Prof. Dr. Winfried Kluth An den Vorsitzenden des Innenausschusses
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Prof. Dr. Winfried Kluth An den Vorsitzenden des Innenausschusses
MARTIN-LUTHER-UNIVERSITÄT HALLE-WITTENBERG Lehrstuhl für Öffentliches Recht Prof. Dr. Winfried Kluth Deutscher Bundestag Innenausschuss Anden VorsitzendendesInnenausschusses desDeutschenBundestages Ausschussdrucksache 18(4)511 F HerrnAnsgarHeveling,MdB PlatzderRepublik1 10117Berlin Halle,den21.Februar2016 SehrgeehrterHerrHeveling, ichübersendeIhnenhiermitmeine SchriftlicheStellungnahme zurAnhörungimInnenausschussdesDeutschenBundestagesam22.02.2016 zudenfolgendenBeratungsgegenständen: 1. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren BT-Drucksache 18/7538 2. Gesetzentwurf der Abgeordneten Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes - Streichung der obligatorischen Widerrufsprüfung BT-Drucksache 18/6202 3. Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, Beate WalterRosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechte von Kindern im Asylverfahren stärken BT-Drucksache 18/7549 Halle (Saale) Universitätsplatz 3 - 5 Telefon 0345/5523222 e-mail: [email protected] Postanschrift: D-06099 Halle, Universitätsplatz 10a – homepage: www.wkluth.de StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 4. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Entwurf eines Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern BT-Drucksache 18/7537 Übersicht: I. Einführende Bemerkungen ............................................................................................................................... 3 II. Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren - BT-Drucksache 18/7538................ 4 1. Wesentlicher Regelungsgehalt und Zielsetzungen ....................................................................................... 4 2. Einzelfragen zu Artikel 1 des Gesetzesentwurfs .......................................................................................... 4 a) Vereinbarkeit von beschleunigten Asylverfahren mit Unionsrecht ......................................................... 4 b) Widerspricht ein beschleunigtes Asylverfahren rechtsstaatlichen Grundsätzen? .................................... 6 c) Rechtliche Konsequenzen der Durchführung des beschleunigten Verfahrens ........................................ 8 d) Bedeutung der Wochenfrist ..................................................................................................................... 8 e) Ermessen bei der Einrichtung besonderer Aufnahmeeinrichtungen ........................................................ 9 f) Vereinbarkeit der neuen Nichtbetreibensregelung in § 33 AsylG mit Verfassungs- und Unionsrecht .... 9 3. Einzelfragen zu Artikel 2 des Gesetzesentwurfs ........................................................................................ 11 a) Beschränkung der Abschiebungshindernisse nach § 60 Absatz 7 AufenthG ........................................ 11 b) Hinnahme von Unterschieden im Versorgungsniveau ........................................................................... 12 c) Die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung ........................ 13 d) Vereinbarkeit der Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte mit Unionsrecht 13 e) Vereinbarkeit der Neuregelung mit Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ......................................................... 14 f) Integrationspolitische Aspekte................................................................................................................ 15 4. Einzelfragen zu Artikel 3 des Gesetzesentwurfs ........................................................................................ 16 b) Behandlung von akuten Erkrankungen im Zeitraum zwischen Ankunft und Ausgabe des Ankunftsnachweises ....................................................................................................................................... 16 III. Entwurf eines Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern BT-Drucksache 18/7537 .................... 16 1. Überblick zu den vorgeschlagenen Änderungen ........................................................................................ 16 2. Einzelfragen zu Artikel 1 des Gesetzesentwurfs ........................................................................................ 18 a) Zulässigkeit der Berücksichtigung der Rechtstreue des Ausländers als Entscheidungskriterium im Rahmen des § 53 AufenthG ........................................................................................................................... 18 b) Anforderungen an ein (besonders) schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 oder 2 AufenthG ........................................................................................................................................................ 18 c) Einbeziehung von Bewährungsstrafen ................................................................................................... 20 3. Einzelfragen zu Artikel 2 des Gesetzesentwurfs ........................................................................................ 21 IV. Zusammenfassende Würdigung ................................................................................................................... 21 Seite2von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 I. EinführendeBemerkungen GegenstandderAnhörungsinddieo.g.vierAnträge.DienachfolgendeStellungnahme beschränktsichwegenderkurzenFristfürdieVorbereitungaufdieunter1.und4. angeführtenGesetzesentwürfederBundesregierung. DiesebeidenGesetzesentwürfeverfolgenzwarunterschiedlicheZiele.DerEntwurfeines GesetzeszurEinführungbeschleunigterAsylverfahrenknüpftandasAsylverfahrensbeschleunigungsgesetzvom...anundführtweitereverfahrensrechtlicheundorganisatorischeInstrumenteindasAsylgesetzein,mitderenHilfeAsylverfahreninbesonders gelagertenFällenineinerkürzerenFristabgeschlossenwerdenkönnen.DamitverbundensindflankierendeMaßnahmen,dieu.a.dieLeistungsgewährungnachdemAsylBLG betreffen.AlsKernpunktedesEntwurfskönnendiein§5Abs.5AsylG-Neugeplanten besonderenAufnahmeeinrichtungenfürbeschleunigteAsylverfahrensowiediein§30a AsylG-NeuvorgeseheneneueVerfahrensregelungfürbeschleunigteAsylverfahren angesehenwerden.HinzukommtalsdrittezentraleNeuerungdieErweiterungder RegelungenzumNichtbetreibendesVerfahrensin§33AsylG-Neu.Einenweiteren SchwerpunktdesGesetzesentwurfsstelltdievorübergehendeAussetzungendesFamiliennachzugszusubsidiärSchutzberechtigtendar(§104Abs.13AufenthG-Neu). SowohldieneueRegelungzudenbeschleunigtenAsylverfahrenin§30a,diesicham VorbilddesFlughafenverfahrens(§18aAsylG)orientiert,alsauchdieNeugestaltungder Nichtbetreibensregelungin§33basierenaufentsprechendenGestaltungsermächtigungenderVerfahrensrichtlinie,dieweitgehendausschöpftwerden. ÜbergeordnetesZielallerRegelungenistes,vordemHintergrundderaktuellenÜberlastungderfürdieDurchführungvonAsylverfahrenunddieUnterbringungderAntragstellerzuständigenStellennachzusätzlichenBeschleunigungs-undEntlastungseffektenzu suchen,ohnedabeidenZugangzurSchutzgewährungdurchGrenzschließungenoderdie VorgabevonzahlenmäßigenObergrenzenzubeschränken.DieRegelungsvorschläge erfolgendemnachinInteresseeinerBeibehaltungderbislangdurchDeutschlandpraktiziertengroßzügigenSchutzgewährung.DieserübergeordneteZusammenhangistbeider GesamtwürdigungebensowiebeiderBewertungderEinzelregelungenmaßgeblichzu beachten. Seite3von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 DerEntwurfeinesGesetzeszurerleichtertenAusweisungvonstraffälligenAusländern undzumerweitertenAusschlussderFlüchtlingsanerkennungbeistraffälligenAsylbewerbernstelltinseinerGeneseeineReaktionaufdieVorgängeinderSilvesternach 2015/2016u.a.inKölndarundistimZusammenhangmitdemalsReferentenentwurf vorliegendenGesetzesvorschlagfüreineAnpassungdesSexualstrafrechtszubetrachten. ImKernverfolgtdieserGesetzesentwurfdasZiel,dieBedeutungderRechtstreuevon AusländernundSchutzsuchendenimEntscheidungsverfahrensundimZusammenhang mitderEntziehungeinesAufenthaltstitelsundeinerAusweisungzuverstärken.Zu diesemZwecksollendieVoraussetzungenfüreineBerücksichtigungvonStraftaten angepasst,insbes.bereitswenigerweitreichendestrafgerichtlicheVerurteilungenbei Auseisungsentscheidungenberücksichtigtwerdenkönnen. DienachfolgendenAusführungenkonzentrierensichaufdiejenigenAspektedervorgeschlagenenNeuregelungen,dieinderrechtspolitischenDebatteumstrittensind.Im VordergrundstehtdabeidiePrüfungerVereinbarkeitdervorgeschlagenenRegelungen mitdemGrundgesetz,denthematischeinschlägigenRichtlinienderEuropäischenUnion sowiederEuropäischenMenschenrechtskonvention. II. EntwurfeinesGesetzeszurEinführungbeschleunigterAsylverfahren-BT-Drucksache 18/7538 1. WesentlicherRegelungsgehaltundZielsetzungen DererstezubehandelndeGesetzesentwurfsiehtnebenderEinführungeinerneuen VerfahrensartdesbeschleunigtenVerfahrenseineerweiterndeNeufassungderNichtbetreibensregelungsowieeinezweijährigeAussetzungdesFamiliennachzugszusubsidiär Schutzberechtigtenvor.ZielistesinersterLinie,dieAntragsbearbeitunginbestimmten FallkonstellationenwesentlichzubeschleunigenundzugleichdieMitwirkungsbereitschaftderAntragstellerzuerhöhen. 2. EinzelfragenzuArtikel1desGesetzesentwurfs a) VereinbarkeitvonbeschleunigtenAsylverfahrenmitUnionsrecht NachdemdurchdasAsylverfahrensbeschleunigungsgesetzdurchpunktuelleÄnderungenan verschiedenenStellendesGesetzeseinzelneverfahrensbeschleunigendeEffekteunter Seite4von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 NutzungundNachjustierungbestehenderRegelungstechnikenherbeigeführtwurden1,geht derneueGesetzesentwurfeinenSchrittweiter,indemereineneueVerfahrensartder beschleunigtenAsylverfahrenin§33aAsylGeinführtundzudiesemZweckmitdenbesonderenAufnahmeeinrichtungennach§5Abs.5AsylGzugleicheinbesonderesinstitutionellesUmfeldschafft,dasaufdieseVerfahrensartspezifischausgerichtetist.Damitistdie RegelunginihrergrundsätzlichenAusrichtungmitdemin§18aAsylGinAnknüpfungan Art.16aAbs.4GGnormiertenFlughafenverfahrenvergleichbar,dasdasBundesverfassungsgerichtmitbestimmtenAnwendungsmaßgaben,denendiebehördlichePraxisRechnung trägt,fürmitdemGrundgesetzvereinbargehaltenhat.2 WesentlicheMerkmaledesVerfahrenssind: • DieBegrenzungdespersönlichenAnwendungsbereichsaufPersonen,dieStaatsangehörigesichererHerkunftsstaatensind(Art.29aAsylG,Art.16aAbs.3GG)odersich imSinnederNrn.2bis7rechtsuntreuverhaltenhaben; • dieHerausnahmevonunbegleitetenMinderjährigenausdemVerfahren,weildies gem.§42aSGBVIIIindieObhutdesJugendamtesgenommenwerden, • dieBeschränkungderregulärenVerfahrensbaueraufeineWoche, • dieVerpflichtungdeserfasstenPersonenkreiseszurWohnsitznahmeineinerbesonderenAufnahmeeinrichtungbiszurEntscheidungdesBundesamtesbzw.biszurAusreisebzw.demVollzugeinerAbschiebunginFälleneinernegativenEntscheidung. WesentlicheMerkmalederbesonderenAufnahmeeinrichtungsind: • DassdieQualifikationeinerbestehendenAufnahmeeinrichtungalsbesondereAufnahmeeinrichtungbzw.dieNeuerrichtungeinessolchendurchdenLeiterdesBundesamtesmitdenLändernvereinbartwerdenkann, • dasBundesamtbeidenbesonderenAufnahmeeinrichtungenentwedereineeigene AußenstelleeinrichtetodereineZuordnungzueinerbestehendenAufnahmeeinrichtungvornimmt, • fürdiebesonderenAufnahmeeinrichtungSonderregelungennurgelten,soweitdiesim Gesetzausdrücklichvorgesehenist. 1 2 Zu Einzelheiten Kluth, ZAR 2015, 337 ff.; Thym, NVwZ 2015, 1625 ff.; Neundorf, NJW 2016, 5 ff. BVerfGE 94, 166 ff. Seite5von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 EinesolcheVerfahrensregelungistalsAusnahmetatbestandauchdemUnionsrechtvertraut unddamitgrundsätzlichmitseinenrahmensetzendenVorgabenvereinbar.Dasergibtsich ausArt.31Abs.3RL2013/32/EU3(sog.Verfahrensrichtlinie),derdenMitgliedstaatendie Regelungsoptioneröffnet,dasPrüfungsverfahreninEinklangmitdenGrundsätzenund GarantierenvonKapitelIIderRichtliniezubeschleunigen.DasistnachBuchstabeb)insbesonderebeiAntragstellernaussicherenHerkunftsstaatensowiebeiweiterenSachverhalten derFall,andiederRegelungsgehaltdes§30aAbs.1AsylGenganknüpft. EsbestehenvordiesemHintergrundkeinegrundsätzlichenBedenkenanderEinführungdes beschleunigtenVerfahrens.ImZweifelsindbezogenaufdenAnwendungsbereichdieeinzelnenVoraussetzungenrichtlinienkonformimSinnedesArt.31Abs.3RL2013/32/EUauszulegen,zumalsichderGesetzesentwurfausdrücklichaufdieseRegelungbezieht. b) WidersprichteinbeschleunigtesAsylverfahrenrechtsstaatlichenGrundsätzen? Durch seine explizite Orientierung an Art. 31 Abs. 3 RL 2013/32/EU macht der Gesetzesentwurfdeutlich,dassdieinKapitelII(Art.6bis30)derVerfahrensrichtliniestatuierten Garantien auch im beschleunigten Verfahren einzuhalten sind. Da die meisten dieserGarantieninRegelungendesAsylGumgesetztsind,dieauchfürdasbeschleunigte Verfahren gelten, betrifft diese Inbezugnahme insbesondere die in Art. 12 RL 2013/32/EU normierten Garantien, die sich auf die Information der Antragsteller, den Kontakt zu Hilfsorganisationen und zu Rechtsbeistand betreffen. Diese Vorgaben sind unterBerücksichtigungderausdemGrundgesetzabgeleitetenrechtsstaatlichenVorgaben umzusetzen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für die vergleichbar strikt normiertenFlughafenverfahrenkonkretisierthat.DanachgeltendiefolgendenMaßgaben: „Effektiver Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte (Art. 19 Abs. 4 GG) verlangt im Flughafenverfahren Vorkehrungen des Bundesamtes und der Grenzschutzbehörden, daß die Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes nicht durch die obwaltendenUmstände(insbesondereAbgeschlossenseindesasylsuchendenAusländers im Transitbereich, besonders kurze Fristen, Sprachunkundigkeit) unzumutbar erschwert oder gar vereitelt wird (vgl. BVerfGE 69, 1 [49]; SchmidtAßmannin:Maunz-Dürig,Grundgesetz,Art.19Abs.4Rn.26,248).Auchwennes aneinerausdrücklichengesetzlichenBestimmungfehlt,istdeshalbdurchorgani3 Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), ABl. EU Nr. L 2013, 180/60. Seite6von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 satorische Maßnahmen sicherzustellen, daß die ablehnenden Bescheide des BundesamtesundderGrenzbehördedemAntragstelleringeeigneterWeiseeröffnetwerden.DieseMaßnahmenmüssendaraufgerichtetsein,daßderAsylbewerber den Inhalt der Bescheide verstehen und dabei insbesondere erkennen kann, von welchem tatsächlichen Vorbringen das Bundesamt ausgegangen ist und warumesseinenAntragabgelehnthat.Fernermußererkennenkönnen,daßerdagegen gerichtlichen Rechtsschutz erlangen kann, und welche Erfordernisse dafür unbedingteinzuhaltensind(vgl.auchNr.15derEntschließungdesRatesderJustiz-undInnenministerderEuropäischenUnionvom20./21.Juni1995überMindestgarantienfürAsylverfahren Der nicht anwaltlich vertretene Antragsteller muß ferner durch organisatorische Maßnahmen Gelegenheit erhalten, - soweit erforderlich unter Einsatz eines Sprachmittlers - kostenlos asylrechtskundige Beratung in Anspruch zu nehmen, umdieErfolgsaussichteneineretwaigenBeschreitungdesRechtswegesbeurteilen zu können. Diese Beratung kann durch jede dafür geeignete, von den Entscheidungsträgernunabhängige,imFlughafenbereichverfügbareundinAsylrechtsfragenkundigePersonoderStelleerfolgen.EsistSachedesGesetzgebersunddermit derDurchführungdesAsylverfahrensgesetzesbetrautenBehördenzuentscheiden, auf welchem Wege - insbesondere durch welche dafür geeigneten Personen oder Stellen-dieseBeratungerfolgensoll.DieBeratungkannauchHilfebeiderFormulierungdesbeimGerichtzustellendenAntragsundseinerBegründungundbeider GewinnungeineszurVertretungbereitenRechtsanwaltsumfassen.Angesichtsder Kürze der im Gesetz festgelegten Fristen für Antragstellung und gerichtliche EntscheidungimFlughafenverfahren(vgl.dazunäheruntene)erscheinteserforderlich,daßdieBeratungbereitsamTagederZustellungderbehördlichenEntscheidungeneinsetztundauchanWochenendenangebotenwird.“4 DemBundesamtsinddieseMaßgabenvertrautundsiewerdenandeninBetrachtkommenden Flughäfen auch mit Hilfe von Vereinbarungen mit der Anwaltschaft entsprechend umgesetzt. Es ist deshalb davon auszugehen, dass im Zusammenhang mit der Entscheidung, besondere Aufnahmeeinrichtungen zu errichten, die entsprechenden Vorkehrungengetroffenwerden. SoweitinkritischenStellungnahmenzudergeplantenNeuregelungmoniertwird,dass ein faires Verfahren vorenthalten wird bzw. dass fehlende Dokumente keinen ausreichenden Anknüpfungspunkt für ein beschleunigtes Verfahren darstellen ist daran zu erinnern,dassdieVerfahrennach§33aAsylGdenallgemeinenVerfahrensgrundsätzen unterliegenunddieAnknüpfunganfehlendeDokumenteinAbsatz2Nr.3andiemutwillige Vernichtung bzw. Beseitigung anknüpfen, wobei dieses Tatbestandsmerkmal richtlinienkonformauszulegenist. Seite7von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 c) RechtlicheKonsequenzenderDurchführungdesbeschleunigtenVerfahrens DieEntscheidungfürdasbeschleunigteVerfahrenlöstfürdiebetroffenenPersoneneine ReihevonweiterenRechtsfolgenaus,diehiernurkurzangeführtwerdenkönnenundim Ergebnisrechtlichzulässigsind: • Pflicht,inderbehördlichnach§46Abs.1AsylGbestimmtenbesonderenAufnahmeeinrichtungWohnsitzzunehmenunddiesennachMaßgabedesAbsatzes3beizubehalten; • AusgestaltungderLeistungennachdemAsylBLGentsprechend§3AsylBLG. DanichtnurdieEinrichtungvonbesonderenAufnahmeeinrichtungen,sondernauchdie ZuweisungvonAntragstellernzueinersolchenEinrichtungimErmessendesBundesamtes stehen(„kann“),lässtdergesetzlicheEntscheidungsrahmenausreichendenSpielraum,und etwaigenbesonderenBedürfnissevonAntragstellern,etwaimHinblickaufeinemedizinischeVersorgung,hinreichendRechnungzutragen.EswirdalsokeinEntscheidungsautomatismusbegründet.EswirdauchnichteinmaleindirektivesErmessennormiert(kein„soll“). d) BedeutungderWochenfrist Diein§33aAbs.2AsylGstatuiertEntscheidungsfristvoneinerWocheistnichtindem SinneeinezwingendeFrist,dassunterallenUmständeneineEntscheidungzutreffenist. VielmehrergibtsichausderRegelung,dassnichtinnerhalbderWochenfristabgeschlosseneVerfahrenalsnormaleVerfahrenweitergeführtwerden,dassetwaeinedurch KrankheitverhinderteAnhörungdieBehördenichtdazuzwingt,innerhalbderWochenfristzuentscheiden. NichteindeutiggeregeltistdieFrage,obmitderÜberführungeinesbeschleunigten VerfahrensineinnormalesVerfahrendiePflichtzurWohnsitznahmeinderbesonderen Aufnahmeeinrichtungwegfällt.DieBegründungdesGesetzesentwurfsführtdazuaus, dassdasVerfahrensowohlinderbesonderenAufnahmeeinrichtungalsauchineiner anderenAufnahmeeinrichtungfortgeführtwerdenkann. 4 BVerfGE 94, 166 (206). Seite8von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 e) ErmessenbeiderEinrichtungbesondererAufnahmeeinrichtungen Durch§30aAsylGwerdendieLändernicht„gezwungen“,neueAufnahmeeinrichtungen zuerrichten.DieserfolgtvielmehrimEinvernehmenmitdemBundesamt,denndas Gesetzformuliertin§2Abs.5:„kann...vereinbaren“.ZudembestehtdieMöglichkeit,die besonderenAufnahmeeinrichtungenimZusammenhangmiteinerbestehendenAufnahmeeinrichtungzuerrichten. EinvergleichbaresGestaltungsermessenbestehtfürdasBundesamtauchimHinblick aufdiefürdiebesonderenAufnahmeeinrichtungenzuständigenAußenstellen,denndas BundesamtkannentwedereineneueAußenstelleeinrichtenoderdiebesondereAufnahmeeinrichtungeinerbestehendenAußenstellezuordnen.DieEntscheidungwirdin derPraxisvonderräumlichenLageunddenpersonellenKapazitätenderbestehenden Außenstellenabhängen. f) VereinbarkeitderneuenNichtbetreibensregelungin§33AsylGmitVerfassungs-und Unionsrecht DasAsylverfahrenistdurcheinebesondereFormderInformationsasymmetriegekennzeichnet,diesichu.a.inerhöhtenMitwirkungspflichtenderAntragstellerniederschlägt. DamitdiesenPflichtenzeitnahnachgekommenwird,sahdasGesetzbereitsbislang– wieauchinanderenTeilbereichendesbesonderenVerwaltungsrechts,diedurchbesondereMitwirkungspflichtengekennzeichnetsind,wiez.B.dasBauordnungsrecht–eine Regelungvor,beiderdasNichtbetreibendesVerfahrenszueinerFiktionderAntragsrücknahmeführte. MitderumfassendenNeufassungdes§33AsylGversuchtderGesetzesentwurf,den DruckaufdieAntragstellerinRichtungaufeineumfassendeundzeitnaheMitwirkung weiterzuerhöhen.HintergrundistdabeidieErkenntnis,dassgeradedurcheinemangelndeoderzögerlicheMitwirkungerheblicheVerfahrensverzögerungenverursacht werden(können). DieVorschrifthattebislangfolgenden(knappen)Wortlaut: Seite9von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 (1)DerAsylantraggiltalszurückgenommen,wennderAusländerdasVerfahren trotzAufforderungdesBundesamteslängeralseinenMonatnichtbetreibt.Inder AufforderungistderAusländeraufdienachSatz1eintretendeFolgehinzuweisen. (2)DerAsylantraggiltferneralszurückgenommen,wennderAusländerwährend desAsylverfahrensinseinenHerkunftsstaatgereistist. (3)DerAusländerwirdanderGrenzezurückgewiesen,wennbeiderEinreisefestgestelltwird,dasserwährenddesAsylverfahrensinseinenHerkunftsstaatgereist istunddeshalbderAsylantragnachAbsatz2alszurückgenommengilt.EinerEntscheidungdesBundesamtesnach§32bedarfesnicht.§60Abs.1bis3und5sowie§62desAufenthaltsgesetzesfindenentsprechendeAnwendung.“ DerVergleichmitdergeplantenNeuregelunglässterkennen,dassvorallemzweiwesentlicheÄnderungenvorgeschlagenwerden: ErstensfälltdiebislanginAbsatz1geregelteBetreibensaufforderungwegmitderFolge, dassdienachteiligenRechtsfolgenunmittelbareintreten.Dieswirddadurchausgeglichen,dasseinefrühzeitigeInformationüberdieFolgeneinesNichtbetreibensdesVerfahrenserfolgenkannbzw.muss,wenndieRechtsfolgeausgelöstwerdensoll. ZweitenswirddurcheineneueVermutungsregelunginAbsatz2anbestimmteVerhaltensweisenangeknüpft,diebislangnichtfürdieAuslösungdernachteiligenRechtsfolge ausreichten. AufdieverschärfendeRegelungwirdzudemdrittensdurcheinespezielleWiederaufnahmeregelungimneuenAbsatz5reagiert. FürdierechtlicheWürdigungistauchindiesemFallezunächstaufdieeinschlägige RegelunginArt.28RL2013/32/EUzuverweisen.DiesesiehtausdrücklichdieMöglichkeitvor,inFällendesNichtbetreibensdesVerfahrensnachteiligeRechtsfolgenzuregeln undmachtdafürdiefolgendenVorgaben: „DieMitgliedstaatenkönneninsbesonderedanndavonausgehen,dassderAntragstellerseinenAntragaufinternationalenSchutzstillschweigendzurückgezogen hatoderdasVerfahrennichtweiterbetreibt,wennernachweislich a)denAufforderungenzurVorlagevonfürdenAntragwesentlichenInformationengemäßArtikel4derRichtlinie2011/95/EUodereinerAufforderungzurpersönlichenAnhörunggemäßdenArtikeln14bis17dieserRichtlinienichtnachgekommenist,esseidenn,erweistinnerhalbeinerangemessenenFristnach,dass Seite10von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 seinVersäumnisaufUmständezurückzuführenwar,aufdieerkeinenEinflusshatte; b)untergetauchtistoderseinenAufenthaltsortoderOrtseinerIngewahrsamnahmeohneGenehmigungverlassenundnichtinnerhalbeinerangemessenenFrist diezuständigeBehördekontaktierthat,oderseinenMelde-undanderenMitteilungspflichtennichtinnerhalbeinerangemessenenFristnachgekommenist,essei denn,derAntragstellerweistnach,dassdiesaufUmständezurückzuführenwar, aufdieerkeinenEinflusshatte. DieMitgliedstaatenkönnenFristenoderLeitlinienfürdieAnwendungdieserBestimmungenfestsetzen.“ DerVergleichlässtleichterkennen,dassderGesetzesentwurfsichbeimerstenVermutungstatbestandanBuchstabea)undbeidenVermutungstatbeständen2und3engan dieunterBuchstabeb)aufgeführtenVerhaltensweiseorientierthatmitderFolge,dass anderVereinbarkeitmitderVerfahrensrichtliniekeineZweifelbestehenkönnen.Auch dieweiterenRegelungeneinschließlichderVoraussetzungenfürdieWiederaufnahme desVerfahrenssindenganderRichtlinieausgerichtet. FürverfassungskonformeHandhabungderRegelunginderPraxisistesvordiesem Hintergrundbesonderswichtig,dassdieDurchführungderfrühzeitigenInformationder AntragstellerüberdieFolgendereinschlägigenVerhaltensweisennichtnursichergestelltist,sondernauchzueinertatsächlichenWahrnehmungführt.AngesichtsderVielzahlvonkomplexenRechtsinformationen,denensichAntragstellervoralleminder FrühphasedesVerfahrensausgesetztsehen,erscheintessinnvoll,inderVerwaltungspraxiseinewiederholteAufklärungzudiesemThemenkreisanzuordnen. 3. EinzelfragenzuArtikel2desGesetzesentwurfs a) BeschränkungderAbschiebungshindernissenach§60Absatz7AufenthG InderPraxisspieltdieGeltendmachungvongesundheitlichenGründeneineerhebliche Rolle,wennesumdieDarlegungvonAbschiebungshindernissengeht.DerGesetzesentwurfgreiftinsoweitdieErgebnisseundEmpfehlungeneinerUnterarbeitungsgruppe Vollzugsdefiziteauf.Danachwerdeninsbesondereschwerdiagnostizier-undüberprüfbareErkrankungenpsychischerArthäufiggeltendgemachtundführenzueinerdeutlichenVerzögerungderAbschiebung. Seite11von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 DieseErkenntnisaufgreifendsolldurchdieNeuregelungdasin§60Abs.7AufenthG normierteAbschiebungshinderniskonkretisiertwerden,indembeiderBerufungauf gesundheitlicheGefahreninFolgeeinerAbschiebungnurnochsolcheUmständerelevantsind,beideneneszueinerwesentlichenVerschlechterunginFällenvonlebensbedrohlichenoderschwerwiegendenErkrankungenkommt.ZudemwirdzurKlärungder BeurteilungsmaßstäbefürBehördenundGerichte„klargestellt“,dassnichtaufeinemit deutschenVerhältnissengleichwertigeGesundheitsversorgungabgestelltwerdendarf unddassdieMöglichkeitderGesundheitsversorgungineinemTeildesZielstaatesausreichendist,umeineGefährdungzuverneinen. ZuderdamitverbundenenVerengungderAbschiebungshindernisseistzunächstfestzustellen,dassdieu.a.durchdieEMRKvorgegebeneGrenzefürAbschiebungsmaßnahmen durchdieVerwendungderTatbestandsmerkmale„lebensbedrohlicheoderschwerwiegendeErkrankungen“gewahrtwird.DieAbschiebungshindernisseschützennichtvor jederVerschlechterungderGesundheitslage(vorallem,wenndieGesundheitsversorgungimHerkunftslandauchohneVerfolgungslageschlechterwar),sondernnurvor qualifiziertenGefahrenfürelementareRechtsgüter. Problematischistesallerdings,wenndieBegründungdesGesetzesentwurfsrechtpauschaldiehäufigeBerufungpsychischeErkrankungendiskreditiert.Dazuistanzumerken, dassdieseArtvonErkrankungeninderTatinVerbindungmitVerfolgungs-undFluchtsituationenbesondershäufigauftretenunddassdieDiagnoseindiesemBereichbesondersschwierigist.DiesspiegeltsichauchindenfachwissenschaftlichenVeröffentlichungenwieder.5DievergleichsweiseHäufigkeitderBerufungaufentsprechende KrankheitsbilderunddieschwierigeDiagnoselagedürfendeshalbinderPraxisnichtzu einerVernachlässigungderAmtsermittlungführen.VielmehrbestehtinsoweiteinerhöhterfachlicherAufklärungsbedarf,derseinerseitszueinerverantwortlichenHandhabungdergrundsätzlichunproblematischenRegelungbeitragenkann. b) HinnahmevonUnterschiedenimVersorgungsniveau SoweitinderNeuregelungstatuiertwird,dassUnterschiedeimVersorgungsniveau nichtzuberücksichtigensind,gibtderGesetzgeberBehördenundGerichteneinenBeur- Seite12von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 teilungsmaßstabvorbzw.untersagtdasAbstellenaufdiesesUnterscheidungskriterium. Dasistdeshalbgrundsätzlichunproblematisch,weilanderenfallsdieinderRegelbessereGesundheitsversorgunginDeutschlandinFällenderAusweisungzumNachteildes deutschenöffentlichenInteressesberücksichtigtwürde. Soweitdaraufhingewiesenwird,dassderVerweisaufeineangemessenemedizinische VersorgungineinemTeildesZielstaatesverkenne,dassnacheinerRückführungunter UmständennichtalleLandesteilezugänglichsind,istzubeachten,dassdieserUmstand imRahmenderEinzelfallbeurteilungberücksichtigtwerdenkannunddassauchinsoweitjedenfallsdann,wennimbetreffendenTeildesZielstaateskeineVerfolgungdroht, dieinnerstaatlichenFreizügigkeitshindernisseauchvorderAntragstellungbestanden habendürften. c) DiePflichtzurunverzüglichenVorlageeinerqualifiziertenärztlichenBescheinigung Soweitin§60aAbs.2cAufenthGeineneueVermutungsregelungeingeführtwird,die durchdieVorlageeinerqualifiziertenärztlichenBescheinigungwiderlegtwerdenkann, sollteaufdasMerkmalqualifiziertverzichtetwerden,weilärztlicheBescheinigungen nachMaßgabedesBerufsrechtsschonimmerqualifiziertseinmüssen.Zudemisteszu eng,aufärztlicheBescheinigungenabzustellen,daz.B.psychischeErkrankungenauch durchPsychologischePsychotherapeutensowieKinder-undJugendlichenpsychotherapeutenattestiertwerdenkönnen.BeiderHandhabungdesMerkmalsunverzüglichsind dieZeiträumefürdieErstellungeinerentsprechendenBegutachtungzuberücksichtigen. d) VereinbarkeitderAussetzungdesFamiliennachzugsfürsubsidiärSchutzberechtigte mitUnionsrecht DieinderÜbergangsvorschriftdes§104Abs.13AufenthGvorgeseheneAussetzungdes FamiliennachzugszusubsidiärSchutzberechtigtenistmitdenVorgabendesUnionsrechtszumFamiliennachzuggrundsätzlichvereinbar,weildieRL2003/86/EG(siehe Art.3Abs.2c)denetwasspätereingeführtenStatusdessubsidiärSchutzberechtigten nochnichtaufgenommenhatte,sodassdenMitgliedstaateninsoweitRegelungsspielräumezustehen.EineentsprechendeAnwendungkommtbeiRichtliniennichtinBe- 5 Siehe nur Gierlichs, ZAR 2008, 185 ff. Seite13von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 tracht.PrüfungsmaßstabsinddeshalballeinedasGrundgesetzunddieEMRKsowieu.U. inBezugaufMinderjährigedieUN-Kinderrechtskonvention. e) VereinbarkeitderNeuregelungmitArt.6GGundArt.8EMRK FürdieBeurteilungderRegelungistzunächstihrzeitlichbefristeterundAusnahmecharaktersowiedieRegelungsmotivationvonBedeutungunddeshalbgenauerindenBlick zunehmen. DerGesamtcharakterdesGesetzesentwurfsistdurchdieZielsetzungderBundesregierunggeprägt,nachMöglichkeitenderEntlastungzusuchen,ohnedieSchutzgewährung nachinternationalenundeuropäischemRechtzubegrenzen.DerFamiliennachzugzu subsidiärSchutzberechtigtenstelltvordiesemHintergrundeinerseitseinHandlungsfeld mitgeringererDringlichkeitdarundandererseitseinenBereich,indemeinenationale Gestaltungskompetenzbesteht. IndieserSituationerscheinteszugunstenderAufnahmevonSchutzberechtigtenvertretbar,denFamiliennachzugzusubsidiärSchutzberechtigtenübergangsweiseauszusetzen.Dabeiistzubeachten,dassdieserPersonenkreisvoneinereigenenAntragstellungalsSchutzberechtigternichtausgeschlossenwirdunddassüberdiesdieInstrumentedessonstigenhumanitärenAufenthaltsnach§§22,23AufenthGebenfallszurVerfügungstehen. DasBundesverfassungsgerichthatinseinerRechtsprechungzuArt.6GGausgeführt, dassallenfallsfüreine„überschaubareZeit“dieVerwirklichungdesWunschesauffamiliäresZusammenlebenversagtwerdenkannunddabeieinedreijährigeTrennungszeit alsverfassungswidrigbeurteilt.6DabeiwurdeaberaufdieMöglichkeitdesZusammenlebensimHeimatstaatverwiesen,diebeisubsidiärSchutzberechtigtenausgeschlossen ist.ZugleichwirdinderRechtsprechunghervorgehoben,dassausArt.6Abs.1GGkein unmittelbarerAnspruchaufEinreiseundAufenthaltfolgt,sonderndasGrundrechtnur eineangemesseneBerücksichtigungfamiliärerBelangefordert.7Eskommtdabeiauch aufdieZumutbarkeitvonWartefristenan.AusArt.8EMRKlassensichwegendesVorbehaltsindessenAbsatz2keinestrengerenMaßgabenableiten. 6 BVerfG, Beschl. V. 12.05.1987, 2 BvR 1226/83. Seite14von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 FührtmandievorliegendmaßgeblichenGesichtspunkteimRahmeneinerabwägenden Gesamtbetrachtungzusammen,soergibtdiesfolgendesBild:Zunächstistzubeachten, dasssubsidiärSchutzberechtigtenichtdaraufverwiesenwerdenkönnen,diefamiliäre EinheitimHeimatstaatherzustellen.AuchderVerweisaufeinenDrittstaaterweistsich alsnichttragfähig.DeshalbstelltdieAussetzungdesRechtsaufFamiliennachzugfürdie BetroffeneneinenEingriffinihrGrundrechtausArt.6Abs.1GGdar.DieserEingriffist wegendergesetzlichenBeschränkungdesZeitraumsaufzweiJahre,derMöglichkeit, andererechtlicheWegefürdieHerstellungderfamiliärenEinheitzunutzen(hierinsbes. §§22,23AufenthG)undvordemHintergrunddermitderRegelungverfolgtenZielsetzungen,ÜberlastungenbeiderSchutzgewährungabzubauen,aberalseineverhältnismäßigeBeschränkungzubetrachten.InsbesonderederUmstand,dasszweiJahreauch unterBerücksichtigungderVerfahrensdauerfüreinenFamiliennachzugeinedurchaus „überschaubare“ZeitspannedarstellenundderZeitraumwegenseinergesetzlichen FixierungkeinelängerfristigeUnsicherheitmitsichbringt,machendeutlich,dasshier einenochzumutbareFristgewähltwurde. Schließlichistzubeachten,dasswegendesCharaktersderRegelungals„Aussetzung“ dieMöglichkeiteinerAntragstellungunddieBerücksichtigungvonbesonderenHärtefällensowieimFalledesNachzugszuunbegleitetenMinderjährigendasKindeswohlim SinnederUN-Kinderrechtskonventiongrundsätzlichberücksichtigungsfähigbleiben. f) IntegrationspolitischeAspekte AuchintegrationspolitischeAspektesprechenbeisubsidiärSchutzberechtigtennicht zwingendgegendieRegelung.EssprechenzwardurchausguteGründedafür,dassder FamiliennachzugdieIntegrationfördernkann.AuchvordiesemHintergrundhabender europäischeundderdeutscheGesetzgeberindenletztenJahrendenFamiliennachzug erleichtert.DieförderndeWirkungistabernichtvoneinemsolchenGewicht,dasssiein derGesamtabwägungzueinemanderenErgebnisführt.Anderswäreesnurdann,wenn derFamiliennachzugfürdiesubsidiärSchutzberechtigtengrundsätzlichausgeschlossen oderwesentlicherschwertwürde. 7 Zusammenfassend Maor, in: Kluth/Hund/Maaßen (Hrsg.), Zuwanderungsrecht, Abschnitt 4, Rn. 802 ff. Seite15von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 4. EinzelfragenzuArtikel3desGesetzesentwurfs DiemitdemAsylverfahrensbeschleunigungsgesetzvorgenommeneÄnderungderLeistungennachdemAsylbLG,dieauchLeistungsabsenkungeninbestimmtenKonstellationenzurFolgehaben,sindweiterhinimHinblickaufihreverfassungsrechtlicheZulässigkeitumstritten.8EsgibtaberguteGründe,dassimHinblickaufdiebesondereLageder BetroffenenunddeninderRegelüberschaubarenVerweilzeitraumauchnachder RechtsprechungdesBundesverfassungsgerichtseineabweichendeBehandlungzulässig ist.9 DienunmehrvorgeschlagenenAbsenkungenbzw.Anpassungenunterliegenvordiesem HintergrundihrerseitseineBewertungsunsicherheit,dieaberangesichtsdergeringen Änderungennichtüberdiebereitsjetztbestehendehinausgeht.InderSachesinddie Anpassungenschlüssigbegründet,dasieaucheinerNeuberechnungderpersönlichen BedarfeberuhenunddamitdemBegründungserfordernisdesBundesverfassungsgerichtsgenügen.DazufindensichinderBegründungdesGesetzesentwurfsdieerforderlichenNachweiseundArgumente(S.21ff.). b) BehandlungvonakutenErkrankungenimZeitraumzwischenAnkunftundAusgabedes Ankunftsnachweises TrotzdesabgesenktenLeistungsniveausimZeitraumbiszurAusgabedesAnkunftsnachweisesistauchindiesemZeitraumeineärztlicheAkutversorgungnach§4AsylbLG gewährleistet,dadieseRegelungnichtvonderLeistungskürzungerfasstwird,sodass dasMenschenrechtaufLebenundGesundheitinVerbindungmitdemSozialstaatsprinzipgewahrtbleibt. III. EntwurfeinesGesetzeszurerleichtertenAusweisungvonstraffälligenAusländern undzumerweitertenAusschlussderFlüchtlingsanerkennungbeistraffälligenAsylbewerbernBT-Drucksache18/7537 1. ÜberblickzudenvorgeschlagenenÄnderungen DieserGesetzesentwurfstellteineReaktionaufeineVielzahlvonStraftatendar,diein derSilversternacht2015/2016u.a.inKölnverübtwurden.DieallgemeineZielsetzung 8 9 Siehe etwa Brings/Oehl, ZAR 2016, 22 ff. Siehe dazu auch Kluth, ZAR 2015, 337 (340 f.). Seite16von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 bestehtdarin,dieErwartungenundAnforderungenandieRechtsreuevonAusländern undSchutzsuchendenzuerhöhenundzudiesemZweckdieErheblichkeitsschwellefür dieMöglichkeitderBerücksichtigungvonstrafgerichtlichenVerurteilungenimRahmen vonaufenthaltsbeendendenMaßnahmensowieimRahmenvonAnerkennungsverfahrennachdemAsylGzuverbessern.DadurchsollzugleicheinerschwindendenAkzeptanzderSchutzgewährungentgegengewirktwerden,diesichnachdenEreignissenzum JahreswechselinderBevölkerungabgezeichnethat. BeiderrechtlichenundrechtspolitischenWürdigungderÄnderungsvorschlägeist grundlegendzubeachten,dasssieimRahmeneinesneustrukturiertenAusweisungsrechts10erfolgen,dasu.a.aufdemGrundsatzberuht,dassbeijederaufenthaltsbeendendenMaßnahmeeineaufdenEinzelfallbezogeneVerhältnismäßigkeitsprüfungzuerfolgenhat.Weiterhinistzubeachten,dassdieAnwendunginsbes.vonArt.3EMRKwegen derunverändertenGeltungvon§60Abs.5AufenthGdurchdievorgeschlagenenÄnderungnichttangiertwird,sodassdasstrengeRefoulmentVerbotdieserRegelungunverändertzurGeltungkommt. DievorgeschlagenenÄnderungenbeziehensichaufdiefolgendenSystemelemente: Erstenwirdin§53Abs.2AufenthG,derdenGesamtrahmenfürdieaufeinerAbwägung beruhendeAusweisungsentscheidungumschreibt,dasrechtstreueVerhaltenalszusätzlicherGesichtspunkteingeführt,daszugunstenundzulastenderbetroffenenPersonzu berücksichtigenist. Zweitenswerdenin§54AufenthG,derdasAusweisungsinteressetypisierendregelt, zusätzlichbislangnichterfasstestrafrechtlicheVeurteilungeneingeführt,diebeider EntscheidungzulastenderbetroffenenPersonzuberücksichtigensind. Drittenswirdin§60Abs.8AufenthGeineÄnderungvorgenommen,mitderenHilfeim RahmeneinerAbschiebungbestehendeAbschiebungshindernisserelativiertwerden können. 10 Dazu Marx, ZAR 2015, 245 ff. Seite17von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 ViertenswerdendurchArtikel2desGesetzesdieWertungendes§60Abs.8AufenthG indasAnerkennungsverfahrennachdemAsylGeinbezogen. 2. EinzelfragenzuArtikel1desGesetzesentwurfs a) ZulässigkeitderBerücksichtigungderRechtstreuedesAusländersalsEntscheidungskriteriumimRahmendes§53AufenthG DieErweiterungdesallgemeinenEntscheidungsrahmensfürAusweisungsentscheidungenumdasMerkmalderRechtstreuebegegnetkeinenverfassungsrechtlichenBedenken.DieRechtstreueistpositivwienegativeinzentralerIndikatorvonIntegrationund dieseeinEntscheidungsmerkmalüberaufenthaltsrelevanteEntscheidungen.Zudem lässtsichRechtstreueobjektivmessenunddamitbeidenbehördlichenEntscheidungen gutberücksichtigen. b) Anforderungenanein(besonders)schwerwiegendesAusweisungsinteressenach§54 Absatz1oder2AufenthG DerunionrechtlicheRahmenfürAusweisungsentscheidungenfindetsichindersog. Qualifikationsrichtlinie2011/95/EUsowieindersog.Rückführungsrichtlinie 2008/115/EU.DabeiwirdzugleichandieRegelungeninArt.33GFKangeknüpft. ZunächstistArt.21QRLzubeachten,derdieZulässigkeiteinerZurückweisungregelt: (1)DieMitgliedstaatenachtendenGrundsatzderNichtzurückweisunginÜbereinstimmungmitihrenvölkerrechtlichenVerpflichtungen. (2)EinMitgliedstaatkann,soferndiesnichtaufgrundderinAbsatz1genannten völkerrechtlichenVerpflichtungenuntersagtist,einenFlüchtlingunabhängigdavon,oberalssolcherförmlichanerkanntistodernicht,zurückweisen,wenn a)esstichhaltigeGründefürdieAnnahmegibt,dassereineGefahrfürdieSicherheitdesMitgliedstaatsdarstellt,indemersichaufhält,oder b)ereineGefahrfürdieAllgemeinheitdiesesMitgliedstaatsdarstellt,weilerwegeneinerbesondersschwerenStraftatrechtskräftigverurteiltwurde. (3)DieMitgliedstaatenkönnendeneinemFlüchtlingerteiltenAufenthaltstitelwiderrufen,beendenoderseineVerlängerungbzw.dieErteilungeinesAufenthaltstitelsablehnen,wennAbsatz2aufdiebetreffendePersonAnwendungfindet.“ Seite18von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 EntscheidenderMaßstabsinddamitdieinAbsatz2angeführtenKriterien,dieauchfür denWiderrufeinesbereitserteiltenAufenthaltstitelsgeltenunddamitdieGrundlagefür Ausweisungsentscheidungendarstellen.ZentralistimvorliegendenZusammenhangdes TatbestandsmerkmalderbesondersschwerenStraftat. ZubeachtenistweiterArt.14Abs.4QRL,derdieAberkennungvonerteiltenTiteln regelt: „(3)DieMitgliedstaatenerkenneneinemDrittstaatsangehörigenodereinemStaatenlosendieFlüchtlingseigenschaftab,beendendieseoderlehnenihreVerlängerungab,fallsderbetreffendeMitgliedstaatnachZuerkennungderFlüchtlingseigenschaftfeststellt,dass a)diePersongemäßArtikel12vonderZuerkennungderFlüchtlingseigenschaft hätteausgeschlossenwerdenmüssenoderausgeschlossenist; b)einefalscheDarstellungoderdasVerschweigenvonTatsachenseinerseits,einschließlichderVerwendungfalscherodergefälschterDokumente,fürdieZuerkennungderFlüchtlingseigenschaftausschlaggebendwar.“ InderZusammenschauzeigtsich,dassderGesetzesentwurfzurErgänzungvon§54 AufenthGengandiebeidenangeführtenRegelungenderQRLanknüpftundsichdie Problematikdaraufkonzentriert,obinallenFällenvoneinerbesondersschwerenStraftatausgegangenwerdenkann. DerEuGHhatdiesesTatbestandsmerkmalnichtgenauinterpretiert,sondernineiner EntscheidungzuArt.21QRLnureinenallgemeinenInterpretationsrahmenfürdie ErmessensbetätigungdurchdieMitgliedstaatengeliefert.11Danachgilt: „DieZurückweisungeinesFlüchtlingsbildet,auchwennsiedurchdieAusnahmeregelungvonArt.21Abs.2[…]grundsätzlichzugelassenwird,nurdieultima ratiofüreinenMitgliedstaat,wennkeineandereMaßnahmemehrmöglichoder ausreichendist,umderGefahrentgegenzutreten,dievondemFlüchtlingfürdie […]AllgemeinheitdiesesMitgliedstaatesausgeht.[…]DieFolgen,diedieAnwendungderinArt.21Abs.2[…]vorgesehenenAusnahmefürdenbetroffenenFlüchtlinghat,können[…]äußersteinschneidendsein,dennerkannineinLandzurückgeschicktwerden,indemerderGefahreinerVerfolgungausgesetztseinkönnte. AusdiesemGrundunterwirftdieseVorschrifteineZurückweisungstrengenVoraussetzungen,dainsbesonderenureinFlüchtling,derwegeneiner„besonders schwerenStraftat“rechtskräftigverurteiltwurde,alseine‚GefahrfürdieAllge11 EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 71 f. Seite19von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 meinheitdiesesMitgliedstaats‘imSinnedieserVorschriftangesehenwerdenkann. SelbstwenndieseVoraussetzungenerfülltsind,stehtdieZurückweisungdesbetroffenenFlüchtlingsüberdiesnurimErmessenderMitgliedstaaten,diedarinfrei bleiben,sichfürandere,wenigereinschneidendeOptionenzuentscheiden.“ Darauskannabgeleitetwerden,dassnurbesondershochwertigeRechtsgüterundzudemeinenichtunerheblicheSchwerederTat,dieindemStrafmaßzumAusdruck kommt,dieMaßnahmerechtfertigenkann. BezogenaufdasdeutscheStrafrechtssystemverläuftdieentscheidendeTrennlinie insoweitbeiderFreiheitsstrafevoneinemJahr,diein§12StGBzurAbgrenzungvon VerbrechenundVergehenherangezogenwird.DaesimvorliegendenZusammenhang nichtaufdieEinordnungvonNormtypenankommt,kannsichderGesetzgeberandieser Wertungauchunabhängigdavonausrichten,welcherNormtypderVerurteilungzu einerFreiheitsstrafevonmindestenseinemJahrzugrundelag.Fürdendeutschen Rechtsraumerscheintesdeshalbvertretbar,beirechtskräftigenVerurteilenzueiner StrafevonmindestenseinemJahrvoneinerbesondersschwerenStraftatauszugehen. DasUnionsrechtfordertjedenfallsnichtmehr. AuchimHinblickaufdiebetroffenenRechtsgüterLeben,körperlicheUnversehrtheit, sexuelleSelbstbestimmungundEigentumergebensichinsoweitkeineBedenken.Beim WiderstandgegenVollstreckungsbeamtemögenZweifelbestehen,dieabermitdem Hinweisdarauf,dasseshierauchumdieRechtstreuegeht,relativiertwerdenkönnen. DeshalbBestehenausmeinerSichtkeineZweifelanderVereinbarkeitdervorgeschlagenenRegelungenmitdemUnionsrecht. c) EinbeziehungvonBewährungsstrafen Bedenkenkönnenallenfallsinsoweitaufkommen,alsderEntwurfauchBewährungsstrafeneinbezieht.Dabeiistzubeachten,dassbeieinerBewährungsstrafeebenfallseine rechtskräftigeVerurteilungvorliegtundlediglichaufdieVollstreckungderStrafeverzichtetwird,solangesichderVerurteilterechtstreuverhält.DabeiistderUmstandvon Bedeutung,dassbeigeringenFreiheitsstrafendieHaftoftzueinerVerschlechterungder Persönlichkeitsstrukturführt,einAspekt,dernichtsanderRechtsuntreueundder schwerederStraftatändert.DeshalbkannauchaneinesolcheVerurteilungangeknüpft werden. Seite20von21 StellungnahmeProf.Dr.W.KluthzurAnhörungimInnenausschussam22.02.2016 3. EinzelfragenzuArtikel2desGesetzesentwurfs AusdengleichenGründenistauchdieinArtikel2vorgeschlageneVerweigerungder AnerkennungalsSchutzbedürftigePersongerechtfertigt. IV. ZusammenfassendeWürdigung DiebeidenGesetzesentwürfeerweisensichdemnachalsmitdemUnions-undVerfassungsrechtvereinbar,wobeiineinigenFällendiebesonderenAnforderungenandie Umsetzungzuberücksichtigensind. DiemeistenvorgeschlagenenRegelungenknüpfensehrenganRegelungeninRichtlinien derEuropäischenUnionan,dieinZweifelsfällenauchimWegederrichtlinienkonformenAuslegungbeiderAnwendungzubeachtensind. Prof.Dr.WinfriedKluth Seite21von21