganz neue Klientel attraktiv geworden. Seit den späten 1820er Jahren kamen russische Touristen vor allem aus der Hauptstadt an die Ostsee, um hier ihre Sommerfrische zu genießen, da Auslandsreisen unter dem Zaren Nikolaj I. erschwert worden waren. Ein russischer Reiseschriftsteller riet seinen Landsleuten, »nach Reval zu fahren und sich an diesem alten ritterlichen und hanseatischen Nestchen zu erfreuen, das wie ein Wunder während der grausamen nördlichen Kriege erhalten geblieben ist. Sie genießen dort nicht MOE JUNI 2011 nur den Anblick lebendigen Altertums, sondern auch die frische, staunenswerte natürliche Landschaft, atmen frische Meeresluft, stärken Ihre Nerven in den Meereswellen, und vor allem erholen Sie sich von all den Dingen, Sorgen und Mühen des Alltags. (…) Nachdem Sie einen Sommer in Reval verbracht haben, werden sie mir auf ewig dankbar sein«. In den frühen 1830er Jahren besuchte auch der Zar mit seiner Familie die Stadt mehrfach zur Erholung und Reval blieb bis zum Ende der 1830er Jahre bei den Petersburgern en vogue, die die Stadt zu einem »lärmenden Eckchen Petersburgs« verwandelt hätten. Der russische Literaturhistoriker Aleksander P. Miljukov bekannte, dass man ihn vor der Enge und dem Gestank der Altstadt gewarnt hatte. Er hingegen begeisterte sich am Anblick Revals von See, den er, wie auch zahlreiche deutsche Reisende der Zeit, geradezu neapolitanisch fand. Die Stadt stecke voller Leben, »aus jedem Haus erschallen die Töne alter deutscher Walzer«. Er empfand die Stadt wie eine deutsche Küche mit einer tüchtigen Hausfrau, die alles ungeachtet der Enge gemütlich und sauber einzurichten wisse. Miljukov schwärmte von der angenehmen Mischung von »Bier und geröstetem Kaffee«, deren Duft durch die Straßen der alten Hansestadt zog. Vielleicht hatte Miljukov einfach das Glück einer frischen Brise, welche die Ausdünstungen der Altstadt während seiner Anwesenheit in alle Winde zerstreute. Aber Miljukov ahnte die bevorstehenden Veränderungen im Antlitz der Stadt. Nach einem Spaziergang über den nahezu menschenleeren Domberg – der Adel pflegte den Sommer ja auf seinen Landgütern zu verbringen – erklärte er ihn zum »verlassenen Nest des verstorbenen Rittertums«, das in seinen eigenen Denkmälern vor sich hin vegetiere. Auch wenn dieser Teil seiner Prognose etwas voreilig war, hatte er in einem anderen Punkt Recht: Bald schon, so prophezeite er weitsichtig, werde es auf den alten Wällen einladende Parkanlagen geben. Städtebauliche Änderungen ließen in der Tat nicht lange auf sich warten. Die Stadt begann, über die Wallanlagen hinaus zu wachsen. Der Krimkrieg Mitte der 1850er Jahre hatte gezeigt, dass die Jahrhunderte alten Festungsanlagen um die Altstadt herum keinen militärischen Sinn mehr machten. Unter dem neuen Zaren Alexander II. wurde die Stadt 1870 schließlich – über Umwege – an das reichsweite Eisenbahnnetz angebunden, was einen wahren Wirtschaftsboom auslöste. Reval wurde wieder zum saisonalen Einfuhrhafen der russischen Hauptstadt, wenn der St. Petersburger Hafen zugefroren war, und zum Ausfuhrhafen für russisches Getreide. Gerade in Anbetracht der sozialen Segregation der städtischen Einwohnerschaft Revals, deren (deutsche) Elite in der von Mauern umgebenen Altstadt lebte, war die Schleifung der Wälle auch von symbolischer Bedeutung. Die Stadt reagierte auf die Anforderungen der Zeit, in der Zirkulation und Kommunikation innerhalb der eigenen Grenzen genauso zum notwendigen Attribut des Wachstums wurden wie gewisse Mindeststandards an Lebensqualität. Vor allem aber wurde sie zu einem Bevölkerungsmagnet, nicht zuletzt aufgrund der Reformen des neuen Zaren. Seitdem die estländische Bauerverordnung aus dem Jahre 1856, die neue russische Passordnung von 1863 und die Landgemeindeordnung aus demselben Jahr den Bauern mehr Bewegungsfreiheit verschafft und die Einführung der Gewerbeordnung von 1866 das Handwerk freigegeben hatten, bot sich die Stadt als Auffangbecken für den demographischen Zuwachs des Gouvernements an. Lebten 1871 knapp 30.000 Menschen in Reval, waren es 1913 über 115.000. In Bezug auf die schie- SEITE 21 JUNI 2011 MOE- KULTUR. DE NOTABENE re Größe und das Tempo des Wachstums blieb Reval zwar hinter Riga zurück, doch konnte die Vervierfachung der Einwohnerzahl in gerade einmal vierzig Jahren nicht ohne Einfluss auf die äußere Gestaltung Revals bleiben. Nun überspann das Zentrum die Wälle und in den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg erhielt es die Gestalt, die wir im Grunde bis heute kennen. Die alten Stadttore wurden zum Teil abgerissen und neue Straßen banden die Altstadt an das städtische Netz. Unterhalb des Dombergs entstanden weitläufige Grünanlagen. Der ehemalige Festungsring wurde nach und nach mit einer Schule, der Johannis- und der Karlskirche sowie mit Verwaltungs- und Geschäftsgebäuden bebaut, und auch der Markt, der zuvor in der viel zu engen Altstadt abgehalten wurde, wanderte nun vor die Tore der Stadt. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg erhielt Reval auch sein bis heute symbolträchtiges Kulturzentrum: das EstoniaTheater. Zu diesem Zeitpunkt war die Stadtverwaltung bereits seit einem knappen Jahrzehnt in den Händen einer estnisch-russischen Koalition. Aus dem alten Reval war das estnische Tallinn geworden. Seit den 1860er Jahren hatten sie den größten Anteil an der Bevölkerung. Anhand der Tabelle ist ersichtlich, dass die Zahl der Deutschen seit 1871 nahezu stabil blieb, weshalb ihr Anteil an der Stadtbevölkerung vor dem Ersten Weltkrieg auf 10% sank. Wie stark der Zustrom der Esten war, lässt sich auch daran erkennen, dass sich zwar die Zahl der Russen seit 1871 mehr als vervierfacht hatte, ihr Anteil jedoch bei 11% stagnierte. Einwohner Revals nach ihrer ethnischen Zuordnung 1820– 1913 ohne Militärpersonal (Prozent) 1820 1871 1881 1897 1913 Esten 4.486 (34,8) 15.097 (51,8) 26.324 (57,4) 40.406 (68,7) 83.133 (71,6) Deutsche 5.540 (42,9) 10.020 (34,4) 12.737 (27,8) 10.297 (17,5) 12.424 (10,7) Russen Gesamt 2.304 (17,9) 12.902 3.300 (11,3) 29.162 5.111 (11,1) 45.880 6.008 (10,2) 58.810 13.275 (11,4) 116.132 Für den Sieg über die Deutschen bei den Stadtratswahlen von 1904 war das mittlerweile deutliche demographische Übergewicht der Esten jedoch nicht von Belang. Entscheidend war die Akkumulation von Wohlstand in estnischen Händen, die sich in den Wählerlisten spiegelte. Signifikant war dieser ökonomische Wandel beim Grundbesitz. Noch 1871 befanden sich nur gut 18% der Grundstücke in estnischer Hand (vom Wert her nur 2,6%). Bei den estnischen Immobilienbesitzern handelte es sich zumeist um Städter der ersten Generation, die in den Vorstädten lebten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts aber waren bereits 64% der Grundstücke in estnischem Besitz, wobei bereits 39 Grundstücke in der Altstadt Esten gehörten. In einem halben Jahrhundert hatten sich das Gesicht Revals und die in ihm herrschende Atmosphäre gewandelt. Die drei Nationalitäten hatten sich seit Mitte der 1880er Jahre in ihre exklusiven sozialen Sphären zurückgezogen, was Grenzgänger nicht ausschloss, aber doch nicht als Regel zuließ. Es gab am Beginn des 20. Jahrhunderts drei estnische und je zwei russische und deutsche Tageszeitungen, die ihr jeweils eigenes Publikum bedienten und einen eigenen Kommunikationsraum kreierten. Zugleich gab es mehr als 100 Vereine, doch fixierten gerade sie die nationalen Grenzen MOE JUNI 2011 mehr als dass sie diese auflösten. Es ließe sich viel erzählen über die kulturelle estnische Nationalbewegung, die aber ihr Zentrum in der Universitätsstadt Dorpat/Tartu hatte, welche im Gouverne-ment Livland lag. Demgegenüber entwickelte sich in Tallinn der wirtschaftliche und politische Zweig der Emanzipation auf nationaler Grundlage, der dann kurz vor dem Ausbruch der ersten russischen Revolution 1905 die Macht in der estländischen Hauptstadt übernahm. Es ließe sich viel erzählen über die Utopien der ethnischen Milieus und sozialen Gruppen vor 1914, aber auch über das von dem finnischen Architekten Eliel Saarinen ausgearbeitete Projekt für GroßTallinn, das bei vollständiger Realisierung auf 650.000 Einwohner ausgelegt war. Der Weltkrieg machte all diese Pläne zunichte. Auf die russische Oktoberrevolution 1917 und die Besatzung durch die deutschen Truppen im Jahr darauf folgte die Machtübernahme der Esten im ganzen Land. Es ließe sich viel erzählen über die Entwicklung Tallinns in den Jahren der estnischen Unabhängigkeit; mein Kollege Andreas Füllberth hat dem Ausbau der Stadt zur Hauptstadt ein Buch gewidmet, weshalb ich sie hier aus Zeitgründen überspringe. 1934 hatte Tallinn knapp 138.000 Einwohnern, von denen 85,6 % Esten waren (117.918), 5,7% Russen (7.888) und nur noch 4,8% Deutsche (6.575). Durch die Eingemeinung des Vororts Nõmme 1940 stieg die Gesamteinwohnerzahl auf knapp 160.000 Einwohner bei gleichbleibender ethnischer Verteilung. Der Hitler-Stalin-Pakt und die darauf folgende sowjetische Okkupation und Annektion zogen eine Terrorwelle nach sich, durch die die estnische Elite reduziert wurde. Die Deportation von Juni 1941 traf gut 2.300 Personen aus Tallinn, darunter auch Russen und Juden. Da zugleich die Deutschbalten vor der drohenden sowjetischen Gefahr „heim ins Reich“ geholt worden waren, verlor die Stadt binnen kurzem ihre ethnischen Minderheiten. Der Holocaust unter der deutschen Besatzung von 1941 bis 1944 kostete den Juden das Leben, die sich nicht rechtzeitig durch Flucht in die Sowjetunion gerettet hatten. Die Forschung geht von ca. 660 Tallinner Juden aus, die bis Ende 1941 ermordet wurden. Ein sowjetischer Luftangriff in der Nacht vom 9. auf den 10. März 1944 verursachte erhebliche Schäden im Stadtzentrum. Nach später ergänzten Angaben der Polizei sind 750 bis 800 Menschen ums Leben gekommen, ca. 20.000 Personen wurden obdachlos. Völlig zerstört wurden über 1.400 Wohnhäuser; über 5.000 Gebäude waren beschädigt. Die Sowjetisierung ab 1944 brachte neuen Terror, der 1949 in den Märzdeportationen kulminierte, die 20.000 Menschen aus Estland betraf. Da das Hauptziel dieser Aktion die Unterbindung der Partisanenaktivität wa r, wurden aus Tallinn damals aber „nur“ gut 2000 Personen deportiert. Die Filtrierung der Bevölkerung nach Kritierien wie sozialer Herkunft, Tätigkeit unter deutscher Besatzung etc. ließ eine Atmosphäre der Angst entstehen, die die Sowjets zur Durchsetzung ihrer Herrschaft nutzten. Tallinn selbst erlebte einen allmählichen Wiederaufbau, wobei die zur Verfügung stehenden Mitteln zunächst für Prestigeprojekte wie der Rekonstruktion des Estonia-Theaters eingesetzt wurden, das die sowjetische Luftwaffe, wie sich wohl auch linientreue Esten gut erinnerten, gerade zerstört hatte. Aufgrund des rasanten Bevölkerungswachstums, ausgelöst SEITE 22 MOE- KULTUR. DE JUNI 2011 NOTABENE durch Kaderimport aus den inneren Republiken der Sowjetunion und durch die forcierte Industrialisierung, musste die Prioriät sich auf den Wohnungsbau verlagern, der seit Ende der 1950er Jahre im großen Stil zu riesigen Neubaugebieten führte. Zugleich ging mit diesem Bevölkerungswachstum eine demografische Russifizierung einher, die an der Tabelle abgelesen werden kann. Die 1960er Jahre brachten allmächlich Stabilität in die Sowjetunion, die im Nachhinein gern als Stagnation gesehen wurde. Was das sowjetische Tallinn mit dem Reval der Zarenperiode gemein hatte, war sein Image als eine Art kultureller Vorposten des Westens bzw. Europas. Deutlich abzulesen war dies daran, dass in Tallinn in kulturpolitischer Hinsicht Dinge erlaubt waren, die im übrigen Sowjetland strikt verboten blieben: modernistische Kunstausstellungen, (estnischsprachige) Neuausgaben von Dostoevskij, Beckett, Camus oder Kafka, oder die Etablierung von internationalen Jazz-Festivals mit dem Höhepunkt 1967, als mit dem Charles Lloyd Trio erstmals ein US-amerikanisches Ensemble auf sowjetischem Boden auftrat. Seit 1965 gab es eine Fährverbindung mit Helsinki, und die Zahl von (meist gut kontrollierten) Esten, die ins Ausland reisen durften (auch wenn es nur Ungarn war) stieg von Jahr zu Jahr. Tallinn als Ort der olympischen Segelregatten von 1980 brachte zum einen die baltische Frage wieder in die westlichen Medien, zum anderen dienten die enormen Summen, die Moskau dafür ausgab, den Sozialismus in der baltischen Provinz leuchten zu lassen, der Stadtentwicklung. Die Altstadt wurde von polnischen Firmen renoviert, ein Flughafen und die Stadthalle errichtet, die Straße nach Leningrad ausgebaut, und in Pirita wurde ein modernes Segelzentrum fertig gestellt. Zugleich aber brachte das Jahr 1980 heftige Jugendproteste gegen die in diesen Jahren wieder zunehmende demografische Russifizierung aufgrund der Bauprojekte und deren Bedarf an Arbeitern. All das kam in den Jahren der „singenden Revolution“ seit ca. 1987 zum Ausdruck, als mehr und mehr Menschen sich an Massenaktionen beteiligten, die dann am 23. August 1989 in die berühmte Menschenkette von Tallinn über Riga nach Vilnius mündeten. Zu einer Art „singender Revolution“ war es aber bereits 1965 gekommen, als auf dem Liederfest erstmals wieder estnische Lieder gesungen werden konnten, die während der stalinistischen Eiszeit noch zensiert worden waren. Ein Vierteljahrhundert später, nachdem die Jahre der Perestrojka unter Michail Gorba?ev halb Europa von sowjetischer Vormundschaft befreit hatten, waren schließlich auch die baltischen Republiken trotz Terror der OMON-Truppen, von dem Tallinn glücklicherweise verschont blieb, nicht mehr zu halten. Seit 1991 erhielten die baltischen Republiken ihre Unabhängigkeit und Tallinn wurde wieder Sitz einer estnischen Regierung. Heute ist die estnische Hauptstadt althanseatisch und modern, russisch-orthodox und estnischnational, aber auch ein Ostseehafen mit einer Gott sei Dank wieder offenen Grenze. Der Vortrag von Karsten Brüggemann (Universität Tallinn) wurde gehalten anlässlich der Konferenz „Tradition und Internet“. Tallin – Kulturhauptstadt Europas 2011“ (8.4.2011, Landesvertretung Schleswig-Holstein), Ve ranstalter: Deutsches Kulturforum östliches Europa www.kulturforum.info Unser Partner: Newsletter des Deutschen Kulturforums östliches Europa Das Deutsche Kulturforum östliches Europa engagiert sich für eine kritische und zukunftsorientierte Auseinandersetzung mit der Geschichte jener Gebiete im östlichen Europa, in denen früher Deutsche gelebt haben bzw. heute noch leben. Im Dialog mit Partnern aus Mittel- und Osteuropa will das Kulturforum die Geschichte dieser Regionen als verbindendes Erbe der Deutschen und ihrer östlichen Nachbarn entdecken und einem breiten Publikum anschaulich vermitteln. Der Newsletter informiert Sie über neue Beiträge auf der Website des Kulturforums, insbesondere zum Arbeitsgebiet des Kulturforums www.kulturforum.info: • redaktionelle Beiträge Berichte aus Wissenschaft und Forschung, Essays, Pressestimmen, Reportagen, Rezensionen, Veranstaltungsberichte, Vortragsmanuskripte und anderes mehr • Veranstaltungen Informationen über Veranstaltungen zum Arbeitsgebiet des Kulturforums • TV/Radio-Tipps Informationen zu Fernseh- und Radiosendungen deutschsprachiger Sendeanstalten • Neuerscheinungen Neue Publikationen des Kulturforums/ Buchtipps zur Neuerscheinungen Anmeldung zum Newsletter unter: http://www.dkf-moe.de/x/FMPro?-db=dkf01.fp5&-format=formmailer.html&-view MOE JUNI 2011 SEITE 23 MOE- KULTUR. DE JUNI 2011 NOTABENE >> Kurz notiert Ohne Grenzen Deutsch-polnischer Journalistenworkshop 23. – 27.6. Chojna/ Polen Der Verein Terra Incognita lädt Jugendlichen aus Deutschland zum deutsch - polnischen Journalistenworkshop ein. Die Teilnahme ist kostenlos Anmeldungen/ Informationen: [email protected] Osteuropäische Kulturen in einer multipolaren Welt. Vortragsreihe Nach zwei postsozialistischen Dekaden hat sich Osteuropa in einem zuvor nicht absehbaren Ausmaß verändert. Wir begegnen einer Eigendynamik von Wandlungsprozessen, die die Osteuropaforschung vor neue empirische und theoretische Herausforderungen stellen. Die Vortragsreihe will diesen Prozess einer Neudefinition Osteuropas als Forschungsgegenstand reflektieren. Ihr interdisziplinärer Zuschnitt soll dazu beitragen, den fachübergreifenden Dialog über ein aktuelles Profil von Osteuropastudien zu schärfen. Drei thematische Aspekte stehen im Vordergrund: 1) eine Neupositionierung des osteuropäischen Raums in einer globalen Welt, die einen bis in die Aufklärung zurückreichenden Dualismus eines aufgeklärten und ‚modernen’ Westens und eines zurück gebliebenen Ostens Europas überwindet; 2) die Untersuchung veränderter Identitätsmuster und Zugehörigkeiten im postsozialistischen Osteuropa im Zeichen von Migration, globaler Populärkultur und neuen Medien; 3) eine Neuverortung Osteuropas im historischen Horizont soziokultureller Moderne, die tradierte Konzeptionen Osteuropas als Hinterhof der Zivilisierungsgeschichte revidiert und zugleich die zeitgenössischen erinnerungspolitischen Reko n f i g u rationen historischer Ereignisse kritisch reflektiert. Programm/ Informationen: www.slawistik.hu-berlin.de Hans-Gert Pöttering in Russland Drei Wochen vor dem EU-Russland-Gipfel, der am 9. und 10. Juni in Nischni-Nowgorod stattfindet, besuchte der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans-Gert Pöttering, Russland. An der Internationalen Universität in Moskau hielt er einen Vortrag zu den EU-Russland-Beziehungen. Außerdem traf er führende Politiker und Menschenrechtler zum Austausch. Mehr dazu„Internationale Aktivitäten“/Newsletter www.kas.de Abschied von Berlin Martin Kraft, der Direktor des Tschechischen Zentrums Berlin wird nach fast vier ereignisvollen Jahren am 1. Juni Berlin verlassen. In seiner Amtszeit wurden zahlreiche Veranstaltungen im Bereich Kultur und Kunst, Tourismus und Wirtschaft für etwa 296 400 Gäste durchgeführt, davon 119-mal außerhalb Berlins. Martin Kraft wird zukünftig in dem Tschechischen Zentrum in Wien tätig Die Interimsleiterin Dr. Christina Frankenberg, Programmleiterin des Tschechischen Zentrums Berlin, wird bis Jahresende das Tschechische Kulturinstitut in Berlin leiten. Buras verliehen. Gewürdigt wird neben seinen zahlreichen Artikeln zur deutschen Kultur in den polnischen und deutschen Medien, vor allem sein Buch „Polens Weg. Von der Wende bis zum EU-Beitritt? (zus. mit Henning Tewes; Stuttgart, 2005) www.uni-leipzig.de/jablonoviana Kommission will Zusammenarbeit mit EU-Nachbarn verstärken Die EU-Kommission will die Nachbarstaaten der Europäischen Union, etwa in Nordafrika und Osteuropa, künftig noch stärker als bisher in ihrem Streben nach D e m o k ratie, politischer Stabilität und wirtschaftlichem Wohlstand unter- stützen. Die finanzielle Hilfe im Rahmen der Nachbarschaftspolitik soll um 1,24 Milliarden Euro auf rund 7 Milliarden Euro für die nächsten beiden Jahre aufgestockt werden. Dazu kommen noch Milliardenkredite durch die Europäische Investitionsbank und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Aber es gehe bei der neuen Nachbarschaftsstrategie, über die nun EU-Staaten und Europäisches Parlament beraten werden, um viel mehr als nur um Geld, sagte Kommissionspräsident José Manuel Barroso: „Es zeigt, wie ernst es uns ist, denen zu helfen, die politische Freiheit und eine bessere Zukunft anstreben.“ aus aktuellen anlass Club der Polnischen Versager stellt fest: der Brandanschlag auf die Kabelbrücke am Berliner Bahnhof Ostkreuz geht auf das Konto der deutschen Atomindustrie, so die vorläufigen Untersuchungsergebnisse. Wie der Bundespolizeisprecher gegenüber cpv bestätigte, handelte es sich um einen mißglückten Blacko u t-Versuch der Atomlobby, um auf die dramatische Lage der deutschen Atomindustrie aufmerksam zu machen. Der Regierungssprecher erklärte derweilen, daß die deutsche Regierung sich nicht unter Druck setzen werde und ihre Atompolitik wie bis jetzt fortsetze. „Aus Protest und als sichtbares Zeichen gegen die feige Tat der AKW-Betreiber hat die Kanzlerin drei zusätzliche Glühlampen mit je 100 Watt im Kanzleramt angemacht und auch tagsüber brennen lassen“ so der Regierungssprecher weiter. www.polnischeversager.de Jablonowski-Preis 2011 an Piotr Buras Die Societas Jablonoviana fördert den deutsch-polnischen Ku l t u r- und Wissenschaftsdialog mit der Vergabe des Jablonowski-Preises. Alle zwei Jahre werden junge Wissenschaftler aus Polen und Deutschland ausgezeichnet, die den Blick auf das eigene oder das andere Land schärfen. Der Jablonowski-Preis wird dem in Warschau geborenen und in Berlin lebenden Politologen und Journalisten Piotr MOE JUNI 2011 SEITE 24