Der Polizeifunk gab meinem Leben Halt und Orientierung.1 Prof
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Der Polizeifunk gab meinem Leben Halt und Orientierung.1 Prof
Der Polizeifunk gab meinem Leben Halt und Orientierung.1 Prof. Lars Bauernschmitt Verbrechen lohnt nicht, die Fotografie von Verbrechen schon – zumindest für Polizei und Fotojournalisten, die das Medium für ihre Zwecke einsetzen. Es war keine wirklich gute Idee, dass sich Josef Honsa dazu stellte, als die Wirtsleute und einige Stammgäste am 23. März 1902 vor dem Gasthaus M. Koller fotografiert wurden. Auch wenn man sein Interesse an dem neuen Medium verstehen kann, erwies sich seine Anwesenheit auf dem Foto für ihn als verhängnisvoll. Auf dem Foto, rechts außen gut zu erkennen, wäre er besser nicht zu sehen gewesen. Denn während der Fotograf seinem Aufsehen erregenden Schaffen nachging, brachen Honsas Komplizen in die über der Gaststätte in der Ritterstrasse 3 in Wiens 4. Bezirk gelegene Wohnung der „Privaten Gisela Weber“ ein. Josef Honsa sollte eigentlich Schmiere stehen und seine Komplizen bei drohender Gefahr warnen. So jedoch lieferte er unbewusst aber ganz freiwillig den Beweis für seine Anwesenheit am Tatort zur Tatzeit und hatte im Folgenden als Konsequenz einer stark eingeschränkten Bewegungsfreiheit viel Zeit über die Möglichkeiten der Fotografie in der Polizeiarbeit nachzudenken. Denn kaum erfunden wurde das neue Medium bereits zur Aufklärung von Verbrechen und zur Beweissicherung genutzt. Bereits 1839 meldete eine französische Zeitung dass ein misstrauischer Ehemann seine Gattin mittels der brandneuen Technik der Untreue überführt habe. Auch wenn die Meldung nur eine sehr freie Interpretation der Ereignisse sein kann, da die Belichtungszeiten selbst im Freien um die Mittagszeit nicht unter zehn Minuten lagen, macht die Meldung doch deutlich, welche Einsatzmöglichkeiten für die Fotografie gesehen wurden. Auf Grund der technisch apparativen Herstellung der Bilder sah man in dem neuen Medium ein Beweisverfahren. Europäische Polizeibehörden setzten die Fotografie deshalb seit den 1840er Jahren, also bereits unmittelbar nach ihrer Erfindung, ein. Ab 1841 fotografierte die Pariser Polizei Übeltäter. New York führt seit 1858 eine fotografische Verbrecherkartei und im selben Jahr sollen auch in Wien erstmals Strafgefangene im Auftrag der Polizei fotografiert worden sein. Moskau nutzte die Fotografie seit 1867 und London seit 1870. Die Fotoarchive der Polizei in aller Welt sind deshalb ein ebenso wichtiger wie spannender Teil der Fotogeschichte. Gleichzeitig geben diese Archive aber auch Auskunft über politische und soziale Entwicklungen. Denn die Arbeit der Polizeifotografen diente nicht nur der Verbrechensbekämpfung. Immer wieder wurden die Fotografen von den jeweils Herrschenden im Sinne ihrer Machtinteressen missbraucht. So wurde die Fotografie von der Polizei im Wien um 1900 auch eingesetzt, um der politischen Destabilisierung entgegen zu wirken. Zivilbeamte fotografierten in den städtischen Arbeiterbezirken, Gasthäusern oder Lesesälen. Der Kampf galt Anarchisten und Sozialrevolutionären, nichtsesshaften Personen und Zigeunern, der Kontrolle von Arbeitslosen und dem internationalen Mädchenhandel – ein bunter Strauss von Gefahren für die bürgerliche Ordnung. Walter Mentzel stellte dazu in seinem Buch „Tatorte und Täter – Polizeifotografie in Wien 1890 – 1938“ fest: „Nachdem die Fotografie ursprünglich als zusätzliches Beweismittel verwendet worden war, wurde sie zu einer durch die Polizei monopolisierten Beweismacht. Schon vor 1914, ... entwickelte sich die Wiener Polizeifotografie zunehmend zu einem Legitimations- und Propagandainstrument von Herrschaft und als politische Waffe zur Herstellung bildlicher Beweismacht.“ ... „Diese Dokumentationsserien dienten weniger einer polizeilich-kriminalistischen Didaktik, sie stellen mehr eine Frühform einer umfassenden Überwachungspraktik dar.“ Während des „Austrofaschismus“ fungierte die Wiener Polizeifotografie als Teil der Propagandamaschinerie des politischen Establishments.“ Doch so wie die Fotografie als politisches Machtinstrument zum Erhalt der bürgerlichen Ordnung eingesetzt wurde finden sich in den Polizeiarchiven auch Arbeiten, die in bester sozialdokumentarischer Tradition entstanden. Solche Arbeiten zeigt beispielsweise der 1 Dieser Beitrag „Der Polizeifunk gab meinem Leben Halt und Ordnung.“ erschien in der Ausgabe 6/2010 der Zeitschrift Pictorial. Prof. Lars Bauernschmitt – Der Polizeifunk gab meinem Leben Halt – www.larsbauernschmitt.de 2 Katalog „Spurensuche – Polizeifotografie Mannheim 1946 – 1971“ zu einer Ausstellung mit Fotos aus den Archiven der örtlichen Ermittlungsbehörden. Unmittelbar nach Ende des 2. Weltkrieges forderte die Stadtverwaltung 1946 Polizeifotografen an, um eine Dokumentation der Wohn- und Lebensverhältnisse in Mannheim zu erstellen, wo es im Stadtteil Lindenhof und den Quadraten der Innenstadt kaum ein unbeschädigtes Haus gab. Mit dieser Dokumentation sollte die Militärregierung bewegt werden, Mittel zum Bau neuer Wohnungen bereitzustellen. Die Aufnahmen der Elendsquartiere im Mannheim der Nachkriegszeit entstanden mit der Absicht, die Verhältnisse zu verändern. In ihrer dokumentarischen Strenge und dem direkten Blick auf die Lebensumstände der Menschen steht die Arbeit der Polizeifotografen den Arbeiten von Lewis Hine, Jacob Riis oder den Mitgliedern der Farm Security Administration nicht nach und dient wie die Arbeit der bekannten Vorgänger dem Ziel, die als unmenschlich erkannten Lebens- und Arbeitsbedingungen durch den Einsatz der Fotografie zu verändern. Polizeifotografen machen Fotos, um Ermittlungen zu unterstützen. Die scheinbare Objektivität der Fotografie macht sie zum idealen Instrument für die Behörden. Reduziert auf ihre Basisfunktion, ein Abbild eines Menschen, eines Ortes oder einer Sache zu liefern, müssen sich Polizeifotografen einer persönlichen Stellungnahme enthalten. Jede eigene Interpretation würde das Foto als Beweismittel unbrauchbar machen. Trotzdem zeigen auch die Arbeiten der Polizeifotografen immer wieder so etwas wie eine persönliche Handschrift. So erwecken viele Fotos in den Archiven der Polizei von Los Angeles den Eindruck von Standfotos aus Hollywoods Filmen. Lichtführung und Bildaufbau vieler Bilder lassen eher an den Film Noir denn an amtliche Dokumente denken. Und so lässt sich streiten, ob die Polizeifotografen die Bilder aus dem Kino kopierten oder Hollywood sich der Fotos der Ermittler bediente, wenn es darum ging einen Stoff auf die Leinwand zu bringen. Fest steht aber, dass zwischen Fiktion und Realität ein ständiger Austausch stattfand, arbeiteten doch Polizeifotografen aus Los Angeles nebenher als Berater der Filmindustrie, die wiederum die Arbeit von Fotojournalisten zum Spielfilmthema machte. Einer von denen, deren Arbeit in Hollywood verfilmt wurde, war Arthur Fellig. Sein Buch „Naked City“, in dem er seine Verbrechens- und Unfallfotografien mit Aufnahmen von Armen und Obdachlosen kombinierte, wurde 1945 von Jules Dassin verfilmt. Der Fotograf, der sich selber Weegee nannte, kam 1910 im Alter von zehn Jahren aus dem damals österreichischen (heute polnischen) Zloczek nach New York, wo er sich zunächst als Straßenfotograf und Geiger in den Kinos der Stummfilmzeit durchschlug, bevor er ab 1935 freiberuflich für die Boulevardpresse Brände, Gewaltverbrechen und Verkehrsunfälle fotografierte. Der Mann, der sich selber ganz bescheiden „The Famous“ nannte, erlangte mit seiner schonungslosen Direktheit weltweite Berühmtheit. Ausgestattet mit einer 4 x 5 Inch Speed Graphic und einem Synchronblitzgerät fotografierte er Mordopfer auf der Straße ebenso wie die Täter beim Verhör auf der Polizeistation. Gnadenlos verzichtete er in jeder Hinsicht auf Distanz zu seinen Motiven. Egal ob er als Polizeireporter auf den Straßen New Yorks unterwegs war oder mit Infrarotfilm Liebespaare, von denen unbemerkt, am Strand fotografierte, systematisch verletzte er die Intimsphäre der von ihm Fotografierten. Überhaupt pflegte er zur Idee der Privatsphäre ein eher entspanntes Verhältnis. Um auch dort fotografieren zu können, wo eigentlich keine Bilder gemacht werden sollten, hatte er im Kofferraum seines Wagens eine Reihe von Verkleidungen griffbereit. Polizei- und Feuerwehr-Uniformen oder Arzt-Kittel samt Stethoskop dienten ihm dazu, ungehindert an den Ort des meist blutigen Geschehens zu kommen. Doch die Ordnungshüter kannten ihn und ließen ihn gewähren. Der Mann, der von sich selbst sagte: „Der Polizeifunk gab meinem Leben Halt und Orientierung“ verfügte über beste Beziehungen in die Manhattan Police Headquarters und war in Folge dessen auch stolzer Besitzer eines Polizeifunkgerätes und so immer auf dem Laufenden über das Geschehen in der Stadt. Aber auch zur anderen Seite des Gesetzes stand er in enger Verbindung. Für verhaftete Gangster besorgte er durchaus mal eine Zigarette oder stellte den Kontakt zu deren Anwälten her. Weegee lebte vom Verbrechen. Zu den Taten wie auch zu Tätern und Opfern hatte er eine rein gewerbsmäßige Beziehung – und die lohnte sich: „Für mich Prof. Lars Bauernschmitt – Der Polizeifunk gab meinem Leben Halt – www.larsbauernschmitt.de 3 hat sich das Verbrechen bezahlt gemacht – und zwar reichlich“ stellte er einmal fest. Doch seine nüchterne Einstellung zum Verbrechen unterschied sich nicht von der seiner Kunden. Ein Scheck der Zeitschrift LIFE trug den Hinweis: „Zwei Morde fünfunddreißig Dollar.“ „Life-Magazine zahlte 5 Dollar pro Kugel. In der einen Leiche hatten fünf Kugeln gesteckt, in der anderen zwei.“ Während Weegees journalistische Fotos schonungslos und direkt Opfer und Täter zeigen und so die Tat sichtbar machen, verweigern andere Autoren, die sich ebenfalls mit dem Thema Verbrechen beschäftigen, genau dies. In ihrem Buch „Deutsche Bilder – eine Spurensuche 1992 – 2008“ dokumentiert die deutsche Fotografin Eva Leitolf Orte rechtsextremer Gewalt. Ihre Fotos zeigen gepflegte Vorgärten, lauschige Seeufer oder rasentrimmergepflegte Bushaltestellen. Es sind Orte, an denen Rechtsradikale politisch motivierte Gewalttaten verübten und Ausländer, oder die, die sie dafür hielten, Behinderte oder einfach Menschen bei denen sie eine andere politische Gesinnung vermuteten, angriffen und schwer verletzten oder töteten. Es ist die deutsche Durchschnittlichkeit nicht nur in der Provinz, die Normalität, die überall in Deutschland sein könnte, die diese Fotos so unheimlich und bedrohlich macht, wenn man weiß, was hier geschah. Die Orte selbst geben keinerlei Hinweis auf die Verbrechen, die dort verübt wurden. Erst die Bildunterschriften erklären die Bedeutung der Orte. Eva Leitolf verfolgt in dieser Arbeit ein ähnliches Konzept, wie Joel Sternfeld einige Jahre vorher. In seiner 1996 veröffentlichten Arbeit „On this Site – Landscape in Memoriam“ zeigt Joel Sternfeld „Tatorte“, so auch der Titel der deutschen Ausgabe seines Buches. Der in New York geborene Fotograf zeigt Plätze, denen die Verbrechen, die sich hier ereigneten, in der Regel nicht anzusehen sind. Nur in Ausnahmefällen geben die Fotos Hinweise auf die Gewalttaten, die sich hier ereignet haben. Ein paar Blumen unter einem Baum kennzeichnen die Stelle, an der Dr. David Gunn, ein Arzt, der Schwangerschaftsabbrüche vornahm, am 10. März 1993 von einem Abtreibungsgegner erschossen wurde. Es sind stille und unspektakuläre Fotos von Landschaften oder Grünanlagen, von Straßenzügen und Häuserzeilen oder Innenräumen die sich nach dem Lesen der kurzen Bildtexte als Orte erweisen, an denen zum Teil weltweit beachtete Verbrechen stattfanden oder mit ihnen in Verbindung stehen. Ein paar Kinosessel, die in fast jedem Kino auf der Welt stehen könnten, sind der Ort, an dem Lee Harvey Oswald am 22. November 1963 um 13.50 von Polizeibeamten der Stadt Dallas verhaftet wurde. Das Foto zeigt nichts Besonderes. Bedeutung hat der Ort durch ein Geschehen bekommen auf das es keine Hinweise mehr gibt. Sternfelds Arbeit ist deshalb nicht nur eine Auseinandersetzung mit dem Verbrechen, sondern auch mit der Frage der Darstellbarkeit und der Möglichkeit Ereignisse sichtbar zu machen und durch die Fotografie zu verstehen. Im Nachwort zur deutschen Ausgabe schreibt Sternfeld: „Aber es gab noch etwas anderes, das mich zu dieser Arbeit trieb. Etwas, das ich als Problem der Erkennbarkeit bezeichnen möchte. Die Erfahrung hat mich immer wieder von neuem gelehrt, daß man nie wissen kann, was sich unter einer Oberfläche oder hinter einer Fassade verbirgt. Bei der Einschätzung eines Ortes, dem Betrachten von Photographien einer Landschaft ist unser Verständnis zwangsläufig Fehldeutungen unterworfen.“ Joel Sternfeld stellt die Frage nach den Möglichkeiten der Darstellbarkeit mittels des Mediums Fotografie. Eine Frage, die so alt ist wie die Fotografie und solange weiter diskutiert werden wird, wie das Medium existiert - wenn sich nicht gerade ein Josef Honsa bei einer Straftat fotografieren lässt und ein Foto ausnahmsweise einmal alle Fragen beantwortet - zumindest für die Ermittlungsbehörden. Prof. Lars Bauernschmitt – Der Polizeifunk gab meinem Leben Halt – www.larsbauernschmitt.de