Die Beerdigung der alten Dame?

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Die Beerdigung der alten Dame?
Fan-News
Beerdigung der alten Dame?
Nach den ersten Urteilen im Manipulationsskandal der italienischen Liga proben die
Fans den Aufstand – die einen für die Ehre, die anderen gegen „ungerechte Verdikte“.
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Jahre glorreicher Geschichte werden nicht
durch ein paar Telefonate beschmutzt“, verkündeten die „Viking Juve“ auf einem Spruchband
beim letzten Saisonspiel. Zumindest die letzten beiden Jahre
der Geschichte der großen „alten Dame“ werden nun doch
umgeschrieben werden müssen, denn nach den Urteilen im
größten Skandal der italienischen Fußballgeschichte werden
den Turinern die Meistertitel 2005 und 2006 aberkannt, und
der Rekordmeister muss erstmals den Weg in die Serie B antreten, wo er die kommende Saison zudem mit minus 30 Punkten
beginnen soll. Ebenfalls zwangsabsteigen müssen Fiorentina
(minus zwölf Punkte) und Lazio (minus sieben); Milan bleibt
zwar in der Serie A, verliert durch einen Punktabzug von 44
Zählern aber die Champions-League-Qualikation und wird
mit minus 15 Punkten in die neue Saison starten. Abzuwarten sind jetzt noch die Entscheidungen der kommenden Gerichtsinstanzen; weiterhin wird die Fahndungskommission
der Staatsanwaltschaft in den kommenden Tagen eine weitere Untersuchung vorlegen, die auch einige kleinere Vereine, darunter wohl insbesondere den AC Reggina, belastet.
Indessen blieben die Fans der betroffenen Clubs nicht untätig und organisierten eine Reihe von Kundgebungen, um ihrer
Meinung Ausdruck zu verleihen: Bereits Ende Mai bekundeten
die „Viking Juve“ ihr Missfallen über die alte Führungsriege
um Luciano Moggi und stellten eine Petition auf, in der sie forderten, dass „mit Stil zu gewinnen künftig wieder die Besonderheit der Juve“ sein müsse. Anfang Juli übergaben Vertreter
der „Viking“ gemeinsam mit Vertretern des „Nucleo“ die Petition und unterstützende Briefe der Anhängerschaft dem Aufsichtsrat des Vereins. Zur gleichen Zeit fanden sich bei einer
von den „Drughi“ organisierten Demonstration in Turin über
20.000 Menschen ein, darunter auch einige Ex-Spieler und Prominente, die unter dem Motto „Die Juve sind wir“ gemeinsam
ihren Stolz und ihre Liebe zum Club manifestierten.
schon seit Monaten im Clinch liegt. Bereits direkt nach der Urteilsverkündung riefen aufgebrachte Fans per Sprechchören
zur Jagd auf Lotito auf, eine Woche später demonstrierten die
Anhänger des zweimaligen Meisters vor der Stadtverwaltung,
die eine Delegation der Irriducibili empng. Die Ultras drückten ihren Unmut darüber aus, dass die Fans mit der zweiten
Liga bitter für das Fehlverhalten des Vereinsoberen zu bezahlen haben.
Voll auf der Seite ihrer Vereinsspitze stehen dagegen die
Ultras des AC Milan, dem ebenfalls die Beeinussung von
Schiedsrichtern nachgewiesen werden konnte, wenn auch in
weit geringerem Maße als Juve. Nach einer Protestkundgebung der „Guerrieri Ultras“ zogen zwei Tage vor Beginn der
Berufungsverhandlung mehrere hundert Milanisti unter Führung der „Brigate Rossonere“ durch die Stadt, um ihrer Überzeugung Ausdruck zu verleihen, dass der Verein unschuldig
sei. Lokalrivale Inter könnte derweil am grünen Tisch der erste Meistertitel seit 1989 zugesprochen werden: „Wir werden
nicht feiern“, erklärt Mario Locatelli vom „Centro coordinamento Inter club“ jedoch, „wir warten, dass Juve in die Serie A
zurückkehrt, um sie und Milan auf dem Feld zu schlagen.“ Er
spricht damit wohl für die Mehrzahl der Fans – egal, welchen
Vereins –, die einfach nur endlich wieder ehrlichen Fußball
sehen wollen. ��Matthias Bürgel
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Gleicher Maßstab für alle?
Es war klar, dass das Urteil für Juve der Maßstab für alle
anderen sein müsste: Schließlich hatten die Turiner nicht nur
einzelne Spiele manipuliert, sondern in den vergangenen Jahren ein regelrechtes System zur Kontrolle der Serie A errichtet,
was sowohl die im Prozess behandelte Einussnahme auf die
Schiedsrichteransetzung, als auch eine weitreichende Kontrolle des Transfermarktes und teilweise sogar der Berichterstattung der Medien umfasste. Durch Inanspruchnahme der
Hilfen dieses Systems gelang es Fiorentina und Lazio in der
Saison 2004/2005 die nötigen Punkte zum Klassenerhalt zu
sichern; dennoch erscheint den Fiorentina-Tifosi das Urteil in
Relation zur verhassten Juve als zu hart: Drei Tage nach der
Urteilsverkündung zogen über 3.000 Anhänger im Zeichen
uneingeschränkter Solidarität zu ihrem Verein zum nahe dem
Stadion gelegen Sportzentrum des Verbandes Coverciano,
holten dort die Verbandsfahne ein und bildeten den Schriftzug „Basta!“. Ein Teil der Demonstranten setzte sich dann
Richtung Bahnhof ab und besetzte über vier Stunden lang die
Gleise, sodass über 40 Züge blockiert wurden, in denen 20.000
Passagiere feststeckten.
Der Zorn der Laziali hingegen richtet sich in erster Linie gegen Vereinspräsident Claudio Lotito, mit dem die Curva Nord
Stadionwelt August/September 2006
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