A – Geschichtliche Schlüsseldaten zum Nordirlandkonflikt
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A – Geschichtliche Schlüsseldaten zum Nordirlandkonflikt
Europäische Erinnerungskonflikte II.: Der Bürgerkrieg in Nordirland1 Bremer Europakoffer / Jean Monnet Modul Erinnerungskonflikte Geschichtliche Schlüsseldaten zum Nordirlandkonflikt Bei dem Nordirlandkonflikt handelt es sich um einen Identitäts- und Machtkampf zwischen Loyalisten und Republikaner2, der sich im Wesentlichen auf den Zeitraum 1969-1998 erstreckte. Seine Vorgeschichte beginnt jedoch schon im 12.Jh., als Irland von Normannen und Engländern erobert wurde. Im 17.Jh. besiedelten Schotten und Engländer systematisch den Norden der Insel. Durch die Enteignung der irischen Bevölkerung ausgelöst, kam es wiederholt zu Aufständen, auf die die britische Regierung mit weiterer Entrechtung reagierte.3 1916 kam es in Dublin zum Osteraufstand, im Zuge dessen die Provisorische Regierung Irlands ausgerufen wurde. 1919 begann der Unabhängigkeitskrieg gegen Großbritannien, der 1921 durch den Anglo-Irischen Vertrag beendet wurde. Dieser schrieb dem Süden der Insel gleichzeitig den Status eines Freistaats innerhalb Großbritanniens zu und schürte damit die Angst der Loyalisten, erstere könne sich Ulster4 einverleiben. Es begann eine Phase der Diskriminierung gegen Nationalisten5. 1948 wurde Irland schließlich zu einer Republik, die bis 2001 die Teilung der Insel als vorübergehend betrachtete. Gegen diese Einstellung steht der Act of Ireland (1949), der Nordirland den Verbleib im Vereinten Königreich garantierte. Die schon vorher gespannte Lage wurde in den 1960ern mit der Neuformierung der UVF und dem Auftreten der Bürgerrechtsbewegungen (z.B. NICRA) weiter angeheizt. Im August 1969 eskalierte die Situation schließlich. In Derry stürmten Loyalisten ein republikanisches Viertel und provozierten dessen Bewohner, die sich daraufhin verbarrikadierten. Die gegnerischen Gruppen lieferten sich tagelange Straßenschlachten, die den Beginn sich schnell ausbreitender bürgerkriegsähnlicher Unruhen darstellten. Da die RUC die Lage nicht in den Griff bekam, erhielt sie Unterstützung durch die britische Armee. Im selben Jahr kam es zu einer Spaltung der bis dahin passiven. Ihr militaristischer Flügel (PIRA) erstarkte zunehmend und wurde zu einem erstzunehmenden Gegner in dem guerillaähnlichen Krieg. 1971 führte die IRA erste Angriffe gegen die britische Armee und die RUC. Der 30. Januar 1972 (Blutsonntag) markierte einen Höhepunkt des Nordirlandkonflikts. Britische Fallschirmjäger erschossen bei einer Demonstration in Derry 14 Menschen. Daraufhin wurde das nordirische Parlament aufgelöst und die Provinz direkt von London aus regiert. Schon im Juli kam es zu einem weiteren Höhepunkt der Auseinandersetzungen, als in Belfast und Umgebung in kurzer Abfolge 22 Bomben detonierten (Bloody Friday). Trotz geheimer Gespräche zwischen der IRA und der britischen Regierung dauerte die Gewalt an. 1981 gingen IRA-Gefangene in Hungerstreik, da sie nach dem Ende der Internment-Politik Großbritanniens 1979 keinen Sonderstatus mehr innehatten. Der Erfolg des Streiks auch auf parteipolitischer Ebene veranlasste die Republikaner, 1 Ressourcen in die nächsten Wahlen zu investieren, wodurch Sinn Féin6 an Bedeutung gewann. Die Spirale der Gewalt endete vorläufig im August 1994, als die IRA einen einseitigen Waffenstillstand verkündete. Dieser wurde 1996 jedoch wieder aufgehoben, da ihre Forderung, Sinn Féin in die seit den 1970ern stattfindenden Gespräche mit den unterschiedlichen Konfliktparteien einzubeziehen, nicht erfüllt wurde. Dies änderte sich 1997, womit es zu einem erneuten Waffenstillstand und 1998 zu dem Abschluss des Karfreitagsabkommens7 kam, das den Nordirlandkonflikt formell beendete. Ungeachtet dessen besteht die Spannung zwischen den Volksgruppen weiter. U.a. die Real IRA ist auch weiterhin gewaltbereit und hält am Kriegszustand fest. 2007 gründete die britische Regierung die Consultative Group on the Past, die Vorschläge zu einer gesamtgesellschaftlichen Aussöhnung in Nordirland erarbeiten sollte. Ihr Abschlussbericht von 2009 löste jedoch eine kontroverse Debatte aus. Im Februar 2010 wurde die Zuständigkeit für Polizei und Justiz der Leitung eines Nordirischen Justizministers unterstellt. Quellen http://www.bbc.co.uk/history/recent/troubles/the_troubles_article_01.shtml (Zugriff am 28.7.2010) Busch, Dominic (1999): Die Vergangenheit als Tabu – Eine sprachliche Analyse des Vergangenheitsdiskurses in den Printmedien Iralnds. Text abrufbar unter http://studweb.euvfrankfurt-o.de/~euv-5127/irlandtabu.htm (Zugriff am 28.7.2010) http://cain.ulst.ac.uk/index.html (Zugriff am 28.7.2010) http://www.sibilla-egen-schule.de/konflikt/nordirl/nordir.htm (Zugriff am 28.7.2010) http://www.sorsch.de/Nordirlandkonflikt.html (Zugriff am 28.7.2010) mögliche Arbeitsaufträge: http://www.lehrer-online.de/281985.php?sid=46864128488183832528031503150190 (Zugriff am 28.7.2010) 2 Zur rechtlichen und politischen Aufarbeitung des Nordirlandkonflikts Ein Ansatz der rechtlichen und politischen Aufarbeitung des Nordirlandkonflikts ist die Gründung der Consultative Group on the Past durch die britische Regierung (2007), die Vorschläge zu einer gesamtgesellschaftlichen Aussöhnung in Nordirland erarbeitete. Ihr Abschlussbericht von 2009 löste eine kontroverse Debatte aus, da er unter anderem den Vorschlag enthielt, allen Angehörigen eines durch politische Gewalt getöteten Menschen eine Anerkennungspauschale zu zahlen, unabhängig davon, ob dieser Zivilist, oder Mitglieder eine paramilitärischen Gruppierung war. Des Weiteren enthält der Bericht den Vorschlag, eine legacy commission einzusetzten, die sich mit der Frage, wie der Konflikt am geeignetsten zu erinnern sei, auseinandersetzten soll. Darüber hinaus soll sie ein Forum der Versöhnung umfassen und bevollmächtigt sein, Straftaten die im Zusammenhang mit dem Nordirlandkonflikt stehen, zu verfolgen8. Ein weiterer Schritt in Richtung Aufarbeitung wurde im Juni 2010 mit der Veröffentlichung des Saville-Reports getan. Dieser wurde von einer 1998 von Großbritanniens Premierminister Tony Blair ins Leben gerufenen Kommission, die sich mit den Ereignissen am 30. Januar 1972 (Blutsonntag) befasste, veröffentlicht. Unter anderem erkennt dieser Bericht an, dass am Blutsonntag britische Fallschirmjäger das Feuer auf Demonstranten in (London-)Derry zuerst eröffneten, ohne provoziert worden zu sein und dass sie auf flüchtende, unbewaffnete Zivilisten schossen9. Es ist möglich, dass der Bericht als Grundlage für Anklagen gegen damals beteiligte Soldaten verwendet wird. Anlässlich der Veröffentlichung des Saville-Reports entschuldigte sich Premierminister David Cameron in einer Rede vor dem Unterhaus öffentlich im Namen der britischen Regierung und des ganzen Landes für die Taten der britischen Armee am 30. Januar 197210. Kulturelle Repräsentationen des Nordirlandkonflikts Besonders in den Nordirlandkonflikt11. Straßen Nordirlands erinnern zahlreiche Graffitis an den Musikalisch wird der Konflikt unter anderem in dem Lied Zombies von den Cranberries12, sowie in Paul MacCartney’s Give Ireland back to the Irish13 thematisiert. Graffitis und das Lied der Cranberries stellen besonders für Jugendliche einen guten Zugang zu der Thematik dar. Des Weiteren erinnern zahlreiche Gedenksteine unter anderem in (London-)Derry an die Gefallenen14. Auch in Filmen und Dokumentationen wird der Nordirlandkonflikt thematisiert 15. Ein Beispiel ist die BBC Produktion Soldaten der IRA. Weitere Titel sind Michael Collins, Im Namen des Vaters, Der Boxer, The Wind that shakes the Barley, Bloody Sunday, Mütter und Söhne, The Crying Game, Omagh, Ryans Tochter, Cal und Geheimprotokoll. 3 Öffentliche Debatten über den Nordirlandkonflikt Unter anderem aufgrund seiner langwierigen Folgen wird der Nordirlandkonflikt auch heute noch in den Printmedien diskutiert. Dort werden ideologische Standpunkte durch Wortwahl und Satzbau deutlich. Die direkte Bezugnahme auf die Gewaltakte in der Vergangenheit wird weitgehend vermieden. So umschreibt der Belfast Telegraph den Beginn des Nordirlandkonflikts durch die Metapher einer Bombenexplosion16. Die englische Bezeichnung conflict17 und The Troubles18 können als euphemistische Beschreibung der bürgerkriegsähnlichen Zustände von 1969-1998 gesehen werden. Des Weiteren werden unter anderem von der Sunday Tribune die Sorgen um den Wiederbeginn geäußert19. Der Friedensprozess wurde sprachlich vorsichtig begleitet. Neben seiner Eigendynamik werden die Vorbereitung auf die Zukunft, nicht die Nachbereitung der Vergangenheit hervorgehoben. Um die Fatalität eines möglichen Scheiterns des Friedensprozesses zu verschleiern werden Metaphern aus den Bereichen Fahrzeuge20, Theater und Sport21 verwendet. Begriffe in Anführungszeichen drücken zum Beispiel die Meinung aus, die politische Landschaft Nordirlands sei instabil 22. Es wird versucht, Schuld- und Verantwortungszuweisungen zu umgehen, indem zum Beispiel „Aussagen, deren Inhalt das Voranschreiten des Friedensprozesses negativ beeinflussen könnte, […] häufig anderen Stimmen [zugeschrieben wird], die nicht näher spezifiziert werden.“23 Auch die Diskussion um die Entwaffnung unter anderem der IRA stellte ein zentrales Thema in den Printmedien dar. Zwar wurde eine Selbstentwaffnung der terroristischen Gruppe erhofft, doch nicht für wahrscheinlich gehalten. Der sprachliche Umgang blieb auch bei dieser Thematik vorsichtig und vage. Es wurden zum Beispiel Metaphern aus dem Bereich des Kartenspiels und des Fußballs verwendet. Des Weiteren gebrauchten die Autoren viele Euphemismen und Fremdwörter wie den Begriff decommissioning24. Auch in diesem Fall kam es vor, dass „heikle Aussagen unspezifizierten Sprechern als Zitat [zugewiesen wurden]“25. Die fortdauernden Terrorakte werden weniger thematisiert. In diesem Zusammenhang wird hauptsächlich der Tathergang geschildert. Die direkte Benennung von Terrorgruppen wird vermieden26. Stattdessen werden verschiedenen Terrorgruppen unter dem Begriff paramilitary zusammengefasst. Durch den Vergleich mit offiziellen militärischen Organisationen wird ihre Illegalität verschleiert und sie werden in Nähe von gesellschaftlich akzeptierten Organisationen gerückt. Durch die häufige Verwendung des Begriffs activity wird auf die Gewaltanwendung kein Bezug genommen 27. Über diese wird berichtet, als wären sie Wettererscheinungen, auf welche die Menschen keinen Einfluss haben. 4 1 Hannah Baumeister, BA Integrierte Europastudien, Universität Bremen, 1. 8. 2010. Synonym zu gebrauchen sind auch die Begriffe Unionisten und Protestanten für Loyalisten, sowie Nationalisten und Katholiken für Republikaner. Erstere sind pro-britisch, letztere pro-irisch eingestellt. 3 Als Beispiele sind hier das Strafgesetz von 1695 (Penal Laws) und das Unionsgesetz von 1801 (Act of Union) zu nennen. 4 nordirische Provinz 5 Sie wurde z.B. bei der Vergabe von Arbeitsplätzen und der Zuweisung von Sozialwohnungen deutlich. 6 Irische-republikanische Partei, die eng mit der IRA verbunden ist, dies aber leugnet. 7 Drei der wichtigsten Bestandteile des Karfreitagsabkommens sind die Bereitschaft der IRA, UVF und UDA zur Entwaffnung, die Verringerung der Präsenz britischer Truppen in Nordirland und die Möglichkeit auf eine Wiedervereinigung der Insel, wenn sich die Mehrheit der Nordiren dafür ausspricht. 8 Kearney, Vincent (2009): Dealing with wounds of the past. In BBC Online, 28.1.2009. Text abrufbar unter http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/northern_ireland/7855606.stm (Zugriff am 29.7.2010) Consultative Group on the Past (2009): Report of the Consultative Group on the Past. Text abrufbar unter http://www.irishtimes.com/focus/2009/troubles/index.pdf (Zugriff am 29.7.2010) 9 Report of the Bloody Sunday Inquiry. Text abrufbar unter http://report.bloody-sunday-inquiry.org/ (Zugriff am 29.7.2010) 10 Kielinger, Thomas (2010): Cameron sagt Sorry für ‚Bloody Sunday’. In WELT Online, 16.6.2010 (Text und Video abrufbar unter http://www.welt.de/politik/ausland/article8068971/Cameron-sagt-Sorry-fuer-Bloody-Sunday.html. Zugriff am 29.7.2010) 11 Peacelines: Bilder zum Nordirlandkonflikt. Bilder abrufbar unter http://www.peacelines.de/ (Zugriff am 29.7.2010) 12 The Cranberries: Zombie. Liedtext abrufbar unter http://www.superlyrics.de/29668/songtext/ the_cranberries/zombie.html (Zugriff am 29.7.2010) 13 MacCartney, Paul: Give Ireland back to the Irish. Lied abrufbar unter http://www.youtube. com/watch? v=kaO4XeHhwo8 (Zugriff am 29.7.2010) 14 DRadio Wissen (2010): Zähe Aufarbeitung. Bild abrufbar unter http://wissen.dradio.de/index.33.de.html? dram:article_id=3486&sid= (Zurgiff am 29.7.2010) Gedenkstein der IRA. Bild abrufbar unter http://www.mediaculture-online.de/uploads/pics/ Belfast_5_168.jpg (Zugriff am 29.7.2010) Denkmal für die Opfer des Blutsonntags in Derry. Bild abrufbar unter http://de.academic.ru/ pictures/dewiki/49/180pxBloody_Sunday_memorial.jpg (Zugriff am 29.7.2010) 15 Die Soldaten der IRA (1998). BBC, England. Informationen abrufbar unter http://archives.arte.tv/special/ ulster/dtext/2.html und http://www.bbcgermany.de/GERMANY/dokumentationen/genre13/sendung_ 487.php (Zugriff am 29.2.2010) 16 White, Barry (1999): At the end of the day it’s really down to us. In: The Belfast Telegraph, 9.1.1999 17 Blair, Tony (1999): Peace is within our grasp. In: Irish News, 11.01.1999 18 Breen, Martin/ McCartan, Desmond (1999): Name and shame, say families. In: The Belfast Telegraph, 19.1.1999 19 Moloney, Ed (1999a): IRA Statement belies a lack of options. In: The Sunday Tribune, 10.1.1999 20 Moloney, Ed (1999b): Mowlam’s deadline renews pressure on Unionists, SF, In: The Sunday Tribune, 17.1.1999 21 Breadun, Deaglan de (1999a): Trimble buys time over vote on institutions. In: The Irish Times, 18.1.1999 22 Garland, Roy (1999): Daring new initiatives can lift old roadblocks. In: Irish News, 18.1.1999 23 Busch, Dominic (1999): Die Vergangenheit als Tabu - Vergangenheitsbewältigung in Nordirland 24 Breadun, Deaglan de (1999a): Trimble buys time over vote on institutions. In: The Irish Times, 18.1.1999 25 Busch, Dominic (1999): Die Vergangenheit als Tabu - Vergangenheitsbewältigung in Nordirland Siehe auch Breadun, Deaglan de (1999a): Trimble buys time over vote on institutions. In: The Irish Times, 18.1.1999 26 Cusack, Jim (1999): Raid dispels hope that Omagh ended dissidents. In: The Irish Times, 9.1.1999 27 Anonym (1999): Stymie the extremists. In: Irish News, 21.1.1999 2