Effi Briest

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Effi Briest
Universität Lüneburg
Sommersemester 2008
Dozent: Dr. Steffen Gailberger
Modul: 23052000 – Literarische Textanalyse und Textualität
Seminar: Fontane
Abgabetermin: 18. August 2008
Textanalyse und Interpretation:
„Effi Briest“ als tragisch-deterministischer
Gesellschaftsroman
Dipl.-Psych. Hannah Uhle
Veerßer Str. 20
29525 Uelzen
Inhaltsverzeichnis
1. Effi komm: Einleitung .........................................................................................................1
2. Ein weites Feld: Handlungsanalyse ....................................................................................1
3. Jeder quält seine Frau: Das Ehepaar Innstetten...............................................................5
3.1. Immer am Trapez: Effi Briest..........................................................................................5
3.2. Der Mann von Charakter: Geert von Innstetten...............................................................8
4. Tyrannisierendes Gesellschafts-Etwas: Schlusswort zum Menschen- und Weltbild...12
Literatur.....................................................................................................................................I
1. Effi komm: Einleitung
„Das Auftauchen der Mädchen an den mit Wein überwachsenen Fenstern, die Rotköpfe, der Zuruf
und das Niederducken und Verschwinden machten solchen Eindruck auf mich, dass aus dieser
Szene die ganze lange Geschichte entstanden ist“ (Fontane DuD II.2.460, zitiert nach Downes
2000: 640)
Fontane selbst beschreibt den Entstehungsprozess von Effi Briest zunächst als das nahezu
automatische Niederschreiben des Gerüstes (vgl. Downes 2000: 633ff). Die oben genannte
zündende Idee wird dann aber in einem langen Prozess der Überarbeitung dem selbst aufgestellten
Diktum des gelungenen realistischen Romans unterworfen, um den künstlerisch-verfremdenen
Effekt aus traditionellen Wahrnehmungsschemata zu erreichen. Diese veränderte Wahrnehmung
auf Welt soll nun entlang folgender Interpretationshypothese nachgezeichnet werden, um letztlich
zu einem „mentale[n] Strukturgitter des Textes“ (Gailberger 2007: 162) zu gelangen: Der Roman
„Effi Briest“ lässt sich lesen als ein durch Gespräche und Diskurse aufgezeigter Widerspruch von
Individuum und Gesellschaft. Er zeigt, dass das Subjekt immer schon gesellschaftlich determiniert
ist. Sowohl durch die „Prosa der Verhältnisse“ (Hegel 1970: 2) an sich, als auch durch die
Introjektion gesellschaftlicher Normvorstellungen durch das Subjekt selbst.
Um diese These zu festigen, wird mit Hilfe der handlungs- und figurenanlytischen Terminologie
von Saupe (2006) und der darstellungsanalytischen Begrifflichkeit nach Petersen (1989)
gearbeitet, wobei die Erzählweise in den Kontext und Schwerpunkt der wissenschaftlichen
Bearbeitung der Figurenanalyse, integriert ist. Die den beiden Autoren entlehnten
strukturalistischen Grundbegriffe werden im Folgenden nicht erläutert bzw. gesondert
gekennzeichnet, da sie als textanalytisches Gerüst Hilfskonstruktionen zur Erschließung des
Romans „Effi Briest“ sind und als bekannt vorausgesetzt werden.
2. Ein weites Feld: Handlungsanalyse
„Sogenannte >interessante Geschichten<, wenn es Einzelvorkommnisse sind, sind gar nicht zu
brauchen; es kommt immer auf zweierlei an: auf die Charaktere und auf ein nachweisbares oder
poetisch zu muthmaßendes Verhältnis von Schuld und Strafe. Hat man das, so findet der, der sein
Metier versteht, alles andre von selbst“ (Fontane IV.2.570, zitiert nach Aust 2000: 437)
Theodor Fontanes Roman „Effi Briest“ entsteht zwischen 1888 und 1894 und ist an die
Ehebruchs- und Duellaffäre um Elisabeth von Ardenne, geb. von Plotho angelehnt (vgl. Aust
1998: 157). Fontane hat den Stoff poetisch verfremdet, die Liebes- und Leidensgeschichte seiner
Protagonistin Effi Briest umfasst deren kurzes Leben von jungen 17 Jahren bis zum Alter von
knapp 29 Jahren, während das reale Vorbild 99 Jahre erreicht (vgl. Steinbach 2004: 7).
Das Werk ist in drei zentrale Episoden eingeteilt. In den Episoden lässt sich ersehen, dass alle
Figuren im Konflikt mit der „Poesie des Herzen und der entgegenstehenden Prosa der
Verhältnisse“ (Hegel 1970: 2) leben müssen. Dieser Widerspruch bzw. diese übergeordnete
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Komplikation manifestiert sich in verschiedenen miteinander verknüpften Teilkomplikationen,
wobei im Rahmen dieser Arbeit nicht alle Teilkomplikationen beleuchtet werden können.
Die erste Episode kennzeichnet die unbeschwerte Jugend Effis in Hohen-Cremmen. Nicht ohne
Grund beschreibt ein neutraler Narrator detailliert den Garten des Herrenhauses von Briest als
idyllisch: „Fronthaus, Seitenflügel und Kirchhofsmauer bildeten ein einen kleinen Ziergarten
umschließendes Hufeisen (sic!), (…)“ (Fontane 2008: 7). In dieser Umgebung kann Effi eine
gewisse Freiheit erleben. Der prinzipientreue Innstetten bricht nun in dieses Paradies als
potentieller Ehemann ein. Auch wenn durch die anstehende Heirat zwischen Innstetten und Effi
diese Freiheit bedroht wird, so ergibt sich hieraus noch keine Komplikation. Die Frage, wie Effi
sich zu der anstehenden Vermählung stellt, bleibt ungeklärt. Der freundschaftliche Zuruf „Effi
komm“ (ebd.: 18) entbindet sie von einer Antwort. Effi fügt sich widerstandslos in ihre
gesellschaftlich vorgezeichnete Laufbahn. Die möglichen inneren Komplikationen Effis werden in
dem Gespräch mit ihren Freundinnen nur angedeutet. Es ist jedoch nicht Effi, der im Hinblick auf
die anstehende Hochzeit bang wird, sondern ihrer Freundin Hertha. Effi antwortet auf die Frage,
ob er denn der Richtige sei: „Jeder ist der Richtige. Natürlich muss er von Adel sein und eine
Stellung haben und gut aussehen“ (ebd.: 20). Aus Vernunftgründen akzeptiert Effi diese
arrangierte Ehe.
Die erste Komplikationshandlung wird in Form einer Vorgeschichte durch Effi selbst berichtet
und umfasst die vergangene Beziehung zwischen Geert von Innstetten und Luise, jetzige von
Briest. Innstetten hat damals nicht das notwendige Ansehen und Vermögen gehabt, um die Mutter
gewinnen zu können. Der Konflikt wird negativ aufgelöst, da sich Effis Mutter letztendlich für
eine Vernunftehe mit dem wohlhabenden und angesehen von Briest entschieden hat. Diese
Komplikationshandlung ist einer der Beweggründe Innstettens für die Hochzeit mit Effi. „Sie hat
es nicht sein können, nun war es statt ihrer die Tochter“ (Fontane 2008: 19).
Die zweite Episode umfasst Effis Erlebnisse nach der Hochzeit mit dem bedeutend älteren
Ehemann Innstetten im hinterpommerischen Kessin, einem kleinen, konservativen, verschlafenen
Städtchen, dessen höchstes (kulturelles) Gut das Stadtfaktotum Gieshübler darstellt, der aber
gleichzeitig ein körperlich stigmatisierter Mensch mit hoher psychischer Sensibilität ist. Weder
Innstettens Hoffnungen auf ein treu-liebende Frau noch Effis Hoffnungen auf Amüsement werden
erfüllt. Der Landadel präsentiert sich als ausgeprägt konservativ-nationalistisch und ergeht sich in
ausgiebigen kulturpessimistischen „Philistereien“ (Fontane 2008: 66). In der so genannten
Chinensen-Spuk-Begebenheit drücken sich sowohl Effis Einsamkeit und ihre Anfälligkeit für
Aberglaube und Mystik aus als auch Innstettens erzieherische Ambitionen. Effi erlebt nun – wie
in dem symbolträchtigen gleichnamigen Theaterstück, das von Crampas (sic!) initiiert wird, – den
„Schritt vom Wege“ (Fontane 2008: 144) und geht halb naiv, halb wissend um die Konsequenzen
eine Affäre mit dem (noch älteren) und bereits aus vorangegangenen Duellerfahrungen
gezeichneten Don Juan ein. Dabei ist der Verführungsprozess in Gedichten von Heine
ausführlich, die Affäre selbst nur in Andeutungen dargestellt.
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Die dritte Episode wird durch einen räumlichen Bruch mit Kessin und den dortigen
Verstrickungen eingeleitet. Innstettens Aufstieg in der Karriereleiter – er wird Ministerialrat –
führt das Ehepaar Innstetten in die Großstadt Berlin, wo sie sich in 6 ½ Jahren eine
gesellschaftlich hoch anerkannte Existenz aufbauen. Ein Zufall bzw. eine nostalgische
Anwandlung entscheidet über Effis Schicksal: Die alten Liebesbriefe von Crampas werden von
Innstetten gefunden. Wie Effis Kurbegleiterin in einem Brief an eine adelige Freundin lässt sich
treffend fragen: „Es ist unglaublich – erst selber Zettel und Briefe schreiben und dann auch noch
die des anderen aufbewahren! Wozu gibt es Öfen und Kamine?“ (Fontane 2008: 258). Innstettens
innerer Entscheidungsprozess wird nicht explizit dargestellt, allerdings wird in einem
moralträchtigen Dialog zwischen ihm und seinem preußischen Amtskollegen die Entscheidung für
oder gegen ein Duell dialektisch diskutiert. Innstetten entscheidet sich für das Duell, das mit dem
Tod von Crampas endet. Für Effi folgt nach der Trennung des Ehepaares eine Zeit der
Entbehrungen, wobei lediglich ihre treusorgende Dienerin Roswitha und der Damendoktor
Rummschüttel ihr Gesellschaft leisten. Sie selbst ist nicht in der Lage, sich eine sinnhafte Existenz
außerhalb ihres Standes aufzubauen. Diese Episode kumuliert in einem Treffen mit ihrer Tochter
Anni, die ihr durch die Erziehungsmethode von Innstetten und dessen Dienerin Johanna
entfremdet worden ist. Die dritte Episode wird durch einen Bittbrief des Hausarztes an Effis
Eltern eingeleitet, den diese mit dem Telegramm „Effi komm!“ (Fontane 2008: 227) beantworten,
wodurch Effi schließlich einen mit der Gesellschaft und deren Forderungen versöhntes
Lebensende in Hohen-Cremmen findet. Der Roman endet also dort, wo er begonnen hat,
unterbrochen werden die einzelnen Episoden wiederholt durch Rückblenden im Rahmen von
Gesprächen der Eltern, die sich mit der Ehe und der problematischen Charakterkonstellation von
Effi und Innstetten auseinandersetzen, wobei der Vater Briest die Gespräche wiederholt mit den
Worten „es ist ein weites Feld“ (Fontane 2008: 37) ausklingen lässt.
„Effi wird zum Opfer preußischer Lebensauffassungen, die das Freiheitsbedürfnis des Menschen
unterdrückt oder ihn dafür bestraft“ (Grawe 1996: 164). Gleichzeitig wird aber auch Innstetten
Opfer eben dieser Verhältnisse, wenn er ein Duell durchführt, das eben nicht aufgrund emotionalrachsüchtiger Momente, sondern aufgrund eines „tyranisierende[n] Gesellschafts-Etwas“
(Fontane 2008: 236) vollzogen wird. Neben der Zerstörung von Effis Gesundheit und Innstettens
Zufriedenheit wird aber auch das friedvolle Glück von Effis Eltern durch ihren „Schritt vom
Wege“ (Fontane 2008: 144) zerstört, insbesondere die Mutter leidet unter dem Verzicht auf
gesellschaftliche Kontakte – nicht zuletzt deshalb, weil das gesellschaftliche Ansehen ein Grund
für den Verzicht auf eine Ehe mit dem jungen und geliebten Innstetten zugunsten einer Heirat mit
dem damals bei weitem älteren, reicheren und gesellschaftlich angeseheneren Briest gewesen ist.
Die Verschränkung der Einzelschicksale, verbunden mit der Reproduktion familiärer Muster, die
sich lediglich in Form einer metadiegtischen Erzählung am Romananfang durch Effi zeigen,
machen deutlich, dass es sich hier um eine ergänzende Teilkomplikation im Rahmen des
Herzstücks der Komplikationen - die Affäre von Effi mit Major Crampas und deren
Konsequenzen- handelt. Der Erzähler spiegelt diese zentrale Komplikation allerdings in seinen
Nebenfiguren auf der Ebene einer anderen Gesellschaftsschicht wieder. Beispielhaft wird dies in
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der Figur der katholischen Dienerin Roswitha sichtbar, die aus dem elterlichen Haus vertrieben
und der ihr uneheliches Kind entzogen wird.
Das Grundelement für die zentrale Komplikation ist Effis Temperament: Die „Tochter der Luft“
(Fontane 2008: 8) liebt das Risiko. Die Schaukel vermittelt symbolhaft das Gefühl risikobereiter
Leichtigkeit verbunden mit der Gefahr eines möglichen Absturzes. Dieses wetterwendische
Temperament trifft auf einen etwas hölzernen, prinzipiengeleiteteten, nüchtern-sachlichen
Charakter wie Innstetten, dessen Handlungen eigentlich durch „kollektive Verhaltensmuster“
(Wende 2000:150) bestimmt sind und der Effis hochstehende Erwartungen an die
Annehmlichkeiten und kleinen Huldigungen in der Ehe nicht erfüllen kann. Zudem poinitiert Effis
Mutter einen weiteren Faktor der Komplikation mit der Frage: „(…) ob sie nicht doch vielleicht zu
jung war?“ (Fontane 2008: 295). Und schließlich kommt man nicht umhin den Seitensprung Effis
als Ursache für das Scheitern von Effis Ehe, Ansehen und Lebensperspektive zu sehen und das
mit einem Mann, den sie „nicht einmal liebte“ (Fontane 2008: 275) und dem sie lediglich
aufgrund seiner sensiblen, psychologisch-manipulativen Verführungskünste, aus Langeweile und
Einsamkeit erliegt. Effis zentrales ideelles Gut, ihre Freiheit, verbunden mit dem Genuss von
Annehmlichkeiten der gehobenen Schicht sowie mit Amüsement, wird durch ihre doppelte
Verbannung geschädigt: Zunächst verliert sie ihre kindlichen Freiheiten an der Seite Innstettens in
Kessin, für den sie (auch) Prestigeobjekt sein soll, und muss sich in die konventionellen
Unterhaltungen des Landadels fügen. Dann führt ihr Mangel an Annehmlichkeiten und
Zärtlichkeiten seitens von Innstetten sie in eine mehr-oder-weniger gewollte Affäre, die
kurzfristig positiv aufgelöst wird, denn Effi emanzipiert sich durch diese Affäre ein Stück weit
von ihrem erziehenden Ehemann. Langfristig führt der Seitensprung allerdings zu einer negativen
Auflösung: nachdem die Beziehung zu Crampas bereits jahrelang beendet ist, folgt auf das
Auffinden der Briefe die Verbannung aus dem gesellschaftlichen Leben. Innstettens ideelles Gut,
das man vielleicht annäherungsweise dem kategorischen Imperativ zuordnen könnte – Pflichtethik
gekoppelt an preußische Prinzipien -, sein Ehrbewusstsein und sein Karriereehrgeiz - werden
durch den Seitensprung zunächst geschädigt, allerdings rehabilitiert er sich durch das
„erfolgreiche“ Duell. Der Mangel an personalem Gut, nämlich die unerfüllte Liebe zu Effis
Mutter, ist jedoch bereits negativ aufgelöst worden. Sein Versuch „[w]enn’s die Mutter nicht sein
konnte, muß es die Tochter sein“ (Fontane 2008: 20), erfüllt nicht seine innere Sehnsucht, eine
Frau zu gewinnen, die mit ihm in den Tod ginge: „Freilich, wenn ich dann stürbe, nähme ich dich
am liebsten mit“ (Fontane 2008: 56). „Innstetten kann Effi heiraten, weil er sich verändert hat,
aber weil er sich verändert hat, kann er als Ehemann seine Frau nicht befriedigen“ (Downes
2008: 641).
Eine weitere Teilkomplikation stellt die Entfremdung Effis von Ihrer Tochter Anni dar. Man
könnte das Mutter-Tochter-Verhältnis als ein personales Gut werten, das sie durch erzieherische
Maßnahmen seitens der Dienerin Johanna oder Innstettens verloren hat. Allerdings könnte diese
Beziehung auch als ideelles Gut gedeutet werden, da die Kontakte mit der Tochter gegen Ende
des Romans als eine leichte Form gesellschaftlicher Rehabilitierung angesehen werden könnten.
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Hinweise dafür, dass es sich nicht um ein personales Gut handelt, gibt die Aussage des neutralen
Narrators zu Zeiten, als Effis sich ihr neues Leben in Berlin einrichtet: „Annis Abwartung und
Pflege fiel Effi selber zu, worüber Roswitha freilich lachte. Denn sie kannte die jungen Frauen“
(Fontane 2008: 206). Weder Innstetten noch Effi haben - ihrer gesellschaftlichen Rolle
entsprechend- die Erziehung ihrer Tochter als persönlich bedeutsamen Auftrag genommen. Das
Kind sollte nach Innsttetens Auffassung ein „liebes Spielzeug“ (Fontane 2008: 98) für Effi sein
und wird zunehmend eher Roswithas und Johannas Tochter als Effis und Innstettens Kind. Die
Frage, wer die Entfremdung von Anni evoziert hat, ob Johanna oder Innstetten, bleibt letztlich
nicht entscheidbar. Es gibt Hinweise darauf, dass die Dienerin Johanna zumindest einen
bedeutsamen Anteil daran hat. Roswithas Äußerung, Johanna sei in Innstetten verliebt, scheint
zuverlässig zu sein und würde die These untermauern, dass Letztere in vorauseilendem Gehorsam
gehandelt hat, andererseits zeigt sich auch bereits während Effis Kuraufenthalt in Ems, dass
Johanna starken Einfluss auf Annis Erziehung des „Anstandes“ (Fontane 2008: 227) und ebenso
als Lehrermeisterin für den Verhaltenskodex eines Fräuleins von Stand hat (vgl. ebd.). Das Gut,
ob nun personal oder ideell, wird jedenfalls in der Konfrontationsszene zwischen Effi und Ihrer
Tochter eindeutig negativ aufgelöst und gipfelt in Effis Ausbruch: „Mich ekelt, was ich getan;
aber was mich noch mehr ekelt, das ist eure Tugend“ (Fontane 2008: 275).
3. Jeder quält seine Frau: Das Ehepaar Innstetten
„Man muß Vordergrunds-, Mittelgrunds-, und Hintergrunds-Figuren haben und es ist ein Fehler
wenn man alles in das volle Licht des Vordergrundes rückt. (…) Die Personen müssen gleich bei
ihrem ersten Auftreten so gezeichnet sein, dass der Leser es weg hat, ob sie Haupt- oder
Nebenpersonen sind. Auf das räumliche Maß der Schilderung kommt es dabei nicht an, sondern
auf eine gewisse Intensität, die den Fingerzeig giebt“ (Fontane IV.2.162, zitiert nach Aust 2000:
455)
Entsprechend Fontanes vorgenannter Forderung, setzt der Narrator bereits im ersten Kapitel die
Protagonisten „in das volle Licht“ (ebd.) des Romans. Sowohl Effi als auch Innstetten spielen hier
bereits eine zentrale Rolle, wobei Innstetten indirekt durch Effis „Geschichte mit Entsagungen“
(Fontane 2008: 10) vorgestellt wird. Der Roman folgt chronologisch der Lebensgeschichte Effis,
wobei die theatralisch-symbolische Beerdigung einer untreuen Frau im ersten Kapitel bereits eine
ungewisse Vorausdeutung darstellt, da sie von der Protagonistin selbst initiiert wird.
3.1. Immer am Trapez: Effi Briest
Effi wird im Kontrast zu ihrer blonden und „lymphatischen“ (ebd.) Freundin Hulda als
braunäugige, anmutige junge Kindfrau mit dunklen Haaren dargestellt, sie scheint, um es mit den
Worten von Rummschüttel zu sagen, „[g]anz die Mama“ (Fontane 2008: 199) zu sein. Der
Narrator zeigt allerdings bereits im Eingangskapitel eine Differenz zwischen Mutter und Tochter
auf, während die Mutter fleißig, konzentriert und selbstbeherrscht an der Herstellung eines
Altarteppichs arbeitet, legt Effi die Nadel immer wieder nieder, um „kunstgerechte Beugungen
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und Streckungen“ (Fontane 2008: 8) zu vollziehen. Allerdings kommentiert der auktoriale
Erzähler, dass auch Frau Briest „unter Umständen (…) unkonventionell sein konnte“ (ebd.: 17).
Die Kleidung von Effi aus dem ersten Kapitel, ein „blau- und weißgestreiftes, halb kittelartiges
Leinwandkleid“ (Fontane 2008: 8) mit breitem Matrosenkragen, wird wiederholt erwähnt,
nachdem sie nach ihrer Verbannung wieder in die elterlichen Arme aufgenommen wird (vgl. ebd.:
278). Diese mehrfache Darstellung macht deutlich, dass die Figur Effi statische Elemente
aufweist, in gewissem Sinne bleibt ihr wechselhafter Charakter, ihr himmelhoch jauchzendes und
kurz drauf zu Tode betrübtes Gemüt durch ihre gesamte Lebensgeschichte erhalten. Andererseits
weist sie auch dynamische Momente auf, wenn sie von einem Backfisch zu einer verführerischen
jungen Frau heranreift, was in Innstettens Bemerkung „Effi, du kommst mir ganz anders vor“
(ebd.: 122) und seiner Beschreibung, sie sei nun weniger ein verwöhntes Kind als eine Frau (vgl.
ebd.: 179) deutlich wird.
Neben expliziten Beschreibungen der Person, sie sei übermütig und graziös, besitze „natürliche
Klugheit und viel Lebenslust und Herzensgüte“ (ebd.: 8), wird Effis Charakter auch allegorisch
durch Raum- und Naturbeschreibungen versinnbildlicht. So deutet der „wilde[ ] Wein“ (Fontane
2008: 7f) auch auf Effis Charakter hin: sie ist ein wildes, lebhaftes Kind, eine „Tochter der Luft“
(ebd.) wie Effis Mutter so treffend äußert. Dass diese unbändigen Charakterzüge nicht nur
willkommen sind und durchaus Böses ahnen lassen, wird von Effis Mutter ebenso treffend
formuliert: „Ich beunruhige mich immer, wenn ich dich so sehe…“ (ebd.: 9). Effi scheint zunächst
eine selbstbewusste, an Hochmut grenzende Person ohne Furcht zu sein, die sich leicht von ihren
Assoziationen leiten und ablenken lässt (vgl. ebd.: 11). Ein wiederkehrendes Motiv, das die
Verfassung Effis treffend beschreibt, ist die Schaukel, die der kleine „Schiffsjunge“ (ebd.: 15)
deshalb so liebt, weil sie hoch in die Lüfte schwingen kann und immer der Gefahr des Absturzes
in die Augen sieht. Die Schaukel wird in Kessin zu einem gediegenen Schaukelstuhl (ebd.: 121),
indem Effi bei einer Begegnung mit dem „Herzensbrecher“ (ebd.: 123) Crampas langsam hinund her schaukelt. Und schließlich versucht Effi ihre frühere Lebensfreude in ihren ausgehenden
Lebenstagen in Hohen-Cremmen auf der Schaukel aus Kindertagen vergeblich
wiederzuentdecken (ebd.: 281). Dass die Heirat mit dem deutlich älteren Innstetten den 17jährigen
Backfisch „unvorbereitet“ (ebd.: 17) trifft, wird von Frau Briest selbst benannt und zeigt sich
auch darin, dass sie auch ihre eigene Verlobungsfeier schnell wieder verlässt, um mit den
Freundinnen zu spielen (vgl. ebd.: 20). Die Bedeutung, die Effi Ehe und Liebe beimisst, wird in
ihrer Antwort auf die Freundinnenfrage, ob er denn der Richtige sei, deutlich: „Jeder ist der
Richtige. Natürlich muß er von Adel sein und eine Stellung haben und gut aussehen“ (ebd.: 20).
Sie bewegt sich mit dieser Einstellung in den „konventionalisierten Schablonen ihrer
Gesellschaftsklasse“ (Schmidt 2000: 204), die bereits als „konstitutive Momente [in ihr]
Personenbewusstsein“ (ebd.) gedrungen sind. Dies mag wohl den Anhaltspunkt dafür gegeben
haben zu bestreiten, dass Effi ein „Naturkind“ (Fontane 2008: 37) sei, da sich hier schon die
starken Sozialisationseinflüsse der Familie bzw. ihrer Schicht zeigen (vgl. Müller-Michaelis 2000:
94). Dem ist entgegenzuhalten, dass der Begriff „Naturkind“ nicht im rousseauischen Sinne zu
verstehen ist, sondern eher eine starke Verbundenheit mit den Elementen der Natur, z.B. dem
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Wasser bedeutet. In der oben erwähnten Aussage zeigt sich viel eher, dass auch Effi ihren
Ehemann als Objekt behandelt zur Erreichung von gesellschaftlichem Ansehen – wie vormals ihre
Mutter den alten Briest. Dass Effis Wesen auch von Oberflächlichkeit geprägt ist, zeigt sich
zudem an ihren Briefen an Innstetten vor der Hochzeit, die von „reizend nichtigen“ (Fontane
2008: 22) Inhalten zeugen. Zudem deutet ihre Zusammenstellung der Aussteuer an, dass sie wenig
Sinn für praktische Dinge, aber einen Hang zur Extravaganz hat, denn „wenn es aber
ausnahmsweise mal wirklich etwas zu besitzen galt, so musste dies immer was ganz Apartes sein“
(ebd.: 24). Ihre Mutter attestiert ihr darüber hinaus „Vergnügungssucht und Ehrgeiz“ (ebd.: 40)
und verweist darauf, dass Effi „was Rabiates“ (ebd.) habe – ironischerweise beschreibt Frau v.
Briest damit auch sich selbst, die doch in gewisser Weise fast kaltblütig und rabiat, Innstetten
zugunsten des angesehenen Briest abgeschoben hat. Wovor sich die junge Frau am meisten
fürchtet, ist Langeweile und genau das wird ihr schließlich in Kessin geboten. Der „mittelmäßige“
Adel, bei dem sogar Effi als „rationalistisch angekränkelt“ (ebd.: 65) gilt, kann ihre hohen
Erwartungen an Zerstreuungen nicht erfüllen. Ihr Ehemann, der als ihr Gegenspieler aufgefasst
werden kann, ist ihr selbst zufolge „frostig wie ein Schneemann“ (ebd.: 67). Ihr wechselhaftes
Gemüt schlägt nun von einem lebensdurstigen Teenager um in ein melancholisch-ängstlich
phantasierendes, abhängiges Kind, das nicht in der Lage ist, seine einsamen Abende in Kessin
sinnvoll zu füllen. Der auktoriale Er-Erzähler verweist affirmativ auf die „[a]rme Effi“, um dann
in personaler Er-Erzählhaltung dicht hinter seine Figur zu treten und zu fragen „Wie sollte sie den
Abend verbringen?“ (ebd.: 69). „Geht es um die inneren Schwierigkeiten der Hauptfigur, so
müssen eben sie dargestellt werden, und dass ist nur mit einer Erzählweise möglich, die dem
Leser einen Blick in das Innere einer Figur gestattet (Innensicht)“ (Petersen 1989: 22) Effi
erkennt nahezu selbstkritisch, aber nur momenthaft, dass sie gar nicht zur großen Dame geeignet
sei (vgl. ebd.:71) und dass sie einen „weiche[n] Charakter“ (ebd. 73) habe. In ihrer Einsamkeit
phantasiert sie sich in die von Innstetten wiederholt eingestreute Spukgeschichte hinein.
Roswitha, die schicksalsgebeutelte Unterschichtfigur, soll Effi aus ihrer Isolation helfen und eine
katholische Mauer gegen Verführung und Aberglauben bieten. Effis mehrdimensionalambivalenter Charakter manifestiert sich u.a. darin, dass das vermeintliche Naturkind im Zuge der
Affäre mit Crampas ein Doppelspiel eingeht, indem sie zwar unter „Kraftanstrengungen“ (ebd.:
163) lügt, aber dennoch mit Bravour „eine Komödie spiel[t]“ (ebd.: 197) – wie auch
Rummschüttel feststellen muss. Wie in Innstetens Traum (vgl. ebd.: 162) versinkt Effi mit und
durch ihren naturgewaltigen Charakter mit Innstettens Gegenspieler Crampas im „Schloom“
(ebd.) der Affäre und ebenso wie sie sich durch die Umstände hineinsinken lässt, so führen auch
die äußeren Ereignisse zur Beendigung der Affäre. „Sie fürchtete sich und war doch zugleich wie
in einem Zauberbann und wollte auch nicht heraus“ (ebd.: 162). Der Narrator verwendet
zeitraffendes Erzählen bzw. Aussparrungen an Stellen, die für gewöhnlich als bedeutsame
Lebensereignisse gewertet werden, so wird die Hochzeit selbst, die Geburt der Tochter Anni
sowie deren Taufe und die sexuellen Implikationen der Affäre selbst ausgespart – im Sinne
Saupes (2006: 139) werden hier Ereignisse entgegen der Lesererwartung als weniger wichtig
deklariert. In einem zeitdeckenden Selbstgespräch stellt sich Effi einem inneren Tribunal, dass ihr
in diesem klarsichtigen Moment deutlich macht, dass sie weder die „richtige Reue“ (ebd.: 219),
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noch den rechten „Scham“ (ebd.) habe. Auf einer immer noch nahezu kindlichen Moralstufe im
Sinne Kohlbergs (vgl. Baumgart 2004: 183f), hat sie nach wie vor eher Angst vor Strafe, als
Schuldgefühle im Sinne einer prinzipiengeleiteten oder utilitarischen Moralebene. In ihren
Todesstunden vergibt sie sowohl Gott als auch den Menschen und somit, dies darf gedeutet
werden, nicht nur Innstetten, sondern auch sich selbst (vgl. ebd.: 293).
3.2. Der Mann von Charakter: Geert von Innstetten
Der 38jährige Jurist Geert von Innstetten, der sich im Krieg 1870/71 das eiserne Kreuz verdient
hat und inzwischen zum Landrat im hinterpommerschen Kessin aufgestiegen ist und als vertrauter
Freund Bismarcks vorgestellt wird, hat nach dem gescheiterten Werben, um Effis Mutter zwar
keinen Suizid begangen, aber „ein bisschen war es doch so was“ (ebd.: 13). Der „schlanke,
brünette“ (Fontane 2008: 18) Mann von „militärischer Haltung“ (ebd.) erkennt dass nur
beruflicher Erfolg ihm dauerhaftes Glück verheißen könne. Und in gewissem Sinne scheint ihm
durch die Hochzeit mit der Tochter auch dieses verspätete Glück gegeben. Entgegen seiner sonst
rational-kalkulierenden Art wählt er seine junge Braut eher nach emotionalen Gesichtspunkten –
obwohl sie ihm auch als Prestigeobjekt Stimmen in Kessin sichern soll. Auch wenn Instetten sich
selbst fernab von allem Abergläubischen sieht, bleiben die Worte „Effi komm!“ (ebd.: 21), die
repetitiv im Roman aufgenommen werden und damit nach Saupe (2006: 140) unterschiedliche
Interpretationen anbieten, ihm doch im Gedächtnis und er sieht darin ein Zeichen –
möglicherweise ahnt er bereits hier, dass Effi und er ein ungleiches Paar sein werden. Die Worte
von Effis Vater zu seiner Frau scheinen sich durch den Verlauf des Romans zu bestätigen:
„Überhaupt hättest du besser zu Innstetten gepasst“ (ebd.: 37). Innstetten als „Mann der feinsten
Formen“ (ebd.: 32) hält von Anbeginn immer sein Wort. Wie er Effi versprochen hat, schreibt er
regelmäßig Briefe, die allerdings nicht dem entsprechen, was Effi durch Geburtstagskarten und
andere Formen der Huldigung gewöhnt ist. Für sie lesen sich seine Briefe wie „landrätliche
Verordnungen“ (ebd.: 33). Und auch seine liebevollen, wenn auch ungelenken Versuche, Effi zu
verwöhnen, gehen an ihren Erwartungen vorbei. „Er will mir ja schon Schmuck schenken in
Venedig. Er hat keine Ahnung davon, dass ich mir nichts aus Schmuck mache“ (ebd.: 34).
Sowohl Niemeyers Beschreibung von Innstetten als „Mann von Charakter, ein Mann von
Prinzipien“ (ebd.: 35) ja, gar von „Grundsätzen“ (ebd.) ist zutreffend, als auch Effis Ängste und
ihre eigene Kontrastierung dazu – „Ach, und ich…ich habe keine“ (ebd.: 35). Und Ihre Furcht vor
seinen Grundsätzen ist letztlich berechtigt. Als ehrgeiziger und fleißiger preußischer Beamter – er
arbeitet bereits kurz nach der Hochzeitsreise und auch im Urlaub – ist er ein typischer Vertreter
seiner Zeit und in diesen von Niemeyer so treffend beschriebenen Charakterzügen auch statisch.
Aber es scheint – und darin zeigen sich unbewusste Wünsche und die Mehrdimensionalität seines
Charakters, dass er sich von dieser Ehe mehr erhofft als nur eine repräsentative Frau, die seinen
Ehrgeiz teilt. Auch er wünscht sich, als Mensch, als Mann und als Geliebter gesehen zu werden,
was u.a. in seinem abgebrochenen Satz an seine frisch vermählte deutlich wird: „Mir liegt nicht
daran, die Respektsperson zu sein, das bin ich für die Kessiner. Für dich bin ich …“ (ebd.: 52).
Seinen eigenen Worten ist hinzuzufügen, dass Innstetten das Schicksal, eine mehr respektierte als
geliebten Person gewesen zu sein, wohl auch schon unter seinen Kreis von Militärkameraden hat
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erleiden müssen (vgl. ebd.: 130). Der Vater von Effi beschreibt ihn korrekt als „Kunstfex“ (ebd.:
37) und verweist darauf, dass er seine Frau – ungewollt- wohl etwas quälen wird. Parallelen
zwischen der Ehe der Innstettens und den Eltern von Briest zeigen sich in der Antwort der Mutter:
„Jeder quält seine Frau“ (ebd.), was gleichzeitig die Forderung der Mutter nach Anpassung
verdeutlicht. Effis Brief an die Eltern bestätigt dann auch die Ahnung des Vaters, sie schreibt: „Er
ist übrigens engelsgut gegen mich und erklärt mir alles. Überhaupt alles sehr schön, aber
anstrengend“ (ebd.: 41). Etwas böswillig könnte man sagen, dass Innstetten auch etwas
überheblich ist, denn er vergisst auch nach einigen Jahren Ehe nicht, Effi auf ihre mangelnde
Bildung hinzuweisen, als er ihr väterlich-altklug erklärt, wer den Sauerstoff erfunden hat (vgl.
ebd.: 208). Innsteten bemüht sich um seine reizende Frau, überlässt aber die wahre Verwöhnung
dem „Schöngeist und Original“ (ebd.: 51) von Kessin, Gieshübler, der gleich einem Ehemann
Effi mit Aufmerksamkeiten und kleinen Geschenken verwöhnt. Effis Ängsten um den Spuk im
Haus begegnet Innstetten nicht mir liebevoller Güte: Er geht auf Effis Wünsche nicht ein, weder
werden die Gardinen gekürzt, noch wird ein Umzug überhaupt in Erwägung gezogen. Wenn
Crampas auch ein unzuverlässiger Zeuge über Innstettens Charakter ist, da er seine Anspielungen
auf dessen Art und Weise kalkuliert einsetzt, um Effis Entfremdungsprozesse zu forcieren, so darf
seiner Beschreibung in diesem Punkt doch Glauben geschenkt werden: Innstetten nutzt den Spuk,
um Effi anzupassen – oder gar gefügig zu machen. Crampas bringt Innstettens hauseigene
Spukgeschichte in Verbindung mit seinen Karrierewünschen, wonach ein Alltagsmensch in hohen
Kreisen nicht angesehen ist und sich deshalb etwas „Apartes“ (ebd.: 131) wie ein Spuk anbietet.
Crampas beschreibt Innstetten als kaltblütigen Karrieremenschen und „geborene[n] Pädagoge[en]
„ (ebd.: 133) und sät damit geschickt Zweifel an der Integrität ihres Ehegatten bei Effi. Crampas
ist nicht nur Innstettens Gegenspieler um die Gunst seiner Gattin, dessen liebevoller Vorschlag, in
ruhigen Abendstunden die Hochzeitsreise wieder aufleben zu lassen, zugunsten des spannenderen
„Wechsel der Dinge“ (ebd.: 144), des Theaterstücks „Schritt vom Wege“ (ebd.) fallengelassen
wird. Innstettens Beschreibung von Crampas entspricht einer Kontrastierung zu seiner eigenen
Person. Auf Crampas sei „kein rechter Verlaß“ (ebd.: 147) – auf Innsteten dagegen immer, er ist
nahezu berechenbar, Crampas sei eine „Spielernatur“ (ebd.: 147), während Innstetten „das
>Moralische< zur Maxime seines Handelns gemacht [hat], er ist davon überzeugt, dass es ohne
>Gesetz< und ohne >Zucht und Ordnung nicht geht<“ (Wende 2000: 150). In einem Punkt
weisen beide Figuren allerdings auch Parallelen auf: Für beide ist Effi nur Mittel zu ihren
Zwecken, nur Objekt, für den einen um seine hedonistische Lebensphilosophie zu leben, für den
anderen, um zu repräsentieren und seine in der rigiden Gesellschaft unterdrückten emotionalen
Wünsche zu befriedigen
Im Gegensatz zu dem einfältig-nationalistischen Landadel ist Innsteten national ohne
nationalistisch zu sein. Die Karikierung des Landadels durch den Narrator wird intertextuell an
der „Geschichte von den >drei Ringen<“ (Fontane 2008: 155), sprich einem Vorzugsstück des
Autors Fontane, der Lessings Nathan den Weisen als „Frucht eines erleuchteten Geistes“
(Fontane 1975: 178) betrachtet, deutlich. So wird die patriotische Rede von Herrn Güldenklee
über diesen „liberalen Krimskrams“ (Fontane 2008: 155), die im Preußenlied gipfelt durch
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Innstetten ironisiert. Auf den Satz, dass man so etwas in anderen Ländern nicht hätte, antwortet er
lapidar: „Nein, (…) in anderen Ländern hat man was anderes“ (ebd.: 155) und der Narrator
betont in Form eines Erzählerkommentars noch, dass Innstetten „von solchem Patriotismus nicht
viel hielt“ (ebd.). Neben seiner rational-militärischen Haltung, die ihm von manchen Autoren auch
als „seelische Grausamkeit“ (Steinbach 2004: 36) ausgelegt wird, ist auch Innsteten ein auf seine
Art liebender und eifersüchtiger Mann. Deutlich wird dies, als Effi sich bei seiner
Benachrichtigung, dass er zum Ministerialrat in Berlin berufen worden sei, verräterisch äußert und
er sich verfärbt. Aus seinem Gedankenzitat „Was war das?“ (Fontane 2008: 182) und seiner
Reaktion spricht eine starke, wenn auch kontrollierte Emotionalität.
Das Auffinden der Liebesbriefe von Crampas aus der Kessiner Zeit und deren Konsequenzen
werfen ein besonders intensives Licht auf Innstettens Haltung und Weltsicht. „Die
Erzählperspektive ist weder überblickend-allwissend, noch gibt sie uns die Gedanken der Person;
sie hält auf Distanz, aber dies ist keine Distanz, die von einem umfassenden Standpunkt aus
objektive Erkenntnis sichert. Die Perspektive nähert sich der Person, teilt deren Unsicherheiten,
sie streut Partikel subjektivierender Wahrnehmung ein, nähert sich in einigen Phrasen indirekter
Rede, ohne jedoch in einen inneren Monolog überzugehen – es bleibt eine Außenperspektive“
(Renz 1999: 32) Wie durch ein filmisches Objektiv nähert der Narrator sich von einer
subjektivierten auktorialen Feststellung über Innstettens Blick in personaler Er-Erzählung den
Briefen an: „Von deutlichem Erkennen konnte keine Rede sein, aber es kam ihm doch so vor, als
habe er die Schriftzüge schon irgendwo gesehen“ (ebd.: 231), um dann in erlebte Rede zu
münden: „Ob er nachsehen sollte?“ (ebd.). Die Antwort ist eingeflochten und impliziert in dem
an die Dienerin gerichteten Nachsatz zur Erlaubnis eines Kaffees für die Tochter: „(…), was nicht
verboten ist, ist erlaubt“ (ebd.) und lässt ihn damit zur Begründung seines eigenen Handelns
werden (vgl. Renz 1999: 40). Die Innensicht Innstetens – „in seinen Kopf begann sich alles zu
drehen“ (Fontane 2008: 231) – wird kontrastiert mit einer extremen Form der Außensicht.
Innstetten verlässt den Raum und der Leser bleibt mit seinen verunsicherten Dialogpartnern
draußen vor der Tür. Der innere Entscheidungsprozess Innstettens wird dem Leser vorenthalten.
Zeitraffend wird lediglich von einem neutralen Er-Erzähler konstatiert: „Es vergingen Stunden“
(ebd.: 232). In Form einer minimalen Rückblende werden die vergangenen Ereignisse dann über
eine Photographie des „Schritt vom Wege“ (ebd.) wiederbelebt. Innstetten hat die Briefe
vorsortiert, was seinem Wesen nach Ordnung der Dinge entspricht. Gleichzeitig wird so der erste
Brief zu einer Antwort auf den zweiten, zur Erklärung dessen, was das „Beste“ (ebd.: 233) im
Leben ist.
Die „naive Vorfrage“ (ebd.: 233) mit der das dialektische Gespräch über die Berechtigung des
Duells zwischen Wüllersdorf und Innstetten eingeleitet wird – „muß es sein?“ (ebd.)- wird zum
Leitmotiv des Dialoges. Während Wüllersdorf noch persönlich mit dem Alter und den
vergangenen Jahren argumentiert, übersetzt der Staatsbeamte Innstetten dieses Argument in einen
juristischen Fachjargon und spricht von „Verjährungstheorie“ (ebd.: 234), also einen den Regeln
des Rechts unterworfenen Diskurs (vgl. Renz 1999: 26). Die Frage, „ob wir hier einen Fall
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haben, diese Theorie gelten zu lassen“ (ebd.) ist eine „Rechtssuche innerhalb eines klar
festgelegten Gesetzestextes“ (Renz 1999: 26f) und entspricht damit Innstettens
Entscheidungsprozessen, die durch objektive Ordnungen geregelt sein müssen. Wüllersdorf
erkennt Innstettens Dilemma in seiner vollen Tragweite und verbietet sich daher ein „jeu d’esprit“
(ebd.: 234) wie ihn Crampas in seinen Briefen aufzeigt. Er ist in seinem Ernst in gewissem Sinne
eine Kontrastfigur zu Crampas Leichtlebigkeit. Wüllersdorf lässt als Motiv für ein Duell
menschlich-natürliche Regungen gelten, verweist aber auf das doppelt verlorene Lebensglück,
wenn „zu dem Schmerz über empfangenes Leid (…) noch der Schmerz über getanes Leid“ (ebd.)
hinzukommt. Diese Argumentationslinie verneint Innstetten, der „ohne jedes Gefühl von Haß
oder gar Durst nach Rache“ (ebd.: 235) ist und betont, dass er seine Frau trotz allem liebe und ihr
verzeihen möchte. Sein „weil es trotzdem sein muss“ (ebd.) leitet einen neuen Diskurs ein, indem
die gesellschaftlich-objektive Norm angesprochen wird. Er ist sich der Abhängigkeit des
Einzelnen vom Gesellschaftsganzen bewusst und ist sich im Klaren, dass der Einzelne keinen
Anspruch auf individuelles Glück hat. „Aber im Zusammenleben mit den Menschen hat sich ein
Etwas ausgebildet, das nun mal da ist und nach dessen Paragraphen (sic!) wir uns gewöhnt
haben, alles zu beurteilen, die anderen und uns selbst (sic!)“ (ebd.: 236). Hier expliziert
Innstetten, dass das freie Subjekt immer schon gesellschaftlich determiniert ist. Es gibt kein Ich
gegenüber einer Gesellschaftsordnung, sondern das Individuum und die gesellschaftliche
Ordnung sind ineinander verwoben, das Individuum hat die Gesellschaftsnorm introjiziert. „Und
die Gesellschaft verachtet uns, und zuletzt tun wir es selbst und können es nicht aushalten und
jagen uns eine Kugel durch den Kopf“ (ebd.). Innstetten kommt nach alledem zu dem Schluss:
„Ich habe keine Wahl. Ich muß“ (ebd.). Die Kontrolle des Individuums durch die Gesellschaft
wird dann exemplarisch an der konkreten Situation festgemacht, dadurch, dass Wüllersdorf
mitwissender ist, personifiziert sich das „tyrannisierende Gesellschafts-Etwas“ (ebd.) in ihm.
Wüllersdorf stimmt Innstetten in seiner Entscheidung letztlich zu, allerdings empfindet er den
„Ehrenkultus“ (ebd.: 237) als einen „Götzendienst“ (ebd.).
Der Duelltod von Crampas wird dem Leser einerseits in auktorialer-er-Perspektive mitgeteilt:
„Noch ein schmerzlicher und doch beinahe freundlicher Schimmer in seinem Anlitz, und dann
war alles vorbei“ (ebd.: 242). Sie kann zunächst als Einverständniserklärung von Crampas mit
dem Lauf der Dinge, mit den Konsequenzen seines Handelns gelesen werden (vgl. Renz 1999:
33). Innstetten selbst bietet in Form eines inneren Monologes jedoch eine alternative Lesart an:
„Die Grenze, die Grenze. Wo ist sie? War sie da? (…) Wenn ich mir seinen letzten Blick
vergegenwärtige, resigniert und in seinem Elend doch noch ein Lächeln, so hieß der Blick:
>Innstetten, Prinzipienreiterei…<“ (ebd.: 243). Und Innstetten stellt sich selbstkritisch die Frage,
ob er damit nicht Recht hatte, er erkennt, dass er alles nur „einer Vorstellung, einem Begriff
zuliebe“ (ebd.) getan hat. In gewissem Sinne ist er sich dabei selbst treu geblieben, statisch wenn
man so will, andererseits ist er geprägt von inneren Widersprüchen, der Infragestellung der
Ordnungen, die er selbst befürwortet, also eine mehrdimensional-zweifelnde Figur, die lediglich
mit der von Wüllersdorf vorgeschlagenen „skandalösen Lebensphilosophie“ (Grawe 1996: 342)
der „Hülfskonstruktionen“ (Fontane 2008: 289) (über-)lebt.
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4. Tyrannisierendes Gesellschafts-Etwas: Schlusswort zum Menschen- und Weltbild
Fontanes Gesellschaftsroman „Effi Briest“ will im Sinne des bürgerlichen Realismus „nicht die
bloße Sinnenwelt und nichts als diese; er will am allerwenigsten das bloß Handgreifliche, aber er
will das Wahre“ (Fontane 1975: 179f). Dabei zeigt sich dieses „Wahre“ sowohl in den
gesellschaftlich deformierten Charakteren der Protagonisten – aber auch im Besonderen in den
Nebenfiguren, die ironisch überzeichnet den Zeitgeist repräsentieren, wie exemplarisch am
Patriotismus eines Güldenklee aufgezeigt worden ist (Vgl. Steinbach 2004: 73ff). Die Waffe, mit
der die Figuren ihren eigenen Selbstmord inszenieren, ist ihre Zunge, sie sterben sozusagen an der
Unzulänglichkeit ihrer eigenen Worte (vgl. Aust 2000: 424) und daran, wie sie die Erwartungen
des anderen dialogisch antizipieren. Anhand der Analyse des Diskurses von Innstetten und
Wüllersdorf konnte entsprechend der Interpretationshypothese der Widerspruch von Individuum
und Gesellschaft aufgezeigt werden. Die Introjektion des „tyrannisierenden Gesellschafts-Etwas“
(Fontane 2008: 236) lässt sich aber nicht nur an Innstettens Zwang zum passiven Duell-„Handeln“
aufzeigen, sondern ist auch Ergebnis der Faktoren, die Auslöser der gesamten
Komplikationshandlung sind, zum Beispiel, indem Effi sich widerspruchslos –den
gesellschaftlichen Sprachduktus ihrer Schicht wiedergebend – in die Ehe mit Innstetten fügt und
letztlich auch die gesellschaftlichen Sanktionen akzeptiert. Hier zeigt sich deutlich, dass das
Subjekt immer schon gesellschaftlich determiniert ist, sozusagen von Geburt an. Fontanes
Schwerpunkt liegt in dem dramatischen Wechselverhältnis, das in der Handlung und der Reaktion jene Mechanismen freilegt, die das dargestellte Leben in die Krise treiben, wobei Schuld
und Strafe Kontrapunkte bilden, aus dem sich alles Übrige erschließen lässt, weil damit der Nerv
der gesellschaftlichen Konflikte offengelegt wird. Die zentrale Frage ist demnach nicht, ob Effi
sich schuldig gemacht hat oder nicht, sondern welche Entwicklung eine Wirklichkeit nimmt, die
Schuld und Strafe in dieser Weise kombiniert. (Vgl. Aust 2000: 437) In der letztlich
unbeantworteten Schuldfrage macht sich ein schriftstellerisch-technisches Moment geltend, das
anhand der virtuosen Nutzung unterschiedlichster Erzähltechniken auf eine allgemeinere Ebenen
des Menschenbildes, des Gesellschaftsprozesses und Lebensspielraums der Individuen hinweist
(vgl. Aust 2000: 436). Fontane unterzieht sich hierbei seinem eigenen Urteil, wonach „(…) der
Realismus (…) der geschworene Feind aller Phrasen und Überschwenglichkeit“ (Fontane 1975:
177) ist und karikiert selbst den Kern der Geschichte, indem er das gesamte Affären-Geschehen in
dem lapidaren Satz: „Der Schritt vom Wege kam wirklich zustande“ (Fontane 2008: 144)
zusammenfassend vorwegnimmt. Durch diese dialektisch aufhebende Kraft des Humors erreicht
Fontane sein Realismus-Ziel: der „Ausnahmefall“ (Fontane III. I. 547 zitiert nach Aust 2000: 422)
wird seiner Sonderstellung und seines einmaligen Ereignisstatus enthoben und „wir, in gleicher
Lage, hätten denselben Ausnahmefall eintreten lassen“ (ebd.), womit der Forderung eines
poetischen Realismus als „Widerspiegelung des wirklichen Lebens“ (Fontane 1975: 179) wohl
genüge getan ist.
12
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Textinterpretation. In: Gutzen, Dieter et al.: Einführung in die neue
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Geglückte Rede. Zur Erzählstruktur in Theodor Fontanes Effi
Briest, Frau Jenny Treibel und Der Stechlin. München: Wilhelm
Fink Verlag
Steinbach, Gabrielle
(2004):
Effi Briest. Freising: Stark Verlag
späten
Romanen.
In:
I
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre an Eides Statt, dass ich diese Hausarbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst
und keine anderen Hilfsmittel als die angegebenen benutzt habe. Die Stellen, die anderen Werken
dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind, habe ich in jedem Fall durch Angaben der
Quellen, auch der benutzten Sekundärliteratur, als Entlehnung kenntlich gemacht.
Mit ist bekannt: Bei Verwendung von Inhalten aus dem Internet habe ich diese zu kennzeichnen
und mit dem Datum sowie der Internet-Adresse ins Literaturverzeichnis aufzunehmen.
Die Hausarbeit hat keiner anderen Prüfungsbehörde in gleicher oder ähnlicher Form vorgelegen.
Uelzen, den 25. 07. 2008
Hannah Uhle
Unterschrift: ________________________________________________
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