Faustkampf, feinsinnig

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Faustkampf, feinsinnig
Nummer 18, 18.11.2007
www.indenseilen.de
Faustkampf, feinsinnig
Ob Mailer, Hemingway oder Brecht: Die Faszination der Literatur für
das Boxen ist fast so alt wie der Kampf selbst.
von Michael Krauß
"Das kürzeste Gedicht stammt von Muhammad Ali", sagt Michael Lentz,
"es geht so: Me / We". Lentz muss es wissen, ist er doch selbst
Romancier und Professor für Literarisches Schreiben am Deutschen
Literaturinstitut in Leipzig. Und Boxer. Aber einem Roman übers Boxen will
der 43-Jährige nicht verfassen. "Daran müsste ich sehr lange arbeiten, es
ginge ja über konkrete Bewegungen", sagt er, "das würde ein schwieriges
Werk."
Michael Lentz: Pazifik Exil
Immerhin, ein Gedicht über Boxen hat er verfasst, aber sonst gilt für ihn:
"Boxen ist nur begrenzt literaturfähig." Lentz, der 2001 den BachmannPreis gewann, boxt im Boxtempel Weißensee, einem Schuppen in einem
Ostberliner Industriegebiet, in dem Profis und Amateure trainieren und wo
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auch so genannte Kleinringveranstaltungen stattfinden. "Das Flair dort hat
mich direkt angezogen", sagt Lentz. "Da gibt es nichts Gekünsteltes,
nichts Aufgemotztes. Wenn man den Laden betritt, weiß man sofort, wo
man ist." Man könnte, führt Lentz aus, beim Boxen Milieustudien
betreiben. "Es gibt bestimmte Codes, die jeder draufhat. Da sind wirkliche
Boxexperten, boxende Manager, Leute mit Straßengang-Outfit,
Fachpublikum, Türsteher, Zuhälter."
Boxende Schriftsteller sind nicht so selten: Norman Mailer und Georges
Simenon, Ernest Hemingway hat gegen Profis gekämpft, und Arthur
Cravan forderte 1916 sogar den Exweltmeister im Schwergewicht, Jack
Johnson, heraus - freilich ohne jemals eine Chance gehabt zu haben. In
Deutschland war immerhin Wolfgang Hilbig, der im Juni verstorbene
Büchner-Preisträger, Amateurboxer. In Bertolt Brechts Arbeitszimmer hing
ein Punchingball, und Wolf Wondratschek stand im Ring. "Den würde ich
gerne mal boxen sehen", sagt Lentz. Auch der Schriftsteller, Musiker und
Filmemacher Hartmut Geerken boxt, und von jüngeren Autoren wie
Clemens Meyer und Helmut Kuhn ist bekannt, dass sie zumindest
manchmal sparren.
Literatur, die sich mit dem Boxen beschäftigt, gibt es zuhauf, der
Literaturwissenschaftler und Journalist Manfred Luckas hat darüber seine
Dissertation geschrieben: "Solange du stehen kannst, wirst du kämpfen Die Mythen des Boxens und ihre literarische Inszenierung" (2001). "Grob
geschätzt sind es 150 Romane und Erzählungen, die sich mit dem Boxen
beschäftigen", sagt Luckas. Das sind so berühmte wie Budd Schulbergs
"Schmutziger Lorbeer" oder Leon Gardners "Fat City", ungewöhnliche wie
"Zwei Baxer" von Heinrich von Kleist und zu Unrecht kaum bekannte wie
"Die Boxkampf-Beichte" von Bernd Eilert.
Nicht nur literarische, es gibt auch theoretische Annäherungen an den
Boxsport: Joyce Carol Oates Essay "Über Boxen" etwa oder Djuna Barnes
"Meine Schwestern und ich bei einem Preisboxkampf". Robert Musil
nähert sich im "Mann ohne Eigenschaften" so: "Wunderlicherweise nennt
man das, was man beim Boxen als überlegene Geisteskraft empfindet, nur
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kalt und gefühllos, sobald es bei Menschen, die nicht boxen können, aus
Neigung zu einer geistigen Lebenshaltung entsteht." Und natürlich Brecht.
Der begann einen nie vollendeten Boxerroman, verfasste Manifeste über
"Sport und geistiges Schaffen" und legte mit "Der Kinnhaken" eine
Boxerzählung vor. "Ich glaube aber", meint Lentz, der sich für sein
neuestes Buch "Pazifik Exil" sehr mit Brechts Biografie beschäftigt hat, "er
war nicht an der boxerischen Arbeit, an den schöpferischen Tätigkeiten
interessiert." Brecht sei es mehr um soziologische Betrachtungen
gegangen. Und um die Selbstinszenierung als cooler Bursche.
"Das beste Buch, das ich über das Boxen gelesen habe", sagt Lentz, "ist
kein literarisches." Es ist die Studie des französischen Soziologen Loïc
Wacquant, der als Feldforscher drei Jahre lang in einem Gym in der Bronx
von Chicago trainierte: "Leben für den Ring" (2003). Wacquants Ansatz ist
die teilnehmende Beobachtung. "Um eine ungestüme, durch Evozieren
der Kämpfe geförderte Spontansoziologie zu vermeiden, sollte man seine
Gedanken nicht auf die außergewöhnliche Gestalt des Champions im Ring
richten", begründet Wacquant seinen Forschungsansatz, "sondern
gemeinsam mit anonymen Boxern im gewohnten Rahmen ihres Gym den
Sandsack schlagen." Das tat der Schüler von Pierre Bourdieu so intensiv,
dass er zeitweilig sogar seine Professur aufgeben und Profiboxer werden
wollte.
Boxer als Schriftsteller, diese Kombination ist selten, aber nicht so
ungewöhnlich. Nathan Hare etwa, einer der Begründer der "Black Studies"
in den USA, war Ende der Vierzigerjahre Profiboxer, ebenso wie Tom
Jones, der das Buch "The Pugilist at Rest" schrieb. Nicht vergessen darf
man in dieser Aufzählung Gene Tunney und José Torres: Tunney gab als
Weltmeister im Schwergewicht an der Universität Yale Vorlesungen über
Shakespeare. Torres, Exweltmeister im Halbschwergewicht, wurde
Schriftsteller und verfasste die wahrscheinlich beste Biografie, die sich je
dem früheren Schwergewichts-Champ Mike Tyson widmete ("Knock Out"
von 1992). Noch eine weitere, berühmt gewordene Biografie schrieb
Torres: über Muhammad Ali, den man selbst in die Liste der großen Boxer
als große Literaten aufnehmen muss. "Ali hatte immer Geschichten zu
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erzählen", sagt Lentz bewundernd, "auf Pressekonferenzen, bei
Interviews, überall - das war ein großer Geschichtenerzähler." Erst im
vergangenen Jahr brachte der Taschen-Verlag "Ali Rap" heraus, das Buch
über Ali als "the first Heavyweight of Rap". In Leon Gasts Dokumentarfilm
"When We Were Kings" über den Alis Kampf gegen George Foreman in
Kinshasa findet Lentz eine Szene besonders beeindruckend: Der
Literaturwissenschaftler George Plimpton berichtet, wie Ali vor 2.000
Harvard-Studenten einen Vortrag hielt. "Give us a poem", forderte ein
Student, Ali erfuhr, dass das kürzeste Gedicht in englischer Sprache so
lautete: "Adam / had em". Er überlegte einen Moment, und sagte dann:
"Me / We". "Genial", begeistert sich Lentz, "das erfüllt alle Kriterien eines
Gedichts, und er hat es spontan entworfen."
Ali als Dichter zu loben, fällt Michael Lentz leicht, wenngleich Alis kurzes
Gedicht ja nicht vom Boxen handelt. Bei seiner These, dass Boxen nur
begrenzt literaturfähig ist, bleibt Lentz. "Wenn man Verständnis für das
Boxen sucht, dann muss man zum Boxtempel Weißensee gehen."
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Männerschmuck
Yuriorkis Gamboa. Foto: Arena Boxpromotion
Voller Freude über seine Vertragsunterzeichnung bei der deutschen
"Arena Boxpromotion" posiert Yuriorkis Gamboa, ehemaliger
Olympiasieger im Superfedergewicht für Kuba, vor dem Hardrock-Café in
Hollywood. Wie endgültig er mit dem Sozialismus gebrochen hat,
vermögen Kenner der politischen Szene an seinem Halsschmuck zu
erkennen.
Neulich auf www.boxrec.com
Wenn er nichts Besseres zu tun hat, stöbert der IdS-Herausgeber gerne
mal auf www.boxrec.com herum, der Seite, auf der alle lizensierten Boxer
mit allen Kämpfen seit mindestens 1870 zu finden sind. Unter anderem
werden dort nicht nur Nationalität und Gewichtsklasse, Kampfname,
Management und Kampfrekord verzeichnet, sondern auch die
Weltranglistenplatzierung.
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Mittelgewichtler Arthur Abraham etwa, über den IdS schon mehrfach
berichtete, steht dort derzeit als 4/833 aufgelistet, er ist also viertbester
von 833 lizensierten Kämpfer seiner Gewichtsklasse weltweit.
Halbweltergewichtler Denis Roon aus Leipzig ist nicht ganz so erfolgreich,
weiß aber dennoch zu imponieren. Der 26jährige Cruisergewichtler steht
nach drei Niederlagen in drei Kämpfen derzeit auf Platz 1002/1001. IdS
wünscht viel Erfolg dabei, die Rangliste von hinten aufzurollen. Bzw.
zunächst einmal zu erreichen.
Leserin des Monats
Eigentlich müsste IdS wirklich sauer auf Sie sein. Kein einziger Leser und das waren einige, wie die Webstatistik für letzten Monat belegt! - kein
einziger sah sich bemüßigt, uns einen Lieblingslink zu schicken. Dabei
hatten wir doch so ein schönes Präsent ausgelobt, sie undankbares Pack!
Zwei von Feuilletonchefin Susann Sitzler selbst gebackene Handschuhe
aus Marzipan nämlich. Dass wir darauf sitzen bleiben sollen, das wollten
wir nicht auf uns sitzen lassen. Und vergeben den Titel "Leserin des
Monats" diesmal willkürlich aufgrund einer besonderen Leistung an Gerrit
Akkermann aus Otterndorf.
Dieses sympathische Städtchen liegt nämlich nur 20 Kilometer von
Cuxhaven entfernt, Wohnort des IdS-Chefkommentators Rudi Kohr. Da
der über keinen Internetzugang verfügt, druckte Frau Akkermann
kurzerhand die beiden Interviews mit Rudi Kohr aus den letzten beiden
Monaten aus und brachte sie ihm vorbi. IdS dankt. Reiht Frau Akkermann
als dritte ein in die Hall of Fame. Und hofft im kommenden Monat auf
kooperationswilligere Leser! Und sagen dem nächsten Preisträger auch
erst nach seinem Sieg, was er eigentlich gewonnen hat. Strafe muss sein!
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IdS linkt Sie!
Lieblingswebsites und -artikel der Redaktion. Mit integriertem,
permanentem Preisausschreiben!
Unverzagt fordern wir Sie auf, uns Ihre Lieblingswebsites und
Internetfundstücke zu senden, damit wir sie hier präsentieren, mit unseren
Lieblingen mischen und vor allem: Einen von Ihnen zum "Leser des
Monats" küren und mit einem Preis belohnen können.
Unsere diesmaligen Tipps wurden zusammengestellt vom fleißigen
Kollegen Krauß. Er schreibt uns:
"Ein lustiger Thread ist zu finden in: http://sportforen.de
Die Kolumnen von Thomas Hauser, einem der bekanntesten Boxautoren
weltweit, in: www.secondsout.com
Eine sehr minimalistische Boxgeschichte (Schwergewicht bis 1996):
www.brainyhistory.com
Etwas zu subjektiv, aber sehr lesenswert: http://coxscorner.tripod.com
(Hervorhebenswert die imaginierten Interviews mit "Legends of Boxing":
http://coxscorner.tripod.com/interview.html und
http://coxscorner.tripod.com/interview2.html)
Wunderbarer Überblick über die Schwergewichts-Titelkämpfe (plus
Erwähnung wichtiger Non-Title-Bouts): www.geocities.com
Na, ist das kein Service?"
Doch, Martin, das ist es. IdS knickst tief.
So. Jetzt sind Sie wieder dran. Wenn Sie schöne Homepages oder Artikel
zum Boxen in Ihrem Internet finden, dann raus damit an
[email protected] ! Also: [email protected] wartet auf Sie. Hofft auf
Sie. Und wenn Sie nicht schreiben, dann scheint morgen nicht die Sonne!