5. Teil des Skriptes (Seiten 38 bis 45) [update: 31.10.2011]

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5. Teil des Skriptes (Seiten 38 bis 45) [update: 31.10.2011]
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KAPITEL 2. RINGE
in (“ideale” und klassische) Primfaktoren zu erhalten. Dedekindringe werden
in der algebraischen Zahlentheorie genauer untersucht.
Wir wollen zum Schluss noch zeigen, dass jeder vom Nullring verschiedene
Ring mit Eins ein maximales Ideal besitzt. Wir benötigen dazu das Lemma
von Zorn; dieses ist äquivalent zum Auswahlaxiom und ebenfalls äquivalent
zum Wohlordnungssatz. Wir wollen hier nicht näher auf diese Äquivalenzen
eingehen.
Lemma 2.5.19 (Lemma von Zorn (engl.: Zorn’s Lemma)). Sei M eine nichtleere, partiell geordnete Menge, d.h. es gibt eine Relation ≤ auf M , die reflexiv,
antisymmetrisch und transitiv ist.3 Hat jede aufsteigende Kette in M eine obere
Schranke, d.h. zu jeder Teilmenge N ⊆ M mit ∀x, y ∈ N : x ≤ y ∨ y ≤ x gibt
es ein z ∈ M mit ∀x ∈ N : x ≤ z, dann besitzt M ein maximales Element
bzgl. ≤, d.h. es gibt ein Element x ∈ M , so dass für y ∈ M mit x ≤ y folgt
x = y.
Satz 2.5.20. Angenommen, das Lemma von Zorn gilt. Ist R 6= 0 ein Ring mit
Eins, so hat R ein maximales Ideal.
Beweis. Betrachte die Menge M der Ideale 6= R von R. Da R 6= 0 ist, ist 0 ein
echtes IdealSin R, womit M 6= ∅ ist. Ist nun I eine Kette von Idealen in M,
so ist I := J∈I J ebenfalls ein Ideal in R. Da 1 6∈ J für alle J ∈ I gilt, folgt
auch 1 6∈ I, womit I ∈ M ist. Damit sind die Voraussetzungen des Zornschen
Lemmas erfüllt und M besitzt ein maximales Element bzgl. der Inklusion. Ein
solches Element ist offensichtlich ein maximales Ideal.
2.6
Euklidische Ringe
In diesem Abschnitt wollen wir euklidische Ringe studieren: das sind Integritätsbereiche, in denen es eine “Division mit Rest” gibt. Es wird sich zeigen,
dass jeder euklidische Ring ein Hauptidealbereich ist und somit faktoriell.
Weiterhin benötigen wir euklidische Ringe, um zu zeigen, das Polynomringe
über faktoriellen Ringen wieder faktoriell sind. Dazu benötigen wir noch eine
weitere Konstruktion: Quotientenkörper. Diese liefert zum Integritätsbereich
Z den Körper Q, der sich aus Brüchen von Elementen aus Z ergibt.
Definition 2.6.1. Ein Integritätsbereich R heisst euklidisch (engl.: euclidean), falls es eine Abbildung d : R \ {0} → N gibt mit der Eigenschaft, dass
man zu f, g ∈ R mit g 6= 0 Elemente q, r ∈ R finden kann mit f = qg + r
und entweder r = 0 oder d(r) < d(g). Die Funktion d wird auch Gradfunktion
(engl.: degree function) genannt.
Beispiel 2.6.2. Das wichtigste Beispiel sind die ganzen Zahlen: hier ist d(x) =
|x|, und die Existenz von q und r ist gerade die Division mit Rest, wobei r der
Rest und q der Quotient ist.
3
Das bedeutet: sind x, y, z ∈ M , so gilt: (1) x ≤ x; (2) aus x ≤ y und y ≤ x folgt x = y;
(3) aus x ≤ y und y ≤ z folgt x ≤ z.
2.6. EUKLIDISCHE RINGE
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√
Beispiel 2.6.3. Die Ringe Z[i] und Z[ 2] sind euklidisch. Die √
Gradfunktionen
sind √
durch d1 : Z[i] \ {0} → N, a + bi 7→ a2 + b2 und d2 : Z[ 2] \ {0} → N,
a + b 2 7→ |a2 − 2b2 | gegeben.
Bevor wir Polynomringe über Körpern betrachten und zeigen, dass diese
euklidisch sind, wollen wir zeigen, dass jeder euklidische Ring ein Hauptidealbereich ist.
Satz 2.6.4. Jeder euklidische Ring ist ein Hauptidealbereich.
Eine wichtige Folgerung hieraus ist, dass jeder euklidische Ring faktoriell
ist: dies folgt direkt mit Satz 2.4.15, den wir im vorherigen Abschnitt bewiesen
haben.
Beweis. Sei R euklidisch mit d : R \ {0} → N und sei I ein Ideal 6= 0 in R.
Die Funktion d nimmt auf I \ {0} ein Minimum an; sei x ∈ I mit d(x) =
min{d(i) | i ∈ I \ {0}}. Offensichtlich ist hxi ⊆ I. Sei nun y ∈ I und schreibe
y = qx + r mit q, r ∈ R so dass entweder r = 0 oder d(r) < d(x). Ist r 6= 0, so
ist r = qx − y ∈ I, da x, y ∈ I, was jedoch ein Widerspruch zur Minimalität
von d(x) ist. Deswegen muss r = 0 sein, und wir haben y ∈ hxi. Es folgt also
I = hxi.
Man kann Faktorringe von euklidischen Ringen auch besser beschreiben als
allgemeine Faktorringe:
Beispiel 2.6.5. Sei R ein euklidischer Ring und I ⊆ R ein Ideal, I 6= 0. Dann
gibt es ein n ∈ R mit I = hni. Weiterhin gilt
R/I = R/nR = {g + nR | g ∈ R, d(g) < d(n)}.
Diese Darstellung von Elementen als g + nR mit d(g) < d(n) ist nicht notwendigerweise eindeutig: ist R = Z und etwa n = 2, so erhalten wir
Z/2Z = {−1 + 2Z, 0 + 2Z, 1 + 2Z},
wobei −1 + 2Z = 1 + 2Z ist. Wenn man hier zusätzlich g ≥ 0 fordert, wird die
Darstellung für R = Z eindeutig, und man erhält
Z/nZ = {0 + nZ, 1 + nZ, . . . , (n − 1) + nZ};
vergleiche auch Beispiel 2.2.16. Der Ring Z/nZ hat also genau n Elemente.
Ist R = K[X] mit einem Körper K, so ist Division mit Rest eindeutig, wie
der nächste Satz zeigt, und man hat eine Bijektion zwischen den Polynomen
von Grad < degX n und den Elementen in R/nR.
Wir wollen nun zeigen, dass es in Polynomringen eine Division mit Rest
gibt. Wir lassen im Folgenden den Index X bei LCX und degX weg, da wir
uns in Polynomringen in genau einer Unbestimmten bewegen.
Satz 2.6.6 (Polynomdivision (engl.: Polynomial Division)). Sei R ein kommutativer Ring mit Eins und seien f, g ∈ R[X] mit g 6= 0 und LC(g) ∈ R∗ .
Dann gibt es eindeutig bestimmte q, r ∈ R[X] mit f = qg+r und deg r < deg g.
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KAPITEL 2. RINGE
Beweis. Wir zeigen zuerst die Eindeutigkeit. Sei f = qg + r = q ′ g + r′ mit
q, q ′ , r, r′ ∈ R[X] und deg r, deg r′ < deg g. Dann gilt r − r′ = (q ′ − q)g und
deg(r − r′ ) < deg g. Da LC(g) eine Einheit und somit ein Nichtnullteiler und
somit deg((q ′ −q)g) = deg(q ′ −q)+deg g ist, kann nur deg(r−r′ ) = deg((q ′ −q)g)
sein, falls deg(q ′ − q) = −∞ = deg(r − r′ ) ist, also r = r′ und q = q ′ .
Wir zeigen die Existenz von q und r per Induktion nach deg f . Ist deg f <
deg g, so setze q := 0 und r := f ; dann gilt deg r < deg g und f = qg + r. Für
den Induktionsschritt sei n = deg f und fˆ := f − LC(f ) LC(g)−1 X n−deg g g.
Das Polynom LC(f ) LC(g)−1 X n−deg g g hat Grad n und Leitkoeffizient LC(f ),
womit deg fˆ < n ist. Nach Induktionsvoraussetzung gibt es q̂, r̂ ∈ R[X] mit
fˆ = q̂g + r̂ und deg r̂ < deg g. Setze
q := LC(f ) LC(g)−1 X n−deg g + q̂
und r := r̂;
dann gilt
qg + r = (LC(f ) LC(g)−1 X n−deg g + q̂)g + r̂
= LC(f ) LC(g)−1 X n−deg g g + fˆ = f.
Da in einem Körper jedes Element 6= 0 eine Einheit ist, erhalten wir sofort:
Korollar 2.6.7. Ist K ein Körper, so ist K[X] mit degX ein euklidischer Ring
und somit insbesondere ein Hauptidealbereich und faktoriell.
Beispiel 2.6.8. Sei K = Z/2Z; da 2 prim in Z ist, ist h2i = 2Z ein maximales
Ideal und K somit ein Körper mit zwei Elementen (vergleiche Beispiel 2.2.12).
Betrachte f = X 3 + X + 1 ∈ K[X]; der Ring R := K[X]/hf i = K[X]/f K[X]
hat genau 2deg f = 23 = 8 Elemente, und zwar
0 + f K[X],
1 + X + f K[X],
X + X 2 + f K[X],
1 + f K[X],
X 2 + f K[X],
1 + X + X 2 + f K[X].
X + f K[X],
1 + X 2 + f K[X],
Wir werden später sehen, dass f ∈ K[X] irreduzibel ist. Damit folgt, dass R
ein Körper mit 8 Elementen ist. Wir werden am Ende der Vorlesung sehen,
dass dies bis auf Isomorphie der einzige Körper mit 8 Elementen ist.
Somit ist neben Z jeder Polynomring in einer Unbestimmten über einem
Körper euklidisch. Das folgende Resultat zeigt, dass wir mit Polynomringen
nicht weitere euklidische Ringe erhalten können:
Korollar 2.6.9. Sei R ein kommutativer Ring mit Eins und S eine nichtleere Menge von Unbestimmten. Dann ist R[S] genau dann euklidisch, falls
R ein Körper und |S| = 1 ist. Dies ist genau dann der Fall, wenn R[S] ein
Hauptidealbereich ist.
Beweis. Ist R ein Körper und |S| = 1, so ist R[S] euklidisch und somit insbesondere ein Hauptidealbereich; dies haben wir oben bereits gesehen. Um den
Beweis abzuschliessen, müssen wir zeigen, dass sobald eine der Bedingungen
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2.6. EUKLIDISCHE RINGE
verletzt ist, ein Nicht-Hauptideal in R[S] existiert. Ist R kein Körper, so ist
das Nullideal nach Satz 2.5.7 kein maximales Ideal, womit es ein Ideal I in R
gibt mit 0 $ I $ R. Ist R ein Körper, so setze I := 0.
Setze J := IR[S] + SR[S]; dies sind gerade alle Polynome, deren konstanter Term in I liegt. Insbesondere enthält J nicht das konstante Polynom 1.
Angenommen, es gibt ein f ∈ R[S] mit hf i = J. Sei X ∈ S eine beliebige
Unbestimmte. Da X ∈ J liegt, gibt es ein g ∈ R[S] mit f g = X. Daraus folgt
f, g ∈ R[X] und degX f, degX g ≤ 1.
Ist |S| > 1, so gibt es Y ∈ S \ {X} und es folgt analog, dass f ∈ R[Y ] ist
mit degY f ≤ 1. Es muss also f ∈ R[X] ∩ R[Y ] = R sein.
Ist |S| = 1 und R kein Körper, so gibt es ein h ∈ I \ {0}, und es muss ein
g2 ∈ R[S] geben mit f g2 = h. Dann muss aber f ∈ R sein.
In beiden Fällen ist also f ∈ R. Ist g = a + bX mit a, b ∈ R, so ist
X = f g = f a + f bX, woraus f a = 0 und f b = 1 folgt. Folglich ist f ∈ R∗ , und
somit R[S] = hf i = J. Das kann jedoch nicht sein, da 1 nicht in J liegt.
Wir wollen nun den euklidischen Algorithmus betrachten. Dieser erlaubt
das algorithmische Bestimmen des grössten gemeinsamen Teilers zweier Elemente eines euklidischen Ringes.
Satz 2.6.10 (Euklidischer Algorithmus (engl.: Euclidean Algorithm)). Sei R
ein euklidischer Ring mit Gradfunktion d. Seien f0 , f1 ∈ R gegeben mit f1 6= 0.
Solange fi−1 6= 0 ist, berechne iterativ fi , qi ∈ R mit i = 2, 3, . . . wie folgt:
fi−2 = qi fi−1 + fi
mit fi = 0 oder d(fi ) < d(fi−1 ).
1. Es gibt ein kleinstes N mit fN = 0. Sei d := fN −1 .
2. Dann ist d ein grösster gemeinsamer Teiler von f0 und f1 .
3. Setze aN := 0, bN := 1, und für i = N −1, N −2, . . . , 2 definiere ai , bi ∈ R
durch
ai := bi+1 und bi := ai+1 − qi bi+1 .
Dann gilt d = ai fi−2 + bi fi−1 für i = 2, . . . , N , und insbesondere
d = a2 f 0 + b 2 f 1 .
Beweis. Sei fi 6= 0. Da d Werte in N annimmt, gilt d(fi ) ≤ d(fi−1 ) − 1, womit
man per Induktion d(fi ) ≤ d(f1 ) − i + 1 erhält. Es muss also ein N geben mit
fN = 0, da andernfalls d(fi ) negativ werden müsste, was nicht sein kann. Dies
zeigt (1).
Wir zeigen nun zuerst (3) und danach (2). Für i = N folgt aus der Definition sofort d = aN fN −2 + bN fN −1 . Wir zeigen die Gleichheit für i = N − 1, . . . , 2
induktiv. Gelte die Gleichheit für i + 1; dann ist d = ai+1 fi−1 + bi+1 fi =
ai+1 fi−1 + bi+1 (fi−2 − qi fi−1 ) = bi+1 fi−2 + (ai+1 − bi+1 qi )fi−1 = ai fi−2 + bi fi−1 ,
womit (3) gilt.
Um (2) zu zeigen, zeigen wir zuerst, dass d jedes fi teilt, insbesondere auch
f0 und f1 . Offensichtlich teilt d fN −1 und fN −2 = qi fN −1 + 0. Wenn d ein Teiler
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KAPITEL 2. RINGE
von fi und fi−1 ist, dann auch von fi−2 = qi fi−1 + fi . Somit folgt induktiv,
dass d alle fi teilt.
Wir haben also, dass d = a2 f0 + b2 f1 ist und dass d sowohl f0 wie auch f1
teilt. Ist d′ ein weiterer Teiler von f0 und f1 , so teilt d′ auch a2 f0 + b2 f1 = d.
Folglich ist d per Definition ein grösster gemeinsamer Teiler von f0 und f1 .
Bemerkung 2.6.11. Aus dem Beweis erhält man schnell die Abschätzung
N ≤ d(f1 ) + 2. Falls R ein Polynomring K[X] ist und d = degX , so ist diese
Abschätzung optimal. Für R = Z und d(z) = |z| ist sie jedoch suboptimal; da
sich d(fi ) in jedem Schritt nicht nur um mindestens 1 verringert, sondern sich
in jedem zweiten Schritt mindestens halbiert: ist fi > fi−1 /2, so ist fi+1 =
fi−1 − fi < fi−1 /2. Damit kann man N durch einen linearen Ausdruck in
log2 |f1 | abschätzen.
Der euklidische Algorithmus ist für R = Z am langsamsten, wenn man ihn
auf zwei benachbarte Fibonacci-Zahlen (engl.: Fibonacci numbers) anwendet:
setze F0 = F1 = 1 und iterativ Fi+2 = Fi +Fi+1 für i ≥ 2; diese Folge wird auch
Fibonacci-Folge (engl.: Fibonacci sequence) genannt. Dann benötigt man i − 1
Schritte, um den grössten gemeinsamen Teiler von Fi und Fi−1 zu bestimmen.
Dieser ist übrigens immer 1.
Der euklidische Algorithmus ist einer der wichtigsten Algorithmen überhaupt. Mit ihm kann man etwa Inverse von Elementen in Z/nZ oder K[X]/hf i
bestimmen:
Beispiel 2.6.12. Sei R ein euklidischer Ring mit Gradfunktion d. Sei n ∈
R \ {0} und f + nR ∈ R/nR. Dann ist f + nR genau dann eine Einheit in
R/nR, wenn ggT(f, n) eine Einheit ist:
Ist ggT(f, n) = 1, so gibt es a, b ∈ R mit af + bn = 1; diese a, b kann
man explizit mit dem euklidischen Algorithmus bestimmen. In R/nR gilt dann
(a+nR)(f +nR) = (1+nR)−(b+nR)·0 = 1R/nR , womit (f +nR)−1 = a+nR
ist.
Gilt andersherum f + nR ∈ (R/nR)∗ , so gibt es ein a + nR ∈ R/nR mit
(f + nR)(a + nR) = 1R/nR = 1 + nR. Damit gilt jedoch af − 1 ∈ nR, womit
es ein b ∈ R gibt mit af − 1 = br und somit af − bn = 1. Dies bedeutet jedoch
gerade, dass 1 = ggT(f, n) ist.
Das obige Argument gilt übrigens auch, falls R ein Hauptidealbereich ist. In
euklidischen Ringen hat man jedoch den euklidischen Algorithmus, um BézoutGleichungen explizit zu bestimmen. Wir wollen beispielsweise das multiplikativ
Inverse von 97 in Z/111Z bestimmen. Ausprobieren ist hier zwar möglich,
jedoch ohne technische Hilfsmittel eher mühsam. Es ist 111 = 1 · 97 + 14,
97 = 6 · 14 + 13, 14 = 1 · 13 + 1, 13 = 13 · 1 + 0. Damit ist ggT(97, 111) = 1, also
97 ∈ (Z/111Z)∗ , und wir können die Bézout-Gleichung durch Rücksubstitution
erhalten:
1 = 14 − 1 · 13 = 14 − 1 · (97 − 6 · 14) = 7 · 14 − 1 · 97
= 7 · (111 − 1 · 97) − 1 · 97 = 7 · 111 − 8 · 97.
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2.6. EUKLIDISCHE RINGE
Damit ist (−8) · 97 ≡ 1 (mod 111), womit −8 ≡ 103 das multiplikativ Inverse
von 97 modulo 111 ist. Und tatsächlich ist
103 · 97 = 103 · (100 − 3) = 10300 − 309
= 9991 = 1 + 111 · 90 ≡ 1 (mod 111).
Schliesslich wollen wir den verbleibenden Satz aus Abschnitt 2.4 beweisen,
nämlich dass Polynomringe über faktoriellen Ringen wieder faktoriell sind. Ist
R faktoriell, so ist R[X] im Allgemeinen nicht euklidisch. Um trotzdem mit
euklidischen Ringen arbeiten zu können, wollen wir R durch einen Körper Q
ersetzen, der R umfasst.
Diesen Körper wollen wir genauso konstruieren, wie die rationalen Zahlen
aus den ganzen Zahlen entstehen: der Körper soll der Körper der Brüche von
Elementen in R sein. Dieser Körper, den wir Quotientenkörper nennen wollen, kann ebenfalls durch eine universelle Eigenschaft definiert werden und ist
somit über diese eindeutig bis auf eindeutige Isomorphie bestimmt (vergleiche
Bemerkung 2.3.9).
Satz 2.6.13. Sei R ein Integritätsbereich. Definiere auf Q′ := R × (R \ {0})
die Äquivalenzrelation
(r, s) ∼ (r′ , s′ ) :⇔ rs′ = r′ s.
Dann ist Q := Q/∼ mit den Operationen
[(r, s)]∼ + [(r′ , s′ )]∼ := [(rs′ + r′ s, ss′ )]∼
und
[(r, s)]∼ · [(r′ , s′ )]∼ := [(rr′ , ss′ )]∼
ein Körper und die Abbildung
ϕ : R → Q,
r 7→ [(r, 1)]∼
ist ein injektiver Homomorphismus von Ringen mit Eins. Wir schreiben ab
anstelle [(a, b)]∼ und identifizieren R vermöge ϕ mit ϕ(R) ⊆ Q(R).
Das Paar (Q, ϕ) erfüllt folgende universelle Eigenschaft: ist K irgendein
Körper und ψ : R → K ein injektiver Homomorphismus von Ringen mit Eins,
so gibt es genau einen Homomorphismus ψ̂ : Q → K so dass das folgende
Diagramm kommutiert:
ϕ
/Q
R?
??
??
? ∃!ψ̂
∀ψ ?? K
Definition 2.6.14. Wir bezeichnen den Körper Q als Quotientenkörper (engl.:
field of fractions) von R und schreiben ihn als Q(R).
Beachte, dass Quotientenring und Quotientenkörper zwei völlig verschiedene Konzepte bezeichnen.
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KAPITEL 2. RINGE
Beweis. Wir lassen wieder der Übersichtlichkeit halber bei den Äquivalenzklassen den Index ∼ weg.
Man rechnet schnell nach, dass Q ein kommutativer Ring mit Eins ist. Ist
[(r, s)] ∈ Q \ {0Q } mit (r, s) 6∼ (0, 1), so folgt r 6= 0. Damit ist auch (s, r) ∈ Q′
und es gilt [(r, s)] · [(s, r)] = [(rs, rs)] = [(1, 1)] = 1Q . Damit ist jedes Element
6= 0 eine Einheit und Q ist ein Körper.
Seien nun r, r′ ∈ R. Dann gilt ϕ(r + r′ ) = [(r + r′ , 1)] = [(r, 1)] + [(r′ , 1)] =
ϕ(r) + ϕ(r′ ) und genauso ϕ(rr′ ) = ϕ(r)ϕ(r′ ). Schliesslich ist ϕ(1R ) = [(1, 1)] =
1Q . Sei nun r ∈ ker ϕ, d.h. (r, 1) ∼ (0, 1). Also ist r · 1 = 0 · 1, womit r = 0 ist.
Folglich ist der Kern trivial und ϕ ist injektiv.
Es verbleibt die universelle Eigenschaft zu zeigen. Sei K ein Körper und
ψ : R → K injektiv. Für [(r, s)] ∈ Q setze ψ̂([(r, s)]) := ψ(r)ψ(s)−1 ; da ψ(s) 6=
0 ist und K ein Körper existiert ψ(s)−1 . Man rechnet nun leicht nach, dass ψ̂
ein Ringhomomorphismus ist. Weiterhin ist ψ̂([(1, 1)]) = ψ(1)ψ(1)−1 = 1.
Sei ψ̂ ′ : Q → K ein weiterer Homomorphismus mit ψ̂ ′ ◦ ϕ = ψ. Sei
[(r, s)] ∈ Q; dann ist ψ̂ ′ ([(r, s)]) = ψ̂ ′ ([(r, 1)]·[(s, 1)]−1 ) = ψ̂ ′ (ϕ(r))ψ̂ ′ (ϕ(s))−1 =
ψ(r)ψ(s)−1 = ψ̂([(r, s)]), und wir erhalten ψ̂ = ψ̂ ′ .
Wir benötigen nun ein weiteres Hilfsmittel, nämlich das Lemma von Gauß.
Wir nennen ein Polynom f ∈ R[X] primitiv (engl.: primitive), falls aus g | f
und g ∈ R folgt g ∈ R∗ . Dies bedeutet, dass die Koeffizienten von f teilerfremd
sind.
Beispiel 2.6.15. Das Polynom f = 4X 5 + 3X 3 + 2X + 1 ∈ Z[X] ist primitiv,
das Polynom g = 4X 2 +2X +6 ∈ Z[X] nicht. Das Polynom h = 4X 2 +2X +6 ∈
Q[X] ist dagegen wieder primitiv.
Bemerkung 2.6.16. Ist R faktoriell, so kann man jedes Polynom g ∈ Q(R)[X]\
{0} eindeutig schreiben als g = ef mit e ∈ Q(R)∗ und f ∈ R[X] primitiv.
Beispiel 2.6.17. Ist etwa g = 12
X 2 + 38 X + 52 ∈ Q[X] = Q(Z)[X], so ist
7
αg = 180X 2 + 280X + 42 ∈ Z[X] mit α := kgV(7, 3, 5) = 105. Nun ist
ggT(180, 280, 42) = 2, womit α2 g = 90X 2 + 140X + 21 ∈ Z[X] primitiv ist. Mit
e := 105
∈ Q∗ und f := 90X 2 + 140X + 21 ∈ Z[X] primitiv ist also g = ef .
2
Lemma 2.6.18 (Lemma von Gauß (engl.: Gauß’ Lemma)). Sind f, g ∈ R[X]
primitiv und ist R faktoriell, so ist auch f g ∈ R[X] primitiv.
Beweis. Sei f g nicht primitiv. Da R faktoriell ist, gibt es dann ein Primelement
p ∈ R, welches jeden Koeffizienten von f g teilt und somit f g selber. Da p nach
Korollar 2.5.14 in R[X] ebenfalls prim ist, muss p entweder f oder g teilen,
was ein Widerspruch zur Primitivität von f bzw. g ist. Also muss f g primitiv
sein.
Aus dem Lemma kann man zwei wichtige Korollare ableiten, die den Grossteil des Satzes 2.4.14 beweisen:
Korollar 2.6.19. Seien R faktoriell und f, g ∈ R[X] primitiv. Genau dann
sind f und g über Q(R) assoziiert, wenn sie über R assoziiert sind.
2.6. EUKLIDISCHE RINGE
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Beweis. Sei q ∈ Q(R)∗ mit qf = g. Schreibe q = ab mit a, b ∈ R \ {0}. Dann
steht dort af = bg. Da g primitiv ist und a ein Teiler von bg ist, muss a
bereits b teilen – dies erhält man, indem man eine Primfaktorzerlegung von a
anschaut, da dies für jeden Primfaktor gelten muss. Analog folgt, dass b ein
Teiler von a sein muss, womit a und b in R assoziiert sind und somit q eine
Einheit in R ist.
Andersherum ist jede Einheit in R auch eine Einheit in Q(R), womit nichts
zu zeigen verbleibt.
Korollar 2.6.20. Seien R faktoriell und f ∈ R[X] primitiv. Genau dann ist
f ∈ R[X] irreduzibel, wenn f ∈ Q(R)[X] irreduzibel ist.
Beweis. Ist f in Q(R)[X] irreduzibel, so sicher auch in R[X], da f primitiv
ist. Sei nun f ∈ R[X] irreduzibel und primitiv. Sei f = gh mit g, h ∈ Q(R)[X].
Schreibe g = eg1 , h = f h1 mit e, f ∈ Q(R)∗ und g1 , h1 ∈ R[X] primitiv; es ist
also f = ef g1 h1 . Nach dem Lemma von Gauß ist g1 h1 primitiv, womit nach
Korollar 2.6.19 folgt, dass ef ∈ R∗ ist. Damit lebt die Zerlegung in R[X], und
da f dort irreduzibel ist, folgt g1 ∈ R∗ oder h1 ∈ R∗ .
Damit können wir schliesslich den angekündigten Satz beweisen: ist R faktoriell, so auch R[S].
Beweis von Satz 2.4.14. Wir zeigen zuerst, dass es ausreicht, eine endliche
Menge S zu betrachten. Ist f = gh mit f, g, h ∈ R[S], so können in g und
h nur Unbestimmte vorkommen, die auch in S vorkommen, da R ein Integritätsbereich ist. Da jedes Polynom nur endlich viele Unbestimmte enthält,
reicht es also zu jedem Polynom aus, eine endliche Menge von Unbestimmten
anzuschauen.
Nun zeigen wir die Behauptung per Induktion nach |S|. Für |S| = 0 ist
die Behauptung klar. Für den Induktionsschritt sei S ′ ⊆ S mit |S ′ | = |S| − 1;
nach Induktionsvoraussetzung gilt die Behauptung für R[S ′ ], und wir müssen
sie für R[S] = (R[S ′ ])[X] zeigen, falls X ∈ S \ S ′ . Wir können also ohne
Einschränkung gleich S = {X} annehmen.
Wir zeigen zuerst, dass es überhaupt Zerlegungen in irreduzible Faktoren
von Polynomen f ∈ R[X] \ {0} gibt. Wir zeigen dies per Induktion nach deg f .
Für deg f = 0 folgt dies daraus, dass R faktoriell ist. Sei nun deg f > 0. Ist f
irreduzibel, so bleibt nichts zu zeigen. Andernfalls schreibe f = gf1 mit g ∈ R
und f1 ∈ R[X] primitiv. Offenbar lässt sich g als Produkt von irreduziblen
Elementen schreiben, womit wir f1 betrachten müssen. Ist f1 nicht bereits
irreduzibel, können wir f1 = g1 h1 schreiben mit g1 , h1 ∈ R[X]. Da f1 primitiv
ist, muss deg g1 , deg h1 < deg f1 = deg f sein, womit wir auf g1 und h1 die
Induktionsvoraussetzung anwenden können.
Wir müssen nun zeigen, dass zwei Zerlegungen in irreduzible Polynome
äquivalent sind. Nach Korollar 2.6.20 ist jede solche Zerlegung auch eine irreduzible Zerlegung in Q(R), wobei Elemente aus R zu Einheiten werden. Da
Q(R)[X] ein Polynomring in einer Unbestimmten über einem Körper ist und
somit nach Korollar 2.6.9 faktoriell, sind die Zerlegungen über Q(R) äquivalent.
Mit Korollar 2.6.19 folgt schliesslich, dass nur noch die irreduziblen Faktoren