5. Komplexe Zahlen

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5. Komplexe Zahlen
5. Komplexe Zahlen
Komplexe
Zahlen sind Zahlen der Form a + bi, wo a und b reelle Zahlen sind und
√
i = −1 ist. “Wurzeln aus negativen Zahlen gibt es nicht”, wird man da antworten,
und in der Tat gibt es keine reelle Zahl, deren Quadrat negativ ist, ebensowenig
wie es eine natürliche Zahl a mit a + 4 = 3 gibt, oder eine ganze Zahl p mit 2p = 1.
Um die Lösungen der beiden letzten Gleichungen beschreiben zu können, hat man
den Zahlbereich erweitert: aus den natürlichen Zahlen wurden ganze Zahlen, und
2
aus diesen wiederum die rationalen
√ Zahlen. Die Unlösbarkeit von x − 2 = 0 in den
rationalen Zahlen (die “Zahl” 2 kann man nicht als Bruch zweier ganzer Zahlen
schreiben) hat schließlich zum Begriff der reellen Zahlen geführt.
Nun kann man nicht zu jeder Gleichung eine neue Art Zahlen einführen, damit
man diese Gleichung lösen kann: das hat zwar bei a + 4 = 3, 2p = 1 und x2 = 2
funktioniert, liefert aber bei x + 1 = x nur Unsinniges. Warum sollte man bei der
Gleichung x2 = −1 mehr erwarten?
In diesem Kapitel werden wir die komplexen Zahlen vorstellen und erklären,
wie man mit ihnen rechnet. Am Ende dieses Kapitels sowie im nächsten sollte
dann klar werden, warum komplexe Zahlen nützlich sind.
5.1 Was ist eine Zahl?
Ursprünglich wurden Zahlen nur dazu benutzt, um zu zählen. Dazu reichen die
Zahlen aus, die man viel später “natürliche Zahlen” genannt hat, um sie von
anderen Zahlen zu unterscheiden, die man erst später erfunden hat. Die natürlichen
Zahlen sind
N = {1, 2, 3, 4, . . .}.
Besonders in der Mathematik ist es oft nützlich, die natürlichen Zahlen mit der 0
beginnen zu lassen; wir werden für die Menge aller natürlichen Zahlen einschließlich
der Null die Notation
N0 = {0, 1, 2, 3, 4, . . .}
benutzen.
Die negativen Zahlen hat man erst spät erfunden; schließlich kommt man selten
in die Verlegenheit, −3 Äpfel zählen zu müssen. In der Tat sind negative Zahlen
ein Konstrukt der Mathematik, das man vor allem aus Gründen der Bequemlichkeit und zum Zweck der Vereinfachung eingeführt hat. So konnten bereits die alten
5.1 Was ist eine Zahl?
81
Babylonier vor fast 4000 Jahren quadratische Gleichungen lösen, aber bis ins 16.
Jahrhundert musste man beim Lösen der Gleichungen verschiedene Typen unterscheiden: x2 + px = q, x2 + q = px, usw., wobei alle vorkommenden Koeffizienten
positiv sein mussten. Erst durch die Einführung der negativen Zahlen ist es gelungen, diese verschiedenen Gleichungen zu einer Standardform x2 + px + q = 0
zusammenzufassen, wobei man jeztzt auch negative Werte für p und q zugelassen hat. Erfunden wurden die negativen Zahlen von indischen Mathematikern,
die positive Zahlen als Guthaben und negative Zahlen entsprechend als Schulden
interpretierten. Die Menge der ganzen Zahlen wird mit
Z = {. . . , −2, −1, 0, 1, 2, . . .}
bezeichnet.
Solange man keinen Sack Getreide teilen muss, kommt man im täglichen Leben mit den natürlichen Zahlen leidlich aus. Aber irgendwann wollte man auch
ausdrücken können, dass man nur einen halben Sack kaufen möchte, und hat aus
diesem Grunde die Brüche erfunden, also Zahlen der Form 32 , 25 oder − 34 . Sicherlich hat man die Brüche nicht auf einmal entdeckt, sondern peu à peu: zuerst war
da 21 , 13 , 23 usw., und erst später hat man gelernt, wie man mit beliebigen Brüchen
umzugehen hat. Jedenfalls ist
np
o
Q=
: p ∈ Z, q ∈ N
q
die Menge aller Zahlen, die sich in der Form pq mit einer ganzen Zahl p und einer
positiven ganzen Zahl q schreiben lassen. Die gebrochenen Zahlen sind viel älter
als die negativen; bereits die alten Babylonier und Ägypter haben vor über 4000
Jahren bereits mit ihnen gerechnet.
Die nächste Erweiterung der Zahlen ist relativ jungen Datums: die Menge aller
Zahlen, die sich irgendwie als Dezimalbruch schreiben lassen, nennt man reelle
Zahlen und bezeichnet sie mit R. Dazu gehören die Zahlen
2
= 0, 4,
5
1
= 0, 33333333 . . . ,
√3
2 = 1, 414213562373095048801688724 . . . ,
π = 3.141592653589793238462643383 . . .
ebenso wie alle andern Zahlen, die man in der Schule für gewöhnlich kennen lernt.
In der Algebra lernt man, wie man mit diesen Zahlen (oder mit Näherungen, die
man dadurch erhält, dass man die Dezimalbruchentwicklung nach einigen Stellen
abbricht) rechnet. Die meisten der folgenden Gesetze macht man intuitiv richtig;
bis auf wenige Ausnahmen tauchen sie aber auf der Schule nicht mehr auf, schon
gar nicht mit Namen:
1. Kommutativität der Addition: x + y = y + x;
82
5. Komplexe Zahlen
2. Assoziativität der Addition: (x + y) + z = x + (y + z);
3. Kommutativität der Multiplikation: xy = yx;
4. Assoziativität der Multiplikation: (xy)z = x(yz);
5. Distributivitätsgesetz: a(b + c) = ab + ac.
Auch wenn uns das unglaublich erscheint: der Schritt von den rationalen zu
den reellen Zahlen ist um ein Vielfaches schwieriger (vor allem wegen allerlei Problemen mit dem Unendlichen, über den man sich in der Schule ohne großartiges
Nachdenken hinwegsetzt) als derjenige von den reellen zu den komplexen Zahlen.
5.2 Die Grundrechenarten in den komplexen Zahlen
Komplexe Zahlen sind, wie wir bereits oben
√ gesagt haben, Zahlen der Form a + bi,
wobei i eine Abkürzung für das Symbol −1 ist. Dies soll bedeuten, dass i2 = −1
ist; wie wir sehen werden, rechnen wir mit den neuen Zahlen wie “mit Buchstaben”,
außer dass wir jedes auftretende i2 durch −1 ersetzen.
√
Für Addition und Subtraktion ist die Interpretation von i als −1 noch gar
nicht nötig: wir legen fest, dass
(a + bi) + (c + di) = (a + c) + (b + d)i
sein soll. Auch die Subtraktion setzen wir so fest, wie man das naiv machen würde:
(a + bi) − (c + di) = (a − c) + (b − d)i.
Beispielsweise ist (2 + i) + 3 = 5 + i (die Klammer ist unnötig und dient nur
dazu, die erste komplexe Zahl als 2 + i und die zweite als 3 festzulegen) oder
(3 + 4i) − (2 + 5i) = 1 − i.
Mit diesen beiden Regeln kann man komplexe Zahlen ohne Probleme addieren
und subtrahieren. Für die Addition gelten dabei folgende Regeln, die wir schon
vom Rechnen mit reellen Zahlen oder aus der Algebra kennen, auch wenn wir
diesen Eigenschaften bisher noch keine Namen gegeben haben:
Satz 5.1. Die Addition komplexer Zahlen ist
• kommutativ: z1 + z2 = z2 + z1 ;
• assoziativ: z1 + (z2 + z3 ) = (z1 + z2 ) + z3 .
Bei der Addition kommt es also weder auf die Reihenfolge der Summanden an,
noch darauf, wie man Klammern setzt, d.h. welche Summanden in einer Summe
von mehreren Summanden man zuerst addiert.
Die Beweise dieser Aussagen sind ganz einfach: er ist z.B. mit z1 = a + bi und
z2 = c + di
5.2 Die Grundrechenarten in den komplexen Zahlen
83
z1 + z2 = (a + bi) + (c + di)
= (a + c) + (b + d)i
nach Definition,
z2 + z1 = (c + di) + (a + bi)
= (c + a) + (d + b)i
nach Definition,
folglich z1 + z2 = z2 + z1 , weil nach den Gesetzen der reellen Addition a + c = c + a
und b + d = d + b gilt.
Aufgabe 5.1. Beweise auf dieselbe Art die Assoziativität der Addition im Komplexen.
Es ist ebenfalls nicht schwer, komplexe Zahlen zu multiplizieren; beispielsweise
erhalten wir, wenn wir einfach drauflos rechnen,
(3 + i)(1 − i) = 3 − 3i + i − i2 = 3 − 2i − (−1) = 4 − 2i.
Allgemein legen wir fest, dass
(a + bi)(c + di) = ac + bci + adi + bdi2 = ac − bd + (ad + bc)i
sein soll. Natürlich merkt man sich diese Formel nicht: was man sich merkt, ist
dass man mit komplexen Zahlen so rechnet, wie man das aus der Algebra gewohnt
ist, und dabei jedes i2 durch −1 ersetzt.
Auch hier gelten die Regeln, die wir vom Rechnen mit rationalen und reellen
Zahlen schon kennen:
Satz 5.2. Die Multiplikation komplexer Zahlen ist
• kommutativ: z1 · z2 = z2 · z1 ;
• assoziativ: z1 · (z2 · z3 ) = (z1 · z2 ) · z3 ;
• distributiv: z1 (z2 + z3 ) = z1 · z2 + z1 · z3 .
Auch diese Gesetze kann man einfach nachrechnen.
Aufgabe 5.2. Beweise das Kommutativ-, Assoziativ- und das Distributivgesetz
im Komplexen.
Jetzt müssen wir uns nur noch um die Division kümmern. Um etwa 3−i
1+i auszurechnen, können wir 3−i
=
a
+
bi
ansetzen;
Wegschaffen
des
Nenners
und
Aus1+i
multiplizieren liefert
3 − i = (a + bi)(1 + i) = a − b + (a + b)i.
Vergleich von Real- und Imaginärteil ergibt
a − b = 3,
woraus a = 1 und b = −2 folgt, also
a + b = −1,
84
5. Komplexe Zahlen
3−i
= 1 − 2i.
1+i
Etwas weniger umständlich ist aber die folgende Rechnung, deren Grundidee im
wesentlichen das Erweitern mit Hilfe der 3. binomischen formel ist:
3−i
(3 − i)(1 − i)
2 − 4i
=
=
= 1 − 2i.
1+i
(1 + i)(1 − i)
2
Allgemein erhält man auf diese Art
ac + bd bc − ad
a + bi
(a + bi)(c − di)
ac + bd + (bc − ad)i
= 2
+ 2
i.
=
=
2
2
c + di
(c + di)(c − di)
c +d
c + d2
c + d2
Diese Division ist immer dann ausführbar, wenn c2 +d2 6= 0 ist. Dies kann allerdings
nur eintreten, wenn c = d = 0, d.h. wenn der Nenner gleich 0 ist. Durch alle von
0 verschiedenen Zahlen kann man allerdings dividieren.
Auch bei der Division ist es Unsinn, sich diese Formel zu merken; man merkt
sich vielmehr die Idee dahinter, nämlich das Erweitern mit dem Konjugierten des
Nenners: dabei heißt die Zahl z = c − di die Konjugierte von z = c + di. Für das
Rechnen mit Konjugierten gilt:
Satz 5.3. Das Produkt einer komplexen Zahl z = a + bi mit ihrer Konjugierten
z = a − bi ist immer reell:
zz = (a + bi)(a − bi) = a2 + b2 .
Weiter gilt
1. z = z: zweimaliges Konjugieren liefert die Ausganszahl;
2. z1 + z2 = z1 + z2 : Konjugieren und Addieren kann man vertauschen;
3. z1 · z2 = z1 · z2 : Konjugieren und Multiplizieren kann man vertauschen.
Aufgabe 5.3. Beweise diesen Satz.
Rechenregeln
Der Betrag einer komplexen Zahl z = a + bi ist definiert als der Abstand von
a + bi vom Ursprung in der komplexen Zahlenebene, also durch
p
|z| = |a + bi| = a2 + b2 .
Die Konjugierte von z = a + bi ist die Zahl z = a − bi.
Aufgabe 5.4. Zeige die folgenden Rechenregeln:
• z = z;
5.2 Die Grundrechenarten in den komplexen Zahlen
85
• |z|2 = z · z;
• |z1 z2 | = |z1 | · |z2 |;
• z1 + z2 = z1 + z2 ;
• z1 z2 = z1 · z2 ;
1
z
= z1 ;
• |z| = |z|.
Der Realteil einer komplexen Zahl z = a + bi ist Re z = a, während der
Imaginärteil Im z = b ist.
Aufgabe 5.5. Zeige
• Re z = 12 (z + z), Im (z) =
1
2i (z
− z);
• | Re z| ≤ |z|, | Im z| ≤ |z|.
Satz 5.4. Für zwei komplexe Zahlen z1 , z2 ∈ C gilt die Dreiecksungleichung
|z1 + z2 | ≤ |z1 | + |z2 |.
Dabei gilt genau dann Gleichheit, wenn z1 = 0 oder z2 /z1 ∈ R eine reelle Zahl ist.
Zum Beweis berechnen wir das Quadrat von |z1 + z2 |:
|z1 + z2 | = (z1 + z2 )(z1 + z2 ) = (z1 + z2 )(z1 + z2 )
= z1 z1 + z2 z2 + z1 z2 + z1 z2 = |z1 |2 + 2 Re (z1 z2 ) + |z2 |2
≤ |z1 |2 + 2|z1 z2 | + |z2 |2 = |z1 |2 + 2|z1 | · |z2 | + |z2 |2
= (|z1 | + |z2 |)2 .
Gleichheit herrscht dabei genau dann, wenn Re (z1 z2 ) = |z1 z2 | ist, d.h. genau
dann, wenn z1 z2 eine reelle Zahl ist. Im Falle z1 6= 0 ist dies wegen
z1 =
genau dann der Fall, wenn
z2
z1
z1 z1
|z1 |2
=
z1
z1
eine reelle Zahl ist.
Zusammenfassung
Fassen wir noch einmal √
zusammen: mit Zahlen der Form z = a + bi, wo a und b
reelle Zahlen sind und i = −1 ist, kann man anstandslos rechnen; dabei braucht
man über i nur zu wissen, dass i2 = −1 ist.
(1 + 2i) + (−3 + i) = −2 + 3i,
(1 + 2i) − (−3 + i) = 4 + i,
(1 + 2i)(−3 + i) = −3 − 6i + i + 2i2 − 3 − 6i + i − 2 = −5 − 5i,
1 + 2i
(1 + 2i)(−3 − i)
−1 − 7i
1
7
=
=
= − − i.
−3 + i
(−3 + i)(−3 − i)
10
10 10
86
5. Komplexe Zahlen
Quadratwurzeln
√
√
Man könnte nun meinen, dass man, um auch Ausdrücke wie i oder 1 + i wieder
neue (sagen wir “hyperkomplexe”) Zahlen braucht. Es ist ein kleines Wunder, dass
das nicht der Fall ist: man kann innerhalb √
der komplexen Zahlen alle möglichen
Wurzeln ziehen. Wir wollen das einmal für i vormachen. Setzt man
√
i = a + bi,
so folgt durch Quadrieren
a2 − b2 + 2abi = i,
also
a2 − b2 = 0,
2ab = 1.
Die erste Gleichung liefert b = ±a; setzt man b = a in die zweite ein, folgt 2a2 = 1,
also a = √12 und damit
√
1
1
i= √ + √ ·i=
2
2
√
√
2+i 2
.
2
Man rechnet leicht nach, dass das Quadrat der komplexen Zahl auf der rechten
Seite in der Tat gleich i ist.
√
Aufgabe 5.6. Welche Werte für i erhält man bei anderen Wahlen der Vorzeichen?
Auch das Ziehen einer Quadratwurzel aus
√ nicht ganz so einfachen komplexen
Zahlen ist nicht wirklich schwerer. Um z.B. −3 + 4i zu bestimmen, machen wir
denselben Ansatz: wir setzen
√
−3 + 4i = a + bi
und suchen reelle Zahlen a, b, welche diese Gleichung erfüllen. Quadrieren ergibt
−3 + 4i = (a + bi)2 = a2 − b2 + 2abi,
und diese komplexe Gleichung kann nur gelten, wenn die beiden reellen Gleichungen
a2 − b2 = −3 und 2ab = 4
gelten. Löst man die zweite Gleichung nach b =
Gleichung ein, so folgt
4
a2 − 2 = −3,
a
nach wegschaffen des Nenners also
2
a
auf und setzt dies in die erste
a4 + 3a2 − 4 = 0.
Mittels Substitution x = a2 findet man so 0 = x2 + 3x − 4 = (x − 1)(x + 4), also
x1 = 1 und x2 = −4. Rücksubstitution ergibt die beiden Gleichungen
5.2 Die Grundrechenarten in den komplexen Zahlen
a2 = 1
87
und a2 = −4.
Da a eine reelle Zahl sein soll, hat die zweite Gleichung keine Lösungen, und es
bleibt a1 = −1 und a2 = 1, woraus sich mit b = a2 sofort b1 = −2 und b2 = +2
ergibt. Also ist
−3 + 4i = (−1 − 2i)2 = (1 + 2i)2 .
Im Gegensatz zur Situation im Reellen, wo man die Quadratwurzel aus einer positiven Zahl immer positiv wählen kann, ist es aber im Komplexen nicht möglich (oder
ratsam), das Vorzeichen einer Quadratwurzel eindeutig festzunageln. Tatsächlich
muss man im Komplexen
Aufpassen!
Man sehe und staune:
−1 = i2 =
√
−1 ·
√
−1 =
p
(−1)(−1) =
√
1 = +1.
Wo liegt der Fehler? In den Gleichungen
√
√
−1 = i2 = −1 · −1
kann er nicht liegen, da dies im wesentlichen die Definition von i ist. Ebenfalls
richtig sind die Gleichungen
p
√
(−1)(−1) = 1 = +1,
die ja ganz im Reellen stattfinden. Der Fehler muss also in der Gleichung
p
√
√
−1 · −1 = (−1)(−1)
liegen. In der Tat gilt das von den reellen Zahler her bekannte Gesetz
√
√ √
a · b = ab
im Komplexen nicht mehr. Dass es in den reellen Zahlen gilt liegt daran, dass man
dort aus den beiden möglichen Wurzeln die positive Wurzel heraussuchen kann;
eine solche “kanonische” Wahl der Quadratwurzel gibt es aber im Komplexen
nicht mehr.
Ebenso wie Multiplikation und Division kann man das Ziehen der Quadratwurzel auch für beliebige komplexe Zahlen z = c + di durchführen. Dabei setzen wir,
weil uns das nachher gelegen kommt, voraus, dass d 6= 0 ist, weil wir in diesem
Fall die Quadratwurzel aus der Zahl c problemlos berechnen können. Der Ansatz
√
c + di = a + bi
liefert wie oben
c + di = (a + bi)2 = a2 − b2 + 2abi,
88
5. Komplexe Zahlen
also die beiden reellen Gleichungen
c = a2 − b2
Setzt man b =
d
2a
und d = 2ab.
in die erste Gleichung ein und beseitigt den Nenner, so folgt
4a4 − 4ca2 − d2 = 0.
Mit a2 = x wird daraus
4x2 − 4cx − d2 = 0,
was auf
√
√
16c2 + 16d2
4c ± 4 c2 + d2
c ± c2 + d2
=
=
8
8
2
√
führt. Weil
aber |c| < c2 + d2 ist (hier benutzen wir d 6= 0), ist die Lösung
√
2
2
x2 = c− c2 +d immer negativ, sodass Resubstitution a2 = x2 auf keine reelle
Lösung a führt. Es kommt also nur die Gleichung
√
c + c2 + d2
2
a =
2
x1,2 =
4c ±
√
in Frage, und dies liefert für
s
a=
c+
√
c2 + d2
2
nach leichter Rechnung den Wert
b=
d
d
= q√
2a
c2 +d2 +c
2
2
q√
s√
c2 +d2 −c
d
c2 + d2 − c
2
q√
= q√
=±
,
2
c2 +d2 +c
c2 +d2 −c
2
2
2
wobei das Vorzeichen (bei a > 0 wie hier) so zu wählen ist, dass b und d dasselbe
Vorzeichen besitzen.
Zweite Möglichkeit
√
√
aus −3 − 4i
Wenn wir oben statt −3 + 4i = ±(1 + 2i) die Quadratwurzel
√
berechnen, kommen wir mit derselben Methode auf −3 − 4i = ±(1 − 2i). Das
ist auch kein Wunder: ist (a + bi)2 = c + di, so muss auch (a − bi)2 = c − di sein,
wie man sofort nachrechnet. Umgekehrt kann man diese Beobachtung benutzen,
um die Gleichung
√
−3 + 4i = a + bi
lösen. Dazu setzt man
√
−3 − 4i = a − bi;
5.2 Die Grundrechenarten in den komplexen Zahlen
89
Addition dieser Gleichungen liefert
√
√
−3 + 4i + −3 − 4i = 2a.
Quadrieren ergibt
√
√
−3 + 4i + 2 −3 + 4i · −3 − 4i − 3 − 4i = 4a2 ,
also
√
4a2 = −6 + 2 25 = 4
und daraus wie oben
a = ±1.
Entsprechend finden wir durch Multiplikation der Gleichungen
√
5 = 25 = (a + bi)(a − bi) = a2 + b2 ,
also b2 = 4 und damit b = ±2.
Hier haben wir etwas gemogelt, weil wir ja schon gesehen haben, dass die Regel
√
√ √
z1 z2 = z1 z2 im Komplexen gar nicht gilt. Dies hat auch dazu geführt, dass
wir statt zwei Lösungen jetzt vier potentielle Lösungen a + bi = ±1 ± 2i haben.
Nicht viel besser läuft es, wenn wir die beiden Ausgangsgleichungen voneinander abziehen: dann wird
√
√
−3 + 4i − −3 − 4i = 2bi,
also nach Quadrieren
√
−4b2 = −6 − 2 25 = −16,
was wieder auf b2 = 4 und damit b = ±2 führt. Beim Wurzelziehen nach dieser
Methode ist also eine Probe Pflicht, um aus den vier möglichen Lösungen die
beiden richtigen herauszufinden. Wegen
(1 + 2i)2 = −3 + 4i
gilt daher
√
und
(1 − 2i)2 = −3 − 4i
−3 + 4i = ±(1 + 2i).
90
5. Komplexe Zahlen
5.3 Komplexe Zahlen als geometrische Abbildungen
5.3.1 Die Gaußsche Zahlenebene
Um mit komplexen Zahlen rechnen zu können, braucht man keine geometrische
Darstellung der komplexen Zahlen. Diese helfen aber dabei, sich etwas unter diesen
“imaginären Größen” vorstellen zu können.
Die Gaußsche Zahlenebene besteht aus
Punkten einer Ebene, in denen die waagrechte Achse die übliche reelle Zahlengerade ist, die senkrechte aber die “imaginäre”
Achse, auf der also die Zahlen i, 2i, 3i usw.
liegen. Die Zahl 2 + 3i hat in dieser Zahlenebene die Koordinaten
(2, 3) und kann
mit dem Vektor 23 identifiziert werden.
Addition und Subtraktion zweier komplexer Zahlen entspricht der üblichen Addition bzw. Subtraktion der dazugehörigen
Vektoren. So ist (−1+2i)+(2+3i) = 1+5i
die komplexe
der Vektoraddition
Version
−1
2 = 1 .
+
3
5
2
Der große Unterschied zwischen komplexen Zahlen und Vektoren im R2 ist
die Tatsache, dass man Vektoren zwar addieren und subtrahieren, sowie Vektoren
mit reellen Zahlen multiplizieren kann, aber dass man nicht einfach zwei Vektoren
im R2 so miteinander multiplizieren
dass ein Vektor dabei herauskommt.
kann,
setzen, aber einerseits hat ein
Natürlich könnte man einfach ab · dc = ac
bd
solches Produkt kaum Anwendungen, zum anderen macht
die Division
Schwierigkeiten, weil es sogenannte “Nullteiler” gibt: es ist ja 10 · 01 = 00 , ohne dass
einer der beiden Vektoren der Nullvektor wäre.
Komplexe Zahlen dagegen lassen sich problemlos multiplizieren. Bevor wir uns
überlegen, was die Multiplikation komplexer Zahlen geometrisch bedeutet, erklären
wir eine andere Art, komplexe Zahlen darzustellen.
Polarkoordinaten
Der Abstand eines Punkts z = a+bi vom Ursprung in der Gaußschen Zahlenebene
ist offenbar gegeben durch
p
p
√
r = a2 + b2 = (a + bi)(a − bi) = z · z.
5.3 Komplexe Zahlen als geometrische Abbildungen
91
Punkte mit demselben Abstand r vom Ursprung liegen auf einem Kreis mit Radius
r um den Ursprung; auf diesem Kreis ist
jeder Punkt durch die Angabe des Winkels
φ zwischen der reellen Achse und der Ursprungsgeraden durch diese Zahl eindeutig
festgelegt. Für diesen Winkel φ gelten√im
Falle von z = 2 + 3i wegen r = |z| = 13
die folgenden Gleichungen:
tan φ =
3
,
2
2
cos φ = √ ,
13
3
sin φ = √ .
13
Diese Gleichungen werden einfacher, wenn man Punkte auf dem Einheitskreis
betrachtet, also komplexe Zahlen vom Betrag 1. Offenbar kann man jede Zahl als
Produkt einer reellen Zahl und einer komplexen Zahl vom Betrag 1 schreiben; so
ist z.B.
2
√
3 2 + 3i = 13 · √ + √ i .
13
13
√
√
2
2
Hierbei ist 13 = 2 + 3 = |z| der Betrag von z = 2 + 3i, und durch Ausklammern dieses Betrags bleibt eine komplexe Zahl z1 vom Betrag 1 als Faktor in der
Klammer. Diese Zahl vom Betrag 1 hat offenbar die Form
z1 = cos φ + i sin φ,
wobei φ den Winkel zwischen reeller Achse und Ursprungsgerade durch z bzw. z1
bezeichnet.
Satz 5.5. Jede komplexe Zahl z = a + bi 6= 0 kann man eindeutig in der Form
z = r(cos φ + i sin φ)
schreiben, wobei r = |z| ihr Betrag und 0 ≤ φ < 2π der Winkel wischen reeller
Achse und Ursprungsgerade durch z ist.
Drehstreckungen
Jede komplexe Zahl definiert per Addition eine Abbildung der Gaußschen Zahlenebene in sich. Damit ist folgendes gemeint: die Addition von +1 zu einer Zahl in
der Gaußschen Zahlenebene verschiebt diese um 1 nach rechts; Addition von i entspricht einer Verschiebung um 1 nach oben, und Addition von 1−2i ist Verschieben
um 1 nach rechts und um 2 nach unten.
Die Multiplikation mit komplexen Zahlen ist da etwas interessanter (außer die
Multiplikation mit 0, die alles auf die 0 wirft, und die Multiplikation mit 1, die
ebensowenig macht wie die Addition mit 0, nämlich rein gar nichts). Multiplikation
mit 2 bildet jede Zahl a + bi auf ihr Doppeltes 2a + 2bi ab; in der Geometrie nennt
man eine solche Abbildung eine Streckung (mit Zentrum 0 = (0|0)).
92
5. Komplexe Zahlen
Die Multiplikation mit i dagegen ist keine Streckung: sie bildet die 1 auf i und
die i auf −1 ab; entsprechend wird 3+2i
auf die Zahl −2 + 3i abgebildet: statt
3 nach rechts und 2 nach oben geht es
jetzt 3 nach oben und 2 nach links. Allgemeiner wird a + bi auf (a + bi)i =
−b + ai abgebildet: das ist nichts anderes als eine Drehung um 90◦ .
Multiplikation mit 2i ist dasselbe wie Multiplikation mit 2 und dann mit i;
geometrisch entspricht der Multiplikation mit 2i als eine Streckung mit Faktor 2
gefolgt von einer Drehung um 90◦ : so etwas nennt man eine Drehstreckung.
Die Multiplikation mit −1 ist geometrisch eine Spiegelung am Ursprung, oder,
was dasselbe ist, eine Drehung um 180◦ . Das ist auch nicht erstaunlich, denn
Multiplikation mit −1 = i · i entspricht der zweimaligen Multiplikation mit i, also
zwei Drehungen um je 90◦ .
√
Geometrisch
√ √ sollte jetzt einleuchten, was die Multiplikation ◦mit i bedeutet:
wegen i · i = i sollte es sich dabei um eine Drehung um 45 handeln, da die
zweimalige Ausführung eine Drehung um 90◦ ergibt. Dies ist in der Tat der Fall;
allerdings spielt die Zweideutigkeit der Quadratwurzel auch hier hinein: es ist nicht
nur 2 · 45◦ = 90◦ , sondern auch 2 · 225◦ = 450◦ = 360◦ + 90◦ , und da eine Drehung
um 360◦ nichts bewirkt, läuft auch zweimaliges Drehen um 225◦ auf eine Drehung
um 90◦ hinaus.
Die rechnerische Interpretation der Drehung um 45◦ ist einfach: wir haben oben
ausgerechnet, dass
√
√
√
2
2
i=
+
i
2
2
ist, und dass diese Zahl in Polarkoordinaten
durch den Abstand 1 vom Ursprung
√
und dem Winkel φ mit cos φ = 22 festgelegt ist. Wie man am gleichschenkligen
√
rechtwinkligen Dreieck ablesen kann, ist in der Tat sin 45◦ = cos 45◦ = 22 .
Allgemein bedeutet die Multiplikation
mit einer komplexen Zahl a+bi 6= 0 eine
√
Streckung mit Faktor r = |a + bi| = a2 + b2 und eine anschließende Drehung um
den Winkel φ, wobei
a + bi = r(cos φ + i sin φ)
gilt.
Komplexe Zahlen mit Betrag 1 sind solche, die vom Ursprung den Abstand 1
haben, die also auf dem “komplexen” Einheitskreis liegen. Diese Zahlen kann man
also in der Form
a + bi = cos φ + i sin φ
schreiben, und ihnen entsprechen geometrisch Drehungen um den entsprechenden
Winkel. Führt man zwei solcher Drehungen hintereinander aus, ist also z.B.
z1 = a + bi = cos α + i sin α
und z2 = c + di = cos β + i sin β,
5.4 Einheitswurzeln
93
dann entspricht der Multiplikation mit z1 z2 eine Drehung um den Winkel α + β.
Es muss also einerseits
z1 z2 = (cos α + i sin α)(cos β + i sin β)
= cos α cos β − sin α sin β + i(cos α sin β + sin α cos β)
gelten, andererseits aber auch
z1 z2 = cos(α + β) + i sin(α + β)
sein. Vergleich von Real- und Imaginärteil liefert so die beiden Additionsformeln
cos(α + β) = cos α cos β − sin α sin β,
sin(α + β) = cos α sin β + sin α cos β.
5.4 Einheitswurzeln
Für jede natürliche Zahl n ≥ 1 heißt eine komplexe Zahl z mit z n = 1 eine n-te
Einheitswurzel.
Die erste Einheitswurzel ist die Lösung der Gleichung z = 1, also z = 1. Zweite
Einheitswurzeln gibt es zwei, nämlich die beiden Lösungen z1 = −1 und z2 = +1
der Gleichung z 2 = 1.
Vierte Einheitswurzeln gibt es vier: die Gleichung z 4 = 1 kann man in der
Form 0 = z 4 − 1 = (z 2 − 1)(z 2 + 1) schreiben, und dann lassen sich die Lösungen
z1 = i, z2 = −1, z3 = −i und z4 = i ablesen.
Bei den dritten Einheitswurzeln gibt es eine Kleinigkeit zu rechnen: aus z 3 = 1
folgt 0 = z 3 − 1 = (z − 1)(z 2 + z + 1); außer z3 = 1 gibt es√noch zwei weitere√dritte
Einheitswurzeln, nämlich die beiden Lösungen z1 = −1+2 3 i und z2 = −1−2 3 i .
Weiter ist leicht zu sehen, dass −z eine sechste Einheitswurzel ist, wenn z
eine dritte Einheitswurzel ist: mit z 3 = 1 ist ja (−z)3 = −z 3 = −1 und damit
(−z)6 = 1. Die sechsten Einheitswurzeln sind also die dritten Einheitswurzeln und
ihre Negativen.
Die achten Einheitswurzeln haben wir im Prinzip schon bestimmt: aus z 8 = 1
folgt ja
0 = z 8 − 1 = (z 4 − 1)(z 4 + 1) = (z 2 − 1)(z 2 + 1)(z 2 − i)(z 2 + i),
und außer den bereits bekannten vierten Einheitswurzeln ergeben sich so noch
die
√ √
√
√
2i
zusätzlichen Einheitswurzeln ± i und ± −i, die gegeben sind durch ± 2±
.
2
Damit haben wir folgende Tabelle:
94
5. Komplexe Zahlen
n
nte Einheitswurzeln
1
1
2
−1, +1
3
√
√
−1+ 3 i −1− 3 i
,
,1
2
2
4
6
8
i, −1, −i, 1
√
√
± −1+2 3 i , ± −1−2 3 i , ±1
√ √
2i
±1, ±i, ± 2±
2
Die Bestimmung der 5ten Einheitswurzeln ist bereits ziemlich aufwendig. Aus
z 5 − 1 = 0 ergibt sich durch Polynomdivision
0 = z 5 − 1 = (z − 1)(z 4 + z 3 + z 2 + z + 1).
Die Gleichung
z4 + z3 + z2 + z + 1 = 0
ist eine reziproke Gleichung, die sich nach der Standardtechnik lösen lässt.
Aufgabe 5.7. Löse die Gleichung z 4 + z 3 + z 2 + z + 1 = 0.
Wenn man sieht, dass
z 4 + z 3 + z 2 + z + 1 = (z 2 + 21 z + 1)2 − 54 z 2
ist, dann hat man sofort gewonnen, denn aus
(z 2 + 12 z + 1)2 = 45 z 2
folgt durch Wurzelziehen
z 2 + 12 z + 1 = ±
√
5
2 z;
bringt man alles auf eine Seite, hat man die quadratischen Gleichungen
√
1∓ 5
2
z+1=0
z +
2
zu lösen. Hieraus erhält man direkt die vier Lösungen
q √
q √
√
√
−1+ 5
5+ 5
−1− 5
±
i
± 5−2 5 i
2
2
2
z1,2 =
, z3,4 =
.
2
2
Wenn man sich die Lage der Einheitswurzeln in der komplexen Ebene ansieht,
stellt man erstens fest, dass natürlich alle auf dem Einheitskreis liegen: wegen
z n = 1 ist sicherlich auch |z n | = |z|n = 1, also |z| = 1. Allerdings sind die
Einheitswurzeln auf dem Einheitskreis regelmäßig verteilt: die dritten Einheitswurzeln bilden ein gleichseitiges Dreieck, die vierten ein Quadrat. Entsprechend
bilden die sechsten und achten Einheitswurzeln regelmäßige 6- und 8-Ecke, und
5.5 Konstruktion der regelmäßigen Vielecke
95
die fünften Einheitswurzeln ein regelmäßiges Pentagon. Legt man das gleichseitige
Dreieck und das Pentagon übereinander und verbindet die beiden am nächsten
zueinander liegenden Punkte auf dem Einheitskreis, so erhält man durch wiederholtes Abtragen dieser Strecke ein regelmäßiges 15-Eck. Die entsprechenden 15.
Einheitswurzeln erthält man, indem man 3. und 5. Einheitswurzeln miteinander
multipliziert.
In einem regelmäßigen n-Eck ist der Innenwinkel, der von zwei benachbarten
Ecken und dem Mittelpunkt definiert wird, gleich 2π
n . Schreibt man die (von der
1 aus gesehen im Gegenuhreigersinn erste) n-te Einheitswurzel in der Form ζn =
2π
.
xn + iyn , so ist xn = cos 2π
n und yn = sin
√n
3
1
Die 3. Einheitswurzel ist ζ3 = − 2 + 2 i, also ist
cos
1
2π
=−
3
2
√
Die 8. Einheitswurzel ist ζ8 =
2
2
und
sin
√
2π
3
=
.
3
2
√
+
√
2π
2
cos
=
8
2
2
2
i, folglich
und
√
2π
2
sin
=
.
8
2
Diese Gleichungen hätten sich auch leicht allein mit dem Satz des Pythagoras
herleiten lassen; im Falle des regelmäßigen Pentagons dagegen finden wir
s
√
√
2π
−1 + 5
2π
1 5− 5
cos
=
und sin
=
.
5
4
5
2
2
Es ist kein Zufall, dass die bereits die alten Griechen wussten, wie man mit
Zirkel und Lineal regelmäßige n-Ecke mit n = 3, 3, 5, 6, 8, 12 oder 15 konstruiert.
Der wesentliche Grund dafür, dass dies möglich ist, ist der, dass die entsprechenden
Einheitswurzeln Ausdrücke sind, die nur aus rationalen Zahlen und Quadratwurzeln bestehen.
5.5 Konstruktion der regelmäßigen Vielecke
Euklid konstruiert ein regelmäßiges (also gleichseitiges) Dreieck in der ersten Proposition des ersten Buchs der Elemente:
Über einer gegebenen Strecke ein gleichseitiges Dreieck zu errichten.
Die Vorgehensweise Euklids ist bei seinen Konstruktionen immer die gleiche:
1. Die Konstruktion wird ausgeführt.
2. Es wird bewiesen, dass die Konstruktion das Gewünschte leistet.
96
5. Komplexe Zahlen
Dritte und Vierte Einheitswurzeln
Sechste und Achte Einheitswurzeln
5. und 15. Einheitswurzeln
5.5 Konstruktion der regelmäßigen Vielecke
97
Für den ersten Schritt zieht Euklid
einen Kreis mit Mittelpunkt A durch
B und einen zweiten Kreis mit Mittelpunkt B durch A; einen der beiden
Schnittpunkte der Kreise nennt er C;
das gesuchte Dreieck ist dann ABC.
Der Beweis, dass ABC gleichseitig ist, ist einfach: Nach Konstruktion liegt C
auf dem Kreis um A durch B, also ist AB = AC. Weiter liegt C auf dem Kreis
um B durch A, also ist BA = BC. Daraus folgt, dass alle drei Strecken AB, BC
und CA dieselbe Länge haben.
Ebenfalls leicht ist die Konstruktion eines einem gegebenen Kreis einbeschriebenen Quadrats (Proposition IV.6).
In einem Kreis mit Mittelpunkt M wird
ein Durchmesser AC gezogen. Die Kreise mit Mittelpunkt A durch C bzw. mit
Mittelpunkt C durch A schneiden sich
in den Punkten E und F; die Gerade EF
schneidet den Kreis in B und D; das gesuchte Quadrat ist ABCD.
Zum Nachweis, dass ABCD ein Quadrat ist, muss man zeigen, dass alle Seiten
gleich lang sind und alle Innenwinkel rechte Winkel sind.
Da E und F denselben Abstand von A und C haben, ist die Gerade EF die
Mittelsenkrechte der Strecke AC. Die Seiten AM, MD und MC der Dreiecke AMD
und DMC sind gleich dem Radius, also gleich lang, und die eingeschlossenen Winkel
sind rechte Winkel. Also sind die beiden Dreiecke kongruent, und es ist AD = CD.
Entsprechend zeigt man, dass auch die andern Seiten des Vierecks ABCD einander
gleich sind.
Da AC ein Durchmesser ist, liegen B und D auf Halbkreisen über AC, und
nach dem Satz von Thales sind die Winkel ^ABC = ^ADC = 90◦ . Weil auch BD
ein Durchmesser ist, folgt dasselbe für die Winkel in A und C. Also ist ABCD ein
Quadrat.
Die Konstruktion eines Pentagons, als eines regelmäßiegen Fünfecks, ist bei
Euklid recht langwierig. Wir geben stattdessen einen kurzen Beweis.
98
5. Komplexe Zahlen
Auf einem Kreis verschaffe man sich
zwei aufeinander senkrecht stehende
Durchmesser (auf den Geraden MA und
MN; vgl. Abb.) wie bei der Konstruktion des einem Kreis einbeschriebenen
Quadrats. Sei F der Mittelpunkt von
MN; der Kreis um F durch A schneidet die Gerade MN in G; der Kreis um
A durch G schneidet den Kreis in E.
Trägt man die Strecke AE fünfmal auf
dem Kreis ab, entsteht ein regelmäßiges
Pentagon ABCDE.
Anstatt einen euklidischen Beweis zu geben, wollen wir die Sache einmal durchrechnen. Wenn wir dem M (0|0) annehmen und dem Punkt A die Koordinaten (1|0)
geben, dann ist F (0| 21 ). Der Punkt G hat denselben Abstand von F wie A; nun
q
√
√
ist nach dem Satz des Pythagoras AF = 14 + 1 = 25 , folglich ist G(0| 1−2 5 ).
Die beiden Punkte B und E sind die Schnittpunkte des Einheitskreises mit dem
Kreis um A durch G; letzterer hat Radius r, wobei nach Pythagoras
√
1 − √5 2
5− 5
2
2
2
2
r = AG = M A + M G = 1 +
=
2
2
gilt. Die beiden Kreise haben also die Gleichungen
x2 + y 2 = 1
und
(x − 1)2 + y 2 =
√
5− 5
.
2
Elimination von y führt auf
√
5− 5
x − (x − 1) = 1 −
,
2
2
2
also auf die Gleichung
−1 +
2x =
2
√
5
und damit auf
−1 +
x=
4
√
5
.
Das ist die x-Koordinate der 5. Einheitswurzel, die wir weiter oben berechnet
hatten.