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über Europa 1939 – 1945
Die Angst im Nacken
Dr. Manuel Wolf
Über den Autor
Dr. Manuel Wolf (Jahrgang 1957) hat zwölf Jahre lang weltweit intensiv recherchiert, akribisch Augenzeugenberichte ausgewertet, Zugang
zu Privatarchiven erhalten, überlebende Piloten und Zeitzeugen befragt, ein umfassendes Literaturstudium betrieben und sich mit Luftkriegsexperten aus ganz Europa ausgetauscht. Das Buch „Luftkrieg über Europa 1939 – 1945: Die Angst im Nacken“ ist seinem Vater gewidmet, der
als junger Jagdflieger die letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges mit viel Glück überlebte.
Dr. Manuel Wolf
Luftkrieg über Europa 1939 – 1945: Die Angst im Nacken
Noch nie gab es ein so umfassendes, detailreiches und zugleich fesselnd geschriebenes Werk über den Luftkrieg über Europa. Nun legt der
Autor seine gründlich überarbeitete Neuauflage vor.
Das Buch beschreibt den Luftkrieg über allen wichtigen Kriegsschauplätzen Europas. Objektiv und fundiert, gleichzeitig aber spannend und
lebendig werden die historischen Abläufe anhand von Fakten, Einblicken in die Lebensläufe von Piloten sowie zeitgeschichtlich orientierten
Kapiteln geschildert. Mit einer Fülle von detaillierten Informationen wird der militärische Gesamtkontext und Verlauf der Kampfhandlungen
am Boden und in der Luft verständlich und exakt beschrieben. Sämtliche wichtigen Flugzeugtypen werden dargestellt und ihre Unterschiede
im Hinblick auf ihre Leistungsdaten in einer bisher weltweit in dieser umfassenden Form unveröffentlichten und einzigartigen tabellarischen
Auflistung – untereinander vergleichbar – in 1.000-Meter-Höhenschritten dargelegt. Die Datensammlung umfasst die Kennungen der an
den Geschehnissen beteiligten Flugzeuge, es werden aber auch die Abschussmeldungen und Verluste an einzelnen Kampftagen übersichtlich
aufgeführt. Das Buch beschreibt wegbereitende technische Entwicklungen sehr verständlich und schildert Luftkämpfe packend und präzise.
Äußerst realistische Farbdarstellungen über die Luftkämpfe vermitteln eindrucksvoll deren Dramatik. Selbst jahrelang kontrovers diskutierte
Fragen, wie die Plausibilität von nach Augenzeugenberichten durchgeführten, von US-Stellen aber vehement bestrittenen amerikanischen
Tieffliegerangriffen in der südlichen Umgebung Dresdens nach dem verheerenden Luftangriff im Februar 1945, werden einer verblüffend
logischen Erklärung zugeführt.
Dieses Buch mit mehr als 700 Fotos, farbigen Flugzeugprofilen, Karten und detailgetreuen Szenarien ist ein hervorragendes Zeitdokument
und zugleich fesselnde Lektüre – ein neues Standardwerk und ein Muss für jeden zeit- und militärhistorisch interessierten Leser!
Auszüge aus Kundenrezensionen bei amazon.de:
„Klare Kaufempfehlung! Zuerst einmal muss ich sagen: Wow! Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass ein neues Standardwerk
zum Thema‚ Luftkrieg über dem Europa des Zweiten Weltkriegs‘ geschrieben wurde. […] Dieses Buch bekommt einen würdigen Platz in
meiner Bibliothek und wird mir noch lange als geschichtliches und technisches Nachschlagewerk wie auch als spannende Lektüre dienen.
Ganz klar 5*****!“
Leseexemplar
„Dieses Buch ist jeden Cent wert! Dieses Buch ist wirklich jeden Cent wert. Es ist mit einer unglaublichen Detailfülle versehen, welche
ihresgleichen sucht. Dabei ist das Werk auch noch spannend geschrieben und – was mich besonders berührt – außergewöhnlich einfühlsam.
[…] Etwas Besseres über diese Materie habe ich noch nie gelesen.“
„Ein Standardwerk der besonderen Art. Ich wurde über Bekannte auf dieses Buch aufmerksam und bin begeistert. […] Fazit: Wer eine
trockene und distanzierte Abhandlung sucht ohne jegliches Gefühl, der ist hier falsch am Platze. Wer aber ein tolles Buch mit einer faszinierenden Mischung aus unglaublich viel Fachwissen kombiniert mit lebendigen Schilderungen von Schicksalen lesen möchte, der wird es nicht
mehr aus der Hand legen. Ich habe den Kauf keine Sekunde bereut!“
„Absolute Kaufempfehlung. Ich habe selten so ein Buch gesehen, das derart detaillierte Informationen in solcher Klarheit und Übersicht
darstellt. Wer an diesem Thema interessiert ist, kommt da nicht vorbei! Dem Verfasser gebührt größtes Kompliment!!!“
Leseprobe: www.dr-wolf-verlag.de
inhalt
Inhalt
Vorwort8
1. Der Geist aus der Flasche
17
Operation „Torch“ – die alliierte
Landung in Französisch-Nordafrika
284
Operation „Husky“ – die Invasion Siziliens
293
Vom Versailler Vertrag über die Entstehung der Luftwaffe, die
Grundzüge des damals modernen Luftkrieges, den spanischen
Bürgerkrieg, die Feldzüge gegen Polen, Norwegen und Frankreich bis zur Luftschlacht um England.
Der Angriff auf Ploeşti
303
Die Invasion des italienischen Festlandes –
der Golf von Salerno
318
Der Polenfeldzug
32
Verbesserte und neue deutsche Bomber
326
Sowjetisch-finnischer Winterkrieg
43
Angriffe auf alliierte Konvois
332
„Drôle de guerre“ – der ulkige Krieg
44
Die Giftgas-Tragödie von Bari
333
Der Kampf um Norwegen
52
Der mühsame Vorstoß nach Norden
334
Der „Fall Gelb“ 62
Von Berg zu Berg im Fegefeuer bis zur Hölle
337
„Battle of Britain“ – die Luftschlacht um England
80
Monte Cassino – der Berg des Todes
346
Die bronzene Göttin – des Rätsels Lösung
352
Operation „Shingle“ –
die Landung bei Ánzio und Nettuno
353
Die Moral
360
2. Der „Stern von Afrika“
136
Hans-Joachim Marseille und der Afrikafeldzug.
3. Das verhinderte Jagdflieger-Ass
184
Der erstaunliche Weg des Hans-Ulrich Rudel an allen Brennpunkten der „Ostfront“ über die Versenkung der „Marat“ vor Leningrad, den Winterkampf vor Moskau, die Schlacht um Stalingrad,
die Operation „Zitadelle“ bei Kursk, die sowjetische Rückeroberung der Ukraine, den Kessel von Tscherkassy, den Kampf um
Ungarn, die Oderbrücken. Schließlich die letzte Schlacht vor Berlin gegen die Rote Armee an den Seelower Höhen.
4. „Big Brother is helping you“
224
Die immensen Hilfslieferungen der USA an Waffen und Material
für die Sowjetunion (Leih- und Pacht-Abkommen/„lend-leaseagreement“). Die Eismeer-Konvois nach Murmansk, der KubanBrückenkopf, sowjetische Jäger und ihre Einsatzmethoden.
5. Der Flirt mit dem Jenseits
246
Lidiya Litvyak. Der tödliche Einsatz junger Frauen im Cockpit.
Wunderwaffen314
Straßen, Matsch und Schiffsgranaten
365
15 Tonnen Sprengstoff für jeden Deutschen
366
Operation „Strangle”
370
Operation „Diadem“
373
Ruhm und Rom
377
Aeronautica Nazionale Repubblicana (ANR)
380
Ugo Drago
385
Torpedobomber389
8. Schlachtflieger Die sowjetische Rückeroberung der Krim. Der Einsatz von Jagdbombern im Luftkampf.
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
264
Die dornenreiche Geschichte der „Fliegenden Festungen“.
Die „Flying Fortress”-Story
264
Der Einsatz am 17. April 1943 gegen Bremen
270
Ye Olde Pub
280
7. „Ich hoffe, bis an mein Lebensende
niemals wieder einen Berg zu sehen!“
284
Von der Landung der Alliierten in Französisch-Nordafrika über
Sizilien quer durch Italien. Der verhinderte Giftgaseinsatz. Ferngelenkte Bomben als Vorläufer der „cruise missiles“.
404
Die Invasion. „Das also ist der größte Augenblick in der Geschichte
der Luftwaffe“ (Pips Priller).
Die deutsche Luftwaffe Leseexemplar
6. „Da fiel Feuer vom Himmel und fraß“
394
10.Sturmjäger – die Curassiere der Luft
411
436
Der Einsatz stark gepanzerter Jagdflugzeuge in geschlossener
­Formation gegen Bomberpulks.
11.Sodom und Gomorrha –
die Allmacht am Stabsschreibtisch
458
Der Luftkrieg bei Nacht – das aussichtslose Aufbäumen der Nachtjägerbesatzungen gegen die Zerstörung. Der technische Wettlauf
beider Seiten im Dunkeln – und der Untergang der deutschen
Städte im Bombenhagel des britischen Bomber Command. Die
Tragödien von Coventry, Hamburg, Dresden - und danach! Ein
Mann namens Harris und ein anderer namens „Meier“ ...
3
Inhalt
12.Die „russische Dampfwalze“
502
Operation „Bagration“: die sowjetische Sommeroffensive 1944 –
ein Tsunami auf Ketten.
13.Benzin – das Blut in den
Adern der Luftwaffe
520
Die Luftoffensive der amerikanischen Bomber gegen die deutsche
Treibstoffindustrie, exemplarisch dargelegt am Beispiel des 2. November 1944.
14.Schnellkurs zum Sterben –
in den Tod gejagt
538
Der Aderlass an unverantwortlich hastig ausgebildeten Nachwuchsjagdfliegern gegen eine vielfache Übermacht, exemplarisch
dargelegt anhand des 21. November 1944.
15.Die fliegenden Scheunentore
550
Die Entwicklungsgrenzen der deutschen Jagdflugzeugkonstruktionen durch den Druck der erforderlichen Massenproduktion
(„Jägernotprogramm“) und die Entwicklung alliierter Langstreckenjäger (beispielsweise der Lockheed P-38 „Lightning“) mit
Reichweitentabelle je nach Kriegsverlauf. Abwehreinsatz der deutschen Luftwaffe am 18. Dezember 1944.
16.„So sicher wie in England.“
Der Angriff aus dem Nichts
562
Die Brücke von Eller
580
586
Das Wetter klart auf, die alliierten Luftstreitkräfte schlagen mit
Macht zurück. 23. Dezember 1944.
18.Stille Nacht, Über-Macht –
ein Strom von 300 Kilometern Metall
Das Desaster über Asch
633
Der Triumph über Evère
644
21.Die tödliche Stechmücke aus Holz
Die Angriffe der schnellen de Havilland „Mosquito“-Bomber
gegen deutsche Schiffe vor Norwegen. Leirvik, 15. Januar 1945:
die Versenkung eines gesunkenen Frachters.
22.„Reichsverteidigung“ –
mit dem Rücken an der Wand
670
23. Januar 1945. Die Alliierten können nun am Himmel über
Deutschland tun und lassen, was sie wollen – und vom Himmel
aus am Boden.
678
Der Glaube versetzt Berge, doch Kriege gewinnt er nicht. Vom
„Volkssturm“, der ersten Drohnenbombe „V1“ über die erste
Fernrakete „V2“ zum ersten Strahlbomber Arado Ar 234 im
Kampfeinsatz – ab dem 9. März 1945 über der Brücke von Remagen. „Selbstopfer“-Aufruf Görings.
Vergeltungswaffe „V1“
680
Vergeltungswaffe „V2“
684
Die letzte Hoffnung im Westen –
der Schicksalsfluss Rhein
686
Die Brücke von Remagen
689
Düsenflieger 692
Mit Blindheit geschlagen
697
596
Leseexemplar
Für „Führer, Volk und Vaterland“
620
703
Materialermüdung711
Dammbruch711
24.Düsenjäger – Deutschlands
letzter Triumph am Himmel
Der schwarze Tag der „Langnasen“ des Jagdgeschwaders 54.
4
658
Düsenbomber699
24. Dezember 1944. Der heftigste Ansturm aus der Luft gegen die
sich verzweifelt behauptende deutsche Luftwaffe in der Geschichte
der Reichsverteidigung.
19.Feindliche Tiefflieger im
Planquadrat Friedrich-Quelle
630
Der Überraschungsschlag der deutschen Jagdwaffe am Neujahrsmorgen des 1. Januar 1945 gegen alliierte Flugplätze in Holland
und Belgien ist der letzte Großeinsatz deutscher Jäger. Selbst die
eigenen Flugabwehrkanoniere (Flak) sind durch überzogene Geheimhaltung uninformiert und daher überrascht – ein erheblicher
Teil der deutschen Verluste ist ihnen zuzuschreiben. Nach diesem
tragischen Einsatz ist das Schicksal der deutschen Luftwaffe endgültig besiegelt.
23.Wunderwaffen
Der Vorstoß der Alliierten aus dem Brückenkopf in der Normandie, der Kessel von Falaise. Die Landung in Südfrankreich bis zur
Ardennenoffensive der deutschen Wehrmacht. Der Luftkampf
um die Moselbrücken am 23. Dezember 1944.
17.Der Himmel voller Geigen
20.Unternehmen „Bodenplatte“ –
der Pyrrhus-Sieg am Morgen danach
716
Die legendäre Messerschmitt Me 262 – der erste einsatzfähige und
eingesetzte Düsenjäger der Welt. Sie sind zu wenige, und sie kommen viel zu spät, um das Blatt noch wenden zu können. Doch ein
letztes Mal verschafft sich die deutsche Luftwaffe gehörig Respekt im
eigenen Luftraum – ab 18. März 1945 zudem mit den ersten erfolgreich angewandten und als solche entwickelten ungelenkten LuftLuft-Raketen der Kriegsgeschichte (Flugkörper vom Typ „R4M“).
inhalt  
25.„Schwarz bleibt schwarz
und Blödsinn bleibt Blödsinn!“
736
Autoritär und Autorität sind nicht dasselbe! „Verluste, durch Dusseligkeit hervorgerufen, können und wollen wir uns unter gar keinen
Umständen mehr leisten!“ (Oberleutnant Dortenmann).
26.Ausgekurvt
umfasst die britischen und mit ihnen verbündeten Commonwealth-Piloten, die französischen, US-amerikanischen und sowjetischen Piloten) ist der Russe Ivan Kozhedub mit 62 Abschüssen.
28.„Jawohl, Genosse Kommandeur!“
756
Das tödliche Vergleichsfliegen der modernsten alliierten und
deutschen Kolbenmotorjägerkonstruktion. Die Focke-Wulf
Ta 152 und die Hawker „Tempest“, jeweils als Neukonstruktion und nicht als Weiterentwicklung betrachtet, sind die letzten
propellergetriebenen Höchstleistungen der Konstrukteure im
Kampfeinsatz Jäger gegen Jäger. Am 14. April 1945 kommt es
zum Duell.
27.Das Ass der Asse
766
Erich Hartmann ist mit 352 Abschüssen – gemessen an der Zahl
der Luftsiege – der mit Abstand erfolgreichste Jagdflieger aller Zeiten. Der in dieser Hinsicht erfolgreichste alliierte Jägerpilot (dies
778
Am Abend des 8. Mai 1945. Das tragische Ende des möglicherweise letzten durch deutsche Jäger abgeschossenen Piloten im
Zweiten Weltkrieg.
Anhang784
Flugleistungen der wichtigsten Flugzeuge
784
Quellenverzeichnis822
Bildquellenverzeichnis825
Register827
Leseexemplar
Berlin: Die Sowjetmacht paradiert um den zertrümmerten Reichstag. Es ist vorbei.
5
Sehr geehrter Herr Dr. Wolf,
meine Überraschung war infolge des unerwarteten Umfanges
Ihres Buches sehr groß, und ich
denke, niemand wird so richtig
ermessen können, wie viel Mühen und Arbeit Sie in Ihre Recherchen investieren mussten,
um eine so umfassende Darstellung des Luftkrieges bei uns zu
Papier zu bringen. Wie Sie dies
alles neben Ihren beruflichen
Verpflichtungen „auf die Reihe“
bekommen haben, ist mir ein
Rätsel und nötigt mir Respekt
und Hochachtung ab.
Eine kursorische Durchsicht
hat mich davon überzeugt,
dass Sie sehr sorgfältig mit den
historischen Fakten umgegangen sind. Dies gilt vor allem für
die Ereignisse des 24.12.1944,
denen ich verständlicherweise besondere Aufmerksamkeit
gewidmet habe. Ich kann Ihnen aufrichtig zu der objektiven
Berichterstattung der Ereignisse dieses Tages gratulieren,
Leseexemplar
Inhaltreferenz Inhalt
weil sie sehr nachhaltig in meinem Gedächtnis wach sind.
Ich wünsche Ihnen und hoffe
mit Ihnen, dass das Buch eine
weite Verbreitung findet, um
nicht nur Ihre Arbeit zu würdigen, sondern insbesondere Ihrer
Zielsetzung zu dienen, dass sich
ein Krieg – gleich welcher Art
und gleich welchen Ausmaßes –
nie mehr wiederholen möge. Ob
die Menschen an verantwortlicher Stelle dies indessen bedenken werden, muss nach aller Erfahrung leider bezweifelt werden.
Mit allen guten Wünschen für
Sie und Ihre Familie und freundlichen Grüßen
bin ich Ihr Victor Heimann
Oberfähnrich Victor Heimann, 8. Staffel
des JG 300, in Löbnitz im Oktober 1944
Leseexemplar
Vorwort
Vorwort
Dieses Buch ist meinem Vater gewidmet,
Gottfried Wolf.
Mein Vater wurde im Zweiten Weltkrieg zum Jagdflieger ausgebildet und flog die Messerschmitt Bf 109 G-6. Als er die Flugzeugführerschule verließ, wollte er wie alle jungen Piloten der damaligen
Zeit fliegen und kämpfen. Er wollte sich „ehrenhaft, aufrecht und
tapfer“ für sein Vaterland bewähren ...
Mein Vater beendete seine Ausbildung zum Jagdflieger am 31.
Januar 1945 in einer Zeit, als der Ausgang des Krieges bereits unabwendbar war. Ein Tieffliegerangriff amerikanischer P-51 „Mustang“Jagdflugzeuge auf den Ausbildungsflugplatz des Schulungs-Jagdgeschwaders 104 – eine Graspiste bei Buchschwabach in der Nähe von
Fürth – hatte es den Flugschülern im Januar 1945 bereits anschaulich
vor Augen geführt. Es gab keinen Ort in Deutschland mehr, an dem
man oberhalb des Erdbodens noch sicher war.
Zu dieser Zeit wurden in den Jagdschulen Aufrufe verlesen, mit
denen die jungen, immer noch begeisterten Piloten zu letzten Verzweiflungseinsätzen gegen die alliierte Übermacht bewegt werden
sollten. Dazu gehörten Rammeinsätze gegen feindliche Bomber
oder „Selbstopfer“-(Selbstmord-) Einsätze gegen die Oderbrücken.
Die jungen Männer wollten fliegen – buchstäblich um jeden Preis!
Kaum einer, der sich nicht bereit erklärt hätte.
Doch viele der hochmotivierten Piloten wurden schlichtweg verschaukelt. Nur ein Teil von ihnen wurde tatsächlich mit Flugzeugen
ausgerüstet und in den chancenlosen Luftkampf geschickt. Der Rest
wurde im Erdkampfeinsatz bei Nürnberg und gegen die Rote Armee
ganz einfach „verheizt“. Sinnloses „Draufgehen“ war das eine wie das
andere, doch als Landser (Infanteriesoldat) waren die Männer nicht
ausgebildet. Im Erdkampf hatten sie keine Erfahrung, noch weniger
eine Chance – und dazu hatten sie sich nicht gemeldet.
So drohte auch meinem Vater zusammen mit zwei anderen Flugzeugführern der Erdeinsatz gegen sowjetische Panzer. Mein Vater
wusste, dass ein solcher Einsatz mit Sicherheit den Tod bedeutet hätte. Doch nun waren sie in der Nähe von Berlin angekommen, wohin
man sie zum „Einsatz“ gebracht hatte. Die russische Front war nicht
weit. Was jetzt?
Also führte er seine zwei Kameraden auf abenteuerlichen Umwegen zu einem Flugplatz, von dessen Platzkommandanten er sich
Hilfe versprach. Ohne gültigen Marschbefehl konnte dies in jenen
Tagen sofortige Aburteilung bedeuten. Prompt liefen sie in einem
Ort an einem vergitterten Kellerfenster vorbei, aus welchem traurig
ein junger Soldat blickte und auf entsprechende Fragen hin den drei
Luftwaffenpiloten erklärte, dass er ohne Papiere aufgegriffen worden
sei und auf seine Hinrichtung warte. Das war klar und deutlich!
Mit knapper Not entgingen sie einer Militärkontrolle – als sie um
eine Biegung kamen, lag ein Dorf vor ihnen, voll mit Waffen-SSSoldaten. Am Ortseingang standen Feldjäger – Militärpolizei! Es
wäre aufgefallen, wenn sie nun umgedreht hätten. Im letzten Moment hörten die drei das charakteristische Pfeifen hochgezüchteter
Flugzeugmotoren in der Luft. Das Dorf wurde von Tieffliegern angegriffen, sodass jedermann in Deckung sprang. Dies ermöglichte
den drei Piloten ein Entkommen in den angrenzenden Wald.
Nach einiger Zeit liefen die drei an der Biegung eines Waldweges
zwei Offizieren in die Arme. Sie identifizierten sich als Jagdflieger
auf dem Weg zu einem Flugplatz – wahrheitsgemäß. Die Frage nach
dem Marschbefehl musste mein Vater verneinen. Doch einer der beiden Offiziere hatte ein Einsehen. Mit wissendem Blick stellte er die
Papiere aus!
Auf dem Flugplatz angekommen, wurden die drei Piloten stürmisch
empfangen. „Sie schickt der Himmel, ich habe hier einige Maschinen mit
kriegswichtigem Material, das darf den Russen nicht in die Hände fallen!
Aber keine Piloten!“ So startete mein Vater mit einer zweimotorigen
Maschine nach Hof in Bayern. Eine Zwischenlandung zum Auftanken
Leseexemplar
Buchschwabach bei Nürnberg.
8
Erklärung des Verfassers
musste unterbleiben – der Flugplatz war soeben von Jagdbombern angegriffen worden, das Rollfeld unbrauchbar. Wäre der Angriff nur fünf
Minuten später erfolgt – die unbewaffneten, schwerfälligen und voll
beladenen Transportflugzeuge wären ein einfaches Opfer feindlicher
Jäger geworden. Als mein Vater schließlich in Hof landete, wurde er
aufgeregt angewiesen, sofort in Deckung zu rollen. Es seien Tief­f lieger
gemeldet. Doch es war nicht möglich, die Maschine vom Rollfeld zu
bringen. Die Landung war mit dem letzten Tropfen Sprit erfolgt, im
Ausrollen setzten die Motoren aus. Wenig später erfolgte der Tief­
angriff, und die Maschine ging in Flammen auf. Doch mein Vater,
der nie wirklich zum Jagdeinsatz gekommen war, lebte.
Erklärung des Verfassers
Es gibt in keinem Krieg der Welt einen Sieger.
Es gibt nur Verlierer.
Der erste, größte und unwiderruflich endgültige Verlust
ist der Verlust der Unschuld.
Ich war nicht dabei – Gott oder wem auch immer sei Dank. Doch
meine Vorstellungskraft genügt, um wenigstens den Teil des Horrors
nachempfinden zu können, der „vom grünen Tisch“ aus nachempfindbar ist.
Nichts liegt mir ferner, als irgendetwas an den geschilderten
Schicksalen, Ereignissen und Sachverhalten zu beschönigen, zu heroisieren oder zu pathetisieren. Dies bezieht die dargestellten Symbole auf den Seitenleitwerken der Flugzeuge ausdrücklich mit ein.
Der Verfasser hat leider keinen Einfluss darauf, dass diese Symbole
damals nun einmal an den entsprechenden Stellen der Rümpfe aufgemalt waren.
Wer auch immer sich berufen fühlen möchte, von „Schuld“ zu reden – Schuld welcher Seite auch immer – der möge sich vor Augen
halten, welche seelischen Schutz– und Verdrängungsmechanismen in
einem Menschen ablaufen müssen, der tagtäglich mit dem größtenteils
grausamen Tod seiner Nächsten, Kameraden wie Gegner, konfrontiert
wird. Der dies irgendwie in sich verarbeiten – oder abspalten muss.
Und der selbst demselben gewaltsamen Tod Tag für Tag ins Auge
sieht.
Der zweite Verlust ist der Verlust der Achtung vor dem Leben
und dem Recht auf Unversehrtheit des Anderen.
Wenn in den Texten Gefühle des Lesers angesprochen werden, so
dient dies der Dramaturgie und dem Bemühen, eine Zeit lebendig
werden zu lassen,
die sich – Gott gebe es – nie wiederholen werde!
Oberst Lützow inspiziert Flugschüler.
Zum Zeitpunkt des Aufrufes zum „Sonderkommando Elbe“ hat Lützow
nicht mehr den Einfluss, derartige Opfer verhindern zu können.
Die in Relation zu den hohen Flugzeugverlusten geringe Zahl an
sowjetischen Toten erklärt sich unter anderem durch den hohen Anteil
an einsitzigen, maximal zweisitzigen Flugzeugen, während ein einziger
viermotoriger B-17-Bomber der Amerikaner bis zu 10 (durchschnittlich 9) Besatzungsmitglieder in den Tod reißen kann.
Verluste alleine
der deutschen Jagdflieger hierbei:
Deutsche Luftwaffe: ~11.200 Abschüsse deutscher Jagdflieger
im Zweiten Weltkrieg:
Alliierte Flugzeuge (RAF/USAAF): Sowjetische Flugzeuge (VVS): (Unter dem Begriff „Verlust“ ist zu verstehen: gefallen, vermisst oder
in Gefangenschaft geraten)
80.588 Mann
Deutsche Luftwaffe: 79.281 Mann
Britische Royal Air Force (RAF): 79.625 Mann
US Army Air Force (USAAF): ~39.000 Mann
Sowjetische Luftstreitkräfte (VVS): ~25.000 Abschüsse
~45.000Abschüsse
erzielt durch die Jägerpiloten der deutschen Luftwaffe. Davon geben
die Nachtjägerbesatzungen 5.729 Abschüsse an, von denen ~5.000 der
Realität entsprechen dürften, welchen überwiegend britische Bomber
zum Opfer fielen. Die übrigen Abschüsse wurden von Tagjagdpiloten
erzielt. Die nachstehenden Gesamtverluste an Flugzeugen enthalten unter anderem auch die Abschüsse durch Flugabwehrkanonen
(Flak). Alleine die deutschen Kanoniere melden während des Krieges
~20.000 Abschüsse.
Leseexemplar
Verluste an Piloten und Besatzungen
im Zweiten Weltkrieg:
Mann
Verluste an Flugzeugen
der Luftwaffe, RAF, USAAF, VVS:
Deutsche Luftwaffe: Britische Royal Air Force (RAF): US Army Air Force (USAAF): Sowjetische Flugzeuge (VVS): ~16.400 Flugzeuge
~22.000Flugzeuge
~18.000 Flugzeuge
~46.100 Flugzeuge
Quellen:

Fliegerblatt, Gemeinschaft der Flieger deutscher Streitkräfte e.V. / Ausgabe Nr. 4/2006

mittelbar (hier zitiert): „Zeitgeschichte: Der Zweite Weltkrieg“

mittelbar (hier zitiert): „ Clash of Wings“ / Walter Boyne

„Deutsche Jagdflugzeuge 1939-1945 in Farbprofilen“ / Bernard & Graefe Verlag 1999 / Claes
Sundin und Christer Bergström.

mittelbar (hier zitiert): „Die Ritterkreuzträger der Luftwaffe Band 1 – Jagdflieger 1939 – 1945“ /
Ernst Obermeier
9
Im Gedenken an Walter Oesau
Im Gedenken an Walter Oesau
11. Mai 1944. Oberst Walter Oesau ist ein geachteter Mann. Ein
Jagdfliegerpilot mit immerhin 127 Abschüssen. Er ist Kommodore
des Jagdgeschwaders 1. Walter Oesau ist bekannt für seinen Mut und
Kampfgeist. Adolf Galland nennt ihn anerkennend einen „zähen und
glänzenden Kämpfer in der Luft“.
Walter Oesau gilt in jenen Zeiten als ein „Held“.
Im Mai 1944 ist Walter Oesau nach jahrelangem Kampf seelisch
und körperlich angeschlagen. Doch er kämpft weiter. Traurig und
desillusioniert. Als er eines Tages aus einer Besprechung zurückkommt, vertraut er einem Kameraden an, dass er den Krieg nicht
überleben wolle. Er habe von einigen „Sachen“ erfahren, die er nicht
weitergeben dürfe und wolle, sonst würde sein gesamtes Geschwader
den Kampfeswillen verlieren! Wir wissen heute, was er meinte, was
damals allerdings die meisten noch nicht wussten.
Oesau kämpft. An jenem 11. Mai 1944 aber hat er hohes Fieber.
Eine Grippe fesselt ihn ans Bett.
Sein Geschwader startet, als – wieder einmal – etwa 1.000 schwere
amerikanische Bomber und ebenso viele US-Begleitjäger Eisenbahnanlagen in Frankreich angreifen, um die geplante alliierte Invasion
vorzubereiten. Die deutschen Jagdmaschinen sind im Anflug auf den
weit übermächtigen feindlichen Verband, als auf dem Fliegerhorst
das Telefon läutet. Reichsmarschall Hermann Göring, Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe, ist am Apparat und fragt, wie der
Stand der Dinge sei.
„Ist der Kommodore in der Luft?“
„Nein, er liegt mit Fieber im Bett!“, erhält Göring zur Antwort.
„Ja, das kenne ich schon!“, kommt es verächtlich zurück, „er ist also
auch müde und feige ...!“
Als Oesau dies erfährt, hält ihn nichts mehr im Bett. Trotz hohen
Fiebers steigt der junge Oberstleutnant in sein Messerschmitt Bf 109
G-6/AS-Jagdflugzeug (13 , Werknummer 20601) und fliegt seinem
Geschwader hinterher. Er, müde und feige? Das kann Oesau nicht
auf sich sitzen lassen!
In der Nähe des belgischen Städtchens St. Vith trifft der Kommodore auf den feindlichen Verband. Er versucht, die amerikanischen
Begleitjäger des Bomberverbandes anzugreifen. Zwei P-51 „Mustangs“ und mindestens vier P-38 „Lightnings“ nehmen das deutsche
Jagdflieger-Ass in die Zange.
Oesau greift zu allen Tricks, wehrt sich gekonnt und verbissen
mit der Erfahrung aus über 300 Kampfeinsätzen. Das Duell gegen
eine vielfache Übermacht dauert immerhin 20 Minuten, in denen
sich der Kommodore noch behaupten kann. Der Kampf, der in etwa
8.500 Meter Höhe begonnen hatte, endet knapp über den Gipfeln der
Bäume in den bewaldeten idyllischen Hügeln der Ardennen.
Dann ist es vorbei. Offenbar versucht Oesau noch eine Notlandung, als ein letzter Feuerstoß das Cockpit seiner Messerschmitt
trifft. Man findet seinen Körper in einigem Abstand zum zerschmetterten Wrack des Jagdflugzeuges. Walter Oesau ist tot.
Er hat bewiesen, dass er weder müde noch feige war.
Zum Dank dafür wird sein Geschwader später
seinen Namen tragen.
Walter Oesau ist ein Held.
Ein tragischer Held.
Wozu?
Danksagung
Mein besonderer Dank gilt:
Wilhelm Göbel
Eddie Creek
Matti Salonen
meiner Frau Annette
(für ihre Geduld)
ferner danke ich ebenso herzlich:
Andrew Arthy
Christer Bergström
Peter Cohausz
Ferdinando d’Amico
Klaus Deumling, KG 100
Axel Dortenmann,
Sohn von Hans Dortenmann,
JG 54/JG 26
Karl-Heinz Eichhorn
Wolfgang Fleischer
Karl-Georg Genth, JG 26
Manfred Griehl
Victor Heimann, JG 300
Jean-Yves Lorant
Frank Olynyk
Leseexemplar
10
Karl-Heinz Ossenkopp, JG 26
Dr. Jochen Prien
Peter Rodeike
Willi Reschke, JG 301
Ernst Scheufele, JG 4
Dr. Helmut Schnatz
Ernst Schröder, JG 300
Claes Sundin
Dr. Christian Zentner
Erläuterungen
Erläuterungen
Schreibweisen:
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges werden die deutschen Messerschmitt-Jäger nicht nach ihrem Konstrukteur benannt (Willi Messerschmitt), sondern nach der Produktionsfirma – den Bayerischen
Flugzeugwerken. Somit „Bf 109“ oder „Bf 110“ etc.! Dies ändert sich
erst mit den „Me 210“, „Me 410“, „Me 262“ und „Me 163“, nachdem
die Bayerischen Flugzeugwerke zur „Messerschmitt AG“ geworden
waren. Doch selbst dann wurde in offiziellen deutschen Unterlagen
die Bezeichnung „Bf“ weitergeführt. Da der Begriff „Me“, also „Me
109“, unter den Piloten damals schon und im verbreiteten Sprachgebrauch heute viel gebräuchlicher ist als „Bf“, wird vom Verfasser
folgende Definition angewandt:
•Me 109 (im Text in dieser Form als übliche Abkürzung verwendet).
• aber: Messerschmitt Bf 109 (dies ist der vollständig ausgeschriebene korrekte Begriff), ab der Me 210: Messerschmitt Me 210.
• in Tabellen: Bf 109
Ferner werden die britischen und amerikanischen Flugzeugtypen
mit Typennamen bezeichnet, beispielsweise „Spitfire“, „Hurricane“,
„Mustang“ oder „Thunderbolt“. Auch hier wird folgende Schreibwei-
se im Text verwendet:
• Mustang (hier ist der Flugzeugtyp durch den abkürzenden Begriff
>Mustang< definiert).
• aber: P-51 „Mustang“ (hier ist der Flugzeugtyp durch das Kürzel >P-51< definiert, „Mustang“ ist somit als Name zu verstehen,
nicht als Bezeichnung (die korrekte Bezeichnung erfolgt in dem
Fall durch >P-51<), und deshalb in Anführungsstrichen „Mustang“
geschrieben).
• Spitfire Mk. IX
• aber: Supermarine „Spitfire“ Mk. IX
In Bezug auf die Bezeichnung amerikanischer und britischer Einheiten (Ausnahme: RAF-Squadrons: siehe unten!) wird die englische
Zahlenschreibweise verwendet, also „3rd “ statt 3. und „5th “ statt 5.
Diese Systematik wird bei ähnlich begrifflich typisch englischen
Inhalten beibehalten, so z.B. Dienstgrade, die in dieser Form im
deutschen Sprachbegriff nicht vorkommen, also beispielsweise „1st
Lieutenant“.
Generell wird bei der Nennung von Dienstgraden die landestypische Definition vorgezogen, z.B. „Kapitan“ (sowjetisch)
oder „Captain“ (amerikanisch) statt „Hauptmann“ (deutsches
Äquivalent).
Deutsche, britische, amerikanische und sowjetische Dienstgrade im Vergleich:
Luftwaffe
Royal Air Force
USAAF
Flieger
Aircraftman 2nd Class
Private
VVS (sowjetisch)
Ryadovoi
Gefreiter
Aircraftman 1 Class
Private 1 Class
Yefreitor
Obergefreiter
Leading Aircraftman
-
-
Hauptgefreiter
-
-
-
Unteroffizier
Corporal
Corporal
Mladshii Serzhant
Unterfeldwebel
Sergeant
Sergeant
-
Feldwebel
Sergeant
Sergeant
Serzhant
Fahnenjunker-Oberfeldwebel
(Officer-Candidate)
Technical Sergeant
-
Fähnrich
(Officer-Candidate)
-
-
Oberfeldwebel
Flight Sergeant
Staff (Master) Sergeant
Starshii Serzhant
Oberfähnrich
(Senior Officer Candidate)
-
-
Stabsfeldwebel
Warrant Officer
Master Sergeant
Starshina
-
-
Flight Officer
Mladshii Leitenant
Pilot Officer
2nd Lieutenant
Leitenant
Leutnant
Oberleutnant
Hauptmann
Major
st
st
Leseexemplar
Flying Officer
1 Lieutenant
Starshii Leitenant
Flight Lieutenant
Captain
Kapitan
st
Squadron Leader
Major
Mayor
Oberstleutnant
Wing Commander
Lieutenant Colonel
Podpolkovnik
Oberst
Group Captain
Colonel
Polkovnik
Generalmajor
Air Commodore
Brigadier General
General Mayor
Generalleutnant
Air Vice Marshal
Major General
General Leitenant
General der Flieger
Air Marshal
Lieutenant General
General Podpolkovnik
Generaloberst
Air Chief Marshal
General (4 Star)
General Armii
Generalfeldmarschall
Marshal of the RAF
General (5 Star) / Field M.
Marshal
Reichsmarschall
-
-
-
11
Deutsche Luftwaffe
Deutsche Luftwaffe
Die Deutsche Luftwaffe war in Staffeln gegliedert, Jede Staffel hatte
üblicherweise als Sollstärke zwölf Flugzeuge. Zu Beginn des Krieges
bestand eine Gruppe aus drei Staffeln, später (etwa ab 1943 beginnend) oft auf vier Staffeln erweitert. Eine Gruppe bestand somit aus
36–48 Flugzeugen (bei optimalen Bedingungen, also Friedensstärke!).
Wiederum 3–4 Gruppen bildeten ein Geschwader, welches somit über
108 (drei Gruppen zu je drei Staffeln) bis 192 (vier Gruppen zu je vier
Staffeln) Flugzeuge verfügte – zuzüglich der Stabsstaffel (meist vier
Maschinen) einer Gruppe und des Geschwaders selbst. Diese Zahlenangaben wurden freilich in der Praxis nur selten auch nur annähernd
erreicht, Ende 1944 brachte so manches Jagdgeschwader (abgekürzt
= JG) gerade mal noch 60 Flugzeuge in die Luft.
Die Flugzeuge jeder Staffel waren bei Jägereinheiten mit Zahlen,
bei Bombereinheiten mit Buchstaben codiert. Diese Zahlen oder
Buchstaben hatten unterschiedliche Farben – welche die Staffel innerhalb einer Gruppe kennzeichneten. Die Staffeln wurden durchnummeriert: 5. /JG = 2. der II./ JG (bis Mitte 1944  siehe unten).
Bei den Bombereinheiten – dies sei nur kurz erwähnt – gilt:
B3 HL und B3 KL: „B3“ codiert das Kampfgeschwader (KG)
54, „L“ die 3. Staffel der I. Gruppe, „H“ bzw. „K“ definieren das individuelle Flugzeug. Die individuelle Kennung ist bei einer 1. (4., 7., usw.)
Staffel weiß, 2. (5., 8. usw.) Staffel rot und 3. (6., 9. usw.) Staffel gelb.
GR ist entsprechend ein Bomber der 7. *1/ KG 54, wobei
B3
„R“ für 7. Staffel steht, die individuelle Kennung in einer 7. Staffel
hat die Farbe weiß.
Jagdeinheiten (Tagjagd – Nachtjäger führten eine den Bombern
ähnliche Systematik):
Die Farbe der Zahlen bezeichnete die erste, zweite, dritte, vierte
oder Stabsstaffel innerhalb einer Gruppe. Diese Farben wiederholten
sich dann in der nächsten Gruppe desselben Geschwaders. Um die
Gruppen auseinander halten zu können, wurden hinter dem Hoheitsabzeichen Zeichen aufgemalt, welche die entsprechende Gruppe kennzeichneten. Das Fehlen dieses Zeichens definierte die erste
Gruppe, ein horizontaler Balken die zweite, ein vertikaler Balken
(anfangs alternativ eine Wellenlinie, was später aufgegeben wurde,
als vierte Gruppen eingeführt wurden) die dritte und eine Welle
die vierte Gruppe. Eine Staffel wurde mit einer arabischen Ziffer
benannt, eine Gruppe mit einer römischen Zahl.
Also: 3./JG 27 = 3. Staffel des Jagdgeschwaders 27
Aber: III./JG 27 = III. (= 3.) Gruppe des Jagdgeschwaders 27
Stabsstaffeln trugen meist besondere Zeichen, wie Winkel oder
Doppelwinkel. Hierbei war es üblich, einen Gruppenkommandeur
mit einem Doppelwinkel zu definieren, den Gruppenadjutanten mit
einem einfachen Winkel, während ein einfacher Winkel gefolgt von einem senkrechten bzw. horizontalen Balken die Führung des Geschwaderstabes codierten. Die Beispiele erfolgen willkürlich mit der Nr. 5:
1. Staffel / I. Gruppe:
5
2. Staffel / I. Gruppe: 5
3. Staffel / I. Gruppe: 5
Stabsstaffel I. Gruppe: 5
oder 5
oder 5
bzw.
4. Staffel / II. Gruppe: 5
5. Staffel / II. Gruppe: 5
6. Staffel / II. Gruppe: 5
Stabsstaffel II. Gruppe: 5
- oder 5
- oder 5
- bzw.
7. Staffel / III. Gruppe: 5
8. Staffel / III. Gruppe: 5
9. Staffel / III. Gruppe: 5
Stabsstaffel III. Gruppe: 5
|
10. Staffel / IV. Gruppe: 5
11. Staffel / IV. Gruppe: 5
12. Staffel / IV. Gruppe: 5
Stabsstaffel IV. Gruppe: 5
~
~oder 5
~oder 5
~bzw.
Geschwaderstab:
oder 5
oder 5
| bzw.
|
|
|
Unabhängig davon wird ein Verlust mit dem Code B3
8./ KG 54 gelistet.
12
GR am 6.6.1944 nicht regelkonform unter
o
-
1
- o
1
|
~
1
~ o
|
-
o
|
~
~
~
Ab Mitte/Ende 1944 bestanden die meisten Gruppen der Jagdgeschwader aus vier Staffeln:
5
1. Staffel / I. Gruppe:
2. Staffel / I. Gruppe: 5
3. Staffel / I. Gruppe: 5
4. Staffel / I. Gruppe: 5
Stabsstaffel I. Gruppe: 5
oder 5
oder 5
(soweit vorhanden)
bzw.
1
o
5. Staffel / II. Gruppe: 5
6. Staffel / II. Gruppe: 5
7. Staffel / II. Gruppe: 5
8. Staffel / II. Gruppe: 5
Stabsstaffel II. Gruppe: 5
- oder 5 - - oder 5 - (soweit vorhanden)
- bzw.
- 1
-
o
9. Staffel / III. Gruppe: 5
10.Staffel / III. Gruppe: 5
11.Staffel / III. Gruppe: 5
12.Staffel / III. Gruppe: 5
Stabsstaffel III. Gruppe: 5
|
o
13. Staffel / IV. Gruppe: 5
14. Staffel / IV. Gruppe: 5
15. Staffel / IV. Gruppe: 5
16. Staffel / IV. Gruppe: 5
Stabsstaffel IV. Gruppe: 5
~
~oder 5 ~
~oder 5 ~
~ (soweit vorhanden)
~bzw.
~ 1
Geschwaderstab:
*1
-
oder 5 |
| oder 5
|
| (soweit vorhanden)
| bzw.
| 1
-
|
Leseexemplar
Bis Mitte/Ende 1944 bestanden die meisten Gruppen der Jagdgeschwader aus drei Staffeln:
1
-
|
-
-
|
~ o
|
~
-
Die Zahlen waren in den Anfangsjahren meist schwarz oder weiß
umrandet, ab Mitte 1944 selten.
Deutsche Luftwaffe
Diese mit deutscher Gründlichkeit eingeführte Systematik wurde
freilich im „Felde“ beileibe nicht immer so konsequent eingehalten.
Mit zunehmendem Verlauf des immer chaotischere Verhältnisse produzierenden Krieges wurde mehr und mehr improvisiert. So zeigt
nachstehendes Foto vom 23. Dezember 1944, dass Unteroffizier
der 5./ JG 4, also der II. Gruppe keinen horiErich Kellers 20
zontalen Balken über dem Rumpfband trug, wie es der Systematik
für ein zweite Gruppe entsprochen hätte (20 - , beziehungsweise
auf der hier sichtbaren Steuerbordseite des Rumpfes - 20) .
Die Form des Balkenkreuzes änderte sich im Laufe des Zweiten Weltkrieges beträchtlich, Zum Vergleich sind folgende Profile
geeignet:
„Kennung“: 5
(schwarz ist regelkonform, 5./JG 11)
- Form April 1943
(weißer Rand schwarz liniert)
„Kennung“: 13 ~
(schwarz ist regelkonform, 14./JG 4)
- Form November 1944
(weißer Rand nicht liniert)
Leseexemplar
„Kennung“: 3
(schwarz ist regelkonform, 2./JG 1)
- Form Neujahr 1945
(nur als Linie angedeutet)
13
Royal Air Force (RAF)
Zu Beginn des Krieges bis ins Jahr 1944 wurden die Geschwader
untereinander durch teilweise fantasievolle Geschwaderwappen gekennzeichnet, welche seitlich am Rumpf entweder unter dem Cockpit
oder auf der Motorhaube angebracht waren. Zwei der berühmtesten
sind das grüne Herz des JG 54 und das Afrika-Emblem des JG 27
(was übrigens zunächst nichts mit dem Afrikaeinsatz des Geschwaders zu tun hatte, sondern seit Oktober 1939 – also vorher bereits
– existierte).
Beispielhaft sind hier für die Jagdgeschwader das „Eismeerwappen“ des lange in Norwegen kämpfenden JG 5 (links) oder das „Blitz­
emblem“ der II./ KG 3 (rechts) für die Bomber-Kampfgeschwader:
Rumpfbänder: (zu beachten ist, dass Gelb längere Zeit für Ostfront
stand und Weiß für den Mittelmeerraum)
JG 1
JG 7
JG 53
JG 2
JG 11
JG 54
JG 3
JG 26
JG 77
JG 4
JG 27
JG 5
JG 51
JG 301
JG 6
JG 52

 JG 5
II./ KG 3 
Ab Ende 1943 wurden diese Wappen in den Geschwadern der
Reichsverteidigung und dann im Laufe des Jahres 1944 in allen
Jagdgeschwadern der Luftwaffe durch Rumpfbänder verschiedener
Farben ersetzt.
Die Bänder entstanden zunächst in Eigeninitiative der Geschwader, um nach einem Angriff das Erkennen und Sammeln zu erleichtern – sie wurden erst am 24.12.1944 offiziell.
Dagegen wurde das Führen der Wappen untersagt, was den Sinn
haben sollte, die Identifikation einer notgelandeten Maschine dem
Gegner zu erschweren. Viele Geschwader wollten aber auf ihre Traditionswappen nicht verzichten, sodass die Anweisung nicht immer
konsequent befolgt wurde und teilweise beide Kennzeichen nebeneinander geführt wurden. Erst Ende 1944 verschwanden die Wappen
weitgehend.
JG 300
rot
bis 12/1944
 Flugrichtung des Jägers, d.h. das Rumpfband ist definiert aus der
Sicht auf die linke (Backbord-) Seite.
Royal Air Force (RAF)
Fighter Squadron = „FS“, Fighter Group = „FG“.
Die britische Royal Air Force war gegliedert in Squadrons. Eine
Squadron war die kleinste eigene Organisationseinheit. Eine voll ausgerüstete Squadron des Fighter Command (der Jagdwaffe) verfügte
über durchschnittlich je 20 (12–24) Flugzeuge mit Mannschaft und
Wartung. Zu Beginn des Krieges bestand eine Squadron überwiegend
aus 20 Maschinen, im Laufe der Auseinandersetzungen reduzierte sich
SA = 486 Squadron
U = W.O. O.J. Mitchell
SA
U
Leseexemplar
FN = 331 Squadron
B = Captain J. Ræder
FN
B
Anders als in der USAAF ist die Bezeichnung in RAF-Squadrons
nicht 331st, sondern 331 Squadron.
14
US Army Air Force (USAAF)
deren Zahl Mitte 1940 auf 12. Ab August 1940 wurde als Sollstärke
wieder die Anzahl von 20 Jagdflugzeugen etabliert, aber erst später
erreicht. Dies bedeutete allerdings in der Royal Air Force nicht zwangsläufig, dass auch 20 Piloten zur Verfügung standen, der Sollstand bezog sich auf die vorhandenen Maschinen inklusive Reserve. Mehrere
Squadrons formierten einen Wing, mehrere Wings eine Group. Die
Markierungen bestanden aus zwei Buchstaben oder einem Buchstaben
und einer Zahl vor der britischen Kokarde. Diese Kombination kennzeichnete die Squadron. Ein weiterer Buchstabe hinter der Kokarde
definierte das individuelle Flugzeug innerhalb der Squadron.
US Army Air Force (USAAF)
Fighter Squadron = „FS“, Fighter Group = „FG“.
Das System ähnelt dem der Royal Air Force. Eine Squadron bestand jedoch aus etwa 18 Jagdflugzeugen (18–24). Drei Squadrons
formierten eine Group, die somit bis zu 72 Jagdmaschinen enthalten
konnte, was unter Einsatzbedingungen allerdings selten erreicht wurde. So umfasst beispielsweise am 19. März 1945 ein Einsatzflug der
78th Fighter Group die Anzahl von 47 beteiligten P-51 „Mustangs“
(vgl. Kapitel 25).
HO = 487th Squadron
M = Col. J.C. Meyer
HOM
Die drei Squadrons innerhalb einer Group unterschieden sich oft
durch die Farbe des Seitenruders. Blau und HO codiert hier innerhalb der 352nd Fighter Group die 487th Fighter Squadron.
PE = 328th Squadron
B = Capt. Don Bryan
PE B
Rot und PE codiert hier innerhalb der 352nd Fighter Group die 328th
Fighter Squadron.
G4 = 362nd Squadron
C = Capt. ’Kit’ Carson
G4C
(Die Motorhaube trägt hier ein rot-gelbes Schachbrettmuster im Gegensatz zu den „Blaunasen“ oben).
Wogegen eine andere Fighter Group immer ein deutlich anderes Farbmuster trug – hier 357th Group. Eine Group war die kleinste eigene
Organisationseinheit. Mehrere Groups ergaben einen Wing, sodass das
System „Group – Wing“ nicht mit der Royal Air Force identisch war.
Leseexemplar
VVS (Voenno-Voz­dushnye Sily –
sowjetische Luftkräfte)
Die sowjetische Kennzeichnung beschränkte sich meistens auf eine
Nummer, manchmal ergänzt durch individuelle Widmungen, wie sie
auf den Maschinen aller Nationen zu finden waren.
I4
I4
(linke Seite)
(rechte Seite)
15
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
5. Juni 1944
Die deutsche Abwehr schläft nicht. Auch nicht die Funkaufklä­
rung. Sie hört Radio. Und BBC London sendet Gedichte ...
des violons
de l‘automne »
« Les sanglots lourdes
Die ersten drei Zeilen des Sechszeilers von Verlaine waren bereits
am 1. Juni 1944 über den Äther gegan­gen und hatten die Kämpfer
der französischen Widerstandsbewegung, der „Résistance“, in Bereit­
schaft versetzt. Denn das ist der Sinn, die verschlüsselte Botschaft
der Radiosendung. Eigentlich hätte es korrekt ausgesprochen heißen
müssen: « Les sanglots longues des violons de l‘automne », solche
Feinheiten der französischen Sprache sind in diesen Zeiten allerdings
eher nebensächlich! Doch nun, am 5. Juni 1944 gegen 18.00 Uhr *1,
folgt der zweite Teil. Der deutsche Funkoffizier ist schlagar­tig hell­
wach, als die drei letzten Zeilen der Strophe des Gedichtes in seinen
Ohren klingen:
« Bercent mon cœur
d‘une langueur monotone. »
Denn das bedeutet nichts anderes, als dass die schon lange er­
wartete Invasion der alliierten Truppen in Frankreich unmittelbar
bevorsteht. Innerhalb von 24 Stunden! Das hatte der deutsche Ge­
heimdienst herausgefunden. Auch wenn es richtigerweise « Blessent
mon cœur ... » lauten müsste. Somit nun morgen, am 6. Juni 1944!
Jetzt ist es also soweit. Jetzt? Bei dem Sauwetter? Kaum zu glau­
ben!
Aber die Botschaft ist eindeutig. Es ist für die Résistance der Befehl
zum Losschlagen. Danach gibt es kein Zurück mehr!
Also: ALARM !
Ab etwa 22.00 Uhr *2 sind die Soldaten der 15. deutschen Armee
in Gefechtsbereitschaft. Die 15. Armee vertei­digt die Stelle, an der das
deutsche Oberkommando die Invasion erwartet. Die engste Stelle des
Är­melkanals, die Straße von Calais. Hier sind die Befestigungen, Bunker,
Abwehrstände und Ver­haue am besten ausgebaut. Das Hauptquartier
der 15. Armee liegt in Tourcoing bei Lille. Man ist be­reit, die Amerika­
ner und Engländer gebührend zu empfangen. Die Zuständigkeit der 15.
Armee reicht nach Westen bis zur Mündung des Flusses Orne. Die Orne
erreicht den Ärmelkanal bei Ouistreham 35 Kilometer südwestlich von
Le Havre. Weiter westlich schließt sich die 7. deutsche Armee an.
Doch die 7. Armee verharrt ahnungslos. Die im Bereich der 15.
Armee aufgefangene Alarmmeldung wird nicht an sie weitergege­
ben. Zur 7. Armee gehört das LXXXIV. (84.) Armeekorps. Dessen
kommandierender General sitzt um Mitternacht noch an seinem
Schreibtisch in Saint-Lô, als drei Offiziere mit einer Fla­sche Chablis
hereinkommen, um den 53. Ge­burtstag ihres Chefs, General Erich
Marcks, zu begießen. Die Feier ist kurz. Am nächsten Mor­gen ist
eine Übung geplant – im Hinterland in Rennes. Da heißt es, früh
aufzubrechen. Das Thema der Übung: Abwehr feindlicher Luftlan­
detruppen.
Die Warnung erreicht General Marcks nicht. Auch nicht General­
oberst Friedrich Dollmann, den Be­fehlshaber der 7. Armee. Auch er
hat vor, nach Rennes zu fahren. Die 7. Armee verteidigt die Küsten­
streifen von Ouistreham an bis St. Nazaire. Es ist ein Gebiet, das als
eher weniger bedeutend ange­sehen wird. Entsprechend lückenhaft
sind hier die Befestigungen des so genannten „Atlantikwalles“.
Unmittelbar südwestlich von Ouistreham liegt Caën. Und zwi­
schen Caën und Cherbourg beginnt die Nacht wie immer. Wacht­
posten verrichten ihren Dienst. Im Westen nichts Neues.
Im Westen von Ouistreham.
In der Normandie.
Der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B in Frankreich, Feld­
marschall Erwin Rommel, bricht bereits am 4. Juni 1944 mit seinem
Wagen auf und verlässt sein Hauptquartier in La Roche-Guyon. Er
will am Abend in seiner Heimat Herrlingen bei Ulm sein, um den 50.
Geburtstag seiner Frau zu feiern. Am 6. Juni 1944 ist eine Besprechung
mit Hitler auf dem Obersalzberg vorgesehen. Rommel will Hitler auf
die Schwäche seiner Streitkräfte hinweisen und mindestens zwei neue
Panzerdivisionen verlangen, zu­dem ein Fliegerabwehrkorps und eine
Brigade Raketenwerfer. Doch woher sollte das an allen Fronten hart
bedrängte Deutschland diese Kräfte nehmen? Das ist Rommel klar –
und doch: er benö­tigt diese Truppen! Mindestens! Seine Streitmacht
ist zusammengewürfelt aus aller Herren Länder. Zwangsverpflichtete,
übergelaufene oder freiwillig in die deutsche Wehrmacht eingetretene
Kroaten, Ungarn, Polen, Letten, Litauer, Russen, Ukrainer, Georgier,
Tataren und viele andere Natio­nalitäten machen einen spürbaren Teil
der Verteidigungsstreitmacht in Frankreich aus. Wie zuverläs­sig die­
se unter Feindbeschuss kämpfen würden, ist nicht vorhersehbar. Und
die deutschen Truppen? Die Pan­zerdivi­sionen, teilweise Verbände der
Waffen-SS, sind gut ausgerüstet und hochmotiviert. Doch unter den
anderen Divisionen sind viele, die als Leichtverletzte aus den mörderi­
schen Kämpfen in Russland nach Frankreich abgezogen worden waren.
Eine ganze Division, die 70. Infanteriedivi­sion, besteht aus Magenkran­
ken, die eine spezielle Diät erhalten. Die deutsche Wehrmacht hatte
bis zum Ende des Kriegsjahres 1943 an Gefangenen, Versehrten und
Gefallenen insgesamt 2.086.000 Mann verloren. Das wirkt sich aus.
Und die Luftwaffe? Selbst die größten Optimisten unter den Gene­
rälen wissen inzwischen, dass die wenigen deutschen Geschwader ge­
gen die alliierte Übermacht nur noch Schadensbegrenzung betrei­ben
Leseexemplar
Die Zeitangabe entspricht deutscher Zeit. Auf Grund der doppelten britischen Sommerzeit
entspricht 22.00 Uhr in Frankreich 23.00 Uhr in England. Oberstleutnant Meyer, Abwehrchef der 15.
deutschen Armee, alarmiert Generaloberst Hans von Salmuth, den Oberbefehlshaber der 15. Armee,
um 21.15 Uhr deutscher Zeit (somit 22.15 Uhr britischer Zeit).
*1 *2
404
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
können. Die Frage ist allenfalls noch, in welchem Maße das gelingen
kann. Eine Luftüberlegen­heit der deutschen Jagdflugzeuge, gar die
Luftherrschaft über den Invasionsstränden ist völlig illuso­risch. Der
Himmel wird den Briten und Amerikanern gehören, damit wird man
sich abfinden müssen – es ist bereits jetzt der Stand der Dinge. Die
Übermacht der Amerikaner und Engländer beträgt 50 : 1 gegenüber
der deutschen Luftwaffe in Frankreich, die am 31. Mai 1944 auf fran­
zösischem Boden gerade mal 891 Maschinen aller Typen aufbieten
kann. Davon sind nur 496 einsatzbereit ...
Am 4. Juni 1944 stehen den kampfstarken und zahlenmäßig üp­
pig ausgerüsteten britischen und ame­rikanischen Luftflotten in ganz
Frank­reich 173 deutsche Jagdflugzeuge gegenüber. 119 davon sind
flugfähig. 71 gehören zum Jagdgeschwader (JG) 26, die übrigen 48
sind Maschinen des JG 2.
Die alliierte Luftherrschaft hat schwere Konsequenzen. Der „Wüs­
tenfuchs“ Rommel, früher in Nordaf­rika glühender Verfechter und
Meister des Bewegungskrieges mit schnellen Verbänden, hatte gegen
Ende des Feldzuges erleben müssen, wie seine Verbände gnadenlos
aus der Luft zusammenge­bombt und in Fetzen geschossen worden
waren. Er weiß, dass er den Feind in Frankreich unmittelbar an der
Küste vernichten muss. Gelingt diesem der Durchbruch ins Hinter­
land, so ist er kaum noch aufzuhalten. Denn die Luftüberlegenheit
der Gegenseite erlaubt deutsche Truppenbewegungen nur bei Nacht.
Panzer-Gegenangriffe am Tage sind extrem durch die Bomben und
Raketen der angloame­rikanischen Jagdbomber gefährdet. Der ge­
wiefte Wüstenfuchs sollte Recht behalten!
Rommel benötigt Verstärkungen – dringend. Sollte es den Alli­
ierten gelingen, in Frankreich Fuß zu fassen, so ist der Krieg für
Deutschland endgültig verloren. Das ist Rommel klar.
Doch im Moment dürfte man vor einer Invasion einige Tage lang
sicher sein. Das Sturmtief peitscht die See auf, für eine geordnete
Anlandung an den Stränden ist ein derartiger Seegang ein großes
und doch wohl völlig unnötiges Risiko. Und die tiefe Wolkendecke
erschwert den für den Erfolg des Lan­dungsunternehmens so wichti­
gen Einsatz der britischen und amerikanischen Bomber, Tiefflieger,
Transportmaschinen, Aufklärer usw.! Außerdem herrscht Ebbe. Man
wird ja wohl nicht gerade bei Ebbe landen – wenn die Soldaten nach
dem Aussteigen aus den Landungsbooten über mehrere hundert Me­
ter offenes, ungeschütztes Watt-Gelände laufen müssen, bis sie an
der Ufer-Böschung ein Mini­mum an natürlicher Gelände-Deckung
erreichen. Das wäre glatter Selbstmord! Die alliierten Befehls­haber
werden ihre Leute kaum ins offene Messer rennen lassen, direkt
hinein ins deutsche Maschi­nengewehr- und Granatfeuer. Bei Flut
können die Lan­dungsboote direkt ans Ufer fahren. Die vor MG-Feuer
ge­schützt hinter den Stahl-Ram­pen der Landungsboote kauernden
Sturm­truppen in den Booten können so die Entfernung, die die Sol­
daten bei Ebbe völlig ungeschützt im Sturmlauf bewältigen müssten,
viel sicherer überwinden. Bis sich die Rampen nun mal irgendwann
dann doch öffnen müssen!
Ja, sie werden bei Flut kommen und ruhigem Wetter, so wie bei
allen ihren (sorgfältig analysierten) Landungen bisher, beispielsweise
in Italien – alles andere ist gegen jede militärische Logik. Also wird
man jetzt, bei Ebbe und diesem regnerischen Mistwetter, einige Tage
Ruhe haben, kann gefahrlos momentan erforderliche Umgruppie­
rungen vornehmen – denn eine Einheit in der Verle­g ungsphase ist
nicht kampfbereit. Für eine Verlegung benötigt man Straßen, und
die Straßen sind derzeit eini­germa­ßen sicher vor den verfluchten
allgegenwärtigen britischen und amerikanischen Jagdbombern und
Mittelstreckenbombern. Also wenn, dann jetzt! Auch kann man nun
Übungen durchführen wie die in Rennes, zur Abwehr einer Luftlan­
deaktion der Alliierten. Eine solche wird der Invasion vorangehen,
das ist klar. Aber nicht heute Nacht. Somit kann man im Moment
ohne Risiko die Kommandeure für jene Übung von ih­ren Einheiten
abziehen.
Und man kann nach Deutschland fahren zur Geburtstagsfeier
beziehungsweise – wichtiger – zur Be­sprechung mit Adolf Hitler,
der sich bis heute die letzte Entscheidung zum Einsatz der Panzer­
reserven vorbehält, ja sogar Verschiebungen innerhalb von Armee­
gruppen von seiner Zustimmung abhängig macht. Ohne ihn geht in
der von Hitler bewusst kompliziert gehaltenen Entscheidungshie­
rarchie der deutschen Streitkräfte in Frankreich nichts, dafür hat
Hitler gesorgt. Nicht einmal Rommel, der sich als Befehlshaber der
Heeresgruppe B mit dem „Oberbefehlshaber West“, Generalfeldmar­
schall Gerd von Rundstedt, ab­stimmen muss, kann über seine Kräfte
uneingeschränkt verfügen. Rommel hatte in der Vergangenheit ver­
sucht, wenigstens den Oberbefehl über die Küstenanlagen und den
strandnahen Aufmarsch zu erhalten. Vergebens. Vielleicht ergibt sich
jetzt im Gespräch mit Hitler eine Chance?
Schließlich hatte ihm Hitler Ende 1943 den Befehl erteilt, die
Verteidigungsanlagen an der Atlantik­küste zu inspizieren und zu
einem unüberwindlichen Hindernis auszubauen. Rommel war flei­
ßig, überlegt und gezielt an die Arbeit gegangen. Doch wie sichert
man eine Küste von Dänemark bis zur Biskaya? Es wird fieberhaft
gearbeitet, die deutsche „Organisation Todt“ errichtet mit Hilfe vieler
Fremd- und Zwangsarbeiter Bunker und Verteidigungsstellungen.
Die französische Résistance-Wider­standsbewegung sabotiert dies,
wo es geht – bis hin zu minderwertigem Beton, der bei weitem nicht
so beschussfest ist, wie er sein sollte. Rommel isst nicht, vergisst zu
schlafen. Vielleicht raubt ihm auch die Sorge den Schlaf. Er improvi­
siert, wo er kann. Doch in Anbetracht der gigantischen Aufgabe hat
er keine andere Wahl, als Prioritäten zu setzen.
Wann werden sie kommen? Sicher bei Flut, das ist nahe liegend.
Also lässt Rommel Tausende Stangen und Verhaue unter Wasser er­
richten, „spanische Reiter“ – knapp unter der Wasserlinie, be­zogen
auf den Wasserstand bei Flut. Diese werden mit Minen versehen und
Metallteilen, die die Lan­dungsboote in die Luft sprengen oder ihnen
den Rumpfboden aufschlitzen sollen. Denn die Ruder­gänger der
Boote können diese Unterwasserhindernisse nicht sehen. Bei Flut
sind sie unsichtbar!
Bei Ebbe sind sie sichtbar. Für die Kämpfer der Résistance genauso
wie für die alliierten Aufklärer. Diese Verteidigungsanlagen werden
auf der anderen Kanalseite ernst genommen. Vielleicht sollte man
doch besser bei Ebbe landen?
Gut, aber was ist mit den deutschen Geschützen, Granatwerfern
und Maschinengewehrnestern? Die Opfer unter den Sturmtruppen
müssen doch bei Ebbe verheerend werden!
Ja – sofern noch jemand da ist, der auf deutscher Seite schießt.
Das aber – da ist man zuversichtlich – wird man weitgehend ver­
Leseexemplar
405
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
hindern können! Denn das Trommelfeuer aus Abertausenden von
Schiffs­geschüt­z en, schiffsgestützten Raketenwerferbatterien samt
dem Ausmaß an Bombenhagel, das man den deutschen Küstenver­
teidigungen zugedacht hatte, überlebt dort garantiert keiner! Da
ist man sich doch weitge­hend sicher in den alliierten Planungs­
stäben.
Es dürfte kaum etwas von den Bunkern und MG-Nestern übrig
bleiben, was noch auf die anstürmen­den Amerikaner, Briten und
Kanadier feuern könnte. Dafür würde man schon sorgen!
Also: es wird bei Ebbe gelandet. Rommels spanische Reiter werden
so komplett unwirksam gemacht.
Damit rechnet Rommel nicht. Und doch – er setzt nicht nur auf
eine Karte. Panzersperren am Strand und im Hinterland stehen
bereit. Allerdings: die eigenen Panzer hatten diese Sperren vier Jahr
zuvor auch nicht auf­halten können. Seine „Spargel“ sind versteck­
te Hindernisse in den Wiesen im Küsten-Hinter­land, ar­m iert mit
alten französischen Granaten, auch Minen. Sie sollen Lastensegler
bei der Landung zerstören. Ganze Landstriche werden unter Wasser
gesetzt – tödliche Fallen für die schwer bepackten Fallschirmjäger,
die sich in der Regel nicht schnell genug ihrer in die Tiefe ziehenden
Las­ten entledi­gen können. Zwei bis drei Millionen Minen werden
verlegt – viel zu wenig, Rommel verlangt 100-200 Millionen. Doch
die kann Deutschlands Kriegsindustrie nicht schnell genug her­
stellen. Dann die Bun­ker. Am 1. Mai 1944 befinden sich erst 299
der 547 Küstengeschütze in betonierten Verteidi­g ungsan­lagen. Und
dies vor allem dort, wo man am ehesten einen Angriff erwartet,
an der Engstelle des Ka­nals bei Calais. Noch wesentlich weniger
vollständig sind die Befestigungen in der Normandie und Bretagne.
Die Zeit drängt!
Wo werden sie kommen? Rommel überlegt fieberhaft – wie auch
der übrige Generalstab. Indizien gab es bereits genug – doch wider­
sprüchlicher Natur. Im deutschen Generalstab versucht man, aus den
pau­senlosen alliierten Luftangriffen auf die Absichten des Gegners zu
schließen. Doch die Ameri­kaner und Briten zerstören systematisch
sämtliche Verkehrswege in Nordfrankreich, Straßen, Brü­cken, Bahn­
höfe und Eisenbahnnetze. Am 24. Mai 1944 beispielsweise bombar­
dieren B-26 „Marauder“-Mit­tel­strecken­bomber alle Brücken über die
Seine oberhalb von Mantes. Immer neue Angriffe verhindern deren
Instandsetzung. Auch die französische Widerstandsbewegung macht
sich effektiv durch Sabo­tageakte bemerkbar. Wo ist die Invasion zu
erwarten, wenn der Feind es sich leisten kann, seine Ab­sichten hinter
einem flächendeckenden Bomben­hagel und Anschlägen allüberall
zu verbergen?
Für eine Landung in der Normandie oder Bretagne spricht die
Anzahl größerer Häfen dort. Nur ein eroberter Hafen verspricht
raschen Nachschub für die anfangs nach der Landung sehr gefähr­
deten Truppen. Doch andererseits verdichten sich Indizien für eine
bevorstehende Landung am Pas de Ca­lais, der Wasserstraße zwi­
schen Calais und dem britischen Dover. Gegenüber, auf der anderen
Seite des Kanals, beobachten deutsche Aufklärungsflugzeuge die
Errichtung neuer Flugplätze voll mit Flug­z eugen und die Konzen­
trierung ganzer Panzeransammlun­gen sowie von Landungsbooten
und ähnli­chem Kriegsmaterial in den Häfen. Dass die Aufklärer
nur sehr dilettantisch von britischen Jägern an­gegriffen werden,
fällt nicht auf. Aus der Luft ist auch nicht zu erkennen, dass diese
Flugzeuge, Pan­zer wie Landungsboote aus Pappmaschee beste­
hen! Zumal einige deutsche Agenten in England dem deutschen
Geheimdienst die alliierten Landungsabsichten bei Calais bestä­
tigen, so „Garbo“, „Snow“ und „Brutus“. Die Deutschen wissen
nicht, dass alle drei britische Doppelagenten sind, die den deut­
schen Geheimdienst gezielt mit nachprüfbar echten und dann an­
schließend mit nicht nachprüfbar falschen Informationen versor­
gen. Deren Effekt wiederum ist durch die Briten er­kennbar, da sie
den deutschen Funk-Code entschlüsseln konnten, seit ihnen eine
unbeschädigte „Enigma“-Verschlüsse­lungsmaschine in die Hände
gefallen war. Diese Maschine ist derartig raffiniert aufgebaut, dass
die Deutschen selbst in einem solchen Fall eine Entschlüsselung
ihrer Funktions­weise für ausgeschlos­sen halten. Doch so schwierig
es war – es glückte! Die Briten können also kon­t rollieren, ob ihnen
die Gegenseite auf den Leim geht. Am 8. Juni 1944 meldet Garbo
den Deutschen, die Landung der Alliierten in der Normandie sei
ein Ablenkungsmanöver, die eigentliche Landung stehe am Pas de
Calais noch bevor. Die Deutschen fallen darauf herein. Ein folgen­
schwerer Fehler.
Die alliierten Befehlshaber, der amerikanische Oberkommandie­
rende General Dwight D. „Ike“ Eisen­hower und sein britischer Kollege
Feldmarschall (Field Marshal) Bernard Montgomery, Rommels alter
Gegenspieler aus Nordafrika, müssen entscheiden. Der Landungsort
war längst festgelegt worden – in einer um­fangrei­chen Generalstabs­
studie. Hollands Küsten sind zu leicht unter Wasser zu setzen, vor
Belgien ist die Meeresströmung zu stark. Die Bretagne hat günstige
Bedingungen an der Küste, ist jedoch etwas zu weit von England ent­
fernt und liefert nur mäßige Vormarschstraßen ins Landesinnere. Der
Pas de Calais bietet Vorteile, hat aber steile Strände – und: hier er­
warten die Deutschen den Angriff. Also ergibt sich als einzig sinnvoll
verbleibendes Ziel die Normandie. Deren Küste ist meistens flach, die
Straßenverbindungen sind (nach Instandsetzung der Bombenschäden)
gut und – vor allem – es gibt große Häfen. In der Normandie wird man
angrei­fen! Und die Deutschen wird man in ihrem Glau­ben bestärken,
dass man am Pas de Calais landen werde.
Bleibt der Zeitpunkt. Zunächst wird ein Termin im Mai 1944
anvisiert. Doch dann sind noch nicht ge­nug Landungsboote und
Landungsschiffe bereitgestellt. Daraufhin wird der 5. Juni ins Auge
gefasst. Nun ist alles vorbereitet – es kann losgehen. Die Bedingun­
gen stimmen, es ist Ebbe – und ein spät, also erst zur Absprungzeit
aufgehender Vollmond, unabdingbare Voraussetzung für die Durch­
führbarkeit der Luftlandeoperationen. Doch das Wetter spielt nicht
mit. Noch ist die Geheimhaltung gewahrt. Die Truppen sind an Bord
ihrer Schiffe. Die Hälfte der Männer ist bereits seekrank. Am 4. Juni
um 04.30 Uhr wird der Angriff abgeblasen. Was nun?
Die nächste Konstellation von Ebbe und Vollmond wird am 19.
Juni 1944 bestehen. So lange kann man die Soldaten nicht an Bord
lassen. Ihre Ausschiffung würde aber kaum geheim bleiben können
– das Ri­siko wäre enorm, dass die Deutschen im letzten Moment
doch noch herausfinden, wo die Invasion stattfin­den soll. Außer­
dem wird von den Meteorologen für den 19. Juni wahrschein­
lich noch miserable­res Wetter prophezeit. Aber übermorgen, am
6. Juni 1944, soll es ein Zwischenhoch geben – eine kurze Wetter­
Leseexemplar
406
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
besserung. Auch die Wolkendecke soll zeitweise aufreißen. Es ist
21.30 Uhr in England.
Ob er dies garantieren könne, wird der Chefmeteorologe der
Alliierten, Group Captain J. M. Stagg von der Royal Air Force, ge­
fragt. Er sei Meteorologe, kein Wahrsager, ist die Antwort. Keine
Garantie!
Die letzte Entscheidung liegt bei „Ike“ Eisenhower. Seine Uhr zeigt
kurz vor 22.00 Uhr am 4. Juni 1944. Montgomery war schon heute
früh gegen eine Verschiebung gewesen. Er drängt! Let’s go!
Eisenhower fällt diese Entscheidung sehr schwer. Das Leben
Tausender seiner Männer hängt von ihr ab. Alles in allem sind es
3.500.000 Mann und 20 Millionen Tonnen Material, die zur Ver­
fügung stehen! 22.00 Uhr ist die letztmögliche Uhrzeit für Ja oder
Nein. Die Entscheidung muss getroffen wer­den – jetzt.
Okay – Go!
Auf deutscher Seite rechnen die Meteorologen nicht mit einer Wet­
terbesserung. Die Messstationen der Amerikaner um den Atlantik
herum und deren Daten hat man nicht zur Verfügung! Außerdem
– wie wertvoll ein einziger Tag kurzer Wetterbesserung sein kann,
kann man diesseits des Kanals nicht überblicken. Doch dieser eine
Tag ist wichtig. Und ein ganzer Tag ist lang.
Es wird der „längste Tag“.
6. Juni 1944 – „D-Day”
01.00 Uhr – 01.45 Uhr nachts: (britischer Sommerzeit, für die
deutsche Seite ist es 00.00 Uhr – 00.45 Uhr, denn in Frankreich
gilt Mitteleuropäische Zeit (CET), somit weder die englische noch
deutsche Sommerzeit. Die Zeitsysteme werden in Kapitel 15 erörtert,
hier sei vorweggenommen, dass die Briten im Sommer ihre Uhren
ausgehend von „Greenwich mean time“ (GMT) um zwei Stunden
vorstellen ( GMT + 2h). In Frankreich gilt CET = GMT + 1h, in
Deutschland deutsche Sommerzeit = CET + 1h  GMT + 2 h). In
Deutschland und England ticken die Uhren somit gleich, jedoch
nicht in Frankreich, das im Sommer eine Stunde „nachhinkt“.
Das LXXXIV. deutsche Armeekorps in Saint-Lô erhält Meldung
über gegnerische Fallschirmjägerlan­dungen in der Normandie. Ge­
neral Marcks schmeckt der Chablis nicht mehr, er bricht unverzüg­
lich seine Vor­bereitungen zur Reise nach Rennes ab. Offenbar kann
man auf das Kriegsspiel verzichten – es wird grausame Realität, wie
es scheint! Um 02.00 Uhr kommen weitere Meldungen. Dollmann,
Salmuth und von Rundstedt – die deutschen Kommandeure – werden
geweckt. Irgendet­was ist da im Gange!
Die 13.200 britischen und amerikanischen Fallschirmjäger sind in
alle Richtungen verstreut, die tiefe Wolkendecke hatte das Auffinden
Leseexemplar
407
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
der Absprungzonen erschwert. Die Lastensegler waren zwar nie­derge­
gangen, doch die Verluste sind beträchtlich. Die deutsche Flak hatte
ihnen zudem zugesetzt. Nun also sind sie unten. Sümpfe und Wasser
hatten Opfer gefordert, viele der Männer waren unter der Last ihrer
Ausrüstung in den überfluteten Gebieten versunken, hatten sich in
den Fallschirmseilen verhed­dert und waren ertrunken. Auch Lasten­
segler schliddern ins Wasser, so an der „Pegasus“-Brücke. Nicht alle
Insassen können sich befreien. Gruppen und Grüppchen sammeln
sich, werden zu Stoßtrupps. Die Deut­schen sind teilweise auf der Hut,
andere völlig überrascht. Die Brücken über die Dives werden von den
amerikanischen Fallschirmjägern gesprengt. Britische Fallschirmjä­
ger erobern die deutsche Artil­lerie-Batterie Merville im Handstreich,
nachdem britische Lancaster-Bomber die Be­festigungen mitten in
der Nacht wenige Stunden zuvor hatten sturmreif bomben sollen.
Doch die Bomben hatten ihr Ziel komplett verfehlt.
Die Deutschen treten zum Gegenangriff an, erobern die Batterie
zurück. Allerdings finden sie die Ge­schütze nun zerstört vor. Gegen
05.00 Uhr ist die Befestigung nach Feuerunterstützung durch das
briti­sche Kriegsschiff HMS „Arethusa“ wieder in britischer Hand.
65 britische Fallschirmjäger sterben, 190 sind bis heute vermisst. 30
werden verwundet und 22 geraten in Gefangenschaft. Es stellt sich
her­aus, dass die nun gesprengten deutschen Geschütze ein kleineres
Kaliber gehabt hatten als er­wartet. Für den nahe gelegenen britischen
Landeabschnitt wären sie kaum eine Gefahr gewesen!
Andere britische Fallschirmjägereinheiten erobern strategisch
wichtige Brücken, so die später so ge­nannte „Horsa“-Brücke über
die Orne und die „Pegasus“-Brücke“ über den Caën-Kanal. Die
deut­schen Einheiten im Hinterland der Normandie werden teil­
weise überrumpelt und durcheinander ge­bracht. Doch auch die
Fall­schirmjä­gertruppen der Alliierten sind noch keine geordnete
Kampfeinheit.
Es formieren sich Gegenmaßnahmen. Zwar wird Generalleutnant
Wilhelm Falley, Kommandeur der 91. Infanteriedivision, kurz vor
Erreichen seines Gefechtsstandes erschossen. Eine MP-Salve erfasst
seinen Wagen. Er springt heraus, die Pistole in der Hand. Eine zweite
Geschossgarbe trifft ihn tödlich.
Doch in Saint-Lô befiehlt General Marcks nun seinem einzigen
Reserveregiment, nach Carentan vor­zurücken und die Lage dort zu
klären. Generaloberst Dollmann setzt weitere Truppenteile ein. Die
21. Panzerdivision, Reserve der Heeresgruppe B, wird in Marsch ge­
setzt. Der Befehl kommt von Gene­ralleutnant Hans Speidel, Chef des
Generalstabes der Heeresgruppe B und Stellvertreter Rommels.
Kurz vor 06.00 Uhr ruft Blumentritt, Chef des Generalstabes des
Oberbefehlshabers West, in Berch­tesga­den an, um Hitler vom Beginn
der Invasion zu unterrichten. Dort wird Generaloberst Jodl aus dem
Schlaf gerissen. Er ist skeptisch. Er hält das Ganze für ein Ablen­
kungsmanöver. Der Führer war bis spät in der Nacht wach gewesen
und erst vor kurzem eingeschla­fen. Jodl wagt nicht, den für seine
cholerischen Wutausbrüche berüchtigten Hitler zu wecken. Nicht
wegen eines Ablenkungsmanövers.
Generalfeld­marschall von Rundstedt, Oberbefehlshaber West,
lässt es geschehen. Von tiefer Ver­achtung durchdrungen gegen Hit­
ler, den „böhmischen Gefreiten“ aus dem Ersten Weltkrieg, der sich
anmaßt, seine Armeen zu befehligen und ihn zu bevormunden, resi­
gniert er. Der böhmische Gefreite will kommandieren, dann soll er es
tun! Von Rundstedt hat die innere Kündigung längst eingereicht!
05.00 Uhr nachts: (britischer Zeit)
Die Erde der Normandie erbebt unter den Bombeneinschlägen.
1.056 schwere britische Lancaster-Bomber nehmen sich die zehn
wichtigsten deutschen Geschützbatterien vor. Merville, Fontenay
und Saint-Martin-de-Varreville waren schon vor dem Absprung der
Fallschirmtruppen mit Bombenteppi­chen belegt worden. Nun sind
die Geschütze von La Pernelle, Maisy, an der Spitze von Hoc, Lon­
ques, Mont-Fleury, Ouistreham und Houlgate an der Reihe. Es ist ein
mörderisches Bombar­dement. Doch das ist nur der Auftakt!
Schemenhaft taucht aus dem Dunst die Invasionsflotte auf – eine
gigantische Armada. Inzwischen ist sie auch auf den Radarschir­
men einer der letzten noch intakten deutschen Radarstationen vor
­Port-en-Bassin zu erkennen. Ein gezielt gelegter Nebelschleier verbirgt
die Schiffe am östlichen Ende der Invasionsflotte vor den Zieloptiken
der schweren Geschütze in Le Havre. Plötzlich tauchen drei schnelle
Schatten auf. Es sind die deutschen Torpedoboote „T-38“, „Jaguar“ und
„Möwe“. Viel mehr hat die deutsche Kriegsmarine nicht gegen die riesi­
ge Flotte aufzubieten. Die Boote werden sofort nach ihrem Erkennen in
konzentrisches Feuer genommen und drehen ab. Doch ihre Torpedos
laufen bereits auf die alliierte Flotte zu. Der norwegische Zerstörer
„Svenner“ wird getroffen und sinkt sofort. Von Land her feuern einige
deutsche Geschütze. Sie richten nicht viel aus.
05.30 Uhr: (britischer Zeit)
1.630 amerikanische viermotorige „Fliegende Festungen“ der
Typen B-24 „Liberator“ und B-17 „Flying Fortress“ lösen die briti­
schen Lancaster-Bomber ab. Ein unbeschreibliches Bombardement
pflügt die Küstenstreifen der Landestrände um. Die Bomben las­
sen wenig übrig von den Befestigungen unter ihnen – sofern sie
im Zielgebiet einschlagen. Die Schlechtwetterfront wirkt sich aus
wie befürchtet – die Bodensicht tendiert an vielen Stellen gegen
Null. Die Bombenschützen orientieren sich dort alleine an ihren
Navigationsin­strumenten. In den britischen Landeabschnitten lie­
gen die Bombenteppiche einigerma­ßen gut im Ziel. Nicht so im
amerikanischen Landeabschnitt „Omaha“. Aus Furcht, die Bom­ben
könn­ten wirkungslos ins Wasser fallen, klinken die „Liberator“Bomber hier einige Sekunden zu spät aus. Sekunden, die Meilen
bedeuten. Der größte Teil der Bombenlast geht vier Kilometer hin­
ter den deutschen Vertei­d igungs­stellungen nieder. Anlagen, die hier
besonders gut befestigt sind.
Nun eröffnen die Schiffsgeschütze vor den britischen Landeab­
schnitten „Sword“, „Juno“ und „Gold“ das Feuer. Es ist ein giganti­
sches Inferno aus Rauch, Detonationen und Explosionsblitzen. Über
6.000 Schiffe stehen den Alliierten zur Verfü­g ung, die mit Abstand
größte Invasionsflotte aller Zeiten. U.a. gehören dazu: fünf Schlacht­
schiffe, 23 Kreuzer, 69 Zerstörer, 56 Fregatten und Korvetten, 247
Mi­nensucher, fünf Monitore und Kanonenboote, 256 kleinere Schiffe
und 4.126 größere Landungsschiffe. Die un­zähligen Landungsboote
sind nicht mitgezählt. Das Stahlgewitter, welches da über den deut­
schen Unterständen und Bunkern niedergeht, ist nicht zu beschrei­
ben. Es wird ergänzt durch einen Hagel an Raketengeschossen, de­
ren Salven mit einem infernalischen Heulen auf die Strände zujagen
und sich in die Explosionen der schweren Schiffsgra­naten einreihen.
Leseexemplar
408
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
Und doch – so unglaublich es erscheinen mag: nicht alle deutschen
Geschütze werden ver­nichtet, und nicht alle Soldaten im Zielge­biet
getötet. Obwohl jeder Quadratmeter statistisch gleich mehrfach in
Fet­zen gehackt sein müsste.
05.50 Uhr: (britischer Zeit)
Nun eröffnen auch die Schiffe vor den amerikanischen Lande­
abschnitten „Omaha“ und „Utah“ das Feuer. 20 Minuten später als
bei den Briten – und kürzer. Die Amerikaner ziehen das Überra­
schungsmoment einem konzentrierten Trommelfeuer vor. Doch das
Feuer ist konzentriert genug. Ge­nug? Nicht ganz. Nicht im Abschnitt
„Omaha“.
Ab 06.30 Uhr: (britischer Zeit)
„Utah Beach“
Einer der ersten Amerikaner betritt französischen Boden, genau
um 06.39 Uhr. Es ist im Strandab­schnitt „Utah“. Und es ist Briga­
degeneral Theodore Roosevelt junior. Roosevelt sucht nach bekann­
ten Anhaltspunkten für das Gelände. Er findet keine. Offenbar war
die gesamte Landungsflotte abgetrie­ben worden. Doch der deutsche
Widerstand ist gering. Von denen lebt kaum einer mehr. Etwa 200
US-GI`s kommen in diesem Landeabschnitt ums Leben. Nur 200 ...
„Omaha Beach“
Der Zeitplan ist eingehalten. Das Meer ist bewegt, Schaumkronen
zieren die Wellenspitzen. 32 Schwimmpanzer („DD-Tanks“) werden
in etwa fünf Kilometer Abstand von der Küste zu Wasser gelassen. Es
sind „Sherman“-Panzer, welche eine faltbare Hülle ha­ben, die aufge­
blasen wie ein gigantisches Schlauchboot wirkt. Sie trägt sogar das
Gewicht eines Panzers – vorausgesetzt, das Wasser schwappt nicht
über den oberen „Schlauchboot“-Rand. Doch genau das passiert in
der aufgewühlten See. Alle bis auf zwei sinken mitsamt ihren Besat­
zungen auf den Grund des Meeres.
Auf dem rechten Flügel sollen weitere 28 Amphi­bienpanzer ge­
wassert werden. Doch 1st Lieutenant Rockwell erkennt das Desaster.
Er steuert seine Landungsboote an den Strand, lässt diese lieber auf
„DD-Tank“: Sherman-Schwimmpanzer.
Grund laufen, als die Panzerbesatzungen den Seemannstod sterben
zu lassen. Einige Landungs­boote laufen gegen Hindernisse und sin­
ken. Die anderen kommen durch. Die Sherman-„Tanks“ rollen an
Land. Sie werden von Panzerabwehrgranaten empfan­gen. Deutsche
8.8-cm-­Geschütze nehmen sich einen Panzer nach dem anderen vor.
Als alle vernich­tet sind, kommen Rockwells Boote an die Reihe ...
Inzwischen sind die Landungsboote mit der ersten Welle Infan­
terie am Strand. Die Deutschen im Ab­schnitt „Omaha“ haben das
Schiffsartilleriefeuer weitgehend unversehrt überstanden. Die Solda­
ten der schlagkräftigen 352. Infanteriedivision schiessen gut gezielt
aus allen Rohren. Granatwerfer überschütten die Amerikaner mit
einem Geschosshagel, der nur einen Bruchteil dessen ausmacht, was
die Deut­schen erdulden mussten. Doch diese konnten in geschützten
Unterständen das Schlimmste überste­hen – meistens, Volltreffer aus­
genommen. Die Amerikaner dagegen sind dem deutschen Feuer hilf­
los in der deckungslosen Strandfläche ausgeliefert. Bei Ebbe! Es kracht
überall. Es passiert genau das, was nie hätte passieren dürfen.
Leseexemplar
„Omaha Beach“: Seit Steven Spielbergs Film „Saving Private Ryan“ haben
viele Kinobesu­cher ei­ne vage Ahnung von dem, was hier vor sich ging. An
die Wirklichkeit reicht es bei aller schonungsloser Realitätsnähe der im
Film gezeigten Szenen dennoch nicht heran!
Diese Fotos sind nachträglich coloriert, allerdings ausgesprochen professionell.
409
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
Allmählich kommt die Flut.
Maschinengewehrsalven peitschen über den Strand. Die ame­
rikanischen Verluste gehen in die Tau­sende. Die US-Boys sind am
Strand festgenagelt. Die nächste Welle folgt. Auch ihr ergeht es nicht
besser. Zerfetzte Leiber übersäen den Strand, blutüberströmte Lei­
chen bedecken den Sand. Die Hor­rorszenen sind eingehend filmisch
aufbereitet. Doch im Film dauert die Hölle etwa eine entsetzliche
halbe Stunde. Die Realität ist weitaus ausdauernder! Der Alptraum
nimmt kein Ende!
Allmählich kommt die Flut. Für Verwundete, die nicht mehr weg­
kriechen können, ist es vorbei.
Nun versuchen amphibische Trucks, Schwimmfahrzeuge mit Rä­
dern, so genannte „DUKW“s mit Ge­schützen an Bord, an Land zu
kommen. Sie werden ausnahmslos im deutschen Abwehrfeuer ver­
senkt.
Erst als es Oberst Canham und Brigadegeneral Cota am späten
Vormittag gelingt, mit einer geballten Ladung (gebündelte Handgra­
naten) eine Bresche in den Stacheldrahtverhau zu sprengen, der den
Eingang in den Hohlweg nach Saint-Laurent versperrt, wendet sich
das Blatt. Die Flut ermöglicht es den vor der Küste liegenden Zerstö­
rern, nun auf Sichtweite an das Gemetzel auf dem Strandabschnitt
heranzukommen. Sie feuern gezielt auf die deutschen Widerstands­
nester. Eine dieser Salven können Canham, Cota und einige Männer
ausnützen. Der Volltreffer eines Zerstörers zerreißt den Geschütz­
stand von Moulins.
Danach sind die Amerikaner durch.
An anderen Bereichen des Strandabschnittes dauern die Kämpfe
bis zum Abend an. Die Amerikaner verlieren etwa 3.500 Mann, die
deutschen Verluste betragen etwa 700 Soldaten.
„Gold Beach“
Die Briten gehen um 07.25 Uhr an Land. Die Bomber und Schiffs­
geschütze hatten ganze Arbeit ge­leistet. Dennoch gibt es erbitterten
Widerstand. Die britischen Soldaten benötigen den gesamten Tag,
die deutschen Stellungen in Le Hamel niederzuringen. Doch sie sind
mehr als üppig mit Material aus­gestattet. Im Gegensatz zu den Deut­
schen, die dem nicht viel mehr als ihren Durchhaltewillen entge­
genzusetzen haben.
Da die See sehr aufgewühlt ist, bringen die Landungsboote hier die
Panzer direkt an Land. Einige der Kampffahrzeuge werden von den
Deutschen sofort mit Panzerabwehrgeschossen vernichtet. Doch die
anderen dringen vor. Sie erhalten schnell Unterstützung.
Es ergießt sich eine derartige Flut an Material, Panzern, „Crab“Minenräumfahrzeugen und anderem schweren Gerät an den Strand,
dass die deutschen Verteidiger hoffnungslos auf verlorenem Posten
stehen. Am deutschen Widerstand vorbei dringen die britischen Ver­
bände gegen Arromanches und Ver-sur-Mer vor.
„Juno Beach“
Der Landeabschnitt ist der 3. kanadischen Division zugeordnet.
Die nächtlichen Luftangriffe der Alli­ierten hatten kaum Schäden
hinterlassen. Auch das mörderische Schiffsfeuer hatte nur etwa
15 % der Bunker außer Gefecht setzen können. Da sich die Lan­
dung wetterbedingt etwa eine halbe Stunde verzögert, haben die
Deutschen nach Ende des Artilleriebeschusses genug Zeit, sich zu
formieren.
Sie sind bereit, als die Kanadier kommen. Allerdings sind die Män­
ner der 716. Division nur bedingt kampffähig, viele sind RusslandVeteranen mit behindernden Verletzungen.
Leseexemplar
410
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
Das Wasser ist schwer vermint. Die hohe Dünung erschwert die
Landung. Man hat Mühe, die Schwimmpanzer zu Wasser zu lassen
und heil an Land zu bringen. Es gelingt nur einigen von ihnen, die
Küste zu erreichen, und diese kommen erst nach den Sturmtruppen
an Land. Die Infanteristen bleiben bis zu diesem Zeitpunkt ohne
Panzerunterstützung und erleiden ent­sprechend heftige Verluste. Am
Ostende des Landeabschnittes ist die See so rau, dass die Infanterie
ganz ohne Panzer auskommen muss.
Der deutsche Widerstand ist grimmig und ent­schlossen. Auch der
westliche deutsche Stützpunkt Courseulles-sur-Mer hält sich tapfer.
Hef­tige Ge­fechte entbrennen. Nach einer Stunde ist die Hälfte der an
Land gegangenen Kanadier tot, im deutschen Feuer gefallen. Es ist
weniger bekannt – doch das ent­spricht durchaus der Verlustrate der
Amerikaner in Omaha Beach zu diesem Zeitpunkt! Nun allerdings
wirken sich die noch kampffähigen Panzer der Kana­dier aus. Es ge­
lingt ihnen, die deutschen Verteidigungs­stel­lungen zu durchbrechen.
Mit ihrer Hilfe überwinden die Kanadier den Strandwall und fallen
den Deut­schen nun in den Rücken.
Dennoch wird verbissen weitergekämpft – buchstäblich bis zur
letzten Patrone und Handgranate. Die Hauptstreitmacht der Kana­
dier umgeht allerdings fortan die Widerstands­nester und dringt ins
Landesinnere vor.
„Sword Beach“
Es ist der östlichste der fünf Landeabschnitte. Um 06.00 Uhr ver­
lassen die ersten Landungsboote ihre Mut­terschiffe. Auch 34 „DDTanks“ – Schwimmpanzer – werden zu Wasser gelassen. Die See an
diesem Strandabschnitt ist relativ ruhig, sodass das Anlanden der
Panzer gelingt. Überwiegend ge­lingt. Denn zwei der Panzer versin­
ken in den Fluten. Die anderen erreichen das Ufer etwa zeitgleich mit
der ers­ten Welle der Infanterie.
Raketenwerfer der Briten belegen den Strand und seine Befestigun­
gen mit Dauerfeuer fast bis zum Landezeitpunkt der Landungsboote.
Es ist 07.25 Uhr. Centaur IV-Panzer und Sexton-Selbstfahrlafet­ten
sind so in den Landungsbooten positioniert, dass sie über den Rand
der Rampe hinaus schon bei der Annäherung an den Strand auf er­
kannte gegnerische Stellungen feuern können.
Bei La Breche emp­f ängt die Briten erbittertes und gut gezieltes Ab­
wehrfeuer. Einige Panzer werden abgeschossen. Doch schon naht die
zweite Welle und landet. Als sich die Rampen senken, blicken die Sol­
daten direkt ins Mündungsfeuer der deutschen Geschütze und Ma­
schinengewehre. Der Kommandeur der 1st South Lancs fällt ebenso
wie ein Kompanieführer und sein Stellvertreter. Der Kampf ist hart
und müh­sam. Es gelingt den Pan­zern aber, eine der deutschen Artil­
leriestellungen und Befestigungen nach der ande­ren zum Schweigen
zu bringen. Erst gegen 10.00 Uhr ist es schließlich vollbracht.
Westlich haben es die Briten mit weiteren deutschen Befestigungen
zu tun. Der Hauptstützpunkt „Trout“ wird von den Royal Marines
angegriffen. Drei „AVRE“-Panzer kommen ihnen zu Hilfe. Alle drei
werden von einem deutschen Panzerabwehrgeschütz erledigt.
Trotzdem ist der englische Durchbruch nicht aufzuhalten.
Etwa 700 britische Soldaten sterben.
Wie viele von ihnen den Geschossen aus den Maschinengewehren
und Bordkanonen von Oberstleut­nant Josef Priller und Unteroffizier Heinz Wodarczyk zum Opfer fallen, ist nicht bekannt.
Die deutsche Luftwaffe
Das erste deutsche Flugzeug, das über der Invasionsflotte er­
scheint, ist ein Jagdaufklärer der 3./NAGr 13. Leutnant Adalbert Bär­
wolf staunt nicht schlecht über das, was sich kurz nach Sonnenauf­
gang seinen Augen darbietet. Das Ausmaß der Todesmaschinerie
unter ihm ist ungeheuerlich.
Lille-Nord, 88 Kilometer südöstlich von Calais und knapp 250 Ki­
lometer östlich von Ouistreham. Stabszentrale des Jagdgeschwaders
(JG) 26. Wenn man das so nennen kann. Denn das JG 26 wurde
erst gestern, am 5. Juni 1944, gegen den erklärten und entschiede­
nen Einspruch seines Kommandeurs in alle Winde zer­streut, um
die wertvollen Maschinen vor den immer gefährlicher werdenden
angloamerikanischen Jagdbom­berangriffen am Boden vorerst in Si­
cherheit zu bringen. Die I. Gruppe ist unter­wegs in den Raum Reims,
die III. Gruppe ist in Nancy, wobei die I. Gruppe bisher abends zu­
rückkehrt und sich frühmorgens aus der Schusslinie bringt. Nun ist
beschlossen, sie dauerhaft in Reims zu stationieren.
Die II. Gruppe befindet sich derzeit in Mont-de-Marsan, mit­
ten zwischen Bordeaux und der spani­schen Grenze, und in Biar­
ritz. „J.w.d.“ würde der Berliner sagen – „janz weit draußen“. „En
Hendrdubbfinga“ (In Hin­tertupfingen) sagt der Schwabe. Oder ganz
einfach „am Arsch der Welt“!
Jedenfalls 800 Kilometer weit südwestlich von Lille. Und 610 Ki­
lometer entfernt von Ouistreham ...
Doch in Ouistreham ist plötzlich die Front.
Sword Beach, genauer gesagt.
Der Kommodore des Jagdgeschwaders 26 hatte diesen vermeint­
lichen Unsinn zu verhindern ver­sucht. Oberstleutnant Priller ist ein
reizbarer Mann, bekannt für seinen Jähzorn. Und auch dafür, selbst
Generälen die Meinung zu sagen, wenn ihm der Kragen platzt. Es sei
unverantwortlich, im An­gesicht der drohenden Invasion sein kom­
plettes Geschwader in alle Himmelsrichtungen zu verteilen, statt es
da zu lassen, wo es voraussichtlich bald gebraucht werde – an der
Kanalküste! Priller hatte getobt gestern. Es war ein Wutausbruch der
allerersten Sahne, echter Prillerscher Art! „Das ist doch Wahnsinn!“
hatte Priller ins Telefon geschrien, „Wenn wir mit einer Invasion rechnen, dann sollten die Staffeln vorgezogen werden, nicht zurück! Und
was passiert, wenn der Angriff während der Verlegung anfängt? Mein
Nachschub kann nicht vor morgen oder übermorgen in den neuen
Stützpunkten sein! Ihr seid doch alle verrückt!“ Als popliger Geschwa­
derkommandeur überblicke er ja wohl nicht die Ge­samt­lage, wurde
er brüsk zurechtgewiesen. Außerdem komme bei dem schlechten
Wetter eine Inva­sion doch gar nicht infrage!
Priller hatte den Hörer auf die Gabel geknallt und dann seinen
Kameraden Wodarczyk angesehen, den einzigen Piloten, der ihm
von seinem gesamten Geschwader noch geblieben war. Dann hatte
er eine Flasche Kognak angesehen. „Was können wir d‘ran ändern?
Wenn die Invasion kommt, verlan­gen die wahrscheinlich von uns, dass
wir sie ganz alleine aufhalten! Da fangen wir besser jetzt schon an, uns
zu besaufen!“ Gegen 01.00 Uhr nachts war die Flasche leer. Ob Priller
das dann auch noch gese­hen hat, ist nicht überliefert.
Und nun, am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe, läutet
das Telefon. Heute ist der 6. Juni 1944. Geschwaderkommodore
Leseexemplar
411
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
Oberstleutnant Priller meldet sich verschlafen. „Priller,“ hört er eine
aufge­regte Stimme am anderen Ende „es sieht danach aus, als ob so
etwas wie eine Invasion im Gange ist! Ich schlage vor, Sie machen Ihr
Geschwader startklar!“ Am Telefon ist der Ia-Offizier des zuständigen
Jagdkommandos II.
Priller hat Mühe, wach zu werden. Wie bitte, hatte er da gerade
richtig gehört? Die Invasion? Na, be­stens! Genau so hatte er sich das
vorgestellt! Priller sieht zuallererst mal die dringende Notwendig­keit,
seinen Gegenüber in allen Einzelheiten darüber aufzuklären, was er,
Priller, vom gesamten Oberkommando der deutschen Luftwaffe im
Allgemeinen und vom Jagdkommando II in Frankreich im Speziellen
so hält. Die farbenfrohen Formulierungen des Geschwaderkommo­
dore sind alles andere als druckreif, wie er später selber eingestehen
muss. „Wen, verdammt noch mal, soll ich denn wohl startklar machen?
Ich bin startklar! Wodarczyk ist startklar! Und Ihr Klotzköpfe wisst
doch ganz ge­nau, dass ich nur noch lumpige zwei Maschinen habe!“
Priller knallt den Hörer auf die Gabel.
Doch das Telefon bleibt nicht lange stumm. Es ist derselbe Offi­
zier, der sich mühsam beherrscht, als Priller sofort wieder ausrastet.
Er gibt Entwarnung. Es sei alles nur eine Falschmeldung gewesen.
Priller bleibt die Spucke weg. Doch an Schlaf ist nun nicht mehr zu
denken.
Auch dabei sollte es nicht bleiben. Einige Zeit später klingelt der
Hörer erneut. Und wieder ist das Jagdkommando II am anderen Ende
der Leitung. Namentlich der Ia des Jagdkommandos – ein drittes Mal.
„Priller,“ hört es der erstaunte Kommodore aus dem Hörer schallen,
„die Invasion hat angefan­gen! Am besten steigen Sie gleich auf!“
Jetzt platzt dem Kommandeur des Jagdgeschwaders 26, der ges­
tern noch über 71 Jagdflugzeuge vor Ort verfügt hatte, endgültig der
Kragen. „Da haben wir den Salat! Ihr verfluchten Blödmänner! *3 Was
soll ich denn wohl mit zwei Maschinen ausrichten? Wo sind meine
Staffeln? Könnt Ihr die zurück­holen, he?“
Der Offizier des Jagdkommandos lässt sich nicht provozieren.
„Priller,“ sagt er schließlich, als er zu Wort kommt, „wir wissen noch
nicht genau, wo Ihre Staffeln gelandet sind, aber wir werden sie auf
den Flugplatz von Poix zu­rückverlegen. Setzen Sie Ihr gesamtes Bodenpersonal sofort dorthin in Marsch! Inzwischen fliegen Sie selber am
besten in den Invasionsraum. Machen Sie’s gut, Priller!“
Nun beherrscht sich auch Priller. So gefasst wie nur möglich er­
widert er: „Und hätten Sie wohl auch noch die Güte, mir zu sagen, wo
diese Invasion stattfindet?“
„Normandie, Priller! In der Gegend von Caën!“
Es wird sofort veranlasst, dass alle drei Gruppen des JG 26 näher
an die Invasionsfront heranzufüh­ren und zum Ein­satz zu bringen
sind. Priller benötigt etwa eine Stunde, um die entsprechenden An­
weisungen zu geben.
Die erste (I.) Gruppe und die dritte (III.) werden telefonisch alar­
miert, starten und werden auf die Flugplätze Creil und Cormeillesen-Vexin (20 Kilometer nordwestlich des Stadtrandes von Paris)
dirigiert, um dort die Jäger des Jagdgeschwaders 2 zu verstärken.
Die zweite (II.) Gruppe ist bereits seit 05.00 Uhr informiert und seit
07.00 Uhr unterwegs ins Kampf­gebiet. Schwieri­ger ist das Umdiri­
gieren der ohne­hin auf der Straße befindlichen Bodenmannschaften
mit Tross und aller Ausrüstung. Die fahren nach Stand der Dinge
nun in die falsche Richtung! Es gilt jetzt, alles in die Normandie zu
schaffen. Doch die Straßen dorthin sind zerstört – und derzeit brand­
gefährlich! Der „Unsinn“ rächt sich nun.
In Lille ist es 08.00 Uhr *4 mor­gens am 6. Juni 1944. Priller geht
mit seinem Kameraden Wodarczyk zum Start. Über die Aussichten,
diesen Einsatz zu überleben, macht sich keiner der beiden irgendwel­
che Illusionen!
Die beiden Focke-Wulf 190 A-8 starten. Priller fliegt eine mo­
difizierte Maschine, deren äu­ßere Tragflä­chenkanonen ausgebaut
wurden, um den Jäger leichter und damit schneller und wendi­ger zu
ma­chen. Es ist davon auszugehen, dass auch sein Rottenflieger eine
derartig gewichtsreduzierte „190“ benutzt. Priller fliegt voraus. Wo­
darczyk hält sich gemäß Instruktion knapp hinter ihm und folgt.
Die beiden einsamen deutschen Jäger jagen im Tiefstflug über die
französische Landschaft nach We­sten. Doch die Einsamkeit ist eine
sehr einseitige Angelegenheit. Sie bezieht sich derzeit nur auf Ma­
schinen mit einem Balkenkreuz auf Rumpf und Tragflächen. Über
ihnen ist die Hölle los, Je näher die beiden deutschen Jagdflugzeuge
den Invasionsstränden kommen, desto mehr alliierte Jäger tum­meln
sich weit über ihnen am Himmel. Ganze Pulks amerikanischer Mus­
tang-Jäger, auch Thunder­bolts. Und britische Spitfire. Doch keiner
der alliierten Piloten an jenem wolkenverhangenen Himmel bemerkt
die zwei grau gefleckten deutschen Jäger wenige Meter über der Erd­
oberfläche.
Kurz vor Le Havre türmt sich eine Wolkenfront vor Prillers Motor­
haube. Der Oberstleutnant zieht hoch und verschwindet in der grau­
en Wand. Wodarczyk folgt ihm. Als beide Maschinen auf der anderen
Seite der Wolkenfront wieder aus der „Suppe“ herausfliegen, bietet
sich den zwei deutschen Piloten ein unbeschreibli­ches Schauspiel.
Vor ihnen liegt die gesamte kolossale alliierte Invasionsflotte.
Und der Landungsabschnitt, den die Briten „Sword Beach“ nen­
nen. Doch das weiß weder Priller noch Wodarczyk. Auch nicht, dass
sie beide in den folgenden Minuten in die geschichtliche Unsterb­
lichkeit eingehen würden. Sie rechnen eher mit profaner Sterblich­
keit, alle beide. Aber wenn schon, dann wenigstens mit Pauken und
Trompeten.
Unter ihnen am Landestrand wird hart gekämpft. Priller ruft sei­
nem Rottenflieger per Funk zu, er solle dicht an ihm dran bleiben.
„Tolle Sache – ganz tolle Sache! Da unten ist alles zu haben, wo man
nur hinsieht! Glaub` mir – das ist die Invasion!“ Priller holt staunend
Luft. Dann gibt er den Befehl zum Angriff. „Wodarczyk, wir gehen
‘ran! Mach’s gut!“
Mit diesen Worten kippt der Oberstleutnant seine Focke-Wulf ab
und rast mit 650 km/h auf den Strandabschnitt zu. In weniger als 50
Meter Höhe fängt er sein Jagdflugzeug ab und jagt aus allen Rohren
feuernd über den Strand.
Die britischen Sol­daten hechten zu Boden, als die Geschosse rings
um sie herum einschlagen. Nun wacht die Schiffs-Flak auf. Deren
Geschütze decken die beiden deutschen Jagdflugzeuge mit einem
Leseexemplar
412
*3
Anmerkung: es ist davon auszugehen, dass die in den Quellen dargelegten Formu­l ierungen wie das
Wort „Blödmänner“ nachträglich – sagen wir – „geschönt“ wurden! Man kann davon ausgehen,
dass die tatsächlichen Aussagen drastisch deftiger waren und einer gewissen anatomischen Region
näher liegen.
*4
Es handelt sich um deutsche Zeit, das heißt, für die Landungstruppen ist es 09.00 Uhr.
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
Geschosshagel ohne Beispiel ein. Doch vergebens. Vorne weg fliegt
Priller, hinter ihm rast Wodarczyk über den Sandstrand und schießt
aus allen Waffen. Dann endlich zieht Priller hoch. Wie durch ein
Wunder hat kein einziges Flak-Ge­schoss eine der beiden Fo­cke-Wulf
getroffen. Und – noch erstaunlicher – kein britisches oder ameri­
kanisches Jagdflugzeug ist zu sehen.
Als diese endlich eintreffen, sind die zwei Focke-Wulf in eine ähn­
lich dichte Wolkenwand hinein ver­schwunden wie die, aus der sie so
plötzlich aufgetaucht waren.
„Das also ist der größte Augenblick in der Geschichte der Luftwaffe“. Prillers Sarkasmus geht ätzend über den Funkverkehr. Doch sie
hatten überlebt.
Der britische Oberheizer Robert Dowie auf der HMS „Dunbar“
soll angesichts der dreisten Showeinlage dieser beiden deutschen
Jagdflugzeugpiloten ungläubig den Kopf geschüttelt und dann ge­
sagt haben: „Deutscher hin, Deut­scher her, viel Glück wünsch` ich
Euch – Ihr Kerle habt Schneid!“.
Die beiden „Kerle“ landen heil und sicher. Aber schweißgebadet.
Sie mögen nach Leutnant Bärwolf die ersten deutschen Piloten über
dem Kampfgebiet gewesen sein. Die Einzigen heute sind sie nicht. Doch
es ist der berühmteste Tiefangriff über den Landestränden.
Nahe am Frontgebiet der Normandie ist das zweite in Frankreich
vertretene deutsche Jagdgeschwa­der, Major Kurt Bühligens Jagdgeschwader 2, stationiert. Allerdings befindet sich auch eine seiner drei
Gruppen, die III. Gruppe, gerade in der Phase der Verlegung. Sie
ist nach Fontenay-Le-Comte nördlich von La Rochelle unterwegs,
während die II. Gruppe gar in Gütersloh in Deutschland zur Auf­
frischung ist. Seit Jahresanfang hatte sie über 50 Piloten verloren – es
ist dringend Ersatz notwendig.
Die am schnellsten in die Nähe der Invasionsstrände gebrachte
Gruppe des JG 2 ist die I. Gruppe unter Major Erich Hohagen. Zu­
mindest nach ihrer hastigen Verlegung in den ersten Morgenstunden
vom Raum Nancy aus nach Creil. Auch die III. Gruppe, welche trotz
Verlegung zum Ein­satz kommt, greift ab Mittag in die Kämpfe ein.
Ihr Gruppenkommandeur Hauptmann Herbert Huppertz wird heute
sogar über sich hinauswachsen! Auch die I., II. und III. Gruppe des
JG 26 starten am 6. Juni 1944 trotz der Rücknahme ins Hinterland
ab der Mittagszeit doch noch gegen die alliierte Luftarmada.
Am Boden gibt es zunächst Anlass zur Hoffnung. Die 21. deutsche
Panzerdivision schafft es, die briti­schen Truppen bei Caën („SwordBeach“) in Bedrängnis zu bringen. Doch letztlich kann der deut­
sche Gegenangriff, auch unter Einsatz britischer Hawker „Typhoon“Jagdbomber, von den Briten zum Ste­hen gebracht werden. Allerdings
entsteht eine für die Alliierten gefährliche Situation, als es dem deut­
schen Panzergrenadierbataillon 192 gelingt, einen Keil zwischen die
kanadische 3. und briti­sche 3. Division zu treiben und zwischen den
Abschnitten „Juno“ und „Sword“ die Küste zu errei­chen. Der Erfolg
der Invasion steht auf des Messers Schneide. Ein weiteres Vordringen,
das schnelle und ziel­gerichtete Ausnutzen dieses taktischen Vorteiles
hätte jetzt nur durch die allerdings bei Tage sehr riskante Zuführung
weiterer deutscher Panzerkräfte erfolgen können. Trotz allem Risiko
eine militä­risch zwingende Chance! Die Panzerdivisionen stehen von
Rundstedt zur Verfü­g ung. Theoretisch. Doch deren Einsatzbefehl hat
sich der Führer persönlich vorbehal­ten. Und der Führer schläft.
Als er aufwacht, glaubt er an ein Ablenkungsmanöver. Die
Haupt­i nvasion stünde noch bevor – am Pas de Calais, wie erwartet.
Daher verbietet er die Heranführung weiterer Truppenteile in die
Normandie aus dem Bereich der 15. Armee. Und den Einsatz der
Panzerreserve. Bis es hoffnungslos zu spät ist. Hitler zögert selbst
noch am 8. Juni 1944! Die Finte der britischen Doppelagenten zahlt
sich aus.
Gegen Abend erscheint Erwin Rommel wieder in La RocheGuyon. Die Unterredung mit Hitler hat er abgesagt. Wozu auch jetzt
noch? Der Feind war nicht am Strand vernichtet worden. Er hatte
bereits 150.000 Mann an Land gebracht, nun Brüc­kenköpfe installiert
und war dabei, diese zu sichern. Rom­mel weiß, was dies bedeutet. Er
war die ganze Zeit stumm zusammen mit seinem Fahrer und dem
Ordonanzoffizier, Hauptmann Lang, im Wagen gesessen. Dann hatte
er einen Satz gesagt: „Ich hab’ die ganze Zeit Recht gehabt – die ganze
Zeit!“ An diesem Abend des ersten Invasionstages haben die alliierten
Trup­pen etwa 9.000 Ge­fallene zu beklagen. Man hatte in England
mit mehr gerechnet ...
Ach ja – und die deutsche Luftwaffe? Sie hat am Ende des ersten
Tages der Invasion stolze 170 Ein­sätze gegen die alliierten Luftstreit­
kräfte geflogen. Die Piloten der Gegenseite hatten es zum Ver­gleich
auf gerade mal läppische 14.000 Einsatzflüge gebracht! Man könnte
Prillers Sarkasmus verstehen!
Leutnant Wolfgang Fischer von der 3. Staffel des JG 2 berichtet
über seine Erlebnisse am Invasi­onstag. Bereits die Zeit kurz zuvor
ist aufschlussreich – sein Bericht lautet, in die Erzählform Präsens
transferiert (die Zeitangaben sind aus deutscher Sicht angegeben):
„Freitag, 3.6.1944:
An diesem Tag wird unsere I. Gruppe noch weiter ins Landesinnere
zurückgenommen, nämlich nach Nancy/Lothringen und Umgebung.
Die 1. und 3. Staffel landen auf dem Plateau über der Stadt. Dort
bleiben wir das ganze Wochenende tatenlos liegen, was für mich recht
angenehm ist, denn Nancy kenne ich von meiner Zeit 1943 auf der
Jagdschule JG 107 sehr gut. Heute erkläre ich mir diese Rückverlegung
so, dass man den Zeitpunkt und Ort der ‚Invasion’ gekannt hat und
die Jagdgruppen vor dem erwarteten Luftschlag in Sicherheit bringen
wollte. ‚Die deutsche militärische Abwehr’ unter Admiral Canaris
hatte nämlich bei der Gegenseite unter Einsatz von einem Heer von
‚V-Leuten’ er­folgreich Spionage betrieben. Sein Mitarbeiter, Oberstleutnant Oskar Reile, damals ‚Kommandeur Frontaufklärung West’
schreibt in seinem authentischen Dokumentarbericht ‚Der deutsche
Geheim­dienst im II. Weltkrieg – Westfront’ Folgendes:
Leseexemplar
‚Seite 351: ‚...Die zuständigen Offiziere im Stab des Oberbefehlshabers West (Feldmarschall Rommel, d. V.) und in
den Frontaufklärungstruppen West waren zwar seit Beginn
des Jahres 1944 auf Grund der Erkundungsergebnisse der
festen Überzeugung, dass der Hauptstoß der Invasion in der
Norman­die zu erwarten sei, doch ließen sich Hitler und seine
Berater von den diesen Offizieren vorliegenden Argumenten
nicht überzeugen. Der ‚Führer’ vertraute lieber seinem ‚unfehlbaren Feldherrngenie’ und den Meldungen zahlreicher
Dienststellen des RSHA (Reichssicherheitshauptamtes, d. V.)
und der Nationalsozialistischen Partei. [...] Es wurde im Stab
413
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
6. Juni 1944
Leseexemplar
414
Flugzeugtyp:
Focke-Wulf 190 A-8
Nationalität:
Luftwaffe
Einheit:
Stab/JG 26 und 4. Staffel/JG 26
Piloten:
Oberstleutnant Josef „Pips“ Priller (vorne) und
Unteroffizier Heinz Wodarczyk (hinten)
Stationierung:
Lille-Nord/Frankreich/6. Juni 1944
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
Das von „Pips“ Priller am 6. Juni 1944 benutzte Flug­zeug trägt seine traditionelle schwarze Nummer 13.
Das Foto entstand in den Tagen um die Invasion herum. Doch die Nr. 13 ist nicht die offi­zielle Markierung
für einen Geschwaderkommodore. Dass es früher ein regulär markiertes
Flugzeug gab, beweist das Foto unten links.
Leseexemplar
Am 5. Februar des Jahres 1944 besucht der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B, Erwin Rommel,
das JG 26. Im Vordergrund ist Oberstleutnant Prillers Focke-Wulf 190 zu erkennen, damals noch vom
Typ A-6 mit der Werknummer 530120. Diese Maschine trägt noch die reguläre Kommandeurskennung
–
– . Die Werknummer ist auf der rechten Leitwerkseite mit 0120 abgekürzt, links jedoch vollständig angebracht. Ebenso ist der stilisierte Adlerflügel (der schwarze Zacken unter der Motorhaube)
asymmetrisch: Er ist rechts kürzer als links.
415
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
Oberstleutnant Priller, Feldwebel Schmidtke, Unteroffizier Wodarczyk,
Unteroffizier Grad. Man bemerke die gut getarnte Focke-Wulf 190 hinter
den Männern.
Prillers „schwarze 13“ „♥ Jutta“ 13 –
Von diesen Männern ist bei Kriegsende nur noch einer am Leben. Es ist der
eher kleinwüchsige Mann mit der Pfeife links außen und dem Spitznamen
‚Pips’! Die „Unterredung“ scheint eine Art Rapport zu sein – Priller sieht
nicht gerade sehr zufrieden aus!
– mit Zusatztank.
Leseexemplar
Josef Priller vor einem Einsatz in seiner früheren Focke-Wulf 190 A-6 mit
der Werknummer 530120. Hier ist die rechte Heckseite zu sehen, welche
nur die Zahlen 0120, diese dafür in größerer Schrift zeigt, während die
Nummer auf der anderen Seite vollständig ist.
416
Zwei andere Jagdfliegerasse im Gespräch: Oberst Walter Oesau (links)
und Maior Heinz Bär (rechts) im April des Jahres 1944 in Störmede. Walter
Oesau ist Geschwaderkommodore des JG 1, Heinz Bär wird wenig später
am 1. Juni 1944 zum Kommodore des JG 3 ernannt.
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
des OB West nie beharrlich angenommen, dass der Hauptstoß der Invasion am Pas de Calais und nicht in der Normandie erfolgen werde, dagegen wurde diese Idee wiederholt
vom OKW/Wehrmachtführungsstab vertreten. Begründung:
schmalste Stelle des Kanals ...!’
‚Seite 348: ‚Am 1. Juni 1944 gegen 18.00 Uhr stürzten die
mit dem Abhören des BBC-Senders beauf­tragten Soldaten
herbei und meldeten mir, dass soeben 26 der Sprüche durchgegeben worden seien, die für die in Betracht kommenden
Einheiten der Résistance und der SOE-Gruppen bedeuten:
Höchste Alarmbereitschaft! Die Invasion kann jeden Augenblick beginnen.
Noch am gleichen Abend unterrichtete ich fernmündlich und
per Fernschreiben den Oberbefehlshaber West ... [...] Schließlich empfanden wir es als eine Erlösung, als von BBC am 5.
Juni gegen 18.00 Uhr die von uns erwarteten Sprüche durchgegeben wurden, die für die Empfänger in den Résis­tance- und
Agentengruppen bedeuteten: Die Invasion beginnt, geht sofort
an die Durchführung der Euch für den Tag X übertragenen Aufgaben! Sofort meldete ich den Sachverhalt fernmündlich an
die in Betracht kommenden Führungsstäbe ...’ “
Leutnant Fischer schreibt weiter:
„Montag, 6. Juni 1944:
Morgens etwa um 05.00 Uhr fährt ein Kradmelder an meinem Hotel vor, brüllt meinen Namen und „Invasion!“ – und fährt mich zum
Plateau hinauf, wo wir durch kniehohes Gras zum Platz Creil starten
(circa 40 Kilometer nördlich von Paris) Dort werden unsere Maschinen
mit Bordraketen „BR 21“ ausgerüstet [...].
Während der zwei Stunden Wartezeit für die Montage überlege ich,
wie man wohl mit diesen Dingern etwas treffen könnte (‚gearbeitet’
hatte ich nämlich noch nie damit). Wir nennen sie ‚Dödls’ – das war
ein Sammelbegriff für alles Mögliche (auch das Ritterkreuz z.B. ist
so genannt worden). Die Zielanwei­sung lautet nämlich schlicht und
ergreifend:
‚Auf 1.000 Meter Entfernung 80 Meter links vorhalten.’ Zur Stabilisierung der Flugbahn treten die Treibgase aus 24 schräg in den
Raketenboden gebohrten Löchern aus, sodass sie einen Rechtsdrall bekommen und nach rechts abdriften. Gegen kleine, punktförmige Ziele
sind sie daher ungeeignet. Gegen Schiffe allerdings mit ihrer großen
Längenausdehnung, so kalkuliere ich, müsste man eine reelle Chance
haben. Nun ist unsere [...] Zieleinrichtung (‚Revi’ = Reflexvisier) so
konstruiert, dass sie ein Luftbild eines Kreises vor die Augen projiziert,
dessen Durchmesser 1/10 der Entfernung zum je­weiligen Zielobjekt
simuliert, d. h. wenn z. B. eine Jagdmaschine mit der üblichen Spannweite von 10 Metern den Kreis gerade ausfüllt, sitzt man 100 Meter
hinter ihr. So könnte ich mit genügender Genauig­keit den Abstand zu
einem Schiff und das notwendige Vorhaltemaß ermitteln, um beim Angriff von der Breitseite einen Treffer anbringen zu können – wenn man
uns informieren würde, wie lang diese ver­dammten Kähne eigentlich
sind. So nehme ich als unbedarfter Luftkutscher für die verschiedenen Typen bestimmte Längen an, z. B. für einen Truppentransporter
100 Meter. Um 09.30 Uhr starten wir dann mit zwölf Maschinen (Fw
190 AS) unseren 1. Einsatz an die Invasionsfront im Bereich des briti­
schen Abschnitts ‚Gold’ an der Küste des Dorfes Vers sur Mer. Hohagen
Focke-Wulf 190 A-8 mit Werfer-Raketen „Bordrakete“ BR-21 (21 cm).
fliegt diesen Einsatz noch nicht mit, an seiner Stelle führt Hauptmann
Wurmheller den Verband. Der Himmel ist zu diesem Zeit­punkt mit
dicken Kumuluswolken zu 7/10 bedeckt, dazwischen sichten wir immer
wieder Schwärme von alliierten Jägern, mit denen wir uns aber nicht
einlassen sollen, um erst mal unsere Raketen ge­gen Schiffsziele einzusetzen. Etwa um 10.00 Uhr überfliegen wir Bayeux, in dem ich bereits
Brände feststellen kann, fliegen geschickterweise erst mal in circa 3.000
Meter ein Stück auf die Seinebucht hinaus und greifen dann von See
her an, wodurch wir die Schiffsflak täuschen können, denn wir blei­ben
zunächst unbehelligt.
Das entscheidende Handicap für uns ist, dass wir wegen des dichten
Jagdschutzes über dem Lande­kopf nicht genügend Zeit haben, günstige
Positionen einzunehmen, um Schiffe von der Breitseite an­zufliegen.
Aus unserer Flughöhe kann ich den ganzen Küstenstreifen von der
Ornemündung bei Caën bis hinauf nach St. Maire-Eglise überblicken,
vor dem eine tief gestaffelte Armada von Schlachtschif­fen weit draußen, Transportschiffen näher zum Land und kleine Landungsboote,
die mit Heckwellen zum Strand unterwegs sind. Über den küstennahen
Einheiten hängen dicke, dunkle Sperrballons in der Luft. Da ich keinen
Vergleichsmaßstab für ähnliche Operationen habe, nehme ich diese
grandiose Szenerie zunächst ohne große Gefühlsregungen hin, wenn
mich auch im Unterbewusstsein eine Ah­nung befällt, dass dieses alles
nicht mehr zu beherrschen ist.
Ich habe aber als Einziger das Glück, einen größeren Kahn (sieht
aus wie ein Truppentransporter der Victory- oder Liberty-Klasse –
ca. 8.000 Tonnen – von denen ich schon mal ganz vage gehört hatte)
direkt in meiner Anflugrichtung breitseitig anzutreffen. Ich drücke
an und ziele eine halbe Schiffslänge vor den Bug, registriere aber
nicht gleich, dass sich der Kahn langsam nach links und dann auch
noch in einer leichten Linkskurve bewegt. Ich korrigiere also noch
schnell bei reduzierter Fahrt (um nicht unter die 1.000-Meter-Grenze
zu kommen) auf eine ganze Schiffslänge nach links auf vier Zentimeter mutmaßli­chen Kurs des Schiffes, warte, bis es nach meiner Schät-
Leseexemplar
417
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
zung den Durchmesser des Revis ausfüllt (damit bin ich circa 1.000
Meter entfernt), löse die Raketen aus und sehe mich für den Bruchteil
einer Sekunde von einem mächtigen Feuerschein umgeben, begleitet
von dem Geheul einer Horde von Teufeln. Gleichzeitig macht die
Maschine wegen der plötzlichen Entlastung einen Sprung nach oben.
Alles zusammen lässt mich zunächst vor Schreck erstarren, aber das
ist schnell vorbei, als der Flieger ruhig und sicher weiterfliegt. Ich
verfolge dann die beiden Lichtpunkte auf ihrem Flug nach unten und
kann feststellen, dass der linke im Heck des Schiffes in einer Explosi­
onswolke verschwindet, während der rechte knapp hinter dem Schiff
in einer Wasserfontäne verlischt.
Anschließend werfe ich die beiden Kartuschen ab und steuere wegen
des anschwellenden Flak-Feu­ers mit zunehmender Fahrt im Sinkflug
auf die Küste zu, wobei ich mit allen Bordwaffen die Strandlinie unter
Feuer nehme und Kurs auf den ‚Gartenzaun’ [Anmerkung: damit ist
der Heimat-Flugplatz ge­meint] nehme. Längeres Verweilen über dem
Landekopf ist wegen des dichten alliierten Jagdschutzes nicht möglich.
‚Gartenzaun’ erfolgt dann ca. 10.45 Uhr, aber nicht in Creil, sondern
auf der Pferde­rennbahn von Senlis, an der ein kleines Landschloss
liegt, in dem wir untergebracht werden. Der Treffer wird mir von meinem Kameraden Leutnant Walterscheidt bestätigt. Der Kommandeur
spricht mir seine Anerkennung aus.
Seltsamerweise gibt es bis zum Abend für die ganze I. Gruppe keinen Einsatz mehr, lediglich der Kommodore fliegt mit seinem Stabsschwarm am Nachmittag einen Einsatz zum Landekopf und schießt
dabei eine P-47 ‚Thunderbolt’ ab [Anmerkung: gemeint ist Major
Hohagen, es handelt sich allerdings bei der ‚P-47’ um eine Typhoon]
während alle Flugzeugführer sogar die Erlaubnis zum Verlassen des
Platzes be­kommen. Nachdem der Tag sehr warm geworden ist, nutze
ich die Gelegen­heit, mit einigen Kamera­den das öffentliche Schwimmbad zu besuchen, wo wir unter der Bevölkerung im Wasser herumplan­
schen und uns von der Sonne bescheinen lassen, während eine einsame
P-51 ‚Mustang’ in aller Ruhe in circa 2.000 Meter Höhe über der Stadt
herumkurvt, aber unsere abgestell­ten Maschinen glücklicherweise
nicht ortet, denn es erfolgt kein Luftangriff auf unsere ‚Rennbahn’, wie
wir unseren Platz genannt hatten. Eine fürwahr groteske Situation!
Erst am Abend tut sich wieder etwas, als um circa 19.30 Uhr der
Kommandeur der III. Gruppe, Hauptmann Huppertz, mit fünf Focke-Wulf 190 A-8 bei uns landet und mich mit noch zwei Kameraden
(Leutnant Eichhoff und Oberfähnrich Beer) zu einem Einsatz gegen
Luftlandeeinheiten im Raum von Caën mitnimmt. Wir starten um
circa 20.00 Uhr und fliegen in etwa 400 Meter über Grund ziemlich genau nach Westen. Auf Höhe von Evreux aber sichten wir zwölf P-51, die
in Reihe eine Wehr­machtskolonne in Tiefangriffen bekämpfen. Damit
ist das vorgesehene Einsatzziel nicht mehr er­reichbar, denn wir müssen
nun vordringlich die marschierende Kolonne schützen und die Zusatztanks abwerfen. Die ‚Mustangs’ sind so sehr in ihre ‚Arbeit’ vertieft,
dass sie unsere acht Focke-Wulf 190 nicht bemerken, als wir in ihrem
Rücken auf 1.200 Meter steigen und sie dann aus optimaler Position
von hinten oben angreifen. Es kann sich buchstäblich jeder von uns
während des Aufstiegs in aller Ruhe ‚Seinen’ aussuchen. ‚Meiner’ ist
gerade dabei, eine Kolonne auf einer Brücke anzugreifen, als ich mich
unbemerkt hinter ihn setze und in seiner hochgezogenen Kehrtkurve
voll treffen kann. Wegen unserer Steilkurven muss ich extrem vor-
halten und kann deshalb meine Treffer nicht unmittelbar beobachten
und fliege deshalb dann auf nächste Nähe an ihn heran. Die Wirkung
unserer ‚Munitionie­rungsmixtur’ ist verheerend! Die Geschosse hatten
die Kabine und den Rumpfteil dahinter getroffen, aus dem quadratdezimetergroße Löcher herausgerissen sind, deren Ränder dunkelrot
glühen. Der Flugzeugführer sitzt zusammengesunken in seinem Sitz,
seine Maschine geht in einen leichten Sink­f lug über und zerschellt am
Fuß eines Baumes unmittelbar am Flussufer, der sofort wie eine Kerze
bis zum Wipfel in Flammen steht.
Der Gesamterfolg ist für unsere derzeitigen Verhältnisse ausgesprochen spektakulär, denn wir haben ohne eigene Verluste acht *5
Abschüsse erzielt. Nach Rückkehr gegen 21.30 Uhr – mit archaischem
Triumphgefühl im Bauch – erwartet uns ein Übertragungswagen des
Reichsrundfunks zu einem Spontaninterview, von dem jeder von uns
drei erfolgreichen Schützen [Anmerkung: gemeint sind ver­mutlich die
drei Piloten der I. Gruppe] eine Schallplatte bekommt [...].
Dienstag, 7. Juni 1944:
An diesem Morgen um 05.30 Uhr startet die I. Gruppe unter Führung des Kommandeurs erneut mit zwanzig Maschinen, um zunächst
Schiffsziele wieder im britischen Abschnitt ‚Gold’ anzugreifen und
dann das ‚Würzburg’-Funkmessgerät [Anmerkung: Radargerät] am
Pointe du Hoc zu zerstören, das in die Hände der Alliierten gefallen war. Bei diesem Einsatz hatte mich der Kommandeur zu seinem
Katschmarek [Anmerkung: Rottenflieger] bestellt. Um circa 06.00
Uhr überfliegen wir den Landekopf, können aber in der Kürze der
uns zur ‚Verfügung’ stehenden ‚ungestörten’ Zeit keine günstigen Posi­
tionen einnehmen und schießen unsere Raketen zu ungenau ab, sodass
keine Treffer erzielt werden können. Dann begehe ich eine disziplinlose
Eigenmächtigkeit, für die ich – wenn ich zurückgekommen wäre – einen schweren Rüffel hätte einstecken müssen. Ich verlasse nämlich
meine taktische Position als Katschmarek, um in relativ steilem Tiefangriff eines der großen 2.000-Tonnen-Landungsboote anzugreifen, das
gerade so schön in meiner Flugrichtung liegt, aus dessen aufgeklapptem
Heck In­fanterie ausgebootet wird. Ich will freilich nach diesem Angriff
wieder hochziehen und meine Position einnehmen, aber ich gerate in
unheimlich dichtes Feuer der leichten Flak aller ringsum liegenden
Schiffe (vom angegriffenen kommt allerdings während meines Anflugs
keine Abwehr), sodass ich den Eindruck habe, in ein glühendes Spinnennetz zu tauchen. Für circa 6–8 Sekunden kann ich mit allen Bordwaffen den Kahn von vorne bis hinten bestreuen. Aber kurz vor dem
Abfangen knapp über dem Boot höre ich Treffer hinten im Rumpf und
dann vorne im Motor, der sofort Öl verliert und die Kabi­nenscheiben
dicht macht. Damit ist es vorbei!
Ich kann die Maschine noch auf 400 Meter hochziehen und springe
dann – noch über See – mit dem Fallschirm ab. Dabei schlage ich glücklicherweise mit der linken Schulter gegen das Seitenleitwerk, sodass
ich mit der rechten Hand noch den Fallschirm ziehen kann. Ich treibe
sanft auf die Küste zu, wobei ich gegen die Regeln des Kriegsrechts
von einer leichten Flak des von mir angegriffenen Lan­dungsbootes be-
Leseexemplar
418
*5
In mehreren anderen Quellen ist von fünf bzw. sechs P-51 Mustangs die Rede. Diese Differenz
erklärt sich laut Quelle  “2nd Tactical Air Force” Volume 1/Classic Publications/2005/Chris Shores
und Chris Thomas, dadurch, dass einige der als „Typhoon“ angegebenen Abschüsse in Wahrheit P-51
der im Tiefangriff überraschten 4th FG USAAF sind.
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
schossen werde. Ich habe das Gefühl – wie wir zu sagen pflegen – wie
‚Weihnachten und Ostern zusammen’. Dummerweise lande ich dann
auch noch in einem deutschen Minenfeld circa 200 Meter neben dem
besetzten Strandabschnitt. Zwei mit ihren typischen flachen Stahlhelmen ‚be­hütete’ Tommies holen mich – mit Stöckchen vorsichtig den
Schilfboden Schritt für Schritt abtastend – aus dem Minenfeld heraus
und bringen mich zum Verbandsplatz, bestehend aus einem kleinen
Zelt, wo man zunächst mein gebrochenes Schulterblatt, Schlüsselbein,
Oberarm und drei Rippen provisorisch ärztlich versorgt. Ich muss sagen, dass ich ausgesprochen kameradschaftlich behandelt werde, so
gibt man mir Zigaretten und heißen Kakao und eine warme Decke,
auf der ich mich bis zum Abtrans­port ausstrecken kann.
Übrigens war ich bis dahin Nichtraucher und bin ab da unter der
nervlichen Anspannung zum ziemlich schweren Raucher geworden. Ich
frage mich überhaupt heute, ob wir damals nicht Nerven ‚wie Drahtseile’ hatten, denn Schockzustände, die wie heute nach Unfällen psychologisch behandelt wer­den müssen, sind mir nicht in Erinnerung!“ *6
Am Mittag des „längsten Tages“ weiß Leutnant Fischer noch
nicht, dass er morgen britische Gast­freundschaft in Anspruch neh­
men würde. Es ist ein Tag voller offener Fragen. Wird es gelingen?
Wer­den unsere Kalkulationen aufgehen? Können wir die Deutschen
schlagen, oder hat der ehemalige „Wüstenfuchs“ irgendwelche „Asse
im Ärmel“, von denen wir nichts wissen? Die Briten und Amerika­ner
sind angespannt und argwöhnisch. Zuzutrauen wäre es ihm, diesem
für seine Cleverness berüch­tigten raffinierten Gegenspieler. Doch
Rommel ist nicht da, wo man ihn dringend benötigt!
Die Soldaten zu Wasser und am Boden beider Seiten beschäftigt
mehr eine profanere Frage. Komme ich durch? Werde ich es überle­
ben? Und in diese Frage mischt sich zunehmend eine weitere – tief
erstaunt auf britischer und amerikanischer Seite, enttäuscht und ver­
zweifelt auf Seiten der Deutschen.
Wo um alles in der Welt bleibt die deutsche Luftwaffe?
Es gibt sie nicht. Nicht in der Normandie! Von wenigen respekta­
blen Ausnahmen einmal abge­sehen.
Ein bitterer Spruch etabliert sich bei den deutschen Landsern, ver­
breitet sich allmählich. „Wenn das Flugzeug silbrig ist, dann ist es ein
amerikanisches, trägt es Tarnfarben, dann ist es ein britisches, wenn
es aber unsichtbar ist – dann ist es ein deutsches ...!“
6. Juni 1944: morgens um 05.00 Uhr (britischer Zeit) befinden
sich vier Focke-Wulf 190 G-8-Jagdbom­ber der 3. Staffel des Schnellkampfgeschwaders 10 (SKG 10) auf einem Aufklärungsflug. Sie klä­
ren prompt vier schwere britische Bomber des Typs Avro „Lancas­
ter“ über die Wirkung ihrer Bordkanonen auf. Drei davon schießt
der Staffelkapitän der 3. Staffel vom nächtlichen Himmel, Haupt­
mann Helmut Eberspächer. Genau von 05.01 Uhr bis 05.04 Uhr. Im
Morgen-„Grauen“, was nicht nur für die vier Lan­caster-Besatzungen
doppeldeutig ist. Die vierte Lancaster wird von Feldwebel Eisele he­
runtergeholt. Es handelt sich um Bomber der 76, 578 und 582 Squadron RAF.
Der nächste deutsche Erfolg an jenem dramatischen Tag ereignet
sich erst Stunden später. Genau drei Minuten vor Mittag – um 11.57
Eine Hawker „Typhoon“ IB der N° 198 Squadron Royal Air Force (es handelt sich um die Maschine von Flight Sergeant J.S. Fraser-Petherbridge).
Die schweren Kanonen, Bomben und Raketen der Typhoons werden zur
Geisel der motorisierten deutschen Truppen am Boden wie früher die deutschen Ju 87 „Stukas“ für die Einheiten des Gegners. Keine Bewegung am
Tage ist mehr sicher.
Uhr (britischer Zeit) – füllt die charakteristische Silhouette einer
amerikanischen P-47 „Thunderbolt“ das Fadenkreuz in der Zielop­
tik einer Focke-Wulf 190 A-8. Das Augenpaar hinter dem deutschen
Reflexvisier gehört zu keinem Geringeren als dem Kommodore
des Jagdgeschwaders 2 „Richthofen“, Major Kurt Bühligen. Sein
99. „Luftsieg“ zerschellt nahe der Orne­mündung. Kurz nach 12.00
Uhr (britischer Zeit) fallen drei Hawker „Typhoon“ den Bordwaffen
angeb­licher deutscher „Me 109“ zum Opfer. Tatsächlich handelt es
sich um Focke-Wulf 190 der Stabsstaf­feln der I. und III. Gruppe
des Jagdgeschwaders 2, welche südöstlich von Caën auf Typhoon
der 183 Squadron treffen, die gerade dabei sind, eine deutsche Pan­
zerkolonne anzugreifen. Die 183 Squadron wird von Squadron Lea­
der Scarlett geleitet, welcher es auf deutscher Seite mit Hauptmann
Herbert Huppertz zu tun bekommt, dem Gruppenkommandeur der
III. Gruppe. Huppertz holt nachein­ander zwei der drei abgeschos­
senen Typhoon vom Himmel. Deren Piloten Flight Lieutenant R.W.
Evans (Seriennum­mer: MN342), Flying Officer M. H. Gee (MN478)
P, R8973) ver­lieren allesamt
und Flying Officer A.R. Taylor (HF
ihr Leben. Evans ist Flight Commander und ein erfahrener Pilot.
Es nützt ihm nichts. Die Abschussmeldungen des deutschen Haupt­
manns datieren um 12.14 Uhr und 12.15 Uhr.
Die dritte Typhoon, welche am 6. Juni 1944 gegen Mittag von
der 183 Squadron als Verlust aner­kannt ist, wird dem deutschen
Gefreiten Fieseler (III./JG 2) zugeschrieben, welcher um 12.10 Uhr
(britischer Zeit) bei Argentan (gute 50 Kilometer südsüdöstlich von
Caën) die Vernichtung einer Typhoon angibt, oder aber Oberfeld­
webel Hartmann (I./JG 2), der einen gleichartigen Erfolg um 12.15
Uhr (britischer Zeit) 20 Kilometer südlich von Caën für sich in An­
spruch nimmt. Es werden somit vier der Hawker-Jagdbomber als
abgeschossen gemeldet bei drei von der Royal Air Force um diese
Uhrzeit tat­sächlich eingeräumten Verlusten dieses Flugzeugtyps. Um
12.16 Uhr ergänzt Unteroffizier Nistler (I./JG 2) die Erfolgsbilanz des
Geschwaders um eine amerikanische P-47 „Thunderbolt“ – ebenfalls
Leseexemplar
*6
Quelle:  Fliegerblatt, Gemeinschaft der Flieger deutscher Streitkräfte e.V./Ausgabe Nr. 5/2006.
419
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
bei Caën. Alle diese Abschüsse sind innerhalb der deutschen Aner­
kennungsverfahren bestätigt.
Kein schlechter Auftakt für die Luftwaffe! Ganz so einseitig ist
die Angelegenheit allerdings nicht! Nicht genug damit, dass Un­
teroffizier Franz Thiel aus der 3./JG 2 nach deutschen Angaben
durch einen Flugunfall bei der Überführung ums Leben kommt
(einige alliierte Quellen sehen feindliche Geschosse am Werk ...),
Unteroffizier Bergmann (11./JG 2) kommt gar den Kanonieren der
eigenen Flak-Einhei­ten südlich von Rouen zu nahe. Die deutsche
Flak schießt routiniert, präzise, zielsicher, eine Spur zu schnell –
und wieder einmal tödlich. Dummerweise hat sie den „Falschen“
erwischt. Wer rechnet auch hier mit einem eigenen Jagdflugzeug!?
Seit Stunden, ja Tagen nur Amis und Tommies über uns, Mensch!
Wo, zum Teufel, kommt ihr denn her? Wird auch Zeit, verflucht
und zugenäht!
Dagegen wird der Absturz einer weiteren Focke-Wulf 190 der III./
JG 2 schon eher „Feindeinwirkung“ zugeschrieben – genau bekannt
ist es nicht. Unteroffizier Krieger entkommt unverletzt mit dem Fall­
schirm in der Nähe von Buc bei Versailles. Und ein „Feldwebel Müller“
der 12./JG 2 taucht in den Vermisstenlisten auf, ohne dass sich irgend­
ein näherer Anhalt über die genauen Umstände seines Verschwindens
finden ließe. Vermutlich wird er ohne Zeugen abgeschossen.
Auch das Jagdgeschwader 26 fasst allmählich Tritt. Die I./JG 26
trifft am späten Vormittag in Creil ein. Die Piloten starten von dort
zu einigen Einsätzen in kleineren Gruppen, teilweise zusammen mit
ihren Kameraden vom JG 2. Im Gegensatz zu den Flugzeugführern
des „Richthofen“-Geschwaders JG 2 erringen die Männer des JG 26
„Schlageter“ jedoch keine Abschüsse – im Gegenteil. Unteroffi­zier
Friedrich Schneider aus der 2./JG 26 macht unliebsame Bekannt­
schaft mit den Flugabwehrpro­jektilen der alliierten Schiffsgeschütze
und muss in Beaumonte-le-Roger notlanden – er bleibt dabei zum
Glück unverletzt. Ähnlich Fähnrich Gerhard Schulwitz, 3. Staffel des
JG 26 (10 , Werknummer 170335) – er kommt leicht verletzt da­
von. Nicht so sein Staffelkamerad Unteroffizier Heinz Winter. Auch
er macht Bekanntschaft mit Flugabwehrgeschossen. Nur schießen
die Richtschützen derje­nigen Kanonen, aus denen diese Granaten
stammen, besser als ihre alliierten Kollegen zuvor. Es sind deutsche
Kanoniere! Und Winter stirbt in seiner 3 (Werknummer 730466).
Es ist zum Heulen!
Die II. Gruppe des JG 26 hat einen weiten Weg ins Kampfgebiet.
Die sechzehn einsatzfähigen Fo­cke-Wulf starten in Südfrankreich
in Mont-de-Marsan und an der Atlantikküste in Biarritz fast an der
Grenze zu Spanien. Seit 05.00 Uhr informiert heben die Jägerpiloten
schließlich gegen 07.00 Uhr ab. Dabei gerät Leutnant Hans Bleich in
den Luftwirbel der Propeller des vor ihm startenden Oberleutnant
Adolf „Addi“ Glunz und verliert die Kontrolle über sein startendes
Fluggerät. Das Nächste, was ihn stoppt, sind Bäume. Nur das be­
herzte sofortige Eingreifen der Platzschutzmannschaften verhindert
schwerere Verbrennungen! Bleich kommt – leicht verletzt – aus sei­
nem zerschundenen Jäger heraus.
Somit verbleiben für den bevorstehenden Kampfeinsatz nur noch
15 Jagdflugzeuge.
In „Vrox“ (Vraux?) erfolgt eine Zwischenlandung und das Abwarten
weiterer Befehle. Dann geht es weiter an die Front. Der Verband teilt
sich. Acht Focke-Wulf 190 A-8 fliegen unter der Leitung von Addi
Glunz in Richtung Cormeilles im Nordwesten von Paris, landen dort
nach einem angemessen herzli­chen Empfang durch die 8th USAAF
(328th Fighter Squadron der 352nd Fighter Group) über Rouen, tan­
ken wieder auf und fliegen erst am Abend weiter zum Zielflughafen
Guyancourt (15 Kilometer südwestlich von Paris). Da waren’ s nur
noch sieben. Dort kommen sie gegen 17.00 Uhr an. Die übrigen
Maschi­nen der II./JG 26 fliegen direkt nach Guyancourt, können von
dort aus aber zunächst keine Einsätze durchführen. Vermutlich liegt
dies daran, dass niemand auf dem Flugplatz da ist, der die Maschinen
warten und erneut startklar machen könnte! Die Piloten sitzen auf
Kohlen! Doch andererseits – wer wird es denn mit dem Heldentod so
eilig haben ...? Sie haben es alle eilig! Der Feind ist gelandet!
Die III. Gruppe des JG 26 ist zum Zeitpunkt der Invasion völ­
lig zersplittert. Lupcourt sieben Kilometer südlich Nancy und Toul
20 Kilometer westlich der Stadt sind die Basen der Gruppe, die 10.
und 12. Staffel ist gar nach Deutschland geschickt worden. Zu allem
Überfluss sind die Bodenmannschaften verstreut überall und nir­
gends, wie eingangs bereits geschildert wurde. „Pips“ Prillers Tem­
perament lässt grüßen! Viel ist nicht bekannt über die Einsätze der
schnittigen Messerschmitt-Jäger dieser Gruppe am Invasionstag.
Nur so viel: gegen 09.30 Uhr ist der in Frankreich verfügbare einsatz­
fähige Teil der Gruppe in Cor­meilles (nordwestlich Paris) eingetroffen.
Mindestens ein Einsatz in Richtung Invasionsfront ist doku­mentiert,
bei welchem die Messerschmitt-Piloten an ihre britischen Erzrivalen
geraten: Supermarine Spitfire! Beide Seiten fliegen schnittige, schnelle,
faszinierende Jagdflugzeuge auf hohem techni­schen Niveau. Die Briten
mit Mk.IX derzeit bessere! Man bleibt sich nichts schuldig. Weder die
Briten noch die Deutschen bekommen einen ihrer Gegner zu fassen,
beide Parteien trennen sich ohne Verluste.
Die britischen Uhren der Spitfire-Piloten des 135th Wing RAF zei­
gen 15.30 Uhr. Es läuft ganz gut in­zwischen, soweit man von oben
erkennen kann. Die Piloten ziehen ihre Kreise über der gigantischen
Schiffsarmada, die es vor der deutschen Luftwaffe zu beschützen gilt.
Doch die ist weit und breit nicht zu sehen. Merkwürdig! Man hatte
den „Hunnen“ („Huns“ oder „Bandits“ war der britische Jargon für
Leseexemplar
420
Die Messerschmitt Bf 109 G-6 des Gruppenkommandeurs der III./JG 26,
Major Klaus Mietusch, beim Start gegen die alliierte Übermacht. Bemerkenswert ist das Fehlen des Hakenkreuzes am Heckleitwerk!
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
Junkers Ju 88 C-6 des Kampfgeschwaders 40 (Kennung F8), so genannte
„Zerstörer“. Gut erkennbar ist die schwere Be­waffnung im Bug. Zusätzlich zu den drei MGs und der 20-mm-Kanone im Bugkonus befinden sich
zwei weitere 20-mm-Kano­nen vorne in der Bo­denwanne. Bomben können
ebenfalls mit­geführt werden.
Ein Focke-Wulf 190 A-8-„Jabo-Rei“, wie er von der NSGr 20 geflogen
wird. Die A-7-Variante der III./SG 4 unter­scheidet sich vor allem durch ein
weiter innen liegendes Staurohr an der rechten Tragfläche und eine 20 cm
weiter hinten als bei der A-8 positionierte Aufhän­gung für die Bombe un­ter
dem Rumpf. Die G-8 und F-8 haben andere Tragflächenhalter.
deutsche Jäger) ziemlich heftig zugesetzt, das war wohl unüberseh­
bar. Aber bisher hatten die sich noch immer zu wehren gewusst. Wo
sind sie denn heute? Was hat die Bande denn vor?
Die „Bande“ hat gar nichts vor. Sie tut einfach, was sie kann, und
das ist wenig genug. Doch dieses Wenige immerhin tut sie mit eini­
gem Mut. Der manchmal jenseits steht von jeglicher Vernunft.
So im Falle der neun zweimotorigen Junkers Ju 88 C-6 der I./
ZG 1, welche plötzlich ins Blickfeld der Spitfire-Piloten geraten. Die
C-6-Variante des deutschen Mittelstreckenbombers hat anstelle des
verglasten Buges für den Bombenschützen einen vollverkleideten
Bug, in den drei 7,9-mm-MG 17 und eine 20-mm-MG-FF-Kanone
starr nach vorne feuernd eingebaut sind. Die Besatzung ist von vier
auf drei Mann reduziert, da der Bombenschütze entbehrlich wird.
Die Maschinen sind keine Bomber, son­dern so genannte schwere
„Zerstörer“ und sicher wehrhafter als die viersitzige Bombervarian­
te. Ge­gen Spitfire haben sie jedoch keine Chance! Das wissen auch
die deutschen Besatzungen. Mit wel­chen Gefühlen mögen sie von
ihrem Einsatzflughafen Lorient in der Bretagne am Golf von Bisca­
ya gestartet sein mit dem Auftrag, die Invasionsflotte anzugreifen?
Was – und vor allem wer, nämlich Jäger – sie dort erwartet, das muss
ihnen klar gewesen sein. Man hätte allenfalls würfeln können, ob die
ersten feindlichen Jagdflugzeuge amerikanische Sterne oder britische
Kokarden tragen würden.
Die Ju 88 C-6 der 2. Staffel des ZG 1 fliegen ohne Jagdschutz! Die
britischen Piloten können es kaum glauben! Sind die le­bensmüde?
Sicher nicht. Doch wo soll der Jagdschutz auch herkommen? Zu­
mal gegen diese Übermacht? Es gibt keine deutschen Verbände in der
Gegend, deren Flugzeugführer diese Aufgabe übernehmen könnten.
Außer vielleicht den Piloten der I. Gruppe des JG 2 bei Senlis in
der Nähe von Chamant, die sich der­weil im Schwimmbad tum­meln.
Was vermutlich erheblich gescheiter ist, als einen völlig aussichtslo­
sen Kampf am helllichten Tage zu fechten. Wenn die deutschen Jäger
überhaupt heute etwas ausrichten können, dann aus der Position des
Überraschungsangriffes – das wäre in der Begleitschutzrolle für die
größeren und also gut sichtbaren Ju 88 kaum zu realisieren. Nicht um
diese Uhrzeit! Es wäre bes­ser, die Bomberpiloten – bzw. „Zerstörer“Besatzungen – ebenfalls baden gehen zu lassen – im Pool, nicht im
Atlantik, wie es nun passiert – geradezu unver­meidlicherweise ein­
fach geschehen muss!
Die 222 Squadron der Briten sichert nach oben – vielleicht taucht
der Jagdschutz irgendwoher doch noch auf? Die 485 Squadron greift
als Erste an. Flying Officer J.A. Houlton erledigt die erste Ju 88 – mit
45° Vorhaltewinkel! Das neue Gyro-Zielgerät in seiner Spitfire Mk.
X
IX mit der Produktionsnummer MK 950 und dem Code OU
erweist sich als hervorragend effektiv. Zusammen mit dreien seiner
Kameraden nimmt er sich dann die nächste vor. Auch sie ist machtlos
gegen vier Spitfire auf einmal!
Nach den Neuseeländern der 485 Squadron RNZAF sind nun
die Belgier der 349 Squadron am Zuge. Weitere zwei Ju 88 stür­
zen brennend ab – allerdings auch eine Spitfire Mk. IX. Sie trägt
U. Flight Sergeant
die Se­riennummer MK363 und den Code GE
J.C.I van Molkot wird vom Bordschützen eines der sich verzweifelnd
wehrenden zweimotorigen Kampfflugzeuge erwischt und gerät in
deutsche Kriegsgefangenschaft. Es grenzt an ein Wunder und spricht
sehr für die fliegerischen Fähigkeiten der deutschen Piloten, dass
immerhin fünf Ju-88 C-6-„Zerstörer“ entkommen können – und sei
es mit Beschuss-Schäden. Eine davon geht noch bei einer Notlandung
im Maße 85 % zu Bruch, sodass sich die Abschüsse auf letztlich fünf
Ju 88 summieren. Weitere Beschädigungen sind auf deutscher Seite
nicht vermerkt, entgegen britischen Angaben. Sieben Besatzungsmit­
glieder sterben, drei werden verwundet.
So warten die schwer bedrängten deutschen Bodentruppen an der
Landungsfront weiter auf Unter­stützung aus der Luft – vergeblich.
Wenn sie Jagdbomber über sich sehen, sind es britische Typhoons
und amerikanische Thunderbolts. Wo um Gottes Willen bleibt denn
unsere Luftwaffe?
Sie bemüht sich. Nur drei Erdkampfunterstützungseinheiten
sind überhaupt in erreichbarer Nähe. Die eine ist eine Schulungs­
einheit – das SG 103. Die zweite ist die I./SKG 10. Die dritte Einheit
ist die III. Gruppe des Schlachtge­schwaders 4 mit ihren potenten
Leseexemplar
421
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
Focke-Wulf 190 A-6/A-7-Jagdbombern. Diese Einheit ist eigentlich
nach ihren schweren Einsätzen in Italien zur Auffrischung und zum
Training von Nachwuchspiloten in Frankreich. Die 8. und 9. Staffel
sind weit im Westen stationiert, nur etwa 30 Kilometer näher an der
Invasionsfront bei Caën als Prillers Stabsduo des JG 26 „Schlageter“
in Lille. Nun werden sie überraschend gebraucht und zum Einsatz
befohlen. Die beiden Jagdbomberstaffeln liegen in Clastres bei St.
Quentin und in Frieres, etwa 60 Kilometer von Amiens entfernt, 120
Kilome­ter nord­östlich von Paris. Die 7. Staffel befindet sich gar in Le
Luc, weit im Süden Frankreichs. Die Maschinen müssen schnellst­
möglich zum Einsatz! Major Gerhard Weyert befehligt die Gruppe als
Gruppenkom­mandeur. Folgender handschriftlicher Bericht findet
sich im Kriegstagebuch (wobei auf­fallenderweise die in den einigen
Quellen in dieser Form vermerkten Namen Kolberg, Brauneis und
Krusmann hier „Kollberg“, „Bräuneis“ und „Krüsmann“
geschrieben sind):
Erste Seite des Berichtes von Major Weyert:
Darstellung der Ereignisse
Uhrzeit
Ort und Art der
Unterkunft
6.6.1944
Clastres
(Dabei wichtig: Beurteilung der Lage (Feind- und eigene), Eingangs- und Abgangszeiten
von Meldungen und Befehlen)
Kommandeur wird um 0300 Uhr durch Dufflinger Ia,
Major Fahren­berg, über erfolgte und laufende Luftlandungen
nördlich Caen und See­l andungen in der Seinemündung
verständigt. 0645 Uhr befiehlt der Kdr. aus eigenem Ermessen
Alarmstufe I. 0745 trifft von Dufflinger Ia der Befehl
zur Herstellung der Ver­l egebereitschaft der Gruppe ein,
Ver­l egung in den Raum Le Mans. Auf die Frage, ob sofort
verlegt werden soll, wird geantwortet, daß der fernschriftliche
Befehl erst noch abgewartet werden soll. Eins der befohlenen
Stichworte für den Fall der Feindanlandung wird nicht
befohlen. Herstellung der Verlegebereitschaft wird durch
den Kdr. an die Einheitsführer befohlen. Verlegt werden sämtliche
einsatzklaren K.-Flugzeuge mit Flugzeugführern und
1. Warten, dazu weiteres Spitzenpersonal und Stabsarzt in 2 Ju 52.
Nachdem um 0935 Uhr der fernschriftliche Verlegebefehl nach
Laval eingetroffen ist, starten die einzelnen Staffeln wie folgt:
1215 Uhr Stab und 9. Staffel von Clastres aus, Landung in
Laval 1335 Uhr.
1345 Uhr 8. Staffel von Frières, Landung in Tours 1445 Uhr.
1200 Uhr 7. Staffel von Le Luc, Landung in Laval 1900 Uhr.
Aus Sicherheitsgründen wurde bei der Verlegung für die von
St. Quen­tin aus startenden Maschinen der Weg südlich Paris
im Tiefflug befoh­len. Trotzdem hatten sämtliche Einheiten
Jagdberührung und Luft­kampf mit amerikanischen
Mustang- und Thunderbolt-Jägern.
Die Verluste der Gruppe am 6.6.44:
Flugzeugführer:
Oblt. Pühringer gefallen.
Obfw. Kollberg gefallen.
Fw. Bräuneis gefallen.
Uffz. Speer gefallen.
Leseexemplar
H 6659
Offenbar ist man im Jagdkorps der irrigen Auffassung, ein Flug­
weg im Tiefflug südlich von Paris sei sicher genug, um der Schnellig­
keit halber die 1. Warte in den Focke-Wulf 190-Jagdbombern mitflie­
gen zu lassen – Flugzeuge, die als eigentliche Jagdflugzeuge lediglich
zur Aufnahme einer Person kon­struiert wurden – dem Piloten. Doch
verhängnisvollerweise hat man nicht mit der Überfülle an briti­schen
Jagdflugzeugen und amerikanischen Langstreckenjägern gerechnet,
422
deren Führung es sich leisten kann, über dem halben Ärmelkanal,
den Landungsstränden und dem Hinterland der Invasions­front bis
weit hinter Paris einen dichten Luftschirm aus patrouillierenden
Jägergruppen aufzubauen. Es sind genug Jäger vorhanden, um alle
diese Aufgaben zu erfüllen – gleichzeitig und umfassend. Ein unvor­
stellbarer Luxus für die deutschen Führungsstäbe! Die es dennoch
besser wissen müssten ...
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
In Major Weyerts Bericht heißt es auf der Folgeseite weiter:
Wetterlage*)
Gesundheitszustand
Ersatz
Munitionsverbrauch **)
Erfahrungen***)
Zu- und Abgang unterstellter Truppen
Flugzeugführer:
1. Warte:
Bemerkungen
(Auch Verluste an Waffen und Gerät;
Hinweise auf Anlagen)
Lt. Limberg
verletzt.
Fw. Eidam
Uffz. Krüsmann
Uffz. Ebert
Obgfr. Ohlwein
Obgfr. Klunker
gefallen.
gefallen.
gefallen.
gefallen.
verletzt.
Ab 1700 Uhr fliegt die 9. Staffel in Schwarmstärke gegen Anlandungen und Kfz.- Ansammlungen an der Ornemündung insgesamt 3 Einsätze mit 13 Maschinen.
Einmal wird wegen zu starker Jagdabwehr das Ziel nicht erreicht.
Erfahrungen aus der Verlegung:
1.)
Die Gruppe hätte früher eingesetzt werden können , wenn
der Verlegebefehl von seiten des Korps nicht zu spät
gekommen wäre.
2.)
Es ist abwegig im französischen R aum bei der herrschen
den Luftüberlegenheit der R AF. und der USA AF . 1. War
te in K.-Flugzeugen mitzunehmen .
3.)
Der Flugplatz Laval war in keiner Weise von der Führung
aus für einen einfallenden Schlachtverband vorbereitet. Es
fehlten Tankwagen , Bombenhebewagen , Hilfspersonal und
vor allem jeglicher Platzschutz. Der Horstkdt. war dahin
gehend orientiert worden , daß der Verband abends
eintreffen und ab nächsten Morgen Einsätze fliegen
würde. Auftankungsmöglichkeiten sind ungenügend ,
Unterkünfte zu platznah vorbereitet.
H 6660
Leseexemplar
) Temperatur, Niederschläge, Sichtverhältnisse (Erde und Luft).
) bis Regt. einschl. in Schusszahlen, von Kommando-Behörden in Ausstattungen.
***
) Erfahrungen dürfen auch nachträglich eingetragen werden.
*
**
5c. Wilhelm Limpert-Verlag Berlin 1943
*
[Anmerkung: „Horstkdt.“ = Horstkommandant = Flugplatzkommandant, „K-Flugzeuge“ sind Kampfflugzeuge]
Sieben Focke-Wulf 190 starten um 12.15 Uhr (deutscher Zeit. Für
die Gegenseite ist es 13.15 Uhr). 30 Kilometer südlich von Paris wird
der Verband von etwa 15 Mustang-Jägern abgefan­gen. Es steht zwei
gegen einen, wobei die deutschen Piloten durch das Mitführen ihrer
1. Warte ein zusätzliches schweres Handicap im Luftkampf haben.
Vielleicht hat sich manch einer der Mechaniker gewünscht, einmal
einen Luftkampf ihrer Flugzeugführer mitzuerleben. Doch so tödlich
sicher nicht. Drei Focke-Wulf werden getroffen. Oberleutnant Johann
Pühringer (Stab/SG 4, Fw 190 A-7,
, Werknummer 430472) zer­
schellt mit Aufschlagsbrand zusammen mit seinem Wart Unteroffi­
zier Martin Krüsmann (Krusmann?), Leutnant Limberg entkommt
dem Tode leicht verletzt, Unteroffizier Max Rahofer (Stab/SG 4, Fw
190 A-6, II , Werknummer 650502) bleibt unversehrt, während
sein Wart, der Oberge­freite Fritz Klunker, verletzt wird. Es gibt nur
423
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
einen amerikani­schen Verband, der in der fraglichen Zeit Abschüsse
meldet. Die 328th Fighter Squadron der 352nd Fighter Group rekla­
miert für sich zwei Focke-Wulf 190 als abgeschossen, eine dritte als
beschädigt – um 14.20 Uhr britischer Zeit. Es sind P-51 B „Mustangs“,
was ebenso übereinstimmend ist wie die Anzahl der „claims“ und der
Typ der von den Amerikanern genannten gegnerischen Flugzeuge
– deutsche Focke-Wulf 190. Nur liegt die ame­rikanische Ortsanga­
be „8 miles southeast of Rouen“ (etwa 13 Kilometer südöstlich von
Rouen) über 100 Kilometer vom Ort Bretigny-sur-Orge entfernt, wo
der Luftkampf der sieben Fw 190 des SG 4 mit Mus­tangs stattfindet.
Zwar käme nach den US-„claims“ nur diese amerikanische Einheit
infrage, da die nächstfrüheren Meldungen um 12.45 Uhr britischer
Zeit vor dem deutschen Start datiert sind, und die nächstspäteren
Meldungen um 16.20 Uhr britischer Zeit nach der deutschen Lan­
dung. Die Ankunft in Laval wird um 13.35 Uhr angegeben, somit
14.35 Uhr nach alliierter Zeitrechnung.
Den­noch ist die Auseinandersetzung mit der 328th Fighter Squadron definitiv einem anderen Luft­kampf mit zuzuordnen – mit acht
Focke-Wulf 190 der II./JG 26, welche sich unter Leitung von Leut­
nant Glunz mit P-51 herumschlagen – bei Rouen! Addi Glunz hatte
auf seinem Überführungsflug von Biarritz nach Cormeilles eine For­
mation von P-51 „Mustangs“ entdeckt, die nahe Rouen Tiefangriffe
flogen. Glunz zögert nicht und leitet sofort den Angriff ein. Doch die
Mustang-Piloten sind auf der Hut, bemerken ihre Gegner rechtzeitig
und drehen ein. Das Überraschungsmoment ist dahin. Ein verbisse­
ner Kurvenkampf entwickelt sich. Zwei Mustangs nehmen Unterof­
fizier Lindner (10 , Werknummer 170383) in die Zange, Lindner
wird hierbei getroffen und abgeschossen. Er steigt aus, bleibt aber
mit dem Fall­schirm an einem der Cockpit-Holme hängen. Gerade
noch rechtzeitig gelingt es ihm, sich loszurütteln und freizukommen.
Er erleidet nur leichte Verwundungen. Das hätte leicht ganz anders
enden können! Glunz durchlöchert im Gegenzug die Tragfläche einer
Mustang, kann sie aber nicht zum Absturz bringen.
Die Ungereimtheit der genannten Orts- und Zeitangaben zeigt ex­
emplarisch, wie schwierig die Doku­mentationen beider Seiten oft zu
koordinieren sind. In vorliegendem Fall sind sich die Quellen einig.
Im zweiten Verband der III./SG 4 fliegt Hauptmann Heinz Mih­
lan, ein ehemaliger Jagdflieger. Es sind acht Focke-Wulf, die angeblich
um 15.57 Uhr (deutscher Zeit) starten und nahe Le Mans bei St. Jean
d’Asse an feindliche Jäger geraten. In dem folgenden Luftkampf wird
Feldwebel Franz Bräuneis (Brauneis?) in seiner Focke-Wulf A-6 B
(8./SG 4, Werknummer 470582) abgeschossen – er stirbt gemeinsam
mit seinem Wart, Unteroffizier Paul Ebert. Unteroffizier Wenzel wird
bei Rouenvon zur Notlandung gezwungen, kommt aber unverletzt
aus seiner Focke-Wulf heraus. Hauptmann Mihlan (8./SG 4, Fw 190
A-6, M , Werknummer 470601) schießt bei La Bazoge westlich von
Mortain eine „P-51“ ab, wird dann aber selber abgeschossen. Er steigt
mit dem Fallschirm aus und bleibt ebenfalls unverletzt. Dieses Glück
hat sein Wart Feldwebel Eidam nicht. Er fällt in diesem Luftkampf,
dem er als „blinder Passagier“ hilflos ausgesetzt ist. Eidam sitzt hinter
der Klappe des Funkgerätes kauernd hin­ten im Rumpf von Mihlans
brennend abstürzender Focke-Wulf. Ohne Fallschirm! Was soll Mih­
lan in dieser Situation machen? Aus Solidarität Selbstmord begehen?
Eine fürchterliche Entscheidung!
Eine Focke-Wulf 190 A-8 der II./JG 26. Es handelt sich zwar nicht um
einen Jagdbomber der III./SG 4, dennoch ist der Zugang zum Heckabschnitt hinter dem Funkgerät, in welchem die 1. Warte mitflogen, hier
gut zu erkennen.
Auch hier ergeben sich offene Fragen, die sich teilweise erklären
lassen, wenn der amerikanische Jagdverband aus mehreren Einheiten
bestand. Denn Mihlan schießt eine P-51 „Mustang“ ab, deren elegan­
te Form nur schwer mit der einer P-47 „Thunderbolt“ zu verwechseln
sein dürfte. Die erfolgrei­chen amerikanischen Schützen dagegen sind
fast sicher Thunderbolt-Piloten, denn die Flugzeugfüh­rer Lieutenant
Colonel Frederic C. Gray, Jr. und 1st Lieutenant Vincent J. Massa
der 78th Fighter Group (Letzterer 83rd Fighter Squadron) teilen sich
den Abschuss einer Focke-Wulf 190 bei Mayenne, während Massas
Staffelkamerad 1st Lieutenant Peter A. Caulfield ohne Hilfe eines Kol­
legen eine Fw 190 bei Mayenne abschießt. Mayenne wiederum liegt
genau zwischen St. Jean d’Asse und La Ba­zoge/Mortain. Auch spricht
der deutsche Kampfbericht *7 im Gegensatz zum oben geschilderten
Luftkampf nicht von „Mustang“, sondern von „fdl. Jägern“. Weyerts
handschriftlicher Bericht redet von „Mustang- und Thunderbolt-Jä­
gern“, welche die Staffeln angegriffen hätten – ohne hierbei zwischen
den einzelnen Staffeln zu differenzieren. Die erste gestartete Grup­
pierung des SG 4 war jedoch defi­nitiv nur mit Mustangs aneinander
geraten – entsprechend der Berichte. Somit verbleiben für die zweite
Gruppierung (oder die 7. Staffel) auch P-47 „Thunderbolts“, wenn
die Gesamtdarstellung Wey­erts zutrifft. Allerdings geben die P-47Piloten den Zeitpunkt ihrer Abschüsse mit 16.30 Uhr an – briti­scher
Zeit. Das entspräche 15.30 Uhr für Mihlan, was eigentlich vor dessen
angeblichem Startzeit­punkt liegt, wogegen Mihlans P-51 Abschuss
nach einer englischsprachigen Quelle auf 15.48 Uhr datiert wird
Um 16.55 Uhr nach deutscher Zeitrechnung landen die restlichen
Focke-Wulf.
Noch eine Staffel der III./SG 4 ist auf dem Weg ins Kampfgebiet.
Fast haben die Piloten der 7. Staffel ihr Ziel, den Flugplatz Laval,
erreicht, als zwei von ihnen doch noch ihr Schicksal ereilt. Kein
Flak-Ge­schütz des Flugplatzes kann ihnen offenbar helfen, denn
laute Weyerts handschriftlichem Bericht „fehlt jeglicher Platzschutz“.
Oberfeldwebel Martin Kollberg (Fw 190 A-6, A , Werknummer
Leseexemplar
424
Quelle: Bundesarchiv - Miltärarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Freiburg, Rolle BA-MA RL
10/358
*7
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
470503) fliegt zusammen mit seinem Wart, dem Obergefreiten Er­
win Ohlwein. Kollberg (Kolberg?) und Unter­offizier Speer (Fw 190
A-6, L ­ , Werknummer 470585) werden noch über dem Fliegerhorst
Laval abgeschossen und sterben im „Aufschlagsbrand“. Der Oberge­
freite Ohlwein überlebt diesen Überfüh­rungsflug ebenfalls nicht. Es
ist 19.00 Uhr deutscher Zeit.
Der Tag ist für das Schlachtgeschwader (SG) 4 noch nicht zu Ende.
Ein langer Tag, für wahr! Um 17.19 Uhr (deutscher Zeit) starten vier
Focke-Wulf 190 zum ersten Angriff einer Jagdbombereinheit auf
den Brückenkopf der Alliierten in Frankreich. Es sind Oberleutnant
Hesse, Feldwebel George, Unteroffizier Schneider und Obergefreiter
Lienau aus der 9. Staffel. Bei St. Aubin kreuzen sie die Küste. Sie mel­
den als Aufklä­rungsergebnis: „Im Planquadrat 1065 Kriegsschiffe, anschließend zwei Kreuzer sowie Zerstörer auf Strand schießend. Starke
Ausladungen bei St. Aubin“ und als Angriffsziel: „Landungsboote 400
BRT am Strande vor St. Aubin (Pl.Qu. 10672).“. Es handelt sich um St.
Aubin sur Mer – dem westlichen Ende des britischen Landestrandes
„Sword Beach“, zwölf Kilometer westlich von Ouistreham bei Caën.
Offen­bar haben es die Engländer selbst jetzt, am Abend des „längs­
ten Tages“, noch nicht geschafft, allen Widerstand niederzukämpfen.
Doch es ist nur eine Frage der Zeit.
Die vier deutschen Jagdbomber sind genauso hoffnungslos in
der Minderheit wie wenige Stunden zuvor Pips Priller mit seinem
Rottenflieger Wodarczyk. Deren Husarenstück ist zur Berühmtheit
avan­ciert. Die Namen Hesse, George, Schneider und Lienau kennen
dagegen nur wenige. Obwohl es diese vier Piloten fertig bringen, mit
ihren SC-500- (500-kg-) Bomben zwei Landungsschiffe „durch Voll­
treffer“ zu „vernichten“. Jede der Focke-Wulf trägt eine dieser schwe­
ren Bomben unter dem Rumpf. Zwei der vier Piloten haben offenbar
ins Schwarze getroffen!
Die Angabe „400 BRT (Bruttoregistertonnen)“ in der Dokumenta­
tion dieses Einsatzes legt nahe, dass es sich bei den durch Volltreffer
zerstörten Schiffen um Landungsschiffe des amerikanischen Typs
„Landing craft infantry (Large) – LCI(L)“ (385 BRT) oder „Landing
craft tank (LCT)“ (450 BRT) handelt, welche in großen Stückzahlen
der britischen Marine zur Verfügung gestellt worden waren. Für die
bildliche Darstellung dieses bemerkenswert couragierten Angriffs ist
daher der Schiffstyp LCI gewählt.
Die Piloten berichten von einer starken Abwehr des Angriffes
durch leichte und mittlere Flugabwehr­geschütze des Gegners, ferner
seien zwölf Typhoon und Spitfire in der Nähe gewesen, welchen man
aber habe entgehen können. Der Schwarm von vier Jagdbombern
landet wieder ohne Verluste.
Inzwischen ist auch das Jagdgeschwader 2 wieder in der Luft – ge­
nau genommen vertreten durch ein paar wenige „Experten“ der Stä­
be, Jäger-Asse, die sich zutrauen, dieser unglaublichen Übermacht die
Stirn bieten zu können mit der Chance, heil wieder aus dem Schla­
massel herauszukommen. Und mit dem Verantwortungsgefühl im
Nacken, als Offiziere nicht einfach am Boden herumsitzen zu kön­
nen, während die Entscheidungsschlacht im Westen beginnt, in ihre
gefährlichste Phase zu kommen. Die andererseits so viel Übersicht
haben, dass sie ihre Piloten nicht sinnlos „verheizen“ wollen.
Es reicht nicht nur dazu, sich einen Überblick über die Feindlage
zu verschaffen und dann wieder heil zu landen. Major Erich Hohagen
(Stab I./JG 2) erwischt um 17.25 Uhr bei Beaumont-le-Roger eine
britische Typhoon, Hauptmann Huppertz schießt eine knappe Stun­
de später einen weiteren dieser britischen Jagdbomber vom Himmel,
die mit ihren Bomben und Raketen so viel Unheil unter den deut­
schen motorisierten Kolonnen anrichten. Es ist die dritte Typhoon
für Huppertz heute, sein 75. Abschuss insgesamt.
Für ihn scheint sich einer der markigen Sprüche zu bewahrheiten,
die in dieser verblendeten Zeit verbreitet werden. „Viel Feind, viel
Ehr“! Zumindest im Moment! Wie lange noch?
Um 19.25 Uhr (deutscher Zeit) folgt der nächste JagdbomberAngriff der 9./SG 4. Wieder sind vier Focke-Wulf 190 im Einsatz,
dieses Mal fliegen Leutnant Klepke, Unteroffizier Plewka, Unteroffi­
zier Walter und Oberfeldwebel George. Ob es sich bei Letzterem um
denselben Piloten handelt wie zwei Stunden zuvor ist (dem Verfasser)
nicht bekannt – in diesem Falle ist wohl zur Beförderung zu gratu­
lieren. Jedenfalls nehmen sich die vier Jagdbomber im Sturzangriff
Fahrzeugansammlungen an der Brücke von Ouistreham vor und
beobachten nach dem Einschlag ihrer vier 500-kg-Bomben Brände.
Neben der „starken leichten Flak“ als Abwehr vom Boden aus werden
„82 Spitfire, Mustang, Thunder­bolts bei An- und Abflug und über Ziel
ohne Angriff “ registriert. Ein römischer Spruch lautet: „den Tapferen
hilft das Glück“. Vielleicht ist es auch nur Dusel. Oder der Vorteil ei­
ner kleinen Formation, im Tiefflug schwer erkennbar zu sein – zumal
bei schlechten Wetterverhältnissen am Abend.
Eine der vier Focke-Wulf wird jedoch eher vom Pech verfolgt. Den
feindlichen Kanonieren kann sie entgehen, der eigenen Flugabwehr
nicht. Deutsche Flak-Geschütze beschädigen sie schwer. Zum Glück
passiert dem Piloten nichts – er bleibt ungeschoren.
Wie sollen die deutschen Richtschützen auch wissen, dass es sich
um ein eigenes Flugzeug handelt? Schließlich war es ja nicht – wie
war das noch in jenem bitteren Spruch? – „unsichtbar“.
Die Maschinen landen auf Grund der starken feindlichen Jagd­
fliegerformationen in Rennes statt in Laval.
20.00 Uhr (deutscher Zeit). Hauptmann Huppertz startet erneut,
dieses Mal von einer Pferderenn­bahn. Es ist Senlis, und in seinem
Gefolge sind neben vier Focke-Wulf 190 A-8 seiner III. Gruppe auch
zwei Piloten der 2. Staffel – namentlich Leutnant Eichhoff und Fähn­
rich Beer – und ein Pilot der 3. Staffel aus der I. Gruppe des JG 2.
Dieser Pilot ist ein gewisser Leutnant Wolfgang Fischer.
Letzterer hat diesen Einsatz der acht Focke-Wulf 190 A-8 bereits
beschrieben. Bei Bernay überra­schen die paar deutschen Jäger – zu
wenige, zu gut getarnt und vielleicht auch zu erfahren und um­sichtig
geführt, um im fliegerisch höchst anspruchsvollen Tiefflug nur 40
Meter über dem Erdboden bei den wetterbedingt schlechten Sicht­
verhältnissen dem alliierten Überwachungs-Jagdschirm aufzufallen
– jene P-51 „Mustangs“ der amerikanischen 4th Fighter Group bei ih­
rem Tiefangriff gegen eine deut­sche Infanteriekolonne. Hauptmann
Huppertz leitet den Abschussreigen ein – um 20.35 Uhr mit einer
Mustang, die er drei Kilometer nordöstlich von Evreux vor sein Re­
flexvisier ausmanövriert. Sein 76. Abschuss – und Huppertz vierter
„Luftsieg“ alleine heute. „Kill“ sagen die Amerikaner – weitaus unge­
schminkter. Denn genau das ist es letztlich. Kein kaltblütiger Mord,
sondern ein „fairer“ Sieg, ein Erfolg im Kräftemessen – der Besse­
re oder Cleverere überlebt, mit ein bisschen Glück auf seiner Seite.
Leseexemplar
425
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
6. Juni 1944
Leseexemplar
426
Flugzeugtyp:
Focke-Wulf 190 A-6- bzw. A-7-Jagdbomber
Nationalität:
Luftwaffe
Einheit:
9. Staffel (III. Gruppe)/SG 4
Piloten:
Oberleutnant Hesse, Feldwebel George,
Unteroffizier Schneider und Obergefreiter Lienau
Stationierung:
Laval/Frankreich/6. Juni 1944
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
Doch das Ergebnis bleibt dasselbe. Ein  in irgendeiner Liste, und ein
Vater, eine Mutter sowie meistens eine junge Frau, die nicht wissen,
wie sie dieses Kreuz ertragen sollen. Ungezählte Tränen und bitteres
Leid – auf der einen oder der anderen Seite, denn wie vielen ebenso
jungen deutschen Soldaten auf jener Brücke des Flüsschens Risle hat
die Handvoll Focke-Wulf das Leben gerettet?
Vorerst ...
20.54 Uhr. In der Nähe von Bernay. Leutnant Eichhoff aus der
2. Staffel drückt auf die Waffenknöpfe – und trifft. 20.56 Uhr. Sein
Staffelkamerad Fähnrich Beer zerschießt eine Mustang, gleichzei­
tig beo­bachtet Leutnant Fischer aus der 3. Staffel, wie „seine“ Mus­
tang am Flussufer zerschellt. Der bren­nende Baum lodert wie ein
Fanal. 21.03 Uhr: Fähnrich Voormann aus der III. Gruppe ist in
Schusspo­sition – und feuert. 21.04 Uhr: Nun ist Unteroffizier Bie­
lohlawek „am Drücker“. Die sechste Mustang kracht zerberstend
in den blutgetränkten Boden der Normandie. Unmittelbar darauf
gefolgt von einem Waffenbruder der britischen Royal Air Force.
Feldwebel Schuler, ebenfalls aus der III./JG 2, hat sich hinter eine
Typhoon gekurvt. 21.04 Uhr: Schuler zielt, schießt und trifft. Neben
den 7,9-mm-Geschos­sen der beiden Maschinengewehre bewirken die
20-mm-Projektile der Kanonen eine verheerende Trefferwirkung. Die
Focke-Wulf 190 A-8 ist schon ein schwer bewaffnetes Jagdflugzeug.
Wie sagen die Briten? „Butcher Bird“ – Schlächter-Vogel! 21.05 Uhr:
Oberleutnant Siekmann aus der III./JG 2 vernichtet eine Typhoon.
Gleichzeitig wie sein Kamerad Feldwebel A. Müller, ebenfalls aus
der III. Gruppe. Ebenfalls um 21.05 Uhr. Und ebenfalls erwischt es
wieder eine Hawker „Typhoon“.
Und was ist mit Hauptmann Herbert Huppertz? Seit einer halben
Stunde kein weiterer Abschuss mehr? Aber nein! Huppertz sieht
nicht untätig zu, wie seine Männer den alliierten Luftstreitkräf­
ten Verluste zufügen. Oder sagen wir „Nadelstiche“, wenn man die
Gesamtlage betrachtet. Immerhin sind sie schmerzhaft, diese Na­
delstiche. Für den Piloten einer bulligen P-47 „Thunderbolt“ der
amerikani­schen Army Air Force ist es kein Nadelstich, den ihm
Huppertz um 20.59 Uhr zufügt. Der fünfte Ab­schuss des Deut­
schen heute! Sein 77. Sieg insgesamt. Noch einer sollte folgen – am
7. Juni 1944, dem Folgetag. Auch dieser Gegner fliegt eine „Thun­
derbolt“.
Einen weiteren Tag später ist auch Huppertz tot.
Ach ja, das Jagdgeschwader 26? Sollte es heute völ­lig leer ausgehen,
wenn man von Prillers und Wo­darczyks Husarenritt einmal absieht?
Nicht ganz. Um 20.55 Uhr gerät eine amerikanische Mustang vor
die Rohre des Staffelkapitäns der 2. Staffel des JG 26, Oberleutnant
Kunz. Es ist der erste Luftsieg des Ge­schwaders an der neuen Invasi­
onsfront im Westen, die in der Luft allerdings so neu nicht ist.
21.00 Uhr (deutscher Zeit). Es ist immer noch nicht vorbei für
heute! Oberleutnant Hesse, Unteroffizier Schneider, Feldwebel
Krüger, Feldwebel Weiss und Oberfeldwebel Golles geben Vollgas.
Die fünf Jagdbomber der 9. Staffel des SG 4 beschleunigen, werden
schneller und heben von der Startbahn ab. Ihr Ziel sind Anlandun­
gen bei Lion. Doch dieses Mal kommen sie nicht durch. Um 21.30
Uhr muss sich der Verbandsführer entschließen, ein Notziel aufs
Geratewohl anzugreifen – Feinde am Boden gibt es bereits genug.
In der Luft auch! 50 Spitfire und Mustang stürzen sich auf die deut­
Hauptmann Herbert Huppertz.
schen Focke-Wulf, denen es bei diesem Einsatz nicht gelingt, vom
alliierten Jagdschutz unentdeckt zu bleiben. Die deutschen Piloten
werfen im Sturzflug ihre Bomben auf den Gegner, können aber deren
Wirkung nicht beobachten, da ihnen bereits die Leuchtspurgeschosse
der Feindjäger um die Ohren fliegen. Einem der Piloten kommen
die Geschosse gefährlich nahe an die Ohren, seine Focke-Wulf wird
schwer be­schädigt. Dennoch kommen alle fünf Maschinen wieder
nach Hause, keinem der Piloten ist etwas passiert. Bei fünf gegen 50
ein erstaunlicher Abschluss dieses ereignisreichen Tages.
Für das SG 4. Ein anderes Erdkampfgeschwader hat da erheblich
weniger Glück. Das SG 103 ist in Metz-Frascaty stationiert und fliegt
als Schulgeschwader alle möglichen Flugmuster. Auch Junkers Ju 87
„Stukas“, ein längst nicht mehr konkurrenzfähiger Sturzkampfbom­
ber, und selbst davon leicht ver­a ltete Typen. Für Schulungszwecke
mögen die Flugzeuge geeignet sein – aber für einen Einsatz? In ei­
nem Gebiet, in dem der Gegner die völlige Luftherrschaft hat? Ein
Schulungsgeschwader?
Es kommt, wie es kommen muss. Vielleicht haben die Führungs­
stäbe nicht mehr damit gerechnet, dass um diese Uhrzeit noch geg­
nerische Jäger über dem Kampfgebiet Wache halten – und erst recht
nicht tief im Hinterland. Es wird eine Einsatzstaffel gebildet, die nach
Le Mans fliegen soll, um am nächsten Morgen in aller Frühe die geg­
Leseexemplar
427
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
Eine Focke-Wulf 190 G-3 (man vergleiche die Motorhaube, die Position des Staurohrs und die Form der Tragflächenhalter) rollt aus dem Waldversteck.
Nur so haben deutsche Flugzeuge im Jahr 1944 in Frankreich noch eine Chance, der Zerstörung durch feindliche Tiefflieger zu entgehen.
nerischen Schiffe anzugreifen – ein Selbstmordunternehmen. Doch
soweit kommt es gar nicht erst. Um 20.45 Uhr nach amerikanischer
Zeitrechnung bereiten die Stuka-Besatzungen den Mustang-Piloten
der 505th Squadron (339th FG) und 354th/357th Squadron (355th FG)
ein unfreiwilliges Gute-Nacht Geschenk! Die Stukas fliegen ohne
Begleitschutz. Bei Voves, 21 Kilometer südöstlich von Chartres, hält
man dies in den Stäben offenbar nicht für nötig. Man hätte es bes­
ser wissen können, ja müssen – spätestens seit dem verlustreichen
Überführungsflug des SG 4, welches Stunden zuvor fast denselben
Flugweg zugewiesen bekommen hatte! Südlich von Paris vor­bei nach
Laval, das nur 70 Kilometer weiter westlich liegt als das Ziel der Staf­
fel des SG 103, Le Mans.
In zehn Minuten ist es vorbei. Fünf Ju 87 D-3 werden abgeschossen
(Werknummern 2196, 2653, 131214, 131247 und 131289), weiteren vier
Ju 87 D-1/D-3/H-6 gelingt noch eine Notlandung (Werknummern
2094, 2398 – laut einer anderen Angabe 7868 –, 131194, die vierte ist
unbekannt). Die Besatzungen haben keinerlei Chance. Es grenzt an
ein Wunder, dass nur drei Piloten und zwei Bordfunker ums Leben
kommen, es sind Oberleutnant Skupin, Unteroffizier Rüchenschüt­
ze und Oberfeldwebel Genrich (Piloten) sowie Oberfeldwebel Micke
und Oberfeldwebel Ochmanik (Bordfunker, gleichzeitig Heckschüt­
zen). Weitere elf Besatzungsmitglieder werden verwundet.
Am nächsten Morgen werden die alliierten Matrosen regulär ge­
weckt (sofern sie schliefen), und nicht durch das charakteristische
Heulen der Sturzflugsirenen *8 deutscher Stukas. Den Mustangs sei
Dank.
Als es endgültig Nacht wird über der Normandie nach diesem
langen Tag, haben die alliierten Landungstruppen auf französischem
Boden Fuß gefasst. Und der Himmel gehört sozusagen „mondför­
migen“ Kokarden und amerikanischen „Sternen“. Jedenfalls nicht
dem Balkenkreuz!
Dieses allerdings versucht, sich mit dem Mut der Verzweiflung Re­
spekt zu verschaffen. Doch ohne Erfolg. Im Schutze der Dämmerung
und der Nacht greifen endlich deutsche Bomber die Invasions­f lotte
an. Die 3./KG 54 verliert über der Seinebucht zwei Ju 88 A-4-Bomber
(B3 HL und B3 KL, alle acht Besatzungsmitglieder fallen. Die 8./
KG 54 büßt eine Ju 88 A-4 am selben Ort ein (B3 GR) mit denselben
tödlichen Konsequenzen für alle vier Besatzungsmitglieder. Und der
9./KG 54 ergeht es ebenfalls nicht besser. Zwei Ju 88 A-4 werden – eben­
falls über der Mündung der Seine – vom Nachthimmel geschossen.
B3 GT und B3 BT sind die jeweiligen Kennungen. Nur einer der
acht Männer kommt mit dem Leben davon, es ist der Bordfunker der
„G“-Maschine, Feldwebel Walter Tauffenbach, der in Gefangenschaft
gerät. Alle fünf Ju 88 A-4 werden vermutlich von der gegnerischen Flak
herunterge­holt – obwohl auch alliierte Nachtjäger aktiv sind, sodass
man sich nicht sicher sein kann. Denn zu­mindest eine zweimotorige
schnelle Messerschmitt Me 410 A-1, ein Schnellbomber oder schwe­
rer Jäger ähnlich der Ju 88 C-6 (nur kleiner, schneller und wendiger),
wird bei der Landung in St. Andre sur l’Eure von einem Nachtjäger
überrascht und abgeschossen. Es ist eine Maschine der 4./KG 51. Der
AM ist Oberfeldwebel Hermann Bolten, er überlebt
Pilot der 9K
verletzt. Feldwebel Wilhelm Lohe, sein Bordfunker und Heckschütze,
der die hochmodernen ferngesteuerten Abwehrmaschinen­gewehre
am hinteren Seitenrumpf bedient, überlebt den Abschuss nicht. Eine
Leseexemplar
428
Hinweis: zu diesem Zeitpunkt sind die so genannten „Jericho-Trompeten“ allerdings nicht mehr
regelmäßig in die Ju 87 eingebaut – viele „Stukas“ haben sie bereits nicht mehr. Doch auch die
ausgefahrenen Sturzflugbremsen erzeugen ein charakteristisches Geräusch im Sturz – auch ohne die
infernalisch klingenden Sirenen ...
*8
9. „Dr. Gustav West!“ – Sie kommen ...
noch größere Tragödie richtet ein weiterer alliierter Nachtjäger nahe
Coulommiers an, 30 Kilometer östlich von Paris. Der Pilot und 15
Männer des Boden­personals der I. Gruppe des JG 1, welche ebenfalls
in Richtung Front verlegt werden soll, sind an Bord eines unbewaff­
neten dreimotorigen Junkers Ju 52-Transportflugzeuges. Der britische
Nachtjäger hat keine Gegenwehr zu befürchten. Es gibt nicht einen
Überlebenden. Dagegen hat der Absturz ei­nes zweimotorigen Bombers
der 8./KG 2 nichts mit dem Gegner zu tun und muss als Unfall angese­
hen werden, wie er auch in Friedenszeiten vorkommen könnte. Die
Dornier Do 217 K-1 mit dem Code U5 AS fällt mit Motorschaden
vom Himmel, alle vier Besatzungsmitglieder überleben den Absturz
verletzt. Schließlich geht noch eine Focke-Wulf 190 G-8 der I./SKG 10
auf Grund technischer Mängel verloren, ohne dass dies irgendetwas
mit der Wirkung feindlicher Waffen zu tun hätte.
Die deutsche Luftwaffe erhält in den ersten 36 Stunden nach der
Invasion Verstärkung. Nach Ausgabe des Codes „Dr. Gustav West“
(für: „drohende Gefahr im Westen“, gleichbedeutend mit: „die Inva­
sion hat begonnen!“) werden etwa 200 Jäger der Typen Messerschmitt
Bf 109 und Focke-Wulf 190 ins Krisengebiet geflogen. Bis Ende Juni
1944 sind es fast 1.000 geworden.
Doch Flugzeuge kann man herfliegen – das zugehörige Boden­
personal samt Ausrüstung nicht. Es muss per Lastwagen und Schie­
ne folgen. Ein gefährliches und schwieriges Un­terfangen, da die
Bahnver­bindungen durch alliierte Bombenangriffe und französische
Sabotageakte zerstört sind und Bewe­g ungen mit Lastwagen praktisch
nur noch in der Nacht möglich sind.
Die deutschen Jäger werden nun selbst zu den Gejagten – in der
Luft wie am Boden. Starts sind nur noch von sorgfältig versteckten
Flugpisten aus möglich. Die Jagdflugzeuge verbirgt man zwischen
den Bäumen und tarnt sie meisterhaft mit Buschwerk. Anders sind
sie eine leichte Beute der allge­genwärtigen alliierten Mittelstrecken­
bomber und Tiefflieger, die unablässig Streife fliegen.
Ende Juni 1944 sind 230 deutsche Piloten gegen die völlig hoff­
nungslose alliierte Übermacht gefallen, 88 wurden verwundet. 551
deutsche Jagdflugzeuge hatten die britischen und amerikanischen
Jägerpilo­ten vom Himmel geschossen. Weitere 65 waren am Boden
zerstört worden.
Und doch hatten die Alliierten gemäß den bestätigten Abschuss­
meldungen der Luftwaffe in demselben Zeitraum ebenfalls 526
Flugzeuge durch deutsche Jäger verloren, alleine 203 davon sind USJagdflugzeuge des Typs P-47 „Thunderbolt“. Bei einer Übermacht
der Alliierten von 50 : 1 – und sei das Kräftever­hältnis durch die
deutschen Verstärkungen nun vielleicht „nur“ noch 40 : 1 – ist dies
eine fast unglaubli­che Leis­tung der deutschen Jagdflieger!
Hinzu kommen die Abschüsse der deutschen Flak-Kanoniere.
„Pips“ Priller schießt am 7. Juni 1944 je eine P-47 „Thunderbolt“
und P-51 „Mustang“ ab, gefolgt von einer P-38 „Lightning“ am 11.
Juni 1944. Vier Tage später wird eine viermotorige B-24 „Liberator“
sein 100. Luft­sieg im Westen, wofür er die Schwerter zum Ritterkreuz
mit Eichenlaub erhält. Danach ist Priller zu wertvoll zum Fliegen.
Er erhält striktes Flugverbot und soll sein Geschwader vom Boden
aus führen.
Man hätte Priller nicht gekannt, wäre man dem Irrtum aufgeses­
sen, dass der sich daran halten würde.
Eine Hawker „Typhoon“ mit der typischen Ausstattung von acht RP-3Raketen. Diese Raketen tragen einen 60-Pfund- (27-kg-) Sprengkopf und
können selbst einen stark gepanzerten Tiger-Panzer kampfunfähig schießen. Im Oktober des Jahres 1943 wird diese Waffe erstmals von Typhoons
eingesetzt (von der 181 Squadron RAF).
Leseexemplar
Das ist das andere Ende der Flugbahn. Ob dieser deutsche Tiger I durch
Raketen getroffen wurde oder nicht – die alliierten Jagdbomber werden zur
Geisel dieser ansonsten ihren Widersachern am Boden weit überlegenen,
gefürchteten Panzer.
Oberst Josef Priller überlebt den Krieg mit 101 Abschüssen. 68 da­
von sind immerhin britische Su­permarine „Spitfire“, was Priller zum
erfolgreichsten Spitfire-Gegner in der deutschen Luftwaffe macht. Er
stirbt im Mai 1961 an einem Herzinfarkt.
Unteroffizier Heinz Wodarczyk wird am Neujahrstag des Jahres 1945 beim Unternehmen „Boden­platte“ in einer Focke-Wulf
190 D-9 (Werknummer 210936) der 4./JG 26 bei Zwolle abgeschos­
sen – vermutlich von alliierten Flugabwehrgeschützen. Er fällt im
Kampf.
429
11. Sodom und Gomorrha –
die Allmacht am Stabsschreibtisch
Die Jäger werden nun ganzen Suchscheinwerferzonen zugewie­
sen, welche die britischen Bomber auf ihrem Weg nach Deutsch­
land überqueren müssen. Diese machen die Nacht zum Tage. Und
Vollmond für RAF-Besatzungen immer gefährlicher. Kammhuber
baut eine von den Briten nach ihm benannte Scheinwerferbarrie­
re auf. Die „Kammhuber-Linie“ reicht von Schleswig-Holstein bis
in den Raum von Lüttich. Dieser Luftraum ist nachts für sämtliche
deutschen Flugzeuge mit Ausnahme der Nachtjäger gesperrt. Die
Jagdflugzeugbesatzungen kreisen im Falle erwarteter Feindeinflüge
südöstlich dieses Gürtels in Warteräumen, sodass die Horchgeräte
nordwestlich nur noch feindliche Motorengeräusche erfassen können
– ohne die Gefahr einer Verwechslung. Die Jäger warten bis zu drei
Stunden – bis die Scheinwerfer eine unglückliche britische Maschi­
ne im Schnittpunkt ihrer Leuchtkegel festhalten. Dann allerdings
muss es schnell gehen! Der Nachtjägerbesatzung bleiben etwa drei
Minuten, sich in Angriffsposition zu manövrieren und zu zielen,
bevor ihr Opfer den Scheinwerfergürtel überwunden hat. Der erste
Abschuss dieser Art wird Oberleutnant Streib (I./NJG 1) am 20. Juli
1940 zugeschrieben. Als die Engländer erkennen, wie das deutsche
System funktioniert, versuchen sie, die Nachtjagdzonen zu umflie­
gen. Kammhuber reagiert mit einer Ausweitung des Gürtels. Doch
gegen wolkenverhangene Witterungsbedingungen – in Nordeuropa
nicht gerade eine Seltenheit – ist er machtlos.
Auch die Technik formiert sich. Bereits im Jahr 1939 besitzen
die Deutschen ein Gegenstück zum britischen Radar. Die eher zier­
lichen Frühwarngeräte des Typs „Freya“ mit einer Reichweite von
160 Kilometer sind den riesigen Mast-Anlagen der „Chain Home“ an
Auflösung sogar klar überlegen. Für genaue Positionsangaben ist das
Gerät zu ungenau, doch es liefert einen guten Überblick über die Ab­
läufe am nächtlichen oder entfernten Himmel. Was den Deutschen
allerdings im Vergleich zur Royal Air Force entscheidend fehlt, ist
eine ebenso effiziente Organisation der vorhandenen Radarstatio­
nen, deren Luftlagemeldungen in England systematisch gesammelt,
zentral kartographisch ausgewertet und in Führungsbefehle für die
Jägereinheiten umgesetzt werden. Zuvor passieren die Meldungen
einen „filter room“, in welchem die erkannten Gruppierungen auf
der Basis der Kenntnis aller eigenen Flugbewegungen in „Freund“
und „Feind“ eingeteilt und nachfolgend die Kartentisch-Symbole im
Operationsraum entsprechend gekennzeichnet werden. Auf deut­
scher Seite erreichen die Einflugmeldungen dagegen nur die diver­
sen Luftflotten separat, manchmal lediglich die Luftgaukommandos,
oder den in seiner Organisation und Zuständigkeit von der Luftwaffe
abgekoppelten Marineflugmeldedienst. Und nun wird sogar noch ein
eigener Funkmessflugmeldedienst für die Nachtjagd aufgebaut.
Im Jahr 1940 wird in der Royal Air Force zudem das IFF („Iden­
tification Friend or Foe“) Mk. I-Freund-Feind-Erkennungssystem
eingeführt. Dabei nimmt ein im Flugzeug eingebautes Gerät ein
spezielles Radarsignal auf und sendet ein Antwortsignal zurück.
Allerdings wird dieses System bei weitem nicht von allen Piloten
angewandt, da der Flugzeugführer das Gerät aktivieren muss – was
bisweilen unterbleibt und manchmal zu tragischen Verwechslungen
führt. Für weitere Probleme sorgt ein ebenfalls per Schalter bedien­
barer Selbstzerstörungsmechanismus des Gerätes, der verhindern
soll, dass der geheime Apparat bei Notlandungen in deutsche Hän­
de gerät. Nicht selten werden die beiden nebeneinander liegenden
Schalter verwechselt! Schließlich verhindert ein Sicherungsdraht
derartige ungewollte Selbst-Sabotageakte, die allerdings keine Ab­
stürze verursachen. Ferner produziert das System ein Durcheinander,
wenn Anfrage-Radarsignale mehrerer unterschiedlicher Radarsta­
tionen zeitgleich eingehen. Daher wird das Verfahren später zum
IFF Mark III weiterentwickelt, welches für das Anfragesignal und
Antwortsignal ein eigenes Frequenzband verwendet. Es wird auch in
der USAAF verwendet und sogar an die Sowjetunion geliefert. Noch
besitzt die Luftwaffe nichts Vergleichbares.
Die deutsche Firma Telefunken ist inzwischen in der Lage, ein
eigens für genaue Positionsangaben entwickeltes Ortungs-Radargerät
zu liefern, das „Würzburg A“-Gerät. Es ist ab April 1940 einsatzbe­
reit, wird im September 1940 erstmals erfolgreich zur Radar-Ziel­
steuerung der Flak eingesetzt und im Jahr 1941 in großem Umfang
eingeführt. Es hat eine Reichweite von 65 Kilometer. Ab dem Herbst
1941 wird mit dem „Würzburg-Riesen“ die Reichweite auf 80 Ki­
lometer erhöht. Kammhuber positioniert die Geräte in einer Linie
von Dänemark über Norddeutschland, Holland bis etwa Brügge. Ab
Frühjahr 1942 steht die Organisation. Sie enthält eine Radar-Füh­
rung von Leitscheinwerfern durch Würzburg-Geräte („helle Nacht­
jagd“) und eine vorgelagerte „Jäger an den Feind“-Führung ohne
Scheinwerferhilfe („AN-Verfahren, später mit ‚Seeburg-Tisch‘“). Der
Abwehrgürtel besteht aus aneinander angrenzenden „Dunkelnacht­
jagdräumen“ an der Küste, die nach dem AN-Verfahren operieren,
einem „hellen“ Gürtel dahinter, in welchem die Leitscheinwerfer dem
Nachtjäger das Ziel beleuchten, und noch weiter landeinwärts „kom­
binierten“ Zentren über häufigen Zielgebieten, wo gegen die hier im
Zielanflug an Höhe und Kurs völlig gebundenen Gegner sowohl
Scheinwerfer und Flak als auch Nachtjäger operieren.
Leseexemplar
464
AN-Verfahren: der obere Doppelzacken (Bomber) ist angepeilt, der untere
(Jäger) fliegt etwas links versetzt und näher am Freya-Gerät, da dieser
Doppelzacken größer ist.
11. Sodom und Gomorrha –
die Allmacht am Stabsschreibtisch
„Himmelbett“-Boden-Station, ein Freya-Gerät (Mitte) und zwei Würzburg-Riesen (im Hintergrund beidseits).
„Würzburg-Riese“-Funkmessgerät.
Das AN-System besteht aus Bodenleitstationen, denen Freya-Ge­
räte und Würzburg-Riesen zur Verfügung stehen. Jede Leitstation
führt einen einzelnen Nachtjäger. Nachdem das AN-Freya-Gerät ei­
nen Einflug erkannt hat und Menge sowie Flugrichtung der Eindring­
linge grob erfasst sind, sucht sich der Jägerleitoffizier einen Bomber
heraus und behält ihn unter elektronischer Positionskontrolle. Dabei
übernimmt das Freya-Gerät die Richtungs- und Seitenpeilung, das
Würzburggerät liefert die Feinwerte, vor allem die Höhenwerte. Die
AN-Freya-Peilung wird nun auf den Feindbomber ausgerichtet, der
als ein nach rechts und links der senkrechten Mittellinie ausgelenk­
ter Doppelzacken erscheint. Sind beide Zacken gleich groß, so ist
das Flugzeug exakt in Peilrichtung, andernfalls muss nachjustiert
werden. Der Nachtjäger wird dann auf den Peilstrahl geführt und an
den Doppelzacken des Bombers herandirigiert, wobei die Größe des
Doppelzackens die Entfernung wiedergibt (je kleiner, desto weiter
vom Funkmessgerät entfernt). Der Nachteil des AN-Verfahrens ist,
dass das Freya-Gerät einen AN-Peilzusatz besitzen muss und der
Jägerleitoffizier direkt am Radargerät führt, was an sein Können
und die räumliche Abstraktionsfähigkeit sehr hohe Anforderungen
stellt. Die Entwicklung des Seeburg-Kartentisches vereinfacht dies,
kostet aber Übermittlungszeit, es heißt „Seeburg-Verfahren“. Hier
werden via Projektionsgerät Lichtpunkte von unten auf eine trans­
parente Karte projiziert, die die Position des Jägers und des gejagten
Bombers farbig anzeigen. Hierfür stehen dann pro Leitstation zwei
Freya-Geräte (eines zur Übersicht, eines zur AN-Führung) und zwei
Würzburg-Riesen (je einer für Jäger und Bomber) bereit.
Die letzten vier bis fünf Kilometer zum Opfer muss der Jägerpilot
sich jedoch immer noch auf seine Augen verlassen. Denn in dieser
Nähe zum Ziel sind beide Zacken auf dem Schirm des Freya- und
Würzburg-Bodengerätes nicht mehr zu unterscheiden. Was man also
benötigt, ist ein Bordradargerät – klein und leicht genug, um es in
die Nachtjäger einzu­bauen, zur Zielanflugkontrolle auf den letzten
fünf Kilometern. Die Briten besitzen mit dem AI- (jetzt Mk. VII-)
Bordradar eine derartige Ausrüstung in ihren Nachtjägern bereits!
Die Ingenieure von Telefunken machen sich an die Arbeit.
Inzwischen werden die englischen Besatzungen nicht nur über
Deutschland bedroht. Deutsche Lang­
streckennachtjäger der I./
NJG 2 – meistens Junkers Ju 88 C-2 – schleusen sich in die noch
sehr lose fliegenden Bomberforma­tionen ein und warten, bis ihr Wild
sich sicher fühlt. Wenn die Besatzungen in England zur Landung
einschweben und sich schon gerettet wähnen, schlagen sie zu. Ein
landender Bomber ist in seiner Flugbahn völlig kalkulierbar, Aus­
weichbewegungen sind unmöglich und die Besatzung konzentriert
sich auf das Auffinden der Landebahn. Die psychologische Wirkung
ist be­trächtlich. Nicht einmal über eigenem Gebiet, nach stunden­
langem Feindflug mit angespannten Nerven kurz vor dem rettenden
Boden unter den Füßen können sich die Besatzungen sicher fühlen.
Im Gegenteil – gerade jetzt nicht. Die deutschen Fernnachtjäger mi­
schen sich teilweise unauffällig in den Bomberstrom, schalten gar
im scheinbaren Landeanflug selber die Positionslichter an – und
feuern dann aus nächster Nähe! Anschließend donnern sie – wie­
der verdunkelt – im Tiefflug über den Platz, dessen Bodenpersonal
geschockt den Aufschlag des abgeschossenen Bombers beobachtet,
und werfen über den Gebäuden beziehungsweise der Startbahn auch
noch Bomben ab.
Im Jahr 1940 verliert das RAF Bomber Command 492 Bomber, im
Jahr 1941 schon 1.034 Kampfflugzeuge – bereits das Doppelte, aller­
dings bei ebenfalls gestiegener Zahl der Einsätze. Davon ist zwar nur
ein kleiner Teil den Abschusserfolgen der deutschen „Fernnachtjagd“
zuzuschreiben, doch andererseits addieren sich die vielen Bruchlan­
dungen britischer Piloten dazu, die in der heiklen Landephase nervös
werden. Zumal oft auch noch die Platzbefeuerung bei erkanntem
Auftauchen deutscher Nachtjäger ausgeschaltet wird. Die frischen
Bombentrichter tun beim Ausrollen dann noch ihr Übriges. Seit
ihrem Bestehen melden die Fernnachtjäger 144 sichere Abschüsse,
30 wahrscheinliche Erfolge und mindestens 52 am Boden zerstörte
Maschinen. Doch im Oktober 1941 verbietet Hitler diese Einflüge
völlig überraschend – zum Entsetzen Kammhubers und seiner in­
zwischen erfahrenen Männer. Der Führer wünscht, dass abgeschos­
sene britische Bomber auf deutschem Boden zerschellen mögen, zur
augenfälligen Demonstration der deutschen Abwehrkraft für die
Bevölkerung und die Presse.
Im Gegensatz zu den Junkers Ju 88 C-2 der I./NJG 2 (Fernnacht­
jagdgruppe) sind die übrigen Nachtjagdgeschwader zu diesem Zeit­
Leseexemplar
465
11. Sodom und Gomorrha –
die Allmacht am Stabsschreibtisch
punkt mit Messerschmitt Bf 110 C-2, C-4 oder D-1 ausgerüstet. Ins­
gesamt sind es 195 Maschinen – theoretisch. Denn einsatzbereit sind
längst nicht alle davon.
Im Jahr 1942 wird das Bordkennungsgerät FuG 25 „Erstling“ in
der Luftwaffe eingeführt, welches nun auch deutschen Radargerä­
ten eine Freund-Feind-Erkennung ermöglicht. Das Gerät empfängt
die 125 MHz-/8 kW-Impulse des Freya-Gerätes, demoduliert sie
und tastet damit einen 1,5 kW-Impulssender im Rhythmus von
beliebig wählbaren Morsezeichen, die durch Steckschlüssel co­
diert sind. Diese werden in Nockenschalter eingebracht, wobei der
Flugzeugführer aus zwei vorhandenen einen auswählt. Die Mor­
sesignale werden anschließend mit einer Frequenz von 156 MHz
zurückgesandt und mit dem Kennungsempfänger „Gemse“ erfasst,
dann sichtbar dargestellt, was eine einwandfreie Identifizierung
sicherstellt. Auch organisatorisch verbessern die Deutschen ihre
Struktur. Im Divisionsgefechtsstand des inzwischen zum Gene­
ral beförderten Josef Kammhuber in Zeist werden nun sämtliche
Meldungen aller Stellungen und Verbände zusammengefasst, aus­
gewertet und auf einer riesigen Projektionstafel mit Lichtpunkten
angezeigt. Kammhuber wiederum kann direkt die örtlichen Be­
fehlsstellen erreichen.
Auch die Briten rüsten auf. Im Herbst 1941 geht das „Gee“-System
in Produktion. Es legt ein unsicht­bares Funkimpuls-Gitternetz über
Europa, basierend auf Laufzeitunterschieden von Funksig­nalen je
nach Entfernung vom Sender. Diese Unterschiede kann der Navigator
eines Bombers mit Hilfe eines speziellen Empfängers messen und als
Schnittpunkt seinen Standort auf einer Gee-Karte eintragen. Doch
bereits in 650 Kilometer Entfernung von den in England stehenden
Sendern beträgt die Abweichung zehn Kilometer, darüber hinaus
ist es unbrauchbar. Trotz dieser Einschränkungen ist „Gee“ ein ge­
waltiger Fortschritt. Ab März 1942 steht es voll zur Verfügung. Die
britischen Besatzungen lernen zudem, mit der deutschen Bedrohung
besser umzugehen. Der Scheinwerfergürtel wird im Tiefflug relativ
ungefährdet durchbrochen, die Desynchronisierung der Motoren mit
der Folge eines an- und abschwellenden Geräusches behindert die
deutsche Horch-Ortung, Kursänderungen alle sechs Sekunden bei
Flak-Beschuss erschwert den feindlichen Richtschützen am Boden
die Kalkulation der Flugbahn.
Nun werden die veralteten Bombertypen ersetzt. Viermotori­
ge schwere Bomber werden ausgeliefert, zunächst die bereits bei
Einführung technisch überholte Short „Stirling“, dann seit dem
Jahr 1941 die Handley-Page Halifax und schließlich die aus der
zweimotorigen, in dieser Form nicht zu­verlässigen „Manchester“
entwickelte viermotorige Avro „Lancaster“. Dieser Bomber sollte
zum Rück­g rat des Bomber Command der RAF werden. Seit Anfang
1942 fliegt die erste britische (Bomb) Squadron (es ist N° 44) diesen
Typ. Er hat eine schwere Abwehrbewaffnung von einem ZwillingsBugturm, einem Zwillingsturm auf dem Rumpf und einem Vier­
lingsturm im Heck. Alle Maschinenge­wehre sind elektrisch drehund schwenkbar. Die 0.303-inch- (7,7-mm-) Waffen haben zwar
keine riesige Reichweite – doch bei den Sichtverhältnissen nachts
genügt sie! Es ist für die Besatzung ohnehin besser, im Falle eines
Angriffs „Korkenzieher“-Ausweichmanöver zu fliegen, als sich auf
ein Waffenduell einzulassen!
Im Februar 1942 wird das Bomber Command jedoch noch eine
weitere Veränderung erhalten. Es ist eine entscheidende Neuerung,
die Tausenden und Abertausenden Menschen den oft grausamen Tod
bringen wird. Diese entscheidende Innovation hat einen Namen. Sie
heißt Arthur Travers Harris.
Harris war im Jahr 1919 in die Royal Air Force eingetreten und
hatte unter anderem in Indien, im Irak und im Iran gedient. Ab dem
Jahr 1930 war er im Luftstab für den Nahen Osten tätig und mitver­
antwortlich für die blu­tige Niederschlagung verschiedener Aufstände
der Bevölkerung gegen die britische Kolonialherr­schaft. Dabei setzte
er Streubomben, Tretminen und sogar Giftgas gegen die Bevölkerung
ein. Araber und Kurden verstünden nur eine Politik der harten Hand,
so argumentierte er. Dieser Mann ist nun der neue Chef der briti­
schen Bomberstreitkräfte. Und er hat einen mächtigen Verbündeten:
den vom bisherigen Effekt des Bombenkrieges der Royal Air Force
reichlich enttäuschten britischen Premier Winston Churchill. Das
Bomber Command stelle nicht mehr als eine „ernstlich wachsende
Belästigung“ für die Deutschen dar, deren Auswirkung seit Kriegs­
beginn „stark übertrieben“ werde, stellt er fest. Churchill gibt dem
Bomber Command eine letzte Chance: Arthur Travers Harris! Der
ist entschlossen, ihn nicht zu enttäuschen. Diese eine Möglichkeit,
eine entscheidende Rolle in der Geschichte seines Landes zu spielen,
will er unter allen Umständen nutzen.*2
Harris ist überzeugt, dass Skrupel gegen die Zivilbevölkerung
Deutschlands fehl am Platze sind. Um Deutschland in die Knie zu
zwingen, müsse man so unendlich viel Leid verursachen, dass dieses
uner­träglich würde und der Widerstandswille des deutschen Volkes
gebrochen werde. Punktziele – wie In­dustrieanlagen – in der Nacht
zu treffen, ist schwierig und nur möglich, wenn man in Kauf nimmt,
dass die gesamte bewohnte Umgebung der Fabriken mitgetroffen
wird. Doch um die Produktionskapazität der Deutschen geht es
Harris gar nicht – nicht primär. Während in höheren britischen Of­
fizierskreisen immer noch die redliche Hoffnung besteht, dass man
mit verbesserten Zieleinrichtungen wieder effektiv zu militärischen
Zielen zurückkehren könne, kommt Harris der technische Stand
der Dinge nur zu gelegen. Sein erklärtes Ziel ist der Bombenterror
gegen die Zivil­bevölkerung, ohne „wenn und aber“. Krieg und Sieg
forderten nun einmal Opfer, zivil oder nicht, was spiele das für eine
Rolle? Im Verlauf des Bombenkrieges wird Harris genötigt, mehr
Brand- als Sprengbomben zu verwenden, um der Zivilbevölkerung
eine Überlebenschance zu geben. Unabhängig davon, dass sich dies
als ein völlig untaugliches Mittel erwiesen hätte, antwortet er: „Ich
stimme dieser Politik nicht zu. Der moralische Effekt von Sprengbomben ist enorm. Menschen können Feuern entkommen, und die Opfer
eines aus­schließlich Brände verursachenden Luftangriffs wären minimal. Was wir wollen ist, dass zusätzlich zu den Grauen der Feuer
die Mauern den Boche [französisches Schimpfwort für Deutsche, der
Verfasser] auf den Schädel krachen, wir wollen sie töten und in Angst
und Schrecken versetzen!“
Um dieses Ziel zu erreichen, ist Harris jedes Mittel recht. Die Stars
seiner schweren Bomberflotte sind die beiden Konkurrenzmodelle
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466
*2
Quelle:  „Das rote Leuchten – Dresden und der Bombenkrieg“/Edition Sächsische Zeitung 2005/
Oliver Reinhard und Mathias Neutzner und Wolfgang Hesse.
11. Sodom und Gomorrha –
die Allmacht am Stabsschreibtisch
Handley-Page „Halifax“ und Avro „Lancaster“. Beide tragen je sie­
ben Mann Besatzung. Gut, die Halifax hatte anfangs Probleme mit
der Leistung ihrer Motoren, doch man arbeitet bereits erfolgreich
an der Lösung. Aber mit 5.443 kg ist die Bombenlast der Lancaster
höher als die der Hali­fax (3.175 kg). Nur das zählt für Harris, der zu
einem beißenden Kritiker der Halifax wird. Was spielt es da für eine
Rolle, dass etwa 29 % aller Halifax-Besatzungen nach Abschuss ihres
Bombers noch mit dem Fallschirm herauskommen und überleben,
während für nur 11 % der Lancaster-Besatzungen die wenig überle­
bensfreundliche Konstruktion des Bombers im Falle eines Treffers
nicht zur Todesfalle wird? Welchen Wert haben für Harris britische
Besatzungen, die in deutschen Gefangenenlagern her­umlungern? Sie
fliegen genauso wenig für England und für ihn wie tote Crews. Krieg
und Sieg fordern nun einmal Opfer! Die Lancaster verbreitet mehr
Zerstörung pro Einsatz, nur das zählt für ihn wirklich. Er ist fest
davon überzeugt, dass Deutschland in die Kapitu­lation zu bomben
ist, wenn man ihm nur genügend Zeit dafür lässt.
Es kümmert Harris wenig, dass die Verluste unter seinen Be­
satzungen ansteigen. Einer der Gründe ist die ständig wachsende
Zahl deutscher Nachtjäger, welche nun, seit Herbst 1941, mit einem
Bordra­dar ausgerüstet werden können. Einigermaßen verfügbar ist
diese Technik allerdings erst ab April 1942. Die Telefunken-Inge­
nieure haben ihre Hausaufgaben gemacht und das FuG 202 „Lichtenstein B/C“ entwickelt. Es hat eine Reichweite von drei bis vier
Kilometern und eine Nahauflösung von 200 Metern – nähere Ziele
verdeckt das Nullzeichen. Doch hat die Umrüstung erst begonnen.
Außerdem feuern zunehmend Flugabwehrgeschütze radargesteuert
und bestimmen Flughöhe, Geschwindigkeit und Richtung der an­
visierten Bomber auf elekt­ronischem Wege. Der Schutz, den dichte
Wolken bisher vor der Zielerkennung durch deutsche Richtschützen
boten, ist für die Bomberbesatzungen verloren. Britische Luftangriffe
auf Berlin führen nun zu Verlustquoten von bis zu 10 % der einge­
setzten Maschinen. Ein derartiger Aderlass ist nicht verantwortbar!
Winston Churchill untersagt daher ab November 1941 Luftangriffe
auf die deutsche Reichshauptstadt – zwei Jahre später wird er seine
Meinung gründlich ändern.
Anfang 1942 herrscht in Deutschland Optimismus. In Russland
verläuft die Front vor den Toren Mos­kaus, die deutsche Wehrmacht
hatte mehr als 2,5 Millionen Gefangene gemacht – wer kann noch
daran zweifeln, dass man den Russen bald den Rest geben würde?
Die deutschen U-Boote fügen den für England überlebenswichtigen
Nachschub-Konvois im Atlantik schwerste Verluste zu. Gut, man
steht jetzt auch im Krieg mit den USA, aber die Amerikaner sind ja
wohl mit den Japanern vollauf beschäftigt. Bis zum Sommer wird
der Krieg siegreich vorbei sein. England ist in Sorge. Und Air Mar­
shal Arthur Travers Harris benötigt dringend einen vorzeigbaren
Achtungserfolg.
Er findet ihn in einer Stadt, deren enge Gassen und mit viel Holz
erbauten Fachwerkhäuser ein Maxi­mum an Zerstörung erwarten
lassen. Dieser Umstand alleine ist das Schicksal von Lübeck. 234
briti­sche Bomber verwandeln am 28./29. März 1942 den größten Teil
der Stadt in ein Flammenmeer. Erstmals finden 1,8 Tonnen schwere
Luftminen Anwendung. Ganze Häuserblocks werden erfasst, die Dä­
cher abgedeckt – welche nun den Brandbomben gegenüber keinerlei
Schutz mehr bieten. Zwölf britische Bomber gehen verloren. Danach
steht Rostock auf dem britischen Einsatzplan ...
Auch die Taktik der Anflüge wird überprüft. Bisher ist der Kurs
zum Ziel und zurück im Wesentlichen jeder Besatzung individuell
überlassen. Dies führt dazu, dass die britischen Bomber die verbes­
serte deutsche „Kammhuber-Linie“ mit ihren Abwehrsystemen ein­
zeln und im Verlaufe mehrerer Stunden überqueren. Genau hierauf
sind die Deutschen vorbereitet. Jeder Nachtjäger – der ja konkret an
einen bestimmten Bomber herangeführt werden muss – kann so im
Laufe seiner Flugzeit auf mehrere Gegner nachein­an­der angesetzt
werden. Im Durchschnitt benötigen die Jäger-Leitstelle und die Be­
satzung des Jägers zehn Minuten für Anflug, Sichten und Ab­schuss.
Auch eine mit den „kleinen“ Würzburg-Geräten (jetzt vom Typ D)
radargelenkte Flak-Batterie kann sich nur auf ein einziges Flugzeug
gleichzeitig „einschießen“, was mindestens ebenso lange dauert. Jede
dritte Flak-Batterie ist nun bereits mit dieser Technik ausgerüstet.
Wie wäre es, wenn man alle Bomber im Verband gemeinsam den
Abwehrriegel über­queren ließe? Gut, ein paar würden wohl „dran
glauben“ müssen – doch der Rest käme zwangsläufig ungeschoren
davon, da sich einfach nicht so viele Ziele gleichzeitig nebeneinander
bekämpfen lassen würden.
Harris fürchtet, man könne ihm seine Bomber wegnehmen und
taktischen Zielen zuordnen, wenn er nicht beweist, dass der stra­
tegische Luftkrieg gegen Deutschlands Städte mehr bewirkt, als
deutschen Bauern das Säen zu erschweren. General John Dill vom
Kriegsministerium ist nicht der einzige, der diese Umorientierung
weg von Harris‘ Strategie fordert, auch Sir Stafford Cripps und Ad­
miral Dudley Pound äußern sich so!
Ein leicht aufzufindendes Prestigeobjekt muss her, verbunden mit
einer Presti­gezahl – 1.000. Das Objekt findet Harris in Köln, die Zahl
der verfügbaren Maschinen muss er suchen. Selbst Flugzeugführer­
schulen müssen Bomber und Besatzungen stellen, fast 500. Harris
setzt alles ein, was er hat.
Am 30./31. Mai 1942 ist es soweit. Zum ersten Mal greifen über
1.000 Bomber eine deutsche Großstadt an – 1.047 genau (602 Wel­
lington, 131 Halifax, 88 Stirling, 79 Hampden, 73 Lancaster, 46
Manchester, 28 Whitley). Sie tun es erstmals in ge­schlossenem Ver­
band – über Lübeck waren es mehrere Wellen gewesen. 868 britische
Kampfflugzeuge erreichen ihr Ziel, 1.323 Tonnen Bomben regnen aus
ihren Bombenschächten auf die unglückliche deutsche Großstadt,
zwei Drittel davon sind Brandbomben ...
474 Menschen werden getötet, 5.420 Gebäude werden stark demo­
liert oder ganz zerstört, weitere 7.420 leicht beschädigt. Über 45.000
Kölner sind obdachlos. Köln geht in Flammen auf – und 41 britische
Bomber ebenso, zwölf kommen zusätzlich als Totalverlust schwerst
getroffen gerade noch nach England zurück, 104 weitere sind repa­
rabel beschädigt.
Doch der Bann ist gebrochen. Und Har­ris ist nun nicht mehr auf­
zuhalten ...
Die Deutschen schalten schnell. Der Krieg der Techniker entbrennt.
Auf die Dauer lässt es sich nicht vermeiden, dass durch Notlandun­
gen und verwertbare Flugzeugtrümmer technische Geheimnisse ge­
lüftet werden. Gegen „Gee“ wird ein Störsignal namens „Heinrich“
entwickelt, welches die britische Navigationshilfe ab August 1942
Leseexemplar
467
11. Sodom und Gomorrha –
die Allmacht am Stabsschreibtisch
Blick auf das flammende Inferno der Stadt Köln aus der Sicht eines britischen Bombenschützen im Bug einer Avro „Lancaster“. Im Bomber tut
man seine Pflicht gemäß Befehl ...
So sieht es am anderen Ende des Bombenhagels aus. Die Stadt Köln brennt
lichterloh!
unbrauchbar macht. Der Funkmess- und Leitstationen-Gürtel wird
erweitert, in die Tiefe Deutschlands hinein gestaffelt. Weit reichende
Funkmessgeräte des Typs „Wassermann“ und „Mammut“ erfassen
die britischen Bomber nun bereits beim Sammeln über England.
Die Briten wiederum setzen eine neue Maschine ein – die de Havil­
land „Mosquito“. Mit ei­nem überwiegend aus Holz gebauten Rumpf
ist der kleine zweimotorige Bomber leicht und daher enorm schnell.
Ohne Bomben ist die raffinierte Neukonstruktion sogar schneller als
die (erst ab April 1943 verfügbare) neueste Variante der Me 110 (Me
110 G-4: 550 km/h  Mosquito B Mk. IV: 611 km/h).
Und Bomben sollen die Mosquitos für ihre Missionen gar nicht
tra­gen. Wenn der Bombenschütze eines jeden Bombers einzeln zielt,
so ist es nicht zu vermeiden, dass ein nachweislich beträchtlicher Teil
der Bomben ins „Leere“ fällt, zumal so manche Besatzung auf per­fekt
insze­nierte, scheinbar unabsichtlich schlampig verdunkelte Schein­
anlagen in Zielnähe hereinfällt. Anders ist es, wenn speziell geschulte
Crews den Auftrag haben, das Ziel mit Lichtzeichen zu markie­ren.
Hierfür ist die Mos­quito ideal geeignet. Die Masse der Bomber muss
nun nur noch in das mar­k ierte Zielquad­rat hinein­bomben. So kommt
es, dass von nun an selbst in Sommernächten „Christ­bäume“ über
Deutschlands Städten aufleuchten. Es sind Zielmarkierungsbomben,
vier pro Mosquito, die in etwa 1.000 Metern Höhe zerbersten und cir­
ca 60 Leuchtkerzen abgeben. Diese sind in codierten Farben gehalten
(Rot und in den nachfolgenden Maschinen Grün). Die Leuchtmar­
kierungen verteilen sich im Fall und bilden einen weit sichtbaren,
etwa drei Minuten lang brennenden Feuerkreis am Boden. Da die
Markierungsträger in Intervallen anfliegen und termingerecht kurz
vor dem Bomberstrom das Ziel erreichen, folgt ein Leuchtkreis alle
zwei Minuten dem nächsten, bis die auflodernden Brände der Bom­
ben weitere Kennzeichnungen des Zielareals unnötig machen. Diese
Elite-Markierungs-Verbände nennen die Briten „Pfad­f inder“.
Inzwischen schreibt man das Jahr 1943, und der Krieg ist immer
noch nicht zu Ende. Ganz im Ge­genteil. Auch die amerikanischen
Bomberverbände sind nun in England eingetroffen und zu einer
spürbaren Macht angewachsen. Harris versucht, die amerikanischen
Verbände unter britische Kon­trolle zu bringen und vom Selbstmord­
charakter von Präzisionsangriffen am Tage zu überzeugen. In­des geht
es ihm mehr um den Zuwachs an Kampfkraft als um das Schick­
sal der amerikanischen Be­satzungen. Doch die Amerikaner sind
stur. Allmählich hatte sich die Ineffektivität der britischen Nacht­
bomberoffensive über geschäftliche Kanäle wie auch diplomatische
Quellen bis in die US-Kommando­stellen herumgesprochen. Die USStäbe sind selbstbewusst. Als weisungsgebundener kleiner Lehrling
unter dem Kommando des Meis­ters Großbritannien in den Krieg
zu ziehen, das könnte den Engländern so passen! Fakt ist, die Deut­
schen produzieren munter weiter Panzer, U-Boote, Flugzeuge und
Geschütze und zeigen sich reich­lich unbeeindruckt von Arthur Har­
ris` Eskapaden. Um Deutschland in die Knie zu zwingen, muss man
seine Kriegsindustrie zerstören. Und das bedeutet Präzisionsangriffe
auf Industrieziele – bei Tage, denn anders sind diese nicht zu treffen.
Zum Beispiel die Kugellagerproduktion in Schweinfurt oder Stutt­
gart. Man würde mit den jeweils 13 12,7-mm-Maschinengewehren
(MGs) eines jeden ihrer riesigen viermotorigen Boeing B-17 „Flying
Fortress“ oder den zehn MGs ihrer Consolidated „Libera­tor“-Bomber
den deutschen Abfangjägern schon genügend einheizen, auch ohne
eigene Jagdeskorte und bei Tageslicht. Schließlich ist die Reichweite
und Durchschlagskraft von 12,7-mm-MGs nicht mit jener der dage­
gen „niedlichen“ britischen 7,7-mm-Abwehrwaffen zu vergleichen!
Nun, die Briten sind sich sicher, dass die Amerikaner noch an ihre
Warnungen denken werden. Doch die amerikanischen Besatzungen,
die diese Entscheidung später im Verlauf des Jahres 1943 am 17.
Au­gust und 14. Oktober über Schweinfurt und am 6. September
über Stuttgart ausbaden müssen, werden andere Sorgen haben, als
darüber nach­zudenken, ob ihre Kommandeure nicht besser auf die
Briten gehört hätten. Die US-Angriffe enden in einem blutigen Fi­
asko. Die Amerikaner verlieren alleine in diesen drei Angriffen 165
Besatzungen mit ihren Bombern durch Abschuss und 21 Maschi­nen
durch irreparable Beschuss-Schäden, somit 186 Bomber – und 1.493
Besatzungsmitglieder in den viermotorigen „Festungen“, die tot oder
vermisst nicht wiederkommen. Fünf gefallene oder vermisste US-
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11. Sodom und Gomorrha –
die Allmacht am Stabsschreibtisch
Jägerpiloten, deren P-47 den erreichbaren Bereich bis Aachen decken,
addieren sich hinzu.
Vorerst werden die Amerikaner ihre Angriffe bis in das Herzland
des Deutschen Reiches zähneknirschend einstellen müssen. Man
hatte die Deutschen gründlich unterschätzt.
Zu Beginn des Jahres 1943 sind nun fast alle schweren deutschen
Flak-Geschütze funkmessgeführt (radargesteuert). Die Nachtjäger
verfügen über rund 390 Jäger, überwiegend mit dem „Lichtenstein
B/C“-Bordradar ausge­rüstete zweimotorige Me 110 F-4. In diese
wird zunehmend bis Jahresmitte ein drittes Besatzungsmitglied
eingeführt, mit einem Augenpaar mehr. Die ursprünglich einzige
deutsche Nachtjagddivision war Mitte 1942 nun in drei Jagddivisi­
onen aufgeteilt worden. Der Nachtjagd-Abwehrriegel ist inzwischen
bis nach Ostfrankreich im Bogen in Richtung Schweizer Grenze
verlängert, um ein Umfliegen unmöglich zu machen. Und es waren
am 31. Juli 1942 auf Intervention der Gauleiter jener leidgeprüften
Bombenzielgebiete bei Hitler – ganz und gar gegen Kammhubers
Willen – die Scheinwerferdivisionen abgezogen und wieder den FlakBatterien der Städte zugeteilt worden. Offenbar können die Nachtjä­
ger seit der Einführung des Bordradars auch ohne Zielbeleuchtung
operieren, während die Scheinwerfer den Flak-Stellungen nach wie
vor wertvolle Dienste leisten.
Die Nachtjäger werden nun mit Hilfe des „Himmelbett“-Verfahrens
an die eindringenden Bomber herangeführt. Dabei verfügt die Bo­
denleitstelle je nach „Rang“ nach wie vor meistens über ein Freya mit
AN-Peilzusatz und ein Freya-Gerät zur Luftraumüberwachung, ferner
über zwei Würzburg-Riesen. Doch nun werden diese Funkmessgerä­
te ergänzt um zwei E-Messgestelle mit Peilsendern und zwei, später
fünf Y-Peiler des Typs „Heinrich“. Diese E-Messgestelle strahlen in
den Sprechfunkverkehr der Leitstelle einen E-Messton ab, der vom
Jäger mit Hilfe des neuen FuG 16 ZY in einer genau 1,9 MHz tiefer
liegenden Frequenz zurückgestrahlt wird. Die E-Messgestelle erfassen
dabei die Entfernung durch den Laufzeitunterschied des Signals, die
Y-Peiler die Richtung des Jagdflugzeuges von der Messanordnung aus.
Dies genügt den „Y-Stationsführern“, um dessen Position dreidimen­
sional verfolgen und als Gradnetzkoordinate weitergeben zu können.
Das System leitet sich aus dem Y-Verfahren der Tagjagd ab. Da der
bisher für die Nachtjägerführung benötigte Würzburg-Riese jetzt für
die Feindbomberverfolgung frei wird, lassen sich nun zwei Bomber
gleichzeitig bekämpfen. Durch deren Verbandsflug ist inzwischen
oft ein ganzer Bomberpulk das Ziel. Allerdings wird dennoch in der
Praxis meistens ein Jäger per Würzburg-Riese dirigiert, zwei weitere
via (ungenauerem) Y-Verfahren. Die Nachtjäger kreisen nun in un­
terschiedlicher Höhe um so genannte „Funkfeuer“ und werden von
dort nacheinander „abgerufen“, wobei neuerdings zwei bis drei Jäger
gleichzeitig führbar sind. Sowohl die Nachtjäger als auch die verfolgten
Bomber sind im Überblick auf dem Freya-Gerät sichtbar. Eigentlich
genügt nun ein einziges Freya-Gerät pro Leitstation, doch gehören zwei
Leseexemplar
„Himmelbett“-Verfahren schematisch.
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die Allmacht am Stabsschreibtisch
Geräte zur Standardausrüstung – bisweilen wird sogar immer noch das
AN-Verfahren der Kartentisch-Führung vorgezogen. Der Jägerleitof­
fizier führt nun die angesetzten Nachtjäger an den Feindverband – so
lange, bis die Jagdfliegerbesatzungen mit Hilfe des Bordradars ihre Op­
fer selbst erkennen können müssten. Zu diesem Zeitpunkt decken sich
auf dem Projektionstisch des Jägerleitoffiziers, dem „Seeburg-Tisch“,
der durch Einspeisung der Daten in das Projektionsgerät erzeugte rote
und der grüne Lichtpunkt. Danach ruft der „Jlo“ die nächsten, beim
Langwellen-Funkfeuer wartend kreisenden Jäger in den Kampf.
Das britische Bomber Command hat rund 600 viermotorige
schwere Stirling-, Halifax- und Lancaster-Bomber sowie 250 zwei­
motorige Wellington zur Verfügung, ergänzt durch 30 Mosquitos,
die überwiegend als „Pfadfinder“ eingesetzt werden. Von Monat zu
Monat werden es mehr. Diese Pfadfinder tragen nun eine neue Ent­
wicklung in sich: „Oboe“ und „H2S“.
Oboe ist ein neu entwi­ckeltes Leitsystem, welches je BodenstationPaar in England jeweils nur eine Maschine leiten kann und auf zwei
Bodenstationen pro Flugzeug angewiesen ist (es steht ein ganzes Netz
zur Verfügung, um alle in Reichweite befindlichen Ziele codieren zu
können und um mehrere Maschinen gleichzeitig führen zu können).
Diese werden „Katze“ und „Maus“ genannt und senden Signale aus,
welche von einem Transponder im Flugzeug zurückgestrahlt werden.
Die Laufzeit des Signals definiert die Entfernung des Flugzeuges. Hält
man diese Entfernung konstant, so ergibt sich ein Kreisbogen um die
Sendestation. Durch die Geographie und Erdkrümmung ist seine
Reichweite auf 450 Kilometer begrenzt, das ist jedoch ausreichend
für Anflüge in das Ruhrgebiet. Der geleitete Pilot hält sein Flugzeug
nun auf dem Signalkreis der „Cat“-Station. Diese leitet ihn, indem
(ähnlich dem deutschen X-Verfahren) die Signale in eine Art von
Morsezeichen moduliert werden: kommt die Maschine zu weit vom
Kurvenradius ab, so hört die Besatzung „Striche“, wird der Radius zu
eng, dann sind es „Punkte“, liegt er auf Kurs, so wird dies durch einen
Dauerton im Kopfhörer deutlich. Über dem Ziel kreuzt der zweite
Signalkreis den ersten. Das zweite Signal stammt von der „Mouse“Station – fünf „Punkte“ und ein Strich! Das ist das Zeichen zum
Abwurf! Es können zwar nur wenige Maschinen geführt werden - das
ge­nügt allerdings, nämlich dann, wenn diese die Zielmarkierungen
für den Rest der An­griffsgruppe transportieren. Und das System ist
klein genug, um in eine Mosquito zu passen. Es hat eine Genauigkeit
von immerhin 350 Metern.
H2S ist ein fortschrittliches Geländeerkennungsradar, welches ei­
nen Or­tungskegel unter das Flugzeug legt und den Boden abtastet.
Die Spitze des Kegels ist das Gerät, die Basis bildet die Landschaft
unter dem Flug­zeug. Das zurückgeworfene Echo kann zwischen be­
bauten Gebieten, offenem Gelände und Wasser unterscheiden und
bildet beim Vergleich mit der Karte eine wertvolle Orientierungshil­
fe. Das Gerät ist aber so groß und schwer, dass es in einen viermotori­
gen Bom­ber eingebaut werden muss. Immerhin ist es in Bezug auf
sein Einsatzgebiet nur auf die Eindringtiefe des Flugzeugs limitiert,
denn es benötigt keine Führungsstation in England. Überall, wo der
Bomber fliegt, kann er es nutzen!
Zusätzlich werden die Bomber nun mit elektronischen Abwehr­
hilfen ausgestattet. Der Krieg der Funkmess-Spezialisten geht in die
nächste Runde.
„Monica“ ist eine Radarantenne, die in das Heck der Bomber
einge­baut wird. Sie soll sich annähernde Jäger von hinten anzeigen
und die Bordschützen alarmieren. Das Gerät kann aber nicht zwi­
schen Freund und Feind unterscheiden, sodass Fehlalarme, ausgelöst
durch andere Bomber im Bomberstrom, vorprogrammiert sind.
„Boozer“ ist ein einfacher Radar-Emp­f änger auf der Frequenz der
deutschen „Würzburg“- und „Lichtenstein B/C“-Ortungs-Geräte.
Wird das Signal des Ersteren empfangen, leuchtet eine orangefarbene
Lampe, ein Signal des deutschen Lich­tenstein-Bordradars aktiviert
eine rote. Beides bedeutet, dass der Bomber vom Gegner erfasst ist,
Letzteres, dass ein Nachtjäger in der Nähe sein muss.
„Mandrel“ sendet Störgeräusche auf den Fre­quenzen der deut­
schen Überwachungsanlagen „Freya“, Mammut“ und „Wassermann“,
während „Tin­sel“-Radiogeräte den Funkverkehr zwi­schen den deut­
schen Nachtjägern und ihrem Leitoffizier stören. Mandrel und Tinsel
erweisen sich zwar als effektiv und nützlich, bewirken jedoch nicht
mehr als eine Verzögerung der deutschen Zielfin­dung. In Grenzsi­
tuationen kann diese für eine Bomber­be­satzung jedoch lebensret­
tend sein, denn wenn der Bomber aus dem Erfassungsbereich des
ihn beschattenden und damit für die Heranführung des Nachtjägers
unverzichtbaren Würzburg-Riesen herausfliegt, muss der Nachtjäger
die Verfolgung abbrechen – es sei denn, die Jägerbesatzung hat die
britische Maschine bereits auf ihrem Bordradarschirm erkannt.
So ausgerüstet nimmt sich die britische Bomberstreitmacht nun
das Ruhrgebiet vor. Stadt für Stadt wird angeflo­gen, oft mehrfach. Am
29./30 Mai 1943 ist Wuppertal an der Reihe. 719 britische Maschinen
stei­gen auf, 292 Lancaster, 185 Halifax, 118 Stirling, 113 Wellington
und 11 Mosquito-Pfadfinder. 50 deutsche Nacht­jäger halten dagegen.
Auch Leutnant Heinz–Wolfgang Schnaufer ist dabei. Er startet um
23.51 Uhr. Um 00.48 Uhr schlägt sein erstes Opfer südlich von Bae­
len brennend auf. Es ist sein 10. Abschuss, eine viermotorige Short
Stirling III der 218 Squadron (Werknummer BF565, Codebuchsta­
H). Um 01.43 Uhr vernichtet er eine viermotorige Ha­
ben HA
C).
lifax II der 35 Squadron (Werknummer DT804, Code TL
Sie schlägt bei Budingen auf, gefolgt von einer weiteren Stirling III
A). Diese
der 218 Squadron (Werknummer BK688, Code HA
wird geflogen von Flight Sergeant WAM Davis, er kommt mit seinem
Flugzeug bis in die Gegend von Diest-Schaf­fen. Hier ist es vorbei.
Der abstür­zende Bom­ber nimmt sechs Besatzungsmitglie­der in den
Tod. Es ist inzwischen 02.22 Uhr. Zu diesem Zeit­punkt kämpfen
150 Berufsfeuerwehrleute und etwa 1.000 freiwillige Helfer um jeden
Keller der Stadt Wup­pertal, wohl wis­send, dass die Flammen nur zu
schnell den dort vor­handenen Sauerstoff verbrau­chen und die Men­
schen still, schmerzlos, doch todsicher an Kohlenmono­x ydvergiftung
ersticken, wenn sie nicht rechtzei­tig befreit werden. Wuppertal ist ein
Flammen­meer. 280 Hektar Stadtfläche sind komplett verwü­stet und
bren­nen lichterloh, mehr als London wäh­rend des gesamten Krieges
an zerstörter Flä­che zu ertragen hat. Seit um 00.46 Uhr die ersten
Zielmarkie­rungen der von Oboe-Leitstationen geführten Mosquitos
über der Stadt aufglühten, haben die Spreng- und Brand­bomben gan­
ze Arbeit geleistet. Es sollte acht Stunden dauern, bis die Flammen
unter Kon­trolle zu brin­gen sind. Für 3.350 Menschen kommt jede
Hilfe zu spät. Ein beträchtliche Steigerung seit den 474 Opfern, die
Köln vor ge­nau einem Jahr zu beklagen hatte.
Leseexemplar
470
11. Sodom und Gomorrha –
die Allmacht am Stabsschreibtisch
Hamburg von oben – die Silhouette eines britischen Bombers über dem
Inferno, einer entfesselten Orgie des Massen-Tötens.
Das Bomber Command verliert 33 Bomber, zwei weitere zerschel­
len bei der Landung. 62 kehren außerdem mit schweren Schäden zu­
rück (davon 60 durch Flak-Feuer, zwei durch Jäger-Geschosse). Von
den zerstörten Maschinen gehen 22 auf das Konto der Nachtjäger,
davon ist die Hälfte den drei Do 217 J-2 und 13 Me 110 E-2/F-4/G-4
der II./NJG 1 zuzuschreiben, der Schnaufer zugehört.
Inzwischen arbeiten britische Wissenschaftler, Chemiker, Feuer­
wehrleute und Statiker gezielt daran, die apokalyptischen Vorstellun­
gen des Oberkom­mandierenden der englischen Bomberflotte best­
möglich zu realisieren. Es wird intensiv daran ge­forscht, die Wirkung
der Bomben so zu optimieren, dass eine Stadt in die größtmögliche
Hölle auf Erden verwandelt werden kann. Akribisch werden die Ef­
fekte von jeweils verwendeten Mengenver­hältnissen an Spreng- und
Brandbomben analysiert und verbessert.
Am 24./25. Juli 1943 sollte die Saat zum ersten Mal grausame
Ernte einbringen. Der Name des Unter­nehmens zeigt seine Intenti­
on: Operation „Gomorrha“. Es ist Sommer, es ist heiß. Und Hamburg ist für die 791 eingesetzten britischen Bomber ein leicht zu fin­
dendes Ziel (347 Lancaster, 246 Halifax, 125 Stirling, 73 Wellington).
74 Bomber sind mit dem H2S-Gelände­struktur-Navigationsradar
ausgerüstet. Für das Oboe-System ist die Distanz von etwa 650 Ki­
lometer von Südengland zu weit. 728 Bomber erreichen die Stadt,
öffnen ihre Schächte und entledigen sich ihrer tödlichen Fracht. Die
Orgie aus Spreng­stoff und Brandbom­ben trifft Hamburg mit voller
Wucht. Nur zwölf Bomber werden abgeschossen.
Am nächsten Tag (25. Juli 1943) erscheinen die Amerikaner mit
ihren schweren Boeing B-17-Bombern, um bewusst die Rettungsund Löscharbeiten zu behindern. 123 US-Bomber starten, 100 B-17
erreichen mit 195,9 Tonnen Bomben an Bord Hamburg. 15 von
ihnen werden abgeschossen.
In der Nacht vom 25. zum 26. Juli 1943 nehmen sich die Briten mit
705 Bombern die Stadt Essen vor, von denen 599 das Ziel erreichen.
Fast 2.000 Tonnen Bomben töten über 500 ihrer Bürger, mehr als
doppelt so viele werden teilweise schwer verletzt. 26 britische Bomber
fehlen auf dem Rückflug.
Am Tage dieses Montages, dem 26. Juli 1943, erscheinen die Ame­
rikaner wieder über Hamburg. Mit 54 „Fliegenden Festungen“ und
126,25 Tonnen Bomben. Die ihre Wirkung tun! Zwei B-17 gehen
verloren. Weitere 23 B-17-Bomber werden bei anderen Einflügen
zerstört, vornehmlich gegen Hannover.
Hamburg brennt immer noch, als die britische Streitmacht in vol­
lem Um­fang in der Nacht vom 27. zum 28. Juli 1943 wieder­kommt.
739 der 787 gestarteten Bomber (353 Lancaster, 244 Halifax, 116
Stirling, 74 Wellington) erreichen das Zielgebiet. Mit 1.464 Ton­
nen Sprengbomben und 975 Tonnen Brandbomben – etwa 100.000
Stück – in den Bombenschächten! Damit hat niemand gerechnet,
und viele Men­schen, die die laue Sommernacht des ersten Angriffes
am Wochenende vom Samstag, den 24. auf Sonntag, den 25. Juli bei
Freunden oder in Sommerlauben verbracht hatten, sind nun in der
Stadt, um zu retten, was noch zu retten ist. Der zweite Angriff trifft
sie völlig unvorbereitet. Die Wirkung dieser spezifischen Mixtur aus
Explosivstoffen und brennendem Phosphor ist kalkuliert, und die
Rechnung geht auf. Die Exp­losionen der Sprengbomben decken die
Dächer ab, reißen Schneisen ins Mauer­werk, legen Brennba­res frei.
Viele Breschen sind durch den ersten Angriff be­reits geschlagen. Un­
glücklicherweise werden in Hamburg häufig die Kohlevorräte auf
den Dachbö­den gelagert. Die folgenden Brandbomben er­zeugen eine
Feuerwalze, die die Luft erhitzt. Sie steigt auf. Von der Seite strömt
kältere Luft nach, die sich wieder erhitzt. Das Ergebnis ist ein Feu­
ersturm, aus dem es kein Entrinnen gibt. Windgeschwin­digkeiten
bis zu 240 km/h – doppelt so schnell wie ein Hur­rikan – führen zu
horizontalen Stichflam­men, welche brennende Trümmer und Bal­ken
mit sich reißend durch die Straßenzüge rasen. Der Asphalt glüht,
es entstehen Temperaturen von über 1.000 °C. Laufende Menschen
entzünden sich zu Fackeln, bleiben im Teer stecken, die Flammen
rauben sämtlichen Sauerstoff. Das menschenverachtende Inferno hat
einen Namen: „Gomorrha“. Es trägt noch einen zweiten ...
Und das Bomber Command hat immer noch nicht genug. Auch
die 17 abgeschossenen Maschinen in jenem entsetzlichen Einsatz mit
dem erstmals herbeigeführten Feuersturm halten es nicht zurück. In
der Nacht vom 29. zum 30. Juli 1943 kommen 777 Bomber wieder
(340 Lancaster, 244 Halifax, 119 Stirling, 70 Wellington, 4 Mosqui­
tos). 28 werden abgeschossen. Der Rest lädt 2.277 Tonnen Bomben
über einem Trümmerfeld ab. 16 Quadratkilometer Stadtgebiet stehen
in hellen Flammen.
In der Nacht vom 2. zum 3. August 1943 erscheinen Harris` Bom­
ber zum vierten Mal über der Stadt, nun noch 425 von 740 gestarteten
(329 Lancaster, 235 Halifax, 105 Stirlings, 66 Wellingtons, fünf Mos­
quitos). Ein heftiger Gewittersturm erschwert den Einsatz und führt
dazu, dass nur ein stark reduzierter Teil der eingesetzten Flugzeuge
ihr „Ziel“ erreicht. Das Ziel ist Hamburg. Sie werfen erneut 936 Ton­
nen Bomben ab, 30 Bomber kehren nicht zurück. Alleine in einem
Luftschutzbunker (dem Karstadt-Gebäude) sterben noch einmal 370
Menschen – überwiegend Alte, Frauen und Kinder.
Leseexemplar
471
11. Sodom und Gomorrha –
die Allmacht am Stabsschreibtisch
Also sind Tiefangriffe expressis verbis erlaubt und angeordnet – allerdings ausdrücklich nur auf dem Rückflug und ausschließlich dann,
wenn deutsche Jäger nicht in der Nähe sind. Das sind sie aber während
des Bombenangriffes auf Dresden! Es ist zwar ein Himmelfahrtskommando, mit 146 Jagdflugzeugen gegen die den Luftraum in Mitteldeutschland völlig kontrollierenden 758 P-51 „Mustangs“ und 44 P-47
„Thunderbolts“ anzugehen, doch die deutschen Jagdflieger starten.
Es sind zusammen 78 Messerschmitt Bf 109 G-10/G-14/K-4 und
Focke-Wulf 190 A-8 der I./II./III. und IV./JG 300 sowie 68 FockeWulf 190 A-8/A-9 und D-9 der I. und II./JG 301, die sich den 802
US-Jägern der Jagdeskorte und zudem 1.220 schweren, viermotorigen Bombern entgegenwerfen.
Bei den entstehenden harten Luftkämpfen sterben sieben Piloten
des JG 300, ein weiterer wird verwundet. Neun Jagdflugzeuge des
ehemaligen „Wilde Sau-Geschwaders“ gehen verloren, weitere vier
werden beschädigt, sind aber noch reparabel. Drei Flugzeugführer
des JG 301 fallen ebenfalls, ein Jagdflieger dieses Verbandes wird
verwundet. Drei der vier Flugzeuge der Einheit gehen mitsamt ihren
Piloten verloren.
Auf der kümmerlichen „Haben“-Seite werden von den deutschen
Fliegern zwei Mustang-Abschüsse (einer davon sogar nur als wahrscheinlich) eingereicht, beide erfolgreiche Jagdflieger sind Flugzeugführer des JG 300 (8. und 14. Staffel). Tatsächlich melden die
Amerikaner sieben verlorene und zwei irreparabel beschädigte Jagdflugzeuge bei acht gefallenen oder vermissten Piloten. Die wenigsten
dürften aber den hoffnungslos unterlegenen deutschen Jagdfliegern
zuzuschreiben sein. Deren dürftige zwei Abschüsse veranschaulichen
ihre Chancenlosigkeit. Auch sieben Bomber kehren nicht zurück,
acht weitere sind völlig zerschossen. Das summiert sich auf sechs
gefallene, 19 verwundete und 72 vermisste Crewmitglieder.
Merkwürdigerweise ist von amerikanischer Seite dokumentiert, *19
dass gegen 12.33 Uhr zwei B-17 der etwas zurückhängenden 306th BG
von drei Focke-Wulf 190 schwer beschädigt werden, wovon eine B-17
später notlanden muss. Diese Erfolge tauchen in den deutschen Meldungen nicht auf. Ein zweiter Anflug auf die Bomber ist den deutschen
Jägern nicht mehr möglich, da nun deren Jagdschutz eingreift und eine
Focke-Wulf abschießt. Die beiden anderen deutschen Piloten können
entkommen. Dieser Luftkampf findet westlich von Dresden statt, die
P-51 sind Maschinen der 356th Fighter Group.
Soweit zu den Zahlen! Doch die Fragestellung bleibt, ob in Anbetracht der Luftkämpfe auch noch Tieffliegerattacken der Mustangs
gegen die verzweifelten Überlebenden in und um Dresden plausibel
sind (die Thunderbolts haben Magdeburg zum Ziel, kommen also
nicht in Betracht). Die Luftkämpfe finden im Wesentlichen während
der Bombenangriffe statt. Zu diesem Zeitpunkt verbieten sich Tiefangriffe alleine durch die wichtigere Aufgabe des Schutzes der Bomber
vor den angreifenden deutschen Jägern – eine Notwendigkeit, die
jedem US-Jägerpiloten in der Gegend durch den Funkverkehr präsent
ist – , und dadurch, dass man zumindest im Zielgebiet (Dresden) bei
Tiefflügen selber in den Bombenhagel geraten könnte. Danach aber
müsste in Anbetracht der Tatsache, dass die in England startenden
Mustangs über Dresden an der Grenze ihrer Reichweite operieren,
der schnelle Rückflug im Interesse der amerikanischen Jagdflieger
liegen. Denn die nominelle Eindringtiefe (im eher akademischen
Idealfall ohne jede Kurve 1.360 Kilometer) ist durch die bei Begleitschutzmissionen nötigen andauernden Schleifen um die langsamen
Bomber herum und speziell bei spritfressenden Luftkämpfen nicht
als Maßstab anzusehen. Immerhin sind es nach England zurück noch
stolze 975 Kilometer direkte Luftlinie.
Nach Belgien, der „Heimat“ der 352nd FG, ist es allerdings näher.
Doch die 352nd FG meldet in ihrem Einsatzbericht über Dresden
absolut keine besonderen Vorkommnisse. Da bei jeder Auslösung
der Schusswaffen die eingebaute Bordkamera in der Tragfläche automatisch mitläuft, müssten Tiefangriffe aber erwähnt sein. Und in
der Tat – sie sind es auch. Allerdings erst um 13.30 Uhr, somit eine
Stunde nach den Bombenwürfen. Normalerweise also weit weg von
Dresden im Westen. Doch wo sind die P-51 der 352nd FG zu diesem Zeitpunkt tatsächlich? Da sie die taktische Nachhut bilden und
nach versprengten Nachzüglern Ausschau zu halten haben, dürften
sie sich etwas länger als die anderen Fighter Groups in der Gegend
aufgehalten haben. Sicher aber nicht bis 13.30 Uhr – wenn diese Zeit
stimmt! Da feststeht, dass sie sich um 14.15 Uhr bei Limburg an der
Lahn befinden *20 , also 400 Kilometer westlich von Dresden, weil sie
dort erst die Bomber verlassen, lässt sich die Abflugzeit von Dresden
rekonstruieren. Maßstab für die Geschwindigkeit über Grund ist der
Bomberstrom, dessen Reisegeschwindigkeit bestenfalls bei 300 km/h
anzusetzen ist. Das sind also für 400 Kilometer 80 Minuten. Spätestens um 12.55 Uhr sollten somit die letzten P-51 der 352nd FG den
Raum Dresden verlassen haben. Selbst dieser späte Zeitpunkt wäre
nur für nicht vom deutschen Radar erfasste Tiefflieger denkbar (siehe
unten).
Es dokumentieren auch die anderen Fighter Groups, dass sie auf
dem Rückflug Bodenziele angegriffen hätten. Dies plangemäß zu einem Zeitpunkt, als die zu schützenden Bomber bereits in dem durch
die 9th USAAF und 2nd Tactical Air Force der RAF gut gedeckten,
durch alliiertes Radar überwachten Nahbereich um die deutsche
Westfront aus der Gefahrenzone herausgeflogen waren, beispielsweise bei Frankfurt am Main (356th FG). Aber auch schon ab Coburg
(364th FG), was immerhin näher an Dresden liegt als an der westlichen Erdkampflinie. Da dies dennoch 200 Kilometer Distanz sind,
spielt diese Tatsache für die erörterte Frage zwar keine Rolle. Es zeigt
aber die Aggressivität der Amerikaner.
Ausgedehnte Tiefangriffe, ja ganze Menschenjagden sind also auszuschließen, zumal die Entwarnung im Raume Dresden um 12.48
Uhr gegeben wird, die letzte Bombe aber erst um 12.31 Uhr fiel.
Tiefangriffe könnten also – wie Dr. Helmut Schnatz akribisch und
plausibel darlegt – nur in der kurzen Zeit dazwischen stattgefunden
haben, wobei auch dann ein zeitlicher Abstand zur Entwarnung einkalkuliert werden müsste. Die deutschen Radargeräte sind, wie sich
nachweisen lässt, dank fehlender „Windows“-Störung (ein geplanter Einsatz britischer Mosquitos kam nicht zustande) bestens „im
Bilde“. Tiefflieger in Bodenähe erfassen diese aber nicht, das muss
eingeräumt werden. Nur – es bleibt völlig unplausibel, warum USPiloten, von ihnen am ehesten einzelne der 352nd FG, ausgerechnet
in das rauchgeschwängerte, möglicherweise doch mit Schnellfeuer-
Leseexemplar
492
*19
Quelle:  „Tiefflieger über Dresden?“/Böhlau Verlag 2000/Helmut Schnatz, Seite 107.
11. Sodom und Gomorrha –
die Allmacht am Stabsschreibtisch
Flak bestückte Dresdner Elbtal eingetaucht sein sollten, um völlig
pflichtwidrig ihre Begleitschutzaufgabe zu missachten.
Was aber irritiert, das sind die Meldungen der 20th Fighter Group.
Diese Fighter Group befindet sich während des Luftangriffes gar nicht
über Dresden, denn sie eskortiert die 91st BG, 381st BG und 398th BG
irrtümlich nach Prag, wohin sich der Verband verfliegt. Prag wird
bombardiert – versehentlich. Der Rückweg führt über Brüx (Most).
Das ist nur 50 Kilometer von Dresden entfernt, also etwa sechs Flugminuten für ein Jagdflugzeug ohne das Handicap eines langsamen
Bombers „im Schlepptau“. Und im US-Einsatzbericht der 20th Fighter
Group heißt es: *21 „Shortly after leaving the target ‚A’ Group hit the
deck to strafe enemy transportation but found few targets“ „Kurz nach
Verlassen des Zieles ging die ‚A’-Group auf Bodennähe herunter für Tief­
angriffe auf feindliche Fahrzeuge, fand aber nur wenige Ziele.“ „Wenige
Ziele“ – das ist leider im Sinne militärischer Ziele, also beispielsweise
Fahrzeuge, zu interpretieren. Angriffe auf Fahrradfahrer oder einfach
Menschenansammlungen fallen nicht darunter. Dass es diese in der
Endphase des Zweiten Weltkrieges sowohl von britischen, kanadischen
als auch amerikanischen Piloten grundsätzlich gegeben hat – unabhängig davon, ob dies auch in Dresden plausibel ist – das steht außer
Frage. Und trotz auch in diesen Fällen mitlaufender „gun camera“
sind diese nicht als Erfolgsmeldungen dokumentiert. Die Tatsache,
dass Tiefangriffe stattfanden, allerdings üblicherweise schon. Selbst
um 14.00 Uhr werden noch Teile der 20th FG bei Coburg festgestellt,
bei einer Reisegeschwindigkeit von 300 km/h sind das 40 Flugminuten
von Brüx aus, ohne Eskortaufgabe bei Ø 400 km/h 30 Minuten.
„Kurz nach Verlassen des Zieles“ – das wäre also im Großraum Dresden, denn um Prag oder Brüx herum sind keine Tieffliegeraktivitäten
bekannt. Dresden selber ist als „Wirkungsstätte“ allerdings extrem unwahrscheinlich, denn es liegt klar seitlich (nördlich) zum Kurs Brüx
 Coburg. Die in der Umgebung von Dresden behaupteten Angriffe
hier und da auf Krankenwagen beispielsweise könnten aber nun doch
denkbar sein und den Tatsachen entsprechen.
Was bleibt nun von den angeblichen Massakern amerikanischer
Mustang-Piloten am Elbufer? Dr. Helmut Schnatz hat eine bestechend einfache Erklärung. *22 Er räumt ein, dass es Zeugenberichte
gibt, die absolut glaubhaft Tiefflüge kleinerer Gruppen von (Jagd-)
Flugzeugen im Elbtal durch Dresden unmittelbar nach den Bombenwürfen schildern. Manche erinnern sich an Bordwaffenfeuer,
andere nicht. Nun fand – wie erwähnt – westlich von Dresden ein
Abfangversuch deutscher Jäger statt, der mit der schweren Beschädigung zweier US-Bomber endete. Danach waren die Mustangs zur
Stelle und verfolgten die Angreifer, schossen dabei eine Focke-Wulf
ab. Die anderen könnten sehr wohl ihr Heil in der Flucht nach Osten gesucht haben, im Wissen, dass die Verfolger in diese Richtung
immer näher an ihre Reichweitengrenzen stoßen. Dass diese Flucht
geradezu absichtlich im Tiefflug in die schützenden Rauchwolken
der Brände über Dresden geführt haben kann, erscheint plausibel.
Ebenso das vielleicht nur auf Schatten gezielte Bordwaffenfeuer der
nachsetzenden Amerikaner, deren Geschosse dann auch den Boden
treffen. Im Eifer und Frust einer vergeblichen Hetzjagd vereinzelt
womöglich sogar beabsichtigt.
Zusammen mit möglichen gezielten Angriffen der 20th FG auf
Rettungsfahrzeuge zwischen Brüx und Dresden ergibt sich genügend
Nahrung für eine Legendenbildung. Die Ausmaße von Menschenjagden erscheinen dennoch absurd. Dabei ist allerdings die erwähnte
Aggressivität der amerikanischen Piloten ins Kalkül zu ziehen. Noch
einmal soll Dr. Helmut Schnatz zitiert werden. Er weist darauf hin,
dass die amerikanischen Piloten „nicht in den chevaleresken Traditionen groß geworden sind, wie sie die europäischen Luftwaffen teilweise
noch bis in den Zweiten Weltkrieg hinein geprägt haben, sondern in
denen der Indianerkriege des 19. Jahrhunderts.“ Und damals galt nun
einmal: „Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer.“ *23 Dies mag
die weniger ausgeprägten Hemmungen der US-Piloten erklären, ihre
deutschen Widersacher am Fallschirm „in die ewigen Jagdgründe
zu schicken“. Mehr aber auch nicht, hier ist sich der Autor mit Dr.
Schnatz einig. Schnatz warnt eindringlich davor, diese Sicht der Amerikaner zu verallgemeinern, und verweist auf die schlichte Professionalität der US-Piloten. Heißsporne gab und gibt es in jeder Armee,
und Tiefangriffe auf Zivilisten – ob in Dresden oder nicht – wurden
auch von den Piloten der Royal Air Force geflogen. Aber auch die
deutsche Luftwaffe hat sich nicht immer „mit Ruhm bekleckert“.
Die Katastrophe von Dresden allerdings kratzt nun doch empfindlich am Ruhm der Royal Air Force – und jenem Winston Churchills,
als das Ausmaß der Tragödie im noch neutralen Ausland bekannt
wird. Dresden ist so gründlich und in so wenigen Stunden vernichtet
worden wie noch keine Stadt zuvor.
Und weil selbst das noch nicht genügt, haben die Amerikaner am
15. Februar 1945 für 461,9 Tonnen Bomben an Bord von 210 Boeing
B-17 Bombern keine bessere Verwendung als die Trümmer von Dres­
den! Und sie hören nicht auf! Am 17. April 1945 kommen sie wieder.
590 US-Bomber und 1.732,8 Tonnen! Die Sowjetsoldaten nähern sich
bereits einer Stadt, die zum Fanal geworden war!
Um der Seuchengefahr Herr zu werden, bleibt der Verwaltung der
zerbombten Elbmetropole ab dem 2. März 1945 keine andere Wahl,
als die Innenstadt abzusperren und dort Gitterroste aufzubauen. Das
nun gnädige Feuer bannt die Ansteckungsgefahr, die von den verwesenden Körpern ausgeht ...
Die Zahl der Opfer wird wohl nie ganz geklärt werden. Die
Schwierigkeit besteht im Fall von Dresden darin, dass niemand
genau weiß, wer der zigtausend Flüchtlinge sich zum Zeitpunkt der
„Exekution“ dieser Stadt im Bereich des Feuersturmes aufgehalten
hat. Wenn also eine Flüchtlingsfamilie vermisst wird – wo kam
sie um? Durch den Rachedurst der von der deutschen Gewalt im
eigenen Land gründlich selber heimgesuchten Russen oder durch
die strategischen Planungen der Royal Air Force und USAAF? Nach
dem Angriff äußert sich Arthur Harris so: „Dresden? Einen solchen
Ort gibt es nicht!“
Wie kann man neben jenen Menschen, die erschlagen wurden,
verbrannten, erstickten, zerfetzt wurden oder sich in das kochende Wasser der Löschbecken am Altmarkt „retteten“, jene Opfer
zählen, die einer Temperatur von 1.000 °C ausgesetzt waren? Wie
viel bleibt von jenen Unglücklichen übrig? Nun, so erstaunlich es
ist – größtenteils kann man das. Zumindest in Deutschland. Die
Leseexemplar
Quelle:  „Tiefflieger über Dresden?“/Böhlau Verlag 2000/Helmut Schnatz, Seite 121.
Quelle:  „Tiefflieger über Dresden?“/Böhlau Verlag 2000/Helmut Schnatz, Seite 98.
Quelle:  „Tiefflieger über Dresden?“/Böhlau Verlag 2000/Helmut Schnatz, Seite 138f.
*23
Quelle:  „Tiefflieger über Dresden?“/Böhlau Verlag 2000/Helmut Schnatz, Seite 75.
*20
*21
*22
493
11. Sodom und Gomorrha –
die Allmacht am Stabsschreibtisch
Die Scheiterhaufen auf dem Dresdner Altmarkt.
Verwaltung Dresdens gibt sich alle erdenkliche Mühe, selbst Leichen zu erfassen, die auf die Größe eines Kopfkissens zu Asche
geschrumpft sind. Um ganz sicher zu gehen, zählt man die „Fundstücke“ dreifach.
Am 16. März 1945 wird vom „höheren SS- und Polizeiführer Elbe
in den Gauen Halle-Merseburg, Sachsen und im Wehrkreis IV“ vorläufig Bilanz gezogen. Das Dokument trägt das Diktatzeichen des
Polizeibeamten Max Jurk und ist von Polizeioberst Wolfgang Thierig
unterzeichnet. Hier heißt es:
„Bis 10.3.1945 früh festgestellt: 18.375 Gefallene, 2.212 Schwerverwundete, 13.718 Leichtverwundete, 350.000 Obdachlose und langfristig Umquartierte ...“
Das Dresdner Bestattungsamt registriert bis zum 12. Juli 1945
21.271 Bombenopfer. Dies erhöht sich offiziell durch nachträgliche
Funde in den vielen verschütteten Kellern bis zum 9. Dezember 1950
auf etwa 34.000 Menschen. Rechnet man eine Dunkelziffer dazu,
so ergeben sich rund 35.000 Opfer, die aber auch diverse an ihren
im Kampf erlittenen Wunden verstorbene deutsche Soldaten beinhalten.
Gegen diese Zahlen wird wiederum eingewandt, dass es sich hierbei nur um die wenigen identifizierten Opfer gehandelt habe. Die
vielen Flüchtlinge, die keinerlei Angehörigen hatten, welche vor Ort
nach ihnen fragen konnten, komplett ausgelöschte Familien, unidentifizierbare Aschenklumpen – wer will sie zählen und wie?
Das mag in Einzelfällen wirklich zutreffen. Wenn diese Differenzen aber in die Größenordnung von vielen Zehntausenden gemutmaßt werden, so müssten dem entsprechend hohe Zahlen an ungeklärten Flüchtlingsschicksalen gegenüberstehen. Eine Expertenkom-
Leseexemplar
Blick auf das, was blieb ...
Dresden, ein Fanal.
494
11. Sodom und Gomorrha –
die Allmacht am Stabsschreibtisch
Wesel – pulverisiert am 16., 18., 19., und zweimal am 23. Februar 1945.
mission unter Leitung von Dr. Horst Boog hat sich im Jahr 2008 mit
dieser Frage befasst und die bekannten seriösen Zahlen bestätigt, die
in Anbetracht so vieler Flüchtlinge überraschend „niedrig“ liegen.
Aus der Sicht des Autors handelt es sich hierbei ohnehin um
eine reichlich akademische Frage. Wer sich auch nur halbwegs mit
menschlicher Anteilnahme den Horror vorzustellen versucht, den die
Operation „Donnerschlag“ in Dresden ausgelöst hat, für den dürften
Zahlen kaum noch eine Rolle spielen.
„Ich glaube nicht, dass der gesamte Rest der deutschen Städte die
heilen Knochen auch nur eines britischen Soldaten aufwiegt!“, soll
Harris ungerührt nach dem Angriff auf Dresden gesagt haben, der
ihm aber nicht wichtig gewesen war. Churchill und die alliierten
Stabschefs hatten ihn durchgesetzt.
Am 16. Februar 1945 findet eine denkwürdige Pressekonferenz
statt. Dessen Ergebnis wird vom Korrespondenten der amerikanischen „Associated Press“ für alle Morgenzeitungen in die USA gekabelt. Er löst ein Umdenken der öffentlichen Meinung aus:
„Alliierte Luftflottenchefs haben die seit langem erwartete Entscheidung getroffen, bewusst Terrorangriffe auf deutsche Wohnviertel
durchzuführen, um mit diesem unbarmherzigen Vorgehen den Untergang Hitlers zu beschleunigen. [...] Ausdrückliches Ziel ist es, weitere
Verwirrung im Straßen- und Schienenverkehr der Nazis zu stiften und
den deutschen Kampfgeist zu brechen!“
Als Beispiele nennt der Journalist die Städte Berlin, Chemnitz, Cottbus – und Dresden. „Der totale Luftkrieg gegen Deutschland wurde
offensichtlich bei dem beispiellosen Tagesangriff auf die mit Flüchtlingen überfüllte Hauptstadt vor zwei Wochen und weiteren Angriffen auf
andere Städte - vollgestopft mit vor dem russischen Vormarsch aus dem
Leseexemplar
Pforzheim – zerstört nach Dresden!
Osten fliehenden Zivilisten.“ Gemeint ist der schwere Angriff auf Berlin
am 3. Februar 1945. Er brachte 22.000 bis 25.000 Menschen in den
Ruinen der Reichshauptstadt den Tod. Die Reaktion der britischen
Regierung am 17. Februar 1945 ist ein striktes Presseverbot.
Auch das erfolgreichste Nachtjäger-Ass aller Zeiten, Heinz-Wolfgang Schnaufer, nun im Range des Majors, kann diese Katastrophen
nicht verhindern. Immer noch fliegt er eine Messer­schmitt des altbewährten Typs Me 110 G-4, wenn auch bereits eine neue Maschine. Inzwischen machen britische Eli­te-Nachtjäger­piloten gezielt Jagd
495
11. Sodom und Gomorrha –
die Allmacht am Stabsschreibtisch
auf ihn und seine Besatzung, während ihm das britische Bomber
Command zy­nisch und bewundernd zugleich am 16. Februar 1945
über den Soldatensender Calais zum 23. Ge­burtstag gratuliert. Die
Mos­quitos erwischen ihn nicht. Er dagegen erwischt immer noch so
manch eine Halifax oder Lancaster. Am 21. Februar 1945 stellt er
mit neun abgeschossenen Bombern an einem Datum seine persönliche Tages-Bestmarke auf. Zwei Bomber fallen ihm in den frühen
Morgen­stunden zum Opfer, sieben in der Folgenacht desselben Tages
innerhalb von 19 Minuten.
Arthur Travers Harris (am Stabsschreibtisch sitzend).
Ob er wohl an die 121 Bomber denkt, die er in nur 164 Einsätzen
abgeschossen hatte, als er sich am 8. Mai 1945 mit seinem Geschwader den Briten ergibt? Ob er sich noch an seinen 87. Abschuss am
29. Juli 1944 erinnert, den er über Pforzheim in Süddeutschland
T, eine
erzielt hatte, jene Lancaster mit den Kenn­z eichen PO
von drei Viermotorigen in dieser Nacht? Ob er daran denkt, wie
anders Pforz­heim damals noch aussah als jetzt, nachdem 367 britische Bomber am 23. Februar 1945 inner­halb von 22 Minuten
1.825 Tonnen Bomben auf die Kleinstadt niederregnen ließen, dabei eine Fläche von 83 % der Stadt dem Erdboden gleichmachten
und 17.600 Menschen töte­ten, ein Fünftel der Be­völkerung? Goldschmiede und Uhrmacher, was die „kriegsindustrielle“ Tradition
der Stadt angeht!
Ob irgendjemand an die 55.573 Besatzungsmitglieder denkt, die
in den brennenden Särgen der briti­schen Bomber im Laufe des Krieges gefallen waren, 70 % der ge­samten Verluste der Royal Air Force
(79.281 Mann) in diesem Krieg? Weitere 4.200 waren verwundet
worden. Oder daran, dass die Überlebenschance einer britischen
Bomberbesatzung kaum höher war als eins zu zwei? Ob man an die
8.655 Flugzeuge (davon 3.836 Lancaster-Bomber alleine) denkt, die
das Bom­ber Command der Royal Air Force bei dem vergeblichen und
kostspieligen Versuch verlor, den deut­schen Widerstands­w illen mit
Bombenterror zu brechen?
Arthur Harris wohl kaum. Die Deutschen haben kapituliert – bedingungslos. Sie sind am Ende, endlich. Doch Harris ist seit dem
Angriff auf Dresden bei Winston Churchill in Ungnade gefallen –
dem briti­schen Premiermi­nister, wel­cher doch diese Demonstration
der Macht der Royal Air Force wenige Ki­lometer vor den Spitzen der
Roten Armee maßgeb­lich selber unterstützt, ja herbeigeführt hatte –
und nun doch betroffen ist über das unvorstellbare Ausmaß an Leid,
welches jener Angriff ausgelöst hat. Oder vielleicht nur so tut, weil
ihm dieses Grauen politisch allmählich eher schadet als nützt? Jedenfalls protestieren die Stabsoffiziere des Bomber Command wütend
und sehr überzeugend mit Beweisen, als Churchill in einem Memorandum versucht, dem Bomber Command die Verantwortung für die
Entscheidung zuzuschieben, Dresden zu vernichten. Dabei war dieser
Angriff nur einer von vielen gewesen, noch nicht einmal der letzte.
Die mit Verwun­deten voll belegte Lazarettstadt Würzburg war nur
Wochen vor Kriegsende in einer schrecklichen Nacht am 16. März
1945 zerstört worden, obwohl die amerikanischen Truppen bereits
in der Nähe standen. Die barocken Fassaden brannten wie Zunder,
die Stadt mit ihren ebenso unersetzlichen Kulturdenk­mälern wurde
zu 82 % vernichtet. Auch der ‚betroffene’ Churchill hatte es nicht
verhindert. 5.000 Opfer starben vier Wochen nach Dres­den.
Adolf Hitler, der Führer ins Verderben, begeht schließlich Selbstmord, um nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden zu können.
Der gewissenlose Mann, der die englischen Städte einmal „ausradieren“ wollte, nachdem Churchills Royal Air Force ihn unter anderem
mit Luftangriffen auf Berliner Wohnviertel herausgefordert hatte,
trägt durch das Ausmaß der Gegenreaktion eine Mitverantwortung
für den folgenden Radiergummi der Engländer und Amerikaner.
Man muss ihm – so schwer es diesem Mann gegenüber fallen mag –
jedoch zugestehen, dass er auf diplomatischem Wege mehrfach eine
Übereinkunft mit England zu erreichen versucht hat, dass Angriffe
Leseexemplar
Heinz-Wolfgang Schnaufer.
496
11. Sodom und Gomorrha –
die Allmacht am Stabsschreibtisch
auf zivile Ziele unterbleiben mögen. Ohne Erfolg!*24 Hitler genehmigt
Angriffe auf britische Städte zunächst nur als konkrete Gegenreaktion – Coventry für München, Birmingham für Hamburg! Erst spät
wird undifferenzierte Rache daraus. Dies gipfelt schließlich im Jahr
1944 in Gegenangriffen mit unbemannten fliegenden Bomben des
Typs „V1“ (mit Pulstriebwerk – den Vorläufern von „cruise missiles“)
und Raketenangriffen mit revolutionären „V2“-Raketen, gegen die
keine Abwehrchance besteht. Insgesamt fallen etwa 42.000 britische
Zivilisten während des Zweiten Weltkrieges deutschen Bomben zum
Opfer.
Air Chief Marshal Arthur Travers Harris wird bei Kriegs­
ende nur auffallend oberflächlich geehrt. Ver­bittert zieht er sich
im November 1945 nach Südafrika zurück. Er stirbt im Jahr 1984,
inzwischen doch zum „Sir“ geadelt – und wird posthum rehabilitiert. Durch ein Denkmal, mit Sockel sechs Meter hoch in Bronze.
Vor der St. Clement Danes Kirche in London, und in Anwesenheit
der erlauchten Schirmherrin der Statue – Queen Mom. Das britische Königshaus bekennt sich damit zu „Bomber-Harris“, allen
empörten Protesten vieler fassungsloser deutscher Bürgermeister
zum Trotz!
Reichsmarschall Hermann Göring, mit dessen Hochmut es begonnen hatte, stirbt am 15. Oktober 1946 im Nürnberger Gefängnis
durch Zyankali. Er begeht Selbstmord, um der bevorstehenden unrühmlichen Hinrichtung als Kriegsverbrecher zu entgehen.
Und Winston Churchill, seit 10. Mai 1940 Kriegs-Premier Großbritanniens? Siegreich und geehrt! Er hatte im Jahr 1932 in seinem
Buch „Thoughts and adventures“ folgende Überlegungen in Bezug
auf den vergangenen Ersten Weltkrieg angestellt:
„Alles, was in den vier Jahren des [Ersten] Weltkrieges geschah,
war nur ein Vorspiel zu dem, was sich für das fünfte Jahr vorbereitete.
Die Schlacht des Jahres 1919 hätte ein riesiges Anwachsen der zerstörenden Kräfte gesehen. Hätten die Deutschen die Moral bewahrt,
sich geordnet an den Rhein zurückzuziehen, sie wären im Sommer
des Jahres 1919 mit Kräften und Methoden angegriffen worden, die
unvergleichlich fürchterlicher gewesen wären als alle je eingesetzten.
Tausende von Flugzeugen hätten ihre Städte in Trümmer gelegt. Abertausende Kanonen hätten ihre Front pulverisiert. [...] Die Schlacht
von 1919 wurde nie geschlagen, aber ihre Ideen leben weiter. [...] Der
Tod steht in Bereitschaft. [...] Er wartet nur auf das befehlende Wort.
[...] Das nächste Mal mag man darum wetteifern, Frauen und Kinder
oder die Zivilbevölkerung überhaupt zu töten, und die Siegesgöttin
wird sich zuletzt jämmerlich mit demjenigen dienstbeflissenen Helden
vermählen, der dies in gewaltigstem Ausmaß zu organisieren versteht.“
Im Jahr 1932 gesagt.
Im Jahr 1945 getan.
Mindestens 570.000, vielleicht bis zu 1.000.000 Wehrlose haben
jene „Ideen“ mit dem Leben bezahlt.
*24
Quelle:  „Thoughts and adventures”, Winston Churchill, Seite 247 ff
Tabelle über Verluste und Abschüsse der deutschen Nachtjäger in der Reichsverteidigung
(Nacht vom 28. zum 29.7.1944)
Einheit
Flugzeugtyp
gefallen
vermisst
verwundet
Gesamt
(Pilot/Flugzeug)
I./NJG 1
Bf 110 G-4/
He 219 A-2
-
-
-/-
-
4
II./NJG 1
Bf 110 G-4
-
-
-/-
(4 Unfälle durch technischen
Mangel)
9
III./NJG 1
Bf 110 G-4/
Ju 88 G-1/
die ersten 2
Ju 88 G-6
3
-
3/1
Absturz vor Norderney in die
See nach Luftkampf (Bf 109
G-4) – Verlust 100%
IV./NJG 1
Bf 110 G-4/
He 219 A-2
1
2
3/1
I./NJG 2
Ju 88 C-6/
Ju 88 G-1
-
-
II./NJG 2
Ju 88 C-6
-
-
Bemerkungen
(FSA = Fallschirmabsprung)
4-mot.
Typ?
Lancaster
Halifax
4
2
2
Absturz bei Biblis nach Luftkampf, 100%
4
3
-/-
(1 Unfall durch technischen
Mangel)
1
-/-
-
4
8
Leseexemplar
III./NJG 2
Ju 88 C-6/
Ju 88 G-6
Ju 88 G-1
3
1
4/2
Absturz bei Toul nach Luftkampf, 100%, und weiterer
Absturz mit FSA der Besatzung.
(+ ein Unfall durch Motorstörung auf dem Platz StuttgartEchterdingen und ein weiterer
Unfall durch technischen Defekt)
Stab/NJG 3
Ju 88 G-1
-
-
-/-
-
4
I./NJG 3
Bf 110 G-4/
Ju 88 C-6
3
-
3/1 ?
Absturz mit unbekannter Ursache, 100%
3
II./NJG 3
Ju 88 G-1
-/-
(3 Unfälle durch technischen
Mangel und ein Zusammenstoß
in der Luft mit dem Gegner)
3
2
Mosquito
1
2
1
497
11. Sodom und Gomorrha –
die Allmacht am Stabsschreibtisch
III./NJG 3
Bf 110 G-4/
Ju 88 G-1
-
1
1/1 ?
Bruchlandung nahe Platz Stade
mit unbekannter Ursache (im
Zweifel Luftkampf?)
1
5
IV./NJG 3
Ju 88 C-6/
Ju 88 G-1
-
-
-/-
(1 Absturz bei Hamburg nach Treffer durch eigene Flak, Besatzung
springt ab, ein Fallschirm öffnet
nicht  Funker , ferner 2 Unfälle
durch technischen Mangel)
I./NJG 4
Bf 110/Ju 88/
Do 217
-
-
-/-
-
2
II./NJG 4
Ju 88 G-1
-
-
-/-
(1 Unfall durch technischen
Mangel)
1
III./NJG 4
Bf 110 G-4
-
-
-/-
(1 Unfall durch technischen
Mangel)
Stab/NJG 5
Bf 110 G-4
-
-
-/-
-
1
I./NJG 5
Bf 110 G-4
-
-
-/-
(1 Unfall durch technischen
Mangel)
1
1
II./NJG 5
Bf 110 G-4
2
1
3/1
Absturz bei Calw nach Luftkampf, 100%
1
1
III./NJG 5
Bf 110 G-4
-
-
-/-
-
I./NJG 6
Bf 110 G-4/
Bf 109 G-1
-
-
-/-
(3 Unfälle durch technischen
Mangel)
II./NJG 6
Bf 110 G-4
-
-
-/-
-
I./NJG 7
Ju 88 G-1
-
-
-/-
-
I./NJG 101
Ju 88 G-1
1
1
2/1
Absturz bei Nürtingen-Reudern
nach Luftkampf
1
III./NJG 101
Bf 110/Do 217
-
-
-/-
-
3
II./NJG 102
Bf 110 F-4/G-6
-
-
-/-
(Schulgeschwader, 1 Unfall
durch Höhenkrankheit, 1 weiterer durch Spritmangel, insgesamt
2 Männer  und einer verletzt)
II./NJGr 10
Bf 110 G-4
-
-
-/-
(Landeunfall in Stade, 1 Verletzter, 60 %)
Bilanz:
13
6
8 Flugzeuge (ab 60 %) Verlust
19/8
durch Feind-Beschuss. Unfälle,
(ohne Unfälle) auch Zusammenstöße mit dem
Gegner, werden nicht gewertet
durch RAF
anerkannt:
87 gemeldeten Abschüssen der deutschen Nachtjäger-Besatzungen
stehen 61 tatsächlich vernichtete schwere viermotorige Bomber des
Bomber Command der britischen Royal Air Force gegenüber.
1
1
1
2
5
1
1
59
21
5
2

43
18
Ø
Ein weiterer Angriff richtet sich gegen Hamburg. 307 Flugzeuge der
1, 6 und 8 Bomb-Groups führen ihn aus. Es sind 187 Bomber des Typs
Handley-Page „Halifax“, 106 Maschinen des Typs Avro „Lancaster“
und 14 Mosquitos. 18 Halifax und 4 Lancaster gehen verloren.
119 weitere Flugzeuge bombardieren die Abschussrampen für die
unbemannten „fliegenden Bomben“ des Typs „V1“ im französischen
Forêt de Nieppe ohne Verluste.
13 Mosquitos greifen Frankfurt an, fünf Halifax verminen die
Elbe, diverse Patrouillenflüge und Übungsflüge finden ebenfalls
statt. Keine Verluste hierbei.
Leseexemplar
Verlustmeldungen der britischen Luftwaffe im Detail:
Royal Air Force Bomber Command:
Avro „Lancaster“:
43
Handley-Page „Halifax“:18
de Havilland „Mosquito”:
keine
Das Bomber Command fliegt in dieser Nacht vier Missionen:
Der Hauptanflug richtet sich als letzter Angriff einer Serie gegen
die süddeutsche Großstadt Stuttgart. Der Angriff wird mit 494 Lancaster-Bombern und zwei Mosquitos der 1, 3, 5 und 8 Bomb-Groups
geflogen. 39 Lancaster-Bomber werden abgeschossen.
498
Quelle: Royal Air Force Bomber Command 60th Anniversary - Campaign Diary, December 1944.
Quelle:  WASt – Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von
Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht, Berlin. Verluste der deutschen
Luftwaffe via Recherche Salonen.
11. Sodom und Gomorrha –
die Allmacht am Stabsschreibtisch
Leseexemplar
„Christbäume“.
499
Anhang
Tabellarische Aufstellung der Kern-Leistungswerte diver­
ser Flugzeugtypen des Zweiten Weltkrieges in Europa
– nach den Diplom-Ingenieuren Konstantin Iwanow und
Wladimir Georgiew, Universität Sofia – mit Vergleich
zur Literatur (u.a. William Green und Chris Chant).
Es finden sich in der Literatur viele Angaben über die Leistungen
von Kampf- und Jagdflugzeugen des Zweiten Weltkrieges. Auffallend
ist, wie stark diese Zahlen oft voneinander abweichen. Einige
Beispiele seien hier genannt:

Höchstgeschwindigkeit der Messerschmitt Bf 109 G-6:
: Wikipedia (Deutsch), Stand Juni 2012: „650 km/h in 6.600 m
Höhe“, keine Angabe, ob mit oder ohne MW-50-Notleistung.
: Wikipedia (Englisch), Stand Juni 2012: „640 km/h (398 mph)
at 6,300 m (20,669 ft)“, keine Angabe, ob mit oder ohne MW50-Notleistung.
& „Messerschmitt Bf 109 in action“ Part 2/Squadron/Signal
Publications 1983/John R. Beaman Jr. ., Seite 33: „386 mph at
22.640 ft with MW 50“ „621 km/h in 6.900 m mit MW 50“ [das
heißt: mit Wasser-Methanol-Notleistung, der Autor].
& „Berühmte Flugzeuge der Luftwaffe 1939–1945“, Berichte
eines Testpiloten/Motorbuch Verlag, 1. Spezialausgabe 1999/
Eric Brown, Seite 222: „621 km/h in 6.900 m Flughöhe“, hier
ist zu diesem Wert nicht von der leistungssteigernden MW50-Notleistung die Rede.
& „The complete illustrated encyclopedia of the Spitfire“, Anness Publishing Ltd. 2011/Nigel Cawthorne, Seite 146: “Maximum speed: 640 km/h (398 mph) at 6.300 m (20.669 feet)”. Keine
Angabe, ob mit oder ohne MW-50-Notleistung.
& „Flugzeuge und Hubschrauber der Luftwaffe 1933-1945“/
Motorbuch-Verlag 2005/Hans-Jürgen Becker und Ralf Swoboda,
Seite 381: „Höchstgeschwindigkeit: 630 km/h“ Keine Angabe, in
welcher Höhe und, ob mit oder ohne MW-50-Notleistung.
& „Die Me 109 – Gesamtentwicklung eines legendären Flugzeuges“/Motorbuch-Verlag 1986/Heinz J. Nowarra, Seite 305:
„Höchstgeschwindigkeit km/h 630“. Keine Angabe, in welcher
Höhe und, ob mit oder ohne MW-50-Notleistung.
4 Diplom-Ingenieur Konstantin Iwanow, Sofia, rechnerisch
ermittelter Wert: 650 km/h in 6.000 m Höhe mit aktivierter
MW-50-Notleistung.
Höchstgeschwindigkeit der Hawker „Tempest“ Mk. V:
: Wikipedia (Deutsch), Stand Juni 2012: „696 km/h in 5.200 m,
630 km/h in Bodennähe“.
: Wikipedia (Englisch), Stand Juni 2012: „Maximum speed:
432 mph (695 km/h) Sabre IIA at 18,400 ft (5.608 m), Sabre IIB
435 mph at 19,000 ft (700 km/h at 5.791 m).
& „Typhoon/Tempest in action“/Squadron/Signal Publications 1990/Jerry Scutts, Seite 30: „Maximum speed 466 mph”
„Höchstgeschwindigkeit 750 km/h”. Keine Höhenangabe.
& „Britische Luftwaffe”/Aerospace Publishing Ltd. London
1998 bzw. Tosa-Verlag/Daniel J. March, Seite 162: „Höchstgeschwindigkeit 686 km/h auf 5.640 m“.
& „Kampfflugzeuge des II. Weltkrieges“/Gondrom-Verlag 1999/
Chris Chant, Seite 165: „Höchstgeschwindigkeit 700 km/h“. Keine Höhenangabe.
& „Die Weltkrieg II-Flugzeuge“/Motorbuch-Verlag 1991/Kenneth Munson, Seite 136: „Höchstgeschwindigkeit 696 km/h in
5.180 m Höhe“.
4 Diplom-Ingenieur Konstantin Iwanow, Sofia, rechnerisch
ermittelter Wert: 690 km/h in 5.700 m Höhe.
Fazit: die Angaben schwanken zwischen 686 km/h und 750 km/h,
die Differenz beträgt 64 km/h.
Wollte man nun die Leistungen einer Messerschmitt Bf 109 G-6
mit denen einer Hawker „Tempest“ Mk. V vergleichen, so ergäbe
sich somit eine Höchstgeschwindigkeitsdifferenz von minimal
36 km/h (686 km/h – 650 km/h), maximal jedoch stolzen 129 km/h
(750 km/h – 621 km/h). Dieses erstaunliche Ergebnis zeigt, wie fast
grotesk die Datenlage der Literatur ist.
Die Definitionen sind in vielen Fällen unterschiedlich. So wird die
Steigrate in m/sek bisweilen als „initial“ benannt, in anderen Fällen
gar nicht weiter spezifiziert, oder als Maximalwert mit oder ohne zugehörige Höhe angegeben und in anderen Quellen statt in m/sek als
Zeitspanne gekennzeichnet, die das Flugzeug bis zum Erreichen einer
bestimmten Höhe benötigt. Diese Referenz-Höhe ist dann oft genug
auch noch unterschiedlich. Es ist somit ein fast aussichtsloses Unterfangen, die in unterschiedlichen Publikationen veröffentlichten Leistungswerte einigermaßen zuverlässig mitein­ander vergleichen zu wollen.
Diese Problematik wird zusätzlich deutlich verschärft durch den
Umstand, dass die Leistungen eines Flugzeuges ganz erheblich von
einer Vielzahl an Bedingungen abhängig sind. Diese Bedingungen
sind in aller Regel nicht angegeben, was tendenziösen Manipulationen – bewusst oder unbeabsichtigt – Tür und Tor öffnet.
Leseexemplar
Fazit: die Angaben schwanken zwischen 621 km/h und 650 km/h,
die Differenz beträgt 29 km/h.
784
Anhang
Ein Beispiel, welches Iwanow besonders erwähnt, sei exemplarisch
hier genannt. Während die Mehrzahl der Veröffentlichungen für die
North American P-51 D „Mustang“ eine Höchstgeschwindigkeit um
etwa 700 km/h nennt, findet sich in einem durchaus renommierten Werk über die amerikanische Luftwaffe*1 die Angabe: „Leistung:
Höchstgeschwindigkeit (leer) 721 km/h; Anfangssteigrate ­1.059 m­/­min;
Operationsradius mit maximalem Treibstoff 2.092 km“. Zum einen
ist der Zusatz „(leer)“ sehr leicht zu überlesen, zum anderen ist nicht
klar, ob sich das auch auf die (offenbar initiale) Steigrate bezieht (umgerechnet 17,65 m/sek). Der Operationsradius wiederum ist absolut
nicht „leer“, sondern mit „maximalem Treibstoff“ definiert, was einen
unerklärten Bruch in der Systematik darstellt. Zudem bleibt die Frage
offen: was heißt das? Mit oder ohne Zusatztanks? Eine realistische
Kampfsituation zwischen einer P-51 D „Mustang“ und einem deutschen Jäger über dem ehemaligen Reichsgebiet würde in vielen Fällen
bedeuten, dass der Pilot der P-51 D in dieser Luftkampflage nun seine
Zusatztanks abwirft, welche sein Jagdflugzeug bisher auf dem Flug
zum Ziel mit Treibstoff versorgt hatten. Somit ist der interne Tank
oft noch voll, es sei denn, der Luftkampf findet erst auf dem Rückflug statt. Auch die Munition ist zu Beginn des Kampfes auf beiden
Seiten noch unverbraucht. Das alles hat Einfluss auf das Gewicht des
Flugzeuges – und somit auf seine Leistung.
Dipl. Ing. Konstantin Iwanow konnte rechnerisch nachweisen,
dass die oben genannten Flugdaten der P-51 D (Höchstgeschwindigkeit und initiale Steigrate) aus deren technischen Kenndaten heraus
nur dann plausibel sind, wenn das Flugzeug mit fast leerem Tank
und ohne Munition geflogen wird, zudem mit einer 15 % höheren
Motorleistung als zulässig. Eine realistische Luftkampfsituation ist
das nicht – und somit keine seriöse Grundlage für einen Leistungsvergleich im Kampfeinsatz. Mit einem mittleren Gewicht und normalzulässiger Motorleistung beträgt die Höchstgeschwindigkeit der
P-51 D „Mustang“ dagegen von Iwanow hochgerechnet 695 km/h
und die initiale Steigleistung 10,00 m/sek – ein frappierend deutlicher Unterschied.
Ähnlich verhält es sich mit den propagandistisch eingefärbten sowjetischen Angaben zur Leistung der russischen Jagflugzeuge. Diese
weit verbreiteten Zahlen beziehen sich in der Regel auf Versuchsmuster. Iwanow schreibt: „Bei den im Kriege seriengebauten sowjetischen
Militärflugzeugen war die Summe der Koeffizienten für Profil und
für schädlichen Widerstand um 6-12 %, im Durchschnitt um 9 %,
größer als bei den Versuchsmustern dieser Flugzeuge – unter anderem
auf Grund von Produktionsfehlern. Deshalb waren die Zahlenwerte
der seriengebauten Flugzeuge wesentlich ungünstiger als die der Versuchsmuster. In der Regel sind aber in der Literatur die Zahlenwerte
der Versuchsmuster und nicht die der Serienflugzeuge angegeben. In
der Literatur wird z.B. fast immer behauptet, dass das Jagdflugzeug
La-7 Vm [Höchstgeschwindigkeit – der Autor] = 680 km/h hat, was
für ein sorgfältig gebautes Versuchsmuster reell ist. Die seriengebauten
La-7 aber hatten im Durchschnitt Vm ≈ 660 km/h.“
weite der Yak-9D mit 1.330 km angegeben [dies ist beispielsweise in
einem detaillierten Werk*2 der Fall. Hier wird die maximale Reichweite der Yak-9D mit 1.360 km definiert, bei einer üblichen Reisegeschwindigkeit sinke der Wert auf 905 km. Dies darf aber nicht mit
der „echten“ Langstreckenversion Yak-9 DD mit in derselben Quelle genannten 1.320 km Reichweite verwechselt werden. Die Flugweite der Yak-9DD wurde im August 1944 bei einem von Mayor Ovcharenko geleiteten Flug ohne abwerfbare Zusatztanks von Bãlţi (Moldawien) nach Bari (Italien) unter Beweis gestellt, es handelt sich um
eine Strecke von 1.145 km reine Luftlinie. Von Bari aus wurden durch
die 12 ausgesuchten sowjetischen Jagdflieger in 155 Einsätzen quer
über die Adria jugoslawische Partisanen aus der Luft unterstützt –
und die in Bari anwesenden alliierten Jägerkollegen in Vergleichsflügen gegen Spitfires Mk. V und VIII, P-51 B, P-38, P-47 D und andere
Typen beeindruckt, was sicher nicht unbeabsichtigt war – der Autor].
Die angebliche Reichweite der Yak-9D sei gemäß Iwanow jedoch
auf eine Misinterpretation der Begriffe „Reichweite“ und „Eindringtiefe/Aktionsradius/Operationsradius“ zurückzuführen [zur
Unterscheidung dieser Begriffe siehe Seite 264 – der Autor]. Bei einer Reichweite von 1.330 km wäre demnach der Aktionsradius einer
Yak-9D hin und zurück ohne jegliche Kurven oder Luftkämpfe maximal die Hälfte, also 665 km. Nach einem Bericht des damaligen
General Mayors Sawitzkij, Kommandeur des 3. IAK der VVS, sei im
Sommer 1944 eine Staffel Yak-9D vom Flugplatz Smorgon (100 km
nordwestlich von Minsk) zu einem Einsatz über Insterburg befohlen
worden. Die Distanz Smorgon – Insterburg beträgt fast genau 300
km. Iwanow beschreibt, dass gemäß Sawitzkij (im Buch „ein halbes
Jahrhundert mit dem Himmel“, russische Fassung, Seite 153) die Yak9D – ohne Luftkampf – mit dem letzten Tropfen Sprit zurückgekehrt
seien. Angeblich schreibt Sawitzkij: „Von Smorgon bis Insterburg sind
300 km – bestätige ich. Deshalb Yak-9D. Es hat Aktionsradius 330 km.“
Die Eindringtiefe von 330 km ist fast genau die Hälfte der behaupteten 665 km, anders ausgedrückt ist die Reichweite einer Yak-9D
660 km, nicht – wie weit verbreitet – 1.330 km. Offenbar hat man die
dem Flugzeug möglichen 660 km statt als Gesamtflugstrecke hin und
zurück fehlinterpretiert als einfache Flugdistanz zum Ziel – und dann
irrtümlich verdoppelt, um die „Reichweite“ zu erhalten.
Was beeinflusst die Leistungswerte eines Flugzeuges bei
gegebenen technischen Kenndaten?
Leseexemplar
Die Liste der Fehlinformationen ließe sich fortführen. So wird laut
Konstantin Iwanow in der Literatur fast generell die Reichweite/Flug-
Gewicht, somit Treibstoffmenge und Munitionsmenge sowie
gegebenenfalls Bomben- und Raketenzuladung.
Flughöhe.
Wetterlage, Gegenwind, Rückenwind.
Produktionstoleranzen.
*1
Quelle & „Amerikanische Luftwaffe“/Aerospace Publishing Ltd. London
1995/David Donald, Seite 209.
*2
Quelle & „Soviet Air Force Fighter Colours 1941-1945“/Classic Publications 2003/Eric Pilawskii.
785
Anhang
Um die nachstehend mit standardisierten wissenschaftlichen
Methoden von Diplom-Ingenieur Iwanow errechneten Daten vergleichbar zu halten, wurde in allen Fällen von gleichen Annahmen
ausgegangen:
vielen Situationen zu, allerdings behält der Wendekreisradius dann
eine entscheidende Bedeutung, wenn ein Verfolger gegenüber dem
Verfolgten eine Vorhalteposition herausfliegen muss oder will (vgl.
hierzu die Seiten 30 und 138).
eine mittlere Masse (mittleres Gewicht), somit ausgehend von
einem vollen internen Tank halb verbrauchtes Benzin und
halb verschossene Munition, wobei im Falle der Bomber und
Erdkampfflugzeuge die volle Bombenzuladung vor Abwurf mit
eingerechnet wurde.
gegebenenfalls mitgeführte Zusatztanks sind bereits abgeworfen
worden.
die Flugzeugtriebwerke arbeiten mit größtmöglicher erlaubter
Leistung, wobei im Falle von möglichem Zusatzschub (beispielsweise
Wasser-Methanol-Einspritzung MW 50 oder N2O-Einspritzung
GM-1) diese Notleistung aktiviert wurde. Dies gilt wiederum nur
in den Höhen, in welchen diese Leistungsreserve zugelassen ist.
Es muss hierbei deutlich darauf hingewiesen werden, dass es in
diversen Fällen zu Abweichungen der errechneten Daten gegenüber
tatsächlich durchaus seriös in der Luft gemessenen Werten kommen
kann. Daher hat der Autor darauf verzichtet, im Textteil des Buches statt den als anerkannt geltenden, in ihrer Entstehung aber
intransparenten Mess-Leistungszahlen die wissenschaftlichen
Werte Diplom-Ingenieur Iwanows anzugeben, zumal nicht für
alle Flugzeugtypen Hochrechnungen Iwanows verfügbar sind.
Eine im Textteil des Buches selektive Verwendung der rechnerisch
nach Standardbedingungen mit mittlerer Masse ermittelten Werte
für die von Iwanow erfassten Flugzeugtypen und andererseits Referenz der übrigen Daten auf „optimale“ Ergebnisse aus der Literatur,
ergäbe eine unerwünschte Verzerrung untereinander.
Die komplizierten mathematischen Formeln liegen dem Verfasser
vor. Einen eingeschränkten Vergleich mit Messerschmitt-Originaldatenblättern*3 erlaubt unten stehende Tabelle zur Messerschmitt Bf 109
G-1 mit Motor DB 605/A.
Dem stehen zum Vergleich die errechneten Angaben Iwanows
gegenüber, die sich allerdings auf die Messerschmitt Bf 109 G-2,
nicht G-1 beziehen, die ferner definitionsgemäß bewaffnet und mit
„mittlerer Masse“ (also mittlerem Tankfüllstand) betrachtet wurde.
Die Angabe im Messerschmitt-Datenblatt zur (ähnlichen) Bf 109 G-1
lautet: „die angegebenen Leistungen beziehen sich auf Kampf- und
Steigleistung, das heißt n = 2.600 U/min; PLade = 1,3 ata. Start- und
Notleistung ist für DB 605/A zur Zeit noch nicht freigegeben.“ Die Unterschiede zwischen der Bf 109 G-1 und G-2 betreffen vor allem den
Einbau einer Druckkabine in der G-1, die in der G-2 fehlt.
Iwanow weist darauf hin, dass die Zeitspanne, die ein Jagdflugzeug für einen Vollkreis benötigt, aussagekräftiger sei als der oft als
Kriterium genannte Wendekreis in Metern, da bei einer sehr eng
geflogenen Kurve die Geschwindigkeit stark absinkt. Dieser Geschwindigkeitsverlust sei im Luftkampf als Nachteil gravierender als
der im Vergleich zum Gegner engere Flugradius. Dies trifft zwar in
Dennoch erscheinen derartige, aus unbestechlichen Kennda­ten auf rechnerisch identische Art entwickelte Vergleichszahlen
erheblich fundierter, als Messwerte, deren Zuverlässigkeit so­
wohl von der Eichgenauigkeit der Messeinrichtung als auch von
keinesfalls standardisierten Bedingungen und möglicherweise
sogar der tendenziösen Intention der Messinstitution abhängig
ist.
Ein einleuchtender Vergleich möge dies erläutern: wenn auf einer
Schnellstraße zwei Autos mit der gleichen Geschwindigkeit hintereinander her fahren, so heißt das beileibe nicht, dass beide Tachometer
den selben Wert anzeigen. Nun machen bei 100 km/h Abweichungen
von 3 % „nur“ 3 km/h aus. Bei 700 km/h sind es bereits 21 km/h ...
Zum Vergleich der Leistungsfähigkeit der genannten Flugzeugtypen sind die folgenden Angaben daher äußerst wertvoll. Die Zahlenwerte für die Höchstgeschwindigkeit im Textteil des Buches können
im Falle von Bombern, Schlachtflugzeugen und Jagdbombern von
den nachstehenden Listen abweichen, da in den im Text genannten Leistungswerten in der Regel die üblicherweise veröffentlichte
Höchstgeschwindigkeit des Flugzeuges als solches, also ohne Bombenlast genannt ist, während die Beladung in den Tabellen Iwanows
miteingerechnet wurde (siehe oben). Diejenige Traglast, für welche
Leseexemplar
*3
Quelle & „Messerschmitt Me 109“, Aviatic Verlag 1998/Willi Radinger
und Wolfgang Otto, Seite 24.
Messerschmitt Bf 109 G-1 (Werte nach Messerschmitt-Originalauszug)
Werte bei einer Flughöhe (m):
0
1.000
2.000
3.000
4.000
5.000
6.000
7.000
8.000
9.000
Höchstgeschwindigkeit (km/h)
525
544
563
583
602
622
642
649
648
643
10.000 11.000 12.000
630
609
555
Steiggeschwindigkeit (m/sek)
21,0
21,0
21,0
19,8
18,6
17,4
15,8
13,3
10,9
8,3
6,0
3,5
1,0
5.000
6.000
7.000
8.000
9.000
Messerschmitt Bf 109 G-2 (errechnete Werte nach Diplom-Ingenieur Iwanow)
Werte bei einer Flughöhe (m):
786
0
1.000
2.000
3.000
4.000
10.000 11.000 12.000
Höchstgeschwindigkeit (km/h)
546
564
586
599
617
637
659
650
636
615
586
528
–
Steiggeschwindigkeit (m/sek)
18,1
18,1
18,1
17,3
16,8
16,3
16,0
12,8
9,65
6,7
3,96
1,17
–
Anhang
die gelisteten Werte gelten, ist in den folgenden Tabellen exakt angegeben. Für Jagdflugzeuge gilt dies in eingeschränktem Maß ebenfalls, da die anerkannten Zahlen eben nicht – wie dargelegt – aus
standardisierten, sondern zumeist aus - wie auch immer gearteten
- optimalen Bedingungen heraus ermittelt/gemessen wurden. Oft
stammen die Angaben vom Hersteller – mit Verkaufsinteresse ...
Um eine bestmögliche Vergleichbarkeit zu gewährleisten, werden
im Textteil des Buches überwiegend die Daten der Autoren William
Green oder Chris Chant verwendet, welche die meisten Flugzeugtypen des Zweiten Weltkrieges einschließlich ihrer messtechnischen
Kenndaten beschrieben haben, sodass die Angaben (soweit möglich)
aus einheitlichen Quellen stammen. Diese Daten sind zum Vergleich
mit Iwanows Erkenntnissen ebenfalls in die nachstehenden Tabellen eingearbeitet. Im Fall der sowjetischen Jagdflugzeuge wird auf
die detaillierte Quelle „Soviet Air Force Fighter Colours 1941-1945“
(Classic Publications) von Erik Pilawskii zurückgegriffen. Bei (seltenen) deutlichen Abweichungen zu Iwanows Daten, in besonderen
Fällen oder bei Nichtvorliegen von Angaben in Greens Buchserie
zur betreffenden Variante des Flugzeugtyps werden – falls sinnvoll
und möglich – noch weitere Autoren oder nötigenfalls auch Wikipediaseiten herangezogen. Auffällige Differenzen sind mit [?] gekennzeichnet.
Hinweis zur Steigrate: die höhenbezogenen Werte Iwanows definieren die Steigrate des Jagdflugzeugs in einer bestimmten Höhe im
Dauersteigflug (dieser Wert ist allerdings in der Praxis stark von der
Neigung des Flugzeugs abhängig). Dagegen kennzeichnet die „initial
climb rate“ den ersten Wert ab dem Übergang vom Horizontalflug in
den Steigflug unabhängig davon, dass diese Steigleistung schon nach
kürzester Zeit stark abfallen kann! Die initiale Steigrate ist daher nur
bedingt vergleichbar mit der höhenbezogenen!
ƒƒ& Aircraft N° 155 „Il-2 Stormovik in action“/Squadron/Signal
Publications 1995/Hans-Heiri Stapfer.
ƒƒ& Aircraft N° 181 „Petlyakov Pe-2 in action“/Squadron/Signal
Publications 2002/Hans-Heiri Stapfer.
ƒƒ& Aircraft N° 184 „Heinkel He 111 in action“/Squadron/Signal Publications 2002/George Punka.
ƒƒ& „Amerikanische Luftwaffe“/Aerospace Publishing Ltd.
London 1995/David Donald.
ƒƒ& „Berühmte Flugzeuge der Luftwaffe 1939–1945“ Berichte
eines Testpiloten/Motorbuch Verlag 1. Spezialausgabe 1999/Eric
Brown.
ƒƒ& „Britische Luftwaffe“/Aerospace Publishing Ltd. London
1998/Daniel J. March.
ƒƒ& „Deutsche Luftwaffe“/Aerospace Publishing Ltd. London
1994/David Donald.
ƒƒ& „Famous Bombers of the Second World War” Second Edition revised/Macdonald & Co Ltd. London 1976/William
Green.
ƒƒ& „Flugzeuge und Hubschrauber der Luftwaffe 1933-1945”/
Motorbuch-Verlag 2005/Hans-Jürgen Becker und Ralf Swoboda.
ƒƒ& „Focke-Wulf Fw 190 Volume one 1938-1943“/Ian Allan
Publishing 2011/J. Richard Smith und Eddie J. Creek.
ƒƒ& „Kampfflugzeuge des II. Weltkrieges“/Gondrom Verlag
1999/Chris Chant.
ƒƒ& „Soviet Air Force Fighter Colors 1941-1945”/Classic Publications 2003/Erik Pilawskii.
ƒƒ& „The complete illustrated Encyclopedia of the Spitfire“/
Anness Publishing Ltd. 2011/Nigel Cawthorne.
ƒƒ& „War planes of the Third Reich”/Galahad Books New York
1970/William Green.
ƒƒ& „War planes of the Second World War” Vol.1-4 und 8-10/
Macdonald & Co Ltd. London 1960-1968/William Green.
Verwendete Quellen:
ƒƒ4Diplom-Ingenieure Konstantin Iwanow und Wladimir Georgiew, Universität Sofia. Iwanow hat Maschinenbau studiert.
Er hat jahrelang sämtliche Vorlesungen und Übungen für Verbrennungsmotoren und Thermodynamik an der Universität
gehalten und ist Autor diverser Publikationen mit neuen Formeln und Berechnungsmethoden. Gleichzeitig war er leitender
Konstrukteur von etwa 35 neuartigen Maschinen einschließlich
der größten, bis dahin in Bulgarien gebauten. Er widmete sich über
zehn Jahre zusammen mit einem seiner Studenten, Wladimir
Georgiew, der intensiven Recherche und anschließenden Berechnung nachstehender Daten.
ƒƒ& Aircraft N° 57 „Messerschmitt Bf 109 in action“ Part 2/
Squadron/Signal Publications 1983/John R. Beaman Jr. .
ƒƒ& Aircraft N° 73 „Ju 87 Stuka in action“/Squadron/Signal
Publications 1986/Brian Filley.
ƒƒ& Aircraft N° 85 und 113 „ Junkers Ju 88 in action“ Part 1 and
2/Squadron/Signal Publications 1988 und 1991/Brian Filley.
ƒƒ& Aircraft N° 139 „Mosquito in action“ Part 2/Squadron/Signal Publications 1993/Jerry Scutts.
Die Hersteller sind alphabetisch angegeben, innerhalb eines
Flugzeugtyps wurde allerdings auf eine grobe zeitliche Zuordnung
geachtet. Beispielsweise gehört eine Focke-Wulf Fw 190 G-3
inhaltlich zur Focke-Wulf Fw 190 A-5, aus der sie entwickelt wurde,
auch wenn streng alphabetisch beispielsweise die Variante A-8
oder D-9 vor der G-3 gelistet werden müsste. Höhenwerte sind im
Falle englischer und amerikanischer Flugzeuge exakt umgerechnet
- z.B. 20.000 ft (6.096 m) – da davon auszugehen ist, dass der
Messung tatsächlich die Zahl in feet zugrunde lag, während bei
den kontinentalen Streitkräften die Messung aller Logik nach auf
runden Meterzahlen basiert. Die Angaben sind in diesen Fällen bei
englischsprachigen Quellen somit vermutlich auf „glatte Zahlen“ im
englischen Mess-System gerundet worden und werden folgerichtig
zurückgerundet: z.B. 20.000 ft (6.100 m), 1.102 lb/500 kg (statt 1.102
lb/499,86 kg).
Leseexemplar
In den Tabellen kennzeichnet eine gelbe Linie Jagdflugzeuge, eine
grüne Linie Jagdbomber oder Schlachtflugzeuge, eine blaue Linie
Nachtjäger und eine rot-braune Linie Bomber.
787
Anhang
Jagdflugzeuge und Jagdbomber
Amerikanische Jagdflugzeuge/Jagdbomber:
Flugzeugtyp: Bell P-39 D „Airacobra“ (verbreitet in der sowjetischen VVS im Einsatz)
Höchstgeschwindigkeit: 590 km/h in 4.200 m | maximal zulässige Sturzgeschwindigkeit 750 km/h | Gipfelhöhe: 9.620 m
Werte bei einer Flughöhe (m):
(0)
1.000
2.000
3.000
4.000
5.000
6.000
7.000
8.000
9.000
Höchstgeschwindigkeit (km/h):
474
500
527
554
585
583
571
552
528
485
10.000 11.000 12.000
–
–
–
Steiggeschwindigkeit (m/sek):
10,2
10,8
11,5
12,1
12,9
10,9
8,34
5,87
3,57
1,32
–
–
–
Zeit für einen Vollkreis (sek):
27,6
28,7
30,0
31,6
33,2
39,0
48,4
63,0
88,6
153
–
–
–
Vergleich zur Literatur:
Höchstgeschwindigkeit nach William Green: 360 mph at 15.000 ft (579 km/h in 4.572 m)
Steigrate nach William Green: initial climb rate: nicht angegeben (k. A.), Zeit bis zum Erreichen von 20.000 ft (6.096 m): 9,1 min
Flugzeugtyp: Bell P-39 Q „Airacobra“ (verbreitet in der sowjetischen VVS im Einsatz)
Höchstgeschwindigkeit: 612 km/h in 4.200 m | maximal zulässige Sturzgeschwindigkeit 750 km/h | Gipfelhöhe: 9.970 m
Werte bei einer Flughöhe (m):
(0)
1.000
2.000
3.000
4.000
5.000
6.000
7.000
8.000
9.000
Höchstgeschwindigkeit (km/h):
492
517
542
575
607
605
594
577
556
523
10.000 11.000 12.000
–
–
–
Steiggeschwindigkeit (m/sek):
11,5
12,2
12,9
13,6
14,4
12,4
9,6
7,03
4,57
2,24
–
–
–
Zeit für einen Vollkreis (sek):
26,5
27,8
29,1
30,6
32,1
37,1
45,6
58,2
79,9
124
–
–
–
Vergleich zur Literatur:
Höchstgeschwindigkeit nach William Green: 376 mph at 15.000 ft (605 km/h in 4.572 m)
Steigrate nach William Green: initial climb rate: nicht angegeben (k. A.), Zeit bis zum Erreichen von 20.000 ft (6.096 m): 8,5 min
Flugzeugtyp: Bell P-63 A „Kingcobra“ (primär in der sowjetischen VVS im Einsatz)
Höchstgeschwindigkeit: 658 km/h in 7.500 m | maximal zulässige Sturzgeschwindigkeit 775 km/h | Gipfelhöhe: 11.600 m
Werte bei einer Flughöhe (m):
(0)
1.000
2.000
3.000
4.000
5.000
6.000
7.000
8.000
9.000
Höchstgeschwindigkeit (km/h):
499
517
537
555
576
597
622
646
653
634
609
561
–
Steiggeschwindigkeit (m/sek):
12,0
11,9
11,9
11,8
11,7
11,6
11,4
11,3
9,81
7,04
4,43
1,81
–
Zeit für einen Vollkreis (sek):
24,9
26,6
28,7
31,0
33,6
36,4
39,8
43,5
50,9
65,6
92,0
160
–
10.000 11.000 12.000
Vergleich zur Literatur:
Höchstgeschwindigkeit nach William Green: 410 mph at 25.000 ft (660 km/h in 7.620 m)
Steigrate nach William Green: initial climb rate: nicht angegeben (k. A.), Zeit bis zum Erreichen von 25.000 ft (7.620 m): 7,3 min
Flugzeugtyp: Curtiss P-36 D „Hawk“ (die französische Armée de l’Air erhielt P-36 A bis C als H-75-A-1 bis A-4 )
Höchstgeschwindigkeit: 520 km/h in 5.200 m | maximal zulässige Sturzgeschwindigkeit 775 km/h | Gipfelhöhe: 11.700 m
Werte bei einer Flughöhe (m):
(0)
1.000
2.000
3.000
4.000
5.000
6.000
7.000
8.000
9.000
10.000 11.000 12.000
Höchstgeschwindigkeit (km/h):
429
444
461
478
497
517
514
510
500
486
460
428
–
Steiggeschwindigkeit (m/sek):
18,5
18,6
18,7
18,7
18,8
18,8
16,1
13,0
10,3
7,61
4,58
2,09
–
Zeit für einen Vollkreis (sek):
15,9
16,9
18,1
19,4
20,8
22,4
25,6
30,0
35,9
44,8
63,6
104
–
Leseexemplar
Vergleich zur Literatur:
Höchstgeschwindigkeit: Green, bei P-36 G: 323 mph at 15.000 ft (520 km/h in 4.572 m), bei P-36 C: 311 mph at 10.000 ft (500 km/h in 3.048 m)
Steigrate nach William Green: initial climb rate: nicht angegeben, Zeit bis zum Erreichen von 15.000 ft (4.572 m): P-36 G und P-36 C: 4,9 min
788
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