Pop – Sport – Kultur
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Pop – Sport – Kultur
Robert Schmidt Pop – Sport – Kultur Praxisformen körperlicher Aufführungen UVK Verlagsgesellschaft mbH Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Schmidt, Robert: Pop – Sport – Kultur : Praxisformen körperlicher Aufführungen / Robert Schmidt. - Konstanz : UVK-Verl.-Ges. 2002 ISBN 3-89669-763-3 ISBN 3-89669-763-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2002 UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 • D-78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 • Fax 07531-9053-98 www.uvk.de Grenzen hinaus ausdehnen, Trancezustände herbeizuführen. Mit dem Genre HipHop ist durch das Breakdancing eine akrobatische Tanzform verbunden, in die viele Bewegungsfiguren aus Kampfsportarten wie Capoeira und Karate einfließen. Darüber hinaus gehören Baseball-Caps, Adidas-Shirts und Basketball-Sportschuhe zum festen Bestandteil des Kleidungscodes der Stilform. Durch HipHop erhielten die Sportarten Baseball und Basketball eine popkulturelle Repräsentation. Afroamerikanische Stars der NBA wie Charles Barkley oder Dennis Rodman fungieren hier als Vorbilder des Rebellentums. Unter der Voraussetzung nunmehr fließender Grenzen zwischen Popkultur und Sport entstehen neue, hybride performative kulturelle Praxen; ein frühes Beispiel dafür ist die Verbindung von Disco und Aerobic. Nachfolgend entwickelt sich beispielsweise das Skateboarding zu einem stilistischen Arrangement, in dem sich popmusikalische (Skate-Punk, HipHop) und sportliche Aspekte mischen. Im Streetball vereinigen sich HipHop und ein aus dem Basketball entstandenes neues Sportspiel zu einem szenischen Ensemble von Kleidungscodes, Bewegungsformen, musikalischen Rhythmen und angeeigneten öffentlichen Räumen. Die Durchsetzung der Dancefloor-Genres geht einher mit einer Reihe von stilistischen Innovationen, die schließlich auch die Beziehungen innerhalb des Raumes der Szenen grundlegend verändern. Bislang dominierende Szenen werden abgewertet und/oder gezwungen den Wert sportlicher Körperkonzeptionen anzuerkennen. Es entsteht gleichzeitig ein neuer kulturelle Raum hybrider sportlich-popkultureller Praxisformen mit zunächst noch unscharfem distinktiven Wert, da hier die verschiedenen sozialkulturellen Claims erst noch abgesteckt werden müssen. 2. Kapitel: Kulturelle Praxis als Körperpraxis Die Expansion des Sports und der Popkultur korrespondiert mit einer anhaltenden Konjunktur des Körperlichen und einer Relevanzsteigerung alltäglichen körperlichen Ausdrucksverhaltens. In der entscheidenden Beteiligung des Körpers an der Produktion und Kommunikation sozialer und kultureller Bedeutungen haben beide zunächst scharf voneinander abgegrenzten kulturellen Bereiche schon von je her ihr tertium comparationis. Die gegenwärtige Herausbildung eines neuen kulturellen Raumes, in dem sich die Spezifika beider Kulturbereiche zu hybriden, performativen popkulturell-sportlichen Kulturpraxen vermischen, macht diese konstitutive Gemeinsamkeit deutlich und auf neue Weise 68 anschaulich. In Bezug auf die an die Körperlichkeit geknüpften sozialen Bedeutungen von Sport- und Popkultur sind im vorangegangenen Kapitel zwei Aspekte deutlich geworden: Einerseits ist der Körper in beiden Kulturbereichen das zentrale Medium von Distinktionen, die sich vornehmlich entlang unterschiedlicher Körpermodelle und körpergebundener Klassifikationen vollziehen – hierin zeigt sich zugleich, dass die kulturelle Konjunktur des Körpers zur Folge hat, dass gesellschaftliche Differenzierungen in immer stärkerem Maße mit Hilfe des Körpers ausgedrückt werden. Andererseits kommt dem Körperlichen jedoch auch eine wichtige gemeinschaftsbildende Funktion zu: Die verschiedenen Szenen der Popkultur organisieren sich um jeweils verbindend-verbindliche Körpermodelle und Körpervorstellungen. Der Sport und die Popkultur sowie die Kulturpraxen in der neu entstandenen Konvergenzzone beider Bereiche sind Domänen nichtschriftlicher Kultur, sie besitzen viele Züge, die für orale Kulturen typisch sind: Kulturelle Inhalte werden körperlich aufgeführt und ausgedrückt, von den an der Aufführung Beteiligten nicht nur gesehen und gehört, sondern bisweilen auch gespürt, körperlich nachvollzogen und tradiert. Man kann Popkultur und Sport als Formen nonverbaler, körperlicher Kommunikation auffassen; ihnen liegt eine Spielpraxis zugrunde, die nicht in verbale Sprache übersetzt werden kann, sondern sich vielmehr nur im Vollzug von Handlungen entfaltet und aus diesem „performativen Zustand“ (Gebauer/Alkemeyer 2001. S. 119), dem Hier und Jetzt des Geschehens nicht herausgelöst werden kann. Das folgende Kapitel will dieses ‚Sprechen‘ des Körpers in den sportlichen und popkulturellen Praxen genauer betrachten und die Prozesse der Produktion und Übermittlung von sozialen und kulturellen Bedeutungen in und durch die jeweiligen körperlichen Spielpraxen nachzeichnen. 2.1 Sport als körperliche Mimesis des Sozialen Während die eminente Bedeutung des Körperlichen in der Popkultur nicht so unmittelbar evident ist – der überwiegende Teil sowohl der feuilletonistischen Betrachtungen als auch der Forschungsliteratur beschränkt sich auf Untersuchungen ihrer Sprache und Bildlichkeit –, steht sie im Sport außer Frage. Umgekehrt ist jedoch die – der Popkultur allenthalben zugeschriebene – Produktion und Vermittlung sozialer Bedeutungen und kultureller Botschaften durch die sportliche Praxis weniger offenkundig. Im klassischen Selbstverständnis des Sports als einer selbstzweckhaft-formalisierten Körperpraxis werden alle sozialen 69 und kulturellen Bezüge, alle gesellschaftlichen Vermittlungen und Prägungen geleugnet. Eine aktuelle Rehabilitation – gegen alle Versuche, sportliche Praxen als symbolische Ausdrucksformen, Darstellungen des Sozialen oder kollektive Repräsentationen zu deuten, bzw. zu ‚lesen‘ – hat diese klassische Sichtweise durch Gumbrecht (1998) erhalten. In einem Aufsatz zum American Football vertritt er die These, dass der Sport ein interesseloses ästhetisches Phänomen sei (ibid. S. 204), das nicht begriffen werden könne, „solange wir den Sport als ein Phänomen, das zum Universum der Mimesis gehört, zu verstehen suchen, das heißt, als eine Darstellung, als einen an ein Signifikat geknüpften Signifikanten, oder, aus umgekehrter Perspektive, als etwas, das interpretiert, gelesen und entziffert werden muß“ (ibid. S. 205). Seinen Kern hat der Sport Gumbrecht zufolge demgegenüber in seiner Ereignishaftigkeit als körperliches Ritual der „Produktion von Präsenz“ (ibid. S. 227). Im Sport entstünde solche Präsenz „als das Ereignis von Form“ (ibid. S. 216), deren Substanz Körper oder Körperbewegungen sind – die Spielzüge im American Football ereigneten sich als „verkörperte Formen und Formen-in-Bewegung“ (ibid. S. 220). Durch die Insularität des Ortes, seine räumliche und zeitliche Isolierung von der Alltagswelt ist Gumbrecht zufolge auch die Aufmerksamkeit des Zuschauers im Stadion in gesteigertem Maße auf die Ereignisse auf dem Spielfeld gerichtet – er erlebt „das Spiel als Bewegung auf seinen Körper zu oder von seinem Körper weg“ (ibid. S. 225) und trägt gleichzeitig auf vielfältige Weise selbst zur Produktion der Präsenzqualität des Spielereignisses bei. Durch die körperliche Intensität und Ereignishaftigkeit und durch seine räumlich-zeitliche Isolierung rücke das Sportgeschehen in eine „Distanz gegenüber der Dimension ‚Darstellung‘“ (ibid. S. 227). Es handelt sich demnach beim Sport also um gleichsam paradoxe kulturelle Aufführungen, in denen nichts aufgeführt und dargestellt werden kann, denn es gibt hier für die ins Spiel involvierten Akteure weder eine Distanz zwischen Rolle und Akteur, noch zwischen Aufführung und Geschehen – solche Trennungen werden durch die körperliche Ereignishaftigkeit verhindert. Kulturelle Phänomene, bei denen wie im Sport die körperliche Produktion von Präsenz im Mittelpunkt steht, entziehen sich nun Gumbrecht zufolge auch allen herkömmlichen hermeneutischen kultur- und sozialwissenschaftlichen Deutungsversuchen (ibid. S. 228). Die von ihm hervorgehobene Insularität und Interesselosigkeit des Sports gegenüber der Alltagswelt verbiete „jegliche ‚Anwendung‘ (im hermeneutischen Sinn des Wortes) des Spiels auf das Leben. Das Spiel ist weder eine Allegorie auf die Alltagswelt, noch kann es in eine einem Alltagszweck dienende Finalität umgewandelt werden“ (ibid. S. 223). 70 Indem Gumbrecht die Spezifik des Sports als körperliches Geschehen, seine Präsenz und Ereignishaftigkeit unterstreicht, wendet er sich gegen alle Ansätze, die den Sport vorschnell in eine hermeneutisch auslegbare „Welt als Text“ (Garz/Kraimer 1994) eingemeinden, oder – im Anschluss an Geertz (1983) – wie einen ‚kulturellen Text‘ lesen wollen.46 In dieser Wendung schüttet er jedoch gleichsam das Kind mit dem Bade aus, weil er mit der Betonung der entscheidenden Rolle des körperlichen Geschehens im Sport zugleich dessen gesellschaftliche Bezüge leugnet. Das Aufschließen der sozialen Gehalte sportlicher Praxen kann also nur einer anspruchsvolleren analytischen Konzeption gelingen, die vom konstitutiv performativen Zustand körperlichen Geschehens ihren Ausgang nimmt und von hier aus dessen soziale Bezüge erschließt. In diese Richtung zielt die von Gebauer (1995, 1998; vgl. auch Gebauer/Wulf 1998. S. 62ff) entwickelte Konzeption eines mimetischen Zusammenhangs zwischen sportlichen Praxen und sozialer Welt. Der Sport erscheint in dieser Perspektive als eine Darstellung des Sozialen im Spielgeschehen, d.h. im Medium von Körperbewegungen und körperlichen Stilen – als eine Form der Darstellung also, die gerade über die Faktizität der sinnlichen Präsenz von Körpern ihre Relevanz im Sinne eines gesteigerten Wirklichkeitsprinzips erhält. Die Antwort, die Gebauer auf die Frage gibt, wie und was in der sportlichen Praxis dargestellt wird, lässt sich in drei Argumentationsschritte aufgliedern: Sportliche Praxen finden ihr ‚Material‘ in den Körpertechniken der sozialen Praxis, sie unterziehen dieses vorgefundene ‚Material‘ spezifischen Modellierungen, die wiederum gewisse gesellschaftliche Rückwirkungen haben. Den Ausgangspunkt dieser Argumentation bildet ein vorhandenes, sozial und kulturell spezifisches Repertoire praktisch-alltäglicher Körpereinsätze, das Mauss (1978) die Techniken des Körpers genannt hat. Solche Körpertechniken sind die „Weisen, in der sich die Menschen in der einen wie der anderen Gesellschaft traditionsgemäß ihres Körpers bedienen“ (ibid. S. 199). Sie umfassen neben den Techniken der Geburt, des Schlafens, des Ausruhens den Gebrauch der Hände beim Essen oder Trinken, die Techniken der Körperpflege, sowie v.a. charakteristische Körperbewegungen beim Gehen, Laufen, Schwimmen, Tauchen, Klettern, Springen etc. In diesen Körpertechniken durchdringt das Soziale die menschliche Physis ganz unmittelbar: „Es gibt also Dinge, die wir für ererbt ansehen, die in Wirklichkeit jedoch physiologische, psychologische und soziale Folgen darstellen. Eine be46 Wie Junghanns (1999) in seiner Besprechung des Aufsatzes von Gumbrecht deutlich macht, gilt dessen Kritik „letztlich dem Weg-Intellektualisieren von Körperlichkeit in den Humanwissenschaften“ (ibid. S. 6). 71 stimmte Form der Sehnen oder sogar der Knochen ist nichts als die Folge einer bestimmten Art sich zu bewegen und sich zu setzen“ (ibid. S. 208). Aus solchem in spezifischen Kontexten erworbenen Bewegungskönnen formen sich Mauss zufolge kulturell und sozial signifikante körperliche Posituren oder Haltungen: „Die Stellung der Arme, der Hände während des Gehens, stellen eine soziale Eigenheit dar und sind nicht einfach ein Produkt irgendwelcher rein individueller, fast ausschließlich psychisch bedingter Handlungen und Mechanismen“ (ibid. S. 202). Die sozial spezifischen Weisen des körperlichen Agierens, Handelns und Sich-Bewegens verdichten sich zur „soziale[n] Natur des Habitus“ (ibid.).47 Das Repertoire an motorischen Schemata und Körperbewegungen bildet nun das gesellschaftlich-körperliche ‚Material‘, auf das der Sport mimetisch Bezug nimmt. Bedingung der Möglichkeit mimetischer Bezugnahme auf soziale Körperpraxen ist die Eigenständigkeit und Eigenweltlichkeit des modernen Sports, der sich historisch zu einem relativ autonomen kulturellen Raum entwickelt hat. Diese relative Autonomie des Sports wurde oft – versehen mit emanzipatorischen Hoffnungen – als eine Gegenweltlichkeit gedeutet. Huizinga (1956) etwa betont das Freiwillige, Lustvolle und Selbstzweckhafte sportlich-spielerischer Handlungen, die er der von gesellschaftlichen Zwecken und Zwängen beherrschten Arbeitswelt entgegenhält. Auf diese Sicht ist auch jene Sportkritik verpflichtet, die dem modernen Leistungssport vorhält, er hätte sich den gesellschaftlichen Zwängen zu sehr ausgeliefert und sei durch die Übernahme von Organisationsformen und Leistungsnormen der Arbeitswelt zu ähnlich geworden.48 Gebauer plädiert in dieser Debatte für Nüchternheit und fasst die relative Autonomie des Sports gegenüber den anderen gesellschaftlichen Bereichen mit einem „neutralen Ausdruck als ein ‚Nachordnungsverhältnis‘“ (1995. S. 190): „Tatsächlich bestehen zwar vielfältige Abhängigkeitsbeziehungen des Sports von der Arbeitswelt, aber dennoch hat er Züge einer eigenen spezifischen Praxis bewahrt“ (ibid. S. 189f). Die Eigenweltlichkeit des Sports ist die Voraussetzung dafür, dass er soziale Praxis darstellen kann, dass er sich 47 Damit hat Mauss ein Konzept vorformuliert, das Bourdieu in seiner Habitustheorie weiter ausgearbeitet hat. Insbesondere in der Bourdieuschen Konzeption der Körperlichkeit des Habitus sind die Einflüsse von Mauss‘ anthropologischen Überlegungen zu den Techniken des Körpers deutlich. Vgl. zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser Bourdieuschen Konzeption Punkt 4.5 dieser Arbeit. 48 In dieser Kritik treffen sich – wie König (1995) deutlich macht – Positionen einer „normativ-ethischen Sportanthropologie“ (ibid. S. 15), die sich veranlasst sieht, die Leitbilder eines menschenwürdigen Sports zu erneuern, mit den Diskursen einer „linken Sportkritik“ (ibid. S. 16), die in der Anprangerung der in den Sport eingewanderten gesellschaftlichen Zwänge ihrerseits auf ein normativ gesetztes „Menschenbild als Maßstab ihrer Kritik sowie als Gewißheit sportlicher Utopie nicht verzichten kann“ (ibid.). 72 anderen gesellschaftlichen Praxen ähnlich machen und ausliefern kann, ohne ihnen gegenüber seine Distanz aufzugeben. Diese Doppeltheit von Ähnlichkeit und Eigenweltlichkeit des Sports bildet den Kern seiner mimetischen Qualitäten. Der Sport ist „Darstellung von Bewegungen, die in der sozialen Praxis vorgefunden werden“ (Gebauer/Wulf 1998. S. 62). Er besitzt „seinen spezifischen Sinn, weil in unserer gesellschaftlichen Praxis gelaufen, gerungen, Auto gefahren wird, weil Kleingruppen gemeinsame Techniken, Strategien und Kooperationen ausbilden, mit deren Hilfe sie sich gegen andere Gruppen behaupten, weil in Handlungssituationen spontan Entscheidungen getroffen werden, die Vorteile in Auseinandersetzungen mit anderen bringen, weil der Natur listig ein Sieg abgerungen oder in geduldigem Warten ihre Kraft genutzt wird“ (Gebauer 1995. S. 190). Im Sport werden diese Körpertechniken der sozialen Praxis nun modelliert und neu gestaltet. Mit den Begriffen Darstellung, Formalisierung und Codifizierung identifiziert Gebauer drei charakteristische Bearbeitungsweisen der sozialen Praxis durch den Sport, durch die ein mimetisches Produkt hergestellt wird. Der Sport bringt den in motorischen Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata niedergelegten, von Bourdieu so genannten praktischen Sinn (sens pratique) zur Darstellung und zwar im Medium eben solcher praktisch-körperlicher sportlicher Handlungen, die wesentlich jenseits von Bewusstsein und Sprache fungieren. Durch diese körperlich-praktische Darstellungsweise erhalten die sportlichen Darstellungen eine den dargestellten Praxisformen gleichrangige Faktizität, Gewissheit und Wirklichkeit. Die mimetische Arbeit des Sports an den Körperbewegungen der sozialen Praxis ist des weiteren eine Materialgestaltung, die durch Techniken der Stilisierung deren formale Eigenschaften herausarbeitet. Schließlich werden die Körpertechniken der sozialen Praxis sportarten- wie kulturspezifisch codifiziert: „Die sportliche Praxis stellt durch Codifizieren ein mimetisches Produkt her. Aber welche Elemente aus der gesellschaftlichen Praxis – real oder fiktiv – aufgenommen werden und in welcher Weise, wie sie geordnet werden, auf Elementares reduziert oder komplexer gemacht werden, ob theatralisch darstellend oder abstrahierend, ob potenzierend (wie im Kraftsport) oder subtil durcharbeitend, ob mit oder gegen die Natur, ob eigene Welten schaffend (wie die Sportspiele) oder als Anhängsel einer Institution (wie militärische Sportarten) – alles dies entzieht sich eindeutiger begrifflicher Bestimmung, ebenso wie es von den Beteiligten nicht rational planbar ist. Aus kulturvergleichenden Untersuchungen wissen wir, daß verschiedene Kulturen ganz unter- 73 schiedliche Weisen des Codifizierens haben, und daß diese mit den Prinzipien, nach denen die jeweiligen Gesellschaften organisiert sind, zusammenhängen“ (ibid. S. 190f). Solche Codifizierungsprozesse lassen sich am Beispiel des afroamerikanischen Basketball verdeutlichen: Basketball ist ein Mannschaftssport, der die Zusammenarbeit der einzelnen Spieler, denen je spezifische Funktionen zugewiesen sind, notwendig macht, um sowohl den Spielaufbau der gegnerischen Mannschaft zu zerstören, als auch die eigenen Kombinationen von Spielzügen zum erfolgreichen Abschluss, zum Korbwurf, zu führen. Auf diese Weise bezieht sich Basketball mimetisch auf solche gesellschaftlichen Praxen, die durch die interne Kooperation von miteinander konkurrierenden Kleingruppen gekennzeichnet sind. Von dieser etwas allgemeinen Feststellung aus lässt sich auf eine konkretere Ebene vordringen, wenn man sozial und kulturell spezifische Spielweisen in den Blick nimmt. Nelson George hat in dieser Hinsicht versucht, die „black aesthetics“ (1999. S. xiii) des amerikanischen Profi-Basketballs, d.h. die spezifischen afroamerikanischen Spielweisen, die sich im Laufe der Entwicklung schließlich in der amerikanischen Profiliga NBA etabliert haben, zu identifizieren. Dabei handelt es sich um bestimmte Techniken des Betonens und Herausstellens von Formaspekten, um eine Praxis der Stilisierung, die für viele Bereiche der afroamerikanischen Alltagskultur charakteristisch ist. George macht deutlich, dass es in der afroamerikanischen Spielweise, die er in Grundzügen sowohl auf einem Straßenplatz in Brownsville/Brooklyn als auch bei afroamerikanischen NBA-Profis beobachtet, nicht um das Punkten schlechthin, sondern immer auch um die Art und Weise des Punktens geht: „My unknown Brownsville dunker, like NBA-Players Mark Jackson and Otis Thorpe didn‘t simply score, he personalized the act of scoring just as African-Americans in everything from music to jump rope to slang, have put a fresh spin on activities elevated and prosaic“ (ibid.). Besonders charakteristisch für diese afroamerikanische körperliche Stilisierung des Korbwurfes ist der sogenannte slam dunk, eine Art Sprungwurf, bei dem der Ball von oben in den Korb ‚gestopft‘ wird und der Spieler sich anschließend am Korb festhält. Der slam dunk ist eine gestische Stilisierung, die nicht zuletzt durch das Geräusch des unter der Wucht des Wurfes vibrierenden Backboards beeindruckt und das Punkten zur physischen Einschüchterung des Gegners dramatisiert. Diese Innovation des Basketballspiels hat sich unter den afroamerikanischen HighschoolMannschaften in den 50er Jahren herausgebildet (ibid. S. xiv). Neben den slam dunks und besonders gesteigerten Sprungfähigkeiten ist es v.a. 74 die Art und Weise des z.T. ‚blind‘ oder hinter dem Rücken ausgeführten Passens, die den spezifischen performativen Stil, die körpersprachlichen Innovationen des afroamerikanischen Basketballs auszeichnen. Diese Spielweise geriet oft in Widerspruch zur auf Mannschaftsdienlichkeit und Disziplin ausgerichteten Spielauffassung der überwiegend weißen Trainer mit europäischem Hintergrund. Obwohl sie sich nicht zuletzt aufgrund ihrer Attraktivität für die Zuschauer schließlich durchgesetzt hat, ist dieser Konflikt bis heute virulent geblieben. In Ron Sheltons 1992 von Twentieth Century Fox produziertem Kinofilm White Men Can‘t Jump, in dem die ethnischen Konflikte zwischen Anglo- und Afroamerikanern allegorisch anhand solcher unterschiedlicher Spielweisen verhandelt werden, pointiert der weiße Protagonist Billy diesen Gegensatz folgendermaßen: „White men would rather win first and look good second, while black men want to look good first, and win second“ (zitiert nach Denzin 1995. S. 18). Die spektakuläre, showorientierte afroamerikanische Spielweise, in der sich einzelne Spieler durch bisweilen virtuose individuelle Improvisationen aus dem Mannschaftsspiel herauslösen, um die Verbesserung ihres personal score mehr bemüht sind als um das Mannschaftsergebnis – diese afroamerikanischen Stilmerkmale fasst West (1988) folgendermaßen zusammen: „The black player tries to style reality so that he becomes spectacle and performance, always projecting a sense of self (...) smooth, clever, rhythmic, syncopated (...) A lot of time and energy, and discipline goes into it but usually with a certain investment of self that does not express the work ethic alone (...) whereas his white counterpart tends towards the productivistic and mechanistic“ (ibid. S. 283). George hat eine solche Spielweise, die auf ein „entertaining the crowd“ (1999. S. xvii) auf Kosten des Gegners bedacht ist, auf die Formel „intimidation through improvisation“ (ibid.) gebracht und sieht hier Parallelen zum Jazz, insbesondere zum Bebop. In solchen Personalisierungen und Stilisierungen des Spiels wird eine soziale Typik deutlich: Es handelt sich dabei um eine körperliche Codifizierung von Verhaltensformen der afroamerikanischen Alltagskultur, wie sie beispielsweise auch im „performing by styling“ (Abrahams 1976. S. 46) der Alltagsinteraktionen oder in den Aufführungen von Beleidigungsritualen (signifying) zum Ausdruck kommen. Denzin deutet das afroamerikanische Pick Up Basketball, eine auf Hinterhöfen, Straßen und in Parks gespielte rauere und schnellere Variante, die gegenüber dem professionellen Basketball durch eine größere Nähe zur Alltagskultur gekennzeichnet ist, als eine Aufführung der Ghetto-Kultur des hustling, 75 des nur durch geschickte Täuschung und Durchsetzungsfähigkeit erfolgreichen Überlebenskampfes auf der Straße: „Basketball is community for the African-American community. It is public-life-asspectacle. In it the deeply radical and practical elements of the hustling culture, which turns on survival, are enacted. One hustles on the court as one hustles on the street, and for many for the same reasons“ (Denzin 1995. S. 24f). Die afroamerikanische Stilistik des Basketballs nimmt also Bezug auf spezifische soziale Praxen der afroamerikanischen Alltagskultur. Sie codifiziert bestimmte Strategien der Behauptung in Alltagsinteraktionen, alltäglich-praktische Geschicklichkeiten, Tricks, Täuschungsmanöver und Durchsetzungsfähigkeiten. Diese sozialen Praxen werden in ein mimetisches Produkt spezifischer sportlicher Körperpraxen umgearbeitet. Das rauere und informellere Pick Up Basketball unterscheidet sich vom durchregelteren professionellen Basketball hinsichtlich eines geringeren Grades an Reduktion, Formalisierung und Abstraktion von den sozialen Praxen, auf die mimetisch Bezug genommen wird. Beide Varianten, sowohl die black aesthetics, die sich mittlerweile in der NBA durchgesetzt haben, als auch die härteren, körperbetonteren Spielweisen auf dem Asphalt sind Darstellungen afroamerikanischer Alltagskultur im Medium praktischkörperlicher sportlicher Handlungen. Die gesellschaftlichen Rückwirkungen des Sports bestehen Gebauer zufolge in seiner Zeigefunktion und in seiner Fähigkeit zur Vorführung, Versinnlichung und Konsolidierung von sozialen Gemeinsamkeiten. „Der Sport ist nicht fähig, die Gesellschaft zu verändern. Seine Rolle gegenüber der sozialen Praxis ist die des Zeigens“ (Gebauer 1995. S. 195). Der Sport transformiert die Körpertechniken der sozialen Praxis in „darstellende[ ], hinweisende[ ], zeigende[ ] Zeichen“ (ibid. S. 192), die in den einzelnen Sportarten zu jeweils spezifischen stilistischen Ensembles organisiert sind. Die einzelnen Sportarten unterscheiden sich dabei hinsichtlich der Frage, welche Bereiche gesellschaftlicher Praxisformen sie zeigen, und ob lediglich mit körperlichen, oder auch mit anderen medialen Darstellungsmitteln gezeigt wird. Darüber hinaus lassen sich in der Geschichte des Sports verschiedene Formen des Zeigens unterscheiden. War der moderne Sport in seinen Anfängen durch einen Realismus des Zeigens, d.h. durch eine Nähe zur sozialen Praxis gekennzeichnet, so ist im aktuellen, medial inszenierten und vermittelten Hochleistungssport dessen Rückbezüglichkeit auf die soziale Praxis in Frage gestellt. Durch einen medialen Hyperrealismus und die theatrale Inszenierung einzelner Akteure entsteht eine Eigenwirklichkeit des Showsports (Gebauer / Hortleder 1986). Dessen Entfernung zur sozialen Praxis nimmt im selben Maße zu, wie sich seine mimetischen 76 Qualitäten verbrauchen. Die neuen performativen Kulturpraxen im Schnittpunkt zwischen Sport- und Popkultur, die in öffentliche Räume und alltägliche Kontexte sich ausbreitenden neuen Straßen- und Bewegungsspiele wie Skateboarding, Inline Skating und Streetball lassen sich vor diesem Hintergrund als Formen eines neuen Realismus‘ des Zeigens interpretieren. Durch ihre Nähe zur sozialen Praxis stehen sie im Kontrast zu den Verselbständigungstendenzen des medialen Hochleistungssports und tragen dadurch zur Erneuerung der Rückbezüge des Sports auf die Sozialwelt bei. Eine weitere wichtige Rückwirkung des Sports auf die Gesellschaft besteht in seiner Fähigkeit zur sinnlichen Darstellung von sozialen Gemeinsamkeiten. Diese Versinnlichung von Gemeinschaft vollzieht sich zunächst über die Koordination von Körperbewegungen, durch die zwischen den Akteuren in der sportlichen Praxis Verbindungen hergestellt werden – Verbindungen, die unter der Voraussetzung, dass „alle Beteiligten (...) die Bewegungen kennen und entweder selbst ausführen, oder sich zumindest vorstellen können, daß sie sie ausführen“ (Gebauer 1998. S. 227) schließlich auch die am Geschehen partizipierenden Zuschauer mit einschließen. Durch den mimetischen Nachvollzug der Bewegungen der Sportler durch die Zuschauer kann im Sport – ganz ähnlich wie in einem Popkonzert – eine kollektive Erfahrung der „communitas“ (Turner 1989. S. 68ff), d.h. eine über gemeinsam erlebte Körperzustände gefühlte Gemeinschaftlichkeit entstehen. Der mimetische Bezug der Sportpraxen auf soziale Körpertechniken gewährleistet, dass auch die Zuschauer – vermittelt über die Athleten – durch Teilhabe an der im Medium sportlicher Praxen gezeigten sozialen Motorik „mit ihrer Gesellschaft verbunden und die Sportler als deren exemplarisches Körpergedächtnis eingesetzt“ (Gebauer 1998. S. 232) werden können. Auf diese Weise trägt der Sport zur Versinnlichung sozialer Gemeinsamkeiten bei. Diese Wirkung kann sich von der sinnlichen Repräsentation partikularer Szenen bis hin zur Möglichkeit der sinnlichen Darstellung der gesellschaftlichen Synthesis als nationale Gemeinschaft erstrecken. 2.2 Der Körper in der Popkultur Der Popkultur wird gemeinhin eine spezifische Ausdrucksqualität zugeschrieben, die sie von anderen Kulturgattungen unterscheidet. Sie ist Teil einer populären Ästhetik, die „sich darauf gründet, zwischen Kunst und Leben einen Zusammenhang zu behaupten“ (Bourdieu 1982. S. 64) und weigert sich, „jene Verweigerungshaltung mitzuvollziehen, die aller 77 theoretisch entfalteten Ästhetik zugrundeliegt, d.h. die schroffe Trennung zwischen gewöhnlicher Alltagseinstellung und genuin ästhetischer Einstellung“ (ibid.). Aufgrund der spezifischen „Aussageweise von Pop (der schnelle, direkte sinnliche Reiz, der optische, rhythmische Effekt)“ (Hecken 1997a. S. 7) steht die Popkultur in Abgrenzung vom ‚interesselosen Wohlgefallen‘ auf der Seite des sinnlichen Geschmacks. Pop ist, was einschlägt, unmittelbar fasziniert. Das Vergnügen an Pop wird körperlich erfahren, Popmusik verstrickt ihre Hörer in affektive und emotionale Bündnisse mit den Performern und kann (ähnlich wie der Sport) eine gefühlte Gemeinschaft mit anderen Fans stiften. Im Zentrum von Popkultur und Popmusik stehen wie im Sport körperliche Aufführungen. Durch ihre performativen und oralen Qualitäten liegt der Schwerpunkt ihrer Ästhetik auf Formen nicht-verbaler, körperlicher oder körpersprachlicher Kommunikation. Im folgenden Abschnitt soll nun genauer betrachtet werden, wie Popkultur und Popmusik im Medium der Körperlichkeit ihre ‚kicks‘ erzielen. Im Raum der Stellungnahmen zur Kultur fällt die Unterscheidung von legitimen und populären Gattungen zusammen mit der Trennung zwischen Geist und Körper. Von den Verteidigern der legitimen Kultur wird der populären eine Körperverbundenheit oft mehr aus Gründen der Abgrenzung und Abwertung zugeschrieben, als wirklich an ihr ausgewiesen. In diese Auseinandersetzungen um die Legitimität des Geistigen und die Illegitimität des Körperlichen droht sich jede Untersuchung der körperlichen Potentiale populärer Kultur – wenn auch unfreiwillig – zu verstricken, wenn sie es versäumt, solche Zuschreibungen, die Mittel der kulturellen Auseinandersetzungen sind, zu objektivieren, um sie von der Sache selbst zu unterscheiden. Um dies deutlich zu machen, soll der nachfolgenden Untersuchung in diesem Abschnitt eine kritische Auseinandersetzung mit Adornos Thesen zur populären, ‚kulturindustriellen‘ Musik in Form eines Exkurses vorangestellt werden. Wie sich hier zeigen wird, ist es gerade die eminente Bedeutung des Körperlichen in der ‚kulturindustriellen‘ Musik, die den oft bemerkten affektiven Überschuss der in psychoanalytische und ideologiekritische Begründungsmuster eingespannten Kritik Adornos mobilisiert. Jenseits dieses sozialstrategischen Subtextes, der Adornos Aufsätzen den Charakter früher und symptomatischer intellektueller Abwehrkämpfe gegen die im Siegeszug der Kulturindustrie sich ankündigende kulturelle Konjunktur des Körpers verleiht, finden sich in seinen Thesen aber durchaus Aspekte, von denen eine Konzeptualisierung der soziologischen Bedeutung der Körperlichkeit von Pop ihren Ausgang nehmen kann. 78