Blick zurück nach vorn Looking Back and to the Future

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Blick zurück nach vorn Looking Back and to the Future
Blick zurück nach vorn
Looking Back and to the Future
Inhalt Content
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In fünf Sekunden entscheidet sich, ob
ich mit meinem Projekt angekommen bin! . . . . . . 4
The first five seconds
will determine my project’s success!
Saskia Niehaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
Carl Richard Montag
Thea Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
Beate Passow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
Heide Pawelzik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
Raffael Rheinsberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
Babak Saed . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
Blick zurück nach vorn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Looking Back and to the Future
Tamer Serbay . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
Ingrid Raschke-Stuwe
Stefan Sous . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
solitaire FACTORY . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Karin Veldhues und Gottfried Schumacher . . . . . . . . . . . . . 142
Die KünstlerInnen The artists
Rolf Wicker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
Anja Wiese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
Dagmar Demming . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Tomasz Domański . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Markus Draper
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Kurzbiographien der Künstler . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Biographies of the artists
Felix Droese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
Horst Gläsker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
Yvonne und Klaus Goulbier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Ottmar Hörl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
Eva-Maria Joeressen und Klaus Kessner . . . . . . . . . . . . . . . 50
Kirsten Kaiser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
Thomas Klegin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
Artur Klinow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
Maike Kloss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Stefan Korschildgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
Olf Kreisel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
Maik und Dirk Löbbert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
Dagmar Demming, Tomasz Domański, Markus Draper, Felix Droese, Horst Gläsker, Yvonne und Klaus Goulbier, Ottmar Hörl, Eva-Maria Joeressen
und Klaus Kessner, Kirsten Kaiser, Thomas Klegin, Artur Klinow, Maike Kloss, Stefan Korschildgen, Olf Kreisel, Maik und Dirk Löbbert, Saskia Niehaus,
Beate Passow, Heide Pawelzik, Raffael Rheinsberg, Thea Richter, Babak Saed, Tamer Serbay, solitaire FACTORY, Stefan Sous, Karin Veldhues und
Gottfried Schumacher, Rolf Wicker, Anja Wiese
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
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In fünf Sekunden entscheidet sich, ob ich mit meinem Projekt angekommen bin!
The first five seconds will determine my project’s success!
Für den Künstler Ottmar Hörl ist das ein Maßstab, für mich auch.
Wir müssen in unseren Ideen und Entwürfen das treffen, was
die Menschen als Entdeckung wahrnehmen, mit all ihren Auswirkungen, dem Überraschtsein, der Begeisterung, der Enttäuschung, dem Mehr-Wissen-Wollen. Wo bleibt sonst unser Dialog
mit den Menschen? Mit dieser Ausstellung an einem Ort, der sich
zu einem Raum der Begegnung, des Dialogs, der Freiheit und des
Experiments weiter entwickeln soll, konnten wir sie erreichen.
For the artist Ottmar Hörl this is the benchmark. As it is for me.
In our ideas and designs we must capture what people perceive as a discovery, with all its attendant implications; triggering surprise, delight, disappointment and curiosity. Where else
can we conduct a dialogue with the people? Staged at a venue
which is set to become a place of encounter, of dialogue, of
freedom and of experimentation, this exhibition enabled us to
engage with the public.
Zugegeben, der Ort ist in den Augen mancher Betrachter auch
ein wenig elitär. Aber wir machen, wie immer bei unseren
Kunstprojekten im öffentlichen Raum, gerade das Besondere,
seine Lage, die Topographie, die Geschichte, Architektur und
Landschaft zum Thema. Hier haben die drei operativen Montag
Stiftungen und auch die vermögens- und liquiditätssichernde
Förderstiftung ihren Sitz. Sie werden diesen Ort weiter ausbauen, zu einem unverwechselbaren Raum der Entschleunigung, der Besinnung, Wahrnehmung, der Diskussion über
Grundsatzfragen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens
und der Entfaltungsmöglichkeiten jedes einzelnen Menschen,
gleich welcher Herkunft, welchen Geschlechts, Alters oder Bildungsgrades.
Admittedly, in the eyes of some observers this place is a little
elitist. But, as is commonly the case with our public art projects, we are thematising the special, its location, the topography, the history, the architecture and the landscape. Here are
housed the headquarters of the three operational Montag foundations, and of the sponsoring foundation. They will continue to
develop this site into an unmistakable space of deceleration, of
reflection, of perception and of discourse over the fundamental
questions of our social existence and the opportunities for individual development – regardless of background, gender, age or
educational attainment.
Wer könnte sich hier besser zu Hause fühlen als Künstler – die
anscheinend freieste Gilde. Dies spürte man auch in den
Gesprächen, die ich mit ihnen über ihre Welt, Sichtweise und
Anliegen im Rahmen der Ausstellung führen konnte. Sie lieferten Beweise dafür, was dabei herauskommen kann, wenn man
sich auf die Menschen, ihre Fragen und ihre Lebensräume einlässt.
So unterschiedlich wie die 27 beteiligten Künstler, so sind auch
ihre Werke. Diese entstanden aus den räumlichen Eindrücken
vor Ort in ihrer jeweils eigenen Sprache. Sie werden an anderer
Stelle eingehend gewürdigt. Hier vereinigen sie sich zu einem
einmaligen Ensemble und Erlebnisraum, der die Menschen, wie
ich beobachten konnte, faszinierte und, ganz im Sinne unserer
Stiftungsziele, zu Diskussionen herausforderte.
Carl Richard Montag
Stifter und Vorstand der Montag Stiftung Bildende Kunst
Who could feel more at home here than an artist – ostensibly
the most-liberated of all professions? This also came over in the
discussions I was able to conduct with them about their world,
their opinions and their concerns during the course of the exhibition. They furnished ample evidence of what can emerge
when one engages with people, their issues and their living
environments.
As different as the 27 participating artists are, so too are their
works: Inspired by spatial impressions in situ, each is couched
in its own respective idiom. Yet these have been dealt with in
depth elsewhere. Here they unite to form a unique ensemble
and adventure space which, as I was able to observe, proved
not only fascinating but also stimulated debate – very much in
keeping with our foundation’s objectives.
Carl Richard Montag
Founder and Board Member Montag Stiftung Bildende Kunst
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Blick zurück nach vorn Looking Back and to the Future
10 Jahre Montag Stiftung Bildende Kunst – 10 Jahre aktive Stiftungsarbeit. Zu diesem Anlass ist im Sommer 2008 das Buch
„Blick zurück nach vorn“ erschienen, in dem eine erste Bilanz
gezogen wird und Konzepte für die zukünftige Arbeit vorgestellt
werden. Gleichzeitig findet die Ausstellung „Blick zurück nach
vorn“ statt, zu der 27 KünstlerInnen aus den vergangenen Projekten eingeladen wurden. Schwerpunktmäßiger Ort des
Geschehens ist die in die Jahre und ein wenig herunter gekommene Rheinvilla Ingenohl in Bonn. In direkter Nachbarschaft
zur Villa Prieger, dem Sitz der Montag Stiftungen gelegen, war
sie einst großbürgerliches Domizil mit repräsentativer Beletage,
Dienstbotenräumen und Billardzimmer als Symbol eines ehemaligen herrschaftlichen Systems. Im Laufe der Jahre erfuhr sie
eine Vielzahl unterschiedlicher Nutzungen: 1927 Umbau als Sitz
der Studentenverbindung Corps Saxonia, in der Nachkriegszeit
Unterbringung von Teilen des Bundeskanzleramtes, Standort für
die Diplomatenausbildung, später dann die Nutzung als Kindertagesstätte von Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes – bis sie
in eine Art Dornröschenschlaf versank. Die alte Villa und der
davor liegende Gebäuderiegel aus den 50er Jahren, eine ehemalige Außenstelle des Auswärtigen Amtes, liegen versteckt
zwischen der belebten Adenauerallee und der beliebten Rheinuferpromenade.
Celebrating 10 years of the Montag Stiftung Bildende Kunst –
and 10 years of the fine art foundation’s active work. To mark
this anniversary the book Looking Back and to the Future
appeared in Summer 2008. This publication was a first chance
to take a look back over the past, and present concepts for the
foundation’s work in the future. At the same time, the exhibition Blick zurück nach vorn is held involving 27 artists from previous projects.
The focal location for activities was the ageing and now slightly
dilapidated Rhine Villa Ingenohl in Bonn. In direct vicinity to
Villa Prieger, headquarters of the Montag Foundations, this villa
was formerly an upper class residence with a prestigious bel
étage, servants’ quarters and billiard room as a symbol of a former aristocratic system. Over the years it was used for a variety
of purposes: in 1927 it was converted into the headquarters of
the student fraternity Corps Saxonia, in the post-war years it
housed parts of the Federal Chancellery; it was a training location for diplomats and then later turned into a nursery for
employees of the Foreign Ministry – until it drifted off into
slumber rather like Sleeping Beauty. The old villa and the block
of buildings in front of it dating from the 50s, a former outpost
of the Foreign Ministry, lie tucked between the busy Adenauerallee and the popular Rheinufer Promenade along the banks of
the Rhine.
The idea of transforming this hidden location into a temporary
art venue, using it as a free space for artistic interpretations
and interventions, temporarily moving in here with artists and
uncovering its past presented itself as an exciting challenge.
The artists approached the location in a wide variety of different ways. Although this exhibition was not explicitly focused
on interacting with the location as such, most of the artists
involved were unable to disassociate with the aura, that often
sworn by Genius loci, and therefore did adopt a specific stance
with new, especially developed works. Yet even those works
not specifically created for the exhibition take on a special force
of expression within these surroundings.
For instance, the villa’s former use as a kindergarten with the
today still palpable presence of children clamouring, weeping
and laughing was for some a point of departure for several artistic interventions. The proximity to the Rhine had its impact
and the former use of the premises by political institutions of
West Germany before reunification and the already described
special location in the surrounding urban space invited many an
artistic intervention.
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Diesen verborgenen Ort in einen temporären Kunststandort zu
verwandeln, ihn als Freiraum für künstlerische Interpretationen
und Interventionen zu nutzen, hier mit Künstlerinnen und
Künstlern für eine gewisse Zeit einzuziehen, Spuren aufzudekken, bot sich als spannende Herausforderung an.
Auf vielfältige Art und Weise haben sich die Künstler dem Ort
genähert. Obwohl es bei dieser Ausstellung nicht explizit um
eine Auseinandersetzung mit der Situation vor Ort ging, konnten sich die meisten teilnehmenden Künstler der Aura, dem oft
beschworenen Genius loci nicht entziehen und haben in neuen,
speziell entwickelten Arbeiten konkret Position bezogen. Aber
auch diejenigen Kunstwerke, die nicht eigens für die Ausstellung geschaffen wurden, gewinnen in dieser Umgebung eine
besondere Ausdruckskraft.
So ist die ehemalige Nutzung der Villa als Kindergarten mit der
heute noch fühlbaren Präsenz von kindlichem Lachen, Weinen
und Toben Ausgangspunkt für einige künstlerische Interventionen geworden. Die Nähe zum Rhein findet ihren Niederschlag,
wie auch der vormalige Gebrauch der Räumlichkeiten durch politische Institutionen der BRD und die schon beschriebene
besondere Situation im städteräumlichen Umfeld zu vielfachem
künstlerischem Eingreifen herausgefordert haben.
Diesen verborgenen Ort, am Ende einer Sackgasse, mit seiner
hermetischen Abgeschlossenheit in einen temporären öffentlichen Raum zwischen Rhein und B9 zu verwandeln, unter Einbeziehung des Parks der Villa Prieger, so dass neue Blickachsen
und eine Öffnung des gesamten Geländes von zwei Seiten entstanden, war ein weiterer Aspekt des Projektes.
Konzipiert und aufgebaut wurde die Ausstellung auch unter
dem Gedanken eines möglichen „Kunst-Rundgangs“, der die
Adenauerallee mit der Rheinuferpromenade verbindet.
Der Künstler Babak Saed setzt mit seinem Beitrag „Schräg
gegenüber Museum König“, ein ausgestopfter Löwe, der an
einem Kran über der Adenauerallee hängt, ein ungewöhnliches
Signal. Mit lautem Löwengebrüll, einem auf der Fensterfront
eines Bürogebäudes visualisierten ROOOAAR, wird das Ausstellungsgelände gewissermaßen für die Besucher geöffnet, der
Weg in die leicht zu übersehende Raiffeisenstraße gewiesen,
vorbei am Stiftungsgelände der Villa Prieger, vorbei am Gebäuderiegel hin zur Villa Ingenohl.
Befindet man sich auf der anderen Seite, der Rheinuferpromenade, stößt man unvermittelt auf eine Art „Trimm-Dich-Pfad“,
bestehend aus kleinen Metallschildern, auf denen eine rote
Another key aspect of the project was to transform this hidden,
hermetically secluded location at the end of a cul-de-sac into a
temporary public space between the Rhine and federal highway
B9 by incorporating the park of Villa Prieger to open up new
vistas from both sides across the entire plot.
The exhibition was also planned and structured to feature a
possible “art circuit” linking the Adenauerallee with the Rheinufer Promenade along the banks of the Rhine.
In his contribution Schräg gegenüber Museum König artist
Babak Saed sends out an unusual signal with his stuffed lion
hanging from a crane over the Adenauerallee. With a loud lion’s
ROOOAAR visualised on the window frontage of an office building the exhibition area is “opened up” to visitors as it were,
showing them the way into the easily missed Raiffeisenstraße
past the foundation site at Villa Prieger, past the block of buildings into Villa Ingenohl.
Standing on the other side, on the Rheinufer Promenade, you
immediately come across a kind of “keep-fit trail” consisting of
little metal signs depicting a red female figure demonstrating
various physical exercises. Like an Ariadne’s thread laid by the
painter Maike Kloss on trees, benches and lampposts these
signs lead visitors to the exhibition terrain.
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weibliche Person zu unterschiedlichen körperlichen Ertüchtigungen animiert. Wie ein Ariadnefaden, den die Malerin Maike
Kloss an Bäumen, Bänken und Laternenpfählen ausgelegt hat,
führen diese Schilder den Besucher auf das Ausstellungsterrain.
Ebenfalls von der Rheinseite kommend, irritiert der künstlerische Beitrag von Tamer Serbay den Besucher schon von weitem. Er hat den vergitterten Zugang vom Rhein zur Villa Prieger
in leuchtend roter Signalfarbigkeit scheinbar zugemauert und
betont dadurch den zugesperrten Eindruck, der beim Flanieren
auf der Rheinpromenade entsteht. Doch das täuscht: Denn die
vorgeblichen Steine sind aus Papier und lenken den Blick auf
den nebenan liegenden, erstmals seit langer Zeit wieder geöffneten Durchgang zur Villa Ingenohl. Der Besucher wird eingeladen, das Gelände zu betreten.
Dort kann er sich auf eine Erkundungsreise durch die Gartenanlagen der beiden Villen begeben, sich niederlassen auf der
romantischen Bank unter dem alten Kastanienbaum und den
Traumerzählungen der Soundinstallation von Dagmar Demming
lauschen, die zusammen mit dem Rauschen der Blätter aus den
Wipfeln der Bäume an sein Ohr dringen.
Das „Geburtstagsständerchen“ von Rolf Wicker, eine hohe, stelzenartige Holzinstallation im verwunschenen Garten, kann
durchschritten und umrundet werden. Fragen tun sich auf, die
sich aber bei der Aufsicht aus den oberen Fenstern der Villa
Ingenohl beantworten lassen.
When approached from the Rhine the artistic contribution of
Tamer Serbay already confuses from afar. He has apparently
bricked up the grille entrance to Villa Prieger in radiant trafficlight red thereby emphasising the locked-up impression that
arises when strolling along the Rhine promenade. However,
first impressions can be deceptive as the supposed bricks are
in fact made of paper and direct visitors’ attention to the adjacent path to Villa Ingenohl now only recently opened up again.
Visitors are invited to enter the grounds.
Here they can embark upon a voyage of discovery through the
gardens of the two villas, sit on a romantic bench under the old
chestnut tree and listen to the recounted dreams of Dagmar
Demming’s sound installation that reach their ears together
with the rustling of leaves in tree tops above them.
Visitors can either walk through or round Rolf Wicker’s
Geburtstagsständerchen, a high, stilt-like wood installation in
the enchanted garden. Questions arise here that are then answered when looking out of the upper windows of Villa Ingenohl.
A small wooden house by the villa invites you in. Anja Wiese
uses 15 small-format light boxes entitled Friede den Hütten to
remind us again of times past and review social correlations.
On the Rhine side of Villa Prieger, in front of the magnificent
red architecture, stands what appears to be a pile of junk. This
is in fact the artistic contribution of artist duo Maik and Dirk
Löbbert, an installation following on from their early works of
the 80s.
Ein kleines Holzhaus neben der Villa lädt zum Betreten ein. Anja
Wiese lässt auf 15 kleinformatigen Lichtkästen unter dem Titel
„Friede den Hütten“ noch einmal Erinnerung an frühe Zeiten und
gesellschaftliche Zusammenhänge Revue passieren.
Auf der Rheinseite der Villa Prieger, vor der prächtigen roten
Architektur, liegt scheinbar ein Haufen Sperrmüll. Es handelt
sich jedoch um den künstlerischen Beitrag des Künstlerduos
Maik und Dirk Löbbert, eine Installation, die an frühe Arbeiten
aus den 80er Jahren anknüpft.
Raumgreifend besetzt der polnische Künstler Tomasz Domaǹski
mit einem Gewächshaus, „Convergence Incubator“, den Platz
vor der weißen Villa. Was wird hier ausgebrütet? Vielleicht ein
verändertes Verhältnis zwischen Polen und Deutschland?
Die Erkundungsreise setzt sich in der Villa Ingenohl als zentralem Ausstellungsort mit ihren zahlreichen Räumen vom Keller
bis zum Dachboden fort und führt anschließend zum Gebäuderiegel.
Gemeinsam ist fast allen Kunstprojekten der Stiftung von 1998
bis 2008, dass sie nicht im musealen Raum oder kunstnahen
Umfeld stattfanden, sondern an „unkünstlerischen“ Orten. Vielfach standen diese mit ihren Besonderheiten, der Architektur,
den geschichtlichen Bezügen im Zentrum künstlerischer Recher-
Polish artist Tomasz Domaǹski dominates the space in front of
the white villa with a greenhouse entitled Convergence Incubator. What is being incubated here? Perhaps an altered relationship between Poland and Germany?
The voyage of discovery continues inside Villa Ingenohl as the
main exhibition location with its numerous rooms from the cellar to the garret finally leading on into the block of buildings.
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chen. Die Ausstellungen fanden im öffentlichen oder „temporär
öffentlichen“ Raum statt. Kunstuntypisch waren die Veranstaltungsorte allesamt.
„Den Umgang mit zeitgenössischer bildender Kunst selbstverständlicher machen“, dieses Postulat hat sich aus der konkreten,
langjährigen Arbeit der Montag Stiftung Bildende Kunst herauskristallisiert. Auch auf dem Gebiet der Kunstvermittlung möchte
die Montag Stiftung Bildende Kunst weiterführende Schritte
unternehmen. Bei der Ausstellung „Blick zurück nach vorn“ sind
erstmalig zwei Informationsstationen eingerichtet worden, die
den Besuchern die Möglichkeit geben, bestimmte künstlerische
Vorgehensweisen nachzuvollziehen. Es werden eigens erstellte
Videofilme gezeigt, die einige der teilnehmenden Künstler portraitieren oder vom ersten Treffen auf dem Gelände über die
Arbeit in den Ateliers bis zur endgültigen Realisierung der
Arbeit am Ausstellungsort begleiten. Auch sind die Künstlerinnen und Künstler im Rahmen dieser Dokumentation gebeten
worden, sich selbst zu ihren Arbeiten zu äußern.
Den Dialog zwischen Publikum und KünstlerInnen zu befördern
wird auch in Zukunft ein wichtiges Anliegen der Stiftung sein.
Kunst kann und Kunst soll verstanden werden, denn das wollen
ja auch die Künstler.
Ingrid Raschke-Stuwe
Vorstand Montag Stiftung Bildende Kunst
A key thread running through almost all the foundation’s projects between 1998 and 2008 is that they were held neither in
the museum space nor art-related surroundings but in “unarty”
locations. With their specificities, architecture and historical
references these locations often stood at the heart of artistic
research. The exhibitions took place in the public or “temporary
public” space. Every one of the venues was untypical for art.
“Making approaches to fine art more natural” was the stance
crystallising out of the Montag Stiftung Bildende Kunst’s many
years of focalised work. The Montag Stiftung Bildende Kunst
also wishes to take further steps in the field of conveying art. In
the Blick zurück nach vorn exhibition for the first time two information points are set up allowing visitors to understand specific
artistic methods of working. Specially shot video films are screened portraiting some of the participating artists or tracking the
process from their first meeting at the site, through to the work
in the workshop right through to finally realising the work at the
exhibition location. The artists themselves were also asked as
part of this documentation to say something about their work.
Promoting dialogue between the public and the artists will also
be a key focus at the foundation in future. Art can and art should
be understood. After all, this is also a voice wished by the
artists themselves.
Ingrid Raschke-Stuwe
Board Member Montag Stiftung Bildende Kunst
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Tamer Serbay
Ohne Titel
Installation, 2008
Untitled
Installation, 2008
Die geschlossenen Gartentüren haben einen merkwürdigen
Einfluss auf mich. Sie regen meine Phantasie an. Ich mache
mir Gedanken über die Menschen, die hinter diesen geschlossenen Gartentüren leben. Ich erzähle mir Geschichten über
sie, über ihre familiären Verhältnisse, über ihre Freude und
Sorgen …
Diesmal wollte ich meine nonverbalen Geschichten mit anderen Menschen, die am Rheinufer spazieren gehen, teilen,
indem ich die Geschlossenheit einer Tür durch die Zumauerung mit Papiertüten betonte. NEUGIER.
The closed garden gates have a strange effect on me. They
feed my imagination. I imagine the people living behind these
closed garden gates. I tell myself stories about them, about
their family relationships, about their joys and their sorrows …
This time I wanted to share my non-verbal stories with other
people strolling along the banks of the Rhine by highlighting
the closed nature of a doorway by bricking it up with paper
bags. CURIOSITY.
Mit dem zweiten Teil der Installation im Inneren der Villa
Ingenohl sollte diese Neugier gestillt werden. Ich öffne einen
Wandschrank, gebe Einblick in seine Intimität.
Wieder ein Rätsel: Was befindet sich in diesen Tüten?
Ich mauere die Tür zu, aber ich lade die Menschen ein.
Die Zuschauer sollen auch ihre eigenen Geschichten erzählen.
Tamer Serbay
The aim of the second part of the installation inside Villa
Ingenohl was to still this curiosity. I open a cabinet and provide insight into its intimacy.
Another mystery: What is in these bags?
I brick the door up but invite people in.
Visitors should tell their own stories.
Tamer Serbay
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o.T., Installation, Papier, Draht,
fluorizierendes Acryl, Pigmente, 2008
Untitled, installation, paper, wire,
fluorescent acrylic, pigments, 2008