Chance Praxis

Transcription

Chance Praxis
1
Chance Praxis
Das Fachmagazin für junge Zahnmediziner
Wrigley Prophylaxe Preis 2015 – Crystal Meth ruiniert
auch die Zahngesundheit
Monia Geitz · Sonntag den 15. November 2015
Wie wirkt sich die Szenedroge Crystal Meth auf die Zahn-, Mund- und
Kiefergesundheit aus? Das Münchner Autorenteam um Dr. Dr. Niklas Rommel
hat dies erstmals untersucht und wurde dafür mit dem insgesamt mit 12.000
Euro dotierten 21. Wrigley Prophylaxe Preis ausgezeichnet.
Wrigley Prophylaxe Preis-Verleihung 2015 (von links): Prof. Klaus König (Jury,
Nijmegen/ Niederlande), Prof. Werner Geurtsen (Jury, Hannover), Dr. Jürgen Zitzen
(Sonderpreis, Mönchengladbach), Elke Damann (Jury, Barmer GEK, Wuppertal), Prof.
Edgar Schäfer (Jury, Münster), Dr. Marie-Theres Weber (2. Platz, Dresden), Laurence
Étienne (Wrigley), Jens Christmann (Wrigley), Andrea Keller (Ehrung, GrünhainBeierfeld), Prof. Joachim Klimek (Jury, Gießen), Dr. Dr. Niklas Rommel (1. Platz,
München), Prof. Hendrik Meyer-Lückel (Jury, Aachen), Prof. Marco Kesting (1. Platz,
München), Dr. Andreas Struve (Sonderpreis, Wuppertal)
Copyright © 2015 Chance Praxis
-1/6-
17.11.2015
2
(Foto: Wrigley Oral Healthcare Program/Thomas Mumbächer)
Den zweiten Platz belegt eine Untersuchung aus Dresden zum
erosionsprotektiven Potenzial von Pflanzenextrakten. Den Sonderpreis teilen
sich ein Prophylaxeprojekt für Grundschulkinder in Wuppertal und eine
Kooperationsinitiative zwischen Zahn- sowie Kinder- und Jugendärzten in
Mönchengladbach. Die Preisverleihung fand am 13. November statt.
Die Gewinner des ersten Platzes sichern sich 6.000 Euro Gewinnerprämie. Die
Vergleichsstudie an 200 Patienten mit und ohne Drogenkonsum liefert erstmals
umfangreiche Daten zum Zahnschädigungspotenzial von Crystal Meth: Die
abhängigen Patienten hatten signifikant häufiger Karies, Gingivitis, Parodontitis
und Zahnhartsubstanzverluste, eine schlechtere Mundhygiene, eine
reduzierte Speichelfließrate und -pufferkapazität. Hauptursache ist
wahrscheinlich der sympathomimetische Effekt der Substanz mit resultierender
Mundtrockenheit und Zähneknirschen. Brennpunkt sind vor allem die
Grenzregionen zu Tschechien, da die dortige liberale Drogengesetzgebung seit 2010
zu einem massiven Anstieg des Konsums auch bei deutschen Jugendlichen geführt hat.
Mit ihrer Entscheidung für die Gewinnerarbeit macht die Jury auf eine bislang wenig
bekannte Folge des Drogenkonsums aufmerksam: „Crystal Meth hat nicht nur ein
extrem hohes Abhängigkeitspotenzial, sondern ruiniert auch die Zahngesundheit. Die
prämierte Studie liefert erstmals eine solide Basis für die Entwicklung von
Präventions- und Therapiekonzepten“, begründet Prof. Dr. Edgar Schäfer, Universität
Münster, die diesjährige Preisvergabe. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für
Zahnerhaltung ist neu im Kreis der Jury und konstatiert: „Das Problem Crystal Meth
lässt sich nur in den Griff bekommen, wenn alle Disziplinen an einem Strang ziehen.
Hier sind auch die Zahnärzte gefragt“.
Der Wrigley Prophylaxe Preis
Der Wrigley Prophylaxe Preis zeichnet seit 22 Jahren herausragende Arbeiten auf dem
Gebiet der Kariesprophylaxe aus. Er fördert erfolgreiche Präventionsinitiativen, rückt
aber auch Probleme mit dringendem Handlungsbedarf in den Fokus der Öffentlichkeit.
Sowohl der Preis als auch die Stifterorganisation Wrigley Oral Healthcare Program
genießen in der Dentalbranche einen exzellenten Ruf.
Erosionspräventives Potenzial von Pflanzenextrakten
Der zweite Platz ging mit 4.000 Euro an die Arbeitsgruppe um Dr. Marie-Theres
Weber, Dresden. Sie zeigte, dass Johannisbeerkraut- und Oreganoextrakte vor
erosiven Prozessen schützen können. Offenbar festigen pflanzliche Polyphenole die
schützende Pellikel auf der Zahnoberfläche und reduzieren die Säurepermeabilität.
Das Ergebnis der kontrollierten Studie an zwölf Probanden nach Verwendung von
Pflanzenextrakten oder Fluorid: Unter dem Einfluss der Pflanzenextrakte war die
Pellikel dicker und schützte effektiver vor Erosionen – vergleichbar wie Fluoride oder
besser. Die Studienergebnisse lassen vermuten, dass Extrakte aus Johannisbeerkraut
und Oregano die Wirkung der Fluoride ergänzen. Beide Extrakte sind als
Mundgesundheitspräparate in Apotheken und Drogerien erhältlich. Für eindeutige
Aussagen bedarf es jedoch weiterer Forschung, so die Autoren.
Copyright © 2015 Chance Praxis
-2/6-
17.11.2015
3
Sonderpreis für Prophylaxeprojekt in der Grundschule
Zudem verlieh die Jury zum zweiten Mal den mit 2.000 Euro dotierten Sonderpreis
„Niedergelassene Praxis und gesellschaftliches Engagement“. Diesen Preis teilen sich
zwei engagierte Prophylaxeprojekte mit jeweils 1.000 Euro. Der Wuppertaler Zahnarzt
Dr. Andreas Struve beeindruckte mit einem Grundschulprojekt, das er seit 2003
betreut: Einmal pro Jahr geben Struve und sein Praxisteam Prophylaxeunterricht bei
Zweitklässlern, werten Ernährungstagebücher aus und führen bei allen Kindern einen
Speicheltest zur Bestimmung des individuellen Kariesrisikos durch. Das Ergebnis
erhalten die Eltern zusammen mit schriftlichen Therapieempfehlungen und einer
Einladung zu einem Elternabend. Die Testergebnisse der letzten Jahre zeigen deutlich,
dass viele Kinder ein sehr hohes Kariesrisiko haben. Frühzeitige Prophylaxe und
Aufklärung seien daher dringend notwendig, so Dr. Struve.
Mitglieder der diesjährigen Jury sind:
Prof. Dr. Thomas Attin, Universität Zürich, Elke Damann, Barmer GEK, Wuppertal, Prof.
Dr. Werner Geurtsen, Medizinische Hochschule Hannover, Prof. Dr. Joachim Klimek,
Universität Gießen, Prof. Dr. Klaus König, Universität Nijmegen, Prof. Dr. Hendrik MeyerLückel, Universität Aachen, Prof. Dr. Edgar Schäfer, Universität Münster, DGZ-Präsident.
Ausgezeichnet: Kinder- und Jugendärzte kooperieren mit Zahnärzten
Ebenfalls mit dem Sonderpreis und einer Prämie von 1.000 Euro ausgezeichnet
wurden Dr. Jürgen Zitzen, Dr. Stephan Kranz, Dr. Dr. Ralf-Thomas Lange und Klaus
Büssenschütt von der Zahnärzte Initiative Mönchengladbach ZIM. Seit 2008
kooperieren Zahnärzte mit Kinder- und Jugendärzten der Stadt in der Aktion ZIMkid.
Was mit einer gemeinsamen Fortbildung begann, ist heute ein eingespieltes
Netzwerk. Beispielsweise informieren Kinderärzte bei der zwischen dem fünften und
siebten Lebensmonat anstehenden U5 die Eltern zum Thema Zahngesundheit, weisen
auf den ersten Zahnarztbesuch hin und überreichen den Eltern den zahnärztlichen
Kinderpass. Ein Erfolgsmodell par excellence, wie die Statistik zeigt: Seit Bestehen
der Initiative stieg die Zahl der zahngesunden Kinder in Mönchengladbach von 60 auf
über 70 Prozent an – mit steigender Tendenz. Jurymitglied Elke Damann, Barmer GEK,
Wuppertal, war beeindruckt: „Zahn- und Kinderärzte arbeiten dort Hand in Hand.
Kinderärzte schicken ihre kleinen Patienten früh zum Zahnarzt und sprechen bei den
Untersuchungen das Thema Zahnpflege an. Das stärkt die Zahngesundheit von Anfang
an.“
Früh übt sich: Prophylaxe für die Kleinsten
Mit einem Büchergutschein geehrt wurde das Spiel- und Lernprogramm „Abenteuer
im Knabber-Schnapper-Lecker-Schmecker-Wunderland“ von Andrea Keller, Leiterin
einer Kindertagesstätte im sächsischen Schwarzenberg. Die Sozialpädagogin
entwickelte das Konzept, um Kinder im Alter von zwei bis zehn Jahren auf spielerische
Weise für die tägliche Zahnpflege zu begeistern und ihnen ein Gefühl für den eigenen
Körper zu vermitteln.
Die prämierten Arbeiten im Einzelnen
Copyright © 2015 Chance Praxis
-3/6-
17.11.2015
4
Auswirkungen der neuen Szene-Droge „Crystal Meth“ auf die Zahn- Mund- und
Kieferregion – Möglichkeiten der Prävention und Therapie
Mit dem ersten Platz ausgezeichnet wurde die Studie von Dr. Dr. Niklas Rommel, Prof
Dr. Dr. Marco Kesting und Dr. Dr. Nils Rohleder, Klinik und Poliklinik für MKGChirurgie der Technischen Universität München. Sie liefert erstmals umfassende
Daten über die massiven Auswirkungen der Szenedroge Crystal Meth auf die
Mundgesundheit. Das Problem wurde bereits innerhalb der vergangenen 15 Jahre
anhand von Fallbeispielen insbesondere aus den Vereinigten Staaten unter dem
Namen „Meth Mouth“ beschrieben, bislang aber nie systematisch untersucht.
Crystal Meth ist ein großes Problem, vor allem in den grenznahen Regionen
Tschechiens. Tschechien hat seit 2010 die liberalste Drogenpolitik Europas, die zu
einer rasanten Verbreitung der Droge unter Jugendlichen geführt hat, auch in den
angrenzenden deutschen Bundesländern.
Vier Einrichtungen waren an dem Kooperationsprojekt zwischen oberfränkischen
Suchtkliniken, Zahnarztpraxen und der TU München beteiligt. 100 Crystal Methabhängige Patienten nahmen an der Studie teil; jedem war ein Kontrollproband im
gleichen Alter und mit gleichem Geschlecht zugeordnet. Eine gründliche zahnärztliche
Untersuchungen beider Gruppen machte das Zerstörungspotenzial der Droge
deutlich: Im Vergleich zu den Kontrollen hatten die Crystal-Meth-abhängigen
Patienten einen signifikant höheren Kariesbefall, eine höhere Anzahl an Gingivitiden,
Parodontiden und Zahnhartsubstanzverlusten. Darüber hinaus war ihre Mundhygiene
schlechter, die Speichelfließrate und Speichelpufferkapazität waren signifikant
reduziert. Hauptursache dieser Effekte ist vermutlich die symphatomimetische
Wirkung von Crystal Meth, die unter anderem zu Mundtrockenheit führt. Dazu
kommen Begleitfaktoren wie finanzielle Einschränkungen, hoher toxischer
Begleitkonsum und eine inadäquate zahnärztliche Versorgung.
Deshalb fordern die Autoren forcierte zahnärztliche Aufklärungsarbeit in den
Endemiegebieten, auf das Problem zugeschnittene zahnärztliche Fortbildungen und
öffentlichkeitswirksame Aktionen, die auf die Folgen von Crystal Meth-Missbrauch auf
die Zahngesundheit hinweisen. Die schlechte Zahngesundheit bedeute nicht nur
persönliches Leid, sondern auch einen immensen Schaden für die
Versicherungsträger. Auch aus diesem Grund sei eine forcierte zahnärztliche
Aufklärung insbesondere in den Endemiegebieten notwendig.
Applikation von Pflanzenextrakten zur Prävention von Zahnerosionen – eine
In-situ-/In-vitro-Studie
Der zweite Preis ging an die Arbeitsgruppe Dr. Marie-Theres Weber, Prof. Dr.
Christian Hannig, Sandra Poetschke, Franziska Höhne, Universität Dresden und Prof.
Dr. Matthias Hannig, Universität Saarland. Sie untersuchten das erosionspräventive
Potenzial von Johannisbeerkraut (Ribes nigrum folium) und Oregano (Origanum).
Bereits frühere Studien lassen vermuten, dass Polyphenole die protektiven
Eigenschaften der Pellikel verstärken können. Die Pellikel ist eine physiologische und
proteinhaltige Schicht auf der Zahnoberfläche, die als Barriere gegen saure Noxen
fungiert. Allerdings schirmt sie die Zahnhartsubstanz nicht vollständig gegen
Copyright © 2015 Chance Praxis
-4/6-
17.11.2015
5
Säureangriffe ab.
Die untersuchten Pflanzenextrakte sind als Mundgesundheitspräparate in Apotheken
und Drogerien erhältlich. Für den Versuch trugen zwölf Probanden bovine
Schmelzprüfkörper auf individuell angefertigten Tiefziehschienen, um eine orale
Exposition zu gewährleisten. Nach dem Einsetzen der Schienen erfolgte für eine
Minute die Ausbildung einer Pellikel auf den Schmelzprüfkörpern. Anschließend
wurde zehn Minuten mit den pflanzlichen Extrakten gespült. Als Positivkontrolle
diente eine Minute Spülung mit Fluoridlösung. Nach der Entnahme aus dem Mund
wurden die Prüfkörper in Salzsäure eingelegt und die Freisetzung von Kalzium und
Phosphat bestimmt.
Klares Ergebnis: Das Kombinationspräparat Ribes nigrum folium und Origanum
steigerte die erosionsprotektive Wirkung der Pellikel. Die Schutzschicht wurde unter
ihrem Einfluss dicker und elektronendichter. Die Pflanzenextrakte erzielten einen
vergleichbaren beziehungsweise überlegenen Effekt wie die Fluoride. Die Autoren
schlussfolgern, dass die untersuchten Extrakte viel versprechende Kandidaten für die
Prävention erosiver Prozesse sind und möglicherweise eine Ergänzung zu den
herkömmlichen Fluoriden darstellen. Um diese Aussage zu erhärten, bedarf es jedoch
weiterer Forschung.
Grundschul-Prophylaxeprojekt
Einer von zwei Sonderpreisen ging an Dr. Andreas Struve für sein engagiertes
Prophylaxeprojekt an einer Wuppertaler Grundschule. Seit 2003 besucht seine Praxis
einmal pro Jahr Zweitklässler, um spielerischen Unterricht in Sachen Zahngesundheit
zu geben. Das Team thematisiert die Funktion und Anatomie der Zähne, informiert
über gesunde Ernährung und macht bei allen Kindern einen Speicheltest zur
Bestimmung des individuellen Kariesrisikos. Zudem wertet Dr. Struve
Ernährungstagebücher der Kinder aus und informiert über die richtige Zahnpflege.
Nach der Testauswertung erhalten die Eltern zusammen mit dem Ergebnis und
Therapieempfehlungen eine Einladung zum Elternabend, bei dem es ebenfalls um
Prophylaxe geht.
Seit 2003 hat das Projekt 670 Kinder geschult und die Erfahrung zeigt, wie notwendig
Prophylaxe und Aufklärung sind. Viele Kinder hätten ein sehr hohes Kariesrisiko, so
Dr. Struve. Umso wichtiger seien Projekte wie dieses, die Lehrer, Eltern und Kinder
zu mehr Prophylaxe motivieren.
Zahnärzte Initiative Mönchengladbach ZIMkid
Den zweiten Sonderpreis der Kategorie „Niedergelassene Praxis und
gesellschaftliches Engagement“ erhielten Dr. Jürgen Zitzen, Dr. Stephan Kranz, Dr.
Dr. Ralf-Thomas Lange und Klaus Büssenschütt von der Zahnärzte Initiative
Mönchengladbach ZIM. In ihrer Aktion ZIMkid – dahinter verbirgt sich eine
Zusammenarbeit von ortsansässigen Zahnärzten, Kinder- und Jugendärzten in
Mönchengladbach – nutzen sie seit 2008 Synergien, um die Zahngesundheit bei
Kindern zu verbessern. Die Vernetzung ist erfolgreich: Von 2008 bis 2010 stieg die
Zahl der primär gesunden Kinder in Mönchengladbach von 60 auf über 70 Prozent an
Copyright © 2015 Chance Praxis
-5/6-
17.11.2015
6
– bis heute mit steigender Tendenz.
Dieser Beitrag wurde publiziert am Sonntag den 15. November 2015 um 14:16
in der Kategorie: Aktuelles.
Kommentare können über den Kommentar (RSS) Feed verfolgt werden.
Du kannst zum Ende springen und ein Kommentar abgeben. Pingen ist momentan nicht
erlaubt.
Copyright © 2015 Chance Praxis
-6/6-
17.11.2015