Militärgeschichte - Zentrum für Militärgeschichte und

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Militärgeschichte - Zentrum für Militärgeschichte und
Zeitschrift für historische Bildung
C 21234
ISSN 0940 – 4163
Heft 3/2003
Militärgeschichte
Militärgeschichte im Bild: Lockheed F-104 G »Starfighter«
Die NVA und der »Prager Frühling«
Volkstrauertag
Die Konvention von Tauroggen
NATO-Doppelbeschluss
MGFA
Militärgeschichtliches Forschungsamt
IMPRESSUM
Editorial
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
Herausgegeben
vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt
durch Jörg Duppler und
Hans-Joachim Harder
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Lektorat:
Militärgeschichtliches Forschungsamt,
Aleksandar-S. Vuletić
Bildredaktion:
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Marina Sandig
Layout/Grafik:
Militärgeschichtliches Forschungsamt,
Maurice Woynoski
Druck:
SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden
ISSN 0940-4163
das 20. Jahrhundert ist Geschichte – dieser Gedanke drängt sich besonders bei der Betrachtung unserer Themenauswahl im vorliegenden Heft auf. Mit einem eindeutigen Schwerpunkt auf das zeitlich näher liegende Geschehen verfolgt diese Ausgabe der »Militärgeschichte« das Ziel, Ereignisse ins Bewusstsein zu rücken, die unsere unmittelbare Vergangenheit geprägt haben. Jüngeren Lesern sind sie nicht mehr aus eigenem Erleben bekannt,
entsprechend sind die Vorstellungen über den »Prager Frühling« oder die Debatte um den
NATO-Doppelbeschluss eher dunkel.
So kursiert nach wie vor die These, Soldaten der NVA seien an der Niederschlagung des
Reformkommunismus in der ČSSR im Jahre 1968 beteiligt gewesen. Rüdiger Wenzke zeigt
jedoch in seinem Artikel, dass diese Vermutung ins Reich der Legende gehört – auch wenn
die DDR-Führung seinerzeit gern »dem großen Bruder« die Bündnistreue auch militärisch
bewiesen hätte, was sich dann allerdings als nicht erforderlich erwies.
Die Debatte um den NATO-Doppelbeschluss bewegte Anfang der 80er Jahre die Bundesrepublik; der damalige Kanzler Helmut Schmidt wurde durch seine sicherheitspolitisch verantwortliche Haltung in der eigenen Fraktion isoliert. Schließlich aber wurde die gegen viele
Widerstände durchgesetzte atomare Nachrüstung der NATO in Mitteleuropa nur wenige
Jahre später durch den Wegfall der kommunistischen Bedrohung überflüssig. Somit war der
doppelte Beschluss – nachrüsten und weiter Entspannungspolitik betreiben – letzten Endes
erfolgreich.
Der Volkstrauertrag, den Clemens Heitmann und René Henn betrachten, ist ein Tag, der
seit seiner Entstehung nach dem Ersten Weltkrieg ganz verschiedene Ausformungen gefunden hat. Im »Dritten Reich« gar als »Heldengedenktag« verherrlicht, dient er heute dem
Gedenken an die zahllosen Opfer der Weltkriege – auch der nicht militärischen. Die Autoren
zeichnen die Geschichte des Volkstrauertages von seinen Ursprüngen bis in die Gegenwart
nach. So wird deutlich, dass Erinnern immer von der jeweiligen politischen Grundhaltung
und -stimmung geprägt ist. Die Geschichtswissenschaft kann dabei nur versuchen, durch
Aufklärung über die Vergangenheit und durch die Widerlegung von Legenden einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten, sie kann aber vom eigenen Selbstverständnis her
in einer pluralistischen Gesellschaft kein fest gefügtes Geschichtsbild oder gar eine Tradition
verordnen.
Jörg Echternkamp zeigt mit der »Rückkehr der Generale«, dass in verschiedenen Epochen
naturgemäß unterschiedliche Persönlichkeiten für traditionswürdig befunden werden. Die
Tradition ist immer etwas, das sich zwar auf Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung stützt,
gleichwohl politisch begründet wird.
Dass die Handlungen historischer Personen mitunter in einem sehr schwierigen politischen Umfeld stattfanden, erfährt der Leser in Eberhard Birks Beitrag zur Konvention
von Tauroggen. Das Verhalten des preußischen Generals Yorck –
glatter Ungehorsam gegenüber dem König – war in dieser Situation das für die anvertrauten Soldaten wie auch für Volk und
Staat zukunftweisende Handeln. Gleichwohl steht Yorcks Persönlichkeit im Brennpunkt der Verantwortung des Militärs, der
sich über Vorgaben der politischen Führung hinwegsetzt. Dieser
Problematik trägt der Beitrag Rechnung.
In Bezug auf »neue Medien« und Ausstellungen wird auch in
diesem Heft eine reiche Auswahl geboten. Mit der Diskussion
von Computerspielen und dem Fazit eines fragwürdigen Lernund Unterhaltungswertes hat die Redaktion im letzten Heft
offensichtlich einen Aspekt getroffen, der zahlreiche Leser zu
beschäftigen scheint, wie die Zuschriften beweisen. Wir werden
uns bemühen, solche Themen auch in Zukunft anzubieten.
Bei der Lektüre dieses Heftes jedenfalls wünsche ich Ihnen
viel Vergnügen.
Andreas Groh
Ortstermin: René Henn,
Clemens Heitmann und
Andreas Groh vor der
Gedenktafel im Neuen
Garten in Potsdam, die an
das Ereignis der Konvention
von Tauroggen erinnert
D i e
A u t o r e n
Inhalt
ČSSR 1968
Die NVA und die Niederschlagung
des »Prager Frühlings«
Dr. Rüdiger Wenzke,
geboren 1955 in Baruth/Mark,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
im Forschungsbereich
»Militärgeschichte der DDR«
am Militärgeschichtlichen
Forschungsamt, Potsdam
Volkstrauertag
Das politische Trauern um die Kriegstoten
4
10
Unter Mitarbeit von René Henn
Die Konvention von Tauroggen
14
Der NATO-Doppelbeschluss 1979
18
Service
22
Das historische Stichwort: »Die Rückkehr der Generale«
22
Medien online/digital
24
Lesetipp
26
Ausstellungen
28
Geschichte kompakt
30
Militärgeschichte im Bild
31
am 30. Dezember 1812
Clemens Heitmann M.A.,
geboren 1969,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Militärgeschichtlichen
Forschungsamt, Potsdam
Dr. Eberhard Birk,
geboren 1967 in Heilbronn,
Dozent für Militärgeschichte an
der Offizierschule der Luftwaffe in
Fürstenfeldbruck
Zur Strategie des Gleichgewichts
Lockheed F-104 G »Starfighter«
Markus Wackerbeck,
geboren 1975 in Heinsberg,
Student der Politik- und
Geschichtswissenschaften
an der Universität Bonn
Starfighter F-104 G im Flug,
Aufnahme vom
20. Oktober 1984 / Allgäu
(Foto: BMVg)
Die NVA und der »Prager Frühling«
ČSSR 1968:
1968
Die NVA und die
Niederschlagung des
dpa
D
er 20. August 1968, ein Dienstag, war ein warmer Sommertag. In Prag, der tschechoslowakischen Hauptstadt, herrschte
Hochbetrieb. Wer nicht seiner Arbeit
nachging und Urlaub hatte, traf sich
mit Freunden in den zahlreichen Cafés
und Restaurants. Tausende Touristen
flanierten durch die Gassen und Straßen der »Goldenen Stadt«. Die Stimmung unter den Menschen war – wie
im ganzen Land – hoffnungsvoll, entspannt und friedlich. Niemand ahnte,
welche dramatischen Ereignisse unmittelbar bevorstanden.
Knapp 1600 Kilometer weiter östlich,
in Moskau, wusste man dagegen sehr
genau, dass in der Tschechoslowakei
der 20. August nicht so friedlich enden
würde, wie er begonnen hatte. Hier
waren Militärs und Geheimdienstler
schon im Frühjahr 1968 beauftragt
worden, unter größter Geheimhaltung
die Möglichkeit einer militärischen
Operation gegen die ČSSR zu prüfen
und mit ersten Vorbereitungen zu
beginnen. Ende Juli 1968 konnte der
durch Manöver und Übungen getarnte
Aufmarsch jener Verbände, die der
4
5
Massive Proteste der Bevölkerung gegen die
Interventen – hier in der Prager Innenstadt am
ersten Tag der Besetzung
sowjetische Generalstab für eine Intervention vorgesehen hatte, im Wesentlichen abgeschlossen werden. Noch versuchte man aber auf den unterschiedlichsten Ebenen, die Unstimmigkeiten
und Probleme, die sich seit dem Frühjahr 1968 zwischen der tschechoslowakischen Führung auf der einen und
den Politbürokraten der UdSSR, Bulgariens, Polens, Ungarns und der DDR
auf der anderen Seite ergeben hatten,
politisch zu lösen. Erst Mitte August
1968 fiel dann im Politbüro der Kommunistischen Partei der Sowjetunion
(KPdSU) die Entscheidung über den
Beginn des Truppeneinmarsches in die
ČSSR. Die Staats- und Parteichefs der
anderen potentiellen Interventionsstaaten stimmten dem ohne Einwand zu.
Albanien und Rumänien waren gar
nicht erst gefragt worden. Ein »Einladungsbrief«, geschrieben von drei Mitgliedern des Präsidiums des Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen
Partei der Tschechoslowakei, sollte die
Intervention der »Klassen- und Waffenbrüder« legalisieren.
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Ziel der Militäraktion sollte es sein,
so die offizielle Sprachregelung, dem
tschechischen und slowakischen Volk
»brüderliche Hilfe« bei der Zerschlagung der »Konterrevolution« in ihrem
Land zu leisten. Die vom Westen
gesteuerten »Konterrevolutionäre«, so
glaubte man zu wissen, wollten nicht
nur den Sozialismus in der ČSSR beseitigen, sondern auch das Land aus dem
Warschauer Pakt herausreißen.
Gemeinsam gegen die
»Konterrevolution« –
Interessen und Hintergründe
W
as Leonid I. Breschnew, der
Führer des Sowjetimperiums, und seine Vasallen
unter dem Begriff »Konterrevolution«
subsumierten, war in Wirklichkeit der
tschechoslowakische Versuch, den ökonomisch schwachen Sozialismus sowjetischen Zuschnitts in erster Linie »von
oben« her zu reformieren. Träger dieser
»Erneuerung« – der Begriff »Reform«
wurde anfangs offiziell noch vermieden – war eine intellektuelle Parteielite.
»Prager Frühlings«
dpa
Schwerpunkte der angestrebten grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen sollten in einer radikalen Trennung der Macht- und Führungsstrukturen der Kommunistischen Partei und
des Staates, in der Einführung wirtschaftlicher Marktmechanismen, in der
Freiheit von Kultur und Wissenschaft,
in der Entideologisierung der Außenpolitik und nicht zuletzt in der Abschaffung der politischen Zensur liegen.
Dabei ging es keinesfalls um die Liquidierung des Sozialismus. Auch die völlige Brechung des Machtmonopols der
Partei, euphemistisch ihre »führende
Rolle« genannt, stand nicht auf der
Tagesordnung. Die Prager Reformkommunisten um Alexander Dubček, der
Symbolfigur der Erneuerung, die später
unter der Bezeichnung »Prager Frühling« in die Geschichte einging, wollten nach eigener Einschätzung zum
ersten Mal innerhalb des Ostblocks die
»Einheit von Sozialismus und Demokratie« herbeiführen. Schon allein das
Streben nach einem »besseren Sozialismus« rüttelte jedoch nach Ansicht
der Dogmatiker im Ostblock an den
Grundfesten des Marxismus-Leninismus und des von ihnen vertretenen
5
Prager Bürger blockieren einen
sowjetischen Panzer
»wahren« Sozialismus stalinistischer
Prägung.
Aber nicht nur aus politisch-ideologischen Gründen sollte die Parteiführung in der ČSSR diszipliniert und
die Situation im Land unter Kontrolle
gebracht werden. Es ging um weit
mehr. Nachdem sowjetische Marschälle
schon frühzeitig ihre Befürchtung zum
Ausdruck gebracht hatten, dass durch
die Vorgänge in der ČSSR die Front
des Warschauer Pakts gegen die NATO
an einer wichtigen Nahtstelle der Militärbündnisse in Europa einen Riss
erhalten könnte, sah auch die Moskauer Führung Handlungsbedarf. Eine
Schwächung im strategisch bedeutsamen Abschnitt der Tschechoslowakei
und ihrer Armee, die wichtige Bindeglieder zwischen zwei militärstrategischen Gruppierungen des östlichen
Pakts bildeten, durfte aus Sicht der
sowjetischen Militärs nicht hingenommen werden, zumal anders als in den
übrigen WP-Staaten in der ČSSR bisher
keine sowjetischen Truppen stationiert
waren. Nur deren dauerhafte Stationierung in der Tschechoslowakei – so
das Kalkül der sowjetischen Militärs –
konnte das vorgeblich gestörte Kräfteverhältnis an der Trennlinie zur NATO
nicht nur wieder stabilisieren, sondern möglicherweise sogar zugunsten
der eigenen Überlegenheit verändern.
Zugleich wollte man sich damit eine
bessere Ausgangsposition in den bevorstehenden Abrüstungsverhandlungen mit den USA sichern. Da aber
die Schaffung einer derartigen operativ-strategischen Gruppierung allein
politisch und schon gar nicht gegen
den Willen der tschechoslowakischen
Führung um Dubček durchsetzbar
war, blieb für die Sowjets nur die
gewaltsame Lösung, um die eigenen
Truppenverbände ins »Bruderland« zu
bringen. Politische, ideologische und
pragmatisch-militärische Gründe der
Führungsmacht des Ostblocks gaben
somit unter dem Vorwand einer
notwendigen »Liquidierung der konterrevolutionären Gefahr« den Ausschlag für die Entscheidung, die Situation in der Tschechoslowakei letztlich
mit militärischen Mitteln zu »bereinigen«.
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5
Die NVA und der »Prager Frühling«
wird«. Der Grad der »Zersetzung« in
der Tschechoslowakischen Volksarmee
sei hoch, und man müsse sich deshalb
auch auf eine »kurzfristige Überwindung« von bewaffnetem Widerstand
einrichten. Insgesamt, so betonte Jakubowski gegenüber den NVA-Offizieren, sei die Lage in der ČSSR äußerst
bedenklich: Alle Maßnahmen müssten
daher unbedingt gedeckt, »unter dem
Vorwand von Übungen« vorbereitet
werden.
D
Des Weiteren teilte der Oberkommandierende den ostdeutschen Waffenbrüdern Einzelheiten über die geplante
Rolle der NVA mit. Danach sollten zwei
NVA-Divisionen, die 7. Panzerdivision
(PD) Dresden und die 11. Motorisierte
Schützendivision (MSD) Halle, in die
Militäroperation einbezogen werden.
Jakubowskis Ausführungen ließen zu
diesem Zeitpunkt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass auch die NVA bei
Notwendigkeit auf tschechoslowakisches Territorium vorstoßen sollte. Die
sowjetischen Planungen dazu waren
eindeutig. Es gab weder bei der SEDFührung noch in der NVA-Spitze
Widerspruch oder gar Ablehnung, wie
später mitunter behauptet wurde. In
der Folge verlegten beide Divisionen
in die befohlenen Räume und waren
zum 29. Juli 1968 einsatz- und gefechtsbereit.
Auf Anforderung des Oberkommandierenden der Vereinten Streitkräfte
des Warschauer Vertrages, Marschall
Iwan Jakubowski, begab sich am 25.
Juli 1968 eine operative Gruppe von
NVA-Offizieren zu dessen Führungsstab nach Legnica (Polen). Der sowjetische Marschall empfing die kleine
Delegation gegen 18.00 Uhr und wies
sie in die bestehende Lage ein. Einleitend informierte Jakubowski darüber, dass die Hauptaufgabe der bevorstehenden Übung darin bestehe, »die
Arbeiterklasse der ČSSR vor der offenen Konterrevolution zu bewahren,
da alle Anzeichen darauf hindeuten,
dass sie nicht allein Herr der Lage
In den späten Abendstunden des
20. August 1968 überschritten die ersten Spitzeneinheiten der sowjetischen
Interventionsstreitkräfte die Staatsgrenzen zur ČSSR. An ihrer Seite befanden
sich ein starkes Kontingent polnischer
Truppen sowie Einheiten der Ungarischen und der Bulgarischen Volksarmee. Die sowjetische 20. Gardearmee
hatte den Befehl, direkt auf Prag vorzustoßen, wo inzwischen die wichtigsten Einrichtungen bereits von sowjetischen Luftlandekräften besetzt worden
waren. Die ersten Einheiten des Gardeverbandes erreichten im Landmarsch
in den Morgenstunden des 21. August
ihr Ziel und bezogen danach an
beherrschenden Plätzen der Hauptstadt Stellung. Die ČSSR war in weniger als 12 Stunden von mehr als
200 000 Soldaten der Interventionstruppen besetzt worden. Die Operation
»Donau« war damit militärisch durchaus erfolgreich.
5
Ein sowjetischer Panzer in der
Prager Innenstadt
dpa
Die Operation »Donau«
und die Rolle der NVA
ie entscheidende Operation,
die der unmittelbaren Vorbereitung, Absicherung und
Durchführung der militärischen Intervention in der ČSSR diente, hatte
die Tarnbezeichnung »Dunai« (Donau)
erhalten. Mit dieser »Übung« begann
auch die Phase der Einbeziehung der
Nationalen Volksarmee (NVA) in die
sowjetische Militäraktion zur Niederschlagung des »Prager Frühlings«.
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Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
Die angestrebten politischen Ziele der
Intervention wurden dagegen anfangs
nicht erreicht, denn es kam weder
zu einer raschen Machtverschiebung
zugunsten der prosowjetischen Gruppe
in der tschechoslowakischen Parteiund Staatsführung noch zu einem bejubelten Empfang für die »Befreier von
der Konterrevolution« in der Bevölkerung. Im Gegenteil: Im gesamten
Land formierte sich innerhalb kürzester Zeit ein kompromissloser ziviler
Widerstand gegen die Besatzer.
Im Laufe der folgenden Monate wurden dann die Reformer und ihre
Anhänger von den Sowjets schrittweise
aus politischen Ämtern und verantwortlichen Funktionen entfernt. Die
Phase der sogenannten Normalisierung unter den wieder bzw. neu an
die Macht gekommenen moskauhörigen Kommunisten leitete die politische
Restauration des Landes ein. Rund
75 000 sowjetische Besatzungssoldaten
verblieben im Herbst 1968 unter dem
Namen »Zentralgruppe der sowjetischen Streitkräfte« in der ČSSR. Erst
zwanzig Jahre später gelang es den Völkern der Tschechoslowakei, das eiserne
Korsett des Kommunismus endgültig
zu sprengen. Der letzte Sowjetsoldat
verließ im Juni 1991 das Land.
NVA-Soldaten als Okkupanten?
A
m 21. August 1968, ab 1.30 Uhr,
wurden alle Grenzübergangsstellen zwischen der DDR und
der ČSSR für den zivilen Verkehr geschlossen und alle weiteren zivilen
Kontakte, wie z.B. der Telefon- und
Postverkehr, unterbrochen. Für Reisende richtete man sogenannte Sammelräume in Schulen und Ferienlagern ein.
Ebenfalls kurz nach 1.00 Uhr morgens
hatte DDR-Verteidigungsminister Armeegeneral Heinz Hoffmann nach
Rücksprachen mit den verantwortlichen sowjetischen Marschällen sowie
mit dem Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates (damals noch Erich Honecker!) die Stufe »Erhöhte Gefechtsbereitschaft« für die gesamte NVA ausgelöst. In den Stäben, Verbänden und
Truppenteilen der Landstreitkräfte, der
Luftstreitkräfte/Luftverteidigung (LSK/
BA-MA, DVW1/12826, Bl. 18
LV), der Volksmarine und der Grenztruppen ertönten die Alarmglocken:
Die NVA war in den frühen Morgenstunden des 21. August 1968 vorbereitet, bei Notwendigkeit in militärische
Handlungen eingreifen zu können. Die
meisten Einheiten der NVA verblieben
aber in den Kasernen, nur einige Spezialtruppen verließen ihre Standorte und
wurden feldmäßig untergebracht. Zur
»Sicherung der Staatsgrenze« der DDR
zur ČSSR wurde eine aus zwei Grenzregimentern bestehende Grenzbrigade
neu gebildet. In Dresden begann ein
Lehrgang mit Offizieren sowie einigen
zivilen Spezialisten, die darauf vorbereitet wurden, erforderlichenfalls NVAMilitärkommandanturen im nordtschechischen Raum einzurichten.
Entsprechend den Planungen und langfristigen Vorbereitungen durch den
Oberkommandierenden der Vereinten
Streitkräfte standen Stäbe und Truppen der 7. PD und der 11. MSD bereit,
direkt am Einmarsch teilnehmen. Die
7. PD mit einem Kampfbestand von
etwa 7500 Mann, 1500 Kraftfahrzeugen
und 300 Panzern unterstand operativ
der 20. Gardearmee der Gruppe der
Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) und gehörte damit zur
1. Staffel der Interventionsstreitkräfte.
Innerhalb der sowjetischen Armee
sollte sie aber als 2. Staffel die Staatsgrenze zur ČSSR überschreiten. Der
Einsatz der 11. MSD mit ihren rund
9000 Soldaten, 1700 Kraftfahrzeugen,
349 Schützenpanzerwagen und 188
Panzern sah Handlungen in zwei möglichen Varianten vor: Einerseits die
Sicherung der Grenze zur Bundesrepublik im Abschnitt »Plauener Pforte«
und andererseits Truppenbewegungen
und Einmarsch in die ČSSR (Richtung
Pilsen).
Als aber am 20./21. August sowjetische Truppen aus der DDR kommend
die Grenze zur Tschechoslowakei überschritten, warteten die Kommandeure
der voll gefechtsbereiten NVA-Divisionen vergeblich auf ihren Marschbefehl.
Beide Verbände verblieben an ihren
Plätzen. Obwohl die 11. MSD zwar
in den Folgetagen nochmals dichter
an die Grenze verlegt wurde, verließen nachweisbar beide Divisionen zu
keinem Zeitpunkt das Territorium der
DDR.
5
NVA-Originalskizze über die geplanten Marschrichtungen der 7. PD und der 11. MSD
Militärische und politische Gründe
waren offenbar dafür ausschlaggebend.
Auch wenn es zahlreiche Spekulationen darüber gibt, wer die Entscheidung
für diesen faktischen Nichteinsatz von
DDR-Soldaten in der ČSSR angeregt
bzw. – offenbar in letzter Minute –
auch getroffen hat, muss diese Frage
aufgrund des Fehlens wissenschaftlich
eindeutig nachprüfbarer Quellen bis
heute offen bleiben. Fest steht nur,
dass diese Entscheidung in Moskau
und wohl kaum in Ost-Berlin getroffen
worden ist.
Dennoch wurden DDR-Soldaten nach
dem Einmarsch der Interventionstruppen in der ČSSR gesehen, teilweise
sogar fotografiert. Auch propagandistisch ließ die DDR keinen Zweifel
daran, dass sie »an der Seite der
Bruderarmeen« ihre »internationalistische Pflicht« erfüllte. Und in der
Tat hielten sich NVA-Angehörige von
Ende August bis Ende Oktober 1968 in
der Tschechoslowakei auf. Dabei handelte es sich jedoch nur um einige Verbindungsoffiziere des Hauptstabes der
NVA sowie um etwa 20 Soldaten des
Nachrichtenregiments-2 Niederlehme,
die die Funk- und Richtfunkverbindungen zwischen dem Stab der Interventionsmächte in Milowice (bei Prag) und
dem DDR-Verteidigungsministerium
in Strausberg sicherzustellen hatten.
Auf dem Boden der ČSSR handelten
zudem – oft nur kurzzeitig – offenbar
einige Aufklärungs- und Versorgungskräfte in geringer Stärke. Wiederholt
überschritten auch NVA-Grenzsoldaten die Grenze, um auf tschechischem
Gebiet sogenannte Hetzlosungen und
gegen die DDR gerichtete Plakate gewaltsam zu entfernen.
Nachdem bereits durch einen Ministerbefehl vom 26. August 1968 bestimmte
Maßnahmen der erhöhten Gefechtsbereitschaft in den Stäben und in
der Truppe modifiziert worden waren,
erlaubte am 11. September 1968 der
Oberkommandierende der Vereinten
Streitkräfte, »die erhöhte Gefechtsbereitschaft für die Nationale Volksarmee, mit Ausnahme der 7. Panzerdivision und der 11. Mot.-Schützen-Division, aufzuheben«.
Als dann ab dem 20. Oktober 1968
der Abzug von Teilen der verbündeten Invasionstruppen aus der ČSSR
begann, waren wiederum auch die
DDR und ihr Militär gefordert. Der
Abzug sollte nach den Worten des sowjetischen Marschalls Andrej Gretschko
genauso reibungslos verlaufen wie der
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
7
dpa
Die NVA und der »Prager Frühling«
5Prager Bürger erwarten auf dem Wenzelsplatz den am 27. August aus Moskau zurückkehrenden Staatspräsidenten Ludvik Svoboda.
5 Extrablattausgabe
des SED-Bezirksorgans
Karl-Marx-Stadt (Chemnitz)
vom 21. August 1968
Einmarsch. Für die Verlegung der Truppen benötigte man etwa 600 Eisenbahnzüge, wobei allein von der DDRReichsbahn rund 240 Züge bereitgestellt werden mussten. Für den Rückmarsch der sowjetischen Truppen in
die DDR – 3 Divisionen in den Raum
Berlin und 4 Verbände in die Südgebiete der Republik – waren 12 Straßen
über das Erzgebirge für etwa 3 bis 4
Tage vollständig freizuhalten. Armeegeneral Hoffmann versicherte den Verbündeten in Moskau, dass »seitens
der Deutschen Demokratischen Republik alle Maßnahmen unternommen
werden, um die Rückführung der Truppen allseitig zu unterstützen«.
wichtigen integralen Bestandteil der
militärischen Gesamtaktion.
Zusammenfassend ist festzustellen: Die
NVA war in die Vorbereitung, Absicherung und Durchführung der militärischen Intervention des Warschauer
Paktes integriert, auch wenn letztlich
keine Kampftruppen der DDR-Volksarmee in die ČSSR direkt einmarschierten. Entscheidend bleibt, dass die ostdeutsche Führung prinzipiell bereit
war, jeden Befehl aus Moskau zu erfüllen. Alle Sicherstellungs-, Transport-,
Versorgungs- und Unterstützungsmaßnahmen der Militäroperation in der
DDR wurden im Auftrag der sowjetischen Stellen eigenverantwortlich
geplant, vorbereitet und durchgesetzt.
Zivile und militärische Institutionen
arbeiteten dabei Hand in Hand. Die
Aktivitäten der DDR-Organe und der
NVA bildeten damit zweifellos einen
8
Nach dem Einmarsch – Reaktionen
in der DDR und in der NVA
D
ie Nachricht vom Truppeneinmarsch des Warschauer Pakts
in die ČSSR verbreitete sich
in den frühen Morgenstunden des
21. August 1968 über die Medien. Die
Leser der zentral gesteuerten DDRPresseorgane fanden auf der Titelseite
ihrer Zeitung bereits die Mitteilung
der sowjetischen Nachrichtenagentur
TASS über den Einmarsch sowie einen
längeren Aufruf des ZK der SED,
des Staatsrates und des Ministerrates
»An alle Bürgerinnen und Bürger der
Deutschen Demokratischen Republik«.
Darin war die offizielle politische Linie
klar vorgegeben: Die Besetzung tschechoslowakischen Territoriums sei rechtmäßig, da man einem Hilferuf aus der
ČSSR gefolgt sei. Die Aktion sei eine
Tat für Frieden und Sozialismus, die
vorgeblich auch im Interesse der DDRBürger lag. Nicht wenige Menschen,
unter ihnen vor allem die Mitglieder
der SED, schenkten dieser Sicht Glauben. Sie waren von der Rechtmäßigkeit
des Einmarsches überzeugt.
Ganz in diesem Sinne begrüßten auch
in der NVA vor allem Berufsoffiziere
und länger dienende Unteroffiziere
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
die Maßnahmen der Staaten des Warschauer Vertrages zur Niederschlagung
des als »Konterrevolution« bezeichneten »Prager Frühlings«. Manche meinten, dass die Armeen des Warschauer
Vertrages schon eher und konsequenter
gegen die »Konterrevolution« hätten
vorgehen müssen. Es gab jedoch nicht
nur Zustimmung zur Militäraktion und
nicht jeder Bürger war bereit, sich in
Ergebenheitsbekundungen für die Politik der SED zu üben. Im Gegenteil: Vielerorts waren die Menschen bestürzt
über die Vorgänge in der ČSSR. Vorwiegend Jugendliche brachten darüber
hinaus ihren Protest gegen die Besetzung des Nachbarlandes offen zum
Ausdruck. Das Ministerium für Staatssicherheit registrierte in der Zeit vom
21. August bis zum 14. September, also
innerhalb eines knappen Monats, 2129
Protestaktionen in Ost-Berlin und in
den Bezirken der DDR, die als »Angriffe gegen die Hilfsmaßnahmen der
fünf sozialistischen Bruderstaaten zur
Sicherung der sozialistischen Staatsund Gesellschaftsordnung in der ČSSR«
gewertet wurden.
Unmittelbar nach dem Bekanntwerden
des Einmarsches traten auch in verschiedenen NVA-Truppenteilen erste
Meinungen auf, die die Militäraktion
als völkerrechtswidrig bezeichneten.
Wehrpflichtige christlichen Glaubens
erklärten offen, dass sie im Falle eines
Einsatzes ihrer Einheiten gegen die
ČSSR nicht von der Schusswaffe
Gebrauch machen würden. Ein junger
Unteroffizier verglich den Einmarsch
von 1968 mit der Besetzung durch
die deutsche Wehrmacht 1938/39: »Ich
werde keinen Schuss abgeben, denn
ich will nicht wie andere nach dem
Zweiten Weltkrieg als Kriegsverbrecher gehängt werden.«
Von besonderer Bedeutung für die SED
war natürlich das Verhalten der Angehörigen der NVA-Führungsschicht, der
Generale und Offiziere, in dieser Krisensituation.
Auch wenn das Offizierkorps erwartungsgemäß in seiner übergroßen
Mehrheit die militärischen Maßnahmen der SED vom August 1968 aus
politischer Überzeugung mittrug, gab
es doch auch einzelne Offiziere, die
die Aktion mit offensichtlich gespaltenen Gefühlen betrachteten. Ihre Fragen
und Bedenken diskutierten sie aber nur
im persönlichen Umfeld.
Wer sich dagegen offen ablehnend über
den Einmarsch der verbündeten Streitkräfte äußerte oder gar Sympathie für
Dubček zeigte, musste umgehend mit
Repressalien rechnen. Bereits wenige
Tage nach dem Einmarsch konstatierte
der Chef der Politischen Hauptverwaltung der NVA, Admiral Waldemar
Verner, auf einer Kommandeurtagung,
dass fünf NVA-Offiziere – alle Mitglied der SED – wegen »parteifeindlichen Verhaltens« im Zusammenhang
mit der Durchführung der »Hilfsmaßnahmen« zur Verantwortung gezogen
wurden. Was der Admiral dabei als
»Feigheit« bezeichnete, war in Wirklichkeit mutiges persönliches Handeln
gegen die Intervention.
Die politisch nicht konformen Offiziere – bisher sind insgesamt 12 Fälle
bekannt – erwartete ein Parteiverfahren, dass in der Regel mit dem Ausschluss aus der SED endete, sowie
harte disziplinarische Strafen, die bis
zur Degradierung und Entlassung aus
der Armee reichten. Der damit verbundene totale Bruch in der persönlichen und beruflichen Entwicklung
zog einschneidende Veränderungen im
Leben dieser NVA-Angehörigen und
ihrer Familien nach sich. Sie sahen
sich in den folgenden Jahren nicht nur
erheblichen materiellen und sozialen
Einschränkungen und Benachteiligungen, sondern auch vielfältigen gesellschaftlichen und moralischen Diskriminierungen ausgesetzt. Ein ihrer Qualifikation angemessener beruflicher Neuanfang im zivilen Bereich wurde ihnen
absichtlich verwehrt, Qualifizierungen
sowie die Übernahme von Leitungsfunktionen auf Jahre hinaus erschwert.
Noch schlimmer erging es denjenigen,
die wegen ihrer politischen Unbotmäßigkeit strafrechtlich verfolgt wurden.
Eine Durchsicht der vorhandenen
Urteile der Militär- und Militärobergerichte der DDR hat für den Zeitraum
1968 bis 1970 ergeben, dass in mindestens zwanzig Fällen NVA-Angehörige
wegen »staatsfeindlicher Hetze« im
erkennbaren Zusammenhang mit der
militärischen Intervention bzw. unter
Bezugnahme auf die ČSSR-Ereignisse
zu Freiheitsstrafen verurteilt worden
sind. In der Mehrzahl standen wehrpflichtige Mannschaftssoldaten sowie
einige Unteroffiziere bzw. Unteroffiziersschüler vor Gericht.
Die genaue Zahl aller Disziplinierungsmaßnahmen gegen Militärs und Zivilbeschäftigte der NVA, die im unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit den Vorgängen in der ČSSR
zu sehen sind, lässt sich heute nicht
mehr vollständig erfassen. Nachweisbar sind bisher aber mehrere hundert
Personen, die 1968/69 wegen ihrer
politischen Haltung in der DDR-Volksarmee von nachhaltigen Repressionen
betroffen waren. Spuren widerständigen Verhaltens sind dabei bis in das
Offizierkorps der NVA zu verfolgen.
Viele der damals von der SED sowohl
im zivilen als auch im militärischen
Bereich Verfolgten sind sich ihrer kritischen politischen Haltung auch in späteren Jahren treu geblieben. Und so verwundert es nicht, wenn auf den großen
Montagsdemonstrationen in Leipzig
1989, die bekanntlich den Sturz der
SED-Diktatur in der DDR einleiteten,
auch Plakate und Transparente mit der
Losung »Es lebe der Prager Frühling«
zu sehen waren.
n Rüdiger Wenzke
5Befehl des Ministers für Nationale
Verteidigung, Armeegeneral Hoffmann, vom
24. August 1968 zur disziplinaren Maßregelung
von politisch nicht konformen NVA-Offizieren
(Namen der aufgeführten Personen unkenntlich
gemacht)
BA-MA, DVW1/5667, Bl. 261f.
Literatur:
Jan Pauer, Prag 1968. Der Einmarsch des
Warschauer Paktes. Hintergründe – Planung –
Durchführung, Bremen 1995
Lutz Prieß, Vaclav Kural und Manfred Wilke,
Die SED und der »Prager Frühling« 1968.
Politik gegen einen »Sozialismus mit
menschlichem Antlitz«, Berlin 1996
Rüdiger Wenzke, Die NVA und der Prager
Frühling 1968. Die Rolle Ulbrichts und
der DDR-Streitkräfte bei der Niederschlagung
der tschechoslowakischen Reformbewegung,
Berlin 1995
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
9
Volkstrauertag
Volkstrauertag
Das politische Trauern um die Kriegstoten
5Die zentrale Gedenkfeier im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes am Volkstrauertag 2001
Fotos: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
D
5Arbeit für den Frieden. Jugendliche
pflegen im Rahmen eines Jugendlagers
die Kriegsgräberstätte
Damvillers in Frankreich (2002)
»Weit in der Champagne im
Mittsommergrün
Dort, wo zwischen Grabkreuzen
Mohnblumen blühn
Da flüstern die Gräser und wiegen
sich leicht
Im Wind, der sanft über das
Gräberfeld streicht
Auf deinem Kreuz finde ich,
toter Soldat
Deinen Namen nicht, nur Ziffern
und jemand hat
Die Zahl neunzehnhundertundsechzehn
gemalt
Und du warst nicht einmal neunzehn
Jahre alt ...«
10
as Lied »Es ist an der Zeit« war
in den bewegten siebziger und
achtziger Jahren in der Bundesrepublik vor allem bei jungen Menschen populär. Hannes Wader sang den
Text von dem im Krieg gefallenen Soldaten und verlieh damit der Kriegsangst
und zugleich dem Friedenswillen einer
ganzen Generation Ausdruck. Das Lied
ist sicherlich universell und überzeitlich
verständlich, denn wer möchte gerne in
einen Krieg ziehen und sterben?
Doch für die Deutschen hat der Text
eine besondere Bewandtnis: Denn während die auf dem besungenen Schlachtfeld in der Champagne gefallenen französischen Soldaten in Frankreich, also
ihrer Heimat begraben liegen, ruhen
ihre früheren deutschen Feinde in fremder Erde. Zwar erinnern in Deutschland diverse Denkmäler an die Gefallenen der Weltkriege, an ihre militärischen Taten, ihre Leiden und ihren Tod,
doch gibt es meist keine individuelle
Grabstelle, die Gelegenheit bietet, für
den Einzelnen Blumen niederzulegen
und seiner zu gedenken.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
Nach dem für Deutschland verlorenen Ersten Weltkrieg klagten unzählige Mütter und Väter um ihre verlorenen Söhne; Frauen trauerten um den
Verlust ihrer Männer; Kinder weinten um ihre Väter; Lehrer vermissten
ganze Schulklassen – zwei Millionen
deutsche Soldaten waren im Krieg
gefallen und nicht mehr nach Hause
zurückgekehrt. Die Schlachtfelder
dieses Krieges aber lagen nicht auf
dem eigenen Staatsgebiet, sondern in
den ehemals von Deutschland besetzten Ländern. Anders als im Zweiten
Weltkrieg war dieser Krieg nicht bis
nach Deutschland vorgedrungen. Der
vierjährige Stellungskrieg an der Westfront hatte in Frankreich und Belgien
getobt, nach der kurzen russischen
Besetzung Ostpreußens war die Front
im Osten zuletzt bis in das Baltikum
und die Ukraine ausgedehnt worden,
im Südosten standen deutsche Truppen westlich des Kaukasus und im
Süden auf dem Balkan. Auch deutsche Schiffe hatten auf See gekämpft
und waren einschließlich ihrer Besatzungen dort gesunken. Die schreck-
Fotos: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
5Vertreter einstmals verfeindeter Nationen
gedenken auf dem Berliner Friedhof
Lilienthalstraße mit einer Kranzniederlegung
gemeinsam der Kriegstoten
liche Bilanz für den Ersten Weltkrieg
verzeichnet neben den zwei Millionen
Gefallenen des Deutschen Reiches mindestens 1,2 Millionen Kriegstote für
Österreich-Ungarn; deren Kriegsgegner Frankreich und Großbritannien
hatten 1,4 Millionen bzw. 744 000
Opfer zu beklagen. Russland verlor
durch die unmittelbaren Kampfhandlungen ungefähr zwei Millionen Menschen, im darauffolgenden Bürgerkrieg
(1917–1921/22) starben nochmals etwa eine weitere Million Menschen.
Für die gesamte Zeit des Ersten Weltkrieges geht man heute von etwa 20
Millionen Kriegstoten aus. Die meisten von ihnen waren fern ihrer Heimat
gefallen, wo es für sie keine Grabstätte
gab – eine Rückführung der Gefallenen war schon wegen der großen Zahl
an Toten nicht möglich, zumal häufig
auch gar keine Grabstätte bekannt und
oft nicht einmal die sterblichen Überreste der Soldaten vorhanden waren.
Die USA versuchten immerhin, ihre
Toten umzubetten, damit sie nicht
in fremder Erde ruhen mussten, die
Mehrzahl der Gefallenen aber blieb in
Ländern begraben, in die sie als Besatzer oder Verbündete (Frankreich und
Großbritannien rekrutierten in großem
Umfang in ihren Kolonien Soldaten für
den europäischen Kriegsschauplatz)
gekommen waren – »Es blieb nur das
Kreuz als die einzige Spur ...« sang
Hannes Wader.
Mit dem Waffenstillstand vom 11. November 1918 war für das Deutsche
Reich der Erste Weltkrieg zu Ende
gegangen. Die Deutschen suchten nun
nach geeigneten Formen und Orten,
um der Gefallenen zu gedenken. Der
5Gräber, soweit das Auge reicht. Das Schlachtfeld von St. Laurent-Blagny (Frankreich, nahe
Arras) in den zwanziger Jahren und der selbe Ort 1998
4»Den für das Vaterland
Gefallenen...« Typische
Kriegerdenkmäler, wie
sie in den Jahren nach
dem Ersten (und später
nochmals nach dem
Zweiten) Weltkrieg in
vielen deutschen
Gemeinden errichtet
worden sind.
MHM, Dresden
Versailler Vertrag bestimmte in Artikel
225, dass die Vertragsstaaten die Gräber
der gegnerischen Heeres- und Marineangehörigen achten und unterhalten müssten. Außerdem sei ausländischen Beauftragten der Zugang und
die Pflege zu ermöglichen. Dazu wurde
in Deutschland ein amtlicher Gräberdienst eingerichtet, der die Auffindung, Instandhaltung und Pflege der
Gräber übernahm sowie die zentrale
Gräberkartei verwaltete, die Angehörigen Auskunft erteilte.
Im Dezember 1919 wurde auf private
Initiative der »Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge« gegründet, welcher Soldatengräber in Deutschland
und vor allem im Ausland errichten
und pflegen wollte. Die Gründer des
Vereins waren der Ansicht, die Pflege
der deutschen Kriegsgräber im Ausland sei eine nationale Aufgabe, deren
Träger das deutsche Volk und nicht die
gerade erst konstituierte und zumal
im Milieu der diversen Vereine ehemaliger Frontkämpfer wenig akzeptierte
Republik sein sollte. Um an die Toten
erinnern zu können, forderte der private Verein die Einführung eines nationalen Gedenktages. Nicht »befohlene«
Trauer war das Motiv, sondern das
MHM, Dresden
Setzen eines nicht übersehbaren Zeichens der Solidarität derjenigen, die
keinen Verlust zu beklagen hatten,
mit den Hinterbliebenen der Gefallenen. Doch die politischen Verhältnisse
der Weimarer Republik verhinderten
lange die Einführung eines einheitlichen Gedenktages. Im Jahr 1925 wurde
erstmals im gesamten Reich an einem
Sonntag sechs Wochen vor Ostern der
Toten des Krieges gedacht. Durch die
Wahl des Termins wollte man den Tag
als weltlichen Gedenktag in das Kirchenjahr integrieren, doch eine dauerhafte Regelung kam nicht zustande
und bereits im darauffolgenden Jahr
wurden die Feierlichkeiten auf den
fünften Sonntag vor Ostern verlegt.
Der Tag als solcher hatte zweierlei Funktion. Er sollte einerseits dazu dienen, die
Erinnerung an die Schrecken des Krieges den nachfolgenden Generationen
zur Mahnung zu erhalten. Andererseits
sollte an diesem Tag auch der gefallenen
»Helden« der Nation gedacht werden,
die »für Volk und Vaterland« gestorben
waren. Dazu war die Reichswehr durch
Feldgottesdienste, Ehrenwachen und
Kranzniederlegungen aktiv in die Feierlichkeiten eingebunden, später setzte
sich auch Reichswehrminister Wilhelm
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
11
Die Konvention Volkstrauertag
von Tauroggen
DHM-Bildarchiv
Groener für einen reichseinheitlichen
gesetzlichen Feiertag ein. Neben der
individuellen Trauer des Einzelnen
stand in Deutschland eine kollektive
Anteilnahme. Vor allem das Massensterben an der Westfront hatte unweigerlich dazu geführt, dass jede Familie, sofern sie nicht selbst einen Todesfall beklagte, auf einen Gefallenen aus
nächster Umgebung – dem Freundeskreis, der Nachbarschaft, der Kirchengemeinde – verweisen konnte.
Wenngleich die Trauer über die hunderttausende Opfer noch während des
Krieges einsetzte, begann die Verarbeitung des Sterbens indes erst nach dem
Krieg. Nicht zuletzt die von der Mehrheit der Deutschen als demütigend
empfundenen politischen Folgen der
Versailler Friedensbedingungen, aber
auch die Tatsache, dass die Bevölkerung durch die Zensur während
des Krieges über die verheerenden
Opferzahlen völlig im Unklaren gehalten worden war, führte nun nach dem
Kriegsende zu einer starken Anteilnahme der Öffentlichkeit. Es entwickelte sich ein Bedürfnis nach einer
gemeinsamen Erinnerung an die Toten.
Zum Ausdruck kam dies in den Trauertagen und den Andachten vor den nun
im ganzen Land aufgestellten Kriegerdenkmälern. Diese wurden zu »Erinnerungsorten«, an denen man gemeinschaftlich der in der Ferne verbliebenen Bekannten, Freunde und Angehörigen gedachte.
Auch in den anderen Ländern wurde
der Gefallenen gedacht: In Frankreich,
Belgien, Großbritannien, den USA und
Kanada erklärte man den Tag des
Waffenstillstandes von Compiègne (bei
Versailles), den 11. November 1918,
zum Gedenk- bzw. Feiertag, welcher
gleichsam den Opfern dieser Nationen
gewidmet war.
12
MHM
5Im Jahr 1931 wurde die 1817/18 von Karl Friedrich Schinkel für den preußischen König Friedrich
Wilhelm III. errichtete Neue Wache zum Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs
umgestaltet. In ihrer schlichten, doch feierlichen Ausführung sollte die Gedenkstätte allen Besuchern offen stehen. Aus einer Deckenöffnung fiel das Licht auf einen goldenen Kranz, der auf
einem schwarzen sarkophagähnlichen Stein in der Mitte des Innenraums ruhte. Zwei Jahre später
gestalteten die Nationalsozialisten die Gedenkstätte in ihrem Sinne um, um hier den »Heldengedenktag« zu zelebrieren. In der DDR diente der Ort zur pompösen Inszenierung des Gedenkens
an den »Kampf gegen Militarismus und Faschismus«. Nach dem Ende der DDR wurde dort die
Skulptur »Mutter mit totem Sohn« von Käthe Kollwitz aufgestellt. Die Neue Wache dient seit 1993
als zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik für die »Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft«.
bpa
DHM-Bildarchiv
5Berlin 2001: Mit einer Kranzniederlegung
gedenken in der Neuen Wache Vertreter der
Verfassungsorgane (Bundespräsident,
Bundestag, Bundesrat, Bundesverfassungsgericht, Bundesregierung) der Opfer von
Krieg und Gewaltherrschaft
Nach der Machtübernahme Hitlers
wurde in Deutschland das Gedenken
an die Kriegstoten im Sinne der nationalsozialistischen Machthaber instrumentalisiert. 1934 führte man den »Heldengedenktag« ein und ersetzte durch
ihn den bisherigen Volkstrauertag. Im
Mittelpunkt der Feiern stand dabei nun
nicht mehr das Erinnern an die
Gefallenen, sondern die Glorifizierung
ihrer militärischen Leistungen. Die
landesweiten Veranstaltungen entarteten zu einer der vielen Spielarten
nationalsozialistischer Kriegsverherrlichung. Anlässlich dieser Feiern verordnete Hitler der Wehrmacht das
NSDAP-Parteiabzeichen als Hoheitsabzeichen und führte die Hakenkreuzfahne als Reichsfahne ein. Auch anderweitig nutzte er den Tag ganz in seinem
Sinne: Am Heldengedenktag 1936 marschierten deutsche Truppen in das ent-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
militarisierte Rheinland ein und auch
der »Anschluss« Österreichs 1938 fand
an diesem Tag statt. Im Jahr 1939 verlegte Hitler per Erlass den Feiertag auf
den 16. März bzw. auf den vorausgehenden Sonntag. Damit sollte der
Wiedereinführung der allgemeinen
Wehrpflicht Achtung gezollt werden.
Der Tag wurde hierdurch gleichsam
aus dem Kirchenjahr gelöst, er sollte
ein staatlicher Gedenktag der neuen
Machthaber werden.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen
Schreckensherrschaft entschied die
Bundesregierung im Jahre 1952, die
Tradition des Volkstrauertages wiederaufleben zu lassen, um so der Opfer
beider Weltkriege zu gedenken. Um
den Tag deutlich von dem nationalsozialistischen Heldengedenktag abzugrenzen, wurde als Termin der zweite
Sonntag vor dem Ersten Advent festgelegt, womit auch der kirchlich-christliche Bezug wiederhergestellt werden
sollte.
Die Bundeswehr begeht seit ihrem
Bestehen aktiv diesen Feiertag und
unterstützt den Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge bei den jährlichen Veranstaltungen in vielfältiger
Weise. Das Bundesverteidigungsministerium regelte diese Unterstützung in
Erlassen vom 15. Juni 1979 und vom
24. Januar 1989. Seit der Wiederverei-
bpa
Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
Fotos: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
D
nigung regelt ein Erlass vom 9. Mai
1994 diese zivil-militärische Kooperation. In den einzelnen Standorten entscheidet der jeweilige Standortälteste,
ob offizielle Abordnungen der Bundeswehr an den örtlichen Gedenkfeiern
teilnehmen. Die zentrale Veranstaltung
an diesem Tag besteht zumeist aus
einer Ansprache mit einer anschließenden Kranzniederlegung, an der neben
Vertretern des Staates auch Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben und
Bürger teilnehmen. Seit 1992 werden
die Zentralveranstaltungen in Berlin abgehalten. Am 14. November 1993 fand
die zentrale Kranzniederlegung erstmals in der Neuen Wache in Berlin statt.
In der DDR gab es einen ähnlichen
zentralen Gedenktag, allerdings wollte
die SED nicht an die im Krieg Gefallenen erinnern, geschweige denn diese
ehren. Statt dessen wurden zuerst der
12. und danach der 10. September zum
»Gedenktag für die Opfer des Faschismus« bestimmt. Der Tag rückte allerdings nie zu einem gesetzlichen Feiertag auf. Aus Sicht der kommunistischen
Machthaber waren die Kriegstoten des
Zweiten Weltkrieges nicht Gefallene
oder Helden, sondern Opfer des herrschenden faschistischen Regimes. Dennoch fand der Besucher in der 1969
wiederhergestellten und als Mahnmal
eingeweihten Neuen Wache an der Berliner Paradestraße Unter den Linden
neben dem Grab des »Unbekannten
Widerstandskämpfers« auch das Grab
eines »Unbekannten Soldaten« und
eine Ehrenwache der Nationalen Volksarmee der DDR vor.
n ch/René Henn
Literatur:
Volker Berghahn, Der Erste Weltkrieg,
München 2003
Roger Chickering, Das Deutsche Reich und
der Erste Weltkrieg, München 2002
Thomas Peter Petersen, Der Volkstrauertag –
seine Geschichte und Entwicklung, [o.O.] 1998
er Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. wurde 1919
gegründet. Er ist ein gemeinnütziger Verein, dessen Motto lautet: »Versöhnung über den Gräbern – Arbeit für den
Frieden«. Dazu erfasst, erhält und pflegt er in
100 Ländern etwa 1,9 Millionen Gräber der
Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft und
hilft im Auftrag der Bundesregierung bei
der Erhaltung der Kriegsgräber in Deutschland. Ohne die Unterstützung der Bundeswehr und im zunehmenden Maße auch der
Reservistenverbände könnte der Volksbund
seine vielfältigen Aufgaben nicht wahrnehmen. Grundlage für diese Zusammenarbeit
des Volksbundes mit der Bundeswehr ist ein
Erlass des Bundesministeriums der Verteidigung (25. Oktober 2001, VMBI. Nr. 10), in
dem es heißt: »Die Bundeswehr unterstützt
den Volksbund bei seiner Arbeit seit ihrem
Bestehen. Durch diese Unterstützung wird
nicht nur in sinnvoller Weise der Opfer der
vergangenen Kriege gedacht, sondern auch
vor allem jungen Menschen eine Möglichkeit eröffnet, mit der Arbeit an den Gräbern
dem mahnenden historischen Erbe zu begegnen und damit den Weg zu unseren europäischen Nachbarn zu ebnen.«
Soldaten und Zivilbedienstete der Bundeswehr sammeln bei der Kasernen-, Hausund Straßensammlung jährlich etwa zwei
Millionen Euro. Diese Summe macht fast
ein Drittel der Gesamteinnahmen aus, die
der Volksbund jährlich durch die Sammlung
erzielt. Trotz der Personal- und Standortreduzierung, die mit der Neustrukturierung
der Bundeswehr einhergehen, ist das Sammelergebnis jedoch nur um wenige Prozent
gesunken. Auch mit freiwilligen Arbeitseinsätzen helfen seit vielen Jahren Bundeswehrangehörige bei Instandsetzungs-, Pflege- und
Bauarbeiten auf Kriegsgräberstätten im Inund Ausland. Im Jahr 2002 leisteten die
Fachleute in Uniform bei insgesamt 101
Arbeitseinsätzen im Ausland vorbildliche
Arbeit, des Weiteren half die Bundeswehr
auch bei 70 Jugendlagern im In- und Ausland, indem sie Busse, Fahrer und Köche
zur Verfügung stellte. Damit wurde gewährleistet, dass der Volksbund die Lager, an
denen jährlich etwa 2000 junge Menschen
aus vielen Ländern teilnehmen, zu vertretbaren Kosten anbieten konnte. Eine besondere Form der Unterstützung ist jedoch die
Teilnahme von Soldaten und Einheiten der
Bundeswehr bei zahlreichen Gedenkveranstaltungen des Volksbundes, insbesondere
anlässlich des Volkstrauertages.
Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Beispielen, in denen einzelne Einheiten Patenschaften für bestimmte Kriegsgräberstätten
übernommen haben. Im vergangenen Jahr hat
die Luftwaffenunterstützungskompanie der
2. Luftwaffendivision in Birkenfeld die Patenschaft für den Soldatenfriedhof auf dem FutaPass in Italien übernommen. Eine weitere
Patenschaft wird die Luftlande- und Lufttransportschule der Bundeswehr in Altenstadt
bei Schongau übernehmen: für den Soldatenfriedhof Motta St. Anastasia bei Catania in
Italien
Soldaten der Bundeswehr sammeln Spenden
für den Volksbund
Der Volksbund arbeitet eng mit dem Bundesministerium der Verteidigung zusammen,
den Kontakt zur Truppe halten acht Beauftragte. Sie informieren in den Kasernen über
die Arbeit des Volksbundes, koordinieren die
Arbeitseinsätze auf den Kriegsgräberstätten
und helfen bei der Vorbereitung der Jugendlager sowie der Haus- und Straßensammlung. Da auch Reservisten die Arbeit des
Volksbundes unterstützen, hat der Volksbund 1996 eine Vereinbarung mit dem
Verband der Reservisten der Deutschen
Bundeswehr e.V. über die Zusammenarbeit
getroffen. Die Reservisten können manche
Hilfeleistung übernehmen, welche die Bundeswehr nicht mehr erbringen kann. Doch
ersetzen können sie den wichtigsten Partner
des Volksbundes nicht.
Fritz Kirchmeier
Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
13
akg-images
Die Konvention von Tauroggen
Die Konvention
von Tauroggen
am 30. Dezember 1812
Die Vorgeschichte
D
5Konvention von Tauroggen, 30. Dezember
1812 zwischen dem preußischen Generalleutnant Yorck von Wartenburg und dem
russischen Generalmajor Diebitsch
»In militärischer Hinsicht ist es gar nichts,
aber in politischer sehr
viel.«
W
as Napoleon am 15. Januar
1813 in Paris dem preußischen Gesandten gegenüber äußerte, ist die prägnante Bewertung eines Ereignisses, das in früheren
Geschichtsstunden nirgendwo fehlen
durfte, heutzutage aber selbst vielen
Militärs nicht (mehr) geläufig ist. Dabei
zeigt die Konvention von Tauroggen
exemplarisch das Spannungsfeld von
Gehorsam und Verantwortung auf:
›Preußische Revolution‹ gegen das
Gehorsamsprinzip, Verrat oder nur
militärisch begründetes Verhalten eines
Feldherrn, der seinem König politisches Handeln wieder ermöglichen,
ihn gar dazu zwingen soll? Zur Einordnung dieses gelegentlich als »historisch« hochstilisierten Vorganges ist die
Einbettung in die politischen und militärischen Rahmenbedingungen unerlässlich.
14
ie Französische Revolution leitete Ende des 18. Jahrhunderts politische, gesellschaftliche und militärische Umwälzungen
von bis dahin ungeahnten Dimensionen ein, deren Grundprinzipien –
»liberté, égalité und fraternité« (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit), Volkssouveränität und Verfassungsdenken –
bis heute kaum etwas von ihrer Gültigkeit verloren haben. Mit Napoleon
Bonaparte, dem General und Bändiger der Revolution – 1804 krönte
er sich zum Kaiser der Franzosen
– erfuhr im Zuge der kriegerischen
Expansion Frankreichs die politische
Karte Europas vielfältige Veränderungen. Durch Mediatisierung und Säkularisation wurde das alt-ehrwürdige Heilige Römische Reich deutscher Nation
zerschlagen und im Jahre 1806 durch
den unter französischem Protektorat
stehenden Rheinbund ersetzt. Auch
Preußen fiel nach der verheerenden
Niederlage bei Jena und Auerstedt im
Oktober 1806 französischer Besatzung
zum Opfer. Frankreich war zur Vorund Besatzungsmacht West- und Zentraleuropas aufgestiegen. Nur Großbritannien und das zaristische Russland
entzogen sich Napoleons Diktat. Um
dem als eigentlichen Gegner Frankreichs eingestuften britischen Inselreich den sogenannten Festlanddegen
zu entwinden, sollte ein Sieg über
Russland dem französischen Imperium Weite und Dauer verleihen. Am
4. März 1812 trat ein zwischen Preußen und dem napoleonischen Frankreich geschlossenes Abkommen in
Kraft und Preußen wurde Aufmarschund Durchzugsgebiet für die Grande
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
Armée. Für Napoleons Russland-Feldzug waren erhebliche Lasten zu tragen:
zunächst die Gestellung von 20 000,
später 30 000 Mann für den am 24. Juni
1812 mit dem Überschreiten des Grenzflusses Njemen eröffneten Krieg. Dabei
wurden die preußischen Truppen der
Armee als 27. Division der über 500 000
Mann starken Grande Armée eingegliedert und dem X. Korps des Marschall
Etienne Jacques Macdonald unterstellt,
dessen Auftrag der linke Flankenschutz
während des Vormarsches in Kurland
war. Des Weiteren musste Preußen
umfangreiche logistische Unterstützung leisten, welche, angesichts der
Größe der napoleonischen Armee, das
Land an den Rand des Staatsbankrotts
trieb.
Die Lage
D
er Vormarsch der französischen Truppen verlief zunächst
rasch, und die Russen wurden
in der Schlacht von Smolensk am
12. August 1812 besiegt, gleichfalls
gelang Napoleon ein taktischer Sieg
gegen die russische Armee bei Borodino am 7. September 1812, unweit von
Moskau. Diese vermeintlichen Siege
dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Napoleon nicht gelang
das Gros der russischen Armee in
einer Entscheidungsschlacht zu schlagen. Durch die anhaltenden Kämpfe
mit der zurückweichenden russischen
Armee und Überfalle von Kosaken
und Partisanen besaß die Grande
Armée bei der kampflosen Einnahme
Moskaus am 14. September nur noch
einen Bruchteil ihrer ursprünglichen
Stärke.
Bayonne, Musee Bonnat / Foto: akg-images
Karte nach: Werner Hilgemann/Hermann Kinder:
dtv-Atlas Weltgeschichte,
Graphiken von R. u. H. Bukor © 1966,
1991 Deutscher Taschenbuch Verlag, München
5Vormarsch und Rückzug der Hauptarmee Napoleons 1812
3Ludwig Graf Yorck von Wartenburg, Punktierstich von Jean
akg-images
Meno Haas, 1814
Nach dem Brand Moskaus im September 1812, Napoleons Entschluss zum
Verlassen der russischen Hauptstadt
am 18. Oktober, dem verlustreichen
Rückzug und dem Übergang der letzten Reste der einstmals stolzen ›Grande
Armée‹ über die Beresina im November war der französische Kaiser erstmals wieder seit seinem beinahe schon
vergessenen ägyptischen Abenteuer im
Jahre 1798/99 auf der Flucht. Der Oberbefehlshaber des preußischen Hilfskorps, Generalleutnant Hans David
Ludwig Graf Yorck von Wartenburg,
konnte die realen Verhältnisse vor Ort
besser als sein König Friedrich Wilhelm III. im fernen Berlin einschätzen;
er wusste um den Zustand der Truppen
Napoleons. Tatsächlich befanden sich
die Reste der Armee in einem Zustand
der Auflösung, ständig Angriffen der
verfolgenden russischen Armee ausgesetzt. Napoleon verließ seine Truppen
bei Wilna und eilte über Dresden nach
Paris. Aber auch die militärische Lage
Yorcks sah nicht unbedingt glänzend
aus. Obwohl er noch immer im Ver-
/ Slg. Archiv für Kunst & Geschichte, Berlin
gleich zu den französischen Truppen
über eine große Menge einsatzbereiter
Kräfte verfügte, gab es unter seinen
Soldaten Hunderte von Fleckfieberkranken; die Kälte sowie die vereisten
und verschneiten Wege machten ab
Mitte Dezember das Ausweichen vor
den russischen Truppen immer schwieriger. Seinen Truppen drohte ein
Abschneiden der Verbindungen zu den
französischen Kolonnen und die Einschließung durch russische Kavallerie
unter der Führung von Generalmajor
Iwan Iwanowitsch Diebitsch, die sich
zwischen die Truppen Yorcks und Macdonalds geschoben hatte.
Die russische Aufforderung vom 25.
Dezember, Yorck möge die Unterstützung für Frankreich beenden, lehnte
dieser zunächst ab. Drei Tage später, als
die preußischen Truppen den Bereich
um Tauroggen erreichten, lag Yorck
eine erneute Aufforderung Diebitschs
vor. Andererseits hatte er einen Befehl
Macdonalds erhalten, die preußischen
Truppen unverzüglich mit den französischen Kräften bei Tilsit zu vereinigen. In Ermangelung konkreter Handlungsanweisungen durch seinen König
hatte Yorck selbst abzuwägen:
Sollten die preußischen Truppen sich
am Aufbau einer Widerstands- bzw.
Verzögerungslinie beteiligen, die Napoleon Zeit zum Aufbau einer neuen
Armee und Mobilisierung neuer Res-
5Napoleon I., Bonaparte, Ölskizze um 1808
von Anne Louis Girodet-Trioson
sourcen geboten hätte? Oder wog die
Fürsorgepflicht Yorcks seinen Truppen
gegenüber so schwer, dass weitere
Kampfhandlungen nicht zu verantworten gewesen wären? Stand dem
nicht seine Pflicht zur Seite, sein Korps
als das einzige feldverwendungsfähige
und gefechtsbereite Kontingent Preußens seinem König zu erhalten? Oder
sollte Yorck es in einem aussichts- und
sinnlosen Kampf gegen russische Truppen opfern? Kampf und Kapitulation
– oder Konvention? Yorck rang tagelang hart um seinen Entschluss, bevor
er mit seinem russischen Gegner in
der Poscheruner Mühle zusammentraf;
während Diebitsch mit klarem Auftrag
handelte, stand Yorck in eigener Verantwortung.
Die Entscheidung
A
m 26. Dezember sandte Yorck
den bei den preußischen Truppen befindlichen königlichen
Flügeladjutanten nach Berlin, um Friedrich Wilhelm III. von der aktuellen Lageentwicklung zu unterrichten. Zugleich führte er mehrere Gespräche mit
seinen Offizieren, die überwiegend für
eine Beendigung der Kämpfe plädierten, und kam dann am Abend des 29.
Dezember zu seiner Entscheidung: »Ihr
habt mich.« Nach der freudig-begeisterten Aufnahme seines Entschlusses
durch einen Offizier, erwiderte Yorck
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
15
akg-images
Die Konvention von Tauroggen
3
als treuer Untertan und wahrer Preuße
gefehlt zu haben. Jetzt oder nie ist der
Zeitpunkt, wo Eure Majestät sich von
den übermächtigen Forderungen eines
Alliierten losreißen können, dessen
Pläne mit Preußen in einem mit Recht
Besorgnis erregenden Dunkel gehüllt
waren, wenn das Glück ihm treu geblieben wäre. Diese Absicht hat mich geleitet. Gebe Gott, daß sie zum Heile des
Vaterlandes führt.«
5 Generalleutnant Yorck und Generalmajor
Diebitsch. Das preußische Hilfskorps der
französischen Grande Armée wird für
neutral erklärt
Holzstich, unbez., um 1870
in klarer Erkenntnis der möglichen
Folgen seines Handelns: »Ihr habt gut
reden, ihr jungen Leute, mir Altem
aber wackelt der Kopf auf den Schultern.« Tatsächlich musste er befürchten,
wegen Befehlsverweigerung bestraft
zu werden.
Am Morgen des 30. Dezember 1812
war es dann so weit: General Yorck,
begleitet von Oberst Roeder und Major
von Seydlitz, für die preußische, und
Generalmajor Diebitsch, begleitet vom
Grafen Dohna und von Clausewitz, für
die russische Seite trafen in der Poscheruner Mühle bei Tauroggen zusammen und schrieben die Konvention
fest. In beiderseitigem Einvernehmen
galt es die preußischen Kräfte zu isolieren, zu neutralisieren, aber auf jeden
Fall der französischen Verfügungsgewalt zu entwinden. Hier deckten sich
die tieferen strategischen Interessen
Preußens mit denen des russischen
Zarenreiches. Das preußische Korps
sollte bis zur Einwilligung des preußischen Königs neutral zwischen den
Städten Memel und Tilsit sowie dem
Kurischem Haff verharren, bei Wiederaufnahme feindlicher Auseinandersetzungen sollten die Truppen Yorcks bis
zum 1. März 1813 nicht gegen russische Kräfte kämpfen.
Um seine Entscheidung Friedrich Wilhelm III. bekannt zu machen, schickte
Yorck den Major von Thile nach Berlin.
Am Schluss seines Begleitschreibens
formulierte Yorck seine Beweggründe:
»Eurer Majestät lege ich willig meinen
Kopf zu Füßen, wenn ich gefehlt haben
sollte; ich würde mit der freudigen
Beruhigung sterben, wenigstens nicht
16
Generalmajor
Graf Johann
(Iwan Iwanowitsch)
Diebitsch-Sabalkanskij
(1785–1831),
Stahlstich, um 1840,
nach Bildnis um 1815
akg-images
3
Friedrich Wilhelm III.,
König von Preußen
(1797–1840),
Ölgemälde von
Ernst Gebauer, 1814.
Kopie nach
François Gerard.
Schloss Charlottenburg,
Berlin
Auch seinem französischen Oberbefehlshaber Macdonald schrieb Yorck
unmittelbar nach Abschluss der Konvention: »Welches auch das Urteil sein
mag, das die Welt über mein Verfahren fällen wird, ich bin darüber wenig
in Unruhe. Die Pflicht gegen meine
Truppen und die reiflichste Erwägung
schreiben es mir vor; die reinsten Beweggründe, wie auch immer der Schein
sein mag, leiten mich.«
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3
General Carl von
Clausewitz
(1780–1831),
Farblithographie nach
einem Gemälde von
Wilhelm Wach,
um 1820
Die Beteiligten
G
eneral Yorck, der ›Hauptakteur‹, galt als die Verkörperung des alten preußischen
adligen Offizierstandes. Er verweigerte
einem Vorgesetzten während des Garnisonsdienstes in Braunsberg 1780 den
Gehorsam, als bekannt wurde, dass
sich dieser während des Bayrischen
Erbfolgekrieges mit Kircheneigentum
bereichert hatte, was mit sofortiger Entlassung und einjähriger Festungshaft
Yorcks quittiert wurde.
Sein ›russisches‹ Pendant war der
junge, zum Zeitpunkt der Konvention
erst 27jährige Generalmajor Iwan Iwanowitsch Diebitsch. Er trat 1801 als
geborener Preuße (*13. Mai 1785 in
Groß Leipe, Schlesien) in russische
Dienste, wurde 1824 Chef des Generalstabes und 1829 Feldmarschall und
Graf. Einer seiner Berater war der
preußische Oberstleutnant Karl Philipp Gottfried von Clausewitz, der 1812
aus Protest gegen das aus seiner Sicht
schmachvolle Militärbündnis Preußens
mit Napoleon in russische Dienste
trat; einflussreiche Kreise am preußischen Hofe betrachteten dies als Verrat
und versuchten Clausewitz’ 1813 angestrebte Wiederaufnahme in preußische
Dienste zu hintertreiben; es wurde
sogar »die Anordnung eines Konfis-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
akg-images
kations-Prozesses gegen den Major
im Generalstab Clausewitz, ehemals
Lehrer an der Kriegsschule, wegen der
Annahme russischer Dienste« initiiert.
Die Folgen
D
ie militärische Folge der Konvention war, dass die linke
Flanke der französischen Armee zusammenbrach; Ostpreußen und
die Gebiete östlich der Weichsel
mussten von französischen Truppen
geräumt werden. Die militärische Gefahr auf russischen Territorium bestand
somit nicht mehr.
Politische Bedeutung erhielt die Konvention in mehrerlei Hinsicht: Preußen war mit der Konvention de facto
aus dem Krieg gegen das Zarenreich
ausgeschieden und die Truppen Yorcks
damit französischer Verfügungsgewalt
entzogen. Russland wurde in seiner
Bereitschaft bestärkt, den Krieg gegen
Napoleon weiterzuführen, bis dessen
Herrschaft über Europa beendet war.
Die Konvention war das erhoffte reale
ten nicht außerhalb, sondern innerhalb
seines preußischen Offiziereides; ein
Offizier ohne klare Weisung hatte eine
Entscheidung im Sinne der übergeordneten Führung zu treffen – was heute
von jedem Soldaten einer ›Armee im
Einsatz‹ verlangt wird.
In vielen Erörterungen über Tauroggen wird meist auf die zögerliche Haltung des preußischen Königs Friedrich
Wilhelm III. hingewiesen und dieser
die entschlussfreudige Tat des Generals
gegenübergestellt. Der König konnte
jedoch unter Betrachtung der politischen Rahmenbedingungen – französische Okkupation, abwartende Haltung Österreichs – nicht mit fliegenden Fahnen die Seiten wechseln. Dieser
politische Schritt bedurfte noch der
Vorbereitung und des Faktors Zeit.
Deshalb wurde auch Yorck zunächst
offiziell seines Kommandos entbunden
und ein kriegsgerichtliches Untersuchungsverfahren anberaumt. Erst am
11. März 1813 wurde Yorck von den
erhobenen Vorwürfen per königlichem
Entscheid »ganz vorwurfsfrei« erklärt,
sein Kommando sogar um die ost- und
westpreußische Brigade erweitert.
in historisch-politisches Ereignis wie die Konvention von
Tauroggen musste in der einen
oder anderen Weise ›traditionsstiftend‹
werden. Mehrere Traditionsstränge
sind leicht zu identifizieren:
Zunächst sollte mit der Stilisierung von
Tauroggen an ›alte‹ Gemeinsamkeiten
Preußens und Russlands im 18. Jahrhundert erinnert werden. Aber auch
die neuen monarchischen Prinzipien
des Wiener Kongresses standen ganz
im Zeichen der preußischen und russischen ›Adler‹. Tauroggen war aber
auch der Ausgangspunkt für jahrzehntelange russisch-preußische Zusammenarbeit auf politischem wie militärischem Terrain im 19. Jahrhundert.
Bewertung des Verhaltens
von Yorck
Y
orck war ein herausragender
Repräsentant des auf Gehorsam
aufbauenden preußischen Militärstaates und seines alten Systems.
Zugleich aber überwand er diesen,
indem er ohne Wissen und mögliche
Zustimmung seines Monarchen auf
eigene Verantwortung eine weitreichende Entscheidung traf. Vielleicht
sah die Bindung an den preußischen
Fahneneid von 1808 aber genau das
Verhalten Yorcks als das richtige an:
danach war er seinem König gegenüber verpflichtet, »in allen und jeden
Vorfällen, zu Lande und zu Wasser, zu
Kriegs- und Friedenszeiten, getreu und
redlich zu dienen« und in Ausübung
sämtlicher Pflichten sich »jederzeit so
zu betragen, wie es einem ehrliebenden
und unverzagten Soldaten eignet und
gebühret«. Somit stand Yorcks Verhal-
Tauroggen in der Tradition
E
Nach dem Ersten Weltkrieg suchten die
beiden großen ausgestoßenen Mächte
des europäischen Systems – das Deutsche Reich als Verlierer des Weltkrieges,
Sowjet-Russland nach der Oktoberrevolution 1917 – Anknüpfungspunkte
für eine mögliche preußisch/deutschrussische Kooperation. Beide wurden
im ›Geist‹ von Tauroggen fündig und
in dem am 16. April 1922 abgeschlossenen Vertrag von Rapallo einig, der
nicht nur im politischen Raum für Aufsehen sorgte, sondern auch für die
militärische Kooperation von Reichswehr und Roter Armee der Eisbrecher
war. Die nationalsozialistischen Machthaber des »Dritten Reiches« konnten
einem auf eigene Verantwortung handelnden Feldherrn nichts abgewinnen, außer vielleicht der Quintessenz
aus dem Erklärungsschreiben Yorcks:
»Eurer Majestät lege ich willig meinen
Kopf zu Füßen, wenn ich gefehlt haben
sollte.« Eine kleine Gruppe von Offizieren war schließlich bereit, aus Verantwortung für Deutschland sich dem
bedingungslosen Gehorsam entgegenzustellen und den Sturz des verbrecherischen NS-Regimes zu wagen. Das
Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944
3
In Potsdam, der
Residenzstadt der
preußischen Könige,
erinnert im Neuen
Garten eine Plakette
an das denkwürdige
Ereignis der Konvention von Tauroggen
MGFA
MGFA
und symbolische Zeichen, der zündende Funke zur Erhebung der preußischen Bevölkerung wie auch die Vorbereitung des sich später anbahnenden
Waffenbündnisses Preußens mit dem
zaristischen Russland. Zudem wurde
Tauroggen in der deutschen Öffentlichkeit als Fanal wahrgenommen für
einen beginnenden Krieg gegen die
französische Besatzungsmacht.
Der Ort des preußisch-russischen Abkommens ist heute (fast) vergessen. Ein zu Sowjetzeiten im heute litauischen Tauroggen
aufgestellter Gedenkstein erinnert in litauischer und russischer Sprache: »Hier in
der ehemaligen Poscheruner Mühle unterschrieben am 30. (18.) Dezember 1812
der Generalleutnant des Königreiches Preußen, Yorck, und der russische Generalmajor Diebtisch die Konvention von Tauroggen zum gemeinsamen Vorgehen gegen die
Armee des französischen Kaisers Napoleon«.
Da Russland seinerzeit noch den Julianischen Kalender verwandte, ist als zweites
Datum der 18. Dezember angegeben.
schlug jedoch fehl und die an der Verschwörung beteiligen Offiziere wurden
hingerichtet.
Nach Kriegsende versuchten beide
deutsche Staaten, die DDR und die
Bundesrepublik Deutschland, bei der
Suche nach legitimierter, verlängerter
historisches Traditions- bzw. Kooperationslinien eine Anknüpfung an »Tauroggen«. Die DDR sah in der Konvention die Möglichkeit, den Mythos
der deutsch-sowjetischen Waffenbrüderschaft auf ein historisches Fundament zu heben. In der Traditionspflege
der Bundesrepublik Deutschland und
der Bundeswehr kam dem militärischen Widerstand, allen voran den
Männern des 20. Juli 1944, gegen
das NS-Regime hohe Bedeutung zu.
Auch der frühere Gehorsamsverweigerer, Yorck von Wartenburg, wurde
als Vorbild wiederentdeckt.
n Eberhard Birk
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
17
NATO-Doppelbeschluss
Der NATO-Doppelbeschluss 1979
Zur Strategie des Gleichgewichts
Das atomare Gleichgewicht
droht zu kippen
Diese Entwicklung wirkte sich aus
westlicher Perspektive negativ auf die
NATO-Strategie der »Flexiblen Reaktion« aus, da diese auf dem Prinzip der
Kriegsverhinderung durch Abschreckung basierte. Mit der Modernisierung seines taktischen Atomwaffenpotentials in Europa konnte der Warschauer Pakt – im Verbund mit dem seit
Ende der vierziger Jahre bestehenden
Übergewicht an konventionellen Streitkräften in Europa – die europäischen
NATO-Mitgliedsländer sowohl militärisch als auch politisch unter Druck
setzen. In militärischer Hinsicht verfügte die NATO über keine atomaren
Mittelstreckenraketen, welche quantitativ und qualitativ dem Waffensystem
SS-20 entsprachen. Die NATO konnte
daher nur auf die strategischen Waffensysteme der USA als Gegengewicht
zurückgreifen. Dies bedeutete aber,
dass die Vereinigten Staaten jederzeit
bereit sein mussten, ihre strategischen
Nuklearwaffen für die Verteidigung
Europas einzusetzen und somit im
Falle eines sowjetischen Gegenschla-
18
Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr
A
b Mitte der siebziger Jahre
modernisierte die UdSSR ihr
Nuklearpotential durch die
Entwicklung einer neuen Generation
von Interkontinentalraketen mit Mehrfachgefechtsköpfen (MIRV) der Typen
SS-16, 17, 18 und 19 sowie einer neuen
Mittelstreckenrakete vom Typ SS-20.
Während die sowjetischen Interkontinentalraketen wesentlich gegen das
strategische Potential der Vereinigten
Staaten gerichtet waren, stellten die auf
Westeuropa ausgerichteten SS-20-Raketen eine besondere Gefahr dar, drohten sie doch eine Schieflage des atomaren Gleichgewichts hinsichtlich taktischer Atomwaffen in Europa herbeizuführen.
5Sowjetische Mittelstreckenrakete vom Typ SS-20
ges die eigene Vernichtung durch sowjetische strategische Waffensysteme zu
riskieren. Die USA hatten aber bereits
in den Strategic Arms Limitation TalksVerträgen (SALT) der frühen siebziger
Jahre das Ziel gesetzt, das machtpolitische Konkurrenzverhältnis mit der
UdSSR auf die Basis der Parität bei
den strategischen Waffensystemen zu
stellen. Vor diesem Hintergrund schien
einerseits die Glaubwürdigkeit der
westlichen Nuklearstrategie ins Wanken zu geraten, andererseits befürchteten die europäischen NATO-Partner ein
»Abkoppeln« der USA von Europa.
Der »Harmel-Bericht« und
die sicherheitspolitischen
Positionen der NATO
I
m Harmel-Bericht der NATO von
1967, benannt nach dem belgischen
Außenminister Pierre Harmel, erklärten die Bündnispartner die militärische Verteidigungsfähigkeit und die
politischen Bemühungen um Entspannung als grundsätzlich miteinander
vereinbar (sogenannte »Zwei-Pfeiler-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
Doktrin«). Die bundesdeutsche Sicherheitspolitik wurde seit 1969 maßgeblich durch den damaligen Verteidigungsminister und späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt beeinflusst.
Sie basierte auf drei Elementen:
• einer modern ausgerüsteten und ausgebildeten Bundeswehr als Beitrag zur
konventionellen Verteidigung Europas
• einer engen Kooperation mit den
NATO-Partnern, im Besonderen auf
der engen Verbindung mit den Vereinigten Staaten und deren Bereitschaft,
im Falle eines Konfliktes ihr nukleares
Potential zur Verteidigung der europäischen NATO-Partner einzusetzen
• sowie der Bereitschaft zu Verhandlungen und teilweisen Kooperation mit
den Mitgliedsstaaten des Warschauer
Paktes.
Die Bundesregierung war somit in der
Lage, den Dialog mit der östlichen Welt
weiter fortzuführen, ohne ihre Position
im westlichen Verteidigungsbündnis
in Frage zu stellen. Von grundlegender Bedeutung für die Entspannungs-
© Der Spiegel 46/1983
SV-Bilderdienst/Syndication
politik, die unter Bundeskanzler Willy
Brandt (1969–1974) forciert worden war,
galt das Gleichgewicht zwischen den
beiden Machtblöcken Warschauer Pakt
und NATO. Das Gleichgewicht drohte
aber durch die sowjetischen Modernisierungsmaßnahmen zu Ungunsten der
NATO zu kippen. Dabei zeigte sich,
dass die Befürchtungen der europäischen NATO-Mitgliedsländer hinsichtlich einer möglichen »Abkopplung« der
Vereinigten Staaten nicht völlig abwe-
gig waren. Tatsächlich unterzog die US-Administration
ihre nuklearen Strategie- und
Waffensysteme einer umfassenden Neubewertung, um
die amerikanischen Fähigkeiten im Rahmen der strategischen Parität zwischen den
USA und der Sowjetunion
anzupassen. In Hinblick auf
Europa wollte man in Washington die Bedeutung der
dort stationierten Kernwaffen herunterstufen und den
Schwerpunkt der Verteidigung mehr auf konventionelle Streitkräfte ausrichten.
Damit sollte im Wesentlichen
verhindert werden, dass die
USA frühzeitig oder gegen
ihren Willen in einen nuklearen Schlagabtausch mit der
UdSSR verwickelt werden
könnten; denn man war sich in Washington durchaus bewusst, dass ein
Einsatz taktischer Nuklearwaffen in
Europa mit der Gefahr eines weltweiten Atomkrieges verbunden war.
Im Gegensatz dazu waren die westeuropäischen Regierungen an einer umfassenden Modernisierung und Quantifizierung der Nuklearwaffen mittlerer
Reichweite interessiert, da sie nur so
eine Abschreckung im Sinne der Stra-
tegie der »Flexiblen Reaktion« gewährleistet sahen. Konkreter formuliert bedeutete dies, dass die USA einen möglichen Konflikt in Europa konventionell
begegnen wollten, die Schwelle eines
nuklearen Schlagabtausches möglichst
hoch halten wollten und nicht willens
waren, die eigene Existenz zu gefährden. Aus europäischer, insbesondere
bundesdeutscher Sicht war eben die
eigene staatliche Existenz sowohl bei
einem konventionellen Angriff als auch
bei einem begrenzten taktischen Nuklearwaffeneinsatz gleichermaßen in Gefahr. Deshalb war die Einbindung
des strategischen Raketenarsenals der
Vereinigten Staaten grundlegend für
die Abschreckung vor einem Konflikt
jedweder Art. Die taktischen Nuklearwaffen nahmen aus dieser Perspektive
eine bedeutende Brückenfunktion ein,
da mit ihnen das strategische Potential
der USA an eine Abschreckung und
Verteidigung Westeuropas gekoppelt
werden konnte.
Irritationen zwischen den
Vereinigten Staaten und
den Verbündeten
D
ie Rüstungskontrollverhandlungen der siebziger Jahre waren im Wesentlichen vom Interessenausgleich auf bilateraler Ebene
zwischen den Vereinigten Staaten und
der Sowjetunion geprägt. Im Besonderen waren die europäischen NATO-Mitgliedsländer darüber verärgert, dass
ihre Interessen in den Verhandlungen
gar nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Dies galt insbesondere für die genannten SALT-Verträge, aber auch in den Mutual-Balanced-Force-Reduction-Verhandlungen (MBFR) schienen europäische Interessen von nachrangiger Bedeutung.
Bei den in Wien stattfindenden Konferenzen legte die NATO eine Option
vor, welche die Reduzierung von 1000
taktischen Nuklearwaffen im Gegenzug für den Abzug einer sowjetischen
Panzerarmee aus Europa vorsah. Die
europäischen Verbündeten verfolgten
insbesondere die bilateralen Rüstungsverhandlungen, namentlich die SALTVerhandlungen, argwöhnisch. Der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt
(1974–1982) brachte die Befürchtungen
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
19
Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr
Weißbuch 1985
NATO-Doppelbeschluss
5Reichweiten der sowjetischen SS-20 und die der Pershing II
in seiner bekannten Rede vor dem Londoner Institut für Internationale Strategische Studien (IISS) im Oktober 1977
auf folgenden Nenner:
»Durch SALT neutralisieren sich die
strategischen Nuklearpotentiale der
USA und der Sowjetunion. Damit
wächst in Europa die Bedeutung der
Disparitäten auf nukleartaktischem
und konventionellem Gebiet zwischen Ost und West.«
Die Stimmung zwischen US-Amerikanern und ihren westeuropäischen
NATO-Verbündeten hatte sich bereits
zu Beginn des Sommers 1977 verschlechtert. Zum einen bedingten anhaltende Medienberichte über eine
interministerielle Studie zur Verteidigungspolitik der USA, das Presidential
Memorandum 10, eine Verstimmung
seitens der Europäer. Die Studie sah als
mögliche Option vor, bei einem konventionellen Angriff des Warschauer
Paktes in Mitteleuropa zunächst einen
Rückzug auf die strategisch günstige
Weser-Lech-Linie durchzuführen. Die
Bundesrepublik hätte bei diesem Szenario ungefähr ein Drittel des Staatsgebietes eingebüßt; dies ließ sich nicht
mit dem bisherigen Konzept der Vorneverteidigung in Einklang bringen. Die
Frage der Verteidigung der Bundesrepublik Deutschlands durch NATOVerbände an der Außengrenze war für
die Bundesregierung von existenzieller Bedeutung. Ungeachtet der politischen Querelen zwischen der US-Regierung und den europäischen NATOStaaten beschäftigte sich die »Nukleare
Planungsgruppe« (NPG) der NATO
bereits im Jahre 1975 auf einer Sitzung
in Monterey mit der Option der Sta-
20
tionierung neuer nuklearer Mittelstreckenraketen in Europa. Die Auffassung der US-Administration, dass die
vorhandenen Systeme der USA zur
Abschreckung eines etwaigen Angriffs
völlig ausreichten, wurde davon allerdings in keiner Weise beeinträchtigt.
Eine der NPG unterstellte »Arbeitsgruppe 10« sollte der von den Europäern befürchteten »Abkopplung« entgegenwirken. Zur Betonung der Bedeutung wurde die Arbeitsgruppe aus
hochrangigen Vertretern der nationalen Verteidigungsministerien zusammengesetzt und erhielt den Namen
»High Level Group«, diese gewählte
Ebene war durchaus ungewöhnlich.
Das neu geschaffene Gremium konzentrierte sich ab Februar 1978 auf Vorschläge zur langfristigen Modernisierung der weitreichenden taktischen
Nuklearstreitkräfte des Bündnisses.
Dabei waren vier Alternativvorschläge
ausgearbeitet worden:
1. Beibehaltung des status quo
(keine Modernisierung)
2. Aufbau eines Arsenals an
nuklearen Gefechtsfeldwaffen
(u.a. nukleare Artilleriegeschosse)
3. Modernisierung
(im begrenzten Umfang)
der taktischen
Raketensysteme
in Europa
4. Aufstellung strategischer
Raketensysteme in Europa.
Dabei zeigte sich, dass allein die
dritte Option bei allen NATO-Partnern durchsetzbar war, weil mit dieser
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
Lösung die taktischen Nuklearwaffen und somit indirekt
die konventionellen Streitkräfte der NATO gestärkt
worden wären und weil
damit auch eine direkte Antwort auf die Stationierung
der sowjetischen SS-20-Systeme in Europa verbunden
war. Nach intensiven Beratungen mit den europäischen
NATO-Partnern und unter
dem Eindruck der sichtbaren
Besorgnis der Westeuropäer
über die Bedrohung durch die
modernen sowjetischen Mittelstreckenraketen entschieden sich die
USA für eine Modernisierung der taktischen Nuklearwaffen in Europa.
Gleichzeitig setzten die Vereinigten
Staaten aber auf die Weiterführung der
SALT-Verhandlungen mit der UdSSR.
Folglich wollten die USA ein Ausscheren der Europäer durch die Zugeständnisse bei der Modernisierung verhindern. Die von den Europäern, besonders von der Bundesrepublik, befürwortete Einbeziehung der Mittelstreckenraketen in die laufenden Rüstungskontrollverhandlungen wurde dabei
von US-amerikanischer Seite abgelehnt. Das Aufrüstungspaket wurde
nun unter politischen Gesichtspunkten von den USA geschnürt. Die USRegierung wollte damit einerseits ihre
angeschlagene Führungsrolle festigen
und gleichfalls die inneramerikanischen Kritiker des SALT-Vertrages beruhigen. Zunächst galt es aber, die
europäischen Verbündeten, allen voran
die Bundesregierung, von ihrem Vorhaben zu überzeugen.
Der »doppelte« Beschluss –
Handeln und Verhandeln
I
m April 1979 legte die »High Level
Group« der NATO ihre Empfehlungen vor: Die Arbeitsgruppe sprach
sich für die Stationierung von bodengestützten Marschflugkörpern vom Typ
»Tomahawk« sowie Raketen vom Typ
»Pershing II-ER« aus. Die Europäer
machten ihre Zustimmung abhängig
von der Einbeziehung konkreter Verhandlungsangebote an die Sowjetunion
und hielten sich hiermit an die Emp-
Die intensive Debatte über die Nachrüstungsbestrebungen der NATO wurde von der sowjetischen Führung als
Versuch ausgelegt, ein aus ihrer Sicht
bereits vorhandenes Kräftegleichgewicht aus der Balance zu bringen.
Die UdSSR drohte ihrerseits mit einer
Nachrüstung, stellte aber auch – bei
einem Verzicht der NATO auf die Nachrüstung – die Reduzierung ihrer Mittelstreckenraketen in Aussicht. Innerhalb der NATO wurden die sowjetischen Annäherungsversuche lediglich als politische Manöver angesehen,
um die bevorstehende Nachrüstung zu
verzögern. Die Vorschläge des NATODoppelbeschlusses gingen, durch maßgebliche Initiative der deutschen Bundesregierung, weit über das Angebot
beidseitiger Obergrenzen bei Mittelstreckenwaffen hinaus und beinhalteten Vorschläge für Rüstungskontrollen im erweiterten Umfeld. Insbesondere sollten Maßnahmen, die bereits
bei den MBFR-Verhandlungen 1975 in
Wien erörtert worden waren, realisiert
werden. Die Nachrüstung bestand aus
der Aufstellung von 108 Abschussvorrichtungen für das System Pershing
II, welche die veralterten Vorgängersysteme ersetzen sollten. Des Weiteren
sollten 464 bodengestützte Marschflugkörper in verschiedenen europäischen
Ländern aufgestellt werden.
Die öffentliche Kontroverse
D
Armee in Afghanistan mit der Rückkehr zur Konfrontationspolitik. Durch
die unverminderte Stationierung von
sowjetischen SS-20-Raketensystemen
wurde die Nachrüstung in Europa faktisch besiegelt. Am 22. November 1983
beschloss die Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages unter
dem neuen Bundeskanzler Helmut
Kohl die Aufstellung von Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik.
Die Sowjetunion zog daraufhin ihre
Delegation bei den Genfer Abrüstungs-
er Doppelbeschluss führte in
den westeuropäischen Ländern
und besonders in der westdeutschen Öffentlichkeit zu einer kontroversen Diskussion darüber, inwiefern mit dem Nachrüstungsteil die
Entspannungspolitik nicht unmittelbar
gefährdet sei. Diese Kontroverse um
die Stationierung der Mittelstreckenwaffen zog sich auch quer durch die
bundesdeutsche Parteienlandschaft. In
entscheidender Weise hatte
der Einmarsch der Roten
Armee in Afghanistan 1979
Folgen für das Ansehen der
UdSSR und die Glaubwürdigkeit ihres Friedenswillens. Dadurch verstärkten
sich die Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion
nachhaltig. Durch die sich
also insgesamt verschlechternden Ost-West-Beziehungen gewann die Kritik am
NATO-Doppelbeschluss an 5Demonstrationszug gegen den atomaren Rüstungswettlauf in
dpa
fehlungen des »Harmel-Berichtes«. Die
Bundesregierung machte ihr Einvernehmen gänzlich von dieser »doppelten« Lösung abhängig. In einem
Kommuniqué der Sondersitzung der
Außen- und Verteidigungsminister der
NATO wurde der »NATO-Doppelbeschluss« am 12. Dezember 1979
verabschiedet. In der Geschichte der
Rüstungskontrolle wurde somit ein
neuer Ansatz gewählt. Erstmalig wurde
die angekündigte Modernisierung der
westlichen Mittelsreckenraketen von
der Haltung der Sowjetunion abhängig
gemacht. Falls die Sowjetunion weiterhin an einer Modernisierung ihrer
Mittelstreckenraketen festhalte, werde
die NATO mittels einer Nachrüstung
gleichwertiger Waffensysteme nachziehen. So heißt es im letzten Satz
des Kommuniques: »Der TNF-Bedarf
(Theater Nuclear Forces – substrategische Atomwaffen) wird im Licht konkreter Verhandlungsergebnisse geprüft
werden.«
Ost und West und die Stationierung neuer Nato-MittelstreckenWirksamkeit. Es war die Zeit
raketen in Westeuropa am 10. Oktober 1981 in Bonn
der Entstehung der Friedensbewegung, welche in dem gewal- verhandlungen ab. Aus der Stationietigen Atomwaffenarsenal von Ost und rung der Mittelstreckenraketen wurde
West und insbesondere in der west- aber durch den politischen Umbruch
lichen Nachrüstung eine Gefährdung in der Sowjetunion ein Relikt der Gedes Friedens sah und gegen die Statio- schichte. Der Amtsantritt von Michael
nierung von US-amerikanischen Rake- Gorbatschow als Generalsekretär der
ten öffentlich protestierte. Namhafte KPdSU im Jahre 1985, gemeinhin verVertreter der Friedenbewegung, darun- bunden mit »Glasnost« und »Perester Generalmajor a.D. Gerd Bastian, troika«, führte zu einer Entspannung
Petra Kelly und Prof. Gerhard Kader, des Verhältnisses zwischen den Superappellierten in der sogenannten »Kre- mächten. Im Dezember 1987 schlossen
felder Erklärung« vom 16. November die Vereinigten Staaten und die Sow1980 an die Bundesregierung, ihre jetunion den Intermediate-Range NucZustimmung zum Nachrüstungsteil lear Forces-Vertrag (INF), der den Abdes Doppelbeschlusses zurückzuzie- bau aller Mittelstreckenwaffen vorsah.
hen. Dabei wuchs insbesondere der
Druck auf die Bundesregierung dem Insgesamt zeigt sich, dass die NATOVerhandlungsaspekt des Beschlusses Partner – ungeachtet der teilweise
mehr Gewicht zu verleihen. Bun- erheblichen Meinungsverschiedenheideskanzler Schmidt versuchte durch ten in den siebziger Jahren zwischen
eine aktive Reisediplomatie die Ver- Westeuropäern und Vereinigten Staahandlungsbereitschaft zwischen den ten – zu einem Beschluss fähig waren,
beiden Blöcken zu erhöhen. Dies wurde der die Glaubwürdigkeit der nuklearen
durch den Regierungswechsel in den Abschreckung garantierte, gleichzeitig
Vereinigten Staaten Anfang 1981 je- aber auch die Bereitschaft zur Rüsdoch erschwert; der neue US-Präsident tungskontrolle beinhaltete – was letztRonald Reagan begegnete der Sowje- lich der Sowjetunion, dem vermeintlitunion angesichts ihrer intensiven Rüs- chen Aggressor, die Rolle des »Schwartungsanstrengungen und unter dem zen Peters« eintrug.
Eindruck des Einmarsches der Roten
n Markus Wackerbeck
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
21
Das historische Stichwort
DHM / Foto: A.C. Theil
Service
»Die Rückkehr
der Generale«
H
obbysoldaten kämpften auch
dieses Jahr gegen Napoleon.
Im »Gefecht« südlich von Berlin, in Großbeeren, ging es wieder
heiß her. Durch einen Angriff auf das
Städtchen hatte der preußische General Friedrich Wilhelm von Bülow mit
seiner Truppe vor 190 Jahren, am
23. August 1813, die erneute französische Besetzung Berlins verhindert –
gegen den Befehl seines Oberbefehlshabers. Wenn heute die Kanonen donnern, wenn sich Pulverdampf über die
Gemeinde legt, wenn die rund 300
Zivilisten in historischen Kostümen,
darunter viele Reservisten der Bundeswehr, einen Kranz niederlegen –
dann wird die Tradition der Siegesfeier gepflegt. Auch wenn es etwas
vom Räuber-und-Gendarm-Spiel hat:
das Spektakel der verschiedenen Traditionstruppen erinnert an ein bestimmtes
militärgeschichtliches Ereignis ebenso
wie, wenngleich weniger spektakulär,
ein Obelisk (1817), die Bülow-Pyramide (1906), ein Gedenkstein (1906)
und nicht zuletzt der 32 Meter hohe
Gedenkturm von Großbeeren (1913)
mit einem kleinen Museum.
Richtige Soldaten pflegen militärische
Tradition auf ihre Weise. Gedenkveranstaltungen an Mahn- und Ehrenmalen,
feierliche Vereidigungen und Gelöbnisse, Flaggenparaden und Zapfenstreiche, Stapelläufe und der Besuch historischer Stätten – es gibt in der Armee
vielfältige Gelegenheiten, Traditionsbewusstsein zu zeigen und zu vermitteln, mit Worten und mit Symbolen.
»Tradition« definierte Kai-Uwe von
Hassel, Bundesminister der Verteidigung 1963-1966, als Ȇberlieferung
des gültigen Erbes der Vergangenheit«. Aber das Bild trügt. Vergangenes
kommt nicht wie eine Erbschaft auf die
Nachgeborenen, im Gegenteil suchen
diese sich aus »ihrer« Vergangenheit,
was ihnen in der jeweiligen Gegenwart
und im Licht ihrer Vorstellungen von
22
5 Innenraum der Neuen Wache mit Kopie der Plastik »Mutter mit dem toten Sohn«
von Käthe Kollwitz
der Zukunft »gültig« zu sein scheint.
Dabei geht es häufig nicht darum,
was eigentlich wann geschah, sondern
wie es charakterisiert, erklärt und in
einen größeren Interpretationsrahmen
gestellt werden soll.
Wer legt nun fest, was in der demokratischen Armee offiziell als besonders
erinnerungswürdig gilt? Nach einer
Zeit des Wildwuchses in den ersten
Jahren der Bundeswehr sollte der
oberste Dienstherr die »Traditionsfrage« beantworten: durch »Traditionserlasse« (1965, 1982). Doch so einfach
liegen die Dinge nicht. Selten sind sich
die Zeitgenossen so einig wie die Hobbysoldaten von Großbeeren, was für
wen als traditionswürdig zu gelten hat
und in welcher Form diese Tradition
zu pflegen ist. Der Streit um die Tradition hat selbst Tradition. Wie sollte
es in einer pluralistischen Gesellschaft
auch anders sein?
Kein Wunder also, dass es in den
60er Jahren nicht gelungen ist, dem
Erlass von Hassels ein mit den Weihen
der Wissenschaft versehenes »festes
Geschichtsbild« der Bundeswehr zugrunde zu legen. Der damalige Chef
des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, Oberst Dr. Hans Meier-Welcker, hatte zu Recht vor der Gefahr
gewarnt, die stets widersprüchliche
Vergangenheit für die einseitig positive Traditionsstiftung zurechtzubiegen. Immerhin: Für die Soldaten der
Bundeswehr gibt es neben deren eigener Vergangenheit zwei historische
Orientierungsmarken mit den dazuge-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
hörigen Persönlichkeiten: die Männer
des militärischen Widerstandes gegen
Hitler und die preußischen Militärreformer, zu denen auch Bülow, der Held
von Großbeeren, zählt.
Gewiss, Traditionspflege, vor allem
wenn sie Soldaten in Ehren hält, ist keineswegs eine Angelegenheit des Militärs allein. Das zeigte unlängst die
»Rückkehr der Generale« in die Hauptstadt. In einem alten Berliner Straßenbahndepot mussten die Marmorbüsten
der preußischen Generale Bülow und
Scharnhorst lange Zeit ausharren; nun
sind sie – nach längeren politischen
Querelen – auf dem Bebelplatz in Berlin-Mitte aufgestellt. Doch eigentlich
stehen sie auf der falschen Straßenseite. Für die restaurierten Büsten der
Feldherren, die der Bildhauer Christian
Daniel Rauch 1820 geschaffen hatte,
geht es um den richtigen Standort
in einer einzigartigen Denkmallandschaft. Wäre es nach dem Berliner
Senat gegangen, hätten die prominenten Feldherrn der Freiheitskriege ihren
angestammten Platz auf der anderen
Straßenseite, direkt vor der Neuen
Wache, wieder erhalten. In diesem Fall
jedoch lag die Entscheidung nicht allein
beim Senat der Stadt, wie die Vorgeschichte zeigt.
1993 nämlich hatte die alte Neue Wache
wieder einmal ihre Funktion geändert.
Denn das klassizistische Gebäude, mit
dem der 37jährige Karl Friedrich Schinkel 1818 sein glänzendes Debut als
Architekt gegeben hatte, besaß eine
wechselvolle Vergangenheit, in der sich
DHM / Foto: Hans Hartz, Hamburg-Berlin
3
Mitten durch das Zentrum
Berlins verläuft die Straße Unter
den Linden. Zwischen dem ehemaligen Stadtschloss der Hohenzollern (heute bebaut mit dem
Palast der Republik) und dem
Pariser Platz sind bedeutende
klassizistische Bauten gruppiert,
wie u.a. das Brandenburger
(eigentlich Friedens-) Tor (1794),
die Neue Wache (1817/18) und
die Schlossbrücke (1824). Im
Laufe der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts wurde diese
Linie dann als »via triumphalis«
(Triumphstraße) gestaltet und
Denkmäler preußischer Könige
(Reiterstandbild für Friedrich den
Großen, 1851) und Militärs der
Befreiungskriege (u.a. Gneisenau,
Blücher, Yorck, Scharnhorst) aufgestellt.
die Politik der verschiedensten Regime
widerspiegelte.
Ursprünglich diente das Gebäude der
Schlosswache als Erinnerungsmal für
die Gefallenen der Befreiungskriege,
die 1815 mit dem Sieg über Napoleon
zu Ende gegangen waren. In der Tradition des 18. Jahrhunderts ließ der preußische König Friedrich Wilhelm III.
Standbilder erfolgreicher Feldherren
aufstellen, die gemeinsam mit der nahen Schlossbrücke, deren Figuren ebenfalls an den Krieg erinnerten, ein historisches Ensemble bildeten.
Ab 1931 war die Wache »Gedächtnisstätte für die Gefallenen des Weltkrieges«. Die Nationalsozialistischen
feierten hier ab 1934 ihren »Heldengedenktag«. (1934 führten die Nazis den
»Heldengedenktag« ein. Näheres dazu
im Artikel »Volkstrauertag« in diesem
Heft).
Seit 1960, zu DDR-Zeiten, diente die
restaurierte Neue Wache als »Mahnmal für die Opfer des Faschismus und
Militarismus«. Dieser Ort, vor dem
NVA-Soldaten zackig auf- und abmarschierten, wurde bald zu einer Touristenattraktion. Die Denkmäler der
Generäle waren 1951 von ihrem
ursprünglichen Platz entfernt worden,
aber nicht zerstört, wie im Jahr zuvor
das Schloss. 1963, zum 150. Jahrestag
der Völkerschlacht bei Leipzig, wurden
sie vor dem Operncafé aufgestellt.
Nach der Wiedervereinigung wurde
die Neue Wache auf Betreiben des
damaligen Bundeskanzlers Helmut
Kohl (CDU) zu der Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland umgewandelt. Seit den fünfziger
Jahren hatte es in Westdeutschland
immer wieder Pläne für die Bildung
eines nationalen Ehrenmals gegeben.
Doch die Umwidmung sorgte schon
1993 für Furore. Die Entscheidung, eine
vielfach vergrößerte Kopie der Plastik
»Mutter mit dem toten Sohn« der
pazifistischen Künstlerin Käthe Kollwitz anfertigen zu lassen und in der
Neuen Wache aufzustellen, sorgte nicht
nur bei Kunstexperten für Unmut.
Auch der nebulöse Name der künftigen Gedenkstätte: »für die Opfer des
Krieges und der Gewaltherrschaft«
war äußerst umstritten. Welche Opfer
waren gemeint? Die Eröffnung just am
Volkstrauertag, an dem in Deutschland der deutschen Kriegstoten, der
Soldaten und Bombenopfer, gedacht
wird, legte ein Verständnis nahe, das
die Grenze zwischen den doch recht
verschiedenen Opfergruppen im gemeinsamen Gedenken aller Toten verwischt.
Als die Skulptur »Mutter mit dem toten
Sohn« in der Mitte der Neuen Wache
aufgestellt wurde, hatten die Erben der
pazifistischen Künstlerin Käthe Kollwitz zur Bedingung gemacht, dass die
Feldherren der Pietà nicht zu nahe
rücken dürften. Verträgt sich etwa die
trauernde Mutter, die an die Schrecken
des Krieges gemahnt, mit den Generalen, die den preußischen Militarismus
ins Gedächtnis rufen?
Wer so schweres Geschütz auffährt,
verkennt indes die Rolle der beiden
Generale in der deutschen Militärgeschichte. Friedrich Wilhelm von Bülow
und Gerhard Johann David von Scharnhorst, beide Jahrgang 1755, gelten als
führende Köpfe der Reform von Staat
und Militär in der Zeit der Befreiungskriege. Deshalb wurden sie auf den
Sockel gehoben – auch in der DDR.
Kritikern mag im übrigen der Abstand
zum alten Standort die Distanz zur
Militärgeschichte des 19. Jahrhunderts
symbolisieren.
Bülow und Scharnhorst sind nicht
allein. Sie befinden sich im Blickfeld
ihrer Kameraden Gneisenau, Blücher
und Yorck, deren Bronzestatuen ebenfalls auf dem Platz stehen – wenn auch
in der zweiten Reihe.
Der kleine Denkmalstreit in der
Hauptstadt lässt eins jedenfalls nicht
vergessen: Auch die militärische Vergangenheit wird stets aufs Neue vergegenwärtigt. Das absichtsvolle Erinnern
an das Militär, in den Streitkräften
als Traditionspflege, in der Öffentlichkeit als Erinnerungspolitik, hat seine
eigene Vergangenheit. Auch sie ist ein
spannungsreicher Teil der Militärgeschichte.
So viel steht fürs Erste fest: Den Generalen ist ein Platz an der Prachtstraße
sicher. Immerhin sind sie an diesem
Erinnerungsort besser aufgehoben als
in einem Straßenbahndepot.
Jörg Echternkamp
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
23
Service
Medien online/digital
CD-ROM
»Nationalsozialismus«
B
ücher zum Thema Nationalsozialismus gibt es in vielfältiger
Form: umfangreiche Gesamtdarstellungen und spezifische Einzelstudien. In den letzten Jahren hat
sich aber auch viel im Bereich der
Wissensvermittlung durch die sogenannte »Lernsoftware« getan. Wir wollen Ihnen ein Produkt vorstellen, das
sowohl einen Gesamtüberblick als auch
etliche Details bietet. Die multimediale
CD-ROM »Nationalsozialismus« von
medialesson eignet sich besonders für
Unterricht, Studium und Erwachsenbildung; sie dürfte jedoch auch dem
Geschichtsinteressierten neue Perspektiven erschließen.
on
5Eine interaktive Karte vermittelt den
zeitlichen und räumlichen Verlauf des
Zweiten Weltkrieges
5Zahlreiche Schaubilder helfen die Themen
in übersichtlicher Form darzustellen. Hier
ein Schaubild zum Thema »Legenden und
Lügen« des Nationalsozialismus
24
Thematisch gliedert sich die CD-ROM
in sieben große Bereiche: Aufstieg der
NSDAP, »Machtergreifung«, Gleichschaltung, Ideologie, Expansion bis
1939, Zweiter Weltkrieg, Verfolgung
der Juden, Widerstand und Alltag.
Somit wird die gesamte Entwicklung
des Nationalsozialismus vom Ausgang
des Ersten bis zum katastrophalen
Ende des Zweiten Weltkrieges geschildert. Der Nutzer wird an die einzelnen
Themen in Form von Kurzfilmen herangeführt. Zudem wird die Möglichkeit geboten einen darstellenden Text,
Quellen – wie beispielsweise Goebbels´
Sportpalastrede vom Februar 1943 –,
Materialien und Bilder zum jeweiligen
Thema einzusehen. Der Nutzer entscheidet folglich selbstständig über Art und Umfang
des Dargebotenen.
Die CD-ROM besticht vor
allem durch ihre große Anzahl
an Quellen, die sowohl in
Form von Tondokumenten
und Texten als auch Bildern
und Fotos präsentiert werden.
Diese finden eine gute Ergänzung durch Textauszüge aus
der »Standardliteratur« zum
Thema. Erwähnenswert dürfte
auch ein Beitrag in Form eines
Interviews mit Professor Hajo
Funke, Freie Universität Berlin, zum Thema »Rechtsextremismus heute« sein. Dadurch
wird der historische Horizont
bis in die politische Gegenwart hinein erweitert. Die
Herausgeber Johannes Gienger, Tobias Jersak und Gerhard Hirschfeld wollen dies
als besonderen Beitrag zur
politischen Bildung verstanden wissen.
Zwar traten bei der Testnutzung leichte Tonprobleme und
einige Fehler auf, über die
Qualität des Produktes konnte
dies jedoch nicht hinwegtäuschen. Der CD-ROM ist eine
hohe Nutzerzahl zu wünschen.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
René Henn
Johannes Gienger, Tobias Jersak
und Gerhard Hirschfeld,
Nationalsozialismus.
Multimediale CD-ROM für
Unterricht, Studium und
Erwachsenenbildung
(= medialesson, Band 1)
Preis: 49,90
Vertrieb:
medialesson GmbH
Rathaldenstraße 7
75397 Simmozheim
Telefon: (07051) 93 02 07
Telefax: (07051) 93 02 08
[email protected]
www.medialesson.de
Volksbund
Deutsche
Kriegsgräberfürsorge e.V.
(www.volksbund.de)
I
m aktuellen Heft stellen wir Ihnen
den Volkstrauertag und dessen
Geschichte vor. Der Gedenktag
wäre ohne den Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge e.V. nicht vorstellbar. Dies betrifft sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart.
Der Volksbund wirkte nach dem Ende
des Ersten Weltkrieges maßgeblich an
der Einführung des Gedenktages mit.
Auch nach dem Zweiten Weltkriege
verstummte der Verein nicht. Die Folge
war die Wiedereinführung des Volkstrauertages – nunmehr – als Gedenktag
der Gefallenen und Opfer der beiden
Kriege. Doch was verbirgt sich hinter
dem Volksbund?
Der Verein wurde am 16. Dezember
1919 gegründet. Er nimmt als gemeinnütziger Verein einen humanitären
Auftrag für sich in Anspruch und
handelt nach dem selbstgewählten
Motto: »Versöhnung über den Gräbern
– Arbeit für den Frieden.« Zu diesem
Zweck erfasst, erhält und pflegt er
die Gräber der Opfer von Krieg und
Gewaltherrschaft im Ausland. Er hilft
auch bei der Erhaltung der Kriegsgräber in Deutschland. Ingesamt werden
rund 1,9 Millionen Kriegsgräber auf
über 806 Friedhöfen in 43 Staaten
betreut. Dies geschieht durch die mehr
als 10 000 ehrenamtlichen und 582
hauptamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Volksbundes. Des weiteren hilft der Volksbund den Angehörigen bei der Suche nach den Gräbern
ihrer gefallenen Verwandten, Freunde
und Bekannten bzw. trägt zur Klärung
von Kriegsschicksalen bei. Heute hat
der Verein ca. 1,3 Millionen Mitglieder
und Spender, die mit ihren Beiträgen
und Spenden sowie den Erträgen aus
der Haus- und Straßensammlung, die
einmal im Jahr stattfindet, dessen Arbeit finanzieren. Die Bundesregierung
hilft dort, wo die Mittel des Volksbundes allein nicht mehr ausreichen.
diesem Zweck unterhält der Verein
vier Jugendbegegnungsstätten. Belgien,
Frankreich, Italien und in den Niederlanden. Jährlich arbeitet der Volksbund so mit 3000 jungen Menschen in
Deutschland und im Ausland zusammen.
Mehr über den Volksbund und seine
Arbeit erfährt man auf dessen InternetSeite. Hier werden dem Interessierten
neben einer Kurzdarstellung des Vereins zahlreiche weitere Angebote eröff4In Form einer »Online-Suche« kann der
Besucher der Seite nach dem Verbleib von
Angehörigen forschen. Über 3,4 Millionen
Verlustmeldungen sind zur Zeit abrufbar
net. So besteht beispielsweise die Möglichkeit via Internet den Verbleib von
gefallenen Verwandten zu recherchieren bzw. den Ort von deren Grabstätten zu erfahren. Sollten die Angehörigen in der Datenbank indes nicht
fündig werden, so besteht die Möglichkeit einen Grabnachforschungsantrag
an die Abteilung Gräbernachweis zu
senden. Falls auch hier die Recherchen
erfolglos bleiben, bietet der Volksbund
die Aktion »Letzte Hoffnung«. Hierunter ist die Online-Veröffentlichung
von Anfragen zu verstehen, bei denen
alle genannten Stellen bisher nicht
helfen konnten. Damit verbindet sich
die Hoffnung, dass dadurch neue Hinweise zum Verbleib der gesuchten Person gefunden werden können.
line
Besonders interessiert ist der Verein
an der Zusammenarbeit mit Jugendlichen. Diesen wird in Form von
Jugendlagern die Möglichkeit gegeben
andere Länder kennenzulernen und
bei der Gräberpflege mitzuwirken. Zu
5Momentan sind 1101 Kriegsgräberstätten
in 57 Ländern im System des Volksbundes
erfasst. Selbst in Australien lassen sich deutsche Gräber finden. Hier waren während
der beiden Weltkriege zahlreiche deutsche
Staatsbürger, Kaufleute und Besatzungen
von Handelsschiffen interniert oder, sofern es sich um Soldaten handelte, als
Kriegsgefangene inhaftiert. Dies war vorallem 1914 bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges der Fall, als die deutschen Schutzgebiete in der Inselwelt des Pazifischen
Ozeans, wie Neuguinea und Samoa, von
den Truppen der Entente-Mächte besetzt
wurden. Die verstorbenen Internierten und
Gefangenen setzte man meist in der Nähe
ihrer Verwahrorte bei.
Der Nutzer kann auch mehr über die
einzelnen Kriegsgräberstätten und die
Jugendarbeit des Volksbundes erfahren. Es besteht zudem die Möglichkeit
an einzelnen Grabstellen Grabschmuck
niederlegen bzw. Fotos von diesen
machen zu lassen. Ein Kalender informiert unter anderem über Einweihungen, Gedenkfeiern und Veranstaltungen der Jugendarbeitskreise.
René Henn
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
25
Service
Lesetipp
Kalter Krieg im Überblick
I
n Deutschland rückt der Kalte Krieg
nach dem Ende der historischen
Epoche zunehmend in den Blickpunkt
einer breiteren Öffentlichkeit, während in der anglo-amerikanischen Geschichtsschreibung Cold War Studies
schon lange einen prominenten Platz
einnehmen. Daher ist es allemal nützlich, in einer Art Zwischenbilanz auf
zwei neu erschienene Bändchen zurückgreifen zu können, die auf jeweils
128 Seiten den gegenwärtigen Kenntnisstand knapp umreißen und im
Buchhandel im gleichen, günstigen
Preissegment erhältlich sind.
Beide Autoren, als Hochschullehrer in
Potsdam und Innsbruck ausgewiesene
Kenner des Themas, ordnen die Phase
des Kalten Krieges zunächst in den
Rahmen eines älteren Ost-West-Konfliktes ein. Als machtpolitische Auseinandersetzung bereits im 19. Jahrhundert erkennbar (Krimkrieg 1853–1856!),
entwickelte sich dieser Konflikt dann
zum Fundamentalgegensatz zweier unvereinbarer Weltanschauungen – kapitalistische Demokratie im Westen, kommunistische Diktatur im Osten – seit
der Oktoberrevolution und dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg
(beides im Jahre 1917). Während Bernd
Stöver den eskalierenden Gegensatz
der Supermächte USA und Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg
ganz wesentlich auf verfehlte Wahrnehmungen der gegenseitigen Absichten und Möglichkeiten sowie daraus
resultierenden falschen Entscheidungen ableitet, weist Rolf Steininger diese
Deutung zurück, denn: »Mit Stalin war
eine Kooperation nicht möglich« – weshalb US-Präsident Harry S. Truman
und seine Nachfolger die kommunistische Herausforderung annahmen. Ein
»Richtig« oder »Falsch« in der Beurteilung dieser Interpretationen kann es
derzeit nicht geben; über ein angemessenes Verständnis der Entstehung des
Kalten Krieges wird noch lange gestritten werden.
Stövers Buch berücksichtigt jenseits
der entscheidenden Hauptereignisse in
der Weltpolitik zwischen 1945 und 1991
(Berlin-Blockade 1948/49, Korea-Krieg
1950–1953, Ungarn/Suez 1956, Mauerbau 1961, Kubakrise 1962, SALT Iund KSZE-Verhandlungen 1972–1979,
NATO-Doppelbeschluss 1979, SDI-Of-
26
Bernd Stöver,
Der Kalte Krieg,
München 2003.
ISBN 3-406-48014-4;
128 S., 7,90
Rolf Steininger,
Der Kalte Krieg,
Frankfurt a.M. 2003.
ISBN 3-596-15551-7;
128 S., 8,90
fensive 1983) auch die StellvertreterSchauplätze, an denen der Kalte Krieg
heiß wurde: Vietnam, südliches Afrika, Mittelamerika, Chile, Afghanistan.
Wichtig sind ihm innergesellschaftliche Rückwirkungen und die kulturelle
Verarbeitung des Systemkonflikts (z.B.
im Kinofilm).
Steininger geht mehr auf militärische
und diplomatische Aspekte der Konfrontation ein. Der häufige Gebrauch
von Zitaten der historischen Akteure
macht seine Schilderung sehr lebendig. Auch ordnet er das Geschehen mit
deutlichen Bewertungen häufig klarer
ein als Stöver, dem die Analyse in der
Breite der Darstellung gelegentlich aus
dem Blick gerät. Der formale Aufbau
von Steiningers Buch in einem knappen Abriss der Zeit von 1945 bis 1991
und davon getrennten, sich anschließenden »Vertiefungen« (Marshallplan,
Kubakrise, Atombomben etc.) kann im
Vergleich mit Stövers zusammenhängender Darstellung jedoch nicht überzeugen.
Fazit: Für einen allerersten Überblick
über die großen Linien des Kalten Krieges – besonders im Rahmen der historischen Bildung in der Bundeswehr
– mag Steiningers Buch zwar besser
geeignet sein, allerdings nur um den
Preis einer Verkürzung auf die »hohe
Politik«, der Stöver seine breit angelegte Gesamtperspektive dieser knapp
fünf Jahrzehnte Zeitgeschichte entgegenstellt.
Armin Wagner
Strategie
B
ei dem vorliegenden Buch handelt
es sich um die deutsche Übersetzung von Luttwaks berühmter Strategiediskussion aus dem Jahr 2001, deren
erste Auflage bereits 1987 erschienen
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
ist. Luttwak verbindet empirische Tiefenforschung mit Politikberatung, und
er versteht es deshalb außergewöhnlich
gut, Theorie praxisnah zu diskutieren.
Seine Clausewitz folgende Erkenntnis
des Paradoxen am Krieg anhand zahlreicher Beispiele von der Antike bis zur
Gegenwart begründet, ist intellektuell
besonders stimulierend. So könne man
den Gegner zur Fehlkalkulation verleiten, indem man gerade nicht das
tut, was am plausibelsten wäre. Nach
dem Kulminationspunkt des Angriffes werde der Angreifer zunehmend
schwächer, wie auch schon Clausewitz
betonte. Und schließlich könne der
Sieg dann doch zur Niederlage führen,
wenn ihm nicht ein allseits annehmbarer Friede folge.
Edward Luttwak,
Strategie: Die Logik von
Krieg und Frieden
Lüneburg 2003.
ISBN 3-934920-12-8;
356 S.,
34,00
Die Neuauflage hat dem alten Text
noch Beispiele aus den 90er Jahren
hinzugefügt, die Luttwaks Theorien
durchaus noch weiter bestätigen. Eine
lohnende Lektüre für diejenigen, die
die erste Auflage nicht schon gelesen
haben.
Beatrice Heuser
Siege und Niederlagen
M
it »333 – bei Issos Keilerei« oder
»Mit Mann und Ross und Wagen
hat sie der Herr geschlagen« – haben
viele Redewendungen einen militärgeschichtlichen Hintergrund, ohne dass
in jedem Fall das dahinterliegende
Ereignis bekannt ist. Wolfgang Hebolds
Werk ist gut dazu geeignet, bekannte
und unbekannte Schlachten erstmalig
und im Überblick kennen zu lernen.
Ohne weitreichende Vorkenntnisse kann
der Leser die Grundzüge der Schlachten, beispielsweise von Cannae – der
»Mutter aller Schlachten« –, Verdun –
der »Knochenmühle« oder auch »Blutpumpe« –, Tannenberg – des operativen Sieges, der zeitgleich Teil der strategischen Niederlage Deutschlands im
Ersten Weltkrieg war –, oder Stalingrad – nomen est omen – erfahren.
50 Klassiker.
Siege und Niederlagen.
Militärische Entscheidungen
von Troja bis Jom Kippur,
dargestellt von
Wolfgang Hebold,
Hildesheim 2002.
ISBN 3-8067-2527-6;
280 S.,
19,95
Kurz umrissen schildern die nicht mehr
als vier Seiten umfassenden Artikel
das ›Wer gegen wen‹, die Ursachen
und Konsequenzen zahlreicher militärischer Konfrontationen. Wenn auch
so bedeutende Schlachten wie Leuthen
und Königgrätz, welche die deutsche
Geschichte nachhaltig prägten, fehlen,
bietet das Buch erstaunlich viele ansprechende Darstellungen, um nahezu
dreitausend Jahren Kriegsgeschichte
zu begegnen. Viele dieser Schlachten
hatten politisch ungeahnte Folgen, die
den jeweiligen Zeitgenossen verschlossen blieben und erst sich Jahre später
abzeichneten.
Die ansprechenden Illustrationen, die
Hinweise auf weiterführende – nicht
nur militärische – Literatur sowie auf
Homepages, Filme und Museen wie
auch die jeder Schlacht angefügten
komprimierten Analysen machen den
Band zu einem gewinnbringenden Einstiegswerk, das gerade für junge Soldaten geeignet ist.
Heiner Möllers
Mit Gottes Segen in die Hölle
B
is zum heutigen Tage ist die Erinnerung an den Dreißigjährigen
Krieg tief im kollektiven Gedächtnis
der Deutschen eingegraben. So ist es
kein Zufall, dass zur Beschreibung von
besonders grausamen Kriegserlebnissen immer wieder der Vergleich mit
diesem Krieg herangezogen wird. Er
gilt als größte Katastrophe der Frühen
Neuzeit und forderte – bezogen auf
die damalige Bevölkerung – in den
Jahren 1618-1648 mehr Todesopfer als
der Zweite Weltkrieg. Ehemals blühende Landstriche wurden verwüstet,
Millionen Menschen verloren Hab und
Gut, wurden ins Elend gestürzt und
fielen Seuchen, Hungersnöten oder
einer marodierenden Soldateska zum
Opfer. Rückschauend erscheint uns
diese Zeit als eine düstere Epoche. Nur
schwer kann man sich heute vorstellen,
was die gottesgläubigen und – angesichts des ein Menschenleben währenden Krieges – apokalyptisch gestimm-
ten Zeitgenossen empfunden haben
mögen.
In dem Buch werden daher nicht nur
die politischen und militärischen Ereignisse während dieser 30 Jahre beschrieben, sondern auch die handelnden
Personen vorgestellt: Der Habsburger
Kaiser Ferdinand II. und sein Kriegsherr Wallenstein sowie deren Gegner,
Gustav Adolf II. von Schweden. Und
auch über das Leben der einfachen
Leute erfährt man Interessantes. Über
die Söldnerheere und ihre Kampftechnik, die Feldärzte und ihre Patienten,
über den Kampf belagerter Städte,
das Inferno der Schlachten und das
Leiden der Bauern sowie natürlich
über den Tod des Schwedenkönigs
in der Schlacht bei Lützen (1632)
und die Ermordung Wallensteins in
der »Blutnacht von Eger« (1634). Mit
Hans-Christian Huf,
Mit Gottes Segen
in die Hölle.
Der Dreißigjährige
Krieg,
München 2003.
ISBN 3-430-14873-1;
384 S.,
25,00
dem »Westfälischen Frieden« (Oktober 1648), den die Kriegsparteien aushandelten, wurde der Glaubenskrieg
zwischen Protestanten und Katholiken
schließlich beendet. Beide Konfessionen sollten künftig im Reich wieder
friedlich zusammenleben können, das
politische Gleichgewicht zwischen dem
Kaiser und den Landesherren wurde
erfolgreich für lange Zeit festgeschrieben. Nicht zuletzt deshalb galten
die Friedensschlüsse von Münster und
Osnabrück bis in das 19. Jahrhundert
als Vorbilder für internationale Konfliktregelung.
Das Buch ist ausgesprochen spannend zu lesen und eignet sich besonders für diejenigen, die sonst kein Interesse an dem mitunter etwas verwirrenden 17. Jahrhundert haben. Der
stattliche Umfang von 400 Seiten sollte
daher auf gar keinen Fall abschrecken,
über die Hälfte davon sind (teils farbige) Abbildungen von Soldaten, zeitgenössischen Bildern und Aufnahmen
der historischen Orte, die hervorragend verdeutlichen, was Soldat-Sein in
der Frühen Neuzeit bedeutete.
ch
Militärische Uniformen
in der DDR 1949–1990
D
as Buch stellt die militärischen
Uniformen der Nationalen Volksarmee und ihrer Vorgängerorganisationen (z.B. die Kasernierte Volkspolizei) sowie diverser anderer paramilitärischer Verbände der DDR (z.B. Grenztruppen, Zivilverteidigung) vor. Damit
dokumentiert es einen wesentlichen
Teil der deutschen Militärgeschichte –
immerhin hat die DDR vierzig Jahre
existiert, die Streitkräfte des ostdeutschen Staates (und die verschiedenen
Vorläufer in der Sowjetischen Besatzungszone) also fast genauso lange wie
die Armeen des Kaiserreichs und weit
länger als Reichswehr und Wehrmacht
zusammen. Viele hundert, teils farbige,
detailliert und systematisch kommentierte Abbildungen führen den Leser
durch dieses Kapitel deutscher Militärgeschichte.
Ein kleines Uniformlexikon und ein
Kapitel über die »Nachwendeuniformen« des Jahres 1990 machen das Buch
zu einem Nachschlagewerk für alle
Liebhaber historischer Uniformen. Es
wendet sich aber auch an Fachhistoriker und alle sonstigen militärgeschichtlich Interessierten. Denn die vorgestellten Uniformen sind nicht nur
für Sammler von Militaria interessant.
Vielmehr spiegeln sie auch die veränderte Kampftechnik, die eingeschränkKlaus-Ulrich Keubke
und Manfred Kunz,
Militärische
Uniformen in der
DDR 1949–1990.
Mit einem
Geleitwort von
Admiral a.D.
Theodor Hoffmann,
Schwerin 2003.
ISBN 3-00-011362-2;
240 S.,
68,00
ten Möglichkeiten der DDR-Staatswirtschaft, Einflüsse der Mode und somit
gesellschaftliche Entwicklungen wider.
Und schließlich dürfte es nicht zuletzt
für diejenigen, die in der NVA und
den anderen (para-)militärischen Verbänden der DDR gedient haben, interessant sein.
ch
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
27
Service
Ausstellungen
•Berlin
Das Eiserne Kreuz.
Zur Geschichte einer
Auszeichnung
Luftwaffenmuseum
der Bundeswehr
Groß Glienicker Weg
14089 Berlin-Gatow
Telefon: (030) 81 10 76 9
Telefax: (030) 36 43 11 98
e-mail:[email protected]
www.luftwaffenmuseum.de
Dienstag bis Sonntag
9.00 bis 17.00 Uhr
(letzter Einlaß 16.00 Uhr)
Bis 4. Januar 2004
•Bern
(Schweiz)
Von Krieg und Frieden –
Bern und die Eidgenossen
Historisches Museum
Helvetiaplatz 5
3005 Bern
Telefon: (+41) 31 350 77 11
Telefax: (+41) 31 350 77 99
e-mail: [email protected]
www.bhm.ch
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 17.00 Uhr
Mittwoch
10.00 bis 20.00 Uhr
Bis 30. November 2003 ð
28
Verkehrsanbindungen:
Ab Bahnhof Bern
Tramlinie 3
(Richtung Saali) und
Tramlinie 5 (Richtung
Ostring) bis Haltestelle
»Helvetiaplatz«
•Bitterfeld
Volksaufstand.
Der 17. Juni 1953
in Bitterfeld-Wolfen
Metall-Labor
Bitterfeld-Wolfen
Zörbiger Straße 22a
06749 Bitterfeld
Telefon: (0160) 911 84 226
oder (0160) 911 92 132
e-mail:
[email protected]
Täglich von
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt frei
Bis 15. Dezember 2003
Verkehrsanbindungen:
Die Ausstellung ist in
10 bis 15 Minuten, zu
Fuß vom Bahnhof aus zu
erreichen. Der Weg ist
ausgeschildert. Vom
Busbahnhof vor dem Bahnhof
Bitterfeld fährt der Bus S
in Richtung Wolfen in
regelmäßigen Abständen.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
•Halle
Verbrechen der Wehrmacht.
Dimensionen des
Vernichtungskrieges
1941–1944
Tschernyschewskij-Haus
Moritzburgring 10
06108 Halle
Telefon: (0341) 96 28 63 0
Telefax: (0341) 96 28 63 1
e-mail: [email protected]
www.kulturpunkt13.de
Montag bis Donnerstag
10.00 bis 18.00 Uhr
Freitag bis Sonntag
10.00 bis 20.00 Uhr
14. November 2003 bis
11. Januar 2004
•Hamburg
Ein offenes
Geheimnis – Postund Telefonkontrolle in
der DDR
Museum für
Kommunikation
Gorch-Fock-Wall 1
20354 Hamburg
Telefon: (040) 35 76 36 0
Telefax: (040) 35 76 36 20
e-mail:
[email protected]
www.museumsstiftung.de ð
Dienstag bis Sonntag
9.00 bis 17.00 Uhr
Bis 2. November 2003
Gruppen mind. 2 bis
max. 20 Personen
Anmeldung:
(040) 35 76 36 17
Verkehrsanbindungen:
U-Bahn: U1 bis
Haltestelle
»Stephansplatz«,
U2 bis Haltestelle
»Gänsemarkt«.
S-Bahn: S11/S21/S31.
Bus: Linien 4, 5, 109, 112
bis Haltestelle
»Stephansplatz«
•Magdeburg
Der Russlandfeldzug
Napoleons 1812. Aquarelle
und Zeichnungen
Deutsche Jüdische
Soldaten. Von der Epoche
der Emanzipation bis zum
Zeitalter der Weltkriege
Landtag Sachsen-Anhalt
Domplatz 6-9
39104 Magdeburg
Telefon: (0391) 560 – 0
Telefax: (0391) 560 – 11 23
e-mail: [email protected]
18. November 2003 bis
15. Januar 2004
Neues Schloss
Paradeplatz 4
85049 Ingolstadt
Telefon: (0841) 93 77 0
Telefax: (0841) 93 77 200
www.bayerischesarmeemuseum.de
Dienstag bis Sonntag
8.45 bis 16.30 Uhr
Bis 26. Oktober 2003
Verkehrsanbindungen:
Ab Hauptbahnhof mit Bus bis
Haltestelle »Roßmühlstraße/
Paradeplatz«
•Potsdam
Wege zur
Freundschaft.
Ausgewählte
Zeugnisse der
deutsch-amerikanischen
Beziehungen
•Nürnberg
Widerstand in der DDR
Potsdam-Center am
Hauptbahnhof
Ab 8. November 2003
•Rasdorf
Grenzmuseum Rhön
»Point Alpha« e.V.
Festungen. Graphiken
und Bücher aus dem
Besitz des Bayerischen
Armeemuseums
Neues Schloß
Paradeplatz 4
85049 Ingolstadt
Telefon: (0841) 93 77 0
Telefax: (0841) 93 77 200
www.bayerischesarmeemuseum.de
Dienstag bis Sonntag
8.45 bis 16.30 Uhr
Bis 21. März 2004
Verkehrsanbindungen:
Ab Hauptbahnhof mit Bus bis
Haltestelle »Roßmühlstraße/
Paradeplatz«
1. Oktober bis
10. November 2003
Museum Industriekultur
Äußere Sulzbacher Str. 62
90317 Nürnberg
Telefon: (0911) 231-38 75
Telefax: (0911) 231-34 70
e-mail:
[email protected]
Dienstag bis Freitag
9.00 bis 17.00 Uhr
Samstag bis Sonntag
10.00 bis 18.00 Uhr
4. November bis
25. November 2003
•Osnabrück
Deutsche Jüdische
Soldaten. Von der Epoche
der Emanzipation bis zum
Zeitalter der Weltkriege
Graf-StauffenbergGymnasium OS
Gottlieb-Planck-Strasse 1
49080 Osnabrück
Telefon: (0541) 38 03 1-0/11
Telefax: (0541) 38 03 13 9 ð
Hummelsberg 1
36169 Rasdorf
Telefon: (06651) 91 90 30
Telefax: (06651) 91 90 31
www.pointalpha.com
Im Winterhalbjahr
täglich von
10.00 bis 17.00 Uhr
Im Sommerhalbjahr
täglich von
9.00 bis 18.00 Uhr
•Rastatt
Zwangsarbeit in der
Kirche während des
Zweiten Weltkriegs
Erinnerungsstätte für die
Freiheitsbewegungen in
der deutschen Geschichte,
Bundesarchiv,
Außenstelle Rastatt
Herrenstrasse 18/Schloß
76437 Rastatt
Telefon: (07222) 77 13 9-0
Telefax: (07222) 77 13 9-7
e-mail:
[email protected]
www.freiheitsmuseumrastatt.de
Dienstag bis Sonntag
9.30 bis 17.00 Uhr
Eintritt frei
20. November 2003 bis
12. Januar 2004
• Wilhelmshaven
Ringelnatz als Mariner
im Krieg 1914–1918
Deutsches
Marinemuseum
Wilhelmshaven
Südstrand 125
26382 Wilhelmshaven
Telefon: (04421) 41 06 1
Telefax: (04421) 41 06 3
e-mail:
[email protected]
www.marinemuseum.de
April bis September
9.30 bis 18.30 Uhr
Oktober bis März
10.00 bis 17.00 Uhr
12. Juli 2003 bis
11. Januar 2004
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
René Henn
•Ingolstadt
29
Oktober 1973
Geschichte kompakt
Der Yom-Kippur-Krieg
Unter dem Decknamen »Badr« (arabisch für Neumond) griffen die Streitkräfte Ägyptens und Syriens am 6. Oktober 1973,
inmitten des jüdischen Versöhnungsfestes »Yom Kippur« –
dem heiligsten aller jüdischen Feiertage – Israel und die von
Israel 1967 im Verlauf des Sechs-Tage-Krieges eroberten und
besetzten Gebiete im Süden und Norden an.
Die israelischen Streitkräfte wurden völlig überrascht,
hatten sie doch – ungeachtet von Geheimdienstinformationen
über große Truppenbewegungen – nicht mit einem Angriff
Golanhöhen (Israel), Mahnmal: zerstörter gerechnet, zumal der jüdische Feiertag mit dem moslemisyrischer Panzer (T-54) zum Gedenken schen Fastenmonat Ramadan zusammenfiel. Der zunächst
an den Yom-Kippur-Krieg erfolgreiche Angriff der arabischen Koalition war erst durch
Foto: akg-images / Jürgen Sorges
massive materielle Unterstützung der Sowjetunion möglich
geworden; die israelische Armee war ihrerseits von Rüstungslieferungen der USA abhängig.
Somit hatte der Konflikt bereits zu Beginn eine internationale Dimension. Die Rückeroberung
der 1967 besetzten Gebiete war das primäre Kriegziel der arabischen Verbündeten.
Den Israelis gelang es – nachdem sie ihren anfänglichen Schock überwunden hatten –
schnell, das verlorene Terrain zurückzuerobern. Im Norden standen die israelischen Panzerverbände schließlich 60 Kilometer vor der syrischen Hauptstadt Damaskus und im Süden reichte
die Angriffsspitze bis 100 Kilometer an die Metropole Kairo heran. Damit zeichnete sich ein
militärisches Desaster für Ägypten und Syrien ab. Außerdem drohte eine weltweite Rezession,
da die Organisation der Arabischen Erdölexportierenden Staaten (OAPEC) beschloss, die
Produktion und den Export von Erdöl zu reduzieren und »Israel freundliche« Länder völlig
zu boykottieren, bis Israel sämtliche besetzten Gebiete wieder räumte. Hinzu kam die sowjetische Drohung einer militärischen Intervention. Daher übten maßgeblich die USA massiven Druck auf die israelische Führung aus, um die Gegenoffensive zu stoppen. Diese willigte
schließlich am 24. Oktober 1973 in ein Waffenstillstandsabkommen ein. Die mit dem Einsatz
der »Ölwaffe« verbundene rasante Verteuerung des Rohstoffs war jedoch damit nicht mehr aufzuhalten. Eine weltweite Rezession war die Folge, von der sich die Industrienationen erst Jahre
später erholten.
Markus Wackerbeck
21. April 1993
Der Bundeswehr-Einsatz in Somalia
Bereits seit August 1992 leistete Deutschland humanitäre
Hilfe für Somalia, wo seit dem Sturz des Diktators Mohammed Siad Barre am 26. Januar 1991 Bürgerkrieg herrschte.
Doch schnell wurde der Ruf auch nach militärischem Beistand laut. Am 21. April 1993 beschloss das Bundeskabinett,
die UNO durch die Entsendung eines verstärkten Nachschub- und Transportbataillons nach Somalia zu unterstützen. Diese Kräfte sollten im Rahmen der humanitären Bemühungen der UNO in einer befriedeten Region bei Aufbau,
Unterstützung und Sicherstellung der Verteilerorganisation
Konvoi deutscher Soldaten der für Hilfs- und Logistikgüter mitwirken – so der Wortlaut des
UNOSOM II fährt durch Belet Huen Kabinettsbeschlusses. Der Deutsche Bundestag billigte den
Foto: BMVg/Detmar Modes
Beschluss am 2. Juli mit den Stimmen der Regierungskoalition. Danach wurde zügig mit der Verlegung des Hauptkontingentes von rund 1700 Soldaten
begonnen. Ein Vorauskommando war bereits im Mai nach Belet Huen, dem zukünftigen Stationierungsort, verlegt worden.
Die indische Brigade, die in der Region hätte eingesetzt und von den Deutschen logistisch
unterstützt und versorgt werden sollen, ist dort allerdings nie eingetroffen. Das Bundeskabinett
beschloss am 21. Dezember, die Beteiligung der Bundeswehr an UNOSOM II zum 31. März
1994 zu beenden. Es reagierte mit seiner Entscheidung auf die veränderte politische und militärische Lage in Somalia. Maßgeblich war der Beschluss der Vereinten Nationen, auf Antrag
der USA die Mission vorzeitig zu beenden. Vor dem Abzug der deutschen Einheiten kam es
jedoch noch zu einem ernsten Zwischenfall, bei dem die Wachsoldaten des Lagers einen somalischen Eindringling erschossen. Dessen Familie wurde daraufhin mit 3000 Dollar und zwei
Lastwagenladungen Holz abgefunden.
Ende Februar 1994 verließ der Kommandeur des deutschen Verbandes als letzter das Wüstencamp bei Belet Huen. Die Soldaten wurden kurzfristig von einem deutschen Verband aus
Kriegs- und Versorgungsschiffen über See aus dem unsicheren Hafen Mogadischu in den sicheren Hafen Mombasa in Kenia transportiert und von dort aus nach Deutschland geflogen. Die
Gesamtkosten des unplanmäßig verlaufenen Einsatzes beliefen sich auf 310 Mio. DM, von
denen rund 70 Mio. von den UNO erstattet wurden.
René Henn
30
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
Heft 4/2003
Service
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
Ü Vorschau
Die politische Wende 1989/90 beendete nicht nur
den Konflikt zweier deutscher Staaten und ihrer
Armeen, sondern auch den Kampf zweier Kontrahenten auf der Aschenbahn. Dieser hatte in der
Mitte der 60er Jahre begonnen, als die anfängliche
gemeinsame ost- und westdeutsche »Nationalmannschaft« ein Ende fand. Es begann ein verbissener
Kampf um öffentliches Ansehen und sportliches
Prestige. Wichtig schien hierbei nicht immer der
Sieg zu sein, sondern der Verweis des mißliebigen
Bruders auf die hinteren Plätze.
Olympische Winterspiele 1988: Siegerehrung auf
dem Olympic Plaza im Zentrum von Calgary. In der
Herren-Einsitzerkonkurrenz des Rennschlittenwettbewerbes verwies der NVA-Soldat Jens Müller den
Bundeswehrsoldaten Georg Hackl auf den zweiten
Platz. Dritter wurde Juri Chartschenko aus der UdSSR.
Foto: Bundesarchiv
Von Anfang an spielten sowohl in der DDR als
auch in der Bundesrepublik die Armeen eine wichtige Rolle bei der Förderung des Sportes. In der
DDR war diese weit stärker als in Westdeutschland
ausgeprägt. Als in der Bundesrepublik wegen der
Wehrpflicht auch sportliche Talente zum »Bund«
mussten, setzte man sich auch dort mit der Sportförderung auseinander. In Ostdeutschland dagegen
geschah dies aus einem anderen Grund. Hier stand
die bewusste Rekrutierung von Sportlern durch die
NVA im Vordergrund. Man wollte den Sportnachwuchs »selbst entwickeln und heranbilden«. Zu
diesem Zweck gab es Kinder- und Jugendabteilungen an den Standorten der Nationalen Volksarmee
sowie Patenschaften über Schulsportgemeinschaften.
In der nächsten Ausgabe der Militärgeschichte beschreibt Uta A. Balbier diese spannende Geschichte
des Kampfes zweier unterschiedlicher politischer
Systeme auf der Aschenbahn.
René Henn
Militärgeschichte im Bild
I
n der Geschichte der Bundeswehr
hat wahrscheinlich kein anderes
Waffensystem ein so nachhaltiges,
aber auch differenziertes Meinungsbild
hinterlassen wie das Kampfflugzeug
F-104 G mit der NATO-Bezeichnung
»Starfighter«. So ist im Weißbuch des
Jahres 1970 zu lesen: »Die Einsatzbereitschaft dreier Waffensysteme hat in
den letzten Jahren Anlass zu berechtigter Kritik und besonderer Besorgnis gegeben. Sie galten dem Starfighter 104 G,
dem Schützenpanzer HS-30 sowie den
fünf korrosionsanfälligen U-Booten.«
5 »Crash« einer F-104 am 31. Oktober 1969
General Flugsicherheit in der Bundeswehr
Im Zuge des Aufbaus der Luftwaffe
beschloss die Bundesregierung die Beschaffung eines neuen Kampfflugzeuges auf dem seinerzeitigen Stand der
Technologie, das in Westdeutschland
in Lizenz gebaut werden konnte; somit
sollte auch die deutsche Flugzeugindustrie den Anschluss an das technologische Know-how anderer NATOStaaten finden. In den Jahren 1957/1958
wurden deshalb 14 verschiedene Flugzeugmuster als mögliches zukünftiges
Kampfflugzeug durch die Luftwaffe
geprüft. Schließlich billigte der Verteidigungsausschuss des Bundestages
die Beschaffung von zunächst 300
Kampfflugzeugen des Typs F-104 G
»Starfighter« des US-Rüstungsherstellers Lockheed.
unter den klimatischen Bedingungen
in Europa nicht optimal, deshalb entwickelte Lockheed die G-Version (»G«
steht für Germany) für den Einsatz
im europäischen Luftraum. Die Luftwaffe forderte außerdem den Einsatz
des Flugzeuges als Mehrzweckkampfflugzeug. Es sollte die Optionen eines
Jagdbombers mit Nuklearwaffenkapazität, eines Aufklärers und eines
Allwetter-Abfangjägers bieten. Dazu
wurden umfangreiche Modifikationen
am Flugzeug vorgenommen. So wurde
der Rumpf zusätzlich verstärkt, um die
Stabilität des Flugzeuges zu erhöhen;
weiterhin wurden neue Navigationssysteme eingebaut. Insgesamt führten
die Nachrüstungsmaßnahmen zu einer
starken Gewichtserhöhung, die – angesichts der kleinen Tragflächen und
damit verbundenen extremen Flächenbelastung – hohe Anforderungen auch
an die Piloten stellte. Die ersten Maschinen des Typs wurde im Laufe des
Jahres 1961 den fliegenden Verbänden
der Luftwaffe, später auch der Marine
zugeführt. Sie stammten zunächst noch
aus amerikanischer Herstellung und
wurden später in Lizenz durch ein
deutsches Firmenkonsortium gebaut.
Nach einer Serie von Abstürzen mit
Todesfolge hatte der Starfighter mit
dem Ruf als »Witwenmacher« zu
kämpfen. Aufgrund der hohen Unfallzahlen musste im Frühjahr 1966 der
Inspekteur der Luftwaffe vor dem
Verteidigungsausschuss des Deutschen
Bundestages über die Flugsicherheitslage berichten (sogenannte StarfighterKrise) und am 24. März 1966 befasste
sich das Parlament in der »Starfighter-Debatte« mit den Ursachen der
hohen Unfallzahlen. Der Bundesregie-
BMVG
Lockheed F-104 G »Starfighter«
rung wurde vorgeworfen, bei dem
Beschaffungsprogramm nicht mit der
gebotenen Sorgfalt gehandelt zu haben.
Diese beharrte auf dem Standpunkt,
dass das Waffensystem im NATO-Vergleich mit der Gesamtnote »Gut« abgeschnitten hatte, und hielt am Starfighter
fest. Es blieb jedoch die Notwendigkeit
für das fliegende und das technische
Personal, den großen technologischen
Sprung von den bei ihrer Einführung
bereits veralteten Vorgängermustern
F-84 und F-86 zu vollziehen. Erst nach
einer längeren Phase des Erfahrungsgewinns sowie systematischer Fehlersuche und -analyse, die alle Bereiche
des Waffensystems umfasste und deren
Ergebnisse mit der zentralen Autorität
des Bundesverteidigungsministerium
vor Ort umgesetzt werden mussten,
»normalisierte« sich die Unfallrate.
Ungeachtet der Abstürze war der Starfighter bei vielen Bundeswehrpiloten
wegen seiner herausragenden fliegerischen Leistungsfähigkeit sehr beliebt.
Im Jahre 1970 gab das Bundesverteidigungsministerium erstmals die genaue
Zahl der Abstürze bekannt und teilte
mit, dass seit der Einführung des
Waffensystems – insgesamt waren 700
Flugzeuge geordert worden – bis zum
1. April 1970 insgesamt 118 Maschinen
verloren gegangen waren; dabei hatten
57 Piloten ihr Leben verloren. Bis zur
Außerdienststellung des Starfighters
im Jahre 1991 erhöhte sich die Zahl der
Abstürze auf 292, wobei 110 Piloten
den Tod fanden.
Markus Wackerbeck
6 Lockheed TF-104 G c/n 5736 des Jagdbombergeschwaders JaboG 33 mit
Übungsbomben und Startbehälter für ungelenkte Raketen
Fliegerrevue / Zeichnung M. Meyer
Der Starfighter wurde als F-104 A in den
fünfziger Jahren als leichter Schönwetter-Abfangjäger für die US Air
Force entwickelt. Die frühen Versionen der F-104 waren für den Einsatz
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2003
31
NEUE PUBLI K AT I O N E N
des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes
K
Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts.
Im Auftrag des
Militärgeschichtlichen Forschungsamtes
herausgegeben von
Bernhard Chiari, Matthias Rogg und Wolfgang Schmidt
München: Oldenbourg 2003, X, 654 S.,
(= Beiträge zur Militärgeschichte, 59)
ISBN: 3-486-56716-0
49,80
rieg, Militär und Film stehen
in einer engen, komplexen
Verbindung zueinander.
Kaum ein anderes Medium hat die
Erinnerung und Wahrnehmung von
organisierter Gewalt und Krieg im
20. Jahrhundert mehr geformt als der
Film. In international vergleichender
Perspektive wird in diesem Buch das
Spannungsverhältnis zwischen dem
Film als einem Medium der Unterhaltung
und der politischen Meinungsbildung
beleuchtet. Die interdisziplinäre Stellung
des Films und methodische Fragen
kommen ebenso zur Sprache wie die
Rezeption im Ersten Weltkrieg und in
der Weimarer Republik, die Affinität von
Militär und Film im Nationalsozialismus
sowie die katalytische Funktion von
Militär- und Kriegsfilmen im Kalten
Krieg. Das Spektrum der Betrachtung
reicht von militärspezifischen Inhalten
über Fragen der narrativen Konstruktion,
der cineastischen Form bis zu den
Mechanismen der politischen
Instrumentalisierung und
gesellschaftlichen Wirkung.