Unterhaltsvorschussleistungen

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Unterhaltsvorschussleistungen
III. Auskunftsanspruch, § 1605 I BGB, §§ 235, 236 FamFG
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4. Unterhaltsvorschussleistungen
Unterhaltsvorschussleistungen werden für Kinder bis zur Vollendung des 12. Lebens- 12
jahres für die Dauer von höchsten 6 Jahren in Höhe des Mindestunterhalts abzüglich
des halben Erstkindergeldes erbracht, wenn der Unterhaltspflichtige nicht den Mindestunterhalt bezahlt. Gemäß § 7 UVG gehen die Unterhaltsansprüche des Kindes in
Höhe der erbrachten Leistungen auf das Land über. Die Möglichkeit der Rückabtretung ist in § 7 IV 2 UVG vorgesehen. Nach der Rechtsprechung des BGH2593 ist aber für
die gerichtliche Geltendmachung der von einem Sozialhilfeträger rückübertragenen
Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigte grundsätzlich nicht bedürftig im Sinne
der Verfahrenskostenhilfe, da ihm ein Anspruch auf Verfahrenskostenvorschuss gegen
den Sozialhilfeträger zusteht.
Der Forderungsübergang bei Unterhaltsvorschussleistungen nach dem UVG lässt für
künftige Unterhaltsansprüche die Aktivlegitimation unberührt.2594
III. Auskunftsanspruch, § 1605 I BGB, §§ 235, 236 FamFG
Genaue Kenntnisse des Einkommens und Vermögens der Beteiligten sind erforderlich, 13
um den Bedarf des Unterhaltsberechtigten, die Höhe des zu leistenden Unterhalts und
ggf die Haftungsanteile der Unterhaltspflichtigen berechnen zu können. Die Auskunftspflichten ergeben sich aus § 1605 I BGB sowie aus dem Grundsatz von Treu und Glauben.
Um zeitintensive Stufenklagen entbehrlich zu machen geben §§ 235, 236 FamFG im 14
gerichtlichen Verfahren ein Instrumentarium, mit dem gemäß § 235 II FamFG das
Gericht verpflichtet ist, für die Auskunftserteilung nach §§ 235 I bzw 236 I FamFG
Sorge zu tragen, wenn ein Beteiligter vor Beginn des Verfahrens entgegen einer bestehenden Auskunftspflicht einer Aufforderung innerhalb angemessener Frist nicht nachgekommen ist.
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Beratungshinweis:
§§ 235 II, 236 II FamFG dürfen aber nicht dahin missverstanden werden, dass die
mühselige Ermittlung der vorhandenen Einkünfte auf die Familiengerichte abgeschoben werden könnte. Von der verfahrensrechtlichen Auskunftspflicht der Beteiligten bzw
Dritter kann erst Gebrauch gemacht werden, wenn entsprechende Aufforderungen zur
Auskunftserteilung vor Beginn des Verfahrens stattgefunden haben und erfolglos geblieben sind. Es gilt der Beibringungsgrundsatz.
1. Inhalt des Auskunftsanspruchs
Der Anspruch auf Auskunft beinhaltet eine systematische Zusammenstellung aller er- 16
forderlichen Angaben, um dem Gegner ohne übermäßigen Arbeitsaufwand die Einkommensberechnung zu ermöglichen.2595 Es sind deshalb die gesamten Einnahmen
sowie alle damit zusammenhängenden Ausgaben (Steuern, Vorsorgeaufwendungen,
notwendige Werbungskosten, notwendige berufsbedingte Aufwendungen, usw) sowie
2593 FamRZ 2008, 1159.
2594 Vgl BGH FamRZ 1995, 1131.
2595 Vgl BGH FamRZ 1983, 996, 998.
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A. Beratung
alle sonstigen unterhaltsrechtlich relevanten Umstände, zB mietfreies Wohnen, längeres
Zusammenleben mit einem neuen Lebensgefährten, vorzutragen.
17 Bei Gewinneinkünften (Selbstständige, Gewerbetreibende) genügt es, nur das Endergebnis in der Auskunft anzuführen und bezüglich aller Einzelheiten auf eine beigefügte
Anlage zur Einkommens-/Überschussrechnung Bezug zu nehmen.2596
Es ist zu erklären, dass im Übrigen keine weiteren Einkünfte, zB aus Vermietung/Verpachtung, Kapitaleinkünfte, etc., vorhanden sind.2597
18 Der Auskunftszeitraum erstreckt sich beim Nichtselbstständigen und Rentner auf das
Einkommen des letzten abgelaufenen Kalenderjahres bzw der letzten 12 Monate und
beim Selbstständigen, Gewerbetreibenden oder bei sonstigen schwankenden Einkünften auf das Einkommen von 3 Jahren bzw im Einzelfall bei stark schwankenden Einkünften auf die letzten 5 Jahre, wobei bei Selbstständigen die Auskunft nur für volle
Kalenderjahre2598 verlangt werden kann und für das abgelaufene Jahr nach 6 Monaten.2599
19 Der Erfüllung der Auskunftspflicht ist auch von Selbstständigen so zeitnah wie möglich
nachzukommen, um Unterhaltsstreitigkeiten nicht zu verzögern mit der Folge, dass
Hinweise, der Steuerberater sei überlastet oder das Finanzamt habe die Frist zur Abgabe
der Einkommensteuererklärung verlängert, nicht dazu berechtigen, die Frist zur Auskunftspflicht erheblich zu überschreiten.
20 Ist auch ein Unterhaltsrückstand zu berechnen, sind die Einkünfte des betroffenen
Jahres zugrunde zu legen und dementsprechend darüber Auskunft zu erteilen.
Über Vermögen ist jeweils zum 31.12. des Vorjahres Auskunft zu erteilen, weil sich auf
diesen Tag regelmäßig die Bankabrechnungen zu Schulden, Geschäftskosten, Wertpapieren, usw beziehen.2600
21 Eine Auskunft zum Vermögen kann aber nur verlangt werden, wenn das Einkommen
nicht zur Bedarfsdeckung bzw Leistungsfähigkeit ausreicht.2601 Da die Nutzung des
Vermögens Einkünfte sind (Zinsen, Wohnwert, usw), geht es bei der Vermögensauskunft nur um die Verwertung des Vermögensstamms, in Einzelfällen um eine Vermögensumschichtung. Wird für die Unterhaltsberechnung nur das Einkommen benötigt
(Regelfall), ist daher keine Verpflichtung zum Erteilen einer Auskunft über das Vermögen gegeben, da sie die Ermittlungen der Bedürftigkeit bzw Leistungsfähigkeit nicht
beeinflusst. Ein Anspruch auf Erteilung einer Auskunft zum Vermögensstamm besteht
nur dann, wenn die Einkünfte aus allen Einkunftsarten zur Bedarfsdeckung nicht ausreichen.
Eine neue Auskunft kann nur alle 2 Jahre verlangt werden, § 1605 II BGB. Diese Sperrfrist gilt aber nicht, wenn bei längerer Verfahrensdauer im Laufe eines Verfahrens das
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Vgl OLG München FamRZ 1996, 738.
Vgl Wendl/Dose, § 1 Rn 670; Gerhardt, Familienrecht, 6. Kap. Rn 517.
Vgl OLG München FamRZ 1999, 453.
Vgl OLG München FamRZ 1992, 1207.
Vgl OLG München FamRZ 1996, 738.
Vgl Gerhardt, Familienrecht, 6. Kap. Rn 512 a.
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III. Auskunftsanspruch, § 1605 I BGB, §§ 235, 236 FamFG
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Auskunftsbegehren zeitlich erweitert werden muss, um aktuelle Auskünfte zu erhalten.2602
2. Vorlage von Belegen
Für eine Auskunftserteilung reicht es nicht aus, wenn lediglich Gehaltsabrechnungen 22
übersandt werden.2603 Auskunft und Vorlage von Belegen sind zwei getrennte Ansprüche, die nebeneinander zu beantragen sind. Um die Angaben zur Auskunft überprüfen
und das Einkommen selbst berechnen zu können besteht für die Höhe der Einkünfte
(nicht des Vermögens) ein Anspruch auf Vorlage von Belegen gemäß § 1605 I 2 BGB.
Hierbei handelt es sich insbesondere um Verdienstbescheinigungen des Arbeitgebers,
Lohnsteuerkarten, Arbeitslosen- und Krankengeldbescheide, Spesenbescheinigungen,
Einkommensteuererklärungen mit sämtlichen Anlagen (= Bilanzen nebst Gewinn- und
Verlustrechnung) und Einkommensteuerbescheide. In Einzelfällen kann auch die Vorlage eines Dienst- oder Arbeitsvertrages begehrt werden.2604 Die Belegvorlage umfasst
im Regelfall nicht die Pflicht zur Vorlage von Originalbelegen.
3. Eidesstattliche Versicherung
Wurde die Auskunft nach Angaben des Pflichtigen vollständig erteilt und liegen An- 23
haltspunkte dafür vor, dass die Auskunft aufgrund fehlender Sorgfalt oder in Betrugsabsicht unvollständig oder unrichtig ist, hat der Anspruchsberechtigte einen Anspruch
auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gemäß §§ 259, 260, 261 BGB.
4. Auskünfte für Unterhalt des volljährigen Kindes
Soweit ein volljähriges Kind Unterhalt begehrt, gehört die Mitteilung des Einkommens 24
beider Elternteile bereits zum schlüssigen Klagevortrag, da der Haftungsanteil des in
Anspruch genommenen Elternteils sonst nicht berechnet werden kann.
Die notwendigen Auskünfte zum Einkommen sind daher vom Volljährigen nach
§ 1605 BGB zu erholen.
Will dagegen ein Elternteil einen Unterhaltstitel eines volljährigen Kindes abändern, 25
muss er vorab zur Feststellung seines Haftungsanteils nach § 1606 III 1 BGB das Einkommen des anderen Elternteils klären, wofür ihm ein Auskunftsanspruch nach
§ 242 BGB zusteht.
Will ein Elternteil außergerichtlich seinen Haftungsanteil ermitteln, um einen Prozess zu 26
vermeiden bzw das Kind nicht zu zwingen, gegen den anderen Elternteil vorzugehen,
besteht ebenfalls ein Auskunftsanspruch nach § 242 BGB.2605 Es fehlt insoweit zwar
eine unmittelbare gesetzliche Regelung, aber nach Treu und Glauben ist ein Anspruch
gegeben, wenn zwischen den Beteiligten rechtliche Beziehungen bestehen – wie hier
gemäß § 1606 III 1 BGB – bei denen der Auskunftsbegehrende über die Höhe seiner
Verpflichtung im Unklaren und deshalb auf die Auskunft des anderen Elternteils angewiesen ist.2606
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Vgl BGH FamRZ 2006, 1182.
Vgl OLG Hamm FamRZ 2004, 1105.
Vgl BGH FamRZ 1994, 28, 29; Gerhardt, Familienrecht, 6. Kap. Rn 518.
Vgl BGH FamRZ 1988, 268.
Vgl BGH FamRZ 1988, 268.
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B. Der Unterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes
B. Der Unterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes
I. Anspruchsgrundlage, § 1601 BGB
27 Der Anspruch auf Kindesunterhalt gemäß § 1601 BGB richtet sich (dem Grunde nach)
lebenslang gegen beide Eltern und ist daher nie zeitlich zu begrenzen (zB bis zur Volljährigkeit oder zum Abschluss der Ausbildung, etc.).
28 Es reicht daher für eine Abänderungsklage nicht der Eintritt der Volljährigkeit aus,
sondern der Unterhaltspflichtige muss darlegen und beweisen, dass sein Haftungsanteil
geringer ist als der titulierte Unterhalt.
29 So bestimmt § 244 FamFG ausdrücklich, dass der Einwand der Volljährigkeit gegen die
Vollstreckung eines Beschlusses über Kindesunterhalt unzulässig ist.
30 Anspruchsvoraussetzung des § 1601 BGB ist lediglich die Verwandtschaft in gerader
Linie. Die Abstammung muss daher vorab geklärt sein, insbesondere bei nichtehelichen
Kindern. Bei adoptierten Kindern gelten §§ 1754, 1755, 1751 IV BGB. Bei einer heterologen Insemination kann die Vaterschaft nach § 1600 II BGB nicht mehr angefochten
werden; der Kindesvater ist damit unterhaltspflichtig, außer das Kind ficht die Vaterschaft erfolgreich an.
II. Bedarf
1. Mindestunterhalt
31 Maßgebend für den Unterhaltsbedarf des minderjährigen Kindes sind nach § 1610 I
BGB die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern. Wegen der Gleichwertigkeit von Bar- und Naturalunterhalt richtet sich ab der Trennung der Eltern die Höhe
des Barunterhalts allein nach den Einkommensverhältnissen des barunterhaltspflichtigen Elternteils.2607
32 Der Mindestunterhalt ist derjenige Barunterhaltsbetrag, auf den das minderjährige
Kind grundsätzlich Anspruch hat und den der Unterhaltspflichtige grundsätzlich zu
leisten verpflichtet ist. Das bedeutet, dass der Unterhaltspflichtige beweisen muss, dass
er nicht leistungsfähig ist, den Mindestunterhalt zu zahlen. Ferner knüpft an den Mindestunterhalt die Berücksichtigungsunwürdigkeit von Schulden an. Kann der Mindestunterhalt aufgrund von Schulden nicht gezahlt werden, ist dies ein Ablehnungsgrund
für die Berücksichtigung. Außerdem gilt die gesteigerte Erwerbsobliegenheit bis zur
Sicherstellung des Mindestunterhalts.
Der Mindestunterhalt richtet sich nach dem Existenzminimum und wird jeweils zum
1.1. aller ungeraden Jahre, dh das nächste Mal zum 1.1.2011, angepasst.
Der Mindestunterhalt steht aber weiterhin wie bisher unter dem Vorbehalt der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen.2608
Die Mindestunterhaltssätze betragen seit 1.1.2009
n 1. Altersstufe (0 bis 5 Jahre): 281,00 EUR ./. 1/2 Kindergeld 82,00 EUR =
199,00 EUR
2607 Vgl BGH FamRZ 2003, 1471; 2002, 536.
2608 Vgl BT-Drucks. 16/1830, S. 26.
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II. Bedarf
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n 2. Altersstufe (6 bis 11 Jahre): 322,00 EUR ./. 1/2 Kindergeld 82,00 EUR =
240,00 EUR
n 3. Altersstufe (12 bis 17 Jahre): 377,00 EUR ./. 1/2 Kindergeld 82,00 EUR =
295,00 EUR
2. Angemessener Barunterhalt nach § 1610 I BGB
Der angemessene Barunterhalt richtet sich nach dem bereinigten Nettoeinkommen des 33
barunterhaltspflichtigen Elternteils unter Zugrundelegung der jeweils gültigen Düsseldorfer Tabelle.
Die Düsseldorfer Tabelle bezieht sich auf 3 Unterhaltsberechtigte, ohne Rücksicht auf 34
den Rang. Bei einer größeren/geringeren Anzahl Unterhaltsberechtigter können Aboder Zuschläge durch Einstufung in niedrigere/höhere Gruppen angemessen sein, also
zB bei einer Unterhaltsverpflichtung gegenüber 2 Kindern eine Höhergruppierung um
eine Einkommensstufe.
In den Bedarfsbeträgen sind Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie Stu- 35
diengebühren nicht enthalten.
Das Kindergeld, das derzeit für das erste und zweite Kind 164,00 EUR und für das
dritte Kind 170,00 EUR und ab dem vierten Kind 195,00 EUR beträgt, wird von den
Tabellenbeträgen hälftig bedarfsdeckend in Abzug gebracht und der barunterhaltspflichtige Elternteil entsprechend entlastet.
Wegen seiner Zweckbestimmung gilt das Kindergeld als Einkommen des Kindes und 36
kürzt damit seinen Bedarf. Wegen der Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsleistung gemäß § 1606 III 2 BGB ist es zur Hälfte auf den Barbedarf des Kindes und zur
anderen Hälfte auf den Betreuungsbedarf anzurechnen, § 1612 b I Nr. 1 BGB.
In den Tabellensätzen der Düsseldorfer Tabelle sind alle Lebenshaltungskosten, wie zB
Kosten für Nahrung, Wohnung, Kleidung, Essen, Schulausbildung, Unterrichtsmaterial, Hobbies und Taschengeld pauschal enthalten. Eine pauschale Anhebung der Tabellensätze für besondere Ausgaben, zB Ferienaufenthalte, Urlaube, Kleidung, Geburtstage oder sonstige Festtage, Handy und dergleichen, kommt nicht in Betracht. Der
betreuende Elternteil ist grundsätzlich verpflichtet, Rücklagen aus dem bezahlten Tabellenunterhalt zu bilden, um die entsprechenden voraussehbaren Mehrausgaben decken zu können. Anders ist dies beim sog. Mehr- bzw Sonderbedarf.
Bei überdurchschnittlichem Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils erfolgt 37
ab einem Einkommen von 5.101,00 EUR keine schematische Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle, sondern das unterhaltsberechtigte Kind hat seinen über der höchsten
Gruppe der Düsseldorfer Tabelle liegenden Bedarf konkret darzulegen und ggf zu beweisen. An die Darlegungslast dürfen aber keine übertriebenen Anforderungen gestellt
werden. Das Kind kann sich darauf beschränken, besondere bzw besonders kostenintensive Bedürfnisse zu belegen und die hierfür erforderlichen Mittel zu benennen.2609
Auch bei einem höheren Einkommen der Eltern sollen die Kinder ihrem Alter entsprechend an der Lebensführung der Eltern teilhaben, entsprechend der sehr günstigen
wirtschaftlichen Situation der Eltern. Es sind die besonderen Verhältnisse zu würdigen
2609 Vgl BGH FamRZ 2001, 1603.
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B. Der Unterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes
und zu ermitteln, wobei Wünsche des Kindes, die sich als bloße Teilhabe am Luxus
darstellen, nicht erfüllt werden müssen.2610
3. Mehrbedarf des Kindes
38 Unter Mehrbedarf versteht man einen während eines längeren Zeitraums regelmäßig
anfallenden Bedarf, der die üblichen Kosten übersteigt und deshalb mit den Regelsätzen
der Düsseldorfer Tabelle nicht erfasst wird.2611 Ein Mehrbedarf fällt vor allem an bei
einer Unterbringung in einer Privatschule, bei Nachhilfeunterricht, bei Krankheit oder
Behinderung sowie durch die Förderung einer musischen Ausbildung oder sportlicher
Aktivitäten (zB Reitsport).2612
39 Dem angemessenen Unterhalt hinzuzurechnen ist der Mehr-/Zusatzbedarf, der nicht als
Sonderbedarf anzusehen ist. Der Mehrbedarf kann zu einer von den Tabellen-Regelbedarfsätzen abweichenden Unterhaltsbemessung führen, soweit nicht der schematisierte Unterhalt Spielraum zur Bildung von Rücklagen lässt.2613
Beim Mehrbedarf handelt es sich um eine Abweichung vom Regelfall des § 1606 III
2 BGB mit der Folge, dass für den Zusatzbedarf beide Elternteile anteilig haften,2614
soweit beide Elternteile leistungsfähig sind.
40 Mehrbedarf sind (im Regelfall ausbildungsbedingte) notwendige Kosten, die längere
Zeit im Voraus feststehen, typischerweise regelmäßig anfallen und die nicht zum allgemeinen Lebensstandard gehören. Beim Mehrbedarf muss der Unterhaltsberechtigte
den Unterhaltspflichtigen vor dem Anfall der Kosten zur Zahlung auffordern und ggf in
Verzug setzen, andernfalls geht der Anspruch verloren. Anders als beim Sonderbedarf
kann Erfüllung für die Vergangenheit ohne Verzug oder Rechtshängigkeit nicht verlangt werden. Ein Mehr an laufendem Bedarf kann (anders als beim Sonderbedarf) nur
über die Abänderungsklage nach §§ 238, 239 FamFG verlangt werden, die den Einschränkungen des § 238 II, III, IV FamFG unterliegt. Wann ein plötzlich auftretender
Bedarf „regelmäßig“ zu werden beginnt und damit Mehrbedarf ist, ist oft schwierig
abzugrenzen. Fest steht, dass es keinen „laufenden Sonderbedarf“ gibt.2615
41 Fallen die Kosten für die Kinderbetreuung (Hortkosten, Unterbringung in einer Tagesstätte oder Tagesheimschule) aus pädagogischen, schulischen oder krankheitsbedingten
Gründen (zB Lernbehinderung) an, handelt es sich in der Regel um einen Mehrbedarf
des Kindes.2616 Steht allerdings im Vordergrund, dem betreuenden Elternteil eine Berufstätigkeit zu ermöglichen, handelt es sich regelmäßig um Kinderbetreuungskosten,
die kein Mehrbedarf sind.
42 Bei den Kindergarten-/Kinderhortkosten ist nach der Rechtsprechung des BGH2617
nach dem zeitlichen Umfang des Kindergartenbesuchs zu differenzieren:
2610 Vgl BGH FamRZ 2000, 358 f.
2611 So BGH FamRZ 2007, 882.
2612 Ausführlich und systematisch dargestellt nach Fallgruppen ist der ausbildungsbedingte Mehrbedarf von
T. A. Heiß in FPR 2008, 356 ff.
2613 Vgl T. A. Heiß, FPR 2008, 356.
2614 Vgl BGH FamRZ 1998, 286, 288.
2615 Vgl BGH FamRZ 2006, 612; T. A. Heiß, FPR 2008, 356.
2616 Vgl BGH FamRZ 2007, 882; Gerhardt, Familienrecht, 6. Kap. Rn 153.
2617 Vgl FamRZ 2008, 1152.
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