Financial Times Deutschland - Afrika

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Financial Times Deutschland - Afrika
FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND
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W W W. F T D. D E / WEEKEND
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Trockenübung im nassen Nürnberg: Vom Carjacking bis zur Konfrontation mit unleidlichen Soldaten üben die Seminarteilnehmer Extremsituationen auf dem Hotelparkplatz
Seminar für Entführungskräfte
VON FRIEDERIKE KRIEGER, NÜRNBERG
D
ie Männer stehen rechts und links
des Weges und warten geduldig auf
den Wagen, der sich langsam nähert. Als der schwarze Mercedes sie
gerade passiert, ziehen sie blitzartig ihre Waffen: „Get out of the car! Get out of the car!“,
brüllen sie und schlagen mit ihren Pistolen
gegen die Scheiben. Die beiden Männer in
der A-Klasse haben keine Chance. Sie arbeiten für eine Firma, die Ausrüstungsteile für
Wasserkraftwerke herstellt – und sie haben
vergessen, ihr Auto von innen zu verriegeln.
Die Angreifer reißen die Türen auf und zerren
sie mühelos aus dem Wagen.
Carjacking nennt sich diese rabiate Variante des Autodiebstahls. In Afrika, wo die beiden Ingenieure oft geschäftlich unterwegs
sind, ist sie sehr populär: Allein in Südafrika
gab es im vergangenen Jahr rund 16 000 Fälle.
Die beschriebene Attacke auf die Männer im
Mercedes gehörte allerdings nicht dazu – sie
ereignete sich im nasskalten Nürnberg, auf
dem Parkplatz des Ramada-Parkhotels, und
war nur eine Übung. Die beiden Carjacker,
Pascal Michel und Michael Wurche, sehen in
ihren dunklen Maßanzügen auch nicht wirklich aus wie Autodiebe. Sie arbeiten für den
Risikoberater Result Group, und ihre Pistolen
sind aus Plastik.
Die Result Group berät Unternehmen, Lösegeldversicherer, Privatleute und Regierungen in Sicherheitsfragen. Ihre Angestellten
sind oft ehemalige Geheimdienstler oder
Polizisten. Lebensmittelkonzernen helfen
sie, wenn Erpresser damit drohen, Produkte
zu vergiften, oder sie übernehmen die Verhandlungen in Kidnappingfällen. Zudem organisiert der Risikoberater regelmäßig Seminare für Geschäftsleute, die beruflich in unsichere Regionen reisen müssen.
Auch die Veranstaltung in Nürnberg ist im
wahrsten Sinne des Wortes ein Survivaltraining. Vor allem auf Reisen nach Afrika sollen die Teilnehmer vorbereitet werden.
„Afrika hat seine schönen Seiten, aber auch
Seiten, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen“, sagt Trainer Wurche. Als
Hochrisikoregionen gelten die Stadt Lagos
und das Nigerdelta in Nigeria, der Kongo und
Südafrika. Auch Algerien, Mauretanien, Mali
und Kenia sind ein gefährliches Pflaster: Von
Überfällen über Entführungen bis hin zu Ter-
Eine Sicherheitsfirma
schult deutsche
Geschäftsleute, die
beruflich nach Afrika
reisen müssen. Thema des
eintägigen Seminars: Wie
komme ich heil wieder
nach Hause?
roranschlägen sind sämtliche Szenarien
denkbar. Auf dem Stundenplan in Nürnberg
stehen Reisevorbereitung und Verhaltenspsychologie, außerdem Checkpoint- und
Carjackingsituationen. Besprochen wird
auch, wie man mit Straßenkriminalität umgeht und seinen Aufenthalt im Hotel möglichst sicher gestaltet. Die achtstündige Veranstaltung kostet die zwölf Teilnehmer zwischen 650 € und 800 €.
Die meisten von ihnen sind alte Hasen und
haben Afrika schon oft bereist. Sie arbeiten
bei Energietechnikunternehmen, Pharmafirmen und Banken. „Das ist wie bei einem KfzSicherheitstraining“, sagt Ingo von Ramdohr,
der beim Polymerhersteller Rehau für den
Export verantwortlich ist. „Das muss man
auch alle paar Jahre mal machen, sonst bekommt man keine Vollbremsung mehr hin.“
Auch der eben aus dem Auto gerissene Vertriebsmitarbeiter Markus Spätlich – der nicht
wirklich so heißt, seinen richtigen Namen
aber nicht in der Zeitung lesen will – ist schon
länger im Geschäft. In 20 Jahren hat er Afrika
so häufig bereist, dass er nicht mehr genau
sagen kann, wie oft er schon hingeflogen ist.
Seine Firma ist vor allem im Niger, im Senegal, im Sudan, in Mali und Ägypten tätig. Als
im Unternehmen die Zuständigkeiten für die
Auslandsgebiete verteilt wurden und sich
seine Kollegen um Asien und Europa balgten,
meldete sich Spätlich als Einziger für Afrika.
„Das Licht, die Farbenpracht der Kleidung
und das Lächeln der Menschen dort haben
mich fasziniert“, sagt er. Sein Kollege, der
zweite Mann im Mercedes, ist in Lagos gebo-
ren und lebte bis 1997 in Nigeria. „Bisher hatten wir Glück, uns ist nichts Gravierendes
passiert“, sagt Spätlich. Beiläufig erzählt er
von einem betrunkenen Kindersoldaten, der
ihm in Togo mal eine Kalaschnikow unter die
Nase hielt, um Geld zu erpressen.
Doch die Reiseroutine bringt nicht unbedingt mehr Sicherheit – sie macht nachlässig.
Ein Zwischenfall bei einer Reise nach Nigeria
hat sich in Spätlichs Erinnerung eingebrannt.
Sein Fahrer gab plötzlich Gas und startete ein
wildes Ausweichmanöver. Als er ihn fragte,
was denn los sei, antwortete der Fahrer, sie
seien schon länger von einem anderen
Wagen verfolgt worden. „Das war mir überhaupt nicht aufgefallen“, sagt Spätlich.
Mit offenen Augen durch das fremde Land
zu gehen, das ist die Kernbotschaft der Trainer. „Die wichtigste Waffe ist Ihre Wahrnehmung“, bläut Michel seinen Schülern ein.
Statt Unterlagen zu wälzen, sollten sie lieber
den Straßenverkehr beobachten. Auf dem
Parkplatz des Tagungshotels inszeniert der
bebrillte 38-Jährige Gefahrensituationen –
zur Übung. Einige Schüler spielen Kriminelle, die mit Plastikmessern bewaffnet anderen
Seminarteilnehmern auf dem Weg zum Auto
auflauern. Wieder andere mimen normale
Passanten. Wer ist gefährlich, wer nicht? Wer
eine Gefahr kommen sieht, reagiert gefasster.
Das gilt auch beim Carjacking. „Die Räuber
sind meist nervös“, sagt Michel. Sie wollen in
der Regel nicht schießen. „Dann müssten sie
ja später die Gehirnmasse von den Sitzen
kratzen.“ Wenn sie sich bedroht fühlen, drücken sie trotzdem schnell ab. Ausreichen
kann dazu schon eine hektische Handbewegung, um den Anschnallgurt zu lösen.
„Besonders aufmerksame Opfer wirken abschreckend auf die Täter“, sagt
Michel. Sein Kollege Wurche hat diese
Lektion auf die harte Tour gelernt. Im
November 1983, als er noch als Lufthansa-Manager in Bolivien arbeitete,
wurde er vor seinem Haus von bewaffneten Männern überwältigt. Sie zwangen ihn in sein Auto und verpassten
ihm eine Spritze mit dem Betäubungsmittel
Ketamin. „Sie gaben mir versehentlich eine
Überdosis“, sagt der 66-Jährige heute. Seine
Geschichte hat er schon oft erzählt, er redet
schnell, aber unaufgeregt. „Hätte ich vorher
Alkohol getrunken, wäre ein Atemstillstand
die Folge gewesen, dann hätte ich die Entfüh-
rung wohl nicht überlebt.“ Auch so bekam
Wurche spastische Zuckungen von dem Mittel. Als er wieder zu sich kam, fand er sich
angekettet an einem Bett in einer Lehmhütte
wieder. Erst elf Tage später gelang es der Lufthansa, ihn freizukaufen.
Nach der Entführung stellte sich heraus,
dass die Täter den Deutschen monatelang
observiert hatten, bevor sie schließlich zuschlugen. Der eigentlichen Entführung gingen vier Versuche voraus. Doch Wurche hatte
die Männer nie bemerkt. „Einer meiner Vorgänger hatte Entführungsdrohungen erhalten“, sagt er. „Aber davon habe ich nichts gewusst, sonst hätte ich mich anders verhalten.“ Auf seinen Fahrten hätte er dann öfter
Begleitschutz mitgenommen – und sich damit zu einem unattraktiven Ziel gemacht.
Für Deutsche ist die Gefahr hoch, im Ausland gekidnappt zu werden. Laut einer Studie
des Lösegeldversicherers Hiscox werden sie
nach Chinesen und Franzosen am häufigsten
entführt. Umso wichtiger ist es, unauffällig zu
bleiben. „Graue Mäuse leben länger“, sagt
Michel. Teurer Schmuck ist ebenso tabu wie
Aufkleber mit dem Firmenlogo auf dem Koffer oder Willkommensschilder am Flughafen.
Denn solche Dinge locken Kriminelle an,
die auf Expresskidnapping aus sind. Wurches
Sohn und dessen Freundin ist das in MexikoStadt passiert: Die Entführer klapperten mit
Tipp für die
Reiseapotheke: Pascal
Michel mit
einer Binde
für blutende
Gliedmaßen
den beiden die Geldautomaten der Stadt ab,
um ihre Konten zu plündern. „Die Freundin
meines Sohnes hat sich unter Stress nicht
mehr an ihre Geheimnummer erinnert“,
erzählt Wurche den zwölf Geschäftsleuten
nach dem Carjacking-Training, die Pistole
noch in der Hand. Die Entführer wollten das
erst nicht hinnehmen und drohten, Wurches
Sohn ins Knie zu schießen. „Der hat Blut und
Wasser geschwitzt.“ Am Ende begnügten sie
sich damit, das Konto des Sohnes zu leeren.
„Prägen Sie sich ihre Geheimnummer gut
ein“, rät Wurche den Teilnehmern deshalb.
Und neben Notfallnummern, um mit den
Behörden und der Firma in Kontakt treten zu
können, sollten die Reisenden auch persönliche Daten stets parat haben. Das ist unter
anderem an Checkpoints von Vorteil, den
Kontrollpunkten der Armee, die Reisende in
vielen Ländern Afrikas passieren müssen.
„Vor allem, wenn es gerade Bombenanschläge gegeben hat, liegen die Nerven der
Soldaten blank“, sagt Michel. Wer bei der
Ausweiskontrolle nicht gleich sein Geburtsdatum aufsagen kann, handelt sich schnell
Ärger ein. Auch diese Situation üben die
Teilnehmer. Die Parkplatzausfahrt des Hotels
muss als Checkpoint herhalten; Michel mimt
den Kontrolleur, mal gut gelaunt, mal äußerst
gereizt.
„Show me your passports!“ In gebrochenem Englisch fordert er ein Grüppchen von
drei Teilnehmern auf, die Ausweise vorzuzeigen. Einer der Geschäftsleute kann sich ein
Kichern nicht verkneifen. Michel wird sofort
ungehalten. „Are you laughing at me? Am I so
funny?“ Seine Stimme wird immer lauter. Nur
mit Mühe kann sich der Mann aus der Situation herauswinden.
„Bei den merkwürdigen Fantasieuniformen der Kontrolleure kann es auch in der
Realität passieren, dass man schmunzeln
muss“, sagt Michel später, wieder im freundlichen Plauderton. Afrikanische Soldaten lassen sich aber nicht gern von Westlern auslachen. „Sagen Sie einfach, Sie hätten über etwas anderes gelacht, oder Sie würden sich
nur so freuen, in diesem schönen Land zu
sein!“ Das wäre dann noch nicht mal gelogen.
Nicht nur die Seminarteilnehmer brennen
darauf, nach Afrika zurückzukehren. Trainer
Wurche lebt inzwischen mit seiner Frau in
Kairo. Nach Südamerika sei Afrika sein zweitliebster Kontinent, sagt er.