von Oliver Groth

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von Oliver Groth
von Oliver Groth
After we saw the New York Dolls, I was sure that that‘s what we should do. I didn‘t know how to
play an instrument, but neither did they. We had a mission to come to New York and become the new
Dolls. We were influenced by their glamour, two guitar assault and firm grasp of Rhythm & Blues.,
but we thought nobody – from the early Stones and Yardbirds to the Dolls and T. Rex, had included
the most deadly ingredient of all … Rockabilly!‘ - Lux Interior
You Ain‘t No Punk
You Punk
I
n New York schlug man sich mit Gelegenheitsjobs rum, wohnte allerdings in
der etwas teureren Upper East Side. Dies
war nur durch Ivys Einnahmen als Domina möglich. Ivy und Lux wollten nun konkret damit anfangen, eine Band zu gründen, und Ivy fiel der Name The Cramps
ein, da dieser schön kurz und knapp war,
ähnlich wie The Kinks oder The Sonics.
Musikalisch hatten sie trotz geringer
Vorkenntnisse, wie man ein Instrument
beherrscht, genaue Vorstellungen wie
ihre Band klingen sollte. Ihre Leidenschaft für Rockabilly war ungebrochen
und sollte mit der Ungeschliffenheit und
Energie von Punk verschmolzen werden.
Sie gingen regelmäßig in die wichtigsten
Klubs wie das CBGB und Max‘s Kansas
City, um die neuen New Yorker Bands
live zu sehen.
YC
-N
A
ls Lux Interior und Poison Ivy
im Herbst 1975 von Akron,
Ohio nach New York zogen,
taten sie dies vor allem aus einem Grund: Sie wollten eine Band gründen. Sie hofften, dass sie in New York
verwandte Seelen und ein Publikum
finden würden. Lux, bürgerlicher Name
Erick Lee Purkhiser, wurde 1946 in Akron, Ohio geboren. Durch seine älteren
Brüder kam Lux schon früh mit dem damals noch jungen Rock & Roll in Berührung. Neben der Musik faszinierten ihn
vor allem B-Movies und Comics. In der
Schule war Lux ein Außenseiter, weil er
sich wenig für Sport und mehr für Kunst
und Musik interessierte. Ende der Sechziger entschloss er sich, nach Sacramento
zu ziehen, um dort Kunst zu studieren.
Dort lernte er im Sommer 1972 Kristy Marlana Wallace kennen, es war Liebe auf den ersten Blick. Beide teilten die
gleichen Vorlieben und Abneigungen,
was Musik, Kino und Kunst betraf. Kristy, die sich von nun an Poison Ivy nannte,
wurde 1953 in der Nähe von Sacramento
geboren und spielte seit ihrer Teenagerzeit Gitarre. Ihre großen Idole waren
Duane Eddy, Bo Diddley und Link Wray.
Als jüngste von drei Geschwistern flog
sie zwei Mal von der High School, weil
sie mit Drogen erwischt wurde. Ähnlich
wie Lux war sie immer eine Außenseiterin gewesen und begann, mit 17 Kunst zu
studieren. Dies war Anfang der Siebziger
als Studium sehr populär, weil es de facto keine Aufnahmebeschränkungen und
auch kein Curriculum gab.
Man verfügte über viel freie Zeit und
musste sich nicht mit solchen Dingen
wie Klausuren und sonstigen Zwängen
rumärgern. Lux und Ivy bezogen ein gemeinsames Apartment und lebten in den
Tag hinein, in ihrer eigenen Welt. Häufig
besuchten sie Konzerte im nahe gelegenen Berkley oder San Francisco. Ihr Kleidungsstil war damals häufig der Auslöser
für Ärger mit den örtlichen Hippies und
Polizisten. Ivy hatte eine exibitionistische
Ader und liebte es, knapp bekleidet die
Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Es
wurden laut eigener Aussage Unmengen
an Drogen genommen und auf Flohmärkten und Thriftshops nach seltenen
Rockabilly- und Blues-Singles gesucht.
Im Januar 1975 entschieden sich die
beiden, Kalifornien zu verlassen und
nach Cleveland zu ziehen. Die Hippies
und die Polizei in Sacramento gingen
ihnen gehörig auf die Nerven. „In Sacramento everybody was into witchcraft,
mysticism and acoustic music. They used
to laugh at Rock & Roll.“ In Cleveland gab
es zwar eine kleine Community an Bands
(Rocket from the Tombs, Electric Eels,
Dead Boys), aber kaum Möglichkeiten
aufzutreten oder durch Jobs sein Leben
zu finanzieren. Deshalb zogen die beiden
im Herbst weiter nach New York.
„I wanted a band real bad, but we didn‘t
know the form it was going to take. I loved Rockabilly and I knew it was going
to be an influence. We loved everything
– we loved T. Rex – lotsa stuff. I didn‘t
know ‘til it happened what it was going
to be like,“ sagte Ivy einmal. Die Musik
der Cramps ist die Summe ihrer Einflüsse. Sie haben den Drive von Rockabilly,
den Twang von Surf, die Ungeschliffenheit der Sixties-Garagebands. Die Texte
handeln von Sex, Drogen, Monstern und
Horror. Purer Rock & Roll. Ihr erstes Ziel
war es, das Publikum zu unterhalten und
ihm eine Show zu bieten. Musikalisch
wurde mit den einfachsten Mitteln ein
Maximum an Sound erzeugt.
Im Musical Maze Record Store lernte
Lux Greg Beckerleg kennen. Greg kam
aus Detroit und war ein großer Fan der
Stooges und Rolling Stones. Durch seinen eigenartigen Haarschnitt und sein
pockenvernarbtes Gesicht sah er sehr ungewöhnlich aus, Lux fragte ihn noch am
gleichen Abend, ob er bei den Cramps
mitspielen möchte. Durch ein Missverständnis kaufte sich Greg eine Gitarre
anstelle eines Basses, spielen konnte er
selbstverständlich nicht. Viel wichtiger
war für ihn, einen geeigneten Namen zu
finden, er wählte Bryan Gregory, weil
dieser Name wie der eines Filmstars
klingt. Weder Lux noch Ivy hatten die
Nerven, Bryan auf das Missverständnis
mit der Gitarre aufmerksam zu machen,
also spielte man nun mit zwei Gitarren
ohne Bass. Erst zehn Jahre später sollten die Cramps einen Bassisten dazu bekommen, die erste Dekade der Band war
geprägt von Ivys klarer Riff- und Twanglastiger Gitarre, gepaart mit dem Feedback und Fuzz von Bryan und später Kid
Congo Powers. Einen Bass vermisst man
jedenfalls nicht.
Erst versuchte es die Band mit Bryans Schwester Pamela am Schlagzeug, die
verlor aber schnell die Lust und so wurde
eine gemeinsame Bekannte aus Cleveland die erste richtige Schlagzeugerin der
Cramps: Miriam Linna. Linna schrieb
damals für verschiedene Fanzines wie
beispielsweise Creem. Sie war ein großer
Fan der Flamin Groovies und sammelte
ähnlich wie Lux und Ivy rare Rockabilly- und Rock & Roll-Singles. Sie hatte
vorher natürlich noch nie Schlagzeug gespielt, bekam aber von Tommy Ramone
einen halbstündigen Crashkurs, wie man
richtig die Stöcker halten muss. Die Band
legte am Anfang an mehr Wert auf Attitüde und Stil als auf musikalische Finessen. Noch vor der ersten Probe wurden
Promobilder und Flyer gemacht. Hier
kam ihnen ihr Kunststudium zugute. Sie
hatten von Anfang an eine sehr genaue
Vorstellung, wie sie die Band in der Öffentlichkeit präsentieren wollten. Es existieren zum Beispiel kaum Bilder, auf denen ein Mitglied der
Cramps lächelt. Die
Kleidung war durchgängig schwarz und
gab der Band einen
starken
Gangcharakter. „We had the
look of the Cramps
going long before
we ever really knew
we would have a real
band.“
Den
gesamten Frühling und
Sommer wurde im
Keller von Music
Maze sehr sehr viel
geprobt und Songs
geschrieben.
Das
erste Stück, welches
die Band lernte, war
„Quick Joey Small“,
ein 1968er Bubblegum-Song vom Kasenetz-Katz Singing
Orchestral Circus.
Andere Songs waren
„She Said“ von Hasil
Adkins oder „Sunglasses After Dark“
von Dwight Pullen.
Eigene Songs wie
„Human Fly“, „Voodoo Idol,“ „Zombie
Dance“ oder „Don‘t Eat Stuff Off The
Sidewalk“ entstanden. Hierbei ließ man
sich großzügig von der eigenen Plattensammlung inspirieren. Einzelne Riffs
und Rythmen aus ihrer Plattensammlung
wurden in die Cramps-Songs eingebaut
und miteinander kombiniert. Bryan und
Miriam lernten schnell und so wurden
schon bald die ersten Demos aufgenommen. Nachzuhören auf „How To Built A
Monster“.
Am 1. November 1976 traten die
Cramps dann erstmals in der Öffentlichkeit auf, und zwar im Vorprogramm der
Dead Boys im CBGB. Natürlich war die
Band sehr nervös und wollte unbedingt
das Publikum und CBGB-Besitzer Hilly Kristall beeindrucken, was gründlich
misslang. Extra für das Konzert wurden
neue Saiten für die Gitarren gekauft. Nur
haben neue Saiten aber leider die Eigenschaft, sich sehr schnell zu verstimmen,
dies wussten die unerfahrenen Cramps
natürlich nicht und so klang die sowieso
nicht sonderlich virtuose Band auch noch
56 get happy!?
eine ganze Spur unharmonischer. Kristall
sagte der Band nach dem Konzert, dass
sie fürs Erste nicht mehr bei ihm auftreten dürften, da sie einfach zu schlecht
waren. Peter Crowley, der Booker vom
Max‘s Kansas City, war angetan von dem,
was er gesehen hatte, und erkannte die
Entertainerqualitäten der Band. Er buchte die Band für zwei Gigs pro Woche ab
dem 21. November. In den nächsten Monaten spielte die Band im Vorprogramm
Bryan sp
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fig mit
Zigarette
im Mund
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unter anderem von Suicide, Mink DeVille, Blondie oder den Ramones. Diese Bandbreite an Bands zeigt deutlich,
wie vielseitig und lebendig die damalige
New Yorker Szene Mitte der Siebziger
war. Man unterstützte sich gegenseitig,
die Ramones hatten damals schon einen
Plattenvertrag und wurden schnell enge
Freunde der Cramps. Mehr als zwei dutzend Mal buchten sie die Cramps als Vorband, um die Band zu fördern.
Die Band wurde von Auftritt zu Auftritt selbstsicherer und erarbeitete sich
eine kleine, treue
Fangemeinde. Lux
hatte auf der Bühne
eine starke Ausstrahlung und konnte das
Publikum gut unterhalten. Optisch
waren Ivy und Bryan
sehr ansprechend.
Bryan spielte häufig mit Zigarette im
Mundwinkel, die er
auch gerne brennend
verschluckte oder ins
Publikum spuckte.
In den nächsten acht
Monaten spielte man
in und um New York
mehr als 40 Shows,
später auch wieder
im CBGBs. Miram
verließ dann wegen
nicht näher geklärten Umstände die
Band, um bei Nervous Rex mitzuspielen. Als Ersatz für
Miriam stand Nick
Knox (Nicholas Stephanoff) als neuer
Schlagzeuger bereit.
Knox hatte reichlich
Erfahrung bei den Electric Eels in Ohio
gesammelt und entsprach mit seinem
coolen Sonnenbrillenlook den optischen
Ansprüchen der Band.
„The first time we saw him he was
wearing purple hot pants in Canton,
Ohio, at an amusement park with the
greatest rollercoaster you‘ve ever been
on and the best New York Dolls concert
you‘ve ever seen. Man! The first thing I
said to Ivy was, Wow! Look at that guy!“
Knox entwickelte schon nach wenigen
Proben mit der Band ein sehr gutes Zusammenspiel mit Ivy. Anhand der aus
dieser Zeit vorliegenden Bootlegs ist sofort zu hören, wie sehr die Cramps von
seinem Einstieg profitierten. Vorher
klang die Band etwas unstrukturiert. Ivy
musste voran gehen, während Miriam
und Bryan versuchten, Schritt zu halten.
Mit Knox am Schlagzeug gab er der Band
das nötige Rückrat und Timing, um viel
straighter zu klingen. Ivy spielte befreiter
auf und konnte sich auf ihre Riffs und
Licks konzentrieren, weil sie nicht mehr
die Band führen musste.
S
chon ein paar Monate vor der Trennung von Miriam hatten die Cramps
bei einem Konzert Alex Chilton kennengelernt. Chilton war sofort von ihrer
Art, Rockabilly zu spielen, begeistert und
lud die Band ein, in Memphis ein paar
Sessions aufzunehmen. Chilton war seit
Mitte der Sechziger in der lebendigen
Musikszene von Memphis aktiv, zuerst als Sänger bei den Box Tops, dann
bei den sagenumwobenen Big Star und
schließlich als Solokünstler. Er versprach
den Cramps, Sessions im Ardent Studio
zu organisieren. Zwei Monate nach dem
Tod von Elvis Presley im Oktober 1977
fuhren die Cramps in die Stadt im Südosten von Tennessee, um zwei Tracks, „TV
Set“ und „Human Fly“, aufzunehmen. Die
Sessions verliefen allerdings so produktiv, dass auch noch „Domino“, „The Way
I Walk“, „Lonesome Town“ und „Surfin‘
Bird“ aufgenommen wurden.
Memphis war für Lux und Ivy natürlich ein magischer Ort, weil dort Rock
& Roll-Geschichte geschrieben wurde.
Durch Chilton lernten sie James Luther
Dickinson kennen und gemeinsam konnte man im Sam Phillips Studio (nicht dem
Sun Studio in der Union Avenue) eine
ganze Nacht lang jammen. Die Cramps
spielten auch ihren bisher größten Gig
in
Memphis,
als sie vor mehr
als 1000 Zuschauern
im
Auditorium
der Memphis
State University auftraten.
Der Höhepunkt
war allerdings
ein Treffen mit
Sam
Phillips,
dem Entdecker
und Förderer
von Elvis Presley, Carl Perkins und Jerry
Lee Lewis. Lux
und Ivy waren
allerdings eher
ernüchtert: „I
thought
that
Sam
Phillips
would be this big guy, and he‘s little, tiny
elf, like a troll.“
Im Anschluß begann die Band, auch
Konzerte außerhalb von New York zu
buchen. Obwohl bisher keine Plattenfirma auch nur das geringste Interesse
an der Band bekundet hatte, genossen
die Cramps durch Features und Kritiken
in der Musikpresse einen guten Ruf als
Liveband und so begann man regelmäßig
die Clubs der Ostküste abzuklappern. Ivy
flog mit Alex Chilton nach London, um
die Aufnahmen aus Memphis abzumischen und um in England eine Plattenfirma zu finden, aber alle Interessenten
in der AnDas Publikum
öllig außer
stalt geriet v
während des
Kontrolle und
app ein DutGigs flohen kn
zend Insassen
sagten ab. Die Band klang eben nicht
wie eine typische Punk oder New Wave
Band. Die anderen Bands, die gemeinsam
mit den Cramps ihre Karriere begonnen
hatten, waren inzwischen erfolgreich
wie die Ramones und Blondie oder hatten sich aufgelöst. In den Clubs herrschte
immer mehr eine Goldgräberstimmung
und man nahm sich zunehmend ernst,
die Anfangseuphorie der Jahre 1975
und 1976 war endgültig vorbei und es
bildeten sich verschiedene Szenen. Die
Cramps blieben meistens außen vor und
bildeten eine eigene, sehr kleine Szene
für sich selbst.
Im Frühjahr 1978 veröffentlichten
die Cramps „Surfin Bird“ / „The Way
I Walk“ auf ihrem eigenen Vengeance
Label. Die Single verkaufte sich in New
York und London recht gut und so wurde
YC
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The Bird Is The Word
mit „Human Fly“ / „Domino“ gleich eine
zweite Single nachgeschoben. Beide Singles wurden in für heutige Verhältnisse
relativ kleiner Auflage (jeweils 6.000
Stück) veröffentlicht. Im Sommer wurde erstmals eine richtige Tournee an der
Westküste organisiert. Bei dieser Tournee spielten die Cramps auch ein Konzert
in einer psychiatrischen Anstalt in Napa
Valley. Zum Glück für die Nachwelt
wurden Teile dieses Auftritts mit einer
Videokamera aufgenommen und können
bei Youtube bewundert werden. Das Publikum geriet völlig außer Kontrolle und
während des Gigs sind angeblich knapp
ein dutzend Insassen geflohen. „We drove 3.000 miles to play to you people and
somebody told me you people are crazy,
but I am not sure about that. You seem
alright to me.“ Die weiteren Konzerte an
der Westküste waren ein großer Erfolg
und die Band wurde euphorisch gefeiert,
anders als das eher reservierte New Yorker Publikum wollten die Leute an der
Westküste eine Show sehen und ihren
Spaß haben.
Es wurde beschlossen, dass Ivy von
nun an die Band managen sollte, um endlich einen Plattenvertrag unterschreiben
zu können. Schließlich konnte man IRS
Records davon überzeugen, dass in der
Band kommerzielles Potential steckte.
IRS war zwar ein Independent Label,
hatte aber mit
A&M
einen
starken Partner
für den Vertrieb. Im Januar wurden mit
Chris Spedding
ein paar Demos
in New York
eingespielt, aber
die Band war
mit den Aufnahmen nicht
zufrieden und
so war die erste Veröffentlichung im Juni
1979 die „Gravest Hits“-EP
mit den vier
Tracks der Singles plus „Lonesome Town“
von den fast zwei Jahre alten MemphisSessions. Diese EP wurde sowohl im UK
als auch in den USA veröffentlicht. Es
folgte eine Tournee durch England und
Schottland, teilweise im Vorprogramm
von The Police. Die Band war überrascht,
wie positiv sie in England aufgenommen
get happy!? 57
-N
YC
-
wurde. Im NME und im Melody Maker
erschienen längere Artikel über die Band:
„London has not witnessed a greater import from New York since the Ramones!“.
Innerhalb der Band gab es allerdings
die ersten Konflikte mit Bryan Gregory,
der seine Rolle als bad man allzu
ernst nahm und
immer mehr zum Problem wurde. Er
begann, Hühnerknochen als Schmuck
zu tragen, beschäftigte sich ernsthaft mit
Okkultismus und spielte gerne den RockStar, während seine Fähigkeiten als Musiker weiterhin eher bescheiden blieben
und er auch nach fast drei Jahren immer
noch nicht in der Lage war, seine Gitarre
selbst zu stimmen.
File Under Sacred Music
E
ndlich hatte die Band durch die finanzielle Unterstützung von IRS die
Möglichkeit, ihr Debütalbum aufnehmen. Obwohl sich die Band auch vorstellen konnte, das Album selber zu produzieren, bestand die Plattenfirma darauf,
dass Alex Chilton wieder als Produzent
tätig sein sollte. Diesmal wurde das Sam
Phillips Studio für die gesamten Sessions
im Juli 1979 gebucht. Aber die Aufnahmen standen unter keinem guten Stern:
Chilton war meist mehr mit sich selbst
58 get happy!?
und seiner Drogenabhängigkeit als mit
dem Album beschäftigt. Er benahm sich
im Studio wie ein kleiner Diktator und
brachte die Band mit seinem Perfektionismus an den Rand der Verzweiflung.
Die Techniker bei Phillips nahmen die
Band nicht wirklich ernst und machten
ihren Job mehr schlecht als recht. Einzelne Mikrophone wurden falsch eingestellt und so wurden einige Spuren
verzerrt aufgenommen. Die Sessions
zogen sich endlos lang hin und die Plattenfirma wurde langsam ungeduldig.
Im Anschluß an die Aufnahmen
wurde die Band sofort wieder auf
Tournee geschickt um „Gravest Hits“
in den USA zu promoten und Chilton wurde alleinverantwortlich mit
der Abmischung der Aufnahmen beauftragt. Das Geld, das er für diesen
Job bekam, wanderte direkt zu den
Dealern in South Memphis und nach
drei Monaten stellten die Cramps
und IRS entsetzt fest, dass Chilton
immer noch keinen endgültigen
Mix vorlegen konnte. Lux und
Ivy flogen daraufhin nach Memphis und mischten gemeinsam mit
Chilton das Album ab. Songs The
Lord Taught Us wurde schließlich im März 1980 veröffentlicht.
Die Band war mit dem fertigen
Produkt rückblickend betrachtet
nicht wirklich zufrieden. „We
were quiet frustrated with the
album. We were a raw Rock &
Roll band but we were given a
production that didn‘t present
us that way. (…) It doesn‘t present the
Cramps as the Cramps“. Es existiert ein
Bootleg Songs The Lord Might Have Taught
Us mit einer alternativen Abmischung
und einem zusätzlichen Track.
Well You Can Dig Me,
You Can‘t Dig Nothin‘
D
ie britische Musikpresse überschlug
sich in den Kritiken, wohingegen
die Reaktionen in den USA eher verhalten waren. Im März 1980 flogen die
Cramps wieder nach England, um dort
als Headliner mehrere Konzerte zu geben
und im April folgten die ersten Konzerte
in Europa. In Schottland wurde der erste Cramps Fan Club (The Legion of the
Cramped) von Lindsay Hutton gegründet, eines der ersten Mitglieder war Steven Morrissey aus Manchester.
Zurück in den USA wurde die Band
von der Plattenfirma sofort wieder auf
Tournee beordert, um das Album zu
promoten. Bis Mitte Juni gab die Band
weitere 30 Konzerte quer über die USA
verteilt, für Bryan Gregory war der Stress
zuviel und er verkündete seinen Ausstieg
aus der Band. Für Lux und Ivy war der
Ausstieg auf der einen Seite ein Schock,
auf der anderen Seite aber auch eine Erleichterung, weil Bryan immer unberechenbarer wurde. Zum Abschied nahm
er den Bandbus und sämtliche Instrumente mit. Es rankten sich im Anschluss
viele Gerüchte über den wirklichen
Grund für den Ausstieg von Bryan, mal
lag es daran, dass er die Bee Gees lieber
mochte als Elvis, dann an seinem Okkultismus und Ego. Er spielte im Anschluß
in mehreren eher langweiligen Bands,
managte einen Sexshop in Florida und
starb schließlich 2001 in Kalifornien an
Herzversagen. Eine Aussöhnung mit Lux
und Ivy fand erst 1991 statt, sein damaliges Angebot wieder in die Band einzusteigen, wurde allerdings ausgeschlagen.
Im Oktober 1980 wurde der Mietvertrag
für Lux und Ivys Apartment gekündigt
und sie nahmen dies zum Anlass, New
York zu verlassen, um nach Los Angeles
zu ziehen. Rückblickend sagte Ivy: „The
Cramps were there in New York on the
scene but we were always on the outside.
I am not going to miss it, it ain‘t a real
American city anyway.“
In New York legten die Cramps den
Grundstein für ihre lange Karriere, die
mit dem Tod von Lux im Februar 2009
beendet wurde. Die Band wird selten mit
der Stadt in Zusammenhang gebracht,
dabei sind sie durch und durch eine Band,
die nur aus New York kommen kann. Sie
prägten wie kaum eine andere Band den
Geschmack und das Kulturverständnis
ihrer Fans. Wenn man ganz genau hinsieht und ein wenig an der Oberfläche
kratzt, waren sie eine der einflussreichsten Bands ihrer Zeit.