Blick zurück nach vorn Looking Back and to the Future
Transcription
Blick zurück nach vorn Looking Back and to the Future
Blick zurück nach vorn Looking Back and to the Future Inhalt Content 2 3 In fünf Sekunden entscheidet sich, ob ich mit meinem Projekt angekommen bin! . . . . . . 4 The first five seconds will determine my project’s success! Saskia Niehaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Carl Richard Montag Thea Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Beate Passow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Heide Pawelzik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Raffael Rheinsberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Babak Saed . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Blick zurück nach vorn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Looking Back and to the Future Tamer Serbay . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Ingrid Raschke-Stuwe Stefan Sous . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 solitaire FACTORY . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Karin Veldhues und Gottfried Schumacher . . . . . . . . . . . . . 142 Die KünstlerInnen The artists Rolf Wicker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Anja Wiese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Dagmar Demming . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Tomasz Domański . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Markus Draper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Kurzbiographien der Künstler . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Biographies of the artists Felix Droese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Horst Gläsker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Yvonne und Klaus Goulbier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Ottmar Hörl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Eva-Maria Joeressen und Klaus Kessner . . . . . . . . . . . . . . . 50 Kirsten Kaiser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Thomas Klegin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Artur Klinow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Maike Kloss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Stefan Korschildgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Olf Kreisel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Maik und Dirk Löbbert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Dagmar Demming, Tomasz Domański, Markus Draper, Felix Droese, Horst Gläsker, Yvonne und Klaus Goulbier, Ottmar Hörl, Eva-Maria Joeressen und Klaus Kessner, Kirsten Kaiser, Thomas Klegin, Artur Klinow, Maike Kloss, Stefan Korschildgen, Olf Kreisel, Maik und Dirk Löbbert, Saskia Niehaus, Beate Passow, Heide Pawelzik, Raffael Rheinsberg, Thea Richter, Babak Saed, Tamer Serbay, solitaire FACTORY, Stefan Sous, Karin Veldhues und Gottfried Schumacher, Rolf Wicker, Anja Wiese Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 4 In fünf Sekunden entscheidet sich, ob ich mit meinem Projekt angekommen bin! The first five seconds will determine my project’s success! Für den Künstler Ottmar Hörl ist das ein Maßstab, für mich auch. Wir müssen in unseren Ideen und Entwürfen das treffen, was die Menschen als Entdeckung wahrnehmen, mit all ihren Auswirkungen, dem Überraschtsein, der Begeisterung, der Enttäuschung, dem Mehr-Wissen-Wollen. Wo bleibt sonst unser Dialog mit den Menschen? Mit dieser Ausstellung an einem Ort, der sich zu einem Raum der Begegnung, des Dialogs, der Freiheit und des Experiments weiter entwickeln soll, konnten wir sie erreichen. For the artist Ottmar Hörl this is the benchmark. As it is for me. In our ideas and designs we must capture what people perceive as a discovery, with all its attendant implications; triggering surprise, delight, disappointment and curiosity. Where else can we conduct a dialogue with the people? Staged at a venue which is set to become a place of encounter, of dialogue, of freedom and of experimentation, this exhibition enabled us to engage with the public. Zugegeben, der Ort ist in den Augen mancher Betrachter auch ein wenig elitär. Aber wir machen, wie immer bei unseren Kunstprojekten im öffentlichen Raum, gerade das Besondere, seine Lage, die Topographie, die Geschichte, Architektur und Landschaft zum Thema. Hier haben die drei operativen Montag Stiftungen und auch die vermögens- und liquiditätssichernde Förderstiftung ihren Sitz. Sie werden diesen Ort weiter ausbauen, zu einem unverwechselbaren Raum der Entschleunigung, der Besinnung, Wahrnehmung, der Diskussion über Grundsatzfragen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens und der Entfaltungsmöglichkeiten jedes einzelnen Menschen, gleich welcher Herkunft, welchen Geschlechts, Alters oder Bildungsgrades. Admittedly, in the eyes of some observers this place is a little elitist. But, as is commonly the case with our public art projects, we are thematising the special, its location, the topography, the history, the architecture and the landscape. Here are housed the headquarters of the three operational Montag foundations, and of the sponsoring foundation. They will continue to develop this site into an unmistakable space of deceleration, of reflection, of perception and of discourse over the fundamental questions of our social existence and the opportunities for individual development – regardless of background, gender, age or educational attainment. Wer könnte sich hier besser zu Hause fühlen als Künstler – die anscheinend freieste Gilde. Dies spürte man auch in den Gesprächen, die ich mit ihnen über ihre Welt, Sichtweise und Anliegen im Rahmen der Ausstellung führen konnte. Sie lieferten Beweise dafür, was dabei herauskommen kann, wenn man sich auf die Menschen, ihre Fragen und ihre Lebensräume einlässt. So unterschiedlich wie die 27 beteiligten Künstler, so sind auch ihre Werke. Diese entstanden aus den räumlichen Eindrücken vor Ort in ihrer jeweils eigenen Sprache. Sie werden an anderer Stelle eingehend gewürdigt. Hier vereinigen sie sich zu einem einmaligen Ensemble und Erlebnisraum, der die Menschen, wie ich beobachten konnte, faszinierte und, ganz im Sinne unserer Stiftungsziele, zu Diskussionen herausforderte. Carl Richard Montag Stifter und Vorstand der Montag Stiftung Bildende Kunst Who could feel more at home here than an artist – ostensibly the most-liberated of all professions? This also came over in the discussions I was able to conduct with them about their world, their opinions and their concerns during the course of the exhibition. They furnished ample evidence of what can emerge when one engages with people, their issues and their living environments. As different as the 27 participating artists are, so too are their works: Inspired by spatial impressions in situ, each is couched in its own respective idiom. Yet these have been dealt with in depth elsewhere. Here they unite to form a unique ensemble and adventure space which, as I was able to observe, proved not only fascinating but also stimulated debate – very much in keeping with our foundation’s objectives. Carl Richard Montag Founder and Board Member Montag Stiftung Bildende Kunst 5 6 Blick zurück nach vorn Looking Back and to the Future 10 Jahre Montag Stiftung Bildende Kunst – 10 Jahre aktive Stiftungsarbeit. Zu diesem Anlass ist im Sommer 2008 das Buch „Blick zurück nach vorn“ erschienen, in dem eine erste Bilanz gezogen wird und Konzepte für die zukünftige Arbeit vorgestellt werden. Gleichzeitig findet die Ausstellung „Blick zurück nach vorn“ statt, zu der 27 KünstlerInnen aus den vergangenen Projekten eingeladen wurden. Schwerpunktmäßiger Ort des Geschehens ist die in die Jahre und ein wenig herunter gekommene Rheinvilla Ingenohl in Bonn. In direkter Nachbarschaft zur Villa Prieger, dem Sitz der Montag Stiftungen gelegen, war sie einst großbürgerliches Domizil mit repräsentativer Beletage, Dienstbotenräumen und Billardzimmer als Symbol eines ehemaligen herrschaftlichen Systems. Im Laufe der Jahre erfuhr sie eine Vielzahl unterschiedlicher Nutzungen: 1927 Umbau als Sitz der Studentenverbindung Corps Saxonia, in der Nachkriegszeit Unterbringung von Teilen des Bundeskanzleramtes, Standort für die Diplomatenausbildung, später dann die Nutzung als Kindertagesstätte von Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes – bis sie in eine Art Dornröschenschlaf versank. Die alte Villa und der davor liegende Gebäuderiegel aus den 50er Jahren, eine ehemalige Außenstelle des Auswärtigen Amtes, liegen versteckt zwischen der belebten Adenauerallee und der beliebten Rheinuferpromenade. Celebrating 10 years of the Montag Stiftung Bildende Kunst – and 10 years of the fine art foundation’s active work. To mark this anniversary the book Looking Back and to the Future appeared in Summer 2008. This publication was a first chance to take a look back over the past, and present concepts for the foundation’s work in the future. At the same time, the exhibition Blick zurück nach vorn is held involving 27 artists from previous projects. The focal location for activities was the ageing and now slightly dilapidated Rhine Villa Ingenohl in Bonn. In direct vicinity to Villa Prieger, headquarters of the Montag Foundations, this villa was formerly an upper class residence with a prestigious bel étage, servants’ quarters and billiard room as a symbol of a former aristocratic system. Over the years it was used for a variety of purposes: in 1927 it was converted into the headquarters of the student fraternity Corps Saxonia, in the post-war years it housed parts of the Federal Chancellery; it was a training location for diplomats and then later turned into a nursery for employees of the Foreign Ministry – until it drifted off into slumber rather like Sleeping Beauty. The old villa and the block of buildings in front of it dating from the 50s, a former outpost of the Foreign Ministry, lie tucked between the busy Adenauerallee and the popular Rheinufer Promenade along the banks of the Rhine. The idea of transforming this hidden location into a temporary art venue, using it as a free space for artistic interpretations and interventions, temporarily moving in here with artists and uncovering its past presented itself as an exciting challenge. The artists approached the location in a wide variety of different ways. Although this exhibition was not explicitly focused on interacting with the location as such, most of the artists involved were unable to disassociate with the aura, that often sworn by Genius loci, and therefore did adopt a specific stance with new, especially developed works. Yet even those works not specifically created for the exhibition take on a special force of expression within these surroundings. For instance, the villa’s former use as a kindergarten with the today still palpable presence of children clamouring, weeping and laughing was for some a point of departure for several artistic interventions. The proximity to the Rhine had its impact and the former use of the premises by political institutions of West Germany before reunification and the already described special location in the surrounding urban space invited many an artistic intervention. 7 Diesen verborgenen Ort in einen temporären Kunststandort zu verwandeln, ihn als Freiraum für künstlerische Interpretationen und Interventionen zu nutzen, hier mit Künstlerinnen und Künstlern für eine gewisse Zeit einzuziehen, Spuren aufzudekken, bot sich als spannende Herausforderung an. Auf vielfältige Art und Weise haben sich die Künstler dem Ort genähert. Obwohl es bei dieser Ausstellung nicht explizit um eine Auseinandersetzung mit der Situation vor Ort ging, konnten sich die meisten teilnehmenden Künstler der Aura, dem oft beschworenen Genius loci nicht entziehen und haben in neuen, speziell entwickelten Arbeiten konkret Position bezogen. Aber auch diejenigen Kunstwerke, die nicht eigens für die Ausstellung geschaffen wurden, gewinnen in dieser Umgebung eine besondere Ausdruckskraft. So ist die ehemalige Nutzung der Villa als Kindergarten mit der heute noch fühlbaren Präsenz von kindlichem Lachen, Weinen und Toben Ausgangspunkt für einige künstlerische Interventionen geworden. Die Nähe zum Rhein findet ihren Niederschlag, wie auch der vormalige Gebrauch der Räumlichkeiten durch politische Institutionen der BRD und die schon beschriebene besondere Situation im städteräumlichen Umfeld zu vielfachem künstlerischem Eingreifen herausgefordert haben. Diesen verborgenen Ort, am Ende einer Sackgasse, mit seiner hermetischen Abgeschlossenheit in einen temporären öffentlichen Raum zwischen Rhein und B9 zu verwandeln, unter Einbeziehung des Parks der Villa Prieger, so dass neue Blickachsen und eine Öffnung des gesamten Geländes von zwei Seiten entstanden, war ein weiterer Aspekt des Projektes. Konzipiert und aufgebaut wurde die Ausstellung auch unter dem Gedanken eines möglichen „Kunst-Rundgangs“, der die Adenauerallee mit der Rheinuferpromenade verbindet. Der Künstler Babak Saed setzt mit seinem Beitrag „Schräg gegenüber Museum König“, ein ausgestopfter Löwe, der an einem Kran über der Adenauerallee hängt, ein ungewöhnliches Signal. Mit lautem Löwengebrüll, einem auf der Fensterfront eines Bürogebäudes visualisierten ROOOAAR, wird das Ausstellungsgelände gewissermaßen für die Besucher geöffnet, der Weg in die leicht zu übersehende Raiffeisenstraße gewiesen, vorbei am Stiftungsgelände der Villa Prieger, vorbei am Gebäuderiegel hin zur Villa Ingenohl. Befindet man sich auf der anderen Seite, der Rheinuferpromenade, stößt man unvermittelt auf eine Art „Trimm-Dich-Pfad“, bestehend aus kleinen Metallschildern, auf denen eine rote Another key aspect of the project was to transform this hidden, hermetically secluded location at the end of a cul-de-sac into a temporary public space between the Rhine and federal highway B9 by incorporating the park of Villa Prieger to open up new vistas from both sides across the entire plot. The exhibition was also planned and structured to feature a possible “art circuit” linking the Adenauerallee with the Rheinufer Promenade along the banks of the Rhine. In his contribution Schräg gegenüber Museum König artist Babak Saed sends out an unusual signal with his stuffed lion hanging from a crane over the Adenauerallee. With a loud lion’s ROOOAAR visualised on the window frontage of an office building the exhibition area is “opened up” to visitors as it were, showing them the way into the easily missed Raiffeisenstraße past the foundation site at Villa Prieger, past the block of buildings into Villa Ingenohl. Standing on the other side, on the Rheinufer Promenade, you immediately come across a kind of “keep-fit trail” consisting of little metal signs depicting a red female figure demonstrating various physical exercises. Like an Ariadne’s thread laid by the painter Maike Kloss on trees, benches and lampposts these signs lead visitors to the exhibition terrain. 8 9 weibliche Person zu unterschiedlichen körperlichen Ertüchtigungen animiert. Wie ein Ariadnefaden, den die Malerin Maike Kloss an Bäumen, Bänken und Laternenpfählen ausgelegt hat, führen diese Schilder den Besucher auf das Ausstellungsterrain. Ebenfalls von der Rheinseite kommend, irritiert der künstlerische Beitrag von Tamer Serbay den Besucher schon von weitem. Er hat den vergitterten Zugang vom Rhein zur Villa Prieger in leuchtend roter Signalfarbigkeit scheinbar zugemauert und betont dadurch den zugesperrten Eindruck, der beim Flanieren auf der Rheinpromenade entsteht. Doch das täuscht: Denn die vorgeblichen Steine sind aus Papier und lenken den Blick auf den nebenan liegenden, erstmals seit langer Zeit wieder geöffneten Durchgang zur Villa Ingenohl. Der Besucher wird eingeladen, das Gelände zu betreten. Dort kann er sich auf eine Erkundungsreise durch die Gartenanlagen der beiden Villen begeben, sich niederlassen auf der romantischen Bank unter dem alten Kastanienbaum und den Traumerzählungen der Soundinstallation von Dagmar Demming lauschen, die zusammen mit dem Rauschen der Blätter aus den Wipfeln der Bäume an sein Ohr dringen. Das „Geburtstagsständerchen“ von Rolf Wicker, eine hohe, stelzenartige Holzinstallation im verwunschenen Garten, kann durchschritten und umrundet werden. Fragen tun sich auf, die sich aber bei der Aufsicht aus den oberen Fenstern der Villa Ingenohl beantworten lassen. When approached from the Rhine the artistic contribution of Tamer Serbay already confuses from afar. He has apparently bricked up the grille entrance to Villa Prieger in radiant trafficlight red thereby emphasising the locked-up impression that arises when strolling along the Rhine promenade. However, first impressions can be deceptive as the supposed bricks are in fact made of paper and direct visitors’ attention to the adjacent path to Villa Ingenohl now only recently opened up again. Visitors are invited to enter the grounds. Here they can embark upon a voyage of discovery through the gardens of the two villas, sit on a romantic bench under the old chestnut tree and listen to the recounted dreams of Dagmar Demming’s sound installation that reach their ears together with the rustling of leaves in tree tops above them. Visitors can either walk through or round Rolf Wicker’s Geburtstagsständerchen, a high, stilt-like wood installation in the enchanted garden. Questions arise here that are then answered when looking out of the upper windows of Villa Ingenohl. A small wooden house by the villa invites you in. Anja Wiese uses 15 small-format light boxes entitled Friede den Hütten to remind us again of times past and review social correlations. On the Rhine side of Villa Prieger, in front of the magnificent red architecture, stands what appears to be a pile of junk. This is in fact the artistic contribution of artist duo Maik and Dirk Löbbert, an installation following on from their early works of the 80s. Ein kleines Holzhaus neben der Villa lädt zum Betreten ein. Anja Wiese lässt auf 15 kleinformatigen Lichtkästen unter dem Titel „Friede den Hütten“ noch einmal Erinnerung an frühe Zeiten und gesellschaftliche Zusammenhänge Revue passieren. Auf der Rheinseite der Villa Prieger, vor der prächtigen roten Architektur, liegt scheinbar ein Haufen Sperrmüll. Es handelt sich jedoch um den künstlerischen Beitrag des Künstlerduos Maik und Dirk Löbbert, eine Installation, die an frühe Arbeiten aus den 80er Jahren anknüpft. Raumgreifend besetzt der polnische Künstler Tomasz Domaǹski mit einem Gewächshaus, „Convergence Incubator“, den Platz vor der weißen Villa. Was wird hier ausgebrütet? Vielleicht ein verändertes Verhältnis zwischen Polen und Deutschland? Die Erkundungsreise setzt sich in der Villa Ingenohl als zentralem Ausstellungsort mit ihren zahlreichen Räumen vom Keller bis zum Dachboden fort und führt anschließend zum Gebäuderiegel. Gemeinsam ist fast allen Kunstprojekten der Stiftung von 1998 bis 2008, dass sie nicht im musealen Raum oder kunstnahen Umfeld stattfanden, sondern an „unkünstlerischen“ Orten. Vielfach standen diese mit ihren Besonderheiten, der Architektur, den geschichtlichen Bezügen im Zentrum künstlerischer Recher- Polish artist Tomasz Domaǹski dominates the space in front of the white villa with a greenhouse entitled Convergence Incubator. What is being incubated here? Perhaps an altered relationship between Poland and Germany? The voyage of discovery continues inside Villa Ingenohl as the main exhibition location with its numerous rooms from the cellar to the garret finally leading on into the block of buildings. 10 11 chen. Die Ausstellungen fanden im öffentlichen oder „temporär öffentlichen“ Raum statt. Kunstuntypisch waren die Veranstaltungsorte allesamt. „Den Umgang mit zeitgenössischer bildender Kunst selbstverständlicher machen“, dieses Postulat hat sich aus der konkreten, langjährigen Arbeit der Montag Stiftung Bildende Kunst herauskristallisiert. Auch auf dem Gebiet der Kunstvermittlung möchte die Montag Stiftung Bildende Kunst weiterführende Schritte unternehmen. Bei der Ausstellung „Blick zurück nach vorn“ sind erstmalig zwei Informationsstationen eingerichtet worden, die den Besuchern die Möglichkeit geben, bestimmte künstlerische Vorgehensweisen nachzuvollziehen. Es werden eigens erstellte Videofilme gezeigt, die einige der teilnehmenden Künstler portraitieren oder vom ersten Treffen auf dem Gelände über die Arbeit in den Ateliers bis zur endgültigen Realisierung der Arbeit am Ausstellungsort begleiten. Auch sind die Künstlerinnen und Künstler im Rahmen dieser Dokumentation gebeten worden, sich selbst zu ihren Arbeiten zu äußern. Den Dialog zwischen Publikum und KünstlerInnen zu befördern wird auch in Zukunft ein wichtiges Anliegen der Stiftung sein. Kunst kann und Kunst soll verstanden werden, denn das wollen ja auch die Künstler. Ingrid Raschke-Stuwe Vorstand Montag Stiftung Bildende Kunst A key thread running through almost all the foundation’s projects between 1998 and 2008 is that they were held neither in the museum space nor art-related surroundings but in “unarty” locations. With their specificities, architecture and historical references these locations often stood at the heart of artistic research. The exhibitions took place in the public or “temporary public” space. Every one of the venues was untypical for art. “Making approaches to fine art more natural” was the stance crystallising out of the Montag Stiftung Bildende Kunst’s many years of focalised work. The Montag Stiftung Bildende Kunst also wishes to take further steps in the field of conveying art. In the Blick zurück nach vorn exhibition for the first time two information points are set up allowing visitors to understand specific artistic methods of working. Specially shot video films are screened portraiting some of the participating artists or tracking the process from their first meeting at the site, through to the work in the workshop right through to finally realising the work at the exhibition location. The artists themselves were also asked as part of this documentation to say something about their work. Promoting dialogue between the public and the artists will also be a key focus at the foundation in future. Art can and art should be understood. After all, this is also a voice wished by the artists themselves. Ingrid Raschke-Stuwe Board Member Montag Stiftung Bildende Kunst 128 Tamer Serbay Ohne Titel Installation, 2008 Untitled Installation, 2008 Die geschlossenen Gartentüren haben einen merkwürdigen Einfluss auf mich. Sie regen meine Phantasie an. Ich mache mir Gedanken über die Menschen, die hinter diesen geschlossenen Gartentüren leben. Ich erzähle mir Geschichten über sie, über ihre familiären Verhältnisse, über ihre Freude und Sorgen … Diesmal wollte ich meine nonverbalen Geschichten mit anderen Menschen, die am Rheinufer spazieren gehen, teilen, indem ich die Geschlossenheit einer Tür durch die Zumauerung mit Papiertüten betonte. NEUGIER. The closed garden gates have a strange effect on me. They feed my imagination. I imagine the people living behind these closed garden gates. I tell myself stories about them, about their family relationships, about their joys and their sorrows … This time I wanted to share my non-verbal stories with other people strolling along the banks of the Rhine by highlighting the closed nature of a doorway by bricking it up with paper bags. CURIOSITY. Mit dem zweiten Teil der Installation im Inneren der Villa Ingenohl sollte diese Neugier gestillt werden. Ich öffne einen Wandschrank, gebe Einblick in seine Intimität. Wieder ein Rätsel: Was befindet sich in diesen Tüten? Ich mauere die Tür zu, aber ich lade die Menschen ein. Die Zuschauer sollen auch ihre eigenen Geschichten erzählen. Tamer Serbay The aim of the second part of the installation inside Villa Ingenohl was to still this curiosity. I open a cabinet and provide insight into its intimacy. Another mystery: What is in these bags? I brick the door up but invite people in. Visitors should tell their own stories. Tamer Serbay 130 131 o.T., Installation, Papier, Draht, fluorizierendes Acryl, Pigmente, 2008 Untitled, installation, paper, wire, fluorescent acrylic, pigments, 2008