Gesamtartikel - Treuhänder

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Gesamtartikel - Treuhänder
INTERNATIONAL
Christine Hirszowicz
Stellenwert einer wirksamen
Bankenaufsicht in der
internationalen Finanzarchitektur
Hohe Anforderungen an Regulierung und Aufsicht
Für die Bewältigung künftiger Finanzkrisen und die
Vermeidung ihrer zerstörerischen Kräfte braucht es
gesunde Bankensysteme. Ohne den Aufbau einer
wirksamen Bankenaufsicht in jedem einzelnen der
aufstrebenden Länder ist dieses Ziel nicht zu erreichen
und die nächste Finanzkrise mit globalen Auswirkungen vorprogrammiert.
1. Lehren aus der asiatischen
Finanzkrise
Verfolgt man die internationale Wirtschaftspresse im Verlaufe des Jahres
2000, rund zweieinhalb Jahre nach dem
Ausbruch der Finanzkrise in den aufstrebenden Ländern Südostasiens [1],
so häufen sich die Schalmeienklänge
über eine rasche Erholung dieser Länder und über die Rückkehr des Vertrauens privater Investoren. Gemäss
einer Prognose des Institute of International Finance [2] werden die Direktinvestitionen und Portfolio-Anlagen
privater Investoren im Jahre 2000 in
diese Länder wieder zunehmen, doch
werden sich die Banken vor einer erneuten Kreditvergabe in grossem Ausmass noch zurückhalten. Laut Statistiken aus der grössten Volkswirtschaft
Südostasiens, Thailand, sind wieder
hohe Wachstumsraten zu verzeichnen,
die durch den Export und die Inlandnachfrage generiert werden. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass dieses
Wachstum durch massive staatliche
Konjunkturstützen getragen wird, was
langfristig zu einer unerträglichen Gesamtverschuldung des Staates führen
Der Schweizer Treuhänder 4/01
muss. In den Bankbilanzen dieses Landes waren Ende 1999 noch rund 44%
der Kredite sog. «Non Performing
Loans» [3].
Eingedenk der wahren fundamentalen
Ursachen der asiatischen Finanzkrise,
Christine Hirszowicz, Dr. oec. publ.,
ausserord. Professorin für Bankbetriebswirtschaftslehre am Institut für schweizerisches Bankwesen der Universität Zürich,
ehemals Direktorin der Swiss Banking
School, Zürich
[email protected]
ist die rasche Rückkehr der Investitionsaktivität und die Risikofreude der
Marktteilnehmer erstaunlich, um nicht
zu sagen bedenklich. Solange Kapital
fehlalloziert wird in spekulative Investitionen und ineffiziente Produktionsprozesse in politisch geschützten Inlandmärkten, solange eine kleine
Schicht von korrupten Politikern und
Unternehmern sich auf Kosten der
Mehrheit bereichert, kann es keine
nachhaltige Gesundung dieser Volkswirtschaften geben. Der in Kyoto lehrende Professor Yoshihara Kunio fordert in seinem jüngsten Werk [4] die
Entwicklung einer neuen Kultur für
Südostasien. Im Sinne demokratischer
Grundwerte braucht es eine politische
Philosophie, die am Gemeinwohl orientiert ist. Es braucht die Verankerung
der Rechtsstruktur einer sozialen
Marktwirtschaft, mit unbestechlichen
Richtern, Politikern, Beamten und Unternehmern, mit unabhängigen Kontrollinstanzen für die Durchsetzung
der Prinzipien eines Rechtsstaates.
Ansätze von Demokratisierung und
Rechtsstaatlichkeit sind in einzelnen
Staaten auszumachen [5]. Es wird aber
Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern,
bis sie mehrheitlich zu echten demokratischen Staaten heranwachsen.
Finanzkrisen werden auch in Zukunft
ausbrechen. Ziel aller Bemühungen
sollte es sein, ihren Schaden zu minimieren und dazu beizutragen, die Kosten ihrer Bewältigung möglichst tief zu
halten. Die jüngsten Erfahrungen in
Süd-Ost Asien haben gezeigt, dass
Länder, die jährliche Wachstumsraten
zwischen 5 und 8% des BSP kannten,
durch die Finanzkrise in eine tiefe Depression fielen mit negativen Wachstumsraten des BSP von 5 bis 14% pro
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INTERNATIONAL
Christine Hirszowicz, Stellenwert einer wirksamen Bankenaufsicht in der internationalen Finanzarchitektur
Jahr [6]. Dabei trugen die ärmsten Bevölkerungsschichten die grössten Entbehrungen.
Für die Bewältigung künftiger Finanzkrisen und die Vermeidung ihrer zerstörerischen Kräfte braucht es eine
gründliche Renovation des Bankensystems. Ohne den Aufbau einer wirksamen Bankenaufsicht in jedem einzelnen dieser Länder ist dieses Ziel nicht
zu erreichen und die nächste Finanzkrise mit globalen Auswirkungen vorprogrammiert.
Eine Reihe gut fundierter Studien über
die Asien-Finanzkrise analysieren Ursachen, Massnahmen zur Prävention
und Möglichkeiten zur Therapie. Stellvertretend für viele seien die folgenden, besonders repräsentativen Arbeiten vorgestellt.
1.1 Goldstein, Morris
The Case for an International Banking
Standard, Institute of International Economics, Washington, April 1997
Bereits vor dem eigentlichen Ausbruch
der Asienfinanzkrise im Juli 1997 empfahl der bekannte Experte für internationale Wirtschaftspolitik und internationale Kapitalmärkte, Morris Goldstein, in dieser Studie Mindestnormen
für zentrale Gebiete der Bankenaufsicht. Er legte die prozeduralen
Schritte dar, welche zur Realisierung
von international anerkannten Standards der Bankenüberwachung führen würden. Folgende Gebiete werden
darin mit höchster Dringlichkeit erwähnt:
• Transparenz der Rechnungslegung
von Banken und Unternehmungen
gemäss international anerkannten
Normen (US-GAAP oder IAS);
• Ermächtigung der Bankaufsichtsorgane zur Durchsetzung ihrer Kompetenzen: Erteilung und Entzug von
Bankbewilligungen, Ermächtigung
zur Einholung sämtlicher benötigter
Informationen, Setzen von Standards, Vor-Ort-Kontrollen, Liquidation überschuldeter Banken;
• interne Kontrolle: Überwachung der
internen Selbstregulierung von Banken;
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• Transparenz über die Staatsbeteiligung am Kapital und über die Einmischung der Regierung in die Geschäftsführung von Banken;
• Transparenz über Kredite an Bankorgane, an massgebende Aktionäre
sowie nahestehende Personen oder
Gesellschaften;
• risikogerechtes Eigenkapital;
• Sicherheitsnetz für Kleinsparer;
• konsolidierte Banküberwachung
und internationale Zusammenarbeit
der Bankaufsichtsbehörden.
1.2 Eichengreen, Barry
Toward a New International Financial
Architecture, A Practical Post-Asia
Agenda, Institute of International Economics, Washington, February 1999.
Der an der UCAL lehrende Professor
für Wirtschafts- und politische Wissenschaften und bekannte Autor, Barry
Eichengreen, sieht folgende Verteidigungslinien gegen die Instabilität des
Bankensystems in den aufstrebenden
Ländern:
• Verbesserung des Risiko-Management, des Rechnungswesens und der
internen Kontrolle bei Banken;
• Aufstockung von Eigenkapital und
Reserven der Banken und – dank international anerkannten Praktiken
des Rechnungswesens – auch effektives Tragen von Verlusten durch das
Eigenkapital der Banken und nicht
durch Rettungsaktionen des Staates;
• die Liberalisierung des nationalen
Kapitalmarktes in den aufstrebenden Ländern darf nicht überstürzt
geschehen, jedenfalls nicht bevor die
nationalen Banken ihr Risiko-Management aufgebaut haben, die Bankaufsichtsbehörden ihre Kontrolle
über die Banken effektiv ausüben
dürfen und auch können und nicht
bevor die Regierungen bereit sind,
ihre Wirtschaftspolitik zu korrigieren;
• Beschränkung oder Besteuerung
der Aufnahme kurzfristiger Kredite
durch Banken in ausländischer Währung;
• Einführung von Zusicherungen in
die Obligationen-Verträge von Staatsanleihen zur Erleichterung einer
Umschuldung. In Zukunft werden
Obligationenanleihen einen grösseren Anteil der Portfolio-Anlagen beanspruchen als Bankkredite. Dies ist
auf die Disintermediation der Banken zugunsten des Kapitalmarktes
zurückzuführen. Die Informationstechnologie ermöglicht bessere Informationsstreuung zugunsten der
Kapitalmarktteilnehmer. Dies wird
von Eichengreen begrüsst, weil daraus eine bessere Kapitalallokation
resultiert und die Banken auch weniger verletzlich werden. Der Autor
empfiehlt mit Nachdruck die Vorschläge der G-10 Gruppe in ihrem
Bericht «Resolving Sovereign Liquidity Crises» aus dem Jahre 1996.
Diese befürworten den Einbezug
von Klauseln in alle Staatsanleihen,
gemäss welchen eine Restrukturierung der Anleihensschuld in geordnete Bahnen erfolgen kann. Es handelt sich um Majorz-Klauseln, um
solche der Lastenteilung, der Nichtbeschleunigung, der Mindestschwellen und der Kollektiv-Vertretung der
Investoren. Die G-10 Länder sollten
eine Vorreiter-Rolle übernehmen
und solche Klauseln in ihre eigenen
Anleihensverträge ausnahmslos einbauen; damit könnte vermieden werden, dass die aufstrebenden Länder
auf den internationalen Kapitalmärkten selbst ihre eigene Bonität
verringern;
• Errichtung und Durchsetzung eines
nationalen Schuldbetreibungs- und
Konkursrechts in jedem der aufstrebenden Staaten bei gleichzeitiger internationaler Harmonisierung dieser
Normen;
• Unabhängigkeit der Gerichte, die
dieses Recht durchsetzen.
Ein besonderes Anliegen Eichengreens ist der Einbezug des privaten
Sektors in die Krisenbewältigung und
Krisenvermeidung. Internationale Organisationen wie IMF und Weltbank
sollen weniger die Feuerwehr- und
mehr die Präventionsfunktion übernehmen. Dabei soll sich beispielsweise
der IMF auf international anerkannte
private «Good Governance»-Institutionen stützen, welche Normen des
Risk Management, der Rechnungslegung und der internen Kontrolle erarbeitet haben. Der Beizug von Branchenverbänden und privatwirtschaftlichen Organisationen in die FormuDer Schweizer Treuhänder 4/01
INTERNATIONAL
Christine Hirszowicz, Stellenwert einer wirksamen Bankenaufsicht in der internationalen Finanzarchitektur
lierung von Normen, sei dies für die
Selbstregulierung, sei dies für die staatliche Regulierung, könnte sich als ein
richtiger Schritt in die gute Richtung
erweisen angesichts des schnellen
Wandels von Märkten und Produkten
und eingedenk der Skepsis gegenüber
starrer staatlicher Aufsicht. Diese privaten Instanzen wären auch in der
Lage, eine entsprechende Ausbildung
von Fachleuten anzubieten, wobei die
Finanzierung einer solchen Ausbildung
wiederum Sache der internationalen
Organisationen sein könnte. Als Beispiel solcher privater Instanzen seien
folgende erwähnt:
• International Accounting Standards
Committee IASC, London (103 Länder) (Rechnungswesen-Normen);
• International Federation of Accountants, New York (103 Länder) (Revisions-Normen);
• International Organization of Supreme Audit Institutions (INTOSAI), Wien (Revisions-Normen und
Anleitungen);
• Committee J of the International Bar
Association, London (Muster für ein
Konkursgesetz);
• International Corporate Governance Network (ICGN), London
(Normen für die Unternehmungsführung).
Wegweisend in diesem Zusammenhang sind die Arbeiten folgender internationaler Organisationen:
• International Organization of Securities Commissions (IOSCO), Montreal (Forum der Kapitalmarkt-Regulatoren);
• Basle Committee on Banking Supervision (Bank für Internationalen
Zahlungsausgleich), Basel. Zur Eindämmung finanzieller Risiken hat
der Basler Ausschuss die 25 Grundsätze einer wirksamen Bankenaufsicht erarbeitet, dies in enger Kooperation mit den grössten Banken der
Welt (vgl. Ziffer 2 hinten);
• Organization for Economic Cooperation and Development OECD,
Paris (Normen der Corporate Governance);
• United Nations Commission on International Trade Law, Wien (Behandlung grenzüberschreitender
Fälle von Überschuldung);
Der Schweizer Treuhänder 4/01
• IMF, Washington (Special Data Dissemination Standards).
1.3 Basel Committee on Banking
Supervision
Supervisory Lessons to be drawn from
the Asian Crisis, Working Paper No. 2,
Basle, June 1999
Eine Studiengruppe des Basler Ausschusses widmet diese Analyse vor
allem dem Verhalten der Banken der
G-10 Länder. Sie hält insbesondere folgende Punkte fest:
• Die Forderungen der Banken aus
den G-10 Ländern gegenüber den
neun Asienkrisenländern waren vorwiegend kurzfristiger Natur und
hauptsächlich gegenüber Banken.
Die kreditgebenden Banken stammten mehrheitlich aus Europa und
Japan. Amerikanische Banken hatten 18 Monate vor Krisenausbruch
die Region Südostasien als krisenanfällig identifiziert und ihre Kredite
entsprechend reduziert.
• Viele kreditgebende Banken gingen
davon aus, dass ihre Forderungen automatisch durch die Regierung des
Gastlandes garantiert würden und
unterschätzten die Markt- und Liquiditätsrisiken.
• Wenn Kredite in fremder Währung
vergeben werden, sollten die kreditgebenden Banken vorerst abklären,
ob der Kreditnehmer Erträge in
fremder Währung mit vergleichbarer
Fälligkeit generieren kann, um den
Kredit zurückzuzahlen. Wo das nicht
zutrifft, sollten die kreditgebenden
Banken evaluieren, in wie fern
Währungsrisiken und Liquiditätsrisiken das Kreditprofil der Gegenpartei belasten.
• Eine weitere Lehre aus der Asienkrise ist die neue Bemessung des
Länderrisikos. Zu den bisher bekannten Faktoren des politischen
und des Transferrisikos kommt das
Risiko hinzu, das aus der Schwäche
des Bankensektors eines aufstrebenden Landes resultiert. So wollen
auch die Rating-Agenturen folgende
Faktoren schwerer gewichten: die
Belastung eines Landes durch ein
schwaches Bankensystem; die Qualität und Unabhängigkeit der Ban-
kenaufsicht; die Verwundbarkeit
durch eine Liquiditätskrise, die sich
aus einer Konzentration kurzfristiger
Schulden bei sonst kreditwürdigen
Schuldnern ergibt; die zusätzliche
Belastung in einer Finanzkrise durch
die mangelhafte Veröffentlichung
von Wirtschaftsstatistiken; die Gefahr der Ansteckung durch andere
Länder.
• IMF Special Data Dissemination
Standards:
Es handelt sich um die freiwillige
Veröffentlichung von Wirtschaftsund Finanzstatistiken gemäss einem
vom IMF vorgegebenen Muster.
Diejenigen Länder, die diese Statistiken regelmässig und gemäss den Anforderungen des IMF publizieren,
sollen tiefere Risikobewertungen in
der Länder-Risiko-Messung erhalten.
1.4 Council of Foreign Relations
Safeguarding Prosperity in a Global Financial System, The Future International Financial Architecture, Project directed by Morris Goldstein, Washington, September 1999
Eine Gruppe aus 29 angesehenen Experten mit u.a. Fred Bergsten, Barry
Eichengreen, Martin Feldstein, Paul
Krugman, George Soros und Paul
Volcker erarbeitete unter der Leitung
von Morris Goldstein einen Bericht mit
folgenden Empfehlungen:
• Ein Anreiz für das Treffen von Massnahmen durch die einzelnen Länder
im Sinne eines «Good Housekeeping» zur Prävention weiterer Finanzkrisen muss dadurch geschehen, dass
der IMF aufgefordert wird, seine
Zinsen für Kredite an Mitgliedländer
an das Wohlverhalten bei der Krisenprävention zu binden und dies
auch publik zu machen. Zum Wohlverhalten zählen eine ganze Reihe
von Bedingungen, die von der Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik bis zur Erneuerung der rechtlichen Infrastruktur eines Landes
gehen.
• Kurzfristige Kapitalimporte müssen
mit Haltedauer-Strafprämien belegt
werden bei Ländern, die ein schwaches Bankensystem haben.
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INTERNATIONAL
Christine Hirszowicz, Stellenwert einer wirksamen Bankenaufsicht in der internationalen Finanzarchitektur
• Es müssen Anreize geschaffen werden für die Lastenteilung durch den
privaten Sektor, namentlich durch
den Einbezug kollektiver DefaultKlauseln in die Verträge für Staatsanleihen. Als ersten Schritt sollen
alle neuen Staatsanleihen, die in den
Märkten der G-7 Länder gehandelt
werden, solche Klauseln enthalten.
• Es sollten Anreize geschaffen werden, damit die Regierungen schrittweise von fixen Wechselkursen abgehen.
• Der IMF sollte weniger freigebig
sein mit seinen Krediten und besser
unterscheiden zwischen Länderkrisen und Systemkrisen. Ziel ist die
Vermeidung des Moral Hazard. Zur
Linderung von Ansteckungsgefahren soll eine sog. Contagion Facility
durch die Regierungen einer Region
selbst und nicht durch den IMF aufgebaut werden.
• Es sollte eine klare Trennung erfolgen zwischen den Aufgaben des IMF
und der Weltbank, während der erstere sich auf gesamtwirtschaftliche
Politik konzentriert und letztere die
längerfristigen strukturellen Entwicklungsziele anstrebt.
1.5 Bericht des Bundesrates
vom 4. Oktober 1999 über «Das internationale Finanzsystem und die Position der Schweiz»
Vor der Herbsttagung 1999 der Bretton-Woods-Institutionen hat der Bundesrat die verschiedenen Vorschläge
zur Reform des internationalen Finanzsystems analysieren lassen und die
Position der Schweiz festgehalten.
Daran beteiligt waren die Eidg. Finanzverwaltung, das Staatssekretariat
für Wirtschaft, die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, der Finanz- und Wirtschaftsdienst des Departements für Auswärtige Angelegenheiten sowie die Schweizerische Nationalbank. In einem konzisen Dokument von 30 Seiten wird die Position
der Schweiz dargelegt. Das Anliegen
ist ein mehrfaches: Ein stabiles internationales Finanzsystem erleichtert den
Güter- und Dienstleistungsaustausch,
ist entwicklungspolitisch bedeutsam
und auch geeignet, die Folgen von Finanzkrisen bei den sozial Schwächsten
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in den aufstrebenden Ländern zu lindern. Es werden folgende Massnahmen als prioritär betrachtet:
• Eine verbesserte Transparenz der Finanzmärkte der aufstrebenden Länder und die Anwendung entsprechender Standards: Erstellung, Verbreitung und laufende Überprüfung
von Normen und Verhaltensregeln
für die Geschäftsführung im privaten
und öffentlichen Sektor; dazu gehören auch die Ergebnisse der jährlichen wirtschaftspolitischen Konsultationen der Mitgliedstaaten nach
Art. IV der IMF-Statuten; einen
wichtigen Beitrag zur Transparenz
leisten die Special Data Dissemination Standards des IMF zur Verbreitung von Wirtschafts- und Finanzdaten.
• Der Kodex des IMF über die Transparenz der öffentlichen Haushalte
sowie der Kodex für die währungsund finanzmarktpolitische Transparenz sind geeignet, die Marktteilnehmer über die Regierungstätigkeit
und die Politik der Zentralbank besser zu informieren. Der Bereich der
Bankenaufsicht wird als sehr wichtig
betrachtet und die Bemühungen des
Basler Ausschusses zur Bankenaufsicht werden anerkannt und unterstützt.
• Der Bundesrat tritt für die Stärkung
der internationalen ÜberwachungsStandards und Aufsichtsvorschriften
ein. Er räumt gleichzeitig ein, dass
die Schwellenländer grosse Schwierigkeiten haben, genügend Ressourcen und kompetentes Personal bereit
zu stellen, um das Risk Management
in den zu überprüfenden Banken
und die Good Governance zu beurteilen. Er plädiert für einen Ausbau
der Kapazitäten in diesem Bereich.
• Die Schweiz wird ihre bisherige bilaterale Zusammenarbeit im Finanzsektor im Bereich der technischen
Hilfe und der Ausbildung fortsetzen,
damit die aufsichtsrechtlichen Standards und Grundsätze in diesen Ländern umgesetzt werden können.
• Die Schweiz tritt dafür ein, dass die
Kapitalflüsse in die Schwellenländer
im Einklang mit der strukturellen
und institutionellen Entwicklung der
Finanzmärkte dieser Länder liberalisiert werden und warnt vor überstürzter Deregulierung. Das gilt auch
für den langfristigen Übergang von
fixen zu flexiblen Wechselkursen.
• Sie betrachtet die bessere Einbindung des Privatsektors in die Krisenbewältigung als ein wichtiges Element der internationalen Finanzarchitektur. Solche Massnahmen
sollten möglichst marktgerecht getroffen werden (z.B. durch die Einführung von Klauseln in die Obligationenverträge zwecks Erleichterung
der Umschuldung). Die Schweiz ist
bereit, im Rahmen einer gemeinsamen Aktion der G-10 Länder solche
Klauseln in ihre Bundesobligationen
aufzunehmen.
• Im Sinne staatspolitischer Ziele wie
soziale Gerechtigkeit, menschwürdige Arbeitsbedingungen und ökologische Nachhaltigkeit tritt die
Schweiz für Massnahmen zur Reduktion der sozialen Not ein und befürwortet eine breit abgestützte
Wachstumspolitik in den aufstrebenden Ländern. Sie unterstützt die
enge Zusammenarbeit zwischen
OECD, den Bretton Woods Institutionen und den Spezialorganisationen der UNO für die Durchsetzung
von Rechtsstaatlichkeit, die Bekämpfung von Korruption und die
Senkung unverhältnismässiger Militärausgaben in den Schwellenländern.
• Ein weiteres wichtiges Anliegen der
Schweiz ist es, die Politisierung des
IMF zu vermeiden. Sie tritt für die
Beibehaltung des gegenwärtigen
Stimmgruppensystems ein, für den
Beizug von Experten aus den wichtigsten Schwellenländern und gegen
die Aufspaltung des IMF in regionale
Fonds.
2. Eine dringende
Massnahme
Während das Schwergewicht und die
Priorität der empfohlenen Massnahmen von Studie zu Studie jeweils etwas
anders gelegt werden, sind sich alle Autoren ohne Ausnahme darüber einig,
dass die namhaften Schwächen des
Bankensystems und der Bankenaufsicht in diesen Ländern einer dringendsten Korrektur bedürfen. Welcher Medizin der schwer kranke Patient Bankensystem bedarf, ist klar. Sie stammt
aus Basel. Die Kunst der Therapie liegt
Der Schweizer Treuhänder 4/01
INTERNATIONAL
Christine Hirszowicz, Stellenwert einer wirksamen Bankenaufsicht in der internationalen Finanzarchitektur
in der Art der Verabreichung dieser
Medizin.
Bereits 1997 hat der Basler Ausschuss
für Bankenaufsicht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in
Zusammenarbeit mit Aufsichtsexperten aus Ländern, die nicht der 10er
Gruppe angehören, ein umfassendes
Programm für eine wirksame Bankenaufsicht zusammengestellt. Es enthält
25 Grundsätze einer hochwertigen
Bankenaufsicht. Diese «Core Principles for Effective Banking Supervision»
sind inzwischen weltweit anerkannt
und zählen zu den wichtigsten Normen
der Bankenregulierung und Banküberwachung. Eine grosse Zahl von Ländern haben ihre Absicht bekundet,
diese Normen zu übernehmen. So hat
u.a. die Internationale Konferenz der
Bankaufsichtsbehörden im Oktober
1998 in Sydney die Core Principles ratifiziert und sich dazu verpflichtet,
einen aktiven Beitrag zu ihrer Implementierung zu leisten. Die Core Principles enthalten Empfehlungen auf folgenden Gebieten [7]:
• Voraussetzungen einer wirksamen
Bankenaufsicht (Art. 1);
• Banklizenz, Aktionariat, Führung
und Organisation der Bank (Art.
2–5);
• Umgang mit Risiken: Identifikation,
Messung und Steuerung (Art. 6–15);
• Methoden der kontinuierlichen Bankenaufsicht (Art. 16–20);
• Erfordernis der Transparenz (Art.21);
• formale Macht der nationalen Aufsichtsbehörde (Art. 23–25).
Um sicherzustellen, dass diese Grundsätze auch eingeführt und befolgt werden, ist eine Kontrolle unabdingbar. Zu
diesem Zweck hat der Basler Ausschuss in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IMF)
und der Weltbank 1998 Richtlinien für
die Beurteilung der Implementierung
dieser Normen in den einzelnen Ländern erarbeitet. Diese Richtlinien,
«Core Principles Methodology» genannt, enthalten eine ausführliche
Wegleitung für die Überprüfung der
Einführung einer hochwertigen Bankenaufsicht.
Im Juni 1999 hat die unter Ziffer 1.3 erwähnte Arbeitsgruppe einige EmpfehDer Schweizer Treuhänder 4/01
lungen erarbeitet, wie diese Grundsätze im Lichte der Asienfinanzkrise
selektiv angepasst werden sollten
(Comment on the adequacy of the
Core Principles for debtor banks in the
light of the Asian crisis). Diese Grundsätze liefern der internationalen Finanzgemeinschaft einen Massstab, an
welchem die Wirksamkeit der Bankenaufsicht und Banküberwachung gemessen werden kann. Dies sollte dem
IMF, der Weltbank sowie privaten Investoren und Kreditgebern als Benchmark für das Setzen von Kreditbedingungen sowie für die Preispolitik und
das Risk-Management dienen.
Um internationalen Druck auf die betroffenen Länder für die rasche Einführung der Core Principles auszuüben, übernimmt der Basler Ausschuss
als Schrittmacher auf diesem Gebiet
eine aktive Rolle bei der Interpretation
und fortlaufenden Anpassung der Core
Principles. Er setzt sich für die Ausbildung und das Training der Bankaufseher weltweit ein und arbeitet auch auf
diesem Gebiet mit dem IMF, der Weltbank sowie Vertretern aus den nichtG-10 Ländern zusammen. In diesem
Sinne sind beispielsweise die sog. Artikel IV Konsultationen des IMF geeignet, die Transparenz eines Landes zu
erhöhen und damit auch die Information zu Handen der ausländischen
Bankaufsichtsbehörden und der Finanzmärkte zu verbessern. Im Rahmen
der Artikel IV Konsultationen des IMF
werden jährlich Berichte über jedes
Mitgliedland erstellt. Darin wird die
wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Lage des Landes kommentiert,
nachdem intensive Konsultationen mit
Experten des betreffenden Landes
stattgefunden haben. Es bleibt dem
Mitgliedland freigestellt, ob es diesen
Bericht veröffentlichen will. Die
Schweiz hat sich kürzlich einem Pilotprojekt für die erstmalige Publikation
eines solchen Berichtes angeschlossen.
Der Basler Ausschuss unterstützt auch
die Bemühungen des IMF zur Erhöhung der Transparenz eines Landes
mittels den bereits erwähnten Special
Data Dissemination Standards (SDDS).
3. Ausblick
Während früher Finanzkrisen noch
durch eine restriktive Geld- und Fis-
kalpolitik gelöst werden konnten, ist
dies in der neuen Epoche der globalen
Kapitalmobilität nicht mehr möglich.
Die Hauptaufgabe liegt jetzt darin, die
schwachen Glieder der globalen Finanzkette zu stärken, d.h.
– dass die einzelnen Länder eine
strenge Bankenregulierung und
Bankenaufsicht errichten müssen,
– dass sich die Banken und anderen
Unternehmungen international anerkannten Normen des Rechnungswesens und der Revision anschliessen müssen,
– dass ein modernes Schuldbetreibungs- und Konkursrecht errichtet
und durch unabhängige Gerichte implementiert wird,
– dass die Corporate Governance international anerkannten Normen
folgt und
– dass der Marktdisziplin durch höhere Transparenz auf allen Stufen
eine Chance eingeräumt wird.
Dazu muss die Ausbildung vermehrt
angeboten und optimal koordiniert
werden. Lehrkräfte sollten aus der Privatwirtschaft durch internationale Organisationen eingesetzt werden. Dabei
muss gebührend berücksichtigt werden, dass Kultur und Politik in den
Staaten Süd-Ost-Asiens andere Dimensionen kennen als unsere westeuropäischen und atlantischen Länder.
Fortschritte in Richtung eines weltweit
sichereren Finanzsystems werden nur
sukzessiv erreicht werden können,
doch liegt es im Interesse sämtlicher
Marktteilnehmer und Länder, mit
höchster Dringlichkeit diese unverzichtbaren Voraussetzungen mit allen
Kräften in die Praxis umzusetzen.
Anmerkungen
1 Es handelt sich hauptsächlich um folgende
Länder: Indonesien, Malaysia, Philippinen,
Süd-Korea, Thailand.
2 NZZ v.25.1.00.
3 NZZ v. 4.1.00.
4 Yoshihara, Kunio: Building a Prosperous
Southeast Asia. Curzon Press, Richmond
1999 (NZZ v. 10.12.99).
5 The Economist, February 12, 2000.
6 Goldstein, Morris: Safeguarding Prosperity in
a Global Financial System, Washington,
Sept.1999
7 Vgl. EBK Bulletin 33, 1997.
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INTERNATIONAL
Christine Hirszowicz, Stellenwert einer wirksamen Bankenaufsicht in der internationalen Finanzarchitektur
Literatur
Goldstein, Morris: The Case for an International
Banking Standard, Institute of International
Economics, Washington, April 1997.
Eichengreen, Barry: Toward a New International
Financial Architecture, A Practicial Post-Asia
Agenda, Institute of International Economics,
Washington, February 1999.
Basel Committee on Banking Supervision: Supervisory Lessons to be drawn from the Asian
Crisis, Working Paper No 2, Basle, June 1999.
Council of Foreign Relations,: Safeguarding Prosperity in a Global Financial System, The Future
International Financial Architecture, Project directed by Morris Goldstein, Washington, September 1999.
Bericht des Bundesrates über das internationale
Finanzsystem und die Position der Schweiz,
Bern, 4. Oktober 1999.
Eidgenössische Bankenkommission, Bern, Bulletin 33, 1997.
Neue Zürcher Zeitung, Zürich, 4. 1. 2000,
25.2.2000.
Kunio, Yoshihara: Building a Prosperous
Southeast Asia, Curzon Press, Richmond, 1999.
The Economist, London, Feb. 12, 2000.
Goldstein, Morris: Safeguarding Prosperity in a
Global Financial System, Washington, September 1999.
Lamfalussy, Alexandre: Financial Crisis in Emerging Markets, Sheridan Books, Chelsea, Michigan, 2000.
RESUME
Surveillance bancaire efficace dans le cadre
du système financier international
Il est étonnant de constater à quel point
la presse économique internationale
se plaît à insister sur l’évolution favorable des pays du sud-est asiatique
qui étaient, il y a à peine deux ans et
demi, tant victimes que coupables de
la crise financière. Où se sont donc
évanouis ces nombreux commandements et tous ces conseils avertis pour
corriger les graves déficits tant dans les
structures législatives que réglementaires, l’absence de surveillance bancaire prudentielle, l’inexistence d’une
politique de crédit saine, le manque
d’une gestion des risques méritant ce
terme, d’une loi pour poursuites et faillites et de tribunaux indépendants?...
Cet article résume une série de travaux scientifiques parmi les meilleurs
analysant les causes de la crise financière asiatique, les mesures de préventions contre de futures crises semblables ainsi que les instruments de thérapie permettant d’en assouplir les
conséquences. Il s’agit de travaux émanant d’auteurs tels que Morris Goldstein ou Barry Eichengreen de l’Institute of International Economics à
Washington, du Comité de Bâle sur la
Surveillance Bancaire de la Banque
des Règlements Internationaux, du
Council of Foreign Relations à Washington et finalement aussi d’une
prise de position de notre Conseil
fédéral à l’égard du système financier
international. Alors que ces diverses
études mettent l’accent sur des priorités différentes, elles s’accordent tou348
tes, sans exception, sur le fait que la
mesure la plus urgente est de remédier
aux structures défaillantes du système
bancaire du pays en question et d’instaurer une surveillance bancaire indépendante et efficace. La thérapie dont
a besoin d’urgence le malade grave est
bien connue. Elle provient de Bâle.
Tout l’art de la guérison se trouve dans
l’application du médicament en question. Dès 1997, le Comité de Bâle a
établi, en coopération avec des experts de pays en dehors du Groupe des
10, un programme complet pour une
surveillance bancaire prudentielle. Ce
document comprend 25 principes de
surveillance intitulés «Core Principles
for Effective Banking Supervision».
Il a bénéficié d’une reconnaissance
mondiale et compte parmi les normes
les plus importantes de surveillance
bancaire. Il s’étend sur les domaines
suivants:
• conditions préalables d’une surveillance bancaire efficace;
• autorisation, actionnariat, gestion
et organisation de la banque;
• traitement des risques: identification, évaluation et gestion;
• méthodes de surveillance continue;
• exigence de transparence;
• puissance réelle et indépendance de
l’autorité nationale de surveillance
bancaire.
Le même Comité de Bâle a aussi établi des directives pour le respect et
le suivi de ces normes. Ces directives
sont intitulées «Core Principles Methodology» et datent de 1998. Elles
pourront servir aux organisations internationales telles que le FMI ou la
Banque Mondiale pour évaluer la
qualité des banques victimes de la
crise asiatique. Si les crises financières
pouvaient, à l’époque, être résolues
par une politique monétaire ou fiscale
restrictive, ceci n’est plus le cas à l’ère
de la mobilité globale du capital. Les
objectifs les plus urgents sont dès lors
de renforcer les maillons faibles de la
chaîne mondiale du flux des capitaux.
Ceci ne signifie autre chose que d’établir une surveillance bancaire très efficace, de permettre le jeu de la discipline du marché, de garantir une gestion d’entreprise responsable de ses
actes (Good Governance), d’exiger
l’application de normes de comptabilité reconnues à l’échelle mondiale,
d’instaurer dans chacun des pays en
question une législation de poursuites
et faillites efficace ainsi qu’une juridiction indépendante. Tout cela exige
un effort de formation. Afin de faire
pression à l’échelle internationale
pour que soient appliqués ces critères
de surveillance bancaire, le Comité de
Bâle offre des formations adéquates
aux experts dans les pays respectifs,
ceci en coopération avec le FMI et la
BM. En déployant leurs conseils, les
enseignants doivent tenir compte du
fait que la culture et la politique des
pays du sud-est asiatique connaissent
d’autres dimensions que celles de nos
pays occidentaux.
CH
L’Expert-comptable suisse 4/01