Erwachsen? - Suchthilfe-MV

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Erwachsen? - Suchthilfe-MV
AUS G ABE
5 / 2013
MECKLENBURGER STRASSENMAGAZIN
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EIN PROJEKT FÜR MENSCHEN IN SOZI
ALER NOT
Oktober / November 2013
1,20 Euro
Davon 60 Cent
für den Verkäufer
„die straße“ erscheint in Schwerin, Wismar, Güstrow, Ludwigslust und Crivitz
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Inhalt:
Seite 2
Leben in Bildern
Buchverlosung
18 Jahre
Leben in Bildern
Schon immer hat sich die Straßenzeitung auch mit dem Thema „Erwachsenwerden“ beschäftigt. Jetzt ist die Zeitung selbst volljährig geworden.
Seite 3
Tafelgartenfest
Start-Zeichen
Seiten 4 und 5
Gedanken zur Volljährigkeit
Seite 6
Nachdenkliches
Endlich 18
Seite 7
Auf Jobsuche
Seiten 8 und 9
Die „Eule“
Endlich eine Party
Seite 10
Vom Leben auf dem Land
Seite 11
Betreuungskraft in der
Altenpflege
Seiten 12 und 13
„Honigbiene“ für Kinder
Seite 14
Verkäufer Frank Hoffmann
Seite 15
Volljährig in der DDR
Seite 16
Der Sänger Carl Hill
Seite 17 – Ludwigslust
Die große Kaskade
Seite 18 – Wismar
Markthalle
Seite 19 – Güstrow
Veranstaltungen im Schloss
Ausstellung in der
Ernst-Barlach-Stiftung
Seite 20 – Crivitz
Der Fall Kadow
Seite 21
Buchvorstellungen
Seite 22
Geschichte(n) der Heimat
Seite 23
Sudoku, Leserbrief
Aufruf, Impressum
Seite 24
Kreuzworträtsel
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Buchverlosung
In der vorigen Ausgabe stellten wir
auf Seite 21 das Buch „DAS GROSSE LOS“ von Meike Winnemuth vor.
Der Knaus Verlag hat uns freundlicherweise drei Exemplare des Buches für eine Verlosung zur Verfügung gestellt.
Über ein Buch von Meike Winnemuth
können sich freuen:
Ingeborg Helm, Schwerin
Susanne Reißig, Berlin
Karl-Heinz Schmidt, Schwerin
Herzlichen Glückwunsch!
Die Redaktion
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Erlebnisreiche Stunden in
der Natur
Start-Zeichen
„Fest im Grünen Tafelgarten“ erfreute
sich großer Beliebtheit
Wie schon in den vergangenen Jahren veranstaltete der JOB
TAFEL Beschäftigungsträger der
Evangelischen Suchtkrankenhilfe
gGmbH auch in diesem Jahr wieder ein „Fest im Grünen Tafelgarten“.
Am 22. August, von 10 bis 16 Uhr,
bei herrlichem Sonnenschein und
jeder Menge gute Laune, freuten
wir uns über die zahlreichen Gäste, zu denen auch unsere Oberbürgermeisterin zählte. Angelika
Gramkow bestaunte auf ihrem
Rundgang die riesige Gartenfläche, lobte das Engagement der
fleißigen Mitarbeiter und überreichte einen Gutschein.
Auch in diesem Jahr waren wieder
Grundschüler/-innen des Sonderpädagogischen Förderzentrums,
der Astrid-Lindgren-Schule sowie
Kinder der Kindertafel Mueßer Holz
zu Gast und verbrachten erlebnisreiche Stunden in unserer „grünen
Oase“. Die Kinder bewunderten
die vielen Obstbäumchen; interessantes Gemüse wie z.B. Zucchini,
Melonen und Gurken, rote Bete,
Möhren und Stangenbohnen; verschiedene Kräuter und viele, viele
Blumen. Eine besondere Überraschung bot sich im hinteren Teil
des Gartens, wo Kaninchen und
Wachteln in kleinen Gehegen auf
die Gäste warteten.
Der AWO-Treff „Deja vu“ unterstützte uns an diesem Tag und stellte eine mobile Hüpfburg zur Verfügung, auf der die Kinder natürlich
einen Riesenspaß beim Toben und
die Erwachsenen beim Zuschauen
hatten. Ein weiteres Highlight war
auch wieder unser Glücksrad. Die
Kinder hatten viel Spaß beim „Drehen“ und freuten sich sehr über
die attraktiven Preise. Die kleine
Sinnesstrecke, an der verschiedene Kräuter „errochen“ und „erschmeckt“ werden konnten, sowie
das Büchsenwerfen fanden ebenfalls großen Anklang. Zwei Mitarbeiter der Spielzeugwerkstatt, ein
weiteres Projekt des JOB TAFEL
Beschäftigungsträgers, boten den
Kindern an diesem Tag kostenlos
gespendetes Spielzeug an.
Für das leibliche Wohl war natürlich ebenfalls gesorgt. So fanden die frische Gemüsesuppe
sowie unsere Kräuterquark- und
Schmalzschnittchen
reißenden
Absatz. Natürlich kamen auch die
Kuchenfreunde nicht zu kurz: viele Bleche mit schmackhaftem Kuchen standen für die Gäste bereit.
Besonders freuten wir uns auch in
diesem Jahr wieder über den Besuch zahlreicher Bewohner/-innen
der anliegenden Alten- und Pflegeheime am Nachmittag, denen der
Kuchen und der Kaffee besonders
gut schmeckten.
Das „Fest im Grünen Tafelgarten“ war auch in diesem Jahr
wieder eine sehr schöne, bunte und gelungene Veranstaltung.
Monika Schumann
Nach wie vor unverzichtbar
Bei der Vorbereitung dieser Ausgabe hörten wir immer wieder: „18 Jahre
Straßenzeitung? So lange gibt es euch
schon?“
Ja, so lange schon. Im November 1995
erschien die erste Ausgabe der „straße“.
Damals war diese etwas andere Art der
Berichterstattung noch nahezu unbekannt. Doch das änderte sich schnell.
Heute ist die Straßenzeitung eine wichtige Ergänzung herkömmlicher Printmedien.
In 18 Jahren des „Erwachsenwerdens“
ist viel passiert. Es ist ein Zeitraum, in
dem 106 lesenswerte und interessante
Ausgaben mit insgesamt 2.544 Seiten
und ca. 5.000 Fotos entstanden sind.
Bei allem gesellschaftlichen Wandel haben wir nie aus den Augen verloren, was
wir sind und was wir wollen: Menschen
ermutigen, sich nicht ins soziale Abseits
drängen zu lassen, sondern sich ihrer
Stärken bewusst zu werden und, wenn
nötig, Hilfsangebote anzunehmen.
Straßenzeitungen werden nach wie vor
unverzichtbar sein. Jedenfalls solange
es Menschen gibt, die in der Gesellschaft aus den verschiedensten Gründen keine Anerkennung finden und der
Hilfe Anderer bedürfen. Auf ihre Probleme aufmerksam zu machen und die Leser zu sensibilisieren, war unser Anliegen in den zurückliegenden Jahren und
wird es auch in Zukunft sein.
Dass es uns 18 Jahre gibt – darauf können wir nicht stolz sein. Dass wir diese
Zeitung machen dürfen, jedoch schon.
Horst Pfeifer
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„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Die Straßenzeitung
„die straße“ wird im
November 18 Jahre alt.
Wenn das kein Grund zum Feiern ist!
Schließlich erlangt man(n) (Frau
auch) mit der Vollendung des 18. Lebensjahres in Deutschland die Volljährigkeit. Der betreffende Mensch wird
zu diesem Zeitpunkt voll geschäftsfähig und darf von nun an, zum Beispiel
auf kommunaler und Bundesebene,
wählen.
Seit 1950 ist das in der Deutschen
Demokratischen Republik so gewesen, und seit 1975 wurden auch die
Jugendlichen in der Bundesrepublik
Deutschland mit Vollendung des 18.
Lebensjahres volljährig. Dem ging
im März des Jahres zuvor eine hitzige Debatte im Bundestag voraus. Im
Ergebnis trat am 1. Januar 1975 das
„Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters“ in Kraft, womit der Eintritt der Volljährigkeit vom vollendeten
21. Lebensjahr auf die Vollendung des
18. Lebensjahres herabgesetzt wurde. Das Durchschnittsalter der damaligen Abgeordneten des Bundestages
lag übrigens bei ungefähr 47 Jahren,
also was mussten die doch „relativ“
jungen Parlamentarier da so lange
bereden? Übrigens war ich über diese
Zahl sehr erstaunt, hätte ich sie doch
4
wesentlich höher vermutet. Aber mein
Vater sah mit 35 Jahren auch irgendwie älter aus als ich mit 35, glaube ich
jedenfalls. Für den interessierten Leser: Das aktuelle Durchschnittsalter
unserer Volksvertreter beträgt genau
49,42 Jahre.
Alter ein Garant für
Weisheit?
Was man mit Erreichung der Volljährigkeit alles tun und lassen muss bzw.
soll oder darf, das ist zumeist in unseren Gesetzen festgeschrieben
und unterliegt keinem besonderen
Qualitätsanspruch. Der Mensch
wächst, wird älter, manchmal noch
älter, bildet sich oder auch nicht,
zeugt Kinder, pflanzt Bäume,
schreibt vielleicht ein Buch und
wartet „volljährig“ auf das, was da
kommt. Jeder ist seines Glückes
oder Unglückes Schmied, versucht
man uns immer wieder deutlich zu
machen, und die gebratenen Tauben sind zum Greifen nah. Neuerdings erlaubt der Bundesgesundheitsminister uns sogar, selbst zu
entscheiden und zu wählen (siehe
oben), ob uns eine private oder
gesetzliche Krankenkasse bis ans
Grab begleiten darf. Stand und Besitz sollen dabei egal sein, nur diese eine Vision hat er. Hoffentlich
haben auch die Krankenkassen
Visionen, die sich mit dem Geldbeutel
des Bürgers und des Staates vertragen.
Da fällt mir ein altes Lied von Curd
Jürgens ein. „Sechzig Jahre und kein
bisschen weise, aus gehabtem Schaden nichts gelernt“. Ob vor oder nach
dem Erreichen der Volljährigkeit, richtig „fertig“ sind wir nie. Fast beharren
wir als mündige Zeitgenossen darauf,
immer wieder die gleichen Fehler zu
machen und den Erfahrungswert aus
begangenen Fehlern eher niedrig zu
halten. Aber wir haben ja ein Leben
lang Zeit, und wer will schon als weise
gelten?
Viele Publikationen werben
um die Gunst der Leser
Der Wahlspruch Peer Steinbrücks vor
der letzten Bundestagswahl lautete:
„Sie haben es in der Hand“. Was der
Bürger nach der Wahl in der Hand hat
oder wieder mal nicht, das wird die
Zukunft zeigen. Was Sie, lieber Leser,
aber nunmehr seit 18 Jahren wirklich
und regelmäßig in der Hand haben,
ist diese Straßenzeitung. Sie und die
vielen Mitstreiter sind sozusagen volljährig geworden. Einige Jahre meines
Berufslebens hatte ich mit einer Vielzahl unterschiedlichster Zeitungen
und Zeitschriften zu tun. Somit konnte
ich ein wenig hinter die Kulissen dieser mächtigen Branche schauen. Auf
Grund ihres regelmäßigen, periodischen Erscheinens und ihrer besonderen inhaltlichen und thematischen
Ausrichtung, dürfen wir das Produkt,
welches gerade aufgeschlagen vor
Ihnen liegt, mit Fug und Recht Zeitschrift nennen. Von denen gibt es auf
dem freien Zeitschriftenmarkt inzwischen tausende. Neben der großen
Anzahl von Blättern, die dem Käufer seit vielen Jahren bekannt sind,
herrscht auf dem Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt ein reger Verkehr. Es
ist ein Kommen und Gehen. Immer
wieder neue Magazine und Illustrierte, mit mehr oder weniger gleichen
Themen, buhlen um die Gunst des
Lesers, oder besser und richtiger
den „Zugriff“ des Käufers. Denn darum geht es: verkaufen. Da unterscheiden sich Zeitung und Zeitschrift
nicht. Das Überleben hängt von den
Verkäufen ab. „Bild“ sei Dank, ist die
Auswahl groß, eher unüberschaubar,
und der Kunde muss viel Zeit und Geduld mitbringen, um „seine“ Zeitschrift
zu finden. Hat er sich dann für eine
entschieden, haben Journalisten und
Produzenten nur eines zu tun, nämlich den Kunden bei Laune zu halten,
ihn in regelmäßigen Abständen ans
Regal zu führen und ihn zu veranlassen, das von ihm ersehnte Presseerzeugnis zu kaufen und glücklich nach
Hause zu tragen. Noch besser: Er
entscheidet sich gleich für ein Abonnement, dann ist der Verkauf wenigstens für ein Jahr gesichert.
Abseits der zahlreichen
Hochglanzmagazine
Nicht anders geht es unserer Straßenzeitung. Auch sie muss ihre Käu-
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
fer und Leser finden, und muss sich
immer deren Urteil und Kritik stellen.
Vielleicht ist ein kleiner „Mitleidsbonus“ dabei, denn schließlich wird dies
alles für einen guten Zweck gemacht
und wir helfen einer Menge Menschen, in erster Linie unseren Verkäuferinnen und Verkäufern. Aber so ein
Bonus ist etwas sehr Wackliges, der
sich schnell verbraucht, wenn Qualität
und Inhalte nicht überzeugen. Denn
den Kaufpreis könnte man schließlich
auch einfach in eine Sammelbüchse
stecken. Warum kaufen Sie also unsere Zeitschrift? Sie wissen es genau,
ich kann es nur vermuten. Was hat
„die straße“ in 18 Jahren geschafft!?
Eines steht mit ziemlicher Sicherheit
fest, sie konnte sich nicht auf die faule
Haut legen und auf ihre Volljährigkeit
warten, um dann erst richtig durchzustarten. Etwas mehr Zeit als der
amerikanische Präsident mit seinen
100 Tagen, hat sie aber sicherlich
gebraucht, bevor sie zu Ihrer Straßenzeitung wurde. Ein großer Vorteil:
Sehr viele „Mitbewerber“ hat es nicht
gegeben, und so konnten und können
sich die Mitstreiter, unter anderem
Verkäufer, Redakteure, Fotografen,
Autoren, Illustratoren und Ideenfinder
ganz auf ein Thema konzentrieren:
auf das „Projekt für Menschen in Not“.
Sie müssen nicht immer wieder die
gleichen stereotypen Themen bedienen, die gut verpackt und zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt, frisch geschrieben schon verdorben sind. Ich
möchte auf keinen Fall den hier gemeinten Yellow Press-Markt über einen Kamm scheren, schauen wir aber
in die Archive, dann gibt es fast nichts,
was nicht als Leitmotiv mit „ständige
Wiederholung“ oder „Dauerwerbesendung“ überschrieben werden müsste.
Dass ein enormer Bedarf an solcher
kurzweiligen Lektüre besteht, zeigen
die Verkaufszahlen. Und das ist in
Ordnung, wenn der „Groschen“ für
„die straße“ dabei auch übrig bleibt.
So vermessen möchte ich sein!
Die Straßenzeitung findet nun seit 18
Jahren den Weg zu Ihnen. Auch als
Periodika ist sie immer aktuell, weil
die Probleme und Themen, die beleuchtet werden, in diesem Land und
in dieser Zeit leider immer „aktuell“
sind. Da sind Leute, die den Finger
auf Wunden legen, die Andere nicht
sehen wollen, die helfen, wo die Bürgergesellschaft sich oft schon verabschiedet hat, die uns immer wieder
Menschen bekannt machen, die zeigen, wie man mit gegenseitiger Hilfe
und Achtung durchs Leben gehen
kann. Nebenher lernen Sie Ihre Heimatstadt vielleicht etwas besser kennen, begeben sich auf einen Streifzug
durch die Geschichte Mecklenburgs
mit seinen vielen Sehenswürdigkeiten und Persönlichkeiten. Die Buchvorstellung, die Kinderseiten und das
Kreuzworträtsel dürfen natürlich auch
nicht fehlen.
Ich freue mich ebenfalls über immer
wieder neue Themen, die mich zum
Nachdenken und Schreiben anregen
und deren Ergebnisse Sie dann hier
lesen können. Vielen Dank!
Also noch einmal herzlichen Glückwunsch und immer schön nah „an der
Straße“ bleiben!
Michael Schmal
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„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
NACHDENKLICHES
Endlich 18
Die Straßenzeitung hat Geburtstag
Mündig werden
Als ich fünfzehn Jahre alt war, starb
mein Vater. Ich war das älteste von
vier Kindern. Ich habe die Behördengänge für die Beerdigung meines Vaters gemacht. Meine Mutter
sagte einmal zu mir: „Da bist Du von
einem Tag zum anderen erwachsen
geworden.“
Nach dem Gesetz sind wir erst mit
achtzehn Jahren erwachsen. Wenn
einer Wehrdienst mit achtzehn leisten soll, muss er doch auch in dem
Alter mündig sein.
Aber kann man Erwachsensein vom
Lebensalter abhängig machen? Das
ist wohl mehr eine Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Wir wissen genau, dass diese Rechnung nicht immer aufgeht. Mancher
junge Erwachsene ist noch längst
nicht mündig. Trotzdem wird von
ihm erwartet, dass er sich vernünftig
verhält.
Er ist noch ein „Halbstarker“.
Es gibt sogar ältere Menschen,
die sagen: „Ich will mir mein Halbstarkentum möglichst lange erhalten.“ Sie haben es satt, immer erwachsen sein zu müssen.
Und wie ist es bei Frauen? Bei Mädchen wird der Prozess des Mündigwerdens durch körperliche Veränderungen einschneidend begleitet.
Sind Mädchen deswegen in einer
Familie und überhaupt verantwortungsvoller? Es scheint so zu sein.
Es ist also gar nicht so leicht, erwachsen zu werden. Der Mensch
braucht Eltern, Erzieher und Ausbilder. Vor allem braucht er Vorbilder.
Mündigsein wird nie wie mit einem
Trichter in den Heranwachsenden
gegossen. Ein Abitur mit „sehr gut“
ist also noch längst kein Nachweis
für einen brauchbaren und mündigen Menschen.
Friedrich-Karl Sagert
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Für Jugendliche ist die Zahl 18
eine magische Zahl. Endlich volljährig
sein, endlich ausgehen, solange man
will, und endlich kann man alles selbst
bestimmen! Das Gefühl der Unabhängigkeit ist groß, doch die vermeintliche Freiheit hat auch etwas mit Verantwortung und Verpflichtung zu tun.
Sicherlich fragen Sie sich jetzt, was
hat das alles mit unserer Straßenzeitung zu tun? Ist doch klar, „die straße“
wird 18!
Vor 18 Jahren kam mit der Straßenzeitung eine Publikation auf dem
Markt, die den Menschen, die sich
durch die Vereinigung beider deutschen Staaten an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlten, Hoffnung
gibt, Mut macht und Chancen für die
Zukunft eröffnet. Gleichzeitig half sie
Menschen, die durch Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit oder Krankheit
aus dem Berufsleben ausgegliedert
waren, wieder am gesellschaftlichen
Leben teilzunehmen.
Das erste Straßenmagazin hatte eine
Auflage von 3.000 Exemplaren, heu-
kaufspreis von 1,20 Euro pro Exemplar können sie die Hälfte behalten.
Um ein so anspruchsvolles Projekt
durchführen zu können, bedarf es
vieler Helfer. Dank der fleißigen Verkäufer können wir das Straßenmagazin in Schwerin, Ludwigslust, Wismar,
Güstrow und Crivitz anbieten. Für
den Inhalt des Blattes fühlt sich ein
Redaktionsteam aus hauptamtlichen
und ehrenamtlichen Mitarbeitern verantwortlich. Einige von ihnen sind
schon viele Jahre dabei und geben
ihre Erfahrungen an neu dazu gekommene Redaktionsmitglieder weiter. In
den regelmäßig stattfindenden Redaktionssitzungen geht es manchmal
hoch her. Doch die strukturierten und
zielorientierten Diskussionen führen
immer dazu, dass am Ende eine Zeitung mit interessanten und vielseitigen Beiträgen entsteht. Natürlich gibt
es außer der Arbeit für die Verkäufer,
Redaktions- und Förderkreismitglieder auch Höhepunkte wie Grillnachmittage, Weihnachtsfeiern, Bowling
oder Gartenfeste, die den Zusammenhalt des gesamten Teams des
Straßenzeitungsprojekts stärken.
Trotz einiger Stolpersteine und neuer Herausforderungen haben wir es
18 Jahre geschafft,
ungeschminkt über
soziale und gesellschaftliche
Themen zu berichten.
Das ist ein guter
Grund zu sagen,
dass wir uns der
Verantwortung gegenüber in soziale
Not geratenen Mitmenschen bewusst
sind, ihre Ängste
Grillfest der Straßenzeitungsverkäufer am 10. Juli 2013
und Nöte versteFoto: Gerda Jentsch
hen und mithelfen
te hat sich die Auflage verdoppelt. möchten, dass sie am gesellschaftliEin gutes Zeichen dafür, dass unsere chen Leben teilhaben können. Ich fin„straße“ gern gelesen wird. Zugleich de, das ist durchaus ein Aspekt, der
bietet sie Menschen in sozialer Not zum Erwachsenensein dazu gehört!
die Möglichkeit, als Straßenzeitungsverkäufer ihre finanzielle Situation
etwas aufzubessern, denn vom VerGerda Jentsch
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Arbeit, Geld und
schnelle Autos
Was man auf der Suche nach einem
Job erleben kann
Schaut man sich in Zeitungen
Stellenangebote an, findet man eine
Menge Anzeigen, in denen Arbeitskräfte gesucht werden. Ob Hilfs- oder
Anlernkräfte, Teil- oder Vollzeitarbeit,
Tätigkeiten von zu Hause aus oder
lukrative Zusatzeinkommen – Arbeit
scheint es in Hülle und Fülle zu geben. Meist wird der Lohn sogar als
überdurchschnittlich hoch offeriert.
Der Arbeitsuchende kann den Eindruck gewinnen, dass das Geld auf
der Straße liegt, wenn er nur leistungsbereit, flexibel und engagiert ist.
Doch was genau verbirgt sich hinter
diesen Anzeigen? Sind sie wirklich
seriös oder versprechen sie nur das
Blaue vom Himmel? Ich bin einigen
Angeboten mal nachgegangen.
Zunächst fällt bei derartigen Inseraten
auf, dass fast immer nur eine Telefonnummer, meist eine Mobilfunknummer, verraten wird. Trotzdem gefällt
mir ein Stellenangebot recht gut. Also
schnappe ich mir mein Telefon und
wähle die Nummer. Es werden unabhängige Mitarbeiter gesucht, die nicht
älter als 30 Jahre alt, familiär ungebunden und reisefreudig sind. Na gut,
älter als 30 bin ich schon, aber vielleicht machen die bei mir eine Ausnahme, weil sie doch so dringend Leute
suchen! Fragen kostet ja nichts. Herr
Lehmann, mein Gesprächspartner am
anderen Ende der Leitung, scheint auf
meinen Anruf geradezu gewartet zu
haben. Er ist freundlich und redet viel,
unter anderen vom Wetter und davon,
dass seine Firma gute Leute immer
gebrauchen kann. Mein Alter scheint
kein Problem zu sein, vielmehr ist
ihm meine Unabhängigkeit wichtig.
Er sei an einem Treffen mit mir sehr
interessiert. Ich erfahre lediglich, dass
es bei dem Job um Zeitschriften geht
und ich durch die gesamte Bundesrepublik fahren darf. Es sei halt alles
ein bisschen kompliziert, so am Telefon. Für das Treffen schlägt er als
Ort nicht etwa die Firma, sondern ein
Café in der Stadt vor. Da würde er mir
alles in Ruhe erklären, auch das mit
dem Lohn. Noch während ich zusage,
weiß ich, dass
ich Herrn Lehmann nie treffen
werde.
Das nächste Inserat. Hier wird
ein Kurierfahrer
gesucht. Ich rufe
an. Ein Herr, dessen Name ich nicht
verstehe und der es in den nächsten
Minuten auch nicht so genau mit der
deutschen Grammatik nimmt, meldet sich. Ja, ich wäre bei ihm genau
richtig. Ich frage, was ich denn zu tun
hätte. Er erklärt mir, dass sein Chef,
das gibt er unumwunden zu, die Anzeige vielleicht etwas zu schwammig
formuliert hat. Genaugenommen wird
gar kein Kurierfahrer für den täglichen
Einsatz gesucht, sondern jemand, der
sich ständig zur Verfügung hält und
hin und wieder Personenkraftwagen
von Ort A nach Ort B überführt. Da
kann es eben auch mal passieren, je
nach Auftragslage, dass ich nachts
ganz fix nach, sagen wir mal, Odessa muss. Leise wiederhole ich den
Namen der ukrainischen Hafenstadt,
dann bin ich sprachlos. Aber immerhin würde das Geld stimmen. Als er
von fünf Euro pro Stunde spricht, lege
ich auf.
Einmal versuche ich es noch. Mir fällt
eine Anzeige auf, die mir in nicht allzu
ferner Zukunft ein Leben in Saus und
Braus verspricht. Herr Meier hört sich
sympathisch an, düst auch gar nicht
erst herum und lädt mich zu einem
Bewerbungsgespräch ein. Ich fahre
mit dem Bus hin. Je näher ich meinem Ziel komme, umso schöner werden die Häuser und größer die Autos.
Dann stehe ich vor einer riesigen
Villa im Landhausstil. Keine
Frage, wer hier arbeitet, hat es zu etwas
gebracht. Warum sollte ich
nicht dazugehören? Herr Meier, ein
Mann von Welt, teurer Anzug, tolles
Parfüm, empfängt mich und bietet mir
einen Kaffee an, der von der überaus
attraktiven Sekretärin sofort gebracht
wird. Meine Bewerbungsunterlagen
schiebt er lächelnd zur Seite. Die
würden wir nicht brauchen, meint er,
schließlich geht es hier um den Menschen und nicht um irgendwelche Unterlagen. Stattdessen greift er nach
einem Stift und malt viele Kreise auf
ein Blatt Papier. Der große Kreis in
der Mitte ist ein weltweit agierendes,
bedeutendes Handelsunternehmen,
dessen Produkte ich von nun an verkaufen soll. Da der Einzelhandel nicht
beteiligt ist, würde mir ein beträchtlicher Teil dieses Geldes zugutekommen. Klar ist aller Anfang schwer,
sagt Herr Meier, aber wenn man das
erste Jahr geschafft hat, fließt das
Geld sozusagen von ganz alleine.
Ich würde es ja an ihm sehen. Nicht
umsonst fährt er einen italienischen
Sportwagen. Natürlich würde er mir,
und dabei versuchte er glaubhaft zu
wirken, als Mentor zur Seite stehen.
Schließlich sei ihm sehr daran gelegen, dass ich auch bald so ein teures und schnelles Auto fahre. Diese
Einstellung finde ich toll, überzeugen
kann mich Herr Meier allerdings nicht.
So werde ich weiter von einem Sportwagen träumen müssen. Nach Hause
bin ich übrigens wieder mit dem Bus
gefahren.
Horst Pfeifer
7
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Endlich eine Party
Unerwartete Überraschungen zum
18. Geburtstag
Mit 17 hat man noch
Träume
Neulich hörte ich mir Schlager an,
auch den Titel „Mit 17 hat man
noch Träume“ – so heißt das Lied,
mit dem 1965 die amerikanische
Sängerin Peggy March in Deutschland einen Hit landen konnte. Da in
Kürze ein Eulen-Nachbar von mir
18 Jahre alt wird, habe ich mir ein
paar Gedanken gemacht. Glaubt
man dem Text, würde das ja bedeuten, dass man mit 18 Jahren
keine Träume mehr hat.
Mit 18 Jahren gilt man als Eule
schon fast als Methusalem. Ein
Arbeitsleben liegt hinter einem, bis
zur Rente ist es nicht mehr weit.
Auch gesundheitlich haben meinen
Nachbarn all die Jahre ganz schön
gebeutelt. Da er Rückenprobleme
hat, kann er kaum noch aufrecht sitzen. Mit den Augen hat er es auch.
Bei uns Eulen sind sie von Natur
aus unbeweglich, dafür können wir
den Kopf bis zu 270 Grad drehen.
Er hingegen kommt gerade einmal
auf 45 Grad. Und auch mit dem
Hören klappt es nicht mehr so gut.
Das Ton- und Sprachaudiogramm
vom letzten Besuch beim EulenHörgeräteakustiker zeigt, dass bei
meinem Nachbarn die Empfindlichkeit gegenüber hohen Frequenzen
sehr zu wünschen übrig lässt.
Aber er hat ja uns, seine Nachbarn. Oft bringen wir ihm Mäuse,
Frösche und Käfer. Darüber freut
er sich. Und an sein ständiges
Gemecker über das Alter, Waldsterben und „Wie gut es früher
war-Gefasel“ haben wir uns im
Laufe der Jahre gewöhnt. Man
muss halt alle Eulen nehmen, wie
sie sind. Und ganz sicher haben
sie Träume. Auch mein Nachbar,
dieser liebenswerte, alte Kauz.
Eure Eule
8
Ihre Mutter, meine Freundin, ist eher
ein vernünftiger Mensch, eine ausgelassene Party traute ich ihr gar
nicht zu. Aber das Leben verlief auch
hier anders als gedacht, bekanntlich
wächst der Mensch mit seinen Aufgaben.
Beim Friseurbesuch erzählte mir meine Freundin endlich von dem Vorhaben. „Diese Party wird das Kind nie
vergessen“, schwelgte sie unter ihrer
Trockenhaube. Im weiteren Verlauf
hörte ich von diesen wunderbaren
Kreisen, wo hochwertiges Plastikgeschirr ausprobiert und erworben
werden kann. Gegen diese Art von
Zeremonie hatte ich mich Jahrzehnte
erfolgreich gedrückt. Grundsätzlich
sprach nichts gegen diese nützlichen Haushaltsdinge, ich kannte sie
gar nicht. Doch die Garantie der lebenslangen Haltbarkeit hatte bei mir
eine gewisse Abneigung und Vorurteile entwickelt. „Wer will
denn immer in derselben
Schüssel rühren“, murmelte ich leise, schaute im
ersten Augenblick besorgt
nach der Friseuse und
nickte ihr zu, damit sie die
Hitze der Trockenhaube
kontrollierte. Ein Kopfschütteln signalisierte mir,
dass aus ihrer Sicht alles
in Ordnung sei. „Diesmal
kannst Du nicht absagen“,
hörte ich meine Freundin.
„Natürlich lasse ich mein
Patenkind nicht im Stich“,
das letzte Wort sollte anlässlich der
Geburtstagsfeier eine ganz andere
Bedeutung bekommen.
Irgendwann ist jeder dran
Für manche Dinge im Leben musste man erst das richtige Alter haben.
Letztes Jahr war ich zweifache Groß-
mutter geworden und befand mich in
einem emotionalen Höhenflug, der
meinen Widerstand gegen Unternehmungen wie diese Überraschungsparty abschwächte.
Nun hatte ich eine Mission und einen
weiteren Grund für die Teilnahme an
einem so speziellen Event. Ich musste zwei Löffel, Trinkbecher und Brotdosen mit kinderleichten Verschlüssen besorgen. Tapfer tröstete ich
mich mit der Vermutung, dass dieses
Erlebnis einmalig sein würde. Dann
war es soweit.
Erwachsensein ist nicht
leicht
Meine Freundin, eine mustergültige
Hausfrau, empfing uns am Eingang
zu ihrem Haus. Ein Geschenk hatte
ich nicht in der Hand, denn ich sollte
ein Behältnis kaufen, dessen Namen
ich sicherheitshalber aufgeschrieben
hatte. Wir saßen im Wohnzimmer,
die Hausherrin nannte es Kaminzimmer, und nach fünfzehn Jahren sah
alles so neu aus, als ob sie gerade
eingezogen wäre. Auf der Toilette
stimmten sogar die Farben der Seife
Foto: Roland Kanis
IN E I G E NE R S A C H E
Meine Patentochter war ganz aus
dem Häuschen, als sie mir von der geplanten Überraschungsparty berichtete. Bald würde sie ihren achtzehnten
Geburtstag feiern und endlich in eine
eigene Wohnung ziehen können.
und Handtücher überein. Die Königin
des Plastikgeschirrs ließ auf sich warten, einige Gäste trösteten sich mit
einem selbst gebrannten Likörchen.
Für mich kredenzte die Hausfrau ein
stilles Mineralwasser, immerhin aus
einer Glaskaraffe und mit irgendwelchen bunten Steinen am Boden. Man
erklärte mir, dass auf diese Weise das
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Wasser mineralisiert werde und förderlich für meine Gesundheit sei.
„Dann betrinken wir uns eben mit diesem Wunderwasser“, flüsterte meine
Patentochter und sah wirklich unglücklich aus.
Eine Glücksfee erschien
nächtliche Runde durch die Altstadt
Schwerins. Der Stadtführer trug ein
Kostüm und eine Laterne. Wir hörten
Dinge über unsere schöne Heimatstadt, die wir bisher nicht wussten.
Kurz nach Mitternacht fuhr ich meine
Patentochter nach Hause.
cken hatte. Man spendierte mir ein
sauberes Küchenhandtuch, das ich
wieder zurückbringen sollte, denn es
war von der Großmutter.
Geschenke. „Lass Dir ruhig Zeit“,
antwortete ich und erinnerte mich an
diese Worte meiner Großmutter. Nur
wollte ich sie damals nicht hören.
Ende gut - alles gut?
Meiner Freundin kaufte ich Karten für
eine Kochsendung im Fernsehen und
fuhr sogar mit. Irgendwie muss man
sich doch mit den Macken von Menschen, die man gern hat, arrangieren.
Meine sind auch nicht immer leicht zu
ertragen.
Auf ihrem Geburtstagstisch türmten
sich viele nützliche Dinge für den ersten eigenen Haushalt. „Das Erwachsensein kann ruhig noch ein wenig
warten“, seufzte sie mit Blick auf ihre
Fo
to:
Ro
lan
dK
an
is
Plötzlich schrillte die Hausglocke, die
Jubelschreie an der Tür deuteten auf
das Erscheinen der Glücksfee hin,
sind eine Sensation, bitte zeige uns
die Messer, sei vorsichtig“, antreibend nickte mir die Glücksbringerin
zu. Zu spät! Schon spritzte das Blut
aus einer tiefen Schnittwunde über
die weißen Küchenfliesen. „Du kannst
einem auch jede Freude verderben“,
kreischte meine Freundin und lief hinaus, denn sie konnte kein Blut sehen.
Die Küchenfee war sauer, weil ich das
Gerät beschmutzt hatte. Eine andere
Dame kippte hastig einen Likör herunter, weil sie sich furchtbar erschro-
die mit prallen Tüten den Türrahmen
ausfüllte. „Lasst uns gleich in die Küche gehen, ich habe Euch den Chef
mitgebracht“, trällerte die Fee. Ich bedauerte den einzigen Mann in unserer
Runde, der damit nicht gemeint war.
„Wollt Ihr zuerst Turbo oder Quick?“,
hörte ich die zweideutige Ansage aus
der Küche. „Quicky, was sonst!“, war
die vielfache Antwort. Ich traute meinen Ohren kaum und ging irritiert in
die Küche. „Da haben wir wohl eine
Anfängerin in unserer illustren Runde“, aufmunternd bekam ich prompt
die erste Plastikschüssel in die Hand
gedrückt. Warum wusste sie, dass
dies mein erstes Erlebnis dieser Art
war? Ich gab mit wirklich Mühe, interessiert auszusehen. Und es sollte bei
dieser ersten, einzigen und verhängnisvollen Begegnung bleiben. „Das
ist das neueste Modell, schnelles
Zer-kleinern oder Verrühren mit wenig
Kraftaufwand, die scharfen Klingen
Wir fuhren mit meinem Auto in die
Notaufnahme. Mein Patenkind hatte
bereits den Führerschein erworben
und freute sich auf diese Fahrt. Die
Wunde am Finger musste mit vier Stichen genäht werden, ich bekam einen
dicken Verband. In der Cafeteria tranken wir einen Kaffee und überlegten,
wie der Abend noch zu retten sei.
Wir gingen zuerst ins Kino und sahen
den Film, in dem ein Fiesling zum
Familienvater wird und mit seinen
kleinen gelben Überraschungseiern
andere Unholde bekämpft. Anschließend waren wir eine Kleinigkeit essen und mogelten uns dann in eine
Und am Schluss dieser Geschichte,
die Erlebtes und Erdachtes erzählt,
wünsche ich Ihnen viele Begegnungen mit jungen Menschen, denn Alt
und Jung gehören zusammen. Das
war so, ist so und wird immer so bleiben. Denn manche Angelegenheiten
sind für die Ewigkeit.
Gabriele Kanis
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„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Vom Leben auf dem Land
Herbstferien, wie sie früher einmal waren
Wenn die Sommerbräune fast verblasst ist und Mitte Oktober die erste
Etappe des Schuljahres endet, beginnen an unseren Schulen die Herbstferien.
Doch Anfang des 20. Jahrhunderts
nannte man diese Zeit Kartoffelferien. Eine gute Ernte der wertvollen
Knollen war für die Versorgung von
Menschen und Nutzvieh sehr wichtig. So half wochenlang jeder, der
Pausen eingelegt, in denen Kinder
Engerlinge und anderes Getier zwischen dem Kartoffelkraut entdecken
konnten. Viele Menschen erinnern
sich bestimmt noch an diese Zeit und
berichten ab und zu von ihren Erlebnissen auf dem Feld. So wie auch
Franz J. und seine Schulfreunde, die
in den 60er Jahren an einer Grevesmühlener Schule unterrichtet wurden
und in den Ferien Kartoffeln sammeln
mussten. „Wir wurden verschiedenen
„Heu machen“, „Rüben hacken“ und
ernten oder die Arbeit im großen Garten, waren für uns selbstverständlich.
In den Herbstferien fuhr ich mit den
anderen Dorfkindern aufs Feld, um
für wenig Geld Kartoffeln für die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) zu ernten. Einmal sagte
meine Tochter zur Schwiegermutter,
dass bald die Herbstferien beginnen.
Daraufhin bekam sie von ihrer Oma
die Antwort: „Herbstferien gab es bei
uns nicht, damals hieß es noch Kartoffelferien!“
Zum Glück lernte Laura diese schwere Zeit nicht mehr kennen. Ferienjobs sind zwar heute noch begehrt,
aber sie müssen den Vorgaben der
Jugendschutzverordnung und dem
Jugendarbeitsschutz
entsprechen.
Jugendliche ab 13 Jahren dürfen bei
Ferienjobs leichte Arbeiten verrichten.
Dabei muss gewährleistet sein, dass
sie nicht überfordert werden und die
Arbeit keinen negativen Einfluss auf
die Gesundheit und die physische
und psychische Entwicklung hat.
Wie die Kartoffel nach
Deutschland kam
Ein Leben ohne die Kartoffel ist nur schwer vorstellbar
konnte, von morgens bis abends, die
Kartoffeln aus dem Boden zu holen.
Oft „packten“ ganze Familien mit ihren Kindern an, um möglichst viele
Kartoffeln in ihren Kellern lagern zu
können. Damals gab es noch keine
modernen Kartoffelerntemaschinen,
sondern Kartoffelroder, die von Pferden oder Traktoren gezogen wurden.
Dabei zog eine sich drehende Spindel Furchen in den Ackerboden, die
die Knollenwurzeln aus dem Boden
rupfte und die begehrten Kartoffeln
zur Seite warf. Die Erntehelfer liefen
hinter dem Gespann her und sammelten die Knollen in Körben. Die vollen
Körbe wurden von kräftigen Männern
gegen eine Wertmarke eingetauscht,
in Säcken entleert, die an den Rand
des Feldweges bugsiert wurden, so
dass sie auf Anhänger geladen und
abtransportiert werden konnten.
Ganz egal bei welchem Wetter, ob der
Rücken schmerzte oder die Hände
schwielig wurden, die Ernte musste
vor den ersten Frösten abgeschlossen sein. Das Erntefeld war überschaubar und es wurden oft kleine
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Foto: Gerda Jentsch
Orten zugeteilt, um dort bei der Ernte
behilflich zu sein. Dabei versuchten
wir stets dorthin zu gehen, wo es das
meiste Geld oder die beste Verpflegung gab“, erinnert sich Franz J.. Für
einen Drahtkorb mit Kartoffeln gab
es eine kleine Wertmarke von zehn
Pfennigen, die am Ende eines anstrengenden Erntetages ausgezahlt
wurden. Wer fleißig war, konnte ganz
gut verdienen. Franz J. und seine
Freunde träumten damals von einer
eigenen Band und gaben ihr schwer
verdientes Geld für den Kauf von Musikinstrumenten aus. Gern erinnert
sich Franz J. an die weithin sichtbaren
Kartoffelfeuer, die nach der Arbeit auf
den abgeernteten Äckern im herbstlichen Abendrot glühten. Die über dem
Feuer gerösteten Erdäpfel schmeckten besonders gut.
Auch ich lernte als Kind die schwere
Arbeit im Stall, Garten und auf dem
Hof kennen. Ich wohnte mit meinen
Schwestern und den Eltern in einem
kleinen Dorf in Mecklenburg und wurde bei der Kartoffelernte mit einbezogen. Doch auch andere Arbeiten, wie
Bereits in der zweiten Hälfte des 16.
Jahrhunderts brachten spanische und
englische Seefahrer, unter ihnen der
legendäre Freibeuter und Admiral Sir
Francis Drake, die Kartoffel von Südamerika nach Europa. Die Menschen
waren der unbekannten Pflanze gegenüber misstrauisch. Sie wussten
nicht so richtig, was sie mit ihr anfangen sollten. Sie mochten die Blüte,
doch der Umgang mit ihren oberirdischen, grünen Teilen war gefährlich.
Denn die Ranken enthalten das giftige
Alkaloid Solanin der Nachtschattengewächse. Wer davon etwas zu sich
nahm, zog sich schwere Vergiftungen
mit Übelkeit und Erbrechen zu, die im
schlimmsten Fall mit dem Tod endeten. Erst etwa 200 Jahre später schaffte die Kartoffel den Durchbruch. Der
preußische König Friedrich II. wusste,
wie die Kartoffel zu nutzen war und
zwang so um 1770 seine misstrauischen Bauern, sie anzubauen. So
nach und nach fanden die Menschen
Geschmack an der goldgelben „Knolle“ und lernten ihre lebenswichtigen
Nährstoffe und Vitamine zu schätzen.
Gerda Jentsch
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Ein attraktives Berufsfeld auch für Quereinsteiger
Warum sich junge Menschen für einen
Pflegeberuf entscheiden
Wegen des demografischen Wandels sind in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Arbeitsplätze in
der Pflege- und Betreuungsbranche
entstanden. Es werden nicht nur examinierte Altenpfleger sondern ebenso
Betreuungs- und Altenpflegehilfskräfte gesucht. Deshalb bietet dieses Arbeitsfeld auch für sogenannte Quereinsteiger beste Karrierechancen.
Manchmal kommt es vor, dass ein
erlernter Beruf aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr ausgeübt werden kann und die Suche
nach einer Alternative, erst recht bei
längerer Arbeitslosigkeit, nicht immer
einfach ist. In der Altenpflege kann
der Berufsalltag durch verschiedene
Möglichkeiten, wie z.B. Arbeitsgelegenheiten oder Praktika, getestet
werden, und einen Quereinstieg in
diesen Beruf ermöglichen.
käuferin im Nahrungsmittelhandwerk,
die ich nach drei Jahren erfolgreich
abgeschlossen habe.
Wie lange haben Sie in diesem Beruf gearbeitet?
Mein Ausbildungsbetrieb, eine Schweriner Fleischerei, übergab mir nach
Beendigung der Lehrzeit einen Arbeitsvertrag, so dass ich dort insgesamt sieben Jahre als Verkäuferin
tätig war. Dann wurde meine Tochter
geboren und nach der Elternzeit endete das Arbeitsverhältnis. Ich hätte
gern weiterhin in meinem Wunschberuf gearbeitet, aber die Arbeitszeiten
und die Betreuung meiner Tochter
ließen sich leider nicht miteinander
vereinbaren.
Nach dreijähriger Arbeitslosigkeit
sind Sie seit September 2011 als
Bürgerarbeiterin in einem Altenund Pflegeheim tätig. Hatten Sie
Bedenken oder Angst, dass Sie mit
den für Sie völlig neuen Aufgaben
überfordert sein könnten?
Christin Flemming ist dies gelungen.
Nachdem sie im Rahmen des vom
Bundesverwaltungsamt
geförderten Modellprojektes Bürgerarbeit im
September 2011 eine für drei Jahre
befristete Tätigkeit als zusätzliche
Betreuungskraft im Alten- und Pflegeheim eines großen Schweriner Pflegedienstanbieters begann, wurde sie
dort mittlerweile fest angestellt.
Bedenken hatte ich nicht, auch keine
Angst. Ich bin ohne Vorurteile an die
Sache herangegangen und dachte
mir, dass die Betreuung der Bewohner keine unlösbare Aufgabe sein
wird. Und genau so war es. Geholfen
hat mir dabei natürlich auch, dass ich
so freundlich von den Mitarbeiter/innen aufgenommen wurde und zu
den meisten Bewohner/-innen gleich
einen guten Kontakt hatte. Außerdem
besuche ich seit Mai dieses Jahres
einen Kurs zur Ausbildung als Betreuungskraft, der im November mit einer
Abschlussprüfung endet. Die dort vermittelten Kenntnisse sind Grundlage
meiner Tätigkeit.
Frau Flemming, welche Ausbildung haben Sie nach dem Schulabschluss absolviert?
Ist es nicht ganz schön schwierig,
ständig mit alten und kranken Menschen zu tun zu haben?
Nach dem Realschulabschluss begann ich eine Ausbildung zur Fachver-
Eigentlich ist es, bis auf wenige Ausnahmen, nicht so schwierig, alles ist
Christin Flemming an ihrem Arbeitsplatz
Foto: Monika Schumann
irgendwie machbar. Sicherlich darf
man nicht zu viele Probleme auf einmal lösen wollen oder alles an sich
heranlassen. Es gibt Bewohner/-innen, zu denen man eine engere Beziehung hat. Wenn es diesen Menschen besonders schlecht geht, leidet
man selbst doch schon sehr.
Was sagen Familie und Freunde zu
Ihrer beruflichen Entscheidung?
Überrascht waren sie schon, einige
von ihnen können sich solch eine Tätigkeit selbst gar nicht vorstellen. Sie
freuen sich aber, dass ich diesen Job
habe. Meine Tochter interessiert sich
auch sehr dafür, was ich hier mit den
Omas und Opas so mache. Ich habe
sie auch schon ein paar Mal mitgenommen, um ihr zu zeigen, wo die
Mama arbeitet.
Welche Ihrer Tätigkeiten haben Sie
am liebsten?
Ich mag gern die Gruppenarbeit mit
den Bewohner/-innen, die dann richtig
aus sich heraus gehen und meistens
locker und gut gelaunt sind.
Klappt es immer, Privat- und
Berufsleben zu koordinieren?
Das muss natürlich funktionieren. Da
ich in der Woche meine Tochter allein
betreue, sind die Arbeitszeiten das A
und O. Ich bin sehr froh, dass unser
Haus mir da sehr entgegen gekommen ist und ich so alles gut „unter einen Hut“ bekomme.
Was ist in diesem Job ganz besonders wichtig und was würden Sie
anderen Quereinsteigern raten?
Oft höre ich „Hauptsache Job!“ – genau das geht hier nicht. Man muss
schon wissen, was es bedeutet, alte
und oft schwerkranke Menschen zu
betreuen. Halbherzig ist diese Arbeit nicht zu bewältigen, denn die
Bewohner/-innen haben ein sehr feines Gespür dafür. Es ist eine sehr verantwortungsvolle und schöne Arbeit,
bei der das „Ergebnis“ sofort sichtbar
ist: durch ein Lächeln oder ein nettes
Wort der Bewohner.
Frau Flemming, vielen Dank für das
Gespräch.
Monika Schumann
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„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Honigbiene
Liebe Leserinnen und liebe Leser,
auch in dieser Ausgabe wollen wir an dieser Stelle wieder Kinder zu Wort
kommen lassen, denn wer kann besser ehrlich und offen über Ideen, Träume,
Wünsche und Hoffnungen berichten als die Kinder selbst. Diesmal geht es auf
diesen zwei Seiten um Tiere. Wir würden uns sehr freuen, wenn auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, zumindest hin und wieder die Welt mit Kinderaugen
betrachten würden und wünschen beim Lesen der „Honigbiene“ viel Spaß!
Rätsel
Was hat vier Beine, ohne Laufen zu können?
Der Stuhl
Wer trägt den Pelz sogar im Bett?
Der Faulpelz
Wer hat Hühneraugen am Kopf?
Die Hühner natürlich
Was machst du, wenn du eine Schlange siehst?
Du stellst dich hinten an
Welcher Hase läuft auf zwei Beinen?
Der Angsthase
Welche Mausefalle hat fünf Buchstaben?
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Die Katze
www.land-der-woerter.de
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Honigbiene
Zungenbrecher
Zwei zischende Schlangen lagen zwischen zwei spitzen Steinen und zischten
dazwischen.
In dem dichten Fichtendickicht pickten dicke Finken tüchtig, dicke Finken pickten tüchtig in dem dichten Fichtendickicht.
Sie war die teichigste Teichmuschel unter allen teichigen Teichmuscheln im
ganzen Teichmuschelteich, unter allen teichigen Teichmuscheln im ganzen
Teichmuschelteich war sie die teichigste Teichmuschel.
Die Katze tritt die Treppe krumm.
Fiesling Fietje fälscht Fritten fantastisch filigran, fantastisch filigran fälscht
Fiesling Fietje Fritten.
Kinderwitze
„Lachen ist gesund“
Zwei Kühe stehen auf der Weide.
Plötzlich fliegt ein Pferd über sie hinweg, dann noch zwei und dann wieder eins. „Hier muss irgendwo ein
Nest sein“, meint die eine Kuh. Darauf die andere: „Nein, die fliegen nach
Süden, das sind Zugpferde.“
Eine Maus und ein Elefant laufen
durch die Wüste. Nach einiger Zeit tritt
der Elefant versehentlich leicht auf die
Maus. Sagt der Elefant: „Entschuldigung!“ Sagt die Maus: „Macht nix, hätte mir auch passieren können.“
Welches Tier kann höher springen als
der Eiffelturm? Eigentlich jedes, hast
Du den Eiffelturm schon mal springen
sehen?
Treffen sich zwei Kühe. Sagt die eine:
„Muuuuuhhhh!“ Sagt die andere:
„Wollt ich auch gerade sagen!“
Janina
Kevin
Herr Meier kommt zum Arzt: „Sie haben doch gesagt, ich soll mit den Hühnern schlafen gehen!“ Der Arzt: „Das
ist richtig.“ Herr Meier: „Ja, aber da
gibt es ein Problem. Ich falle immer
von der Stange!“
Miriam
Phillip
Alex
Kevin
Hallo Kinder!
Wenn Ihr eine Geschichte, ein Bild oder
ein lustiges Foto für die „Honigbiene“ habt
oder in der Redaktion mitarbeiten möchtet,
meldet Euch einfach bei uns!
Kinderredaktion:
Alexander, 7 Jahre
Carolin, 8 Jahre
Simon, 10 Jahre
Kevin, 10 Jahre
Phillip, 12 Jahre
Janina, 13 Jahre
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„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
„Ich will das nicht noch einmal durchmachen“
Verkäufer Frank Hoffmann ist seit
18 Jahren „trocken“
Ein Mittwoch im August, 14 Uhr.
Sonnenstrahlen sorgen dafür, dass
man es in der kleinen Stadt in der
Nähe von Schwerin vor Hitze kaum
aushält. Auch auf dem Marktplatz ist
es nicht anders. Die Menschen halten
sich lieber da auf, wo sich eine Klima-
Alkoholproblem begann in
der Lehrzeit
Nach Abschluss der 10. Klasse erlernte Frank den Beruf des Fliesenlegers.
Und da begannen, wie er heute offen
zugibt, seine Probleme mit dem Alkohol: „Ja, das fing schon
in der Lehrzeit an. Ich
war schüchtern und das
Trinken half mir dabei,
lockerer zu werden und
Hemmungen abzubauen. Aber bereits nach
wenigen Wochen schaffte ich es nicht, auch nur
einen Tag ohne Alkohol
auszukommen.
Eine
Flasche Korn am Tag
war für mich gar nichts.“
Frank Hoffmann rührt seit 18 Jahren keinen Alkohol mehr an
Foto: Horst Pfeifer
anlage befindet. Dennoch steht bei
brütender Hitze auf dem Marktplatz in
Crivitz ein Mann und bietet Zeitungen
an. Dieser Mann heißt Frank Hoffmann, ist 51 Jahre alt und Straßenzeitungsverkäufer.
Der in Bad Dürrenberg in SachsenAnhalt geborene Frank Hoffmann ist
seit 45 Jahren „Mecklenburger“. „Wie
ist es dazu gekommen?“ „Kurz bevor ich in die Schule kam, zog meine
Familie aus familiären Gründen nach
Johanneshof in der Nähe von Waren
Müritz. Darauf hatte ich natürlich keinen Einfluss, muss aber sagen, dass
mir Mecklenburg von Anfang an gut
gefallen hat.“
14
Nachdem Frank über
die Erwachsenenqualifizierung eine Ausbildung
zum Facharbeiter für
Holzwerkstoffe/Spezialisierung Spanplattenherstellung abgeschlossen
hatte, konnte er 1981 im
Spanplattenwerk in Malliß anfangen. Obwohl er
jeden Tag trank, machte
er seine Arbeit gut. Beschwert hat sich jedenfalls niemand.
Immer in Kontakt zur
Straßenzeitung
Da Frank Tiere schon immer mochte, griff er zu, als sich 1989, nach der
Armeezeit und kurz vor der Wende,
die Möglichkeit bot, in der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) in Grebs zu arbeiten. Zwei
Jahre war er in der Schweineproduktion beschäftigt, dann wurde er zum
ersten Mal arbeitslos. Er machte eine
Umschulung zum Baumaschinenführer, fand auch dort Arbeit, bis er Ende
1995 erneut entlassen wurde. 1996
arbeitete er im Kuhstall in der Nähe
von Malliß, doch nach zwei Jahren
stand er wieder auf der Straße. „2001
fing ich an, die Straßenzeitung zu
verkaufen. Das habe ich bis 2007 gemacht.“ Dann hatte sich das erledigt,
denn Frank hatte noch einmal auf
dem Arbeitsmarkt Erfolg. 2007 fand
er eine Stelle in der Schweinezucht in
Fahrbinde. Nach zwei Jahren sorgte
ein Bandscheibenvorfall dafür, dass
er diese Tätigkeit beenden musste. „Einen neuen Job zu finden, das
konnte ich vergessen. Auch als ich
gearbeitet habe, bin ich immer mit der
Straßenzeitung in Kontakt geblieben.
Ich fühle mich mit der Zeitung verbunden, sie gibt mir Halt. Deshalb habe
ich nicht lange überlegt, wieder die
Zeitung zu verkaufen. Und das mache
ich jetzt seit 2010. Bis vor einem Jahr
in Ludwigslust, nach meinem Umzug
nun in Crivitz.“
Dankbar für die Hilfe
Der 19. November 1995 ist ein Datum, das Frank nie vergessen wird.
Seit diesem Tag nämlich lebt er ganz
ohne Alkohol. „Ich bin unheimlich
stolz, es geschafft zu haben – ganz
ohne Entgiftung und ohne Therapie.“
Doch ob er es auch allein geschafft
hätte, da ist er sich nicht so sicher.
Das war zum Glück auch nicht nötig.
Deshalb ist es ihm sehr wichtig, einigen Menschen zu danken: „Zunächst
gilt der Dank meiner Familie, ganz besonders meiner Ehefrau, die in jeder
Situation immer an mich geglaubt und
auf meiner Seite gestanden hat, und
meinem Sohn Alex. Ebenfalls möchte
ich meinem Hausarzt Dr. Holger Köpcke in Heiddorf und meinem ehemaligen Suchtberater Herrn Runge danken. Und auf keinen Fall vergessen
möchte ich die Selbsthilfegruppen
des Blauen Kreuzes in Ludwigslust
und Crivitz.“
Ein zweites Jubiläum
Nicht nur die Straßenzeitung wird 18
Jahre alt. Frank Hoffmann: „In diesem Jahr habe ich noch ein anderes
Jubiläum zu feiern, über das ich sehr
glücklich bin. Seit 18 Jahren lebe ich
jetzt ohne einen Tropfen Alkohol. Ich
werde alles tun, damit das auch in Zukunft so bleibt. Mir ist klar, dass das
schwer wird. Aber die Jahre der Abhängigkeit will ich nicht noch einmal
durchmachen.“
Horst Pfeifer
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Volljährig in der DDR
Woran ich mich an mein Leben vor
der Wende erinnere
Hin und wieder denke ich an vergangene Zeiten. Ich habe, wie alle
ehemaligen DDR-Bürger, zwei Gesellschaftsordnungen erlebt. Vieles
gerät ja all zu leicht in Vergessenheit.
Wie war das damals eigentlich in der
DDR? Was war schön daran und was
nicht?
te beispielsweise der zu Beginn des
Jahres versprochene FDGB-Urlaubsplatz – die Mitgliedschaft im Freien
Deutschen Gewerkschaftsbund war
Pflicht – im Harz ohne Begründung
gestrichen werden.
Vor dem Gesetz war man mit seinen 18 Jahren nun auch
erwachsen. Man durfte
heiraten und eine Familie
gründen. Außerdem, das
war sehr wichtig, sollte ein
Antrag auf eine Wohnung
gestellt werden. Denn es
gab in der DDR keinen freien Wohnungsmarkt. Andererseits waren die Mieten
sehr gering und für Jeden
erschwinglich.
Palast der Republik, Berlin 1978
Ich fange mal in der Kindheit an.
Nach einer recht sorglos verbrachten
zehnjährigen Schulzeit war es endlich
soweit: ich steckte mitten in der Berufsausbildung. Ein Ausbildungsplatz
war jedem Jugendlichen in der DDR
sicher, darüber musste sich niemand
Gedanken machen. Ich wurde Facharbeiter für Elektrotechnik bei einem
der drei großen Industriebetriebe in
Schwerin-Süd. Nach zwei Jahren legte ich die Facharbeiterprüfung ab, war
Jungfacharbeiter im selben Betrieb
und hatte einen sicheren Arbeitsplatz,
den ich wahrscheinlich bis zur Rente gehabt hätte. Entlassen konnte
ich nicht werden, das gab es ja nur
im Westen. Das konnte ich in den
Nachrichten der „Aktuellen Kamera“
hören und in Zeitungen wie „Neues
Deutschland“ lesen. Daher waren mir
Zukunftsängste fremd. Dass diese Sicherheit sehr beruhigend war, habe
ich erst viele Jahre später gemerkt.
Während meiner Berufsausbildung
wurde ich volljährig. Wenn man 18
Jahre alt wurde, hatte man auch in
der DDR Rechte und Pflichten. Zum
ersten Mal in meinem Leben musste
ich an einige wichtige Dinge denken.
Mit der Volljährigkeit war man in der
DDR wahlberechtigt. Wenn eine Wahl
anstand, war es ratsam, hinzugehen.
Sonst gab es Probleme. So konn-
war so üblich, in meine alte Brigade.
Eine schöne Zeit, die ich nicht missen
möchte und die erst durch den Mauerfall zu Ende ging. Ich kann mich
noch gut an die Hilfsbereitschaft unter
den Kollegen erinnern. Neid, Gier und
Egoismus gab es so gut wie gar nicht.
So einen Zusammenhalt zwischen
Kollegen habe ich nie wieder erlebt.
Aber nicht nur zu den Kollegen hatte man ein gutes Verhältnis, sondern
auch zu den Nachbarn, Freunden und
Bekannten. Man fühlte sich ganz einfach wohl und machte aus seinem Leben kein Geheimnis. Es war eine Zeit,
an die ich oft mit Wehmut und Bedauern zurückdenke.
Ich habe das Gefühl, dass heute jeder nur an sich denkt. Es scheint sehr
wichtig zu sein, anderen Menschen
etwas vorzumachen – frei nach dem
Motto „Mehr Schein als Sein“. Höher,
weiter, schneller, die meisten Menschen streben meiner Meinung nach
nichts Anderes an. Die sogenannte
„Ellenbogengesellschaft“
dominiert
die Gesellschaft. Das Ergebnis: Nur
die Starken überleben, die Schwachen und Kranken sind die Leidtragenden und bleiben auf der Strecke.
Mit 18 Jahren konnte man die PKWoder LKW-Fahrerlaubnis machen. Die
Kosten hielten sich in Grenzen. Ein eigenes Auto wollte ich natürlich auch
haben. Deshalb habe ich mich gleich,
als ich 18 Jahre alt wurde, für ein Auto Natürlich hat die neue Zeit auch Vorangemeldet. So war ich vorgemerkt, teile. So kann man heute beispielsan der Wartezeit änderte sich aber nichts.
Sie betrug für einen
Trabant oder Wartburg
mehr als zehn Jahre.
Viel Zeit zum Sparen
also! Im Volksmund
kursierte der Witz: Warum gibt es in der DDR
keine Banküberfälle?
Weil die Täter mehr
als zehn Jahre auf
ihr Fluchtauto warten
müssen.
Grundwehrdienst bei der NVA
Fotos: privat
Bei den männlichen Jugendlichen war
die Musterung zum Wehrdienst schon
vor dem 18. Geburtstag erfolgt. Nun
konnte man jederzeit mit der Einberufung zum 18-monatigen Grundwehrdienst bei der NVA (Nationale
Volksarmee) rechnen. Naja, was sein
muss, muss sein! Mich erwischte es
1980 im Frühjahr, im Herbst 1981 hatte ich die 18 Monate geschafft.
Also wieder zurück ins Arbeitsleben
nach Schwerin-Süd. Ich kam, das
weise auf der ganzen Welt arbeiten.
Man hat auch die Chance, beruflich
etwas ganz Neues anzufangen. Und
die Möglichkeiten der Selbstverwirklichung sind wesentlich zahlreicher
geworden.
Oft kommt es nicht vor, aber manchmal sehne ich mich zurück: An eine
Zeit, in der, verzeihen Sie mir die
Floskel, nicht alles schlecht war.
Heiko Schneidereit
15
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
In Vergessenheit geraten
Der Schweriner Sänger Carl Hill trat sogar
in Bayreuth auf
Brennnessel und Moos wuchern
auf dem Grab. Es scheint, als habe
die Stadt Schwerin einen der größten
Sänger seiner Zeit vergessen, dessen
Ruhm von einst heute verblasst ist.
Am 26. Januar 1873 erwartete die
Mecklenburgische Landeshauptstadt
hohen Besuch. Richard Wagner, der
damals wohl berühmteste Komponist
Deutschlands, hatte angekündigt, die
kleine Residenz im Norden des Deutschen Reichs zu besuchen. Am Abend
hatte der Meister einen Besuch seiner Oper „Der Fliegende Holländer“,
die an diesem Tag auf dem Spielplan
des Mecklenburgischen Hoftheaters
stand, auf seinem Reiseplan.
Am späten Nachmittag war der Komponist in Sterns Hotel am Südufer des
Pfaffenteichs abgestiegen, hatte sich
sofort auf den Weg ins Hoftheater
gemacht und wohnte, begeistert von
den Besuchern gefeiert, der Aufführung seiner Oper bei. Richard Wagner
war von der Qualität der Inszenierung
überrascht. Noch am gleichen Abend,
nach einem Festessen im Hotel, verpflichtete der Komponist den Schweriner Hauptdarsteller der Oper für seine Inszenierung der „Walküre“ nach
Bayreuth. Der Name des großartigen
Bassbaritons: Carl Hill.
Am 31. März 1831 in Idstein geboren, entschied sich Carl Hill, nach
Abschluss seiner Schulzeit für eine
Ausbildung bei der Post. Schon in dieser Zeit entdeckte er seine Liebe zur
Musik. In seiner Heimatstadt sang er
in verschiedenen Gesangsvereinen.
Das Jahr 1866 wurde zum Wendepunkt im Leben des Hobbysängers.
Güstrow veranstaltete in diesem Jahr
das IV. Mecklenburgische Musikfest.
Carl Hill sang die Titelpartie im „Elias” von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Der Schweriner Hofkapellmeister
Alois Schmitt wurde auf den jungen
Sänger aufmerksam. Der talentierte
Bassbariton erhielt einen Vertrag für
das Mecklenburgische Hoftheater.
Aus dem Chorsänger wurde über
Nacht der später berühmte Opern16
sänger. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich Carl Hill zu einer der
größten Sängerpersönlichkeiten am
Schweriner Theater.
Carl Hills Verbindungen zwischen
Bayreuth und Schwerin bestanden
auch nach der Verpflichtung weiter.
Er sang in der Wagnerstadt Bayreuth
noch fast alle großen Partien, gefeiert vom Publikum, bewundert von den
Musikkritikern.
1890 verabschiedete sich Carl Hill von
seinem Schweriner Publikum. Noch
einmal sang er die Titelrolle im
„Fliegenden Holländer“. Zum
letzten Mal wurden er und das
Ensemble des Theaters gefeiert.
Von der damaligen Qualität
des Schweriner Musiktheaters
zeugt die Tatsache, dass neben Hill weitere Solisten nach
Bayreuth, ins Mekka aller Wagnerianer, verpflichtet wurden.
So sang Leontine von Dötscher
in der „Walküre“. Auch Josef
von Witt und Otto Drewes sangen auf den Festspielen in der
nordbayerischen Stadt.
Carl Hill wollte seinen Lebensabend in Freiburg verbringen.
Das Schicksal entschied anders. Der Sänger erkrankte
an einem alten Nervenleiden
und musste sich in ärztliche
Das Grab des Sängers auf dem Schweriner SachsenBehandlung begeben. Die
berg
Foto: Ralph Martini
Krankheit verschlimmerte sich,
Die Schweriner Bühne durchlebte un- Hill entschied sich zu einer Rückkehr
ter ihrem Intendanten, Alfred Freiherr in seine Wahlheimatstadt Schwerin.
von Wolzogen, eine glückliche Zeit. Hier wurde die gerade 27 Jahre alte
Der regierende Großherzog Friedrich Nervenklinik auf dem Sachsenberg
Franz II., schon immer ein Förderer seine letzte Heimstatt. Trotz aufopder Künste, unterstützte großzügig ferungsvoller Pflege der Ärzte und
das Ensemble. Alois Schmitt bewies Mitarbeiter der Klinik starb der große
mit seinen Aufführungen großer Wag- Künstler am 12. Januar 1893 in völner-Opern sein musikalisches Kön- liger geistiger Umnachtung. Wenige
nen. Hill sang in Schwerin fast jede Tage später wurde er unter großer
„Wagner-Titelrolle“. Der Sänger wur- Anteilnahme seines ehemaligen Pubde in den Zeitungen als größter Sän- likums auf dem kleinen Friedhof der
ger Deutschlands gefeiert. Selbst aus Anstalt beigesetzt. Auf seinem GrabHamburg und aus der Reichshaupt- stein steht die Inschrift:
stadt Berlin kamen Extra-Züge voller
Musikliebhaber, um im Demmlerbau
des Theaters die Aufführungen des
ER WAR UNTER SEINES GLEICHEN
Hoftheaters zu sehen. Das Ensemble
EIN MARKGRAF DER FRAU MUSIKA
hatte alles erreicht, was ein Theater in
IN IHREN BLÜHENDEN REICHEN
einer relativ kleinen Residenzstadt erreichen konnte. 1868 wurde Carl Hill
CARL HILL geb. 31. März 1831
für seine Leistungen geehrt. Er erhielt
den Titel eines „Kammersängers“.
gest. 12. Januar 1893
Zeitgenossen stellten den Sänger an
die Spitze aller Wagner-Interpreten in
Ralph Martini
Deutschland.
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Ludwigslust
Wasserspiele und
ein Teehaus
Die große Kaskade vor dem Schloss
Ein Kanalbau war schon lange geplant, er sollte zur Entwässerung der
nahen Lewitz beitragen. Bald hundert
Jahre lag der Plan in irgendeinem
Mecklenburger Ministerium. Niemand
verwirklichte den Bau und im Laufe
der Zeit geriet er in Vergessenheit.
1756 machte sich der Mecklenburger
Herzog Friedrich daran, den Plan umzusetzen. Er veranlasste, einen Kanal
Die Wasserspiele vor dem Schloss
zu graben, der nach Ludwigslust führte. Der Kanal sollte die Residenz mit
Wasser versorgen und auch für die
Wasserspiele des Schlossparks war
er enorm wichtig. Zudem benötigte
der Herzog den Wasserweg für den
Transport von Baumaterialien und
Holz für die sich im Bau befindliche
junge Hauptstadt. Noch im ausgehenden 18. Jahrhundert wurden mehr
Waren auf dem Wasserweg transportiert als auf den schlechten und staubigen Landwegen Mecklenburgs.
Vier Jahre gruben sich Hunderte Kanalarbeiter durch die Landschaft der
Lewitz. 1760 hatte der Kanal seine
endgültige Länge von 28 Kilometern
erreicht und konnte nun als Verkehrsweg genutzt werden.
Anlage aus Granit ersetzte
bald den Holzbau
Vor dem Jagdschloss in Ludwigslust entstand nun die große Kaskade (franz. Cascade: Wasserfall). Sie
wurde ursprünglich aus Holz errichtet.
Drei Türme aus Bohlen, von denen
der mittlere Turm eine Wasseruhr in
seinem Inneren beherbergte und für
die Regulierung des Wassers sorgen
sollte, erwiesen sich als nicht stabil
genug. Bald darauf wurde der Holzbau abgetragen und durch eine Anlage aus Granit ersetzt. 1780, nun von
Sandsteingruppen des Bildhauers
Rudolf Kaplunger gekrönt, erfolgte die
Einweihung der Kaskade.
In der Mitte der Kaskade liegen zwei
Flussgötter. Beide stützen
das siebenteilige Wappen
Mecklenburgs. Der in seiner Regierungszeit fast nur
am Hof des französischen
Sonnenkönigs Ludwig XIV.
weilende und in Holland
verstorbene Herzog Christian Louis I. hat 1657 diese
Gestaltung veranlasst.
In der oberen Reihe stehen der Stierkopf für Mecklenburg und der Greif als
Ausdruck der Herrschaft Rostocks.
Die mittlere Reihe weist auf die Grafschaft Schwerin, auf das Fürstentum
Schwerin und auf das Fürstentum
Ratzeburg hin. Die untere Reihe erinnert an die Herrschaft Stargard und
an das Fürstentum Wenden mit Parchim und Güstrow.
Jeder der Flussgötter hält einen Krug.
Die Inschriften auf den Gefäßen verweisen auf den jeweiligen „Wassergeber“, die Stör und die Rögnitz. Der
kleine Fluss Rögnitz war damals für
seinen Fischreichtum berühmt. An
beiden Seiten der Kaskade kann der
Beobachter Skulpturen von spielenden Kindern erkennen, die von Wasservögeln und Pflanzen umgeben
sind. Die Schlossbrücke wurde nach
1780 ebenfalls aus Granit fertiggestellt.
Chinesisches Teehaus wie in
Sanssouci
1770 wurde im östlichen Winkel der
Abzweigung des Kanals hin zu den
Kaskaden ein chinesisches Teehaus
errichtet. Ein ähnliches Teehaus hatte
der Herzog bei Besuchen in Potsdam
gesehen. Was Potsdam-Sanssouci
hatte, durfte in seiner jungen Residenz nicht fehlen. 1770 stand der Pavillon, er war nur aus Holz und nicht
so großartig wie der in Potsdam, aber
immerhin hatte Ludwigslust nun auch
sein Teehaus. Noch bis in die 50erJahre des zwanzigsten Jahrhunderts
wurde er benutzt. Zuletzt wurde er
zum Kiosk „degradiert“.
Ein Name darf im Zusammenhang
mit der Residenz Ludwigslust nicht
vergessen werden: Johann Joachim
Busch. Dem Schweriner Baumeister
verdanken wir die erste Anlage des
Regierungssitzes Ludwigslust. Zeit
seines Lebens stand Busch, der es in
unvergleichlicher Weise verstand, die
Anregungen seines Dienstherren umzusetzen, Herzog Friedrich zur Seite.
Herzog fand hinter den
Kaskaden seine Ruhestätte
Nach 29-jähriger Regierungszeit verstarb im Alter von 68 Jahren der alles
in allem glücklich regierende Herzog
Friedrich am 24. April 1785 in dem
nach seinen Ideen geschaffenen Ludwigslust. In der Schlosskirche hinter
den Kaskaden fand er seine letzte
Ruhestätte. In einem Sarg aus geschliffenem Marmor ruht der Herzog
in seiner Kirche, die sich nur wenige hundert Meter gegenüber dem
Schloss befindet.
Unweit der Kaskade befindet sich die
Schlosskirche
Fotos: Ralph Martini
Seine Idee von der Harmonie zwischen der Natur und der von Menschen gestalteten Umwelt lebt in
seinem Werk fort. Jeder Besucher
der kleinen ehemaligen Residenz
im Westen Mecklenburgs kann sich
noch heute davon überzeugen.
Ralph Martini
17
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Veranstaltungen,
Ausstellungen und Märkte
Markthalle - ein neuer Treffpunkt in
der Hansestadt
Die Hansestadt Wismar liegt im
Nordwesten Mecklenburg-Vorpommerns direkt an der Mecklenburger
Die Markthalle (r.) wurde im Stil der Gewerbearchitektur des 19. Jahrhunderts gebaut
Ostseeküste. Mit ihrer historischen
Altstadt und den zahlreichen Sehenswürdigkeiten ist die Stadt an der Ostsee nicht nur ein attraktiver Wohnort
für die Einheimischen, sondern auch
Es gibt viele weitere gute Gründe, der
Hansestadt Wismar und der Region
Voller Stolz kann die Kulturund Hansestadt auf eine lebhafte, spannende Geschichte zurückblicken. In der Stadt
gibt es viele Giebelhäuser
und Backsteinkirchen, die Ehrenamtmesse in der Markthalle am 23. Februar 2013
Wismar das Flair und die Atmosphäre einer mittelalterlich gepräg- einen Besuch abzustatten. Einer daten Stadt verleihen. Diese einzigartige von ist der Alte Hafen mit seiner lanAtmosphäre zieht Kultur- und Kunst- gen Kaipromenade, den Fischkuttern
interessierte immer wieder in ihren und den beeindruckenden BacksteinBann.
bauten.
Internationale Ehrung
Vieles unter einem Dach
Stolz ist die Stadt auch auf die Eintragung in die Welterbeliste im Juni
Seit Anfang 2012 hat Wismar eine
neue Attraktion im Alten Hafen: die
Markthalle. Mit ihren 1.200 Quadratmetern Nutzfläche ist die Markthalle,
die im Stil der Gewerbebauarchitektur
des 19. Jahrhunderts gebaut wurde,
ein beliebter und nicht mehr wegzudenkender Veranstaltungsort. Regelmäßig finden dort Ausstellungen,
Konzerte, Tagungen und Kongresse
statt. Zu bestimmten Anlässen, wie im
Herbst, zur Adventszeit und zu Weihnachten, gibt es in der Markthalle,
deren Betreiber die Hansekontor Wismar GmbH ist, Themenmärkte.
Jeden Freitag von 9 bis 17 Uhr findet der „Wismarer Hafenmarkt“
statt. Hier werden neben regionalen Erzeugnissen auch internationale Spezialitäten angeboten.
2002. Wismar konnte das Welterbekomitee davon überzeugen, dass die
Die Markthalle bietet viel Platz für Veranstaltungen
18
Altstadt einen „außergewöhnlichen
und universellen Wert“ besitzt.
Auf den Spuren der
Backsteingotik
Auch Flohmärkte finden hier statt
Anziehungspunkt für viele Besucher
aus dem gesamten Bundesgebiet.
Wismar
Sabine Siewert
Fotos: Axel Steinbeiß
Güstrow
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Vielfältige Angebote für große
und kleine Kunstliebhaber
Veranstaltungen im Güstrower Schloss
Das Güstrower Schloss ist eines
der wenigen erhaltenen repräsentativen Bauwerke der Renaissance
in Norddeutschland mit originalen
Stuckdekorationen und rekonstruiertem Garten und bietet viele Möglichkeiten, Kunst „hautnah“ zu erleben.
Neben historischen Wohn- und
Festräumen, in denen Gemälde,
Skulpturen und Möbel der Renaissance und des Barock Glanz und
Internationalität
des
ehemaligen
Fürstensitzes widerspiegeln, befinden sich dort umfangreiche Sammlungsbestände
des
Staatlichen Museums
Schwerin mit Kunstwerken von der Antike
bis zur Moderne.
Neben Dauerausstellungen mit herausragenden Einzelstücken
aus dem Mittelalter
im
Untergeschoss
des Schlosses, einer
Glassammlung und
Werken ostdeutscher Güstrower Schloss
Malerei in den ehemaligen „Frauenzimmern“, werden die
Besucher zu Lesungen, Filmpremieren, Künstlergesprächen, Führungen
und Themenabenden eingeladen.
Museumspädagogik
Das altersspezifisch gestaltete museumspädagogische Programm bietet
neben Führungen, themenbezogene
Projekten und Vorträgen die Möglichkeit zu kreativer Arbeit.
So findet am 2. Oktober um 18 Uhr
eine Familienführung mit Corinna
Sturm und Monika Lehmann unter
dem Motto „Kinder, bringt eure Eltern
mit“ statt, die zu einer Reise durch
das Schloss, begleitet von alten und
neuen Geschichten und kleinen Gespenstern, einlädt. Und mittwochs um
15 Uhr können Kinder ab 5 Jahren an
dem Kinderkunstkurs MoMu teilnehmen.
Foto: Monika Lehmann
Ausstellung im Wirtschaftsgebäude zu Ehren des
Professors Ulrich Puritz
In dem Wirtschaftsgebäude des
Schlosses, einem Backsteinbau aus
dem 19. Jahrhundert im Schatten des
imposanten Renaissanceschlosses,
findet in der Zeit vom 2. November
Kunstwerke, die einst
verboten waren
Ausstellung in der
Ernst-Barlach-Stiftung Güstrow
Insgesamt über 20.000 von Künstlern
der Klassischen Moderne vor 1933
geschaffene Werke wurden von den
Nationalsozialisten seinerzeit beschlagnahmt. Diese aus ihrer Sicht
„entarteten“ Arbeiten wurden aus den
Museen und Ausstellungen entfernt,
vernichtet oder, in einigen Fällen, weit
unter Wert verkauft.
In der Ernst-Barlach-Stiftung Güstrow
(Heidberg 15) können die Besucher
bis zum 24. November 2013 eine Ausstellung sehen, in der ca. 50 dieser
einst verbotenen und verschmähten
2013 bis zum 5. Januar 2014 die Ausstellung „Prinzip Wolke“ anlässlich der
bevorstehenden Emeritierung und zur
Würdigung des Wirkens von Ulrich
Puritz, seit 1996 Professor für Theorie und Praxis der Bildenden Kunst an
der Universität Greifswald, statt. Die
Ausstellung, die kontextuellen Bezug
auf den Ort nimmt und ihn reflektiert
wird gattungsübergreifend durch das
Medium Zeichnung, Frottage, Malerei, Foto, Objekt und Videoinstallation
von der Wolken-Metapher begleitet.
Für eine begrenzte Zeit wird in den
Ausstellungsräumen eine große „Wolke“ entstehen, die ein künstlerisches
Schweben zeigt und zur Diskussion
stellen möchte.
Veranstaltungen während
der Ausstellung
Am 22. November 2013 wird der
2012 gedrehte Film „Ai Weiwei. Never Sorry (Regie: Alison Klayman,
USA, Dauer 91 Minuten) gezeigt und
anschließend zu einer Diskussion mit
Ulrich Puritz eingeladen. Der Film
bringt einen klugen, humorvollen und
weitsichtigen Künstler nahe und zeigt,
welche demokratische und poetische
Kraft einer unbeugsamen, kritischen
und fantasievollen Kunst innewohnen
kann. Er ist ein Lehrstück für Künstler,
Kunstpädagogen, Kulturpolitiker und
diejenigen, die mit Kulturpolitik zu tun
haben.
Am 04. Dezember 2013 um 18 Uhr
steht dann das Rendezvous im
Schloss unter dem Thema „Über
Kunst und Wolken-Skysurfen mit
Ulrich Puritz“ auf dem Programm.
Monika Lehmann
Grafiken und Plastiken bedeutender
Künstler wie u a. Lyonel Feininger,
Käthe Kollwitz, Erich Heckel, Otto
Pankok, Otto Dix, Carl Buchheister,
Willi Baumeister und Max Pechstein
der Öffentlichkeit vorgestellt werden
und einen umfangreichen Einblick in
die Vielfalt der deutschen Kunstszene
vor 1933 geben.
Geöffnet hat die Ausstellung, die auch
zum Programm der Stiftung anlässlich des diesjährigen 75. Todestages
Ernst Barlachs am 24. Oktober zählt,
täglich (außer montags) von 10 bis 17
Uhr.
Horst Pfeifer
19
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Ein Mord,
der für Schlagzeilen sorgte
Der Fall Kadow
Das Dorf Neuhof liegt an der Landstraße, die Parchim mit Crivitz verbindet. Hier, in einem Wald nahe
der Ortschaft, ereignete sich 1923
eine Bluttat, die deutschlandweit für
Schlagzeilen sorgte.
Nach der Novemberrevolution 1918
war es in Deutschland zu einer Zeit
der Orientierungslosigkeit gekommen. Linke und rechte Gruppierungen lieferten sich regelrechte
Straßenschlachten. Der ehemalige
Oberleutnant Gerhard Roßbach gründete im Mai 1920 die rechtsgerichtete
„Arbeitsgemeinschaft Roßbach e.V.“
Deren Zweck bestand darin, ehemalige Kämpfer auf Gütern in Mecklenburg, Pommern und Schlesien, als
landwirtschaftliche Hilfskräfte getarnt,
unterzubringen. Durch militärische
Disziplin und die Durchführung von
Übungen wurde das Ziel verfolgt, die
ehemaligen Korpsmitglieder als paramilitärische Formation zu empfehlen.
Im Kreis Parchim war 1922 von ehemaligen Offizieren und Gutsbesitzern
der näheren Umgebung die „Reit- und
Fahrschule“ gegründet worden. Unter
dem Namen verbarg sich eine äußerst
militante Organisation, deren Mitglieder durch Zusammenstöße, vor allem
mit kommunistischen Landarbeitern,
von sich reden machte.
Auch in Westmecklenburg fanden
sich Gutsbesitzer, die die Mitglieder
der Roßbachvereinigung beschäftigten. Zu ihnen gehörte der Herzberger Gutsherr Oberstleutnant a. D.
Hermann von Treuenfels. Sein Gut
mit über 1.000 Hektar war eines der
größten in der Umgebung. Martin
Bormann, der spätere „zweite Mann“
im Dritten Reich, war bereits 1920 im
Auftrag der Roßbacher als Abschnittsleiter der Organisation in Herzberg
tätig. Bis 1923 arbeitete der spätere
Hitlerstellvertreter als Viehinspektor
des Gutes.
Der Besitzer des Gutes Neuhof, Rudolf Schnürgen, beschäftigte 25 Roßbachleute. Sie waren unmittelbar an
20
der Landstraße nach Crivitz untergebracht. Zu ihnen gehörten Rudolf
Höß, Bernhard Jurisch, Karl Zabel
und Robert Zenz. Rudolf Höß wurde
Jahre später zu einem der größten
Verbrecher des Dritten Reiches. Als
Kommandeur von Ausschwitz trug er
die Verantwortung für den Tod von
Millionen Gefangenen. Am 16. April
1947 wurde er an der Stätte seiner
größten Verbrechen, in Auschwitz,
durch den Strang hingerichtet.
Auf dem Rittergut in Herzberg hatte
sich im Februar 1923 ein gewisser
Walter Kadow gemeldet. Er äußerte
den Wunsch, in die Reihen der Roßbachleute aufgenommen zu werden.
Schon bald machte sich der in Hagenow im Jahr 1900 geborene junge
Mann bei seinen Kumpanen verdächtig, einer kommunistischen Jugendgruppe anzugehören. Auch gingen
Gerüchte um, Kadow sei Autor der
„Volkswacht“, dem Organ der KPD.
War Walter Kadow nun ein Spitzel,
der eingeschleust werden sollte? Die
Wahrscheinlichkeit ist nicht von der
Hand zu weisen. Im späteren Mordprozess 1924 vor dem Leipziger Gericht ging die Beweisaufnahme mit
hoher Wahrscheinlichkeit davon aus.
Martin Bormann, der Geschäftsführer
des Gutes Sternberg, fasste den Beschluss: Der „Verräter“ muss weg!
Am 31. Mai 1923 besuchte in den
Abendstunden Walter Kadow die
Gaststätte Luisenhof in Parchim. Hier
Crivitz
warteten bereits mehrere Roßbacher
auf ihn. Es wurde viel getrunken. Kadow hatte schon am Nachmittag einige Schnäpse zu sich genommen,
so lag er bald betrunken an seinem
Tisch. Einer der Roßbacher durchsuchte die Papiere Kadows. Angeblich fanden die Männer eine Mitgliedskarte der Kommunistischen Jugend.
Nun war das Schicksal von Walter
Kadow besiegelt.
Unter einem Vorwand wurde Kadow
überredet, die Kutsche zu besteigen.
Die Männer nahmen den Betrunkenen in ihre Mitte. Als die Kutsche in
Richtung Crivitz die Stadt verließ,
wollte er aussteigen. Karl Zabel zog
eine Pistole und hinderte ihn daran.
Der Jagdwagen hielt in einem Waldstück bei Neuhof. Hier endete das Leben von Walter Kadow. Nachts um ein
Uhr wurde er durch zwei Kopfschüsse
getötet, einer der Mörder durchtrennte seinen Hals. Rudolf Höß und Karl
Zabel begruben die Leiche.
Bernhard Jurisch flüchtete nach diesem Vorfall nach Berlin. Hier berichtete er in der Redaktion des sozialdemokratischen „Vorwärts“ über die
Ereignisse von Neuhof. Am 26. Juni
1923 erschien der erste Artikel über
den Neuhofer Mord. Kriminalistische
Ermittlungen führten schnell zur Festnahme der Täter.
Die Verhandlung gegen Rudolf Höß
und die anderen Männer fand vom
12. bis zum 15. März 1924 am Staatsgerichtshof Leipzig statt. Höß erhielt
eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren,
Zabel wurde zu neun Jahren Zuchthaus verurteilt. Bormann, der eigentliche Drahtzieher der Mordaktion, kam
mit einem Jahr Gefängnis glimpflich
davon.
Das Verbrechen von Neuhof ging als
Parchimer Fememord (politisch motivierter Mord) in die deutsche Kriminalgeschichte ein. Schon wenige Jahre
später war keiner der Mörder mehr in
Haft.
Der Fememord wurde von mehreren
Schriftstellen literarisch verarbeitet.
Robert Merle schrieb darüber in seinem Roman „Tod ist mein Beruf“ und
Hermann Kant schilderte die Tat in
dem 1991 erschienenen Roman „Abspann“.
Anna Dembler
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Buchvorstellungen
Mit entwaffnender Offenheit
„Gestatten, dass ich sitzen bleibe“
von Udo Reiter
Viel hätte nicht gefehlt – und Udo
Reiter wäre tot gewesen, damals, als
er 23 Jahre alt war, nach dem Autounfall, der bei Blitzeis passierte. Dennoch ein harter Schicksalsschlag:
Querschnittslähmung. Den sofort geplanten Selbstmord führt er nicht aus,
Freunde halten ihn davon zurück.
Stattdessen landet er nach dem Studium als Praktikant in einer Abstellkammer beim Bayerischen Rundfunk. Es
ist der Anfang einer großen Medienkarriere. Fünf Jahre war er Hörfunkdirektor beim Bayerischen Rundfunk
und baut den Mitteldeutschen Rundfunk auf, dem er 20 Jahre erfolgreich
als Intendant vorstand. Neben Serien wie „In aller Freundschaft“, „Um
Himmels Willen“ oder „Tierärztin Dr.
Mertens“ und dem Boulevardmagazin „Brisant“ ist der MDR mit Tatorten,
Polizeirufen und Dokumentationen im
Ersten vertreten und an den Sendungen „Titel, Thesen, Temperamente“,
„Fakt“ und „Plusminus“ beteiligt.
Nun hat Udo Reiter, der 1944 in
Lindau/Bodensee geboren wurde und
Germanistik, Geschichte und Politische Wissenschaft studiert hat, beim
Aufbau-Verlag ein Buch geschrieben,
seine Autobiografie unter dem selbstironischen Titel „Gestatten, dass ich
sitzen bleibe“. In einem leichten, ge-
lassenen und oft zum Schmunzeln
anregenden Ton erzählt er von beruflichen wie privaten Lebensstationen:
vom Aufbau einer erfolgreichen ARDAnstalt aus den Ruinen des DDRStaatsrundfunks, von der Förderung
der Hörfunktalente Gottschalk und
Jauch, von der Schleichwerbung unter Sportchef Wilfried Mohren, von der
Betrugsaffäre beim Kinderkanal, aber
auch von seinem Autounfall und der
Querschnittslähmung sowie den jahrzehntelangen Erfahrungen und Erlebnissen als Rollstuhlfahrer. Gerade die
Kapitel, die sich mit der Gebrechlichkeit seines Körpers, selbstbestimmtem Sterben und wie viel Mühe es
kostet, einfachste Dinge täglich angehen zu müssen, beschäftigen, verleihen dem Leben des Autors eine zusätzliche Bedeutungsebene.
Das Buch endet mit dem Sterben
seiner Frau, seiner Jugendliebe aus
der Schule in Lindau. Udo Reiter hat
wieder geheiratet und lebt mit seiner jetzigen Frau, der Moderatorin
und Schriftstellerin Else Buschheuer, in einem Dorf bei Leipzig. Wer
das Buch gelesen hat, kann wahrlich
nicht den Eindruck gewinnen, dass
das Leben Udo Reiters trotz Rentnerdaseins langweiliger geworden ist.
Horst Pfeifer
Kinder auf der Schattenseite
des Lebens
„Halt‘s Maul, jetzt kommt der Segen“ von
Inger Hermann
Inger Hermanns Buch „Halt’s Maul,
jetzt kommt der Segen“ (erschienen
im Calwer-Verlag) berichtet über Kinder und Jugendliche, die das Leben
benachteiligt hat, die körperliche und
verbale Gewalt erlebt haben und deshalb auf der Schattenseite des Lebens stehen. Darüber erzählen die
Kinder und Jugendlichen, um die sich
sonst kaum jemand kümmert, in den
Religionsstunden. Was tun, wenn der
Vater Trinker ist und die Mutter eine
Hure? Oft fiel es der Lehrerin Inger
Hermann schwer, den teilweise präzise beschriebenen Schilderungen der
Gewalt zuzuhören. So berichtet Maria
auf Seite 52 beispielsweise davon, wie
ihre betrunkene Mutter sie immer mit
der Bratpfanne schlägt. Dolores,
ihre Klassenkameradin, sagt darauf: „Sei froh, dass deine Mutter
die Bratpfanne nimmt. Mein Vater
verprügelt mich mit dem Elektrokabel, das ist viel schlimmer.“
Kaum ein Thema wird in dem
Buch ausgelassen. Es geht um
Menschen, um die Bibel und um
Gott, um Familie, Beziehungen,
Liebe und Sexualität, um Tod
und Krieg. Und natürlich darüber, wie junge Menschen über
sich und ihr Leben denken. Das
Buch gibt denen, die sonst nichts
zu sagen haben, eine Stimme.
Horst Pfeifer
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„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Geschichte(n) der Heimat
Altes neu entdeckt
Mecklenburg-Vorpommern hat viele Geschichten. Einige sind bekannt,
andere wurden noch nicht erzählt. Wir
wollen Ihnen mit unserer Reihe Ansporn und Hilfe sein, fast schon Vergessenes wieder aufleben zu lassen.
Die Klosterstraße
Das Foto zeigt einen Teil der Klosterstraße, die seit 1851 so heißt. Sie ist
eine der ältesten Straßen Schwerins
und voll beladen mit Geschichte und
Geschichten.
Das Kloster befand sich etwa dort,
wo heute die Staatskanzlei ihren Sitz
hat. Die erste Erwähnung fällt auf das
Jahr 1236 zurück. Es waren die Franziskaner, die dieses Kloster erbauten:
ein sogenannter Bettelorden, der sich
Enthaltsamkeit auferlegt hat. Gründer
dieses Ordens war Franz von Assisi,
nach dessen Regelwerk die Brüder
anfangs auch im Schweriner Kloster lebten. Zu den ersten Bauwerken
zählt eine zweitürmige Kirche, die im
Jahr 1287 vollendet wurde. Später
folgten ein Wohn- und Aufenthaltstrakt für Mönche, einige Wirtschaftsgebäude und natürlich eine steinerne
Mauer um das gesamte Klostergelände, die zwei große Tore und eine
kleine „Hintertür“ hatte. Von einem Tor
wissen wir, dass es direkt am heutigen Alten Garten gelegen hat. Ein
kleineres Tor sicherte den Mönchen
den direkten Zugang zum Burgsee,
denn die Mönche betrieben auch Fischerei. Im Kloster soll auch die Sagengestalt „Pück“ sein Unwesen getrieben haben: ein Kobold, der sich in
allerlei Gestalten und Gegenstände
verwandeln konnte.
In der Reformationszeit „ging“ das
Kloster nach und nach ein, ohne
dass es zu gewaltsamen Aktionen
22
gekommen wäre. Das verwundert,
denn die Franziskaner waren durch
ihren Lebenswandel doch sehr weltlich geworden und hatten sich allerlei
Laster zugelegt. Seit 1539 wurde in
der Klosterkirche nachweislich durch
einen Herrn Martin (nach ihm wurde
später die Martinstraße benannt) lutherisch gepredigt. Zunächst nur in
der Vorkirche, damit die verbliebenen
Franziskaner-Mönche bei ihren Zeremonien und Gottesdiensten nicht gestört wurden. Übrigens war der letzte
Klosterbruder ein Mann namens Köning. Einige leiten von seinem Namen
die Bezeichnung Königsstraße – heute Puschkinstraße – ab. Die anderen
Mönche waren zum Protestantismus
übergetreten, einige einfach in andere
Klöster „ausgewandert“. 1557 wurde
die Klosterkirche wegen Baufälligkeit
abgerissen.
Das Wohngebäude hatte dagegen
noch eine wechselvolle Geschichte.
Die von Herzog Albrecht I. gegründete Fürstenschule fand hier eine Bleibe. Hier wurden keine Fürsten ausgebildet, sondern nach dem Vorbild
der Meißener St. Afra der Nachwuchs
für die höhere Verwaltungslaufbahn
geschult. 1576 zog die Fürstenschule in den Dom und die Herzogliche
Justizkanzlei übernahm bis 1715 das
Gebäude, ehe es 1770 ebenfalls abgerissen wurde.
zu einem Gefängnis umgebaut wurde.
1979 wurde das Gebäude gesprengt.
Weitere interessante Gebäude in
der Klosterstraße waren das Hotel
du Nord, die Katholische Schule und
das Katholische Pfarramt. Von vielen
Schwerinern wurde dieses Gebiet
„Katholische Ecke“ genannt.
Das Haus mit dem Krangiebel, ein
kleines Fachwerkhaus am Westende der Straße, war in Schwerin das
letzte seiner Art und wurde um 1800
gebaut. Das Eckhaus (auf dessen
Grundmauern bis vor kurzem FischSchulz sein Geschäft hatte) wurde in
den 60er Jahren abgerissen. Wo die
Klosterstraße einen Knick zur Buschund Schlossstraße macht, endet sie
auch. Früher hatte dieses kleine Teilstück den Namen Wassergang. Die
Nummerierung hat durch Hausabrisse und einen Fehler in der damaligen
Verwaltung eine merkwürdige Anordnung. Doch die Straße ist kurz. Wer
eine Hausnummer sucht, der findet
sie auch.
Heute ist die Straße dicht am Boulevard und trotzdem ein Pool der Ruhe.
Durch die Sanierung der Häuser ist
sie recht ansehnlich geworden. Hier
und da wird noch gebaut, auch die
eine oder andere Baulücke ist noch
vorhanden.
Rainer Blumenthal
Stadtarchiv Schwerin
Der älteste Name der Klosterstraße
war „Hinter dem Klosterhof“, oder
auch „Wasserstraße beim Klosterhof“.
Sie fing am Burgsee an und führte bis
zum Fließgraben, der heutigen Mecklenburgstraße. 1875 zog Buchdrucker
Eduard Herberger in die Klosterstraße Nr. 6. Herberger war Herausgeber
der Mecklenburgischen Zeitung. Bei
der Einführung des Telefons 1890 erhielt er den Anschluss 27. Zu dieser
Zeit gab es nur 50 Telefone. Bis 1930
war das Haus eine Druckerei, bis zum
Abbruch in den 60er Jahren eine Wäscherei. Danach wurden auf dem Gelände Garagen gebaut, heute befindet
sich dort ein Parkplatz.
Ein wichtiges Gebäude war die Hovemannsche Warmbadeanstalt, die
später als Brauerei genutzt und dann
Was ist auf diesem Foto
zu sehen?
Quelle: Stadtarchiv Schwerin
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Sudoku
Sudoku ist ein Zahlenrätsel, welches
aus einem Gitterfeld aus neun Reihen
mit je neun Kästchen besteht.
Dieses muss so ausgefüllt werden,
dass die Zahlen von 1 bis 9 nur einmal in jeder Reihe, in jeder Spalte und
in jedem Block aus drei mal drei Feldern erscheinen.
Dafür sind jeweils nur einige wenige
Zahlen vorgegeben. Jedes Sudoku
hat nur genau eine richtige Lösung.
Impressum
Herausgeber:
Evangelische Suchtkrankenhilfe
Mecklenburg-Vorpommern gGmbH,
JOB TAFEL
Peter Grosch, Geschäftsführer
Sieglinda Leipold, Projektleiterin
Mitglied im Diakonischen Werk
Mecklenburg-Vorpommern e.V.
Die Zeitung ist Mitglied
beim Internationalen
Straßenzeitungsnetzwerk
(International Network of Street Papers INSP)
„die straße“ wird vom Jobcenter der
Landeshauptstadt Schwerin unterstützt.
Redaktionsleitung:
Horst Pfeifer
Assistentin:
Evelyn Romahn
Leserpost
Von Susanne Wagner aus Schwerin erhielten wir folgende Mail: Ich gebe zu,
dass ich keine „Stammleserin“ Ihrer Zeitung bin, doch ich finde es großartig,
wenn Menschen den Mut aufbringen, um etwas an ihrer Lebenssituation zu
ändern. Und das ist bei den Verkäufern der Zeitung der Fall.
Verkäuferinnen und Verkäufer gesucht
Wir sind ein soziales Projekt und bieten Menschen, die die Straßenzeitung
verkaufen, nicht nur eine Aufgabe, sondern auch Hilfestellung und Betreuung bei vielen Problemen des Alltags.
Wer Interesse hat, die Straßenzeitung zu verkaufen und am Ende des Monats über etwas mehr Geld verfügen möchte, melde sich bitte bei uns in der
Redaktion (19063 Schwerin, Potsdamer Straße 17 oder unter Telefon 03 85
7 3 00 08 11). Montags bis donnerstags in der Zeit von 8 bis 17 Uhr und am
Freitag in der Zeit von 8 bis 14.30 Uhr beantworten wir gern Ihre Fragen. Wir
würden uns freuen, wenn Sie unser Team verstärken!
Die Redaktion
Liebe Leserinnen und Leser,
wenn auch Sie Mitglied des Förderkreises „die straße“ werden möchten und
damit das Straßenzeitungsprojekt sowie unsere Verkäuferinnen und Verkäufer unterstützen wollen, bitten wir Sie, den in dieser Ausgabe auf der
letzten Seite abgedruckten Coupon auszufüllen und an die Redaktion zu
senden. Wir freuen uns über jede Unterstützung!
Die Redaktion
Ehrenamtliches Redaktionsteam:
Tilman Baier,
Gerd-Renee Dankert,
Gerda Jentsch,
Gabriele Kanis,
Ralph Martini,
Monika Schumann,
Sabine Siewert,
Uwe Sinnecker
Postanschrift:
Haus der Begegnung
Perleberger Straße 22, 19063 Schwerin
Redaktion:
Potsdamer Straße 17, 19063 Schwerin
Telefon: 03 85 / 3 00 08 11
Fax: 03 85 / 3 00 08 57
E-Mail: [email protected]
Titelbild: Ralph Martini
Gestaltung:
Steffen Mammitzsch
Ehrenamtliche Korrektorin:
Gundula Stange
Druck:
Produktionsbüro TINUS Schwerin
Die Redaktion behält sich das Recht
auf sinnwahrende Kürzung von Artikeln
und Briefen vor.
Unsere nächste Ausgabe erscheint
im November 2013.
23
„die straße“ ein Projekt der ESM-V gGmbH, JOB TAFEL
Kreuzworträtsel
Waagerecht: 5. Ort bei Waren (Müritz), 6. Berater, Gefolgsmann des
Königs, 10. weibl. Kleidungsstück,
11. Seefahrer aus der Geschichtensammlung „Tausendundeine Nacht“,
12. Abdruck im Sand, 15. männl. Erziehungsberechtigter, 16. Branntwein
aus Reis oder Palmensaft, 17. ungebraucht, frisch, 19. röm. Sonnengott,
Währungseinheit in Peru, 20. Reinigungsmittel für den Körper, 22. Offiziersschüler, 23. Helfer in der Not, 24.
jur. Berater, Beistand, 26. dt. Theoretiker des Sozialismus (1820-1895), 28.
Schwermetall, 31. Kassenzettel, 32.
Furche, Fuge, Rinne, 34. ital. Opernkomponist (1813-1901), 35. innerhalb,
umgrenzt, 38. Wandschmuck, 39. Art,
system. Einheit, 41. kleiner Wasserlauf, 42. franz. Frauenname, 43. zu
Beginn
ric
Senkrecht: 1. Deich, 2. Usus, 3. Wald, 4. Adept, 5. Verein, 7. normal, 8. Knarre, 9. Ablauf, 13. Kasse, 14. Paket, 18. Urahnen, 19. stellen, 20. Stute, 21.
Erlen, 25. Angel, 27. Gabel, 29. ibidem, 30. Emilie, 31. Bonbon, 33. Typhus, 36.
flink, 37. Wanne, 39. satt, 40. Sand
Auflösung
Waagerecht: 5. Vielist, 6. Paladin, 10. Rock 11. Sindbad, 12. Spur, 15. Vater,
16. Arrak, 17. neu, 19. Sol, 20. Seife, 22. Kadett, 23. Retter, 24. Anwalt, 26.
Engels, 28. Eisen, 31. Bon, 32. Nut, 34. Verdi, 35. innen, 38. Bild, 39. Spezies,
41. Bach, 42. Nanette, 43. anfangs
Senkrecht: 1. Uferbefestigung, 2.
Brauch, Gepflogenheit, Sitte, 3. baumbestandene Vegetationsfläche, 4. in
geheime Künste Eingeweihter, 5. Interessengemeinschaft, 7. der Regel
entsprechend, ohne Veränderung, 8.
Geräuschinstrument, 9. Vorgang eines
techn. Prozesses, 13. Geldschalter,
14. großer verpackter Gegenstand,
18. weit entfernte Vorfahren, 19. etwas
räumlich anordnen, 20. weibl. Pferd,
21. Laubbaum (Mz.), 25. Fischfanggerät, 27. Teil des Essbestecks, 29.
Fußnote in Büchern: am angeführten
Ort, ebenda, 30. älterer weiblicher
Vorname, 31. lutschbare Süßigkeit,
33. Infektionskrankheit, Epidemie, 36.
rasch, geschwind, 37. Badegefäß,
39. nicht hungrig, 40. Bestandteil des
Strandes
Unterstützen auch Sie „die straße“! Unser Coupon ist für alle, die sich entscheiden, Mitglied des Förderkreises zu werden.
Ich möchte Mitglied des Förderkreises
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straße“-Verkäufer, die in sozialer Not sind.
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zahle ich auf das Konto der
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Spendenquittungen der ESM-V gGmbH, JOB Tafel
werden zugesandt.
Coupon bitte ausschneiden und an die Redaktion
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Perleberger Straße 22, 19063 Schwerin
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