Volltext als PDF - und Kommunikationswissenschaft
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Universität Mannheim • Philosophische Fakultät Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft 15 Minuten Diskurs Eine Analyse der Deliberation in den Fernsehnachrichten zur Bundestagswahl 2009 Bachelor-Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Arts (B.A.) im Studiengang Medien- und Kommunikationswissenschaft Vorgelegt am 31. Mai 2010 von Charlotte Löb Carina Weinmann BA MKW, 6. Fachsemester Matrikelnummer: 1091578 BA MKW, 6. Fachsemester Matrikelnummer: 1091396 [email protected] [email protected] Betreuung durch Prof. Dr. Hartmut Wessler Abstract Diese Studie untersucht medienvermittelte Deliberation zur Bundestagswahl 2009 in Fernsehnachrichten. Im Kontext der für das politische System Deutschlands folgenreichsten Wahl ist von Interesse, wie Bürger auf eine rational begründete Wahlentscheidung vorbereitet werden. Stellen die Nachrichten ihnen relevante Informationen zur Verfügung? Werden diese durch einen kritischen Diskurs vermittelt? Der Fokus liegt einerseits auf dem Input, andererseits auf dem Throughput öffentlicher Debatten. Untersucht werden Diskursstruktur und -qualität anhand folgender Deliberativitätskriterien: (1) Inklusivität, (2) Ausgewogenheit, (3) Responsivität, (4) Zivilität, (5) Rechtfertigung und (6) Widerlegung. Mittels einer quantitativen Inhaltsanalyse wird die „heiße Phase“ vor der Wahl in den Hauptnachrichtensendungen von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 analysiert. Die Autorinnen kommen zu dem Schluss, dass Nachrichtensendungen deliberative Kriterien durchaus in Ansätzen erfüllen. Doch stellt sich heraus, dass unterschiedliche Senderstrukturen und der zeitliche Fortschritt der Debatte deren Deliberativität nur bedingt erklären können. Sie scheinen in diesem Diskurs durch strukturelle Bedingungen massenmedialer Kommunikation überlagert zu werden. Die Studie eröffnet durch ihre Erkenntnisse Perspektiven für bislang vernachlässigte Dimensionen und Gegenstände empirischer Forschung zur medienvermittelten Deliberation. This study investigates mediated deliberation about the Bundestag elections 2009 in television news. In the context of the most consequential elections for the German political system it is interesting how citizens are prepared to make a rationally reasoned vote. Do news provide relevant information? Are they conveyed through a critical discourse? The study focuses on the input and throughput dimension of public debates. Structure and quality of discourse are analyzed through the following criteria of deliberation: (1) Inclusiveness, (2) Balance, (3) Responsiveness, (4) Civility, (5) Justification and (6) Rebuttal. Four stations’ news coverage (ARD, ZDF, RTL and Sat.1) of the crucial phase of the elections are scrutinized by quantitative content analysis. The authors conclude that television news do rudimentary fulfill deliberative standards. Though, different organizational structures of TV stations and the debate’s progress have limited potential to explain deliberative patterns. They seem to be dominated by structural conditions of mass communication. This study’s main insights offer perspectives on so far neglected dimensions and matters of empirical research in mediated deliberation. Inhalt Abbildungsverzeichnis .....................................................................................................iii Tabellenverzeichnis ......................................................................................................... iv 1 Einleitung .................................................................................................................. 1 2 Theoretischer Hintergrund ........................................................................................ 3 2.1 Deliberation ....................................................................................................... 3 2.1.1 Deliberative Demokratietheorie .................................................................... 3 2.1.2 Medienvermittelte Deliberation .................................................................... 6 2.2 Wahlberichterstattung ....................................................................................... 9 2.3 Unterschiede zwischen den Sendergruppen .................................................... 16 2.3.1 Unterschiedliche Organisationsstrukturen .................................................. 16 2.3.2 Differenzen in Qualität und Inhalten der Berichterstattung ........................ 18 3 Konzeption der Studie ............................................................................................. 22 3.1 Variablen und Hypothesen .............................................................................. 22 3.1.1 Herleitung der Variablen ............................................................................. 22 3.1.2 Hypothesen – Diskursstruktur ..................................................................... 26 3.1.3 Hypothesen – Diskursqualität ..................................................................... 28 3.2 Indikatoren und Design des Messinstruments ................................................ 29 3.2.1 Operationalisierung – Diskursstruktur ........................................................ 29 3.2.2 Operationalisierung – Diskursqualität ........................................................ 36 3.3 4 Materialauswahl und Codierung ..................................................................... 41 Auswertung der Ergebnisse .................................................................................... 46 4.1 Ergebnisdarstellung und Hypothesenprüfung – Diskursstruktur .................... 46 4.1.1 Diskursstruktur nach Senderstruktur ........................................................... 46 4.1.2 Diskursstruktur im Zeitverlauf .................................................................... 55 4.2 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse – Diskursstruktur ........... 64 4.3 Ergebnisdarstellung und Hypothesenprüfung – Diskursqualität .................... 74 4.3.1 Diskursqualität nach Senderstruktur ........................................................... 74 i 4.3.2 Diskursqualität im Zeitverlauf .................................................................... 84 4.4 5 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse – Diskursqualität ............ 89 Zusammenführung der Teilstudien ......................................................................... 98 5.1 „Wird der Diskurs durch Sprecher der Peripherie inziviler?“ ........................ 98 5.2 „Wie undeliberativ ist Horse Race wirklich?“ ................................................ 99 5.3 „Sind responsive Beiträge argumentativer?“ ................................................ 106 6 Fazit ....................................................................................................................... 110 7 Literatur ................................................................................................................. 117 8 Anhang .................................................................................................................. 125 ii Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: „Das ‚Wahlkampf-Dreieck„“ .................................................................... 12 Abbildung 2: Übersicht über die unabhängigen und abhängigen Variablen .................. 26 Abbildung 3: Responsivitätsgehalt der Beiträge im Vergleich zwischen öffentlichrechtlichen und privaten Sendern .................................................................................... 55 Abbildung 4: Responsivitätsgehalt der Beiträge im Zeitverlauf ..................................... 63 Abbildung 5: Umfang der Berichterstattung im Zeitverlauf ........................................... 65 Abbildung 6: Responsivitätsgehalt der gesamten Wahlberichterstattung....................... 70 Abbildung 7: Inzivilitätsausprägungen im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern ...................................................................................................... 75 Abbildung 8: Zivile und inzivile Aussagen im Zeitverlauf ............................................ 85 Abbildung 9: Rechtfertigung im Zeitverlauf .................................................................. 86 Abbildung 10: Widerlegung im Zeitverlauf.................................................................... 88 Titelbild: Eigene Erstellung mit Screenshots und diversen Bildelementen, abgerufen am 29.05.2010 von http://bilderdienst.bundestag.de/collections/121762166/_1275226901/?se arch[view]=detail&search[focus]=1 (© Deutscher Bundestag, Stephan Erfurt) http://www.spd.de/de/service/logos/index.html http://www.cdu.de/service/35_19941.htm http://www.fdp-bundespartei.de/webcom/show_article.php?wc_c=1706 http://die-linke.de/service/download/erscheinungsbild_logo_ua/ http://www.gruene.de/einzelansicht/artikel/logo-zum-download.html http://die-violetten.de/ http://wiki.piratenpartei.de/Parteilogo iii Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Schlüsselkriterien medienvermittelter Deliberation ........................................ 8 Tabelle 2: Anteile der Wahlthematisierung der verschiedenen Sendungstypen an allen Beiträgen mit Wahlbezug der Sender im Vergleich ....................................................... 11 Tabelle 3: Themenstruktur 2009 der Nachrichtensendungen im Vergleich ................... 20 Tabelle 4: Themenpräsenz im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern............................................................................................................................ 47 Tabelle 5: Sprecherpräsenz im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern............................................................................................................................ 48 Tabelle 6: Parteienpräsenz im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern............................................................................................................................ 50 Tabelle 7: Themenstruktur im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern (gekürzt) ............................................................................................................ 52 Tabelle 8: Parteienstruktur im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern............................................................................................................................ 52 Tabelle 9: Themenpräsenz im Zeitverlauf ...................................................................... 56 Tabelle 10: Sprecherpräsenz im Zeitverlauf ................................................................... 57 Tabelle 11: Parteienpräsenz im Zeitverlauf .................................................................... 58 Tabelle 12: Themenstruktur im Zeitverlauf (gekürzt) .................................................... 60 Tabelle 13: Parteienstruktur im Zeitverlauf .................................................................... 61 Tabelle 14: Responsivitätsgehalt im Zusammenhang mit der Länge der Beiträge......... 71 Tabelle 15: Beiträge am 26. September 2009: ZDF vs. RTL .......................................... 73 Tabelle 16: Zivilität der Aussagen im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern ............................................................................................................. 74 Tabelle 17: Herabwürdigende Äußerungen im Vergleich zwischen öffentlichrechtlichen und privaten Sendern .................................................................................... 77 Tabelle 18: Anteil der Rechtfertigungen in den Sprecheraussagen im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern ................................................... 79 Tabelle 19: Anteil der Sprecheraussagen mit oder ohne Begründung im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern ................................................... 80 Tabelle 20: Anteil der Widerlegungen in den Sprecheraussagen im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern ................................................................... 81 Tabelle 21: Sprecheraussagen mit oder ohne Bezug auf Aussagen eines anderen Akteurs im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern ............................. 82 iv Tabelle 22: Sprecheraussagen mit oder ohne Gegenargument im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern ................................................................... 82 Tabelle 23: Ausdruck in den Sprechergruppen Zentrum und Peripherie........................ 99 Tabelle 24: Begründungen im Zusammenhang mit der Themenzuordnung................. 100 Tabelle 25: Begründungen im Zusammenhang mit der Themenzuordnung unter Kontrolle der Sprecherzuordnung ................................................................................. 101 Tabelle 26: Aussagen mit und ohne Begründung im Zusammenhang mit der Themenzuordnung unter Kontrolle des Responsivitätsgehalts ..................................... 102 Tabelle 27: Ausdruck im Zusammenhang mit der Themenzuordnung......................... 103 Tabelle 28: Ausdruck im Zusammenhang mit der Themenzuordnung unter Kontrolle der Sprecherzuordnung ................................................................................................. 104 Tabelle 29: Anteil der Aussagen in den Beiträgen nach Sprecherzuordnung im Zusammenhang mit der Themenzuordnung ................................................................. 105 Tabelle 30: Begründete Aussagen im Zusammenhang mit dem Responsivitätsgehalt der Aussagen ....................................................................................................................... 106 Tabelle 31:Bezugnahmen in Aussagen im Zusammenhang mit dem Responsivitätsgehalt der Aussagen ............................................................................... 107 Tabelle 32: Bezugnahmen in Aussagen im Zusammenhang mit dem Responsivitätsgehalt der Aussagen unter Kontrolle der Sprecherzuordnung ............... 107 Tabelle 33: Aussagen mit Bezügen im Zusammenhang mit den Sprechergruppen ..... 108 Tabelle 34: Sprecherzuordnung im Zusammenhang mit dem Responsivitätsgehalt .... 109 v 1 Einleitung Wahlen und die ihnen vorausgehenden Wahlkämpfe sind mit die wichtigsten kommunikativen Ereignisse in demokratischen Systemen. In Deutschland ist die Bundestagswahl die für das politische System folgenreichste Abstimmung (Schulz, 2008, S. 229). Sie determiniert die politische Richtung der Gesellschaft und hat Auswirkungen auf andere Wahlen. Die Medien und die Art ihrer Berichterstattung über solche Ereignisse spielen für eine Wahl und ihren Ausgang und damit für die Entwicklung einer modernen Gesellschaft eine zentrale Rolle. Ihre Aufgabe ist es, den Bürgerinnen und Bürgern Information zur Verfügung zu stellen, um ihnen damit eine freie und rationale Meinungsbildung über die Parteien und deren Programme zu ermöglichen. Diese soll dann die Grundlage für überlegte Wahlentscheidungen bilden. Medien sind jedoch keine neutralen Vermittlungsinstanzen, welche die Geschehnisse neutral abbilden. Vielmehr agieren sie als selbstständige Akteure und verfolgen eigene Interessen (Brettschneider, 2005a). Umso wichtiger ist es zu prüfen, inwieweit sie normativen Anforderungen gerecht werden. Das normative Konzept der deliberativen Demokratie, das von den Autorinnen als theoretische Basis herangezogen wird, verfügt über feste Vorstellungen darüber, welche Funktionen Öffentlichkeit und die darin eingeschlossenen Medien in einem demokratischen System zu erfüllen haben. Diese verteilen sich in einer Vorstellung von Öffentlichkeit als einem sozialen Raum auf drei Dimensionen: Input, Throughput und Outcome (Wessler, 2008, S. 3ff.; Wessler & Schultz, 2007, S. 16ff.). Die Studie widmet sich den Prozessen innerhalb der ersten beiden Dimensionen, letztere liegt außerhalb des Erklärungsanspruches. Die durch das deliberative Öffentlichkeitskonzept formulierten Ansprüche werden in dieser Untersuchung an das Fernsehen herangetragen, welches den Bürgerinnen und Bürgern als zentrale Informationsquelle zur Bundestagswahl diente. Weitere Relevanz erhält die Studie durch die Tatsache, dass die Berichterstattung über Wahlen bisher nicht Gegenstand empirischer Studien zur medienvermittelten Deliberation war. Auch das Format der Fernsehnachrichten wurde in diesem Forschungszweig bisher nur wenig beachtet. Eine Untersuchung der Wahlberichterstattung in Fernsehnachrichten stellt daher eine interessante Ergänzung der bisherigen Forschung dar. Aus diesem Interesse und den oben beschriebenen Überlegungen widmen sich dem Input und Throughput medienvermittelter Deliberation folgende Forschungsfragen: Wie gestaltet sich die Diskursstruktur der medienvermittelten Deliberation in der Wahlberichterstattung der deutschen Fernsehnachrichten? 1 Wie gestaltet sich die Diskursqualität der medienvermittelten Deliberation in der Wahlberichterstattung der deutschen Fernsehnachrichten? Im Hinblick auf diese Fragen soll der Fokus auf zwei Aspekten liegen, die als mögliche Ursachen von verschiedenen Differenzen und Tendenzen in der Berichterstattung in Betracht gezogen werden. Einerseits ist zu untersuchen, ob aufgrund des dualen Rundfunksystems in Deutschland die ökonomische Struktur der Sender Auswirkungen auf Struktur und Qualität der medialen Debatte hat. Andererseits soll in Anlehnung an weitere empirische Studien (Maia, 2009; Simon & Xenos, 2000) untersucht werden, inwieweit der zeitliche Fortschritt die Debatte verändert. Zur Beantwortung der Forschungsfragen hinsichtlich der oben erläuterten Aspekte wird eine vergleichende Studie der vier Hauptnachrichtensendungen Tagesschau, heute, RTL Aktuell und den Sat.1 Nachrichten durchgeführt. Zur Erläuterung des normativen Maßstabes, welcher hier an die Medien herangetragen wird, wird zunächst auf das von Joshua Cohen maßgeblich geprägte deliberative Demokratieverständnis (Cohen, 1989) und das daraus resultierende Verständnis von massenmedialer Öffentlichkeit eingegangen. Im Anschluss daran werden Merkmale der Wahlberichterstattung erläutert und zur medienvermittelten Deliberation in Bezug gesetzt, sowie Unterschiede zwischen den beiden Sendergruppen des dualen Rundfunksystems ausgeführt. An diese theoretischen Ausführungen schließt sich eine Beschreibung der Konzeption dieser Studie sowie die theoretische Herleitung der abhängigen Variablen und Hypothesen an. Den Großteil der Arbeit nehmen die darauf folgende Darstellung der Ergebnisse, deren Diskussion im Hinblick auf die Deliberativität der Wahlberichterstattung und die Beantwortung der Forschungsfragen ein. Dieser Teil widmet sich dabei zunächst den Erkenntnissen um die Diskursstruktur, anschließend den Ergebnissen und der Diskussion der Diskursqualität. Den Abschluss bilden eine Zusammenführung der strukturellen und der qualitativen Dimensionen und eine Thematisierung der Folgen dieser Erkenntnisse im Hinblick auf das oben formulierte Forschungsinteresse. Die wesentlichen Ergebnisse, Einschränkungen der Studie, sowie theoretische und empirische Konsequenzen werden in einem abschließenden Fazit formuliert. 2 2 Theoretischer Hintergrund 2.1 Deliberation 2.1.1 Deliberative Demokratietheorie In der Literatur finden sich viele Vorschläge, wie ein demokratisches Herrschaftssystem aufgebaut sein sollte. Geprägt sind diese normativen Vorstellungen unter anderem durch unterschiedliche Menschenbilder und historische Ereignisse. Ferree et al. (2002) gruppieren die verschiedenen normativen Modelle in vier Traditionen: das repräsentativliberale Modell, das partizipativ-liberale Modell, das diskursive und zuletzt das konstruktivistische Modell.1 Zentrale Aspekte sind hierbei stets die Fragen: Wie soll der politische Diskurs in der Öffentlichkeit gestaltet sein? Wer ist daran beteiligt und in welcher Form? Wie sollen die teilnehmenden Akteure miteinander kommunizieren und worüber? Welches Resultat ist für die Öffentlichkeit zu erwarten (Ferree et al., 2002, S. 205)? Jedes Modell findet andere Antworten auf diese Fragen. Jedoch sind die Traditionen in sich nicht durchgehend konsistent. So gibt es innerhalb des diskursiven oder auch deliberativen Demokratiemodells, welches hier zugrunde gelegt wird, unterschiedliche Auffassungen darüber, wie deliberative Diskurse gestaltet sein sollten. Diese Arbeit stellt sich in die um Jürgen Habermas entstandene Tradition und bedient sich seines Verständnisses von deliberativer Demokratie. Joshua Cohen, auf den sich auch Habermas bezieht, fasst diese folgendermaßen: The notion of a deliberative democracy is rooted in the intuitive ideal of a democratic association in which justification of the terms and conditions of association proceeds through public argument and reasoning among equal citizens. Citizens in such an order share a commitment to the resolution of problems of collective choice through public reasoning, and regard their basic institutions as legitimate in so far as they establish the framework for free public deliberation (Cohen, 1989, S. 21). Den Prozess der Deliberation beschreibt Simone Chambers wie folgt: Deliberation is debate and discussion aimed at producing reasonable, well-informed opinions in which participants are willing to revise preferences in light of discussion, new information, and claims made by fellow participants (Chambers, 2003, S. 309). Deliberation ist Cohen und Chambers zufolge also ein diskursiver Prozess, bei dem gleichberechtigte Teilnehmer begründete Argumente über ein gesellschaftlich relevantes Problem austauschen. Gleichzeitig sind sie bereit, die Gegenargumente der anderen 1 Genauere Erläuterungen der einzelnen Modelle finden sich bei Ferree et al., 2002, Kap. 10. 3 Teilnehmer anzuhören, sie zu respektieren und gegebenenfalls sogar zu übernehmen und ihre Meinung zu ändern. Peters fasst dies wie folgt zusammen: Public deliberation2 means a collaborative argumentative effort to obtain collectively acceptable solutions to problems or resolutions of conflict. Even where a consensus is not obtained or expected, public deliberation should lead to learning effects, to an enrichment of the “stock” [Hervorhebung im Original] of arguments and ideas, to a reflective examination and possibly transformation of one‟s own convictions and preferences, to a certain degree of understanding and respect for opposing positions, and with all that to a higher degree of rationality and legitimacy of political decisions (Peters, 2005, S. 173, zit. n. Wessler, 2008, S. 3). Auf diese Debatten sollen „ein vernünftiger politischer Wille und legitime demokratische Entscheidungen folgen“ (Schultz, 2006, S. 39). Außerdem wirken der Vollzug und die Teilnahme an solchen Debatten auf ihr Publikum und ihre Teilnehmer zurück. Deliberation wird insofern ein intrinsischer Wert zur Erhaltung und Reproduktion demokratischer Wertvorstellungen und damit einer erhöhten Stabilität des Systems zugesprochen. Der extrinsische Wert hingegen ergibt sich aus der erhöhten Legitimität der politischen Entscheidungen. Den Bürgern kommt innerhalb Theorien deliberativer Demokratie ein zentraler Stellenwert zu. Ihnen obliegt die Aufgabe, aktiv an Themenfindungsprozessen und der Einbringung von rationalen und sachlichen Argumenten mitzuwirken. Deliberative Debatten sind darüber hinaus einigen Regeln unterworfen, welche die Qualität der Meinungsbildungsprozesse, die innerhalb der Diskussionen stattfinden, garantieren sollen. Habermas zufolge ist deliberative Demokratie gekennzeichnet durch einen Prozess der Beratung, welcher öffentlich vollzogen und sowohl gegenüber gesellschaftlich relevanten Themen als auch Teilnehmern inklusiv ist. Der Diskurs wird als ein ziviler Austausch rationaler Argumente verstanden, wobei er nicht durch externe Zwänge wie Zeitdruck oder durch interne Zurückhaltungen, wie ungleiche Verteilung von Macht oder anderen Ressourcen eingeschränkt wird. Ziel solcher Diskurse ist es, einen Konsens zu erzielen, der sich aus dem „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ (Habermas, 1992, S. 370) ergibt. Habermas bezeichnet dies als einen „herrschaftsfreien Diskurs“. Dieser kann nur in einer idealen Sprechsituation stattfinden:3 „Dies ist vor allem dann der Fall, wenn für alle Diskursteilnehmer eine symmetrische Verteilung der 2 “I assume that the whole universe of public deliberations going on in a country corresponds to what Habermas meant by the public sphere” (Peters, 1997, S. 14). 3 Nähere Erläuterungen der idealen Sprechsituation finden sich in Habermas‟ Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns (Habermas, 1984). 4 Chancen besteht, Sprechakte zu wählen und auszuführen“ (Burkart & Lang, 2007, S. 43). Wichtig ist hierbei die enge Verknüpfung von politischen Demokratiemodellen und Theorien politischer Öffentlichkeit: Democratic theory focuses on accountability and responsiveness in the decision-making process; theories of the public sphere focus on the role of public communication in facilitating or hindering this process (Ferree et al., 2002, S. 205). Öffentlichkeit wird in Anlehnung an Habermas (1992) als ein sozialer Raum verstanden, welcher durch verständnisorientierte Kommunikationsstrukturen geprägt ist und in welchem öffentliche Deliberation stattfindet. Hier findet der Austausch von Argumenten statt und es entwickeln sich Meinungsbildungsprozesse der Bürger. Diese Diskurse sind in der Lebenswelt der Bürger verankert und bringen kommunikative Macht hervor. Diese kann dann Einfluss auf das System nehmen. Für das politische System ist damit konkret die An- oder Aberkennung von Legitimität verbunden, auf die es angewiesen ist. Es ist damit also nicht als ein von der Lebenswelt abgekoppeltes System zu verstehen: „Das rechtsstaatlich verfaßte politische System ist intern in Bereiche administrativer und kommunikativer Macht differenziert und bleibt zur Lebenswelt hin geöffnet“ (Habermas, 1992, S. 427), da es beispielsweise durch Wahlen institutionell in die Lebenswelt eingebunden ist. Diese unterschiedlichen Machttypen klassifiziert Habermas anhand einer von Bernhard Peters (1993) entliehenen Akteurscharakterisierung (Peters, 1993, S. 327ff.). So schreibt er die administrative Macht dem Zentrum des politischen Systems zu. Darunter sind unter anderem die Verwaltung, die Regierung und die Legislative zu fassen. Die kommunikative Macht hingegen ordnet er allen anderen kommunikativ verdichteten Interessennetzwerken zu. Dazu zählen beispielsweise Verbände, NGOs, soziale Bewegungen und Parteien. In Anlehnung an Habermas formulieren auch Gerhards und Neidhardt ihren Öffentlichkeitsentwurf. Sie verstehen Öffentlichkeit als ein intermediäres System, dessen politische Funktion in der Aufnahme (Input) und Verarbeitung (Throughput) bestimmter Themen und Meinungen sowie in der Vermittlung der aus dieser Verarbeitung entstehenden öffentlichen Meinungen (Output) einerseits an die Bürger, andererseits an das politische System besteht (Gerhards & Neidhardt, 1993, S. 54). 5 Öffentlichkeit leistet damit einen sehr wichtigen Beitrag zum Erhalt demokratischer Systeme, solange sie ihren beschriebenen Funktionen4 gerecht wird. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die maßgebliche Forderung an die öffentlichen Sphären demokratischer Systeme darin liegt, öffentliche Deliberation zu ermöglichen: One of the most important values of a democratic public sphere lies in its capacity to facilitate public deliberation. Public deliberation, broadly speaking, transforms social and political conflicts into argumentative debates in which claims are not just made but can be problematized and discussed. [...] Public deliberation [...] is an open, collective process of argumentative exchange about issues of societal relevance (Wessler & Schultz, 2007, S. 15). 2.1.2 Medienvermittelte Deliberation Einer der wichtigsten Hauptakteure in der Öffentlichkeit moderner Gesellschaften sind die Medien. Die Prozesse öffentlicher Deliberation werden hauptsächlich von ihnen veranlasst und finden durch sie vermittelt statt. Es ist Aufgabe der Medien, Informationen zu veröffentlichen, zu verbreiten und frei zugänglich zu machen. Wichtige Kriterien sind diesbezüglich die Meinungsvielfalt, eine demokratische Repräsentation sowie die Veröffentlichung von relevanten und verlässlichen Informationen: Public deliberation is essential to democracy, in order to ensure that the public‟s policy preferences – upon which democratic decisions are based – are informed, enlightened and authentic. In modern societies, however, public deliberation is (and probably must be) largely mediated [Hervorhebung im Original] […] (Page, 1996, S. 1). Die Größe heutiger Gesellschaften und die hohe Komplexität politischer Probleme machen das ursprüngliche Konzept von face-to-face Diskursen zwischen allen Bürgern einer Gesellschaft – wie es Habermas Vorstellungen entsprechen würde – nahezu unmöglich. Page (1996) stellt in seinem Buch „Who deliberates? Mass media in modern democracy“ heraus, dass trotz vorhandener technischer Möglichkeiten Diskurse unter Beteiligung aller Bürger absurd und nicht zielführend wären. Deshalb muss Deliberation nach Page dezentralisiert und an Experten delegiert werden. Der politische Prozess der Lösungsfindung wird somit in einer „division of labor“ (Page, 1996, S. 4) organisiert. Hierunter versteht der Autor: [to] delegate the jobs of studying policy and addressing the public to a small set of representatives or surrogate deliberators, perhaps to professional policy experts and communicators (Page, 1996, S. 4). 4 Eine grafische Darstellung der verschiedenen Prozesse findet sich in Wimmer, 2007. 6 Der Vollzug von deliberativen Diskursen ist also Aufgabe professioneller Kommunikatoren, die als Repräsentanten5 der Bevölkerung agieren. Dazu zählen „reporters, writers, commentators, and television pundits, as well as public officials and selected experts from academia or think tanks” (Page, 1996, S. 6). Damit wird die ursprünglich direkte Kontrollinstanz des politischen Systems, die öffentlich-direkte Deliberation, durch eine öffentlich-medienvermittelte Deliberation abgelöst. Nach Habermas hat diese medienvermittelte Deliberation die folgenden drei Funktionen: To mobilize and pool relevant issues and required information, and to specify interpretations; to process such contributions discursively by means of proper arguments for and against; and to generate rationally motivated yes [Hervorhebung im Original] and no [Hervorhebung im Original] attitudes (i.e. public opinions) that are expected to determine the outcome of procedurally correct decisions (Habermas, 2006, S. 416). Aus diesem Verständnis von Deliberation in modernen Gesellschaften leiten sich verschiedene normative Ansprüche an die Medien und ihren Leistungen für einen deliberativen Diskurs ab. Page formuliert hierzu einige Kriterien im Hinblick auf das Wer? und Was? (Page, 1996, S. 10). Sein Fokus liegt damit auf der Inklusivität und Repräsentativität hinsichtlich der Debattenteilnehmer und der Themen, die innerhalb der Diskurse behandelt werden. Wessler (2008) und Wessler und Schultz (2007) schlagen in Bezug auf das oben beschriebene Verständnis von Öffentlichkeit drei normative Säulen für medienvermittelte Deliberation auf den drei Dimensionen Input, Throughput und Outcome vor. Bezüglich der Input-Dimension halten sie fest, dass eine generelle Offenheit für Sprecher eine utopische Forderung ist. Sie schlagen vor, sich eher auf eine Offenheit gegenüber Themen und Ideen zu konzentrieren (Wessler & Schultz, 2007, S. 16). Für den Prozess des Throughputs fordern sie ein ziviles Verhalten der Debattenteilnehmer und eine rational begründete Argumentation. Sie gehen davon aus, dass trotz der triadischen Struktur6 massenmedialer Kommunikation Deliberation stattfinden kann. Dies liegt insbesondere daran, dass einerseits die Verwendung von Argumenten, gleich aus welchem Grund (strategisch oder verständnisorientiert), einem Diskurs zuträglich ist und andererseits das Publikum die Debatten eher observiert als selbst aktiv daran teilzunehmen (Wessler & Schultz, 2007, S. 16ff.). Hinsichtlich der Outcome-Dimension weichen Wessler und Schultz von der Forderung Habermas‟ nach einem Konsens ab: „for large-scale public 5 Der Begriff der Repräsentanten könnte hier missverstanden werden. Die genannten „Vertreter“ sind nämlich nur teilweise demokratisch legitimiert und vertreten oft nur gruppenspezifische Interessen. 6 Die Debattenteilnehmer diskutieren nicht miteinander, um ihren direkten Kontrahenten zu überzeugen, sondern um das Publikum von ihren Ansichten in Kenntnis zu setzen und für sich zu gewinnen. 7 deliberation in the media the triadic and competitive structure makes consensus unlikely“ (Wessler & Schultz, 2007, S. 18). Stattdessen halten sie einen begründeten Dissens für einen angemessenen Maßstab für medienvermittelte Debatten (Wessler & Schultz, 2007, S. 12). Gastil hingegen formuliert neun Kriterien, die die Ansprüche an die medienvermittelte Deliberation charakterisieren (siehe Tabelle 1). Media Producers Media Users Analytic Process Create a solid information base. Prioritize the key values at stake. Identify a broad range of solutions. Present media users with a broad base of background information by reporting extensively on important issues. Explore the underlying public concerns behind the surface facts and events that define an issue. Present the broadest possible range of solutions to problems, including nongovernmental and unpopular ones. Weigh the pros, cons, and trade-offs among solutions. Report different viewpoints but do more than juxtapose them; subject them to careful scrutiny Make the best solution possible. Make recommendations but keep editorial content distinct from news; leave the decision to the media user. Seek out opportunities to learn of others‟ experiences and relevant expert analyses. Consider the diverse concerns underlying issues and how others prioritize issues differently. Learn about how people like or unlike yourself think about addressing a problem. Reassess your biases favoring or opposing different solutions by seeing how others weigh pros and cons. Take responsibility for making up your own mind after listening to the advice of experts, partisans, and others. Social Process Adequately distribute speaking opportunities. Ensure mutual comprehension. Use diverse sourcing, invite diverse guests with different ways of speaking, and reach beyond conventional debates (left/right). Make news and information understandable for readers; prose should be accessible to the audience. Consider other ideas and experiences. Take arguments from all perspectives seriously. Respect other participants. Model respect for different views; treat readers with respect by making news serious but engaging. Make time to listen to sources with views different from your own. Add your own voice when appropriate. When you cannot understand an issue or argument, seek clarification from others. When hearing different views, avoid tuning out or ruminating an counterarguments before considering what is said. Give the benefit of the doubt to sources but demand better behavior from those who violate your trust. Tabelle 1: Schlüsselkriterien medienvermittelter Deliberation7 Zu jedem Kriterium formuliert er eine Anforderung an die Medien und eine Forderung an die Bürger, die Rezipienten. Unterteilt sind die Kriterien in den „Analytic Process“, welcher unter anderem strukturelle Bedingungen enthält, und in den „Social Process“, der Regeln für die Interaktion innerhalb der medienvermittelten Deliberation anlegt 7 Eigene Erstellung nach Gastil, 2008, S. 52. 8 (Gastil, 2008, S. 52). Diese Kriterien können nur an das Mediensystem in seiner Gesamtheit angelegt werden, da nach Gastil kein einzelnes Format alle Kriterien erfüllen kann: An important point here is that this responsibility is best understood as applying to the media system as a whole, rather than an individual producer, let alone an individual piece of reporting or a single program (Gastil, 2008, S. 50f.). Diese Forderung ist zwar durchaus sinnvoll, allerdings auch streitbar, weil sie voraussetzt, dass die Rezipienten sich bei ihrem Meinungsbildungsprozess stets mehreren Medienangeboten aussetzen. Der Anspruch, der in dieser Arbeit an die Medien gestellt wird, ist der, dass auch Informationssendungen allein deliberative Kriterien zu einem gewissen Grad erfüllen können. Es existieren verschiedene Studien zu medienvermittelter Deliberation, die sich innerhalb des Habermas‟schen Verständnisses verorten lassen. Vereinfacht lassen sie sich anhand ihres Hauptfokus in drei Arten unterteilen: Studien zu Diskursprozessen (Maia, 2009; Simon & Xenos, 2000), zu Diskursstrukturen (Bennett et al., 2004) und zur Diskursqualität (Schultz, 2006; Wessler, 1999). Daneben gibt es auch Studien, welche beide Dimensionen der Diskursstruktur und -qualität gleichwertig untersuchen (Ferree et al., 2002; Gerhards, Neidhardt & Rucht, 1998). Auch in dieser Arbeit liegt der Fokus zum einen auf der Diskursstruktur und zum anderen auf der Diskursqualität. Die prozesshafte Komponente wird anhand der unabhängigen Variablen des zeitlichen Fortschritts mit einfließen. 2.2 Wahlberichterstattung Wahlen sind essentieller Bestandteil von Demokratien (Meyer, 2009, S. 169; Nohlen, 2007, S. 27ff.). Sie sind Ereignisse, bei denen die Bürger am politischen Prozess teilhaben und durch ihre Stimmabgabe den Machtinhabern Legitimation verleihen können (Nohlen, 2007, S. 34f.; Schulz, 2008, S. 229).8 Politische Akteure und Parteien werben in der Zeit vor den Wahlen um die Stimmen der Bürger, indem sie sie über ihre programmatischen Inhalte informieren und zur Stimmabgabe in ihrem Interesse zu überzeugen suchen. Insofern handelt es sich bei Wahlkämpfen um eine besondere Form po8 Den Begriff der Legitimation verwenden in diesem Zusammenhang sowohl Schulz als auch Nohlen. Er sollte jedoch nicht mit der durch deliberative Debatten entstehenden Legitimation (siehe Kapitel 2.1.1) gleichgesetzt werden. 9 litischer Kommunikation. In der heutigen Gesellschaft wird diese maßgeblich über die Massenmedien vermittelt (Schulz, 2008, S. 245). Den Medien und ihrer Wahlberichterstattung kommt deshalb eine hohe Bedeutung zu: Wahlen sind klar konturierte kommunikative Ereignisse und zumindest unter den regelhaft [Hervorhebung im Original] auftretenden politischen Abläufen, über die Medien berichten, die sie kommentieren und interpretieren, die folgenreichsten (Schönbach, 1998, S. 114). Das in jeglicher Hinsicht relevanteste Medium ist dabei das Fernsehen. In Bezug auf die Nachrichten dieses Mediums bemerkt beispielsweise Klaus Kamps: Nachrichtenmedien sorgen nicht nur mehr oder weniger gut dafür, daß die Bevölkerung über Politik „auf dem Laufenden gehalten wird“ [Hervorhebung im Original]; ihre Existenz ist Ausdruck und Bedingung politischer Teilhabe wie Legitimation (Kamps, 1998, S. 34). Ob Fernsehnachrichten – wie Kamps suggeriert – einen positiven Einfluss auf politische Teilhabe ausüben, ist nicht eindeutig zu belegen. Die Wirkung der politischen Medienberichterstattung im Allgemeinen und des Fernsehens im Speziellen auf die Mobilisierung der Bürger ist umstritten und allenfalls für einzelne Formate nachgewiesen worden, wie Schmitt-Beck und Mackenrodt (2009) in einer zur Bundestagswahl 2005 durchgeführten Studie zeigen. Bestätigt wurde durch die Studie, dass Fernsehnachrichten maßgeblich zur Vermittlung von politischen Inhalten in Wahlkämpfen beitragen und ihre Nutzung mit sinkendem Abstand zur Wahl zunimmt (Schmitt-Beck & Mackenrodt, 2009, S. 422ff.). Eine Erhebung zur Bundestagswahl 2009 weist in dieselbe Richtung: 49 % der Befragten des ARD/ZDF-Wahltrends 2009 informieren sich hauptsächlich mit Hilfe dieses Mediums über den Wahlkampf (Geese, Zubayr & Gerhard, 2009, S. 638). Zwar liegen in dieser Studie keine Daten darüber vor, in welchem Format sich die Zuschauer größtenteils informieren, jedoch besitzen Nachrichten nach den aktuellen Werten der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) im Bereich der Informationsangebote mit Politikbezug immer noch die höchste Nettoreichweite. Im Jahr 2008 betrug diese 39 %, im Vergleich dazu waren die Reichweiten bei Talk- und Gesprächsshows mit 13 % oder 20 % bei Nachrichtenmagazinen (Gerhards & Klingler, 2009, S. 669) deutlich niedriger. Wie Tabelle 2 zeigt, entfiel auf Nachrichten angesichts ihrer im Vergleich zu den meisten sonstigen Wahlsendungen (z. B. dem TV-Duell) eher kurzen Ausstrahlungslänge ein relativ hoher Anteil an der gesamten Wahlthematisierung des Fernsehens. Im Zeitraum vom 3. August bis zum 4. Oktober 2009 erreichten die Nachrichten einen Wert von 24 %. 10 Sender Sendungstyp Nachrichten Magazine Wahlsendungen Gesamt ARD/Das Erste ZDF RTL Sat.1 Gesamt 20% 26% 30% 26% 24% 5% 7% 10% 0% 6% 75% 67% 60% 74% 70% 100% 100% 100% 100% 100% Basis: Alle Sendungen mit Wahlbezug im Zeitraum von 3.8. bis 4.10.2009 Quelle: IFEM, Köln Tabelle 2: Anteile der Wahlthematisierung der verschiedenen Sendungstypen an allen Beiträgen mit Wahlbezug der Sender im Vergleich9 Aufgrund der hohen Reichweite sind Wahlkämpfe und ihre Ergebnisse einerseits vom Fernsehen und seinen Nachrichten in hohem Maße abhängig, Schulz spricht in diesem Kontext von einer regelrechten „Fernsehdependenz“ (Schulz, 2006, S. 51). Andererseits meint dieser Begriff die Tatsache, dass Fernsehnachrichten für Parteien und Politiker – auch heute noch – das beliebteste Kampagnenmittel sind. Dies liegt nur teilweise an seiner exponierten Position als wichtigstes Informationsmedium der Bürger. Ein weiterer Grund besteht darin, dass Parteien für ihre Wahlkämpfe ohnehin ein großes Maß an finanziellen Mitteln aufwenden und Fernsehen für die Politik quasi kostenlos den Wahlkampf übermitteln kann. Insofern zählen Fernsehnachrichten zu den „free media“, im Vergleich zu „paid media“ oder auch „earned media“, wie beispielsweise Plakate oder Wahlkampfveranstaltungen (Plasser & Lengauer, 2009, S. 323; Schoen, 2007, S. 38). Schulz nennt zudem folgende Vorteile des Formats für die Wahlkampagne: Das hoch eingeschätzte Wirkungspotential […] macht [das Fernsehen] für das Kampagnenmanagement besonders attraktiv. Vor allem die aktuelle Berichterstattung ist für die politische Kampagne relativ leicht kalkulierbar und instrumentalisierbar. Fernsehnachrichten greifen schlaglichtartig nur die auffälligsten Geschehnisse des Tages heraus, wenige Ereignisse mit hohem Nachrichtenwert, dabei vor allem diejenigen, die sich in starken Bildern, im Handeln von Personen und „sprechenden Köpfen“ [Hervorhebung im Original], in Kontroversen und Konflikten manifestieren (Schulz, 2008, S. 246). Die Medien selbst stellen dabei keine unbeteiligten Vermittlungsinstanzen dar. Wie Brettschneider herausstellt, werden sie im Wahlkampf selbst zu politischen Akteuren. Sie wählen aus, worüber sie berichten, wie sie darüber berichten und determinieren damit letztlich Inhalt und Qualität der Wahlberichterstattung. Zugleich versuchen politische Akteure, die Medien in ihrem Sinne zu instrumentalisieren und ihre jeweilige 9 Eigene Erstellung nach Ergebnissen des ARD/ZDF Wahlmonitors 2009 (Krüger & Zapf-Schramm, 2009, S. 626). 11 Agenda durch politische Public Relations durchzusetzen (Brettschneider, 2005a, S. 21). Insofern stehen die Wähler neben dem direkten Kontakt zu politischen Akteuren – wie beispielsweise durch Politikerreden – über die Wahlberichterstattung zum einen unter dem indirekten Einfluss der Politik, zum anderen unter dem Einfluss der Medien selbst, wie folgendes Schaubild verdeutlicht: Parteien und Politiker Themenmanagement durch Parteien Massenmedien und Journalisten Selektion und Interpretation direkter Kontakt Medienwirkung Wähler - Einstellungen Verhalten Abbildung 1: „Das ‚Wahlkampf-Dreieck‘“10 Das zuvor erläuterte deliberative Verständnis einer Demokratie und die Diagnose einer medienvermittelten Deliberation unterstreicht die Stellung der Medien als Bindeglied zwischen politischem Zentrum und Bürgern. Wie John Gastil in dem Kapitel „Deliberative Elections“ (Gastil, 2008, S. 79ff.) darlegt, sind zur Gewährleistung deliberativer Wahlen einerseits Bürger und das politische System, andererseits die Massenmedien gefragt. Unter Bezugnahme auf Kathleen Hall Jamieson nennt er als deren Aufgabe im Wahlkampf, Themen mit öffentlicher Relevanz zu behandeln und Kandidaten in Bezug auf ihre Forderungen und Ziele in die Pflicht zu nehmen (Gastil, 2008, S. 93; Jamieson, 1992). So besteht insbesondere im Wahlkampf der Anspruch an die Medien, sowohl eine Informations- als auch Kontrollfunktion zu erfüllen (Schultz, 2006, S. 77ff.). Nicht nur Gastil nennt allerdings Tendenzen in der politischen Berichterstattung und speziell der Wahlberichterstattung, die einer zufriedenstellenden Deliberation diametral gegenüber stehen. Zahlreiche Politik- und Medienwissenschaftler sprechen von einem Wandel der Medien und der Wahlkämpfe in den vergangenen Jahren; so umschreibt beispielsweise Schulz diese Entwicklung mit dem Begriff der „Medialisierung“, womit er „solche Veränderungen bezeichne[t], die aus Interdependenzen zwischen Medien und Wahlkampagnen resultieren, insbesondere zwischen dem Medienwandel und dem Wandel der Wahlkampfführung“ (Schulz, 2006, S. 42). Als negative Folgen nennt er 10 Eigene Erstellung nach Brettschneider, 2005a, S. 20. 12 dabei unter anderem Personalisierung und Entsachlichung (Schulz, 2006, S. 45). Dies sind Tendenzen, die auch von anderen Theoretikern, teilweise unter dem Stichwort der Emotionalisierung, thematisiert werden (Brettschneider, 2002a, 2002b, S. 270ff.; HoltzBacha, 2001, 2006; Pappi & Shikano, 2001; Plasser & Lengauer, 2009; Schulz & Zeh, 2006, S. 287; Schulz, Zeh & Quiring, 2005). Setzt man den Maßstab einer möglichst deliberativen Berichterstattung an, lenken diese Muster von einer substantiellen Debatte ab und fokussieren weniger Themen und Argumente als Personen und deren Eigenschaften. Eine weitere These ist die der „Amerikanisierung“ von Wahlkämpfen und der medialen Berichterstattung über sie. Beschrieben wird damit eine Angleichung an in den USA übliche Strategien (Schulz, 2008, S. 244). Hinsichtlich dieses Begriffs herrscht jedoch teilweise Uneinigkeit unter den Forschern. So verstehen darunter einige eine Angleichung an amerikanische Verhältnisse der Wahlkampfführung und die Berichterstattung über sie, andere fassen darunter einen generellen, systemunabhängigen Wandel, der nicht unilinear gerichtet ist, was teilweise auch als „Modernisierung“ bezeichnet wird (Donges, 2000; Kamps, 2000). Christina Holtz-Bacha wiederum setzt den Begriff der Amerikanisierung weitgehend mit dem der „Professionalisierung“ gleich, worunter sie einen Wahlkampf weg von den Parteien hin zu PR-Agenturen und Beratern fasst (Holtz-Bacha, 2000, S. 44f.). Insofern werden unter dem Begriff der „Amerikanisierung“ verschiedene Tendenzen beschrieben, von denen die meisten – zumindest aus Deliberativitätssicht – negativ zu bewerten sind. Eine mit den zahlreichen Konzeptionen weitestgehend übereinstimmende und auch mit den von Gastil genannten Deliberationsgefahren konforme Definition bieten Plasser und Lengauer. Unter „Amerikanisierung“ subsummieren sie die Tendenzen zu „Game-Zentrierung“, „Personalisierung“, „Negativismus“ und „Journalistische Interpretativität“. Letzteres meint eine eher spekulativ-wertende im Gegensatz zu einer deskriptiv-neutralen Berichterstattung seitens der Journalisten (Plasser & Lengauer, 2009). Bei einer game-zentrierten und oft als „Horse Race“ bezeichneten Berichterstattung (Gastil, 2008, S. 94f.; Littlewood, 1998; Schulz, Zeh & Quiring, 2005; Wessler, 2008, S. 9) kommen Inhalte und Programme der Parteien zugunsten einer Berichterstattung über Umfrageergebnisse und aktuelle Beliebtheitswerte – kurzum der Frage: „Wer liegt vorn und warum?“ – zu kurz. Kritisiert wird daran vor allem, dass die Medien im Falle einer solchen Berichterstattung einerseits versäumen, Politiker zu ihren Standpunkten selbst sprechen zu lassen und andererseits die Bürger durch eine nüchterne 13 Wiedergabe der Realität zu informieren (Buchanan, 2001, S. 364). Gegenüber stellen lassen sich damit eine politics-zentrierte, also auf Horse Race, Strategie und Taktik ausgerichtete, und eine policy-zentrierte, also an sachpolitischen Fragen orientierte Berichterstattung (Plasser & Lengauer, 2009, S. 335; Schultz, 2006, S. 162ff.).11 Bei einer von Negativismus, Skandalisierung oder auch Sensationalismus geprägten Berichterstattung (Schoen, 2007, S. 37; Schulz, Zeh & Quiring, 2005; Wessler, 2008, S. 8) geht es mehr um Aufmerksamkeit heischende Berichterstattung, offensive Kritik und Angriffe als um sachlich angemessene Nachrichten sowie zivile, angemessene und substantielle Kritik, die nach deliberativen Gesichtspunkten vorzuziehen wäre. Gastil bemerkt hierzu: „Just as campaigns produce charges and countercharges, so do the media repeat – or even construct – negative attacks” (Gastil, 2008, S. 95). In beiden Fällen, sowohl der Wiedergabe als auch der selbst getätigten Angriffe durch die Medien, ist am eindeutigsten die deliberative Forderung nach Zivilität von Debatten verletzt. Eine weitere häufig genannte Tendenz ist diejenige der sinkenden Sprechzeiten (sound bites), die Akteuren innerhalb der Nachrichten eingeräumt werden (Schulz, 2006, S. 46). John Gastil diagnostiziert hier eine enorme Abnahme in Bezug auf die USA und Frank Esser kann dieselbe Tendenz in Frankreich, Großbritannien und Deutschland feststellen (Esser, 2008; Gastil, 2008, S. 96). Was daraus folgt, ist ein marginaler Zeitraum für den Ausdruck von Meinungen und tiefgründigen Argumentationen. In O-Tönen von mittlerweile nur rund zehn Sekunden ist dies schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Auch diese Tendenz wirkt somit einer gelingenden Deliberation entgegen. Eine weitere Tendenz der Berichterstattung nennt Wessler mit dem Begriff „news reporting according to a partisan line“ (Wessler, 2008, S. 8), womit er die Berichterstattung anhand einer bestimmten Linie und die daraus folgende Begrenzung des Meinungsspektrums durch Mechanismen wie instrumentelle Aktualisierung (Kepplinger et al., 1989) oder dem Heranziehen opportuner Zeugen (Hagen, 1993) meint. Page bezeichnet dies als „Constructed Deliberation [Hervorhebung im Original]“ (Page, 1996, S. 19). Zwar bezieht sich diese verzerrende Tendenz nicht explizit auf die Wahlberichterstattung, sondern auf die Politikberichterstattung im Allgemeinen, jedoch kann eine Verzerrung des medialen Diskurses zugunsten einer Partei und ihrer Akteure gerade vor einer Wahl als besonders Deliberativität mindernd 11 Im weiteren Verlauf der Arbeit werden die Begriffe „Horse-Race-Berichterstattung“ und „politicsBerichterstattung“ zur Bezeichnung von auf Strategie, Taktik, Wahlkampf und Umfragewerten zentrierten Nachrichten synonym verwendet. Die aus substantiellen Informationen und Sachthemen bestehenden Beiträge werden in dieser Studie mit den synonym verwendeten Begriffen von „sachpolitischer“ und „policy-Berichterstattung“ bezeichnet. 14 bezeichnet werden. Im Hinblick auf die Berichterstattung vor Bundestagswahlen ist gerade diese Konzentration auf einzelne Personen regelmäßig der Fall gewesen. Zwar scheint der Kanzlerbonus, also die höhere Beachtung des Amtsinhabers, über die Jahre verschwunden zu sein, wie Schulz und Zeh in einer Langzeitstudie über die Kandidatendarstellung im Wahlkampf feststellen, (Schulz & Zeh, 2006, S. 300). Allerdings zeigte sich 2002 ein deutliches Übergewicht der Präsenz von Gerhard Schröder (Brettschneider, 2002a, S. 265ff.) und 2005 von Angela Merkel (Brettschneider, 2005a, S. 22f.), was als zwar nicht als Amtsinhaber-, aber als Kandidatenbonus bezeichnet werden kann. Von einer ausgewogenen Berichterstattung, die allen Parteien, Akteuren und deren Themenschwerpunkten einen gleich oder ähnlich großen Umfang einräumt, kann in einem solchen Fall nicht mehr die Rede sein. Die genannten Muster und Tendenzen sind aus deliberativer Sichtweise als Gefahren für den medialen Diskurs zu bezeichnen. Sie lenken innerhalb der Berichterstattung von tatsächlichen Inhalten ab und/oder wirken verzerrend und bedrohen eine substantielle, tiefgründig recherchierte Berichterstattung, die Bürgerinnen und Bürgern am Tag der Wahl eine wohl überlegte Meinungsbildung ermöglicht. Allerdings müssen die Befunde zumindest teilweise relativiert werden. So gelangen Plasser und Lengauer in ihrer ländervergleichenden Untersuchung der Wahlkampfberichterstattung zu dem Schluss, dass die These der „Amerikanisierung“ nur zum Teil bestätigt werden kann (Plasser & Lengauer, 2009). Zwar zeigte die Berichterstattung von Tagesschau und RTL Aktuell im Jahre 2005 annähernd dasselbe Ausmaß an GameZentrierung und Negativismus wie in den US-amerikanischen Nachrichten im Wahljahr 2004, Personalisierung und journalistische Interpretativität waren jedoch in weit geringerem Maße ausgeprägt. Auch Essers Untersuchung präsentiert eine gemäßigte Diagnose für die deutsche Berichterstattung. So wurden den Hauptakteuren in der Berichterstattung von ARD und RTL über den Wahlkampf 2005 immerhin noch durchschnittlich 11,2 Sekunden für ihre Aussagen gewährt, im Vergleich zu lediglich 8,8 Sekunden im Wahljahr 2004 der USA (Esser, 2008, S. 411). Insofern lässt sich vermuten, dass die Wahlberichterstattung in Deutschland noch nicht so stark von Maßgaben von Aufmerksamkeit erregender Berichterstattung geprägt ist wie die der USA. Dass solche Tendenzen jedoch zunehmen, stellen die von Amerikanisierung, von Modernisierung oder Medialisierung sprechenden Theoretiker genauso wie die genannten Studien fest. Sie gelangen damit zu einem ähnlichen Befund wie Schulz und Zeh ihrer Studie über Kandidatendarstellungen: 15 Insgesamt lassen sich die beobachtbaren Veränderungen als Personalisierung, „Entsachlichung“ [Hervorhebung im Original] und Dramatisierung der Wahlkampfberichterstattung interpretieren. Die Fernsehnachrichten vermitteln ein zunehmend lebendiges, farbiges und spannendes Bild des Wahlkampfs, in dem die Kanzlerkandidaten eine immer prominentere Rolle spielen. Den Stilwandel haben die öffentlich-rechtlichen wie die privaten Programme in ähnlicher Weise vollzogen. Dabei sind die Unterschiede zwischen den Sendersystemen, die zu Beginn der Dualisierung sehr ausgeprägt waren, zunehmend geringer geworden. Diese Angleichung ist auch schon in anderen Analysen festgestellt worden (Schulz & Zeh, 2006, S. 300). Ob von der angesprochenen „Angleichung“ in vollem Umfang die Rede sein kann oder die strukturellen Unterschiede zwischen den beiden Säulen des deutschen Rundfunksystems auch zu Differenzen in Qualität und Inhalten führen, ist eine in der „Konvergenzdebatte“ nicht selten gestellte Frage.12 Auch die vorliegende Studie strebt zum Teil den Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsendern und ihrer jeweiligen Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 an. Insofern ist es relevant, einen Blick auf strukturelle Unterschiede zwischen den beiden Gruppen und die mutmaßlich daraus erwachsenden Konsequenzen zu werfen. 2.3 Unterschiede zwischen den Sendergruppen Der Unterschied zwischen den zwei Bereichen besteht zuallererst in ihrer Finanzierungsform und Organisationsstruktur, die zunächst skizziert werden soll, bevor anschließend Schlussfolgerungen auf die Qualität der Berichterstattung gezogen und bereits einige in Bezug auf die Wahlberichterstattung 2009 festzustellende Differenzen genannt werden sollen. 2.3.1 Unterschiedliche Organisationsstrukturen 2.3.1.1 ARD und ZDF13 Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF finanzieren sich größtenteils aus den von Rundfunkteilnehmern zu entrichtenden Gebühren, deren Höhe nach Anmeldung des Bedarfs durch die Rundfunkanstalten von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs für Rundfunkanstalten (KEF) festgesetzt wird (Beyer & Carl, 2008, S. 48).14 Aufgeteilt wird die erzielte Gesamtsumme zu festgesetzten Anteilen un- 12 Als beispielhaft kann hier die Studie von Barbara Pfetsch (1996) genannt werden, deren Inhalt und Fazit weiter unten erläutert werden wird. 13 Zusätzliche Informationen zu den einzelnen Sendern finden sich im Anhang (Kapitel 8.1). 14 Seit Januar 2009 betragen sie pro Teilnehmer 17,98 Euro [2008: 17,03 Euro] monatlich für Fernsehgeräte, Radio und neuartige Rundfunkgeräte (Gebühreneinzugszentrale (GEZ), 2010a, 2010b). 16 ter ARD, ZDF, DRadio sowie den Landesmedienanstalten. Bezogen auf das Jahr 2008 betrug der Gebührenanteil der ARD rund 5.348,39 Mio. Euro, derjenige des ZDF rund 1.728,98 Mio. Euro (Gebühreneinzugszentrale (GEZ), 2010a). Einen kleinen Teil ihrer Einnahmen akquirieren öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten zudem durch Werbung, die sie jedoch nur in geringem Umfang schalten dürfen.15 Geregelt wird dies durch §16, Absatz 1 und 2 des Rundfunkstaatsvertrags (RStV). Dieses Dokument – respektive seine Ausformung in den verschiedenen Bundesländern – ist die zentrale rechtliche Grundlage der öffentlich-rechtlichen Anstalten, das ihnen im Gegenzug zu ihrer Finanzierung über Gebührenentgelte einen Programmauftrag (siehe §11 RStV) auferlegt, zu dessen Erfüllung von den einzelnen Anstalten Entwürfe und Richtlinien zur Selbstverpflichtung für jeweils zwei Jahre ausgearbeitet werden müssen (Berger, 2008, S. 81; Beyer & Carl, 2008, S. 48f.). Die Forderungen in dem durch §11 RStV festgeschriebenen Auftrag lauten wie folgt: (1) Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. […] (2) Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen (Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in der Bundesrepublik Deutschland, 2009, S. 11f.). Maßgebliche Forderungen sind somit Binnenpluralität, das heißt Vielfalt innerhalb des Programms, sowie Unabhängigkeit und Ausgewogenheit. In den Worten von Cass Sunstein können die Sender damit als sogenannte „general interest intermediaries [bezeichnet werden, deren Aufgabe es ist], providing both shared experiences for millions and exposure to diverse topics and ideas“ (Sunstein, 2002, S. 12). Für die Einhaltung dieser Maßgabe sorgt ein Gremium, in dem gesellschaftlich relevante Gruppen vertreten sind. Beim ZDF ist dies der Fernsehrat und bei der ARD der Rundfunkrat. Weitere Organe in der Organisationsstruktur der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind der Verwaltungsrat, der vor allem für ökonomische Fragen zuständig ist, sowie der Inten- 15 Lediglich vor 20 Uhr sind dem ersten und zweiten Programm täglich 20 Minuten gestattet (Beyer & Carl, 2008, S. 149). 17 dant, der als Repräsentant und Hauptverantwortlicher für die Geschäfte fungiert (Beyer & Carl, 2008, S. 49). 2.3.1.2 RTL und Sat.116 Die durch Entstehung des dualen Rundfunksystems im Jahre 1984 hinzugekommenen privaten Fernsehsender finanzieren sich ausschließlich durch Werbeeinahmen und im Falle von Pay-TV-Sendern wie Premiere durch Gebühren. Ausnahme ist hier ein kleiner Anteil von zwei Prozent der Rundfunkgebühren, der für die Finanzierung der Landesmedienanstalten aufgewendet wird, die für die Aufsicht der Sender zuständig sind (Beyer & Carl, 2008, S. 49). Die Werbung betreffend müssen auch sie sich an verschiedene Regeln halten (Beyer & Carl, 2008, S. 149f.); maßgeblich ist das Volumen von höchstens 20 Prozent der Sendezeit durch §16, Absatz 1 und §45, Absatz 1 RStV geregelt. Unter diesen Bedingungen betrug der Bruttowerbeumsatz im Jahre 2008 bei RTL 2278,2 Mio. Euro und bei Sat.1 1570,6 Mio. Euro (Media Perspektiven, 2009, S. 12). Ihr Programm hingegen können die Sender – bis auf einige allgemeine, durch den RStV festgelegte Richtlinien – frei gestalten. Dabei gilt nach den §§25 und 26 RStV die Maßgabe der Außenpluralität, das heißt die Vielfalt ergibt sich aus der Summe der verschiedenen privaten Fernsehsender. Eine Überwachung des Programms wie bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten findet nicht statt; eher lose wirken gesellschaftlich relevante Gruppen in den Landesmedienanstalten mit. Die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) sorgt für die Überwachung der Meinungsvielfalt im privaten Sektor. Sie handelt im Auftrag der Landesmedienanstalten, die gleichzeitig an die Entscheidungen der KEK gebunden sind (Beyer & Carl, 2008, S. 49f.). 2.3.2 Differenzen in Qualität und Inhalten der Berichterstattung Dass die strukturellen Unterschiede zwischen den beiden Bereichen des dualen Rundfunksystems auch Differenzen in den Programminhalten nach sich ziehen, zeigen Patrick Donges und Otfried Jarren (1997). In ihrer Studie über den Zusammenhang von redaktionellen Strukturen und der Qualität der Berichterstattung am Beispiel der Landespolitik in Hamburg gelangen sie zu dem Schluss, dass sich grundsätzlich zwei Redaktionsformen unterscheiden lassen: solche mit festen Ressorts, wie öffentlichrechtliche Sender und die Presse, und solche ohne feste Ressorts, wie die Privatsender. Die festen Ressorts der öffentlich-rechtlichen Sender haben geregelte Interaktionsbeziehungen zu Quellen und Informationspartnern sowie eine höhere Professionalisierung 16 Zusätzliche Informationen zu den einzelnen Sendern finden sich im Anhang (Kapitel 8.1). 18 der Journalisten in einem Bereich zu Folge. Umgekehrt führt das Fehlen von Ressorts bei den Privatsendern dazu, dass die Journalisten über weniger Fachwissen und weniger feste Kontakte zu PR-Beauftragten und Politikern verfügen. Zudem zeichnen sich Privatsender durch eine „Output-Orientierung“, also eine Zentrierung auf Zielgruppen und Quoten, aus. Die öffentlich-rechtlichen Sender sind hingegen durch eine „InputOrientierung“ (Donges & Jarren, 1997, S. 204) und damit auf die Beobachtung ihrer Umwelt konzentriert. Laut der Studie wird somit die journalistische Qualität der privaten Sender sowohl von Medienschaffenden und Öffentlichkeitsakteuren als auch von Politikern geringer eingeschätzt als die von öffentlich-rechtlichen Sendern und der Presse. Die Konzentration auf Quoten und Publikum und den daraus resultierenden Unterhaltungsfokus der privaten Sender bestätigt auch Barbara Pfetsch (1996) im Rahmen ihrer Studie zur Konvergenz zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern: […] political coverage on commercial television – like every other content – is subject to the economic logic, the core of which is the need to attract a mass audience and to create favourable advertising conditions. As a consequence, the name of the game is entertainment as far as the bulk of programming is concerned (Pfetsch, 1996, S. 431). In ihrer Untersuchung zeigt Pfetsch, dass seit der Einführung des dualen Rundfunksystems eine Konvergenz, das heißt eine Annäherung von privaten und öffentlichrechtlichen Fernsehsendern, zu beobachten ist. Sie untersucht die Berichterstattung im Hinblick auf verschiedene Dimensionen wie dem Anteil von politischen Themen in Nachrichten oder dem Ausmaß von Visualisierung und kann nachweisen, dass private Sender im Umfang der Politikthematisierung zu den öffentlich-rechtlichen aufschließen und sich diese wiederum in Bezug auf die Präsentationsformen an die privaten annähern (Pfetsch, 1996, S. 446). Allerdings gelangt sie zu dem Schluss, dass von einer vollkommenen Konvergenz keine Rede sein kann. Diese Erkenntnis von Pfetsch bestätigt auch Brettschneider, indem er sich auf Ergebnisse des InfoMonitors der späten 80er Jahre bis zum Anfang des neuen Jahrtausends bezieht. Öffentlich-rechtliche Fernsehsender enthalten ihm zufolge mehr Informationen und politische Inhalte als private (Brettschneider, 2005b, S. 701ff.). Zudem thematisiert er die Tatsache, dass die Privaten ihre Nachrichten eher in Form einer Fernsehlogik präsentieren; also in kürzerer Form, stärker visualisiert und mit mehr Dramatik und Konflikten (Brettschneider, 2005b, S. 703). In Bezug auf das Ausmaß an Personalisierung sprechen sowohl Schulz und Zeh hinsichtlich der Bundestagswahl 2005 als auch Brettschneider in seiner Untersuchung der Darstellung von Angela Merkel, Edmund Stoiber 19 und Gerhard Schröder in den Jahren 2000 bis 2002 von einer größeren Nähe der privaten Fernsehsender zu amerikanischen Verhältnissen (Brettschneider, 2002a, S. 270ff.; Schulz & Zeh, 2006, S. 287). Aktuelle Werte des InfoMonitors bestätigen Brettschneiders Beobachtung. Der Umfang, den die Politik generell in den Nachrichtensendungen der Sender einnimmt, zeigt deutliche Unterschiede zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern: Im Jahre 2009 waren 48 % der Berichterstattung der Tagesschau politischen Themen gewidmet, bei heute waren es 38 %. RTL Aktuell hingegen beschäftigte sich nur zu 20 % mit der Politik, die Sat.1 Nachrichten zu 26 % (Krüger, 2010, S. 51). Nachrichtensendungen Tagesschau Themen heute RTL Aktuell Sat.1 Nachrichten Politik 48% 38% 20% 26% Wirtschaft 10% 10% 7% 9% Gesellschaft/Justiz 9% 8% 6% 7% Wissenschaft/Kultur 5% 6% 3% 4% Unfall/Katastrophe 3% 4% 8% 9% Kriminalität 3% 5% 9% 9% Human Interest/Buntes 3% 6% 15% 20% Sport 7% 9% 17% 7% Wetter 7% 8% 7% 4% Sonstiges 5% 7% 7% 3% 100% 100% 100% 100% Gesamt Basis: Alle Nachrichtensendungen im Zeitraum von 1.1. bis 31.12.2009 Quelle: IFEM, Köln Tabelle 3: Themenstruktur 2009 der Nachrichtensendungen im Vergleich17 Diese Erkenntnisse spiegeln sich auch in der Wahlberichterstattung 2009 wider. Wie aus dem ARD/ZDF-Wahlmonitor 2009 hervorgeht, widmeten ARD und ZDF der Berichterstattung zur Wahl jeweils 3080 Minuten, RTL hingegen lediglich 822 und Sat.1 gar nur 596 Minuten (Krüger & Zapf-Schramm, 2009, S. 625). Zwar sagt der bloße Umfang der Berichterstattung allein nichts über die Qualität der Nachrichten aus, jedoch kann daraus geschlussfolgert werden, dass die öffentlichrechtlichen Sender der Politik mehr Relevanz einräumen und dadurch mehr Zeit zur 17 Eigene Erstellung nach Ergebnissen des InfoMonitors 2009 (Krüger, 2010, S. 51). Die Zahlen ergeben im Gesamten nicht 100 %. Der Fehler befindet sich in der Originaltabelle. 20 Verfügung haben, verschiedene Themen und Sprecher in den medialen Diskurs einzubringen und die einzelnen Gegenstände der Berichterstattung mit Informationen und Argumenten auszustatten. Bestätigung erhält diese Vermutung durch eine Befragung der Zuschauer zu ihrer Beurteilung der Wahlberichterstattung der verschiedenen Sender im Rahmen des ARD/ZDF Wahltrends 2009. Hierbei bewerten 74 Prozent aller Befragten die Vorwahlberichterstattung der ARD als „sehr gut“ bis „gut“, 70 Prozent waren es beim ZDF, bei RTL 41 Prozent und bei Sat.1 schließlich nur 27 Prozent (Geese, Zubayr & Gerhard, 2009, S. 646). Detaillierte Befragungsitems zeigen zudem, dass die Zuschauer die öffentlich-rechtlichen Sender hinsichtlich der Güte der Berichterstattung vor allem in Bezug auf Verständlichkeit, Glaubwürdigkeit und Seriosität und zudem bezüglich Themen- und Sprecherauswahl sowie Ausgewogenheit von Parteienpräferenzen besser bewerten als die privaten (Geese, Zubayr & Gerhard, 2009, S. 647). Die abgefragten Items sind dabei einigen der in dieser Studie untersuchten Dimensionen von Deliberativität gleich beziehungsweise kommen ihnen ähnlich. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass zahlreiche Indizien dafür vorliegen, dass die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender aufgrund ihrer Organisationsstruktur und aufgrund der Auflagen durch den RStV vermehrt auf Inhalte und Qualität ihrer Berichterstattung konzentriert sind. Im Gegensatz dazu ist bei den privaten Fernsehsendern von einem aus der Konzentration auf Zielgruppen und Quoten resultierenden und nicht letztlich im Wahlkampf vielfach beobachteten „Infotainment“ (Schulz, Zeh & Quiring, 2005, S. 57) auszugehen. Dies wirkt sich vermutlich zu Ungunsten engagierter Information aus. Diese Annahmen werden durch die genannten Studien, aktuelle Statistiken und Zuschauerbefragungen bestätigt. Ob diese Diagnose auch im Hinblick auf die Deliberativität des medialen Diskurses innerhalb der Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 bestätigt werden kann, geht daraus nicht hervor. Es ist jedoch zu vermuten, dass sich die ökonomische Struktur eines Senders auf die Qualität der Berichterstattung auswirkt und öffentlich-rechtliche Sender in höherem Maße deliberativ über den Wahlkampf 2009 berichten. Die letztliche Beantwortung dieser Frage ist eines der Ziele dieser Studie. 21 3 Konzeption der Studie Nach der Vorstellung der theoretischen Grundlagen sollen nun die daraus abgeleiteten Hypothesen präsentiert und erläutert werden. Dazu werden zunächst unabhängige und abhängige Variablen aufgezeigt und ausgeführt. Im anschließenden Teil wird die Umsetzung der Variablen in verschiedene Indikatoren und das Design des Messinstrumentes erläutert. Zuletzt werden Materialauswahl und Forschungsablauf skizziert. 3.1 Variablen und Hypothesen 3.1.1 Herleitung der Variablen Wie in Kapitel 2.3 erläutert, ist unter Bezug auf die Forschungsergebnisse von Donges und Jarren (1997) und Barbara Pfetsch (1996) sowie aufgrund von Zuschauerbefragungen davon auszugehen, dass die unterschiedlichen Finanzierungskonzepte der Fernsehsender in Deutschland Auswirkungen auf deren inhaltliche Qualität haben. Gerade die stärkere „Output-Orientierung“ und die Tendenz hin zum „Infotainment“ der privatwirtschaftlich finanzierten Sender lassen an deren deliberativen Qualitäten zweifeln. Insofern wird die Organisations- bzw. ökonomische Struktur der Sender als eine der unabhängigen Variablen in die Hypothesen einfließen. Die zweite unabhängige Variable ergibt sich aus der Rezeption einer Studie von Rousiley C. M. Maia. Sie zeigt in ihrer Untersuchung der Debatte über den Verkauf von Feuerwaffen in Brasilien (Maia, 2009), dass sich der mediale Diskurs im zeitlichen Verlauf verändert: Er wird komplexer, die Anzahl der Argumente beider Seiten vergrößert sich und die Sprecher gehen vermehrt aufeinander ein. Im Anschluss an ihre Erkenntnisse wird der zeitliche Fortschritt der Debatte als weitere unabhängige Variable definiert. Zur Umsetzung des Konstrukts der medienvermittelten Deliberation in messbare Deliberativitätskriterien werden verschiedene Kriterienkataloge gesichtet und aggregiert. Im Folgenden sollen die Vorschläge, die in die Untersuchung eingeflossen sind, kurz erläutert werden. In Anlehnung an Habermas entwickeln Bennett et al. (2004) drei Qualitätskriterien für die Struktur medienvermittelter Deliberation. Diese sind einerseits „Access“, also die Möglichkeit für Akteure sich aktiv in die öffentliche Debatte einzubringen, andererseits „Recognition“, welche die Identifikation und das den Sprechern zugebilligte Ausmaß von Berichterstattung erfasst, und zuletzt die „Responsiveness“. Diese bezieht sich auf die dialogische Struktur des Diskurses. Den Autoren zufolge sind diese Merkmale för22 dernd für eine deliberative Debatte und wirken auch auf die Meinungsbildung der Bürger zurück: Degrees of access, recognition, and responsiveness contribute to the quality of vicarious or active deliberation on issues – affecting, in turn, the quality of opinions subsequently expressed in polls, voting choices or protests (Bennett et al., 2004, S. 438). In seinem normativen Modell öffentlicher Deliberation in den Printmedien führt Hartmut Wessler (2008) deliberative Kriterien auf vier Ebenen ein: Auf der höchsten Ebene der Ausgabe respektive der Seite kann geprüft werden, in welchem Verhältnis die Artikel zueinander stehen, also ob sie sich widersprechen oder ob sie die gleichen Meinungen wiedergeben. Auf Ebene des Artikels steht der Responsivitätsgehalt der Sprecheraussagen im Fokus. Hierbei ist von Interesse, inwieweit Sprecheraussagen sich direkt auf die Äußerungen anderer Sprecher beziehen. Die dritte Ebene der Äußerung befasst sich mit den Kriterien der Zivilität und der Ko-Präsenz von konfligierenden Ideen in einer Äußerung. Auf der kleinsten Ebene des Ideenelementes schlägt Wessler vor, Rechtfertigungs- und Widerlegungselemente als Maßstab heranzuziehen (Wessler, 2008, S. 10). Rousiley C. M. Maia legt in ihrer bereits erwähnten Studie vier verschiedene Kriterien zur Erfassung von Deliberation an: Degrees of access to the news media environment, use of critical arguments, reciprocity/ responsiveness, and opinion reversibility in mediated communication are important measures for qualifying contemporary democracy (Maia, 2009, S. 317). In ihren Kriterien finden sich auch die oben beschrieben Merkmale von Bennett et al. (2004) wieder. So schlägt sie „Accessibility and characterization of participants [Hervorhebung im Original]” vor, welche die Kriterien “Access” und “Recognition” von Bennett et al. beinhalten. Mit ihren Variablen „Use of arguments [Hervorhebung im Original]“ und „Reciprocity and responsiveness [Hervorhebung im Original]” lehnt sie sich an die von Wessler vorgeschlagene und oben erläuterte Typologie an, ohne jedoch die systematische Unterscheidung in verschiedene Ebenen zu beachten. Mit der Variable der „Reflexivity and reversibility of opinions [Hervorhebung im Original]“ versucht sie Lernprozesse zu erfassen, die Habermas als essentiellen Bestandteil deliberativer Debatten definiert (Maia, 2009). 23 Bei der Übertragung dieser Kriterien auf die vorliegende Studie muss zunächst folgende Frage beantwortet werden: Was ist während eines Wahlkampfes in Bezug auf den Deliberativitätsgehalt von Fernsehnachrichten zu erwarten? Zunächst ist festzuhalten, dass sich die meisten Studien zu medienvermittelter Deliberation auf mediale Debatten zu bestimmten Themen wie Abtreibung (Ferree et al., 2002; Gerhards, Neidhardt & Rucht, 1998), Drogen (Wessler, 1999) oder dem Feuerwaffenverbot in Brasilien (Maia, 2009) konzentrieren. Die Bundestagswahlen sind allerdings kein solches Thema. Vielmehr sind Wahlen – wie bereits in Kapitel 2.2 dargelegt – wiederkehrende „kommunikative Ereignisse“. Der Unterschied zwischen den beiden Begriffen lässt sich mit Bentele (1992, S. 54f.) anschaulich fassen. So handelt es sich ihm zufolge bei Ereignissen um „[z]eitlich, räumlich, örtlich begrenzte Realitätsausschnitte“. Sie liegen „in der Welt“ vor und werden von Journalisten „zum Objekt der Berichterstattung“ gemacht. Unter anderem aus Ereignissen entstehen Themen. Diese können definiert werden als Realitätskomplexe, die in Interaktion zwischen Ereignissen, Bewertung von Ereignissen, Meinungen und journalistischen Selektions- und Präsentationsregeln konstituiert werden (Bentele, 1992, S. 55). Diese Differenzierung verdeutlicht, dass es sich bei Ereignissen, also auch Bundestagswahlen, als solchen (noch) nicht um Gegenstände der Berichterstattung handelt. Vielmehr leiten die Journalisten aus ihnen Themen ab, über die sie berichten. Dies erschwert die Übertragbarkeit von Variablen und Operationalisierungsweisen anderer Studien auf die vorliegende Untersuchung. Verschiedene sich daraus ergebende Modifikationen werden an den entsprechenden Stellen erläutert werden. Für die Dimension der Diskursstruktur lassen sich die von Bennett et al. (2004) vorgeschlagenen Kriterien heranziehen und mit den von Maia vorgeschlagenen Variablen der „Accessibility and characterization of participants [Hervorhebung im Original]” und der „Reciprocity and responsiveness [Hervorhebung im Original]” zusammenführen. Für die Diskursqualität sind insbesondere die Variablen Zivilität, Rechtfertigung und Widerlegung aus dem normativen Modell Wesslers fruchtbar. Letztere finden sich auch in Maias „Use of arguments [Hervorhebung im Original]“ (Maia, 2009). Allerdings lassen sich nicht alle der vorgeschlagenen Kriterien auf die Wahlberichterstattung übertragen. So wird davon ausgegangen, dass Lernprozesse in Form von Revidierungen der eigenen Meinung aufgrund der triadischen Struktur massenmedial vermittelter Kommunikation im Allgemeinen und der Besonderheit der Wahlkampfsituation nicht zu finden 24 sein werden. Die Variable, die Maia (2009) dafür vorschlägt, wird also nicht weiter beachtet. Die Kürze der sound bites (siehe Kapitel 2.2) erschwert außerdem die KoExistenz „konfligierender Ideen“ (Wessler, 2008, S. 10) innerhalb einer Sprecheraussage, da die Sprecher ihre kurz bemessene Zeit wahrscheinlich eher dazu nutzen werden, ihre eigenen Ansichten darzustellen und, falls möglich, zu begründen. Weiterhin wird das Kriterium der „Response articles [Hervorhebung im Original]“ (Wessler, 2008, S. 10), welches Wessler auf Ebene der Seite respektive der Ausgabe anlegt, in dieser Studie nicht auf die äquivalente Ebene in Fernsehnachrichten – der gesamten Sendung – übertragen, sondern nur auf Ebene der einzelnen Beiträge mit der Variable der Responsivität untersucht. Mit anderen Worten: Das Vorkommen von direkten Antwortbeiträgen wird als nicht formatgerecht angesehen, da Fernsehnachrichten sehr komprimiert und kurz die Geschehnisse eines Tages wiedergeben. Responsivität wird daher nur innerhalb einzelner Beiträge und nicht über Beitragsgrenzen hinweg erwartet. Aus diesen Ausführungen ergeben sich für die Diskursstruktur die folgenden drei abhängigen Variablen: (1) Inklusivität Welche Themen, Sprecher und Parteien finden Eingang in den massenmedialen Diskurs, welche bleiben außen vor? (2) Ausgewogenheit Ist der massenmediale Diskurs im Hinblick auf Themen und Parteien ausgewogen oder finden sich starke Ungleichgewichte? (3) Responsivität Findet sich im massenmedialen Diskurs eine dialogische Struktur? Für die Diskursqualität hingegen werden die nachstehenden drei abhängigen Variablen formuliert: (1) Zivilität Wie gehen die Debattenteilnehmer miteinander um? Wie geht „das Medium“ mit ihnen um? (2) Rechtfertigung Begründen Sprecher ihre Aussagen? Versuchen sie ihren Standpunkt argumentativ zu rechtfertigen? (3) Widerlegung Gehen Sprecher auf Aussagen anderer Sprecher ein? Versuchen Sprecher die Argumente anderer Sprecher durch Gegenargumente zu entkräften? Folgendes Schaubild bietet eine Übersicht der genannten abhängigen (AVs) und der beiden unabhängigen Variablen (UVs): 25 UVs AVs • DISKURSSTRUKTUR • ÖKONOMISCHE SENDERSTRUKTUR • ZEITLICHER FORTSCHRITT •Inklusivität •Ausgewogenheit •Responsivität • DISKURSQUALITÄT •Zivilität •Rechtfertigung •Widerlegung Abbildung 2: Übersicht über die unabhängigen und abhängigen Variablen 3.1.2 Hypothesen – Diskursstruktur Unterschiede zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsendern lassen sich zunächst auf der Input-Dimension medialer Diskurse vermuten. Es ist anzunehmen, dass die mit der „Input-Orientierung“ (Donges & Jarren, 1997, S. 204) vorgenommene Umweltbeobachtung öffentlich-rechtlicher Sender zu einer höheren Inklusivität führt. Weiterhin lässt die ausdrückliche Forderung nach „Meinungsvielfalt“ und „Ausgewogenheit“ durch den Rundfunkstaatsvertrag (Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in der Bundesrepublik Deutschland, 2009, S. 11f.) und der sich daraus ergebenden Maßgabe der Binnenpluralität eine größere Ausprägung der anderen beiden Kriterien von Deliberativität und abhängigen Variablen der Diskursstruktur vermuten. Im Hinblick auf die unabhängige Variable der ökonomischen Struktur der Sender lassen sich aus den theoretischen Grundlagen insofern folgende Hypothesen ableiten: H 1: Wenn der Fernsehsender öffentlich-rechtlich organisiert ist, dann gestaltet sich die Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 inklusiver als bei einem privatwirtschaftlich organisierten. H 2: Wenn der Fernsehsender öffentlich-rechtlich organisiert ist, dann gestaltet sich die Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 ausgewogener als bei einem privatwirtschaftlich organisierten. H 3: Wenn der Fernsehsender öffentlich-rechtlich organisiert ist, dann weist die Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 einen höheren Responsivitätsgehalt auf als ein privatwirtschaftlich organisierter. 26 Gestaltet sich der Einfluss der unabhängigen Variable der ökonomischen Struktur noch uniform auf die abhängigen Variablen, so ergibt sich im Hinblick auf die zweite unabhängige Variable des zeitlichen Fortschritts ein differenzierteres Bild. Im Anschluss an Maia (2009) lässt sich vermuten, dass mit dem zeitlichen Fortschritt der Wahlberichterstattung mehr Themen Eingang in die Debatte finden und der Gehalt an Responsivität zunimmt. Darüber hinaus erscheint es plausibel, dass der Umfang der Wahlberichterstattung mit sinkendem Abstand zur Wahl am 27. September kontinuierlich ansteigt und damit mehr Zeit und Raum für Themen und Sprecher sowie den Aufbau einer dialogischen Struktur vorhanden ist. Auch die Ergebnisse des ARD/ZDF Wahlmonitors 2009 hinsichtlich der „Informationsangebote mit Wahlbezug nach Wochen“ stützen diese Annahme (Krüger & Zapf-Schramm, 2009, S. 626).18 Auf die abhängige Variable der Ausgewogenheit kann diese Argumentation allerdings nicht angewandt werden. Im Gegensatz zu Inklusivität und Responsivität wird hier vielmehr eine Reduktion vermutet, je näher die Bundestagswahl 2009 rückt. Wie in Kapitel 2.2 dargelegt, konnte innerhalb der Berichterstattung über vergangene Bundestagswahlen regelmäßig ein Kandidatenbonus festgestellt werden. Zudem liegt die Vermutung nahe, dass die Kandidaten aufgrund einer erfolgreicheren Kampagnenstrategie eine höhere Präsenz in den Nachrichten verzeichnen können, was wohl nicht zuletzt an ihrem höheren Budget und damit mehr Möglichkeiten für politische PR und erfolgreiches Agenda-Building liegt (Brettschneider, 2005a, S. 21; Statista, 2010). Es ist anzunehmen, dass sich diese Unausgewogenheit mit sinkendem Abstand zur Wahl verstärkt. Theoretische Stützung lässt sich dazu aus der Nachrichtenwerttheorie heranziehen (Kepplinger, 2006): Die geringere Nähe zur Bundestagswahl erhöht insofern den Nachrichtenwert der Kandidaten und lenkt damit die Unausgewogenheit der Berichterstattung in Richtung der Akteure Merkel und Steinmeier und damit auch in Richtung CDU/CSU und SPD sowie der von ihnen verfolgten Themen (Brettschneider, 2002a, S. 273ff.). Aus diesen Überlegungen leiten sich bezüglich der unabhängigen Variablen des zeitlichen Fortschritts folgende Hypothesen ab: H 4: Je näher die Bundestagswahl 2009 rückt, desto inklusiver ist die Berichterstattung. 18 Im Hinblick auf die hier angesprochene Grafik aus der Studie ist zu bemerken, dass sie den Umfang aller Informationsangebote mit Wahlbezug darstellt und den Anteil der Nachrichtensendungen nicht separat aufführt. Deshalb kann über den tatsächlichen Umfang der Berichterstattung zur Bundestagswahl in den Nachrichten keine definitive Aussage getroffen werden. Ein sinkender Umfang wird in diesem Rahmen jedoch als keinesfalls wahrscheinlich angesehen. 27 H 5: Je näher die Bundestagswahl 2009 rückt, desto weniger ausgewogen ist die Berichterstattung. H 6: Je näher die Bundestagswahl 2009 rückt, desto höher ist der Responsivitätsgehalt der Berichterstattung. 3.1.3 Hypothesen – Diskursqualität Aus der oben ausgeführten unabhängigen Variablen der ökonomischen Struktur der verschiedenen Sender und den dahinter stehenden theoretischen Überlegungen in Bezug auf die inhaltliche Qualität ergibt sich unter dem Gesichtspunkt einer deliberativen Diskursqualität die Überlegung, dass öffentlich-rechtliche Sender deliberative Qualitätskriterien besser erfüllen können als private Sender. Verbunden mit den drei abhängigen Variablen für die Diskursqualität lassen sich folgende Hypothesen formulieren: H 7: Wenn ein Fernsehsender öffentlich-rechtlich organisiert ist, dann gestaltet sich die Berichterstattung über den Bundestagswahlkampf 2009 ziviler als bei einem privatwirtschaftlich organisierten. H 8: Wenn ein Fernsehsender öffentlich-rechtlich organisiert ist, dann finden sich in der Berichterstattung über den Bundestagswahlkampf 2009 häufiger Rechtfertigungen als bei einem privatwirtschaftlich organisierten. H 9: Wenn ein Fernsehsender öffentlich-rechtlich organisiert ist, dann finden sich in der Berichterstattung über den Bundestagswahlkampf 2009 häufiger Widerlegungen als bei einem privatwirtschaftlich organisierten. In der Forschung ist die Rede von einer Abnahme der traditionellen Parteienbindung und einem Trend hin zu immer späteren Wahlentscheidungen (Maurer & Reinemann, 2006, S. 109). Dies erhöht den Druck auf Parteien und Kandidaten besonders in den letzten Tagen des Wahlkampfes in den Medien zu erscheinen und die Aufmerksamkeit der Wähler für sich zu gewinnen. In einer Studie zu Effekten von „„in-your-face„ [Hervorhebung im Original] politics“ (Mutz, 2007) weist Mutz nach, dass „incivility [...] heightens level of arousal. Arousal is closely tied to level of attention, so one might expect uncivil political discourse to be especially well remembered” (Mutz, 2007, S. 623). Dies führt zu folgender Annahme: H 10: Je näher die Bundestagswahl 2009 rückt, desto unziviler wird die Debatte. Nach Maia (2009) wird die Argumentation der Teilnehmer im Zeitverlauf komplexer. Diese Komplexität ergibt sich aus der Anzahl der Argumente, die die unterschiedlichen Gruppen zur Befürwortung ihrer Strategie anführen. Außerdem zeigt Maia, dass die Sprecher verstärkt aufeinander eingehen und sich dialogische Strukturen herausbilden, 28 je länger die Debatte andauert. Die Tatsache, dass die Sender der Berichterstattung über den Wahlkampf vorab schon mehr Sendezeit einräumen (Krüger, 2009, S. 610), spricht dafür, dass Debattenteilnehmer ihre Argumentation besser ausbauen und auch eher auf andere Sprecher eingehen können. Aus diesen Überlegungen lassen sich die folgenden beiden Hypothesen ableiten: H 11: Je näher die Bundestagswahl 2009 rückt, desto mehr Rechtfertigungen finden sich. H 12: Je näher die Bundestagswahl 2009 rückt, desto mehr Widerlegungen finden sich. 3.2 Indikatoren und Design des Messinstruments 3.2.1 Operationalisierung – Diskursstruktur 3.2.1.1 Inklusivität Mit dem Kriterium der Inklusivität ist die Input-Dimension medialer Diskurse angesprochen; sie beschreibt ihren Grad der Offenheit beziehungsweise Abgeschlossenheit (Wessler, 2008, S. 4f.; Wessler & Schultz, 2007, S. 16). Zur Operationalisierung dieses Kriteriums liegen mehrere Vorschläge vor. Wessler und Schultz fordern unter Bezugnahme auf Bernhard Peters Offenheit und äquivalente Chancen für Themen, Ideen und Argumente. Bennett et al. (2004) analysieren die Urheber der in den Medien vorkommenden „issues“. Einen weiteren Vorschlag liefert Rohlinger (2007), indem sie die Inklusivität anhand von Frames misst. Maia (2009) wiederum bezieht Inklusivität vor allem auf in die mediale Debatte einbezogene Sprecher, ihre Rollen sowie den jeweils gewährten Umfang in der Medienberichterstattung und verfolgt damit eine ähnliche Vorgehensweise wie Ferree et al. (2002) in ihrer Studie.19 Für die Operationalisierung der Inklusivität in dieser Studie muss die Tatsache beachtet werden, dass es sich bei der Bundestagswahl nicht um ein Thema sondern um ein Ereignis handelt, wodurch dieses Kriterium nicht anhand von Argumenten, Ideen oder Frames gemessen werden kann. Insofern werden als Indikatoren für die Inklusivität der Wahlberichterstattung die behandelten Themen sowie die Sprecher herangezogen, die 19 Es muss an dieser Stelle verdeutlicht werden, dass Maia und Ferree et al. die Kriterien der Inklusivität und Ausgewogenheit in eine Dimension zusammenfassen. In der vorliegenden Studie werden die beiden Kriterien in zwei verschiedenen Dimensionen umgesetzt und ausgewertet. Für die Notwendigkeit dieser Trennung plädieren auch Bennett et al. (2004, S. 440) mit explizitem Verweis auf Ferree et al. 29 Eingang in die Debatte finden. Weiterhin ergibt sich aus dem Gegenstand der Wahlberichterstattung und dem demokratischen System der Bundesrepublik Deutschland, dass die Parteien eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen. Insofern wird als dritter Indikator für die Inklusivität die Präsenz von Parteien festgelegt. In der Literatur – sogar der Agenda-Setting-Forschung – ist man sich zuweilen unklar oder uneinig darüber, was unter einem „Thema“ zu verstehen ist (Kuhlmann, 1999, S. 179f.; Rössler, 1997, S.72ff.). Eine oftmals herangezogene Definition liefert beispielsweise Luhmann: Unter »Themen« [Hervorhebung im Original] wollen wir bezeichnete, mehr oder weniger unbestimmte und entwicklungsfähige Sinnkomplexe verstehen, über die man reden und gleiche, aber auch verschiedene Meinungen haben kann […] (Luhmann, 1974, S. 32). In der vorliegenden Arbeit wird als „Sinnkomplex“ ein Beitrag innerhalb der Nachrichtensendung verstanden, dessen Hauptfokus als ein „Thema“ gelten soll. Zur Erhebung der Themenstruktur wird auf Basis der Parteiprogramme der im Parlament vertretenen Parteien,20 sowie aus Bevölkerungsumfragen der Forschungsgruppe Wahlen (Forschungsgruppe Wahlen, 2009a, 2009b, 2009c, 2009d, 2009e, 2009f, 2009g, 2009h) ein aus sachpolitischen Themen bestehender Katalog erstellt. Diese Vorgehensweise begründet sich durch die Anforderung an die Medien im Wahlkampf, einerseits die Wähler auf eine fundierte Wahlentscheidung vorzubereiten, ihnen zu diesem Zweck die Standpunkte der Parteien deutlich zu machen und andererseits Politiker zu Aussagen über Themen von öffentlichem Interesse herauszufordern (Gastil, 2008, S. 79ff.; Jamieson, 1992, S. 11; Schultz, 2006, S. 77ff.). Im Anschluss an die Erkenntnis des ersten Pre-Tests (siehe dazu weiter unten), dass die Berichterstattung aus einem erheblichen Teil aus reinen Horse-Race-Beiträgen besteht, wird dieser um die die Ausprägungen 18 bis 21 erweitert, woraus sich folgende Themenliste ergibt: 20 Eine anschauliche Zusammenfassung der in den Parteiprogrammen enthaltenen und zentralen Themen des Jahres findet sich auf den Internetseiten der ARD (tagesschau.de, 2009). Nach Überprüfung der Vollständigkeit und Reliabilität dieser Liste wurde sie als Basis für den Themenkatalog herangezogen. 30 Sachpolitik 1. Atomkraft/Energie 2. Europa 3. Bundeswehr/Afghanistan/Terror 4. Datenschutz/Internet 5. Zuwanderung 6. Arbeitslosigkeit 7. Wirtschaftslage 8. Banken- und Finanzkrise 9. Verdruss Politik/Politiker 10. Bildung/Schule 11. Kosten/Preise/Löhne 12. Familie/Kinder/Jugend 13. Steuern/Steuererhöhungen 14. Gesundheitswesen/Pflege 15. Rente/Alterssicherung 16. soziales Gefälle 17. Umwelt/Klima Horse-Race-Berichterstattung 18. Wahlkampf/Parteien-PR 19. Koalitionen 20. Wahlberichterstattung 21. Demoskopie Sonstiges Wie in Kapitel 2.2 dargelegt, kann jedoch eine Horse-Race-Berichterstattung angesichts der Vernachlässigung politischer und substantieller Inhalte nicht als deliberativ bezeichnet werden. Insofern dient die Erweiterung der Themenliste der detaillierteren Erhebung und der Vermeidung zu hoher Fallzahlen innerhalb der Ausprägung „Sonstiges“, wird jedoch in der Auswertung nicht als das Deliberativitätskriterium der Inklusivität steigernd betrachtet. Im Anschluss an die Vorgehensweise des InfoMonitors 2009 werden zudem für jedes der Themen angesprochene Nebenaspekte erfasst (Krüger, 2010, S. 72), was durch eine offene Codierung realisiert wird. Damit kann zum Einen detaillierter aufgeschlüsselt werden, in welcher Art und Weise die jeweiligen Themen in der Berichterstattung behandelt werden und welche Themen angesprochen werden, die nicht den Hauptfokus des Beitrags bilden. Zum Anderen bietet diese Vorgehensweise die Möglichkeit, Themen, die nicht in der aufgestellten Liste vertreten sind, rückwirkend in die Analyse mit einzubeziehen.21 Im Rahmen ihrer Ausführungen zu Inklusivität und Proportionalität des Abtreibungsdiskurses führen Ferree et al. aus, es sei wichtig, dass Sprecher aus Zentrum und Peripherie des politischen Systems zu Wort kommen (Ferree et al., 2002, S. 235). Aufbauend auf das von Bernhard Peters entworfene und von Habermas übernommene Zentrum-Peripherie-Modell (Habermas, 1992, S. 429ff.; Peters, 1993, S. 327ff.) entwirft Wessler eine Sprechertypologie, die sich grundlegend in die beiden Bereiche von politischem Zentrum und Peripherie unterteilt. Zwischen diesen beiden Bereichen stehen als dritte Gruppe die Journalisten (Wessler, 1999, S. 71ff.). Dieses Modell übernehmen in 21 Es wäre in diesem Sinne denkbar, dass Themen Eingang in die Berichterstattung finden, die durch andere als die im Parlament vertretenen Parteien aufgeworfen und auch nicht durch die Bevölkerung genannt wurden. Dies war jedoch in keiner der untersuchten Sendungen der Fall, insofern erwies sich die Kategorie im Hinblick auf ihre Ausprägungen sowohl nach dem Pre-Test als auch nach der Hauptcodierung als vollständig. 31 seinen Grundzügen auch Ferree et al. (2002) sowie andere Studien, die sich mit öffentlichen Diskursen und deren medialer Vermittlung beschäftigen (Gerhards, Neidhardt & Rucht, 1998, S. 100ff.; Kuhlmann, 1999, S. 196ff.). Angepasst wird die Typologie in dieser Studie vor allem auf die im Parlament vertretenen Parteien, die sowohl in Bezug auf die Legislative als auch die Exekutive (Regierung) erhoben werden sollen (Näheres dazu im folgenden Abschnitt). Darüber hinaus wird aufbauend auf der Sprechertypologie von Rousiley C. M. Maia die Kategorie der Künstler und Prominenten hinzugefügt (Maia, 2009, S. 320), welche zur Peripherie des politischen Systems gezählt werden können. Zudem wird hinsichtlich der Journalisten eine weitere Differenzierung vorgenommen. Aus diesen theoretischen Anlehnungen und der partiellen Weiterentwicklung ergibt sich folgende Sprechertypologie:22 1. Zentrum des politischen Systems a. Legislative/Parteien CDU/CSU FDP SPD Die Grünen Die Linke Sonstige b. Verwaltung und Regierung CDU/CSU SPD Sonstige /ohne Partei 2. Peripherie des politischen Systems a. Interessengruppen, -verbände b. soziale Bewegungen c. Experten/Intellektuelle d. Advokaten e. Problembetroffene/Bürger f. Künstler/Prominente g. Journalisten und andere Medienschaffende (Nicht-Angehörige der Nachrichtensendung) 3. Journalisten (Angehörige der Nachrichtensendung) 4. Sonstige c. Judikative Hinsichtlich des Vorkommens von Parteien in der Berichterstattung wird zum Einen auf die Sprechertypologie und damit auf die ihnen gewährten Aussagen zurückgegriffen. Im Gegensatz zu anderen Erhebungen – beispielsweise dem ARD/ZDF Wahlmonitor 2009 (Krüger & Zapf-Schramm, 2009) – wird in diesem Rahmen jedoch die Auffassung vertreten, dass dieses Element nicht ausreichend ist. Deshalb soll zum Anderen erhoben werden, inwieweit die Parteien durch die Journalisten und andere Sprecher in der Berichterstattung thematisiert werden. Insofern werden als ergänzende Indikatoren zur Präsenz der Parteien deren sprachliche und explizite Nennungen, gleich durch welche Akteure, mit in die Analyse einbezogen. 3.2.1.2 Ausgewogenheit Das Kriterium der Ausgewogenheit des medialen Diskurses ist aus Deliberationssicht ein zweischneidiges Schwert. Einerseits lassen sich etwaige Ungleichheiten erheben und 22 Erläuterungen der Sprechertypen – insbesondere derjenigen der politischen Peripherie – finden sich in der erwähnten und in weiterer Literatur (Neidhardt, 1994, S. 14f.; Peters, 1997; Wessler, 1999, S. 71ff.). 32 thematisieren, andererseits jedoch gestaltet sich seine Definition nicht wenig problematisch. Kritisch ist vor allem die Bestimmung und Begründung des anzulegenden Maßstabs, also die Antwort auf die Frage, wann der Diskurs ausgewogen oder verzerrt ist. Wie Wessler und Schultz bemerken, ist es charakteristisch für den massenmedialen Diskurs, dass nicht allen Sprecher die gleichen Äußerungschancen zukommen, wodurch die Verteilung der Sprecher letztlich keine Schlussfolgerung auf die Deliberativität der Debatte zulässt (Schultz, 2006, S. 57ff.; Wessler, 2008, S. 3; Wessler & Schultz, 2007, S. 20). Bestärken lässt sich diese Feststellung in Bezug auf den Gegenstand dieser Studie. So dreht sich die Berichterstattung zur Bundestagswahl per definitionem um das politische Zentrum, wodurch die Transparenzfunktion aus Deliberationssicht hier eine völlig andere ist als beispielweise die in der von Ferree et al. (2002) untersuchten Debatte. Insofern wird die Verteilung der Sprecher nicht als Indikator für die Ausgewogenheit der Berichterstattung herangezogen. Vielmehr muss die Messung der Ausgewogenheit kontextspezifisch erfolgen. So erheben beispielsweise Bennett et al. (2004) die Verteilung der in der Kontroverse um das World Economic Forum (WEF) behandelten Themen anhand ihrer Quelle. Wie oben bereits erwähnt, handelt es sich jedoch bei der Bundestagswahl einerseits nicht um eine Kontroverse, andererseits sind die wenigsten Themen eindeutig einem Akteur zuzuordnen. Unausgewogenheiten hinsichtlich der Themenstruktur können jedoch trotzdem Ausdruck von auf den Diskurs ausgeübter Macht einzelner Akteure sein, was einem „herrschaftsfreien Diskurs“ im Habermas‟schen Sinne (siehe Kapitel 2.1.1) im Wege stünde. Insofern soll die Ausgewogenheit zum Einen anhand der behandelten Themen beurteilt werden, zum Anderen entlang der Präsenz der Parteien in der Berichterstattung. Anhand der Sprecheraussagen von Parteiangehörigen soll beurteilt werden, ob die Medien im Wahlkampf die verschiedenen Parteien in ausgewogenem Maße zu relevanten Aussagen herausfordern oder sie ihnen ermöglichen.23 Die Parteinennungen sind ein Indikator dafür, inwieweit die Parteien in ausgewogenem Maße thematisiert und die Bürger – mutmaßlich – über deren Programme in Kenntnis gesetzt werden und ob dabei unter den Parteien Chancengleichheit besteht. 23 Das Argument von Wessler und Schultz (2007), dass nicht alle Sprecher die gleichen Äußerungschancen besitzen, kann im Hinblick auf die Parteien nicht angewandt werden, da sie zum Einen alle dem politischen Zentrum angehören und sich die Forderung ihrer Ausgewogenheit zum Anderen aus dem Gegenstand der Berichterstattung, der Bundestagswahl, ergibt. Dieser dreht sich im demokratischen System der Bundesrepublik Deutschland schließlich hauptsächlich um die (Wahl der) Parteien. 33 Hinsichtlich der Erhebung der Themen wird die bereits vorgestellte Themenliste herangezogen. Dabei soll die Ausgewogenheit der Themen in einer negativen Weise beurteilt werden und somit analysiert werden, ob starke Ungleichgewichte und ausgeprägt starke Präsenzen einzelner Themen in der Berichterstattung vorliegen. Diese Vorgehensweise verfolgen auch Bennett et al.; sie legen ebenso keinen bestimmten Maßstab an, sondern erwähnen Verzerrungen innerhalb der Dimension „Recognition“ (Bennett et al., 2004, S. 448f.). Zudem wird das Verhältnis zwischen Sachpolitik und Horse-Race-Berichterstattung fokussiert. Hierbei sollte im Hinblick auf die in Kapitel 2.2 erläuterten nichtdeliberativen Tendenzen in der Wahlberichterstattung eine an Sachthemen orientierte Berichterstattung zumindest überwiegen. Zudem wird es im Hinblick auf die Überprüfung der Hypothesen vor allem um die (Un-)Ausgewogenheit im Vergleich zwischen den verschiedenen Sendern sowie im zeitlichen Verlauf der Debatte gehen. Um die von Wessler angesprochene, Deliberation verhindernde Berichterstattung entlang einer „partisan line“ (Wessler, 2008, S. 8) diagnostizieren zu können, sollen die oben genannten Elemente der Parteienpräsenz nicht nur im Hinblick auf Inklusivität sondern auch auf Ausgewogenheit hin beurteilt werden. Auch hier stellt sich allerdings die Frage nach dem geeigneten Maßstab. Ferree et al. (2002) liefern dazu einen Vorschlag: Die Parteienpräsenz, die sie anhand der Sprecheräußerungen messen, vergleichen sie mit der Sitzverteilung im Bundestag, was sie als Kriterium der „Proportionalität“ umschreiben (Ferree et al., 2002, S. 232ff.). Dieser Maßstab ist relativ leicht umzusetzen, muss allerdings als konservativ bezeichnet werden. In diesem Sinne scheint auch Schultz in seiner Studie zur Deliberation in politischen Talkshows die einem „ProporzSystem“ folgende Politikerstruktur eher zu kritisieren. Gleichwohl weist er darauf hin, dass zumindest Regierung und Opposition in annähernd gleichem Maße in den Talkrunden vertreten zu sein scheinen (Schultz, 2006, S. 179). Die Ausgewogenheit dieser zwei Lager ist ein weniger starrer Vorschlag als der von Ferree et al., gestaltet sich allerdings im Hinblick auf die Große Koalition des 16. Bundestages vor der vergangenen Wahl ebenso als problematischer Maßstab. Im Anschluss an die von Habermas entworfene und in Kapitel 2.1.1 erläuterte ideale Sprechsituation (Habermas, 1992), die den normativen Maßstab für deliberative Debatten darstellt, wird im Gegensatz zu beispielsweise Ferree et al. (2002) der Maßstab einer Gleichverteilung der Präsentation der Parteien gewählt. Gerade im Hinblick auf die hier untersuchte Berichterstattung zur Bundestagswahl sollte zur Erzielung einer hohen Deliberativität allen Parteien die glei34 che Chance zur Äußerung und zudem der gleiche Raum dafür zur Verfügung gestellt werden. 3.2.1.3 Responsivität In Anlehnung an Ferree et al. (2002) bezeichnet Responsivität das Vorhandensein einer dialogischen Struktur in der Berichterstattung: “dialogic structure, measures the presence of speakers with opposing views in the same article“ (Ferree et al., 2002, S. 240). Da die Autoren Artikel in Tageszeitungen untersuchen, wird dieses Merkmal in dieser Studie auf die äquivalente Ebene von Fernsehnachrichten übertragen. In diesem Sinne wird durch das Kriterium der Responsivität erhoben, ob in einem Beitrag mehrere Sprecher mit verschiedenen Ansichten zu einem Thema zu Wort kommen. Als mögliche Ausprägungen nennen Ferree et al. weiterhin „One direction only“ – mit der Aufteilung in „Only Anti“, „Only Pro“ und „Only Neutral“ – sowie „Both Directions“ (Ferree et al., 2002, S. 240). Da es hinsichtlich der oben genannten Themen nicht (immer) möglich ist, zwischen Pro und Anti zu unterscheiden und auch mehr als zwei Sichtweisen zu einem Thema in der Berichterstattung erwähnt werden können, kann die Operationalisierung der Autoren hier nicht angewendet werden. Zudem missachten Ferree et al. ein weiteres Element von Responsivität, das Wessler verdeutlicht: But responsiveness contains an additional element, namely that the two actors and their claims are not only reported but that a link is established between the claim and the counterclaim (Wessler, 2008, S. 12). Insofern muss es sich um sogenannte „reaction stories“ handeln, in der „responses“ auf „claims“ wiedergegeben werden (Bennett et al., 2004, S. 450). Erforderlich ist deshalb eine explizite Verbindung mindestens zweier Standpunkte, was eine hohe Anforderung an die Berichterstattung darstellt.24 In Bezug auf Fernsehnachrichten scheint dies allerdings nicht unrealistisch, glaubt man den Ausführungen von Simon Cottle und Mughda Rai (2006). Die Autoren stellen die These auf, dass auch Fernsehnachrichten deliberativ sein können, wenn darunter mehr verstanden wird als lediglich ein rationaler Argumentenaustausch. Cottle und Rai verstehen in ihrem Aufsatz Nachrichtensendungen als eine Form „kommunikativer Architektur“ und stellen eine Typologie verschiedener „kommunikativer Frames“ auf, mit Hilfe derer verschiedene Nachrichtenbeiträge charakterisiert werden können (Cottle & Rai, 2006, S. 171). Zwei dieser Frames, die sie in die Kategorie „Deliberation/dialogue“ einordnen, können als ausgestattet mit Responsivität im Sinne von Ferree et al. (2002), Wessler (2008) sowie Bennett et al. (2004) bezeich24 So können beispielsweise Bennett et al. (2004) diese Form in ihrer Studie nicht ein einziges Mal finden. 35 net werden: „Contest“ und „Contention“. So werden im „Contest“-Frame zwei Standpunkte von Akteuren gegenüber gestellt, jeweils durch Aussagen eines Reporters miteinander verbunden (Cottle & Rai, 2006, S. 172f.). Im „Contention“-Frame werden mehr als zwei Stimmen und Meinungen erwähnt. Es handelt sich mehr um eine Konfliktstruktur, die jedoch ebenso durch einen Reporter geleitet wird (Cottle & Rai, 2006, S. 173f.). Da diese beiden kommunikativen Frames zum Einen durch die Autoren unter dem Schlagwort der Deliberation eingeordnet werden und zum Anderen in ihrem Aufbau sowohl Responsivität mit zwei als auch mit mehreren Standpunkten fassen, wird in Anlehnung an Cottle und Rai für das Kriterium der Responsivität erfasst, ob es sich bei einem Nachrichtenbeitrag um einen „Contest“ oder um eine „Contention“ handelt, wobei das Kriterium der Responsivität erfüllt wäre. Alternativ liegt eine als „Sonstige“ bezeichnete Form vor, die jedoch nicht detaillierter aufgeschlüsselt wird, da das Kriterium der Responsivität in einem solchen Fall ohnehin nicht erfüllt ist. Eine letzte Bedingung betrifft die Art und Weise der Standpunkte sowie ihre Urheber. Wie Wessler (2008) und auch Bennett et al. (2004) fordern, ist die Aufgabe der Journalisten respektive der Medien: „invite those with opposing views or claims to respond directly to each other“ (Bennett et al., 2004, S. 439). Daraus geht einerseits hervor, dass es sich bei den verschiedenen Standpunkten um „opposing“, also entgegengesetzte und nicht gleiche oder ähnliche Ansichten handeln muss. Andererseits wird deutlich, dass ein von dem Medium – in diesem Kontext von der jeweiligen Nachrichtensendung sowie von den an ihr beteiligten Journalisten – selbst ausgedrückter Standpunkt nicht als Responsivität herstellend betrachtet werden kann. In Bezug auf die Kategorie des Responsivitätsgehalts ergeben sich somit folgende Ausprägungen: 1. Contest 2. Contention 3. Sonstiges 3.2.2 Operationalisierung – Diskursqualität Im folgenden Abschnitt wird die Übersetzung der abhängigen Variablen Zivilität, Rechtfertigung und Widerlegung in Indikatoren beschrieben. In Anlehnung an Wessler wird zwischen Rechtfertigung und Widerlegung unterschieden. Maia hingegen fasst diese beiden Variablen zu einer einzigen zusammen: „Use of arguments [Hervorhebung im Original]“ (Maia, 2009, S. 317). Theoretisch steht dahinter, wie Maia unter Bezugnahme auf mehrere Theoretiker feststellt, „the ideal of political justification and the 36 reciprocal reason-giving in public” (Maia, 2009, S. 324). Alle drei Variablen werden in der vorliegenden Arbeit auf Ebene der einzelnen Sprecheraussagen erhoben. 3.2.2.1 Zivilität Die abhängige Variable der Zivilität wird mit Hilfe der Inzivilität operationalisiert, da in der genannten Literatur sehr häufig diese Vorgehensweise genutzt wird. Im folgenden Abschnitt werden verschiedene Ausprägungen des Konstrukts hergeleitet. Zivilität bezeichnet einerseits den respektvollen Umgang der Sprecher innerhalb der Debatte untereinander, also einen Verzicht auf „being [...] unusually impolite“ (Mutz, 2007, S. 624), sowie auf nonverbal cues (such as rolling of the eyes) and phrases devoid of explicit political content (such as „You have completely missed the point here!‟ [Hervorhebung im Original]). The candidates in the uncivil condition also raised their voices and interrupted one another. In the civil version, the politicians spoke calmly throughout and were patient and respectful while the other person spoke (Mutz, 2007, S. 625). Hieraus leiten sich die Ausprägungen „Unterbrechung eines Sprechers“, „Persönlicher Angriff auf einen anderen Akteur“ und „Non-verbale Unhöflichkeiten“ ab. Zu zivilem Verhalten der Debattenteilnehmer gehört andererseits auch die Abwesenheit von „„hot button‟ [Hervorhebung im Original] language, that is, words that are likely to outrange opponents“ (Ferree et al., 2002, S. 239). Hierfür wird die Ausprägung „Gebrauch von Schimpfwörtern“ eingeführt. Nach dem ersten Pre-Test hat sich jedoch gezeigt, dass diese Ausprägung etwas grob gefasst ist. Es haben sich nämlich zahlreiche inzivile sprachliche Äußerungen gefunden, die allerdings auch nicht in die Gruppe „Gebrauch von Schimpfwörtern“ fallen. Um das Messinstrument zu verfeinern, wird der detailliertere Vorschlag zur Untersuchung der Zivilität in medialen Debatten von Deana A. Rohlinger zur Anregung herangezogen. Rohlinger schlägt in einer Studie zur amerikanischen Abtreibungsdebatte (Rohlinger, 2007) vier verschiedene rhetorische Stile zur Untersuchung von Aussagen journalistischer Moderatoren vor: Here, I coded the rhetorical styles of journalists [Hervorhebung im Original] used to describe the arguments, activities, and/or advocates of the pro-choice and pro-life positions. There are four, mutually exclusive rhetorical styles: vilification, partisan, valorization, and neutral (Rohlinger, 2007, S. 130). Diese rhetorischen Stilfiguren geben den Anstoß dazu, auch in dieser Studie eine weitere Ausprägung zu definieren, die inzivile Äußerungen fasst, welche nicht unter die Aus37 prägung „Gebrauch von Schimpfwörtern“ fallen. Es wird daher die Gruppe „Herabwürdigender Sprachgebrauch“ hinzugefügt. Eine Unterscheidung in verschiedene Arten rhetorischer Stile, wie Rohlinger sie vorschlägt, wird hier nicht übernommen, da außer der neutralen Stilfigur alle anderen Figuren als inzivil einzustufen sind. Mit anderen Worten: Anders als bei Rohlinger wird nicht zwischen positivem oder negativem rhetorischen Stil unterschieden. Es ist vielmehr von Bedeutung, ob beispielsweise Zynismus, Ironie oder Sarkasmus Eingang in die mediale Wahlberichterstattung finden und durch wen sie getätigt werden. Zwar wird Rohlingers Begrenzung der Analyse allein auf journalistische Aussagen mit der Begründung while opponents may not always be civil to one another, journalists in both mainstream and political outlets should generally promote agreement among diverse groups. As such, journalists should not take sides in these debates (Rohlinger, 2007, S. 130) als eine interessante Vorgehensweise anerkannt, jedoch ist die Stichhaltigkeit des Arguments nicht einleuchtend genug. Deshalb wird in dieser Studie eine solche Einschränkung nicht vorgenommen. Zivilität meint außerdem den respektvollen Umgang der Journalisten mit den Debattierenden. Aussagen von Sprechern können daher auch durch auditive Schnitte unterbrochen werden. In diesem Rahmen gilt eine Aussage jedoch nur dann als unterbrochen, wenn die Aussage des Sprechers durch einen Schnitt semantisch unvollständig oder sinnlos wird. Eine weitere Dimension von Inzivilität bildet die Kameraperspektive. Kameraeinstellungen, die nur das Gesicht eines Akteurs zeigen, werden als inziviler gegenüber denen definiert, die auch noch den Oberkörper oder die ganze Person des Sprechers zeigen: It has become common to show talking heads engaged in political repartee from an extremely close perspective. To obtain the same perspective on another person in real life, one would need to be virtually kissing him or her. In this sense televised political discourse can be described as doubly „in your face‟ [Hervorhebung im Original]; it is both unusually uncivil relative to everyday conversations, and it also creates the impression that, quite literally, the political speakers are in your face, that is, unnaturally and uncomfortably close for a nonintimate acquaintance and public figure (Mutz, 2007, S. 623). Zu einer inzivilen Darstellung zählen damit die Kameraeinstellungen, die Akteure oder Ausschnitte von Akteuren, wie beispielsweise nur das Gesicht oder nur die Augen, in der Großen (close-up) oder der Detailaufnahme (extreme close-up) zeigen. Unter einer 38 Großen wird in Anlehnung an Borstnar, Pabst und Wulff eine Kameraeinstellung verstanden, die „das Gesicht einer Figur oder ein kleineres Objekt (z. B. eine Tasse) bildfüllend [erfasst]“ (Borstnar, Pabst & Wulff, 2002, S. 91). Bei einer Detailaufnahme hingegen wird „ein Detail eines Gesichtes (z. B. das Auge) oder ein sehr kleines Objekt [...] formatfüllend abgebildet“ (Borstnar, Pabst & Wulff, 2002, S. 91).25 Dies gilt allerdings nur für Personen oder Ausschnitte von Personen, nicht für Objekte. Somit lässt sich Inzivilität in zwei Dimensionen unterschieden: Inziviles Verhalten der Debattenteilnehmer selbst und eine inzivile Inszenierung der Teilnehmer durch die Medienschaffenden. Inzivilität wird außerdem auf zwei Ebenen erhoben: der akustischen und der visuellen Ebene: Akustische Ebene 1. Gebrauch von Schimpfwörtern 2. Herabwürdigender Sprachgebrauch 3. Unterbrechung eines Sprechers 4. Unterbrechung durch das Medium 5. Persönlicher Angriff auf einen anderen Akteur Visuelle Ebene 6. Non-verbale Unhöflichkeiten 7. Inzivile Kameraeinstellung 8. Sonstige 3.2.2.2 Rechtfertigung Um die Standpunkte von Debattenteilnehmern nachvollziehen und verstehen zu können, sind sowohl die Zuschauer als auch die anderen Teilnehmer darauf angewiesen, dass der Sprecher seine Gründe explizit darlegt. Ein wichtiges Element in deliberativen Diskursen ist daher die Rechtfertigung. Die Benennung der Variable orientiert sich an dem normativen Modell zur Messung von Deliberativität von Hartmut Wessler (2008). In Anlehnung daran wird Rechtfertigung verstanden als „the demand to give reasons for a claim“ (Wessler, 2008, S. 10). Rechtfertigungen sind also sprachliche Äußerungen, die eine argumentative Struktur haben (Kuhlmann, 1999, S. 84) und nicht (ausschließlich) auf Formen der Verlautbarung, des Bekenntnisses, der schlichten Behauptung oder Bekräftigung des einfachen Meinungsstatements, der bloßen Information, reiner Polemik, Drohung, Narration, Selbstoffenbarung beruhen (Schultz, 2006, S. 352). Mit anderen Worten sind es Aussagen, die durch eine rationale Begründung des Urhebers gestützt werden, wobei eine Begründung „der Verteidigung des Geltungsanspruchs auf Richtigkeit von Handlungen, Zielen, Interessen und Regeln [dient]“ (Kuhlmann, 1999, S. 327). In Anlehnung an Christoph Kuhlmann wird hierbei zwischen Begrün- 25 Für Erläuterungen weiterer Kameraeinstellungen siehe Borstnar, Pabst & Wulff, 2002, S. 91. 39 dung, Beweis und Erklärung unterschieden. Zwar genügen nur Begründungen dem hier zugrunde gelegten Anspruch an Deliberativität, doch können Beweise und Erklärungen als Deliberativitätsbemühungen charakterisiert werden, da sie kommunikative Geltungsansprüche nach Habermas stützen. So stützt eine Erklärung den Geltungsanspruch der Verständlichkeit, welcher die Voraussetzung für einen Diskurs bildet, ein Beweis stützt hingegen den Anspruch der Wahrheit, da er einen nachvollziehbaren Vollzug zur Realität herzustellen versucht. Definiert werden diese drei Konstrukte, die alle auf die Frage „Warum?“ antworten folgendermaßen: Begründungen begründen, warum etwas getan wird, oder getan werden soll, warum bestimmte Ziele und Interessen verfolgt werden oder verfolgt werden sollen. Beweise beweisen, daß etwas so ist, wie behauptet wird. Erklärungen erklären, warum etwas so ist wie es ist (Kuhlmann, 1999, S. 327). In seiner Studie zu politischen Argumentationsbemühungen in den Massenmedien entwickelt Kuhlmann (1999) ein höchst komplexes und sehr detailliertes Konstrukt zur Messung von Rechtfertigungen. Gerhards, Neidhardt und Rucht (1998), die in ihrer Studie zum Abtreibungsdiskurs in deutschen Qualitätszeitungen eine sehr einfache Operationalisierung des Konzepts Rechtfertigung vorschlagen, gelangen erstaunlicherweise zu einem sehr ähnlichen Ergebnis wie Kuhlmann, wie Wessler feststellt (Wessler, 2008, S. 10). Dies legt nahe, dass eine so detaillierte und komplizierte Operationalisierung, wie Kuhlmann sie vorschlägt, nicht unbedingt zielführender sein muss. In dieser Analyse wird daher eine Mischung der beiden Vorgehensweisen herangezogen. Die einfache Umsetzung der Variable Rechtfertigung, wie Gerhards, Neidhardt und Rucht sie vorschlagen, wird beibehalten und durch die oben dargestellte Unterscheidung zwischen Begründung, Erklärung und Beweis von Kuhlmann erweitert. Damit ergeben sich für die Kategorie Rechtfertigung folgende Ausprägungen: 1. 2. 3. 4. Aussage allein Aussage mit Begründung Aussage mit Erklärung Aussage mit Beweis 3.2.2.3 Widerlegung Diskursive Debatten setzen auch auf Ebene der Aussagen einen Fokus auf das Kriterium des Dialoges: 40 A dialogic process is one in which the participants provide fully developed arguments for their own position and take seriously and respond to the arguments of others (Ferree et al., 2002, S. 240). Die dritte im Hinblick auf die Diskursqualität untersuchte Variable der Widerlegung bezeichnet die „presence of an idea that refers to and argues against an idea that it opposes [Hervorhebung im Original]” (Wessler, 2008, S. 10). Sie beinhaltet damit zwei Aspekte: Einerseits den Bezug der Aussage eines Akteurs auf die Ideen, Vorstellungen oder Aussagen eines anderen Akteurs. Andererseits aber auch die Formulierung eines Gegenarguments zu einer solchen Idee. In ihrer Studie „Shaping Abortion Discourse“ setzen Ferree et al. (2002) diese Variable um, indem sie eine umfangreiche Liste26 von „rebuttal ideas“ (Ferree et al., 2002, S. 241) zum Abtreibungsdiskurs aufstellen und die mediale Berichterstattung auf ihr Vorkommen hin überprüfen. Diese Operationalisierung ist für die vorliegende Studie allerdings wenig zielführend, da es sich bei der Berichterstattung über die Bundestagswahl keineswegs um ein gesellschaftlich strittiges Thema handelt, für welches vorweg verschiedene Argumente erhoben werden könnten. Vielmehr ist die Bundestagswahl – wie bereits in Kapitel 3.1.1 beschrieben – ein Ereignis. Daher werden in dieser Studie keine themenspezifischen Cluster von „rebuttal ideas“ (Ferree et al., 2002, S. 241) untersucht, sondern vielmehr allgemeiner überprüft, ob Widerlegungen von Sprechern im Diskurs verwendet werden. Es ergeben sich damit folgende Indikatoren: 1. Aussage allein 2. Aussage mit Bezugnahme 3. Aussage mit Gegenargument 3.3 Materialauswahl und Codierung Zur Untersuchung der Wahlberichterstattung zur Bundestagswahl 2009 wird die Methode der quantitativen Inhaltsanalyse gewählt und mit dem Annotationsprogramm ANVIL durchgeführt. Entlang der unabhängigen Variable der ökonomischen Struktur der Sender werden als Untersuchungsmaterial die Hauptnachrichtensendungen der bei- 26 Die vollständige Liste der rebuttal ideas findet sich im methodischen Appendix (Ferree et al., 2002, S. 320-324). 41 den Bereiche mit den höchsten Marktanteilen im deutschen Fernsehen herangezogen: Tagesschau (ARD), heute (ZDF), RTL Aktuell (RTL) und Sat.1 Nachrichten (Sat.1).27 Die gewählten Sendungen wurden von den Verfasserinnen an jedem Tag im Zeitraum vom 08. Juni 2009 bis zum 04. Oktober aufgezeichnet.28 Für die Definition der Grundgesamtheit orientiert sich die Studie grundlegend am ARD/ZDF Wahlmonitor, der neun Wochen der Fernsehberichterstattung, beginnend mit dem 3. August 2009 untersuchte (Krüger & Zapf-Schramm, 2009). Abweichend zu dieser Erhebung wird jedoch in der vorliegenden Arbeit die Berichterstattung nach der Bundestagswahl außer Acht gelassen. Somit endet der Untersuchungszeitraum mit dem Tag vor der Wahl und damit dem 26. September 2009. Diese Einschränkung gründet darauf, dass das Untersuchungsinteresse in dieser Studie der medienvermittelten Deliberation gilt, die die Wähler als Basis für ihre Wahlentscheidung aus den Nachrichtensendungen erhielten. Somit ist die Berichterstattung nach der Wahl, die sich vermutlich hauptsächlich um Koalitionsverhandlungen und -spekulationen drehte, nicht mehr relevant. Das Material wird zudem anhand der Ergebnisse des ARD/ZDF Wahlmonitors weiter eingeschränkt. Wie die Autoren der Veröffentlichung darlegen, kann erst ab dem Zeitpunkt der Landtagswahlen am 30. August 2009 von einer umfangreichen Wahlberichterstattung die Rede sein (Krüger & Zapf-Schramm, 2009, S. 625f.). Zudem existieren, wie auch Maurer und Reinemann feststellen, in der Forschung verschiedene Ansätze zur Untersuchung der Wahlberichterstattung. Je nach Studie werden entweder mehrere Monate oder lediglich die letzten vier bis sechs Wochen vor der Wahl, die sogenannte „heiße Phase“, betrachtet (Maurer & Reinemann, 2006, S. 112ff.).29 In der vorliegenden Studie wird hinsichtlich des Zeitraums die letztgenannte Möglichkeit gewählt und als Grundgesamtheit die Berichterstattung vom 30. August bis zum 26. September 2009 definiert, welche in Form einer Vollerhebung untersucht wird. Dies bietet diverse Vorteile: Es müssen keine Überlegungen darüber erfolgen, welche Elemente der Grundgesamtheit für eine repräsentative 27 Analog zum Wahlmonitor wird ProSieben nicht in die Analyse einbezogen. Die Autoren der Veröffentlichung der Studie schreiben dazu: „ProSieben wurde aufgrund seiner marginalen Wahlinformationsangebote in der Analyse nicht berücksichtigt [= Fußnote 1)]“ (Krüger & Zapf-Schramm, 2009, S. 635). 28 Die Daten entsprechen damit dem Zeitraum vom Tag nach der Europawahl am 07. Juni 2009 bis eine Woche nach der Bundestagswahl am 27. September 2009. Insbesondere der Beginn der Datensammlung wurde gemäß der Überlegung, dass hier mit einer größeren Sicherheit über den Bundestagswahlkampf und nicht mehr über den Europawahlkampf berichtet wurde, ausgewählt. 29 Manche Studien bzw. Theoretiker sprechen von Wahlkampfberichterstattung oder Berichterstattung im Wahlkampf (Plasser & Lengauer, 2009; Schulz, 2008; Schulz & Zeh, 2006), manche von Wahlberichterstattung (Brettschneider, 2002a; Krüger & Zapf-Schramm, 2002, 2009), was sich im Gegenstand jedoch nicht grundsätzlich unterscheidet. Die Autorinnen plädieren allerdings für den Ausdruck der Wahlberichterstattung, da hier explizit die Deliberativität der Informationen zur Wahl als Basis für die Entscheidung der Bürger im Vordergrund steht und (optimalerweise) nicht der Wahlkampf der Parteien. 42 Stichprobe ausgewählt werden sollen. Insbesondere angesichts der in dieser Studie angestrebten Aussagen über Änderungen der Deliberativität im Zeitverlauf könnten sich Probleme aus etwaigen Differenzen in der Berichterstattung an verschiedenen Wochentagen ergeben. Zudem ist eine Vollerhebung zwar in der Phase der Codierung aufwendiger, bietet jedoch innerhalb der Auswertung den Vorteil, dass die Berechnung von Signifikanzwerten, die angeben, ob die durch eine Stichprobe gewonnenen Erkenntnisse mit geringer Irrtumswahrscheinlichkeit auf die Grundgesamtheit bezogen werden können, entfällt. Dies betrifft sowohl ein – zwar selten vorkommendes aber mögliches – unrechtmäßiges Verwerfen der Nullhypothese (α-Fehler) oder aber eine fälschliche Ablehnung der Alternativhypothese (β-Fehler), die lediglich auf einer nicht repräsentativen Stichprobe beruhen kann. Durch die Vollerhebung kann die Gefahr von solchen aus der Stichprobenziehung resultierenden Fehlern hinsichtlich der Ergebnisse von vornherein ausgeschlossen werden und die Ermittlung der α-Fehler-Wahrscheinlichkeit als auch der in den meisten Studien vernachlässigten β-Fehler-Wahrscheinlichkeit wird obsolet (Bortz & Döring, 2007, S. 26, 498ff.). Doch nicht nur praktisch gesehen ist dies ein Vorteil; auch präzise Signifikanztests schließen eine falsche Bestätigung oder Ablehnung von Hypothesen nicht aus. Insofern wird die hohe Relevanz der Tests in der sozialwissenschaftlichen Forschung, ihr Nutzen oder doch eher Schaden in der Literatur kontrovers diskutiert (Harlow, 1997; Morrison, 1973). Letztendlich können bei Studien mit Stichprobenziehung durch den Verlass auf Tests entstehende Fehler und Unsicherheiten nur durch eine Wiederholung der Untersuchung mit einer alternativen Stichprobe behoben oder reduziert werden (Bortz & Döring, 2007, S. 25ff.). Die Daten dieser Studie hingegen sind in höchstem Maße robust und aussagekräftig (Häder, 2010, S. 139ff.), ermöglichen jede Form der Auswertung und lassen in Bezug auf die Repräsentativität der Stichprobe keinerlei Zweifel an der Hypothesenprüfung aufkommen. Auf statistische Tests wird bei der Ergebnisdarstellung trotzdem nicht verzichtet werden. Dies betrifft vor allem die Prüfung der in den Hypothesen formulierten Zusammenhänge. Um Aussagen über deren Präsenz respektive Stärke treffen zu können, werden Prozentsatzdifferenzen (d%) sowie die Assoziationsmaße Cramer‟s V und Eta (η) herangezogen werden.30 Die Vorhersagequalität der abhängigen durch die unabhängigen Variablen wird durch die PRE-Maße Lambda (λ) und Eta-Quadrat (η²) beurteilt werden. 30 Die Begriffe Assoziations-, Korrelations- und Kontingenzmaß respektive -koeffizient werden dabei in Anlehnung an Benninghaus synonym verwendet (Benninghaus, 2002, S. 67). 43 Das Analysematerial bildet also analog zur Grundgesamtheit die gesamte Wahlberichterstattung der Hauptnachrichtensendungen von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 in der „heißen Phase“ des Wahlkampfs. Wie Maurer und Reinemann herausstellen, wird allerdings auch der Gegenstand der Wahlberichterstattung in verschiedenen Studien unterschiedlich definiert. Einmal wird die komplette Berichterstattung vor der Wahl mit einbezogen, ein anderes Mal nur Beiträge mit explizitem Wahlbezug. Das Aufgreifkriterium wird in diesem Sinne ebenso entlang der Umsetzung des ARD/ZDF Wahlmonitors definiert. Damit wird ein Beitrag lediglich dann bei der Codierung beachtet, wenn dieser einen Bezug zur Bundestagswahl 2009 aufweist; dies bedeutet konkret, wenn die Bundestagswahl Hauptgegenstand des Beitrags ist oder von einem beliebigen Sprecher explizit genannt und ein Bezug zum Beitragsthema – beispielsweise der Finanzkrise – aufzufinden ist.31 Die sonstige politische Berichterstattung ohne konkreten Bezug auf die Bundestagswahl wird damit nicht in die Analyse mit einbezogen. Zwar liefert diese in der Regel ebenso Informationen zu politischen Themen und Ereignissen, allerdings wird die Überlegung angestellt, dass erst mit dem Schlagwort der Wahl eine thematische Verbindung seitens der Rezipienten hergestellt wird und somit nur die direkt auf die Wahl bezogene politische Berichterstattung letztlich relevant ist für die Meinungsbildung der Bürger. Im Hinblick auf die Codierung wird das Messinstrument anhand dreier Analyseebenen beziehungsweise -einheiten entworfen: Die erste Analyseeinheit bildet die Nachrichtensendung, bei der Sender sowie Datum und damit die für die beiden unabhängigen Variablen relevanten Merkmale erhoben werden. Ein einzelner Beitrag bildet jeweils die zweite Analyseeinheit. Hier werden Länge, Hauptthema, Themenaspekte sowie Responsivitätsgehalt codiert. Auf Ebene einer einzelnen Aussage und der dritten Analyseeinheit werden Länge, Sprechertyp, Inzivilität, Begründung, Widerlegung sowie Parteinennungen festgehalten.32 Vor der Hauptcodierung wurden zur Überprüfung der Reliabilität zwei Pre-Tests durchgeführt. Dafür wurden zufällig drei Tage aus dem August und September 2009 ausgewählt, also insgesamt zwölf Sendungen codiert. Als Formel für die Berechnung der 31 Zwar wird dieses Aufgreifkriterium in der Publikation des Wahlmonitors (Krüger & Zapf-Schramm, 2009) nicht erwähnt, allerdings konnte die Information darüber durch eine Nachfrage bei einem der Autoren (Dr. Udo Michael Krüger) in Erfahrung gebracht werden. 32 Die detaillierten Codieranweisungen finden sich im Codebuch (siehe Anhang, Kapitel 8.3). 44 Intercoder-Reliabilität wurde Cohen‟s kappa verwendet.33 Für den ersten Pre-Test ergab sich für die Kategorien „Datum“ und „Sender“ jeweils ein Reliabilitätskoeffizient von 99,5 %. Hinsichtlich der Kategorie „Thema“ wurde ein Wert von kappa = 96,7 % erzielt, für „Responsivitätsgehalt“ war das Ergebnis kappa = 83,4 %. Die Kategorie „Sprechertyp“ ergab eine Übereinstimmung von 96,3 %, bei „Inzivilität“ waren es 85,8 %, bei „Rechtfertigung“ 81,3 % und bei „Widerlegung“ 80,2 %. Für die Kategorie „Parteinennung“ wurde der Wert kappa = 94,1 % errechnet. Die Werte des ersten Pre-Tests zeigten also, dass die Codiererinnen das entworfene Messinstrument mit hoher Übereinstimmung benutzten. Trotzdem wurden im Anschluss an den ersten Pre-Test auf Basis der Erfahrungen während der Codierung einige Nachbesserungen im Codebuch vorgenommen. Im Anschluss daran wurde ein zweiter Pre-Test durchgeführt; aufgrund der sehr guten Ergebnisse des ersten Tests mit lediglich acht Sendungen. Die Werte für Cohen‟s kappa hielten sich auf dem oben erwähnten Niveau beziehungsweise konnten teilweise noch verbessert werden. Im Anschluss an die Hauptcodierung und vor der Ergebnisauswertung wurde zur nochmaligen Überprüfung der Validität des Messinstruments und der Übereinstimmungen der Codierung(en) ein Post-Test durchgeführt. Dabei wurden acht Sendungen codiert und in Bezug auf alle Kategorien Reliabilitätskoeffizienten von mehr als 83 % erzielt. 33 Bei den Übereinstimmungen wurde auch darauf geachtet, dass mit dem Annotationstool ANVIL jeweils in etwa dieselben Start- und Endpunkte gesetzt wurden. Die Kategorie „Themenaspekte“ wurde aufgrund der offenen Codierung nicht in die Berechnung mit einbezogen. 45 4 Auswertung der Ergebnisse In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der Studie zunächst dargestellt und eine Hypothesenprüfung vorgenommen, wobei zunächst auf die Diskursstruktur und die dazugehörigen Hypothesen, dann auf die Diskursqualität eingegangen wird. Im Verlauf dieses Abschnittes sollen die Erkenntnisse, die der Beantwortung der Forschungsfragen dienen, vorgestellt werden. Beide Gesichtspunkte, unter denen die mediale Debatte betrachtet wurde und die daraus abgeleiteten Hypothesen, gehen davon aus, dass einerseits die ökonomische Struktur eines Senders, andererseits der zeitliche Verlauf der Wahlberichterstattung Auswirkungen auf die medienvermittelte Diskursstruktur und die Diskursqualität haben. Für die Überprüfung der Hypothesen um den zeitlichen Verlauf der Debatte werden die untersuchten Nachrichtensendungen der vier Sender zusammengefasst. Der Übersichtlichkeit wegen wird der Untersuchungszeitraum in vier Abschnitte von jeweils sieben Tagen unterteilt und die Ergebnisse wochenweise dargestellt. Für jeden dieser Abschnitte werden Summe oder Mittelwert der codierten Items gebildet. 4.1 Ergebnisdarstellung und Hypothesenprüfung – Diskursstruktur 4.1.1 Diskursstruktur nach Senderstruktur Die erste Hypothese formuliert die Annahme, dass die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ARD und ZDF inklusiver berichten als die beiden Privatsender RTL und Sat.1 und somit hinsichtlich der Input-Dimension des medialen Diskurses eine größere Offenheit besitzen. Die Inklusivität wird anhand von drei Indikatoren überprüft: der Anzahl der in den Diskurs integrierten Themen, Sprecher sowie Parteien. Da es dabei nicht allein um das „Wer oder was?“ – sozusagen die reine Inklusivität – sondern auch um das „wie viel“, also den Grad der Inklusivität gehen soll, werden für die Auswertung die absolute Anzahl von in den Nachrichten behandelten Themen, von zu Wort kommenden Sprechern sowie von integrierten Parteien herangezogen. Tabelle 4 stellt die Anzahl der in der Berichterstattung behandelten (Beitrags-)Themen dar. Es wird ersichtlich, dass die öffentlich-rechtlichen Sender im Gesamten mehr Themen und Beiträge mit Bezug zur Bundestagswahl aufweisen als die privaten (90 vs. 85). 46 Dieser Unterschied gründet dabei auf einer höheren Anzahl von sachpolitischen Themen (26 vs. 21), was aus deliberativer Sicht als positiv zu werten ist.34 Ökonomische Senderstruktur Themen öffentlich-rechtlich Sachpolitik privat 26 21 Atomkraft/Energie 5 2 Europa 0 0 Bundeswehr/Afghanistan/Terror 7 7 Datenschutz/Internet 2 0 Zuwanderung 0 0 Arbeitslosigkeit 1 1 Wirtschaftslage 3 2 Banken- und Finanzkrise 2 0 Verdruss Politik/Politiker 1 2 Bildung/Schule 0 0 Kosten/Preise/Löhne 1 1 Familie/Kinder/Jugend 0 3 Steuern/Steuererhöhungen 2 3 Gesundheitswesen/Pflege 1 0 Rente/Alterssicherung 1 0 soziales Gefälle 0 0 Umwelt/Klima 0 0 Horse-Race-Berichterstattung 59 60 Wahlkampf/Parteien-PR 40 36 Koalitionen 6 11 Wahlberichterstattung 8 9 Demoskopie 5 4 Sonstige 5 4 Gesamt 90 85 2 χ = 12,849, V = 0,271, λ = 0,000 Basis: Alle Beiträge im gesamten Erhebungszeitraum, N = 175 Tabelle 4: Themenpräsenz im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern Bestätigt wird diese Diagnose auch durch die codierten Themenaspekte. Die Auswertung der offenen Codierung dieser Kategorie zeigt eine Anzahl von insgesamt 43 angesprochenen Sachthemen als Nebenaspekte von Beiträgen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern (vs. 23 bei den privaten). Vor allem „Atompolitik/Energie“, „Kos- 34 Dagegen könnte eine höhere Anzahl von solchen Themen und Beiträgen, die der Horse-RaceBerichterstattung zuzuordnen sind, von einem deliberativen Standpunkt aus nicht als positiv gewertet werden (siehe dazu Kapitel 2.2). 47 ten/Preise/Löhne“ und „Steuern/Steuererhöhungen“ werden dabei thematisiert.35 Auch die Breite der Themenpalette spricht bei ARD und ZDF für eine höhere Inklusivität: elf der 17 definierten Themen werden jeweils als Hauptfokus und 16 als Nebenaspekte von Beiträgen in die Berichterstattung integriert, bei RTL und Sat.1 sind es lediglich acht Haupt- und 14 Nebenthemen. Somit lässt sich hinsichtlich der Themeninklusivität festhalten, dass die öffentlich-rechtlichen Sender sich gemäß der durch Hypothese 1 formulierten Annahme verhalten. Tabelle 5 stellt die Verteilung und Anzahl der im massenmedialen Diskurs zu Wort kommenden Akteure im Hinblick auf die ökonomische Struktur der Sender dar. Ökonomische Senderstruktur Sprechertypen Zentrum Legislative Verwaltung und Regierung Judikative Peripherie Interessengruppen, -verbände soziale Bewegungen Experten/Intellektuelle Advokaten Problembetroffene/Bürger Künstler/Prominente Journalisten: Nicht-Mitarbeiter Sonstige Gesamt öffentlichrechtlich privat 185 180 134 133 49 47 2 0 71 104 15 8 2 2 11 32 0 0 27 55 0 4 16 3 0 2 256 284 2 χ = 65,995, V = 0,350, λ = 0,404 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum (ausgenommen: Mitarbeiter der Nachrichtensendungen), Mehrfachcodierungen möglich, N = 540 Tabelle 5: Sprecherpräsenz im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern36 Es zeigt sich, dass die privaten Fernsehsender sowohl hinsichtlich der Gesamtanzahl an einbezogenen Sprechern als auch der Anzahl der verschiedenen Sprechertypen eine hö- 35 Die detaillierte Auswertung der Kategorie „Themenaspekte“ im Sendervergleich findet sich im Anhang (siehe Kapitel 8.2). 36 In dieser Tabelle sind die einzelnen Ausprägungen der Bereiche von Legislative und Verwaltung/Regierung zusammengefasst, da die detaillierte Betrachtung nach der codierten Parteizugehörigkeit im Rahmen des dritten Indikators betrachtet werden wird. Die Werte von χ² und V beziehen sich dabei auf die Daten vor der Zusammenführung, der Wert von λ auf die vorliegende Tabelle. Dieselbe Vorgehensweise findet sich bei der Prüfung von Hypothese 4. 48 here Inklusivität aufweisen: 284 Sprecher kommen während des Untersuchungszeitraums zu Wort, bei ARD und ZDF sind es hingegen nur 256. Die privaten Fernsehsender lassen also insgesamt mehr Sprecher zur Bundestagswahl zu Wort kommen als die öffentlich-rechtlichen. Die höhere Inklusivität der privaten Sender kommt dabei maßgeblich durch eine höhere Anzahl an Sprechern aus der politischen Peripherie zustande (104 vs. 71 Sprecher bei den öffentlich-rechtlichen). So kommen bei den öffentlichrechtlichen Sendern sogar mehr Sprecher des politischen Zentrums zu Wort (185 vs. 180 Sprecher bei den privaten). Bezüglich der Peripherie sind die Differenzen vor allem durch eine hohe Anzahl an Bürgern respektive Problembetroffenen (55 bei den Privatsendern vs. 27 bei den öffentlich-rechtlichen) und Experten beziehungsweise Intellektuellen (32 vs. elf) bedingt. Advokaten werden allerdings bei beiden Sendergruppen außen vor gelassen; gänzlich ausgeschlossen sind bei den öffentlich-rechtlichen Sendern zudem Künstler/Prominente und bei den privaten der Bereich der Judikative. Die Anzahl der zu Wort kommenden Politiker sowie der Parteinennungen in den Nachrichten ist in Tabelle 6 dargestellt. Hier zeigen die Gesamtzahlen der Sprecher (175 bei den öffentlich-rechtlichen vs. 174 bei den privaten) und Nennungen (587 vs. 572) keine bemerkenswerten Unterschiede, wohl aber die Anzahl der verschiedenen in den Diskurs integrierten Parteien: So dürfen bei RTL und Sat.1 sieben verschiedene Parteien sprechen, bei ARD und ZDF hingegen nur die fünf im Parlament vertretenen. Die Ergebnisse der gezählten Parteinennungen zeigen, dass bei den privaten Sendern insgesamt zehn verschiedene Parteien thematisiert werden, bei den öffentlich-rechtlichen hingegen lediglich sieben. Allerdings muss dem hinzugefügt werden, dass die Fallzahlen der Nennungen kleinerer Parteien wie der Bayern- oder der Tierschutzpartei sehr gering sind. 49 Aussagen Parteien nach Senderstruktur öffentlichrechtlich Nennungen öffentlichrechtlich privat privat CDU/CSU 50 63 162 152 SPD 42 52 161 180 FDP 31 25 130 98 Bündnis 90/Die Grünen 32 17 65 55 Die Linke 20 14 64 62 Piratenpartei 0 2 1 10 Die Violetten 0 1 0 4 Tierschutzpartei 0 0 0 3 Bayernpartei 0 0 0 1 NPD 0 0 4 7 174 587 572 Gesamt 175 2 Aussagen: χ = 22,054, V = 0,251, λ = 0,000 2 Nennungen: χ = 22,725, V = 0,153, λ = 0,001 Basis (Aussagen): Sprecheraussagen mit Parteizuordnung im gesamten Erhebungszeitraum, N = 349 Basis (Nennungen): Alle Parteinennungen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1159 Tabelle 6: Parteienpräsenz im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern Die Unterschiede zwischen den Sendergruppen hinsichtlich ihrer Inklusivität ergeben also ein geteiltes Bild. Die öffentlich-rechtlichen Sender greifen mehr (verschiedene) Themen in ihrer Berichterstattung auf; die privaten TV-Sender beziehen dagegen mehr (verschiedene) Parteien in ihre Berichterstattung ein. In Bezug auf die Sprecherinklusivität ergeben sich Unterschiede lediglich hinsichtlich einer größeren Offenheit der privaten Sender gegenüber der Peripherie im Gesamten. Unterschiede zwischen den Sendergruppen sind hier also vorhanden. Das Zusammenhangsmaß Cramer‟s V zeigt bei allen drei Dimensionen eher schwache Zusammenhänge zwischen der Senderstruktur und der Inklusivität. Lediglich bei den Sprechern ergibt sich ein hoher Wert für das PRE-Maß Lambda (λ), was bedeutet, dass die Kenntnis der Sendergruppe eine falsche Voraussage der Sprecherverteilung um 40 % reduziert. Diese Dimension ist jedoch auch diejenige, die von den drei ausgewerteten die geringsten Unterschiede offenbart. Im Gesamtbild lässt sich die durch Hypothese 1 angenommene höhere Inklusivität von ARD und ZDF nicht bestätigen. Damit steht fest: Die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen TV-Sender gestaltet sich nicht inklusiver. Als Indikatoren für eine ausgewogene (im Gegensatz zu einer verzerrten) Berichterstattung werden die in den Diskurs integrierten Parteien und die sachpolitischen Themen der Berichterstattung herangezogen, wobei hier die Themenaspekte nicht die Analyse 50 einbezogen werden. Dabei soll überprüft werden, wie sich jeweils die Anzahl der Themen beziehungsweise der gewährten Sprecheraussagen und Nennungen innerhalb der Berichterstattung der beiden Sendergruppen zueinander verhalten. Zum Einen soll dazu auf die relativen Häufigkeiten, zum Anderen auf die durchschnittlichen Längen der Beiträge und Parteiäußerungen zurückgegriffen werden. Als weiterer Indikator für einen (un-)ausgewogenen medialen Diskurs soll zudem das Verhältnis zwischen Horse-Raceund sachpolitisch orientierter Berichterstattung betrachtet werden. Hypothese 2 geht davon aus, dass ARD und ZDF ausgewogener über die Bundestagswahl berichten. Die Anteile der einzelnen Themen in der Berichterstattung sind nicht stark unterschiedlich verteilt. Beide Sendergruppen berichten in relativ hohem Ausmaß über das Thema „Bundeswehr/Afghanistan/Terror“: 7,8 % aller Beiträge (inklusive der Horse-RaceBerichterstattung und der Kategorie „Sonstiges“) widmen sich bei den öffentlichrechtlichen diesem Thema, 8,2 % bei den privaten Sendern.37 Allerdings sind diese Ausreißer nicht stark unterschiedlich voneinander ausgeprägt. Ein größerer Unterschied besteht dagegen in der Länge der auf Sachthemen fokussierten Beiträge. Hier kann aufgrund der wesentlich kleineren Standardabweichung von 57,21 Sekunden bei den privaten Sendern (vs. 71,56 Sekunden bei den öffentlich-rechtlichen) von einer ausgewogeneren Berichterstattung die Rede sein. Aus deliberativer Sicht ähnlich unausgewogen gestaltet sich allerdings das Verhältnis von sachpolitisch orientierter und Horse-RaceBerichterstattung: Wie aus Tabelle 7 hervorgeht, lässt sich sowohl bei den öffentlichrechtlichen als auch den privaten Sendern ein starkes Übergewicht von Horse-RaceBerichterstattung feststellen, deren jeweiliger Anteil eine geringe Prozentsatzdifferenz zwischen den Sendergruppen aufweist: 70,6 % beziehungsweise 65,6 % drehen sich allein um die von Schultz so bezeichneten „politics“-Themen wie Wahlkampfveranstaltungen, Koalitionsverhandlungen und -spekulationen sowie Wahlumfragen. Lediglich 24,7 % respektive 28,9 % entfallen auf sachpolitische Themen und damit auf solche, die sich im Anschluss an Schultz unter dem Schlagwort „policy“ einordnen lassen (Schultz, 2006, S. 162ff.). Unter deliberativen Gesichtspunkten liegt hier eine zu Ungunsten von substantieller Berichterstattung unausgewogene Debatte vor. Positiv anzumerken ist allerdings, dass den Sachthemen durchschnittlich längere Beiträge gewidmet werden als der Horse-Race-Berichterstattung: 125,57 zu 108,64 Sekunden bei den öffentlichrechtlichen und 120,95 zu 117,93 Sekunden bei den privaten Sendern, wobei sich dieses Verhältnis bei ARD und ZDF aus deliberativer Sicht besser darstellt. 37 Die komplette Auswertung zur Ausgewogenheit der Themen findet sich im Anhang (siehe Kapitel 8.2). 51 durchschnittliche Beitragslänge [Standardabweichung] (in Sekunden) öffentlichprivat rechtlich Anteil der Beiträge Themen nach Senderstruktur öffentlichrechtlich privat Sachpolitik 28,9% 24,7% 125,57 [71,56] 120,95 [57,21] Horse-Race-Berichterstattung 65,6% 70,6% 108,64 117,93 Sonstige 5,6% 4,7% 61,82 96,05 Gesamt 100% 100% 110,93 [58,00] 117,65 [55,99] 2 Anteil: χ = 12,849, V = 0,271, λ = 0,000 2 Länge: χ = 116,993, V = 0,818, η = 0,059, η² = 0,003 Basis: Alle Beiträge im gesamten Erhebungszeitraum, N = 175 Tabelle 7: Themenstruktur im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern (gekürzt)38 Die Unterschiede in der Repräsentation der Parteien zwischen den beiden Sendergruppen gehen aus Tabelle 7 hervor. Sie stellt den jeweiligen Anteil der den Parteien gewährten Aussagen an allen Aussagen von Politikern und den Anteil der Nennungen der verschiedenen Parteien an allen Parteinennungen dar. Anteil der Aussagen Parteien nach Senderstruktur öffentlichrechtlich privat Anteil der Nennungen öffentlichrechtlich privat CDU/CSU 28,5% 36,2% 27,6% 26,6% SPD 24,0% 29,9% 27,4% 31,5% FDP 17,7% 14,4% 22,1% 17,1% Bündnis 90/Die Grünen 18,3% 9,8% 11,1% 9,6% Die Linke 11,4% 8,0% 10,9% 10,8% Piratenpartei 0% 1,1% 0,2% 1,7% Die Violetten 0% 0,6% 0% 0,7% Tierschutzpartei 0% 0% 0% 0,5% Bayernpartei 0% 0% 0% 0,2% 0% 100% 0% 100% 0,7% 100% 1,2% 100% NPD Gesamt 2 Anteil Aussagen: χ = 22,054, V = 0,251, λ = 0,000 2 Anteil Nennungen: χ = 22,725, V = 0,153, λ = 0,001 Basis (Aussagen): Sprecheraussagen mit Parteizuordnung im gesamten Erhebungszeitraum, N = 349 Basis (Nennungen): Alle Parteinennungen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1159 Tabelle 8: Parteienstruktur im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern Bei Betrachtung der gewährten Äußerungen lässt sich zunächst feststellen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender der CDU/CSU mit 28,5 % Anteil an allen Parteiäußerungen 38 Die angegebenen Maßzahlen beziehen sich auf alle erhobenen Themen, deren einzelne Auflistung sich im Anhang findet (siehe Kapitel 8.2). 52 nur wenig mehr Aussagen gewähren als der SPD mit 24,0 %. Dahinter folgen Bündnis 90/Die Grünen mit 18,3 % und die FDP mit 17,7 %. RTL und Sat.1 hingegen lassen im Gegensatz zu allen anderen Parteien deutlich mehr CDU/CSU-Politiker zu Wort kommen (36,2 %). Dahinter folgen mit deutlichem Abstand Politiker der SPD (29,9 %) und dann Sprecher der FDP (14,4 %). Die geringe Prozentsatzdifferenz zwischen der am häufigsten und der am zweithäufigsten sprechenden Partei bei den öffentlich-rechtlichen (d% = 4,5) zeigt, dass sich die Verteilung der Äußerungschancen auf die Politiker verschiedener Parteien ausgewogener gestaltet als bei den privaten (d% = 6,3). Ein ähnliches Bild ergibt sich hinsichtlich der Parteinennungen: Dort besteht bei RTL und Sat.1 schon zwischen CDU/CSU (26,6 %) und SPD (31,5 %) eine Prozentsatzdifferenz von d% = 5, mit noch größerem Abstand folgt die FDP, die einen Anteil von 17,1 % an allen genannten Parteien verzeichnen kann. Die öffentlich-rechtlichen Sender hingegen erwähnen CDU/CSU mit 27,6 %, SPD mit 27,4 % und FDP mit 22,1 % in deutlich ausgewogenerem Verhältnis. Relevant für eine ausgewogene Berichterstattung in Bezug auf die Parteien sind jedoch nicht nur deren Äußerungschancen und Thematisierung, sondern auch der tatsächliche Raum, den ihnen die Sender für ihre Äußerungen einräumen. Ein Blick auf die durchschnittliche Länge der Äußerungen zeigt, dass die privaten Sender den Politikern zwar durchweg weniger Redezeit zur Verfügung stellen, dies jedoch in ausgewogenerem Maße tun. Die Standardabweichung der sound bites ist bei RTL und Sat.1 mit 4,27 Sekunden kleiner als bei ARD und ZDF mit 4,65 Sekunden.39 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Ausgewogenheit der Themen keine starken Unterschiede zwischen den beiden Sendergruppen aufzeigt. Während die privaten Sender den verschiedenen Themen in höherem Maße eine ähnliche Beitragslänge zuweisen, ist das Verhältnis zwischen sachpolitisch orientierter und Horse-RaceBerichterstattung bei den Öffentlich-Rechtlichen vor allem in Bezug auf die Länge der Beiträge aus deliberativer Sicht positiver zu bewerten. Bei der Repräsentation der Parteien weisen die Unterschiede vermehrt in Richtung einer größeren Ausgewogenheit der öffentlich-rechtlichen Sender. Zwar ist die Länge der sound bites bei den privaten TVSendern ausgewogener auf die Parteien verteilt, allerdings kann die relativ geringe Differenz der Standardabweichungen (0,38 Sekunden) kaum die wesentlich ausgewogenere Parteienpräsentation der öffentlich-rechtlichen Sender durch Äußerungen und Nennun39 Die Auswertung der sound bites nach Parteien und im Gesamten findet sich inklusive der zugehörigen Korrelationsmaße im Anhang (siehe Kapitel 8.2). 53 gen ausgleichen. Die Werte des Assoziationsmaßes Cramer‟s V zeigen zwar schwache Zusammenhänge zwischen den Dimensionen der Ausgewogenheit und der Senderstruktur an und die Werte des PRE-Maßes Lambda indizieren, dass die Kenntnis der Senderstruktur keine zuverlässigere Aussage über Unterschiede in Themen- und Parteienstruktur zulässt. Jedoch offenbaren das Gesamtbild und vor allem die Parteienpräsenz Unterschiede zwischen den Sendergruppen. Im Kontext der Bundestagswahl sind die Parteien Hauptgegenstand und -anlass der Berichterstattung und ihre Nennung steht zumindest mutmaßlich in Zusammenhang mit der Thematisierung ihrer programmatischen Inhalte und Ziele. Insofern werden die Differenzen als ausreichend für eine Bestätigung der Hypothese beurteilt. Damit kann festgehalten werden: Die Wahlberichterstattung der öffentlich-rechtlichen TV-Sender gestaltet sich ausgewogener als die der privaten. Hinsichtlich des Responsivitätsgehalts der Berichterstattung soll beurteilt werden, welcher Anteil aller codierten Beiträge in den beiden Sendergruppen in Form einer dialogischen Struktur aufgebaut ist, also mindestens zwei entgegengesetzte Standpunkte zum Thema des Beitrags zueinander in Beziehung setzt. Die Beiträge wurden entlang ihres Responsivitätsgehalts als „Contest“ (Beitrag mit zwei verschiedenen Standpunkten) oder „Contention“ (Beitrag mit mehr als zwei verschiedenen Standpunkten) codiert. Wie Abbildung 3 verdeutlicht, weist die Berichterstattung der privaten Sender mehr responsive Beiträge auf: Insgesamt 47,1 % fallen unter „Contest“ und „Contention“. Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern hingegen sind nur 37,8 % aller Beiträge responsiv und damit dialogisch strukturiert. 54 Responsivitätsgehalt der Beiträge nach Senderstruktur 70% 62,2% Anteil der Beiträge 60% 52,9% 50% 40% 20% Contest 28,2% 30% 20,0% 17,8% 18,8% Contention Sonstige 10% 0% öffentlich-rechtlich privat Senderstruktur 2 χ = 1,914, V = 0,105, λ = 0,000 Basis: Alle Beiträge im gesamten Erhebungszeitraum, N = 175 Abbildung 3: Responsivitätsgehalt der Beiträge im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern Die nicht responsiven und damit nur einen Standpunkt zum jeweiligen Thema enthaltenden Beiträge überwiegen bei beiden Sendergruppen, wodurch im Hinblick auf dieses Kriterium alle Sender überwiegend nicht deliberativ berichten. Der Wert von Cramer‟s V (V = 0,105) zeigt, dass ein schwacher Zusammenhang zwischen dem Merkmal der Senderstruktur und dem Responsivitätsgehalt der Berichterstattung vorhanden ist. Zudem kann die Zuordnung eines Senders zu einer der beiden Gruppen nicht die Responsivität seiner Nachrichten voraussagen, wie der errechnete Wert des PRE-Maßes Lambda (λ = 0) anzeigt. Also hängt die Responsivität der Wahlberichterstattung 2009 nicht davon ab, ob der Sender öffentlich-rechtlich oder privat organisiert ist. Der erwartete Unterschied im Sinne eines höheren Responsivitätsgehalts der öffentlich-rechtlichen Sender liegt ohnehin nicht vor. Damit bleibt im Hinblick auf Hypothese 3 festzuhalten: Die Wahlberichterstattung der öffentlich-rechtlichen TV-Sender gestaltet sich nicht responsiver. 4.1.2 Diskursstruktur im Zeitverlauf Hypothese 4 formuliert die Annahme, dass die Berichterstattung im zeitlichen Verlauf und mit sinkendem Abstand zur Wahl inklusiver wird und damit mehr Themen, Sprecher und Parteien Eingang in den massenmedialen Diskurs finden. Diese Annahme lässt sich in Bezug auf die Themen der Berichterstattung nur bedingt bestätigen. Tabelle 9 55 zeigt die Verteilung der absoluten Anzahl der Themen in allen Sendern, unterteilt auf die vier analysierten Wochen. Woche 1 Themen Sachpolitik 3 2 4 10 13 10 14 Atomkraft/Energie 4 1 2 0 Europa 0 0 0 0 Bundeswehr/Afghanistan/Terror 2 3 4 5 Datenschutz/Internet 0 1 0 1 Zuwanderung 0 0 0 0 Arbeitslosigkeit 0 2 0 0 Wirtschaftslage 0 5 0 0 Banken- und Finanzkrise 0 0 0 2 Verdruss Politik/Politiker 2 0 0 1 Bildung/Schule 0 0 0 0 Kosten/Preise/Löhne 0 0 1 1 Familie/Kinder/Jugend 2 0 1 0 Steuern/Steuererhöhungen 0 1 0 4 Gesundheitswesen/Pflege 0 0 1 0 Rente/Alterssicherung 0 0 1 0 soziales Gefälle 0 0 0 0 Umwelt/Klima 0 0 0 0 Horse-Race-Berichterstattung 29 19 30 41 Wahlkampf/Parteien-PR 24 10 12 30 Koalitionen 1 3 6 7 Wahlberichterstattung 1 5 10 1 Demoskopie 3 1 2 3 Sonstige 3 2 1 3 Gesamt 42 34 41 58 2 χ = 90,586, V = 0,415, λ = 0,000 Basis: Alle Beiträge im gesamten Erhebungszeitraum, N = 175 Tabelle 9: Themenpräsenz im Zeitverlauf Hier steigt zwar die Gesamtzahl der Themen von der zweiten bis zur vierten Woche von 34 auf 58 an, in Bezug auf die sachpolitischen und damit inhaltlich substantiellen Themen zeigt sich jedoch keine eindeutige Tendenz. Zwar erhöht sich die Anzahl von der ersten auf die zweite Woche von zehn auf 13 Themen, sinkt dann allerdings wieder auf zehn Themen in der dritten Woche, bis sie in der letzten wieder auf 14 Themen ansteigt. Damit ist die Themeninklusivität in der letzten Woche zwar größer als in der ersten, von einem kontinuierlichen Anstieg kann jedoch nicht die Rede sein. Auch die Themenpa56 lette erweitert sich nach der zweiten Woche des Untersuchungszeitraums nicht mehr. Von der ersten auf die zweite Woche lässt sich ein Anstieg von vier auf sechs verschiedene Themen feststellen, bis hin zur letzten Woche stagniert diese Anzahl. Im gesamten Erhebungszeitraum ist die Anzahl der nicht behandelten Themen somit auffallend hoch. Einzig die in den Beiträgen angesprochenen sachpolitischen Nebenthemen zeigen sowohl einen Anstieg in der Gesamtzahl (von elf in Woche 1 bis zu 24 in Woche 4) als auch in der Anzahl verschiedener Themen, was dafür spricht, dass die Beiträge im zeitlichen Verlauf thematisch gesehen komplexer werden.40 Die Sprecherpräsenz zeigt einen kontinuierlichen Anstieg von der zweiten bis zur vierten Woche. Wie Tabelle 10 zeigt, kommen in der zweiten Woche 109 Sprecher zu Wort, in der dritten Woche 128 und in der letzten Woche 165. Woche 1 2 3 92 75 81 117 Legislative 76 45 50 96 Verwaltung und Regierung 15 30 31 20 1 0 0 1 45 35 47 48 Interessengruppen, -verbände 7 8 3 5 soziale Bewegungen 4 0 0 0 Experten/Intellektuelle 2 12 15 14 Advokaten 0 0 0 0 25 12 24 21 Künstler/Prominente 2 0 0 2 Journalisten: Nicht-Mitarbeiter 5 3 5 6 1 0 1 0 138 109 128 165 Sprechertypen Zentrum Judikative Peripherie Problembetroffene/Bürger Sonstige Gesamt 4 2 χ = 100,878, V = 0,250, λ = 0,000 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum (ausgenommen: Mitarbeiter der Nachrichtensendungen), Mehrfachcodierungen möglich, N = 540 Tabelle 10: Sprecherpräsenz im Zeitverlauf Auch die Betrachtung der nicht vorhandenen Sprechertypen weist in Richtung einer höheren Sprecherinklusivität gegen Ende der Wahlberichterstattung. So sind in der vierten Woche lediglich zwei Gruppen, soziale Bewegungen und Advokaten überhaupt 40 Die detaillierte Auswertung der Kategorie „Themenaspekte“ im Zeitverlauf findet sich im Anhang (siehe Kapitel 8.2). 57 nicht im massenmedialen Diskurs vertreten, während es in den vorherigen Wochen bis zu vier verschiedene Gruppen sind. Die nähere Betrachtung der Anzahl von in den Diskurs integrierten Sprechern zeigt jedoch, dass im zeitlichen Verlauf nicht wesentlich mehr Sprecher der politischen Peripherie in die Berichterstattung einbezogen werden. Deren Anzahl steigt im Verlauf der vier Wochen lediglich von 45 in der ersten auf 48 in der letzten Woche an. Der Anstieg der Gesamtanzahl von zu Wort kommenden Akteuren und der Anzahl verschiedener Sprechertypen im zeitlichen Verlauf kommt demnach maßgeblich über Sprecher aus dem politischem Zentrum zustande; dabei wiederum vor allem durch Sprecher der Legislative, also durch die Parteien. Hier ist hauptsächlich von der dritten auf die vierte Woche ein enormer Anstieg von 81 zu 117 getätigten Aussagen zu verzeichnen. Insofern kann die Auswertung der Sprecherpräsenz nur bedingt als Indikator für eine höhere Inklusivität der Debatte herangezogen werden beziehungsweise steht in direktem Zusammenhang mit der Auswertung des dritten Indikators, der Parteienpräsenz. Tabelle 11 stellt die Anzahl der Politikeraussagen und Parteinennungen im Gesamten und bezogen auf die verschiedenen Parteien im Einzelnen dar. Hinsichtlich der Äußerungen ist festzustellen, dass die Anzahl der in den Diskurs integrierten Politiker erst von der dritten auf die vierte Woche maßgeblich ansteigt (78 zu 115 Sprecher). Parteien nach Wochen Aussagen Nennungen 1 2 3 4 1 2 3 CDU/CSU 22 28 28 35 77 48 63 126 SPD 26 18 26 24 139 37 76 89 FDP 12 6 11 27 49 23 59 97 Bündnis 90/Die Grünen 10 11 9 19 29 10 26 55 Die Linke 16 7 4 7 62 14 13 37 Piratenpartei 0 0 0 2 0 1 2 8 Die Violetten 0 0 0 1 0 0 0 4 Tierschutzpartei 0 0 0 0 0 0 1 2 Bayernpartei 0 0 0 0 0 0 0 1 NPD 0 0 0 0 2 0 0 9 86 70 78 115 358 133 240 428 Gesamt N 2 χ = 50,546, V = 0,220, λ = 0,016 4 2 χ = 98,757, V = 0,184, λ = 0,059 Basis (Aussagen): Sprecheraussagen mit Parteizuordnung im gesamten Erhebungszeitraum, N = 349 Basis (Nennungen): Alle Parteinennungen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1159 Tabelle 11: Parteienpräsenz im Zeitverlauf 58 Diese Diagnose betrifft auch die Anzahl von verschiedenen zu Wort kommenden Parteien: Kommen in den Wochen 1 bis 3 lediglich die fünf im Parlament vertretenen Parteien zu Wort, erhalten in der letzten Woche auch Politiker der Piratenpartei und der Violetten Möglichkeit zur Äußerung. Auch die Anzahl der Parteinennungen zeigt im Gesamten einen Anstieg von 133 in Woche 2 über 240 in Woche 3 bis zu 428 in der Woche vor der Wahl. Auch die Anzahl verschiedener Parteien wächst kontinuierlich an: Kommen in Woche 1, bis auf zwei einzelne Nennungen der NPD, lediglich die fünf im Parlament vertretenen Parteien im Diskurs vor, so werden in Woche 2 sechs, in Woche 3 sieben und in der letzten Woche zehn verschiedene Parteien thematisiert. In Bezug auf die Inklusivität der Berichterstattung lässt sich resümieren, dass bei zwei von drei Dimensionen dieses Deliberativitätskriteriums ein Anstieg zu verzeichnen ist. Wie im Zuge der Auswertung mehrmals implizit erwähnt, fällt einzig die erste Woche aus dem steten Muster heraus. Um dies zu erklären, können die zur Erweiterung der Themen erhobenen Themenaspekte herangezogen werden. Hier ergibt ein Blick in die Daten, dass sich die relativ hohen Anzahlen von Themen, Sprechern und Parteien durch die in dieser Woche stattgefundenen Ereignisse erklären lassen. So fanden zum Einen am 30. August Landtagswahlen in drei Bundesländern statt, deren Berichterstattung teilweise Bezüge auf die Bundestagswahl enthielt. Zum Anderen verkündeten die meisten Parteien in dieser Woche ihren Wahlkampfauftakt, was ebenso Beiträge in den Nachrichtensendungen nach sich zog. Angesichts dieser durch die spezifischen Umstände der ersten Woche zu erklärenden hohen Anzahlen in Bezug auf alle drei Dimensionen und der Anstiege in den Wochen 2 bis 4 lässt sich festhalten, dass die Inklusivität der Berichterstattung im zeitlichen Verlauf ansteigt. Die Werte des Assoziationsmaßes Cramer‟s V sprechen für einen schwachen Zusammenhang zwischen Inklusivität und dem zeitlichen Fortschritt in der Wahlberichterstattung. Die durchweg geringen PRE-Maß-Werte zeigen, dass die Kenntnis der Woche nicht den Grad der Inklusivität zu bestimmen hilft. Im Gesamten sind die in Bezug auf alle Dimensionen festzustellenden Anstiege trotz dieser Einschränkungen deutlich. Insofern kann Hypothese 4 bestätigt werden: Die Berichterstattung der vier Sender gestaltet sich inklusiver, je näher die Bundestagswahl rückt. Die durch Hypothese 5 formulierte Annahme ist die, dass die mediale Berichterstattung mit sinkendem Abstand zur Bundestagswahl aufgrund des höheren Nachrichtenwertes einzelner Personen und Parteien, sowie der durch sie vertretenen Themen und ihnen 59 gewidmeten Beiträge unausgewogener wird. Um die Hypothese bestätigen zu können, müssten sich also im zeitlichen Verlauf Ungleichgewichte in der Behandlung der Sachthemen herausbilden und die in der Debatte vorkommenden Parteien müssten stark unterschiedliche Äußerungschancen und -zeiträume erhalten. Ein weiterer Beleg für eine unausgewogenere Berichterstattung im Zeitverlauf wäre zudem ein steigendes Übergewicht der Horse-Race- im Vergleich zur sachpolitisch orientierten Berichterstattung. Der Anteil an Themen unterteilt nach Wochen zeigt, dass von einer unausgewogeneren Berichterstattung im zeitlichen Verlauf keine Rede sein kann. Zum Einen sind die als ein Gegensatz zur Ausgewogenheit zu interpretierenden Ausreißer im Hinblick auf die Sachthemen in Woche 2 mit 14,7 % (Thema „Wirtschaftlage“) und Woche 3 mit 9,8 % mit höheren Prozentzahlen belegt als in der letzten Woche vor der Wahl mit 8,6 % (jeweils Thema „Bundeswehr/Afghanistan/Terror“).41 Zum Anderen ist, wie in Tabelle 12 dargestellt, im gesamten Untersuchungszeitraum unter deliberativen Gesichtspunkten eine Unausgewogenheit in Richtung der Horse-Race-Berichterstattung festzustellen, die im Zeitverlauf nicht kontinuierlich ansteigt und mit 70,7 % in der letzten Woche sogar geringer ist als in der dritten Woche mit 73,2 %. Anteil der Beiträge Themen nach Wochen 1 2 3 4 Sachpolitik 23,8% 38,2% 24,4% 24,1% Horse-Race-Berichterstattung 69,0% 55,9% 73,2% 70,7% Sonstige 7,1% 5,9% 2,4% 5,2% Gesamt 100% 100% 100% 100% durchschnittliche Beitragslänge [Standardabweichung] (in Sekunden) 1 2 3 4 Sachpolitik 130,24 [56,96] 150,62 [87,41] 92,98 [39,01] 115,33 [54,69] Horse-Race-Berichterstattung 118,57 98,97 121,75 110,11 Sonstige 72,73 118,07 [55,97] 145,88 121,48 [70,27] 30,24 112,50 [59,62] 51,04 108,31 [47,13] Gesamt 2 Anteil: χ = 90,586, V = 0,415, λ = 0,000 2 Länge: χ = 504,86, V = 0,981, η = 0,090, η² = 0,008 Basis: Alle Beiträge im gesamten Erhebungszeitraum, N = 175 Tabelle 12: Themenstruktur im Zeitverlauf (gekürzt)42 41 Die komplette Auswertung zur Ausgewogenheit der Themen findet sich im Anhang (siehe Kapitel 8.2). Die angegebenen Maßzahlen beziehen sich auf alle erhobenen Themen, deren einzelne Auflistung sich im Anhang findet (siehe Abschnitt 10.1). 42 60 Als ein weiterer Indikator für eine (un-)ausgewogene Berichterstattung kann weiterhin die durchschnittliche Länge der den einzelnen Themen gewidmeten Beiträgen – sozusagen die issue bites – herangezogen werden. Das Ausmaß der Streuung der durchschnittlichen Längen und die Fragestellung, inwieweit den Themen ähnlich oder stark verschieden lange Beiträge gewidmet werden, kann durch die Standardabweichung bewertet werden. Diese beträgt bei den Sachthemen in der ersten Woche 56,96 Sekunden, in der zweiten steigt sie auf 87,41 an. In der dritten Woche fällt sie wieder auf 39,01 Sekunden und in der letzten Woche liegt sie bei 54,69 Sekunden. Aufgrund dieser Schwankungen und der Tatsache, dass dieses Maß in der letzten Woche sogar geringer ausfällt als in der ersten, kann nicht davon die Rede sein, dass hinsichtlich der Beitragslängen eine unausgewogenere Berichterstattung im Zeitverlauf vorliegt. Auch der Vergleich zwischen sachpolitisch orientierter und Horse-Race-Berichterstattung weist nicht auf eine erhöhte Unausgewogenheit gegen Ende der Debatte hin. Der durchschnittliche Umfang der Beiträge, die sich um Sachthemen drehen, ist – mit Ausnahme der dritten Woche – stets höher, wodurch sowohl insgesamt als auch im Zeitverlauf keine Unausgewogenheit im Sinne einer durchschnittlichen umfangreicheren Berichterstattung über Horse-Race-Themen vorliegt. Die Präsenz der Parteien im zeitlichen Verlauf offenbart ein überraschendes Bild: Tabelle 13 zeigt, dass die Berichterstattung sowohl bezüglich der Anteile an Sprecheräußerungen als auch an Nennungen in der letzten Woche deutlich ausgewogener wird. Anteil der Aussagen Parteien nach Wochen Anteil der Nennungen 1 2 3 4 1 2 3 4 CDU/CSU 25,6% 40,0% 35,9% 30,5% 21,5% 36,1% 26,3% 29,4% SPD 30,2% 25,7% 33,4% 20,8% 38,8% 27,8% 31,7% 20,8% FDP 14,0% 8,6% 14,1% 23,5% 13,7% 17,3% 24,6% 22,7% Bündnis 90/Die Grünen 11,6% 15,7% 11,5% 16,5% 8,1% 7,5% 10,8% 12,9% Die Linke 18,6% 10,0% 5,1% 6,1% 17,3% 10,5% 5,4% 8,6% Piratenpartei 0% 0% 0% 1,7% 0% 0,8% 0,8% 1,9% Die Violetten 0% 0% 0% 0,9% 0% 0% 0% 0,9% Tierschutzpartei 0% 0% 0% 0% 0% 0% 0,4% 0,5% Bayernpartei 0% 0% 0% 0% 0% 0% 0% 0,2% 0% 100% 0% 100% 0% 100% 0% 100% 0,6% 100% 0% 100% 0% 100% 2,1% 100% NPD Gesamt 2 Anteil Aussagen: χ = 50,546, V = 0,220, λ = 0,016 2 Anteil Nennungen: χ = 98,757, V = 0,184, λ = 0,059 Basis (Aussagen): Sprecheraussagen mit Parteizuordnung im gesamten Erhebungszeitraum, N = 349 Basis (Nennungen): Alle Parteinennungen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1159 Tabelle 13: Parteienstruktur im Zeitverlauf 61 Innerhalb der ersten drei Wochen belegen entweder die SPD oder die CDU/CSU mit (überwiegend) weit mehr als 30 % der Äußerungen beziehungsweise Nennungen den führenden Platz innerhalb der Parteienpräsenz. In der letzten Woche führt die CDU/CSU mit 30,5 % der Äußerungen und 29,4 % der Nennungen die Rangliste an; der Abstand zu den anderen Parteien sinkt. Die Anteile verschieben sich vor allem zugunsten der Oppositionsparteien FDP (23,5 % der Aussagen und 22,7 % der Nennungen) und Bündnis 90/Die Grünen (16,5 % der Aussagen und 12,9 % der Nennungen). Von einer Gleichverteilung der Parteienpräsenz kann trotzdem nicht die Rede sein, denn dann müssten auch kleinere Parteien wie Die Violetten oder die Piratenpartei deutlich höhere Anteile verzeichnen können. Zudem sinkt die Prozentsatzdifferenz zwischen der jeweils stärksten und zweitstärksten präsentierten Partei nicht durchweg, sondern steigt beispielsweise bei den Äußerungschancen von d% = 2,5 in Woche 3 auf d% = 7 in Woche 4 an. Ähnliches gilt für die Nennungen, bei denen sie in der letzten Woche vor der Wahl von d% = 5,4 auf d% = 6,7 ansteigt. Der bereits zur Überprüfung von Hypothese 2 herangezogene Indikator der sound bites kann die Diagnose einer ansteigenden Ausgewogenheit der Parteienpräsenz über die Wochen nicht bestätigen. Hier ist zunächst ein Absinken der Standardabweichung in den ersten drei Wochen von 5,08 auf 4,13 Sekunden zu verzeichnen. In der letzten Woche steigt diese Kennzahl wieder auf 4,67 Sekunden an.43 Somit kann bezüglich der sound bites von einer unausgewogeneren Berichterstattung kurz vor der Wahl im Vergleich zu den beiden Wochen zuvor die Rede sein. Eine kontinuierliche Tendenz allerdings ist nicht feststellbar. In Bezug auf die Parteien liegt deshalb eine ausgewogenere Berichterstattung vor, je näher die Bundestagswahl rückt. Zwei Indikatoren für deren Präsenz weisen in diese Richtung. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich hinsichtlich der Themen keine unausgewogenere Berichterstattung im zeitlichen Verlauf der Debatte beobachten lässt. Bezogen auf Äußerungen und Nennungen wird die Präsenz der Parteien zu Ende des Untersuchungszeitraums in geringem Ausmaß ausgewogener. Die errechneten Werte der Korrelationsmaße weisen auf einen Zusammenhang zwischen Ausgewogenheit und dem zeitlichen Fortschritt der Debatte hin, der jedoch im Hinblick auf die sich nicht wesentlich verändernde Themenstruktur stärker ist als bei der Parteienstruktur. Ähnlich wie bei der Inklusivität lassen sich auf Basis der jeweiligen Woche kaum Themen- und 43 Die Auswertung der sound bites nach Parteien und im Gesamten findet sich inklusive der Korrelationsmaße im Anhang (siehe Kapitel 8.2). 62 Parteienstruktur voraussagen. Dies enthüllen die durchgängig niedrigen Werte der PREMaße. Im Gesamten lässt sich eine wesentlich ausgewogenere Debatte mit sinkendem Abstand zur Wahl damit nicht feststellen, jedoch auch keine unausgewogenere. In Bezug auf Hypothese 5 kann damit resümiert werden: Die Berichterstattung gestaltet sich nicht unausgewogener, je näher die Bundestagswahl rückt. Der Responsivitätsgehalt der Berichterstattung im zeitlichen Verlauf über alle Sender hinweg gibt Auskunft darüber, ob im Anschluss an Maia (2009) der massenmediale Diskurs mit sinkendem Abstand zur Bundestagswahl an dialogischer Struktur gewinnt und damit der zeitliche Fortschritt der Debatte deren Komplexität erhöht. Abbildung 4 zeigt die relative Anzahl der (nicht) responsiven Beiträge im Verlauf der vier Wochen. Responsivitätsgehalt der Beiträge im Zeitverlauf 80% Anteil der Beiträge 70% 60% 69,0% 58,6% 50% 51,2% 50,0% 40% Contest 30% Contention 20% Sonstige 10% 0% 1 2 3 4 Wochen 2 χ = 5,861, V = 0,130, λ = 0,000 Basis: Alle Beiträge im gesamten Erhebungszeitraum, N = 175 Abbildung 4: Responsivitätsgehalt der Beiträge im Zeitverlauf Um die durch Hypothese 6 formulierte Annahme, dass die Berichterstattung im Zeitverlauf responsiver wird, bestätigen zu können, müsste die Kurve der nicht responsiven und damit als „Sonstige“ codierten Beiträge (rot) sinken. Dies ist allerdings lediglich von der ersten zur zweiten Woche der Fall. Dabei sinkt der Anteil der nicht responsiven Beiträge von 69,0 % auf 50,0 %. In den Wochen 3 und 4 allerdings steigt dieser Anteil zunächst auf 51,2 % und dann auf 58,6 % an. Zudem zeigt sich ein schwacher Zusammenhang zwischen dem Responsivitätsgehalt und dem zeitlichem Fortschritt der Debatte (V = 0,130). Darüber hinaus kann auf Basis des Zeitverlaufs keine zutreffendere Aus63 sage über den Responsivitätsgehalt der Berichterstattung getätigt werden als ohne Kenntnis der jeweiligen Woche, wie der Wert von Lambda (λ = 0) verdeutlicht. Die vermutete Tendenz einer responsiveren Berichterstattung mit sinkendem Abstand zur Wahl lässt sich ohnehin nicht bestätigen. In Bezug auf Hypothese 6 kann damit festgehalten werden: Die massenmediale Debatte gestaltet sich nicht responsiver, je näher die Bundestagswahl rückt. 4.2 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse – Diskursstruktur Im Folgenden sollen nun die im vorigen Abschnitt gewonnenen Erkenntnisse der Hypothesenprüfung im Hinblick auf die drei abhängigen Variablen und Deliberativitätskriterien der Inklusivität, Ausgewogenheit und des Responsivitätsgehalts der Berichterstattung zusammengefasst werden. Die Forschungsfrage Wie gestaltet sich die Diskursstruktur der medienvermittelten Deliberation in der Wahlberichterstattung in den deutschen Fernsehnachrichten? soll damit beantwortet und insofern das Gesamtbild der erhobenen Merkmale der Berichterstattung dargestellt werden. Zudem werden die zu erkennenden Unterschiede und Tendenzen zwischen den Sendergruppen und im zeitlichen Verlauf der Debatte zusammengefasst. Wie innerhalb der Hypothesenprüfung dargelegt, wurden diese zwar nicht zweifelsfrei und ausschließlich durch die unabhängigen Variablen determiniert. Angesichts der Vollerhebung in dieser Studie – so muss an dieser Stelle betont werden – steht jedoch fest, dass über die Signifikanz der Ergebnisse nicht diskutiert werden muss. Hinsichtlich der Inklusivität der Wahlberichterstattung können zwischen den beiden Sendergruppen zwar in Bezug auf die drei Dimensionen von Themen, Sprechern und Parteien im Einzelnen, nicht aber im Gesamtbild bemerkenswerte Unterschiede festgestellt werden. Sowohl öffentlich-rechtliche als auch private Sender zeichnen sich durch eine hohe Sprecherinklusivität aus, bei der der Fokus zwar eindeutig auf dem politischen Zentrum liegt, jedoch Sprecher der Peripherie – insbesondere Bürger und Problembetroffene – auch in hohem Maße zu Wort kommen. Hinsichtlich der Sprecher zeichnet sich die Input-Dimension der Wahlberichterstattung also durch einen hohen Grad an Offenheit aus. Dasselbe ergibt sich für auf die Wahl bezogene Sachthemen, jedoch nur dann, wenn man Haupt- und Nebenthemen der Beiträge betrachtet. Bei den Parteien bleibt Raum zur Verbesserung: ARD und ZDF beziehen sieben, RTL und Sat.1 64 zehn verschiedene Parteien in den Diskurs ein; damit werden immer noch 19 der insgesamt 29 zur Bundestagswahl 2009 zugelassenen Parteien (Egeler, 2009) aus dem medialen Diskurs ausgeschlossen. Insgesamt ist in Bezug auf die Inklusivität nicht zu erkennen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender eine wesentlich von Jarren und Donges (1997) so bezeichnete höhere „Input-Orientierung“ aufweisen. Auch die Forderung des RStV, „einen umfassenden Überblick über das […] nationale […] Geschehen“ (RStV §11, Absatz 1) zu liefern, wurde nicht vollends erfüllt. Unterschiede in Bezug auf die Inklusivität ergeben sich hingegen im zeitlichen Verlauf. Die gesamte Berichterstattung in den Hauptnachrichtensendungen der vier Sender enthält mehr Themen, Sprecher und Parteien, je näher die Wahl rückt. Einzig die erste Woche vom 30. August bis zum 5. September 2009 fällt überwiegend aus diesem Muster heraus, wozu sich als Erklärung die Wahlkampfauftakte und Landtagswahlen und der insofern mutmaßlich höhere Umfang der Berichterstattung heranziehen lassen. Die folgende Abbildung zeigt, dass der Umfang der Berichterstattung tatsächlich mit dem Grad der Inklusivität in Verbindung zu stehen scheint: Summe der Beitragslängen [sec] Umfang der Berichterstattung im Zeitverlauf 6282,2 6500 6000 5500 4959,08 5000 4612,44 4500 4130,3 4000 3500 3000 1. Woche 2. Woche 3. Woche 4. Woche Basis: Alle Beiträge im gesamten Erhebungszeitraum, N = 175 Abbildung 5: Umfang der Berichterstattung im Zeitverlauf Insofern lässt sich sagen, dass eine umfangreichere Berichterstattung tatsächlich dazu genutzt wird, mehr Sprecher und Parteien in den Diskurs zu integrieren, sowohl in der Gesamtzahl als auch der Anzahl verschiedener Sprechertypen und Parteien. Einzig bei den Themen steigt hier lediglich die Anzahl der als Nebenaspekte von Beiträgen angesprochenen Sachthemen. 65 Trotz der erkennbaren Unterschiede zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern sowie im zeitlichen Verlauf der Berichterstattung kann festgestellt werden, dass beide unabhängigen Variablen die Vorhersage der Inklusivität größtenteils nicht ermöglichen, also auf Basis der jeweils vorliegenden Senderstruktur oder des zeitlichen Fortschritts keine Aussage über den Grad der Offenheit der Berichterstattung getroffen werden kann. Angesichts der in Abbildung 5 dargestellten Auswertung des Umfangs der Berichterstattung bleibt zu vermuten, dass dieser die Inklusivität von Nachrichten erklären könnte. Allerdings spielen dabei eine Vielzahl extramedialer Faktoren eine Rolle: Welche Zeit steht in Anbetracht der sonstigen Beiträge für die Wahlberichterstattung zur Verfügung? Welche Entscheidungen treffen die Redakteure? Welche Ereignisse finden in der Realität statt, über die berichtet werden kann? Welche O-Töne stehen zur Verfügung bzw. werden „eingefangen“? usw. Das Format von Fernsehnachrichten und seine Spezifika tun wahrscheinlich das Übrige. Sie sind auf kurze Beiträge mit knappen Aussagen, die sich aneinander reihen lassen, ausgelegt. Je länger die Beiträge sind, desto mehr Sprecher kommen auch zu Wort, was beispielsweise in politischen Talkshows nicht zwingend der Fall sein muss. Dort liefern die Teilnehmer in der Regel mehrere Aussagen, in Nachrichtenbeiträgen kommt dies (ausgenommen der Journalisten) eher selten vor. Die Funktion der Nachrichten ist darüber hinaus, zu berichten, was aktuell geschieht, wodurch die Themenpalette wiederum stärker extramedial beeinflusst ist als in Reportagen oder Talkshows. Diese Spezifika des Formats oder auch verschiedene Produktionsroutinen und journalistische Normen scheinen über die Sendergrenzen hinweg dieselben zu sein. Diese Faktoren sowie extramediale Bedingungen wie Geschehnisse in der Politik scheinen insofern einen höheren Einfluss auf die Inklusivität von Fernsehnachrichten auszuüben als – wie angenommen – die Senderstruktur oder der zeitliche Fortschritt der Debatte. Im Gesamtbild lässt sich aufgrund der Erkenntnisse dieser Studie festhalten, dass die Inklusivität der Wahlberichterstattung in den Fernsehnachrichten vor allem hinsichtlich der Sprecher eine positive Diagnose erlaubt. Sowohl das politische Zentrum als auch die Peripherie, vor allem Bürger, sind im massenmedialen Diskurs vertreten, wodurch das Habermas‟sche Idealbild von öffentlicher Kommunikation in seinen Voraussetzungen erfüllt ist (Ferree et al. 2002, S. 235; Habermas, 1992). Im Hinblick auf die mit der Wahl in Verbindung gebrachten Sachthemen sind jedoch Leerstellen zu erkennen. Auch ein nachweisbar größerer Umfang, der dem Ereignis der Bundestagswahl in den Nachrichten gewidmet wird, nutzen die Sender nicht dazu, diese zu schließen. Damit ist in 66 der Wahlberichterstattung der von Wessler und Schultz hervorgehobene Aspekt der Input-Dimension – Offenheit gegenüber Themen und Ideen – medialer Diskurse (Wessler, 2008, S. 4f.; Wessler & Schultz, 2007, S. 16) nicht optimal erfüllt. Auch in Bezug auf die Parteien – die vor der Wahl vermeintlich wichtigsten Akteure – wird eine Vielzahl außen vor gelassen. Somit ist die Offenheit des medialen Diskurses in den Nachrichtensendungen im Gesamten eher beschränkt und zeichnet sich durch ein geringes Ausmaß an investigativem als vielmehr verlautbarendem Journalismus aus; eine Erkenntnis, zu der auch Gerhards, Neidhardt und Rucht (1998, S. 185) in ihren Schlussfolgerungen zum Abtreibungsdiskurs gelangen. Hinsichtlich des Deliberativitätskriterium der Ausgewogenheit kann entsprechend der Annahme festgestellt werden, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ausgewogener berichten. Insbesondere betrifft diese Diagnose die Präsentation der Parteien. ARD und ZDF verteilen die Äußerungschancen für Politiker in ausgewogenerem Maße und thematisieren die verschiedenen Parteien in stärker gleich verteiltem Ausmaß. Damit liegen die öffentlich-rechtlichen Sender näher an einem deliberativen Ideal der Gleichverteilung von Äußerungschancen. Bei der Verteilung der Sprechzeiten ergeben sich jedoch größere Unterschiede als bei RTL und Sat.1. Trotzdem muss festgehalten werden, dass eine Ausgewogenheit in Form einer im deliberativen Sinne absoluten Gleichverteilung von Äußerungschancen der Hauptakteure, wie sie hier zugrunde gelegt wurde, in beiden Sendern nicht vollends vorhanden ist. Es lässt sich somit sagen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ausgewogener berichten als die privaten Sender; jedoch nicht, dass sie ihre Wahlberichterstattung ausgewogen im deliberativen Sinne gestalten. Überraschenderweise kann zwar im Zeitverlauf eine Erhöhung der Ausgewogenheit festgestellt werden, allerdings gestaltet sich die Wahlberichterstattung auch zu Ende des Untersuchungszeitraums nicht völlig ausgewogen. So folgt die Verteilung Politikeraussagen und Parteinennungen in allen Sendern und über den gesamten Zeitraum hinweg doch eher der eines „Proporz-System[s]“44 als einer Gleichverteilung; ein Umstand der im Anschluss an Schultz (2006) auch hier bemängelt und als Bestätigung des bereits Bestehenden bezeichnet werden kann. Ein Diskurs um eine Wahl, welche gemäß dem Ideal einer deliberativen Demokratie allen Akteuren (hier: den Parteien) gleiche Chancen einräumt, liegt also in der Berichterstattung nicht 44 Damit ist bei Schultz und auch hier gemeint, dass sich die Anteile in der Berichterstattung ähnlich der Sitzverteilung im Bundestag verhalten. Diese gestaltete sich im 16. Bundestag vor der Wahl 2009 wie folgt: CDU/CSU 36,8 %, SPD 36,2 %, FDP 9,9 %, Bündnis 90/Die Grünen 8,3 % und Die Linke 8,6 % der Sitze (Deutscher Bundestag, 2006). 67 vor. Positiv anzumerken ist allerdings die Tatsache, dass von „news reporting according to a partisan line“ (Wessler, 2008, S. 8) nicht die Rede sein kann. Weder in der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen noch in der der privaten Sender wird eine Partei deutlich bevorzugt. Eine Vorrangstellung einer Partei zeigen lediglich die Daten zum zeitlichen Verlauf: Hinsichtlich Äußerungen und Nennungen liegt in der letzten Woche die CDU/CSU vorne, was in einem weiteren Zusammenhang als Hinweis auf einen in dieser Wahl vorhandenen Kanzlerbonus gewertet werden kann. Die Diagnose eines unausgewogenen Diskurses betrifft nicht nur die Präsentation der Parteien. Auch das Verhältnis zwischen sachpolitisch orientierter und Horse-RaceBerichterstattung muss in Bezug auf den gesamten medialen Diskurs als unausgewogen im deliberativen Sinne bezeichnet werden. So liegt in Bezug auf alle Sender und den gesamten Zeitraum stets ein Übergewicht der Horse-Race-Berichterstattung vor. Lediglich in Woche 2 beträgt der Anteil der auf Sachpolitik fokussierten Beiträge in der Wahlberichterstattung immerhin 38,2 %, ansonsten sind es durchgängig weniger als 25 %. Zum größten Teil geht es somit in den Nachrichten weniger um die Information der Bürger zu den Standpunkten und Programmen der Parteien als um Wahlumfragen, Berichte über Wahlkampfveranstaltungen und das TV-Duell sowie Koalitionsspekulationen. Daraus resultiert auch die Problematik, dass über etwaige Unausgewogenheiten in Bezug auf das Verhältnis der auf Sachthemen fokussierten Beiträge zueinander kaum eine Aussage getroffen werden kann, weder im zeitlichen Verlauf noch im Sendervergleich. Es sind zwar Hinweise vorhanden, dass die Berichterstattung hier mehr auf extramediale Einflüsse zu reagieren scheint als darauf zu achten, verschiedene Themen in ausgewogenem Maße zu behandeln. So ist beispielsweise das Thema „Bundeswehr/Afghanistan/Terror“ relativ oft Hauptfokus der Beiträge (zu durchschnittlich 8,0 % in Bezug auf alle Beiträge). Die Berichte beschäftigen sich dabei vor allem mit einem von der Al-Qaida ausgehenden Terrorvideo mit Bezug zur Bundestagswahl. Der hohe Prozentsatz der sich um das Thema „Wirtschaftslage“ drehenden Berichte in Woche 2 (14,7 % aller Beiträge) rührt maßgeblich vom in diesem Zeitraum verhandelten Deal zwischen Opel und Magna. Dies sind Hinweise darauf, dass die Fernsehnachrichten eher auf ihre Umwelt reagieren als selbst Themen zu setzen und dass Nachrichtenwerte von Ereignissen eine größere Rolle spielen als das deliberative Ideal einer ausgewogenen Themenstruktur. Bestätigt werden könnten diese Vermutungen jedoch erst durch einen Vergleich der Berichterstattung mit Ereignissen in der Realität, wie ihn beispielsweise Gerhards, Neidhardt und Rucht durchführten (1998, S. 93ff.). Ein weiteres Prob68 lem ist, dass aufgrund des hohen Anteils an Horse-Race-Berichterstattung die Anzahl von sich um Sachpolitik drehenden Beiträgen zu niedrig ist, um aussagekräftige Schlüsse zu deren (Un-)Ausgewogenheit ziehen zu können. Zur Verteilung von policy- und politics-orientierter Berichterstattung im Sendervergleich ist eine Relativierung der Ergebnisse anzumerken: Zwar enthalten auch die Nachrichten von ARD und ZDF nicht mehr Beiträge mit sachpolitischem Fokus und ihr öffentlich-rechtlicher Status hat keinen Einfluss auf diese Verteilung, doch ein Blick auf die Kategorie „Themenaspekte“ kann enthüllen, dass sie in den als Horse-RaceBerichterstattung codierten Beiträgen wesentlich mehr Sachpolitik als Nebenaspekte der Beiträge thematisieren. Des Öfteren erwähnen sie bei Berichten über Wahlkampfveranstaltungen die Programme der Parteien, während RTL und Sat.1 dies kaum tun (ein Beispiel dafür findet sich in Tabelle 15 weiter unten). Zusammenfassend lässt sich zur Ausgewogenheit der Debatte sagen, dass hier zum Einen bezogen auf die Gleichverteilung der Äußerungschancen und Thematisierungen der Hauptakteure der Bundestagswahl Defizite zu erkennen sind. Dasselbe gilt für das Verhältnis von substantieller, themenbezogener Berichterstattung und Game-Zentrierung. Die festzustellenden Differenzen im Sendervergleich sowie Änderungen im Zeitverlauf stehen dabei – wie die Werte der Assoziationsmaße zeigen – in Zusammenhang mit den unabhängigen Variablen. Allerdings zeigen die PRE-Maße, dass bei einer Kenntnis von Senderstruktur und/oder zeitlichem Verlauf der Debatte die Vorhersage von (Un)Ausgewogenheit(en) in der Berichterstattung nicht möglich ist. Insofern müssen andere Einflussfaktoren die (Un-)Ausgewogenheit der Debatte letztlich determiniert haben. Das wesentlich größere Ausmaß der Horse-Race-Berichterstattung könnte ein Indikator für eine fortgeschrittene Amerikanisierung der Wahlberichterstattung sein (siehe Kapitel 2.2), die alle Sender betrifft und somit keine Differenzen in Abhängigkeit zur ökonomischen Senderstruktur enthüllt. Unausgewogenheiten in der Parteienpräsenz könnten damit in Verbindung stehen. In überwiegend aus Beiträgen über den Wahlkampf der Parteien bestehenden Nachrichten bleibt zu vermuten, dass dabei überwiegend diejenigen Parteien vorkommen, deren PR- und Agenda-BuildingStrategien erfolgreicher sind als die anderer, insbesondere kleinerer Parteien (Brettschneider, 2005a, S. 21). So können sogenannte Splitterparteien kaum große Wahlkampfveranstaltungen organisieren, auf die die Medien aufmerksam werden. Investigativer Journalismus im Sinne einer eigenständigen Präsentation auch der kleinen Parteien 69 und ihrer Programme fehlt damit. Von einer Erfüllung des von Gastil formulierten Kriteriums „Use diverse sourcing, invite diverse guests with different ways of speaking, and reach beyond conventional debates (left/right)“ (Gastil, 2008, S. 52) kann somit nicht die Rede sein. Die angenommene höhere Präsenz der Kandidaten, ihrer Parteien und Themen aufgrund höherer Wahlkampfbudgets und ihres höheren Nachrichtenwertes scheint anscheinend nicht nur gegen Ende der Debatte sondern im gesamten Zeitraum vorzuliegen (siehe Kapitel 3.1.2). Responsive und damit dialogisch strukturierte Nachrichtenbeiträge sind in der Berichterstattung zur Bundestagswahl 2009 durchaus vorhanden. Wie die folgende Abbildung zeigt, ist der Diskurs mit 24,0 % als „Contest“ und 18,3 % als „Contention“ codierten Beiträgen im Gesamten zu 42,3 % responsiv. Responsivitätsgehalt der gesamten Wahlberichterstattung Contest Contention Sonstige 24,0% 57,7% 18,3% Basis: Alle Beiträge im gesamten Erhebungszeitraum, N = 175 Abbildung 6: Responsivitätsgehalt der gesamten Wahlberichterstattung Somit können zum Einen die theoretischen Vorschläge von Cottle und Rai (2006) im Hinblick auf ihren empirischen Nutzen bestätigt, zum Anderen kann die Diagnose zu diesem Kriterium von Deliberation wesentlich positiver ausfallen als in der Studie von Bennett et al. (2004). Diese können eine Responsivität der von ihnen untersuchten Zeitungsartikel kein einziges Mal bestätigen. Trotzdem überwiegen mit einem Anteil von 57,7 % die nicht responsiven und damit einseitigen Nachrichtenbeiträge, was aus deliberativen Gesichtspunkten als negativ gewertet werden kann. Differenzen im Zeitverlauf können nicht festgestellt werden. Die Debatte wird mit sinkendem Abstand zur Wahl nicht, wie angenommen wurde, responsiver. Dies mag daran 70 liegen, dass Maia (2009) in ihrer Studie ein Thema untersucht, zu dem verschiedene Sprecher Argumente in den medialen Diskurs einbringen, infolgedessen im Zeitverlauf vermehrt dialogische Strukturen entstehen. In der vorliegenden Studie steht jedoch ein Ereignis im Vordergrund, wodurch die Präsentation oppositioneller Standpunkte vom jeweiligen Beitragsthema abhängt. So verbessert – wie innerhalb der Hypothesenprüfung gezeigt – die unabhängige Variable des zeitlichen Verlaufs nicht die Vorhersagemöglichkeit der Responsivität. Denkbar ist, wie angedeutet, ein Einfluss des jeweiligen Beitragsthemas. Fasst man die als responsiv anzusehenden Beitragstypen „Contest“ und „Contention“ zusammen und setzt die dadurch entstehende Gruppe responsiver Beiträge in Anhängigkeit zu den codierten Themen, ergibt sich für das PRE-Maß Lambda ein – im Vergleich zu Senderstruktur und Zeitverlauf – wesentlich höherer Wert von λ = 0,203. Die Auswertung in Abhängigkeit zur Beitragslänge liefert ein noch aussagekräftigeres Ergebnis von λ = 0,973, was zeigt, dass von der Länge des Beitrags beinahe zweifelsfrei auf dessen Responsivitätsgehalt rückgeschlossen werden kann. Gruppiert man die Beiträge nahe des Medians von 116,76 Sekunden entlang der anschaulichen Grenze von zwei Minuten, so lässt sich dieser Zusammenhang folgendermaßen illustrieren: Beitragslänge Responsivität < 2 Minuten > 2 Minuten Gesamt responsiv 22 (22,2%) 52 (68,4%) 74 (42,3%) nicht responsiv 77 (77,8%) 24 (31,6%) 101 (57,7%) Gesamt 99 (100%) 76 (100%) 175 (100%) 2 χ = 170,902, V = 0,988, λ = 0,973 Basis: Alle Beiträge im gesamten Erhebungszeitraum, N = 175 Tabelle 14: Responsivitätsgehalt im Zusammenhang mit der Länge der Beiträge45 So sind Beiträge mit weniger als zwei Minuten Länge nur zu 22,2 % responsiv, solche mit mehr als zwei Minuten Länge hingegen zu 68,4 %. Angesichts von nur zwei Ausprägungen ist die Prozentsatzdifferenz von d% = 46,2 äußerst hoch. Diese Erkenntnis weist darauf hin, dass der Responsivitätsgehalt der Fernsehnachrichten in der Wahlberichterstattung 2009 hauptsächlich von strukturellen Gründen, genauer der zur Verfügung stehenden Zeit abhängt, verschiedene Standpunkte zum Beitragsthema darzustellen. Umso verständlicher wird aufgrund dessen der geringfügig höhere Responsivitäts- 45 Die genannten Kennzahlen beziehen sich auf die Auswertung der Responsivität in Abhängigkeit zu den einzelnen Längen aller 175 Beiträge. 71 gehalt der Berichterstattung von RTL und Sat.1. Der Median der Beitragslänge liegt in Bezug auf die beiden Privatsender bei 119,76, bei ARD und ZDF bei 115,94 Sekunden. Der geringe Unterschied von knapp vier Sekunden erklärt zum Einen die geringfügig höhere Responsivität der privaten Sender, zum Anderen auch die praktisch nicht vorhandene Verbesserung der Vorhersage des Responsivitätsgehalt angesichts der Senderstruktur. Da Fernsehnachrichten sich im Vergleich zu anderen Informationsangeboten im Fernsehen durch ihre Kürze auszeichnen, scheint dieses Format also strukturell eher im Nachteil zu sein, was die Responsivität der Debatte betrifft. Trotzdem kann festgestellt werden, dass in kurzen Nachrichtenbeiträgen eher auf die Darstellung verschiedener Standpunkte verzichtet wird und die zur Verfügung stehende Zeit – so kann vermutet werden – für die ausführliche Schilderung einer Position verwendet wird. Diesem Merkmal des Formats wurde allerdings im Laufe der Konzeption des Messinstruments Rechnung getragen. So wurde wegen der wenigen zur Verfügung stehenden Zeit in Fernsehnachrichten davon ausgegangen, dass das von Wessler entworfene Kriterium der „Response articles [Hervorhebung im Original]“ (Wessler, 2008, S. 10) nicht auf dieses Format – in Form von aufeinander antwortenden Beiträgen – übertragen werden kann (siehe Abschnitt 3.1.1). Bei einer Sichtung der Daten kann jedoch festgestellt werden, dass eine solche Art der Deliberativität gerade zu Ende der Debatte bei den öffentlich-rechtlichen Sendern doch zum Einsatz kommt. Dies enthüllt insbesondere die Kategorie der Themenaspekte. Folgender Auszug aus den Daten veranschaulicht diese Feststellung; er zeigt die am 26. September codierten Beiträge bei ZDF und RTL im Vergleich zueinander:46 46 Dieser Auszug kann dabei als ein Beispiel für ein ähnliches Bild an anderen Tagen – insbesondere in der letzten Woche vor der Wahl – dienen. Zudem ist festzuhalten, dass an diesem und weiteren Tagen die ARD ähnlich wie das ZDF und Sat.1 ähnlich wie RTL berichtete. Zur Veranschaulichung werden diese beiden Sender einander gegenüber gestellt. Die weiter codierten Beiträge werden nicht aufgeführt, da sie für diesen Aspekt nicht relevant sind. 72 Beitragsmerkmale Beiträge am 26. September 2009 Wahlkampf/ Parteien-PR Beitrag 2 Wahlkampf/ Parteien-PR ZDF Beitrag 1 RTL Beitrag 3 Beitrag 1 Beitrag 2 Themenaspekte (offene Codierung) Thema … Wahlkampf/ Parteien-PR … Koalitionen Wahlaufruf von Horst Köhler Steuersenkungen Rede Merkel letzter Wahlkampftag CDU/CSU Koalitionen soziale Gerechtigkeit Stärkung der Mittelschicht Steuern Abschaffung des Gesundheitsfonds Familien Rede Westerwelle letzter Wahlkampftag FDP … Wahlaufruf von Horst Köhler letzte Wahlkampfaktionen und Strategien der Parteien Erklärungen und Prognosen zur Lage vor Bundestagswahl Wahlumfragen … Responsivitätsgehalt Sonstige (nicht responsiv) Sonstige (nicht responsiv) … Contention (mehrere Standpunkte) … Tabelle 15: Beiträge am 26. September 2009: ZDF vs. RTL Deutlich wird dabei, dass RTL hier einen als responsiv codierten Beitrag sendet, das ZDF dagegen zwei Beiträge, die als nicht responsiv eingestuft werden können. Sie enthalten die beiden Wahlkampfaktionen von CDU/CSU und FDP; RTL fasst dies in einem Beitrag zusammen. Insofern handelt es sich bei der Berichterstattung des ZDF an diesem Tag um Antwortbeiträge zum Thema „Wahlkampf/Parteien-PR“, die jedoch nicht als responsiv im Sinne der hier definierten Operationalisierung gelten können. Damit bleibt im Hinblick auf die Responsivität in Fernsehnachrichten einerseits zu untersuchen, inwieweit Antwortbeiträge vorkommen und ob hier eventuell der Ausschlag gebende Unterschied zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsendern liegt. Andererseits bleibt die Frage offen, ob mittels einer höheren Anzahl an Beiträgen, die aufeinander Bezug nehmen und gegensätzliche Standpunkte einander gegenüber stellen, eine mediale Debatte (um ein Ereignis oder Thema) im Zeitverlauf responsiver wird. Angesichts dieser Erkenntnisse lässt sich die Forschungsfrage wie folgt beantworten: Die Diskursstruktur der medienvermittelten Deliberation in der Wahlberichterstattung 2009 weist eine hohe Inklusivität im Hinblick auf in den Diskurs einbezogene Sprecher auf, zeigt jedoch eine eingeschränkte Offenheit gegenüber Sachthemen und Parteien. Die Anforderung an die Medien, im Wahlkampf einerseits Themen mit öffentlicher Relevanz zu behandeln und andererseits Parteien zu ihren Forderungen und Zielen zu befragen (Gastil, 2008, S. 93; Jamieson, 1992), wird damit nur bedingt erfüllt. Ausgewo73 genheit im Verständnis eines „herrschaftsfreien Diskurs[es]“ mit einer Gleichverteilung von Äußerungschancen (Habermas, 1984) ist im Gesamten nicht vorhanden. Wenngleich keine „Constructed Deliberation [Hervorhebung im Original]“ (Page, 1996, S. 19) im Sinne einer erkennbaren Überpräsenz einer Partei vorliegt, so folgt die Parteienstruktur eher der Sitzverteilung im Bundestag und bestätigt damit die bestehenden Machtverhältnisse. In Bezug auf die Themen kann ein Ungleichgewicht in Richtung von Horse-Race-Berichterstattung und damit eine Unausgewogenheit zu Ungunsten von aus deliberativen Gesichtspunkten zu bevorzugender, substantieller Berichterstattung festgestellt werden (Gastil, 2008, S. 94f.). Die trotzdem in den Diskurs integrierten sachpolitischen Themen scheinen eher äußeren Vorkommnissen zu folgen als von kritischem und aufsuchendem Journalismus auszugehen. Angesichts der Kürze von Fernsehnachrichten und der anspruchsvollen Umsetzung des Kriteriums ist der relativ hohe Gehalt an Responsivität und damit dialogisch strukturierten Beiträgen aus deliberativer Sicht positiv hervorzuheben, der jedoch von genau diesem Kriterium abhängig ist. 4.3 Ergebnisdarstellung und Hypothesenprüfung – Diskursqualität 4.3.1 Diskursqualität nach Senderstruktur Hypothese 7 beinhaltet die Annahme, dass öffentlich-rechtlich organisierte Sender ihre Debatte ziviler präsentieren als private Sender. Folgende Tabelle veranschaulicht die Verteilung der zivilen und inzivilen Sprecheraussagen in den unterschiedlichen Sendertypen. In der unteren Darstellung wird keine Rücksicht auf die unterschiedlichen Inzivilitätsausprägungen genommen: Ökonomische Senderstruktur Zivilität öffentlich-rechtlich privat Zivile Aussagen 89,7% 76,1% Inzivile Aussagen 10,3% 23,9% 100% 100% Gesamt 2 χ = 45,571, V = 0,179, λ = 0,000 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 Tabelle 16: Zivilität der Aussagen im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern Der Tabelle ist zu entnehmen, dass sich die beiden Sendertypen in ihrer Verteilung der (in-)zivilen Aussagen deutlich unterscheiden: So überwiegen bei den öffentlichrechtlichen Sendern ARD und ZDF die zivilen Aussagen mit 89,7 % im Gegensatz zu 74 76,1 % bei den beiden privaten Sendern RTL und Sat.1. Während bei den öffentlichrechtlichen Sendern nur ein Zehntel der Aussagen inzivil sind, ist es bei den privaten Sendern fast ein Viertel. Der Unterschied zwischen den beiden Sendergruppen beläuft sich bezüglich der zivilen Aussagen auf 13,6 Prozentpunkte. Ein Blick auf die Verteilung der inzivilen Aussagen auf die unterschiedlichen Inzivilitätsausprägungen47 verdeutlicht, dass die Unterschiede zwischen den Sendertypen bei den Ausprägungen „Herabwürdigender Sprachgebrauch“ am stärksten ausfallen. Abbildung 7 stellt die Verteilung der unterschiedlichen Inzivilitätsausprägungen in den einzelnen Sendern dar. Jeder Ausprägung ist eine andere Farbe zugeordnet: Inzivilitätsausprägungen 80% 68,5% 70% Gebrauch von Schimpfwörtern Herabwürdigender Sprachgebrauch 60% 50% Unterbrechung durch einen Sprecher 47,1% Unterbrechung durch das Medium 40% Persönlicher Angriff 30% non-verbale Unhöflichkeit 20% 17,1% 17,1% Unzivile Kameraeinstellung 11,8% 11,4% 10% 16,9% 7,1% 4,5% 2,8% Erhöhte Lautstärke 0% öffentlich-rechtlich privat 2 χ = 22,372, V = 0,104, λ = 0,000 Basis: Alle inzivilen Sprecheraussagen der einzelnen Sendertypen im gesamten Erhebungszeitraum, Mehrfachcodierungen möglich, N(öffentlich-rechtlich) = 70, N(privat) = 178 Abbildung 7: Inzivilitätsausprägungen im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern Das Schaubild verdeutlicht die herausragende Rolle der Ausprägung „Herabwürdigender Sprachgebrauch“: Während in den öffentlich-rechtlichen Sendern 47,1 % der inzivilen Aussagen dieser Ausprägung zufallen, sind es bei den privatwirtschaftlich organi47 Die Ausprägung „Sonstige“ ist hier nicht mehr aufgeführt, stattdessen ist die Ausprägung „Erhöhte Lautstärke“ mit in die Auswertung aufgenommen worden. Alle in der Ausprägung „Sonstige“ aufgeführten Fälle fallen in diese Gruppe. 75 sierten Sendern sogar 68,5 % der Aussagen. Betrachtet man allerdings die anderen Ausprägungen, ergibt sich ein eher gemischtes Bild: Überwiegen bei den öffentlichrechtlichen Sendern beispielsweise die Ausprägungen „Unterbrechung durch das Medium“ (17,1 % vs. 11,8 %), „Persönlicher Angriff“ (11,4 % vs. 4,5 %) und „Erhöhte Lautstärke“ (7,1 % vs. 2,8 %), liegt eine nahezu gleiche Verteilung bei dem Anteil der „Inzivilen Kameraeinstellung“ (17,1 % vs. 16,9 %) vor. Beide Sendertypen scheinen damit gleichermaßen die visuelle Ebene zu nutzen, um gegen die deliberative Maßgabe der Zivilität zu verstoßen. Der deutliche Ausschlag der Ausprägung „Herabwürdigender Sprachgebrauch“ zeigt, dass der „Gebrauch von Schimpfwörtern“, der sich aus der Umsetzung der „„hot button‟ [Hervorhebung im Original] language“ (Ferree et al., 2002, S. 239) ableitet, tatsächlich nicht ausreicht, um Inzivilität detailliert zu erfassen und dass die Erweiterung, die im Kontext dieser Studie vorgenommen wurde, fruchtbar war. In der folgenden Tabelle wird dieser Besonderheit nachgegangen und die Ausprägung „Herabwürdigender Sprachgebrauch“ in Bezug auf ihre Urheber dargestellt: 76 Ökonomische Senderstruktur Sprechertypen öffentlich-rechtlich privat Parteien: CDU/CSU 6,1% 3,3% Parteien: SPD 3,0% 4,1% Parteien: FDP 15,2% 3,3% Parteien: Bündnis 90/Die Grünen 18,2% 3,3% 3,0% 0,8% Parteien: Piratenpartei 0% 0% Parteien: Die Violetten 0% 0% Parteien: Sonstige 0% 0% Verwaltung und Regierung: CDU/CSU 0% 1,6% 3,0% 0% Verwaltung und Regierung: Sonstige/ohne Partei 0% 0% Judikative 0% 0% Interessengruppen, -verbände 9,1% 0% soziale Bewegungen 3,0% 0% Experten/Intellektuelle 0% 2,5% Advokaten 0% 0% 3,0% 4,9% 0% 0,8% 3,0% 0% Journalisten: Mitarbeiter 33,3% 75,4% Gesamt 100% 100% Parteien: Die Linke Verwaltung und Regierung: SPD Problembetroffene/Bürger Künstler/Prominente Journalisten: Nicht-Mitarbeiter 2 χ = 57,091, V = 0,606, λ = 0,000 Basis: Alle Codierungen der Ausprägung „Herabwürdigender Sprachgebrauch“ im gesamten Erhebungszeitraum, N = 155 Tabelle 17: Herabwürdigende Äußerungen im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern Interessanterweise findet sich der höchste Gebrauch dieser Inzivilitätsausprägung bei den Journalisten der unterschiedlichen Sender (33,3 % vs. 75,4 %). Dies stützt Deana A. Rohlingers (2007) Fokussierung auf die inzivilen rhetorischen Stile der Journalisten, wie in Kapitel 3.2.2 beschrieben wurde. Weiterhin zeigt die Tabelle, dass die öffentlichrechtlichen Sender die beiden Oppositionsparteien FDP und Bündnis 90/Die Grünen inziviler inszenieren als die privaten Sender, bei denen bezüglich der Parteien keine solchen Ausschläge zu erkennen sind. Es kann festgehalten werden, dass sich die Variable der Zivilität wie durch die Hypothese vorhergesagt zu verhalten scheint. Öffentlich-rechtliche Sender präsentieren den medialen Diskurs um die Bundestagswahl 2009 deutlich ziviler als die privaten Sender. Bezieht man nun allerdings das errechnete Zusammenhangsmaß Cramer‟s V und das PRE-Maß Lambda mit ein, so ergibt sich ein ambivalentes Bild. Der Wert von Cramer‟s 77 V (V = 0,179) deutet an, dass zwischen der Senderstruktur und dem Ausdruck ein schwacher Zusammenhang besteht. Deutlich stärker ist dieser Zusammenhang im Hinblick auf die Sprecher und die inzivilen Äußerungen (V = 0,606). Allerdings kann hieraus nicht die Richtung des Zusammenhangs abgelesen werden. Hierzu wird das Assoziationsmaß Lambda herangezogen. Letzteres nimmt in Bezug auf die obigen Auswertungen immer den Wert λ = 0 an. Damit wird deutlich, dass die abhängige Variable der Zivilität nicht mit Hilfe der unabhängigen Variablen der Senderstruktur vorhergesagt werden kann. Die deutlichen Unterschiede zwischen den beiden Sendern bleiben jedoch bestehen und sind aufgrund der Vollerhebung auch nicht mit einem Qualitätsmangel der Stichprobe zu erklären. Die Hypothese kann somit bestätigt werden: Die Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 gestaltet sich bei Fernsehsendern, die nach dem öffentlich-rechtlichen Prinzip organisiert sind, ziviler als bei den Privaten. Zur Prüfung der Hypothesen 8 und 9, denen die Annahme zugrunde liegt, dass privatwirtschaftliche Sender im Bezug auf die beiden abhängigen Variablen Rechtfertigung und Widerlegung weniger deliberativ sind, wird zunächst kurz auf die Länge der sound bites in den unterschiedlichen Sendertypen eingegangen. In Anlehnung an Gastil (2008) wird davon ausgegangen, dass sound bites einerseits eine sehr wichtige Rolle in der medialen Wahlkampfberichterstattung einnehmen, andererseits auch ihre Länge Einfluss auf die Deliberativitätskriterien Rechtfertigung und Widerlegung haben kann: Even if taken for granted, the status quo of sound bites is an important part of the electoral landscape, as it reflects the relative scarcity of in-depth, fully developed argument in day-to-day media coverage of elections (Gastil, 2008, S. 96). Vergleicht man nun die Längen der sound bites, so ergibt sich ein erkennbarer Unterschied48 zwischen 14,45 Sekunden für die öffentlich-rechtlichen Sender und 13,07 Sekunden für die privaten. Es kann also festgehalten werden, dass die öffentlichrechtlichen Sender ihren Sprechern fast zwei Sekunden mehr an Möglichkeit bieten, sich argumentativ zu äußern. Ob diese Chance auch genutzt wird, zeigt sich in der folgenden Hypothesenprüfung. Die Hypothesen werden in Anlehnung an Ferree et al. (2002) drei Tests unterzogen. Sie untersuchen in ihrer Studie zwar lediglich Widerlegungen und dies in Printmedien, al48 Eine Auflistung der durchschnittlichen sound bites für die einzelnen Sprecher findet sich im Anhang (Kapitel 8.2). 78 lerdings wird das Auswertungsverfahren, welches sie für ihre Variable anwenden (Ferree et al., 2002, S. 241), in dieser Studie auch auf die Variable der Rechtfertigung übertragen. Demnach wird also zum Einen untersucht, wie hoch der Anteil der Rechtfertigungen und Widerlegungen innerhalb aller Sprecheräußerungen ist, zum Anderen wie viel Prozent der Sprecheräußerungen mindestens eine Rechtfertigung oder eine Widerlegung beinhalten und zuletzt ist außerdem auf Ebene der Beiträge interessant, wie viel Rechtfertigungen oder Widerlegungen im Durchschnitt auf einen Beitrag entfallen. Für die erste Auswertungsweise hinsichtlich des Anteils an Begründungen pro 100 Sprecheräußerungen ergibt sich für Hypothese 8 folgendes Bild: Ökonomische Senderstruktur Rechtfertigungen Begründung öffentlich-rechtlich privat 14,4% 8,3% 9,6% 11,3% Erklärung 20,2% 18,5% Gesamt 44,2% 38,1% Beweis 2 χ = 13,660, V = 0,049, λ = 0,000 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, Mehrfachcodierungen möglich, N = 1424 Tabelle 18: Anteil der Rechtfertigungen in den Sprecheraussagen im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern Von 100 Sprecheraussagen weisen in den öffentlich-rechtlichen Sendern gut 14 eine Begründung auf, bei den privaten Sendern hingegen nur acht Aussagen. Ein relativ ausgewogenes Verhältnis ergibt sich bei den Ausprägungen „Beweis“ (zehn Aussagen vs. elf Aussagen) und „Erklärung“ (20 Aussagen vs. 19 Aussagen). Diese sind im strengen Sinne zwar nicht deliberativ, können aber durchaus als Deliberativitätsbemühungen, wie in Kapitel 3.2.2 erläutert, verstanden werden. So ist Sprechern, die ihren Ansichten Erklärungen oder Beweise hinzufügen, ein höheres Interesse an Verständigung zuzusprechen als Sprechen, die nur ihren Standpunkt verlautbaren oder ankündigen. Unterzieht man die Hypothese dem zweiten Auswertungsvorschlag und untersucht, in wie vielen Sprecheraussagen mindestens eine Begründung vorliegt, so ergibt sich nachstehende Verteilung: 79 Ökonomische Senderstruktur Rechtfertigung: Begründung öffentlich-rechtlich privat Aussagen ohne Begründung 86,3% 91,7% Aussagen mit Begründung 13,7% 8,3% 100% 100% Gesamt 2 χ = 10,578, V = 0,086, λ = 0,000 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 Tabelle 19: Anteil der Sprecheraussagen mit oder ohne Begründung im Vergleich zwischen öffentlichrechtlichen und privaten Sendern Tabelle 19 verdeutlicht, dass in den öffentlich-rechtlichen Sendern 13,7 % aller Sprecher mindestens eine Begründung verwenden. Die Sprecher in den privatwirtschaftlich organisierten Sendern tun dies hingegen nur zu einem Anteil von 8,3 %. Diese Verteilung der Aussagen mit Begründungen auf die verschiedenen Sendertypen weist in dieselbe Richtung wie die zugrunde gelegte Hypothese. Sprecher, die in den Sendern ARD und ZDF zu Wort kommen, verwenden daher nicht nur mehr Begründungen, es sind auch von vorneherein mehr Sprecher dazu bereit, überhaupt Begründungen anzuführen. Bezüglich Ferree et al.„s dritter Auswertung auf Ebene der einzelnen Beiträge ergibt sich folgende Verteilung: Auf die Beiträge der öffentlich-rechtlichen Sender entfallen durchschnittlich 1,08 Begründungen pro Beitrag, auf die privaten 0,73 Begründungen. Zuletzt wird noch der Zusammenhang zwischen den Sprechern und deren Verwendung von Begründungen untersucht.49 Dabei wird analysiert, welche Sprecher in ihren Aussagen Begründungen verwenden. Auch hier überwiegt bei fast allen Sprechertypen innerhalb der öffentlich-rechtlichen Sender der Anteil an Begründungen. Damit stützt auch dieses Ergebnis die untersuchte Hypothese. Im Anschluss an diese umfangreiche Prüfung der Hypothese können alle Testergebnisse zur Stützung der Annahme herangezogen werden. Öffentlich-rechtliche Sender erfüllen damit auch das zweite Deliberativitätskriterium, welches in dieser Studie an die Qualität des Diskurses angelegt wird, in Bezug auf die Prozentsatzdifferenzen besser. Allerdings zeigt ein Blick auf das Assoziationsmaß Cramer‟s V und das PRE-Maß Lambda auch in diesem Fall, dass zwar ein schwacher Zusammenhang zwischen der Senderstruktur und der Variablen Rechtfertigung besteht (erste Auswertung: V = 0,049; zweite Auswertung: V = 0,086). Dieser kann jedoch nicht dazu verwendet werden, die Qualität einer Vorhersage zu verbessern, wie das PRE-Maß Lambda indiziert. Die errechneten Werte 49 Eine genaue Auflistung dieses Zusammenhangs findet sich im Anhang (Kapitel 8.2). 80 für Lambda betragen bei allen Auswertungen λ = 0. Damit kann auch hier die unabhängige Variable der Senderstruktur nicht das Verhalten der abhängigen Variablen prognostizieren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Unterschiede zwischen den Sendergruppen nicht vorhanden oder unbedeutend sind. Öffentlich-rechtliche Sender verwenden in der Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 deutlich häufiger Rechtfertigungen, was die Einbeziehung der Prozentsatzdifferenzen deutlich macht. Damit kann auch diese Hypothese bestätigt werden: Fernsehsender, die nach dem öffentlichrechtlichen Prinzip organisiert sind, verwenden in der Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 häufiger Rechtfertigungen. Die letzte Hypothese, die sich mit senderstrukturellen Unterschieden befasst, widmet sich der abhängigen Variablen der Widerlegung. Analog zur vorherigen Hypothese werden auch hier die drei Auswertungsweisen nach Ferree et al. (2002) angewendet. Die anschließende Tabelle illustriert das Verhältnis der beiden Indikatoren „Bezugnahme“ und „Gegenargument“ hinsichtlich der verschiedenen Sendertypen: Ökonomische Senderstruktur Widerlegung Aussage mit Bezugnahme Aussage mit Gegenargument Gesamt öffentlich-rechtlich privat 50,4% 31,8% 1,9% 0,7% 52,3% 32,5% 2 χ = 38,310, V = 0,082, λ = 0,000 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, Mehrfachcodierungen möglich, N = 1424 Tabelle 20: Anteil der Widerlegungen in den Sprecheraussagen im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern Die Verteilung der Widerlegungen auf die Sendertypen zeigt, dass den öffentlichrechtlichen Sendern auch in diesem Fall die höheren Anteile zufallen: Von 100 getätigten Sprecheraussagen beinhalten bei den öffentlich-rechtlich organisierten Sendern gut 50 einen Bezug auf eine Aussage eines anderen Akteurs, bei den privaten Sendern hingegen weisen nur rund 32 Aussagen einen solchen Bezug auf. Gegenargumente kommen zwar bei beiden Sendern sehr selten vor, die öffentlich-rechtlichen Sender können aber immerhin noch zwei Gegenargumente, die privaten nur rund ein Gegenargument pro 100 Aussagen aufweisen. Damit weisen die Sprecheraussagen in den öffentlichrechtlichen Sendern einen höheren Anteil an Widerlegungen auf als die privaten Sender. 81 Im Hinblick auf die Auswertung der Sprecher in den Sendergruppen, die in ihrer Äußerung mindestens einen Bezug auf Aussagen anderer Akteure enthalten, zeigt sich nachstehendes Bild: Widerlegung: Bezug auf Aussagen eines anderen Akteurs Ökonomische Senderstruktur öffentlich-rechtlich privat Aussagen ohne Bezugnahme 59,2% 74,2% Aussagen mit Bezugnahme 40,8% 25,8% 100% 100% Gesamt 2 χ = 36,299, V = 0,160, λ = 0,000 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 Tabelle 21: Sprecheraussagen mit oder ohne Bezug auf Aussagen eines anderen Akteurs im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern Während 40,8 % der Sprecher in den öffentlich-rechtlichen Sendern einen Bezug zu Aussagen anderer Akteure herstellen, leisten dies nur 25,8 % der Sprecher in privaten Sendern. Ein sehr ähnliches Muster zeigt sich bei dem zweiten Indikator. Hier verwenden 1,9 % der Sprecher in öffentlich-rechtlichen Sendern mindestens ein Gegenargument, während bei den privatwirtschaftlich organisierten Sendern gerade einmal 0,7 % der Sprecher sich dessen bedienen. Widerlegung: Gebrauch eines Gegenarguments Aussagen ohne Gegenargument Ökonomische Senderstruktur öffentlich-rechtlich 98,1% 99,3% 1,9% 0,7% 100% 100% Aussagen mit Gegenargument Gesamt privat 2 χ = 4,401, V = 0,056, λ = 0,000 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 Tabelle 22: Sprecheraussagen mit oder ohne Gegenargument im Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern Entsprechend der dritten Auswertungsweise nach Ferree et al. (2002) zeigt sich, dass für den Indikator „Bezugnahme“ in den öffentlich-rechtlichen Sendern durchschnittlich 3,80 Bezüge in einem Beitrag aufzufinden sind, bei den privaten 2,79. Sehr ähnlich verhält sich diese Verteilung auch im Hinblick auf den Indikator „Gegenargument“. Hier entfallen auf die öffentlich-rechtlichen Sender 0,14 Gegenargumente pro Beitrag, auf die privaten lediglich 0,06. Damit wird die Hypothese auch auf Ebene dieser Auswertung gestützt. Im Hinblick auf die Verteilung der beiden Indikatoren auf die verschiede82 nen Sprechertypen50 kann festgestellt werden, dass bei den Sendern RTL und Sat.1 in 91,7 % der verwendeten Bezüge dies durch einen an den Nachrichten beteiligten Journalisten geschieht und nur in 8,3 % der Fälle durch andere Sprecher. Die öffentlichrechtlichen Sender hingegen lassen neben den Journalisten (86,6 %) ein wenig stärker auch andere Sprecher Bezüge herstellen. Die Gegenargumente hingegen entfallen bei beiden Sendertypen in rund 40 % der Fälle auf die Journalisten. Im Anschluss an diese Prüfung kann insgesamt festgehalten werden, dass die Sprecheraussagen der öffentlich-rechtlichen Sender nicht nur prozentual mehr Bezüge zu Aussagen anderer Akteure (d% = 18,6) und mehr Gegenargumente (d% = 1,2)51 enthalten. Auch der Anteil an Sprecheraussagen, die mindestens ein Gegenargument oder einen Bezug enthalten, ist deutlich höher. Damit verwenden Sprecher in den öffentlichrechtlichen Sendern nicht nur mit höherer Wahrscheinlichkeit Widerlegungen, sie verwenden auch tatsächlich mehr Widerlegungen als in den privaten Sendern. Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern scheint daher ein stärkerer Fokus auf einer dialogischen Struktur der Berichterstattung zu liegen als bei den privaten Sendern. Allerdings muss einschränkend gesagt werden, dass diese Leistung hauptsächlich durch die Medienschaffenden, also durch die Journalisten und nicht durch die zu Wort kommenden Akteure selbst erbracht wird, was die Betrachtung der Sprechertypen in Bezug auf die Widerlegungen zeigt. Dadurch erfüllen die öffentlich-rechtlichen Sender auch das Kriterium der Widerlegung besser und sind deliberativer als die privaten Sender. Getrübt wird das Bild allerdings durch die Betrachtung des Assoziationsmaßes Cramer‟s V. So legt dieses nur einen schwachen Zusammenhang zwischen den untersuchten Variablen nahe (erste Auswertung: V = 0,082; zweite Auswertung: V = 0,160; 0,056)52. Auch in diesen Auswertungen nimmt Lambda in allen Fällen den Wert λ = 0 an, womit die Kenntnis über die unabhängige Variable keinen Beitrag dazu leistet, die abhängige vorauszusagen. Es lässt sich resümieren, dass hier offensichtliche Unterschiede zwischen den Sendertypen vorliegen, auch wenn die Werte des PRE-Maßes Lambda nicht dazu beitragen können, eine zutreffendere Vorhersage zu leisten. Damit wird Hypothese 9 bestätigt: Ist ein Fernseh50 Eine Auflistung der Tabellen zu den beiden Auswertungen findet sich im Anhang (Kapitel 8.2). Diese Prozentsatzdifferenz mag zwar sehr gering erscheinen, betrachtet man allerdings die Prozentsätze, auf denen diese Berechnung beruht, so ist erkennbar, dass in den öffentlich-rechtlichen Sendern der Anteil an Gegenargumenten doppelt so hoch ist wie in der privatwirtschaftlich organisierten Sendergruppe. 52 In dieser Auswertung nimmt Cramer‟s V zwei Werte an, da die Indikatoren getrennt ausgewertet wurden. 51 83 sender nach dem öffentlich-rechtlichen Prinzip organisiert, findet sich in der Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 häufiger Widerlegungen. Die öffentlich-rechtlichen Sender scheinen also ihre längeren sound bites dazu zu nutzen, mehr Widerlegungen und Rechtfertigungen in die Debatte einfließen zu lassen, was Gastils Aussage, die Länge der sound bites sei wichtig, um eine im deliberativen Sinne bessere Argumentation liefern zu können, stützt. Man könnte hier auch von einem „more of the same effect“53 sprechen, da sich das Mehr an Zeit für eine Aussage positiv auf das Mehr an deliberativen Elementen in der medialen Debatte auswirkt. Zusammenfassend lässt sich für die obigen Hypothesen festhalten, dass mit Hilfe der deutlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Sendergruppen in Bezug auf die abhängigen Variablen die Hypothesen bestätigt werden können. 4.3.2 Diskursqualität im Zeitverlauf Hypothese 10 formuliert die Annahme, dass die Debatte im zeitlichen Verlauf über alle Sendergrenzen hinweg inziviler wird. Dies gründet sich auf die Vermutung, dass die politischen Akteure versuchen, die Aufmerksamkeit der Medien auf sich und ihre Partei zu ziehen, da eine erhöhte Inzivilität – in Anlehnung an eine Studie von Diana Mutz (2007) – zu einer erhöhten Aufmerksamkeit seitens der Zuschauer führt. Nachfolgendes Schaubild stellt die zivilen und inzivilen Sprecheraussagen im Zeitverlauf über alle vier Sender hinweg dar, ungeachtet der verschiedenen Inzivilitätsausprägungen: 53 Diesen Begriff verwendet auch Kai Hafez (2002), der ihn dazu verwendet um eine Tendenz in Vollnachrichten-programmen wie BBC und CNN zu charakterisieren. Der Effekt bezeichnet den Umstand, dass Nachrichtensender trotz der Ausweitung ihres Informationsangebotes nicht stärker auf NichtWestliche Gebiete eingehen, sondern noch mehr über den Westen selbst berichten. In diesem Kontext wird der Begriff jedoch anders verwendet. 84 Zivilität im Zeitverlauf 90% 82,4% 81,5% 85,5% 81,3% Anteil der Sprecheraussagen 80% 70% 60% 50% zivil 40% inzivil 30% 20% 17,6% 18,5% 1. Woche 2. Woche 14,5% 18,7% 10% 0% 3. Woche 4. Woche 2 χ = 2,718, V = 0,044, λ = 0,000 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, Mehrfachcodierungen möglich, N = 1424 Abbildung 8: Zivile und inzivile Aussagen im Zeitverlauf Dem Schaubild lässt sich entnehmen, dass sich die zivilen (orange) und die inzivilen (blau) Aussagen in ihrer Verteilung auf die Sprecheraussagen im zeitlichen Verlauf kaum ändern: Beginnend auf einem relativ hohem Niveau (82,4 %) fallen die zivilen Aussagen zwar in der zweiten Woche leicht ab, steigen dann allerdings wieder an und erreichen in der dritten Woche sogar ein höheres Niveau (85,5 %) als zu Beginn des untersuchten Zeitraums. In der letzten Woche fallen sie noch einmal leicht ab und erreichen ihren niedrigsten Stand (81,3 %). Die inzivilen Aussagen bleiben auf einem relativ niedrigen Niveau, an dem sich abhängig von den zivilen Aussagen wenig ändert. Insgesamt kann jedoch nicht von einer eindeutigen Tendenz der (in-)zivilen Aussagen gesprochen werden. Die Berichterstattung über die Bundestagswahl scheint sich in Bezug auf die Zivilität ungefähr auf einem Niveau zu halten. Die Ergebnisse der Berechnung des Assoziationsmaßes Cramer‟s V (V = 0,044) indiziert einen schwachen Zusammenhang zwischen den Variablen. Der Wert für Lambda (λ = 0) hingegen zeigt wie bei den vorherigen Hypothesen, dass die unabhängige Variable des zeitlichen Fortschritts nicht dazu geeignet ist, das Verhalten der abhängigen Variablen der Zivilität zu prognostizieren. Die Hypothese ist aufgrund der mangelnden Unterschiede im zeitlichen Verlauf widerlegt: Die Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 wurde im zeitlichen Verlauf nicht inziviler. 85 Hinsichtlich der Rechtfertigung im Zeitverlauf (Hypothese 11) soll beurteilt werden, ob diese, wie Maia (2009) annimmt, gemäß der formulierten Hypothese im Verlauf der Debatte ansteigt, also ob die Anteile an Begründungen über die vier Wochen zunahmen oder ob sie sich entgegengesetzt dieser Annahme verhalten. Betrachtet man die abhängige Variable der Rechtfertigung im zeitlichen Verlauf, so ergibt sich folgendes Bild: Rechtfertigung im Zeitverlauf Anteil der Sprecheraussagen 25% 20% 15,9% 15% 11,1% Begründung 10,3% Beweis 10% Erklärung 5,6% 5% 0% 1. Woche 2. Woche 3. Woche 4. Woche 2 χ = 22,785, V = 0,037, λ = 0,000 Basis: Alle Codierungen der Kategorie „Rechtfertigung“ im gesamten Erhebungszeitraum, N = 5696 Abbildung 9: Rechtfertigung im Zeitverlauf54 Von besonderer Wichtigkeit ist in der oberen Abbildung der orangefarbene Graph, da er die Begründungen im Zeitverlauf repräsentiert. Die anderen beiden Kurven beziehen sich auf die in diesem Rahmen so genannten Deliberationsbemühungen, welche eine untergeordnete Stellung einnehmen. In Bezug auf die begründeten Aussagen (orange) lässt sich vorab sagen, dass die Begründungen entgegen der zugrunde gelegten Hypothese zunächst abnehmen. Das anfängliche Niveau von 11,1 % begründeten Aussagen fällt in der zweiten Woche um 5,5 Prozentpunkte. Danach steigen die Begründungen allerdings linear an, zunächst auf 10,3 %, um dann auf einem Niveau von 15,9 % zum Stillstand zu kommen, wobei das anfängliche Niveau in der letzten Woche überholt wird. Ein Blick auf die Ausprägungen „Beweis“ (blau) und „Erklärung“ (rot) zeigt, dass sich die Erklärungen gemäß der Vorhersage verhalten und kontinuierlich ansteigen. Die 54 Die Kennzahlen wurden unter Berücksichtigung der Ausprägung „Aussage allein“ berechnet. 86 Beweise hingegen schwanken während des gesamten Untersuchungszeitraums um die 10 %-Marke. Der Einbruch am Anfang des Untersuchungszeitraum respektive der hohe Ausschlag in der ersten Woche, welcher sich bereits bei der abhängigen Variablen der Inklusivität bemerkbar gemacht hat, könnte ebenso mit den Wahlkampfauftaktveranstaltungen der Parteien und der Präsentation der Landtagswahlergebnisse vom 30. August erklärt werden. Trotz des anfänglichen Einsturzes der Kurve scheint sich die Hypothese somit durch diese Verteilung und durch die Betrachtung der Prozentsatzdifferenzen bestätigen zu lassen. Bezüglich des Kontingenzkoeffizienten Cramer‟s V (V = 0,037) kann hier allerdings nur von einem schwachen Zusammenhang zwischen den Variablen des zeitlichen Verlaufs und der Rechtfertigung gesprochen werden. Der Prädiktionszusammenhang beträgt λ = 0. Damit kann auch hier nicht die unabhängige Variable dazu herangezogen werden, das Verhalten der abhängigen in Aussicht zu stellen. Dies ist jedoch nicht unbedingt ein Anliegen der zugrunde gelegten Hypothese. Im Gesamten gesehen muss hinsichtlich der in der Hypothese formulierten Annahme abgewogen werden, ob und von welcher Tendenz hier die Rede sein kann. Anhand des Graphs wird deutlich, dass der Anteil begründeter Aussagen eher ansteigt, als dass er sich konstant hält oder gar fällt. Zudem lassen die Verläufe von „Beweis“ und „Erklärung“ den Schluss zu, dass der Anteil bloßer Aussagen ohne jegliche Untermauerung im zeitlichen Verlauf sinkt. Insofern wird die Hypothese bestätigt und festgehalten: Im zeitlichen Verlauf der medialen Debatte finden mehr Rechtfertigungen Eingang in den Diskurs. Zuletzt werden die Auswirkungen des zeitlichen Fortschritts der Debatte auf die Widerlegungen dargestellt. Hierbei wird, analog zu Hypothese 11, im Anschluss an Maia (2009) die Annahme zugrunde gelegt, dass mehr Widerlegungen Eingang in die Debatte finden, je länger diese andauert. In Bezug auf die beiden Indikatoren „Bezugnahme“ und „Gegenargument“ müssten beide Kurven daher ansteigen. Folgende Abbildung widmet sich diesem Zusammenhang: 87 Widerlegung im Zeitverlauf 50% Anteil der Sprecheraussagen 45% 45,6% 40,6% 40,5% 40% 33,8% 35% 30% 25% Bezugnahme 20% Gegenargument 15% 10% 5% 0,9% 1,3% 0,9% 1,8% 1. Woche 2. Woche 3. Woche 4. Woche 0% 2 χ = 8,775, V = 0,028, λ = 0,000 Basis: Alle Codierungen der Kategorie „Widerlegung“ im gesamten Erhebungszeitraum, N = 5696 Abbildung 10: Widerlegung im Zeitverlauf55 Hier ist ein eher zweigeteiltes Ergebnis zu sehen. Die Ausprägung „Bezugnahme“ (orange) verhält sich ähnlich wie die Begründungen aus Hypothese 11: Sie beginnt auf einem relativ hohem Niveau (40,6 %), danach fällt die Kurve in der zweiten Woche ab (33,8 %), um in den letzten beiden Wochen wieder kontinuierlich anzusteigen. Das Anfangsniveau wird in der letzten Woche überschritten, wobei der höchste Wert von 45,6 % erreicht wird. Zur Erklärung des Ausschlages in der ersten Woche können auch hier die Wahlkampfauftaktveranstaltungen der Parteien dienen. Somit kann die zugrunde gelegte Vermutung in dieser Beziehung bestätigt werden. Der Graph, der den Gebrauch von Gegenargumenten darstellt (blau) hingegen, bestätigt die Hypothese nicht. So steigen sie nur ganz minimal von 0,9 % in der ersten auf 1,3 % in der zweiten Woche, fallen dann allerdings wieder zurück auf das anfängliche Niveau. Zuletzt steigt die Kurve wieder und erreicht ihren höchsten Stand: 1,8 % der Sprecheraussagen beinhalten in der letzten Woche vor der Wahl ein Gegenargument. Im Hinblick auf den Indikator „Gegenargument“ kann die Hypothese aufgrund der sehr geringen Fallzahlen und eines nicht erkennbaren Anstieges nicht gestützt werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Hypothese hinsichtlich des Indikators „Bezugnahme“ durchaus Bestätigung findet, bezüglich der Ausprägung „Gegenargu55 Die Kennzahlen wurden unter Berücksichtigung der Ausprägung „Aussage allein“ berechnet. 88 ment“ hingegen nicht. Auch unter Einbezug des Kontingenzkoeffizienten Cramer‟s V und des PRE-Maßes Lambda findet die zugrunde gelegte Annahme keine Stützung. So zeigt sich durch den Wert V = 0,028 der bisher schwächste Zusammenhang hinsichtlich aller Zeitverlaufs-Hypothesen. Lambda nimmt auch hier den Wert λ = 0 an. Der Zusammenhang kann daher nicht für eine gesicherte Vorhersage verwendet werden. Die Auswertung der Variable der Widerlegung hat gezeigt, dass bezüglich einer der Indikatoren keine Tendenz festgestellt werden kann. Auch die errechneten Zusammenhangsmaße können nicht zur Stützung der Annahme herangezogen werden. Die Hypothese lässt sich daher nicht bestätigen: Im zeitlichen Verlauf des medialen Diskurses verwenden die Sprecher nicht mehr Widerlegungen. 4.4 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse – Diskursqualität In Anbetracht der oben dargestellten Ergebnisse und der Prüfung der Hypothesen werden im Folgenden die Erkenntnisse in Bezug auf die drei abhängigen Variablen Zivilität, Rechtfertigung und Widerlegung resümiert und diskutiert. Im Anschluss daran soll für die dem Aspekt der Diskursqualität zugrunde gelegte Forschungsfrage eine Antwort gefunden werden. Sie lautet: Wie gestaltet sich die Diskursqualität der medienvermittelten Deliberation in der Wahlberichterstattung der deutschen Fernsehnachrichten? Sie soll im Hinblick auf das Verhalten der drei abhängigen Variablen und der untersuchten Aspekte der ökonomischen Struktur und dem zeitlichen Verlauf der medienvermittelten Debatte beantwortet werden. Die PRE-Maße der obigen Hypothesenprüfung indizieren zwar, dass mit der Kenntnis der unabhängigen Variablen der Senderstruktur und dem zeitlichen Verlauf keine verbesserte Voraussagbarkeit der abhängigen Variablen besteht, allerdings zeigen die Werte von Cramer‟s V, dass durchaus Zusammenhänge vorhanden sind. Auch sind die beobachteten Unterschiede aufgrund der Beschaffenheit des Materials keineswegs beliebig. Zunächst lässt sich in Bezug auf die Zivilität festhalten, dass erkennbare Unterschiede zwischen den beiden Sendertypen vorhanden sind. Innerhalb der Sendergruppen differieren die Anteile der zivilen Aussagen jedoch kaum (zivile Aussagen: ARD 88,1 % vs. ZDF 91,5 % und RTL 76,3 % vs. Sat.1 75,8 %). Dieser Umstand spricht dafür, dass es 89 innerhalb der Produktionsroutinen der öffentlich-rechtlichen und der privaten Sender Unterschiede gibt, auch wenn diese hier nicht so stark ausfallen, um eine Fehlerreduktion in der Vorhersage zu ermöglichen. Das Gesamtbild ergibt außerdem, dass das Niveau der zivilen Aussagen in der Berichterstattung relativ hoch ist und es auch bleibt. Dieser Umstand ist aus deliberativer Sicht positiv zu werten und spricht für die Deliberativität der Sender. Es ist außerdem ein Indiz dafür, dass das Kriterium der Zivilität ein in der Wahlberichterstattung allgemein anerkanntes Qualitätsmerkmal oder eine Produktionsnorm zu sein scheint, auch wenn es von unterschiedlichen Sender(-gruppen) unterschiedlich stark umgesetzt wird. Interessanterweise entfällt, wie die obige Ergebnisdarstellung zeigt, ein Großteil der inzivilen Äußerungen auf die Beitragssprecher und Moderatoren der Sender (ARD/ZDF 27,1 % vs. RTL/Sat.1 60,1 %). Damit sind die Journalisten selbst die Hauptverursacher inziviler Äußerungen in der Berichterstattung. Insbesondere die öffentlich-rechtlichen Sender verstoßen dadurch gegen die in §11 RStV, Absatz 2 formulierte Auflage der „Objektivität und Unparteilichkeit“ der Medienschaffenden. Außerdem ist diese journalistische Interpretativität – wie die exzessive Verwendung des Indikators „Herabwürdigender Sprachgebrauch“ zeigt – ein Indikator für die in Kapitel 2.2 beschriebene Tendenz der Amerikanisierung der Wahlberichterstattung. Besonders stark ist diese bei den privaten Sendern vorzufinden. Eine weitere Erklärung für die insgesamt zivile Berichterstattung kann auch der Umstand sein, dass der Wahlkampf aufgrund der Ausgangslage der einzelnen Parteien sehr zivil geführt wurde und aus diesem Grund kaum inzivile O-Töne für die Berichterstattung vorhanden sind. So führte die große Koalition, welche zu dieser Zeit die Regierung gebildet hat, dazu, dass die beiden größten Parteien CDU/CSU und SPD gleichzeitig einen Wahlkampf gegeneinander führten und noch zusammenarbeiten mussten. Sie konnten die Gegnerpartei daher nur sehr schlecht für Patzer in der vergangenen Legislaturperiode verantwortlich machen. Die Zivilität, mit der der Wahlkampf 2009 ausgetragen worden ist, wird insbesondere von den Moderatoren der privaten Sender RTL und Sat.1 bedauert. Peter Kloeppel bemerkt beispielsweise am 13.09.2009 in der Ankündigung des Kanzlerduells dazu: „dann werden wir sehn, ob sich die Beiden endlich mal richtig streiten!“ Einen Hinweis darauf, dass dies bei einer anderen Ausgangslage möglicherweise anders ausgesehen hätte, bietet ein Blick auf die Urheber der Inzivilitäten in den Sendergrup90 pen. So entfallen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern auf die beiden Oppositionsparteien Bündnis 90/Die Grünen und die FDP relativ hohe Anteile an inzivilen Äußerungen (Bündnis 90/Die Grünen 18,2 %; FDP 15,2 %). Auch die Tatsache, dass sich im zeitlichen Verlauf der Debatte keine großen Schwankungen ergeben, spricht aus deliberativer Sicht für die Qualität der Sender. Darüber hinaus trifft die Vermutung, Kandidaten versuchten durch einen verstärkten Gebrauch von Inzivilität über den Zwischenschritt der Erregung die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu erhöhen (Mutz, 2007), anscheinend nicht zu. Damit lässt sich für diese Variable festhalten, dass Nachrichtensendungen durchaus geeignet sind, das deliberative Kriterium der Zivilität in ihrer Berichterstattung umzusetzen und dies auch tun. Das Nennen von Gründen für den eigenen Standpunkt ist ein weiteres wichtiges Kriterium für den deliberativen Diskurs, welches auch in dieser Untersuchung beleuchtet wurde. Hierbei zeigt sich, dass die Sender allgemein relativ wenig begründete Sprecheraussagen in ihre Berichterstattung integrieren. Die festgestellten Unterschiede sind zwischen den Sendergruppen relativ stark ausgeprägt. Innerhalb der Gruppen zeigt sich hingegen ein fast homogenes Bild (ARD 12,8 %, ZDF 14,7 %, RTL 8,5 %, Sat.1 7,4 %). Auch bei der Verteilung der Begründungen auf die verschiedenen Sprecherkategorien entfallen die höchsten Werte auf die Journalisten (öffentlich-rechtliche 34,4 % vs. private 35,0 %). Es sind also die Medienschaffenden selbst, die das deliberative Kriterium der Rechtfertigung am besten erfüllen. Dieser Umstand ist trotz des relativ geringen Gebrauchs von Begründungen in den Aussagen positiv anzumerken. Das Begründen der eigenen Aussagen verändert sich im zeitlichen Verlauf der Debatte. Sprecher bringen, je näher die Bundestagswahl rückt, mehr Gründe in die Diskussion ein, um ihren Standpunkt zu rechtfertigen. Jedoch ist der Zusammenhang der Variablen, welcher mit Cramer‟s V berechnet wurde, relativ gering. Weitere Auswertungen ergeben, dass die Aussagenlänge diese Beziehung maßgeblich beeinflusst. So besteht ein starker Zusammenhang zwischen der Aussagenlänge und der Verwendung eine Begründung (V = 0,690).56 Es zeigt sich außerdem, dass sich die Vorhersage, ob eine Aussage begründet wird oder nicht, mit dem Wissen über ihre Länge erkennbar verbessert (λ = 0,290). Die Länge der Aussagen steht auch in einem starken Zusammenhang mit 56 Die dazugehörige Tabelle findet sich im Anhang (Kapitel 8.2). 91 den beiden unabhängigen Variablen der Senderstruktur (V = 0,636) und dem zeitlichen Verlauf (V = 0,652). Damit kann der Mangel eines starken direkten Zusammenhangs zwischen den beiden unabhängigen Variablen und der abhängigen Variablen der Rechtfertigung über den Umweg der Aussagenlänge erklärt werden: Sprecher, die ihre Standpunkte begründen, brauchen mehr Zeit als Sprecher, die ihre Ansichten nur verlautbaren. Die Daten bestätigen dies: Begründete Aussagen sind über die Sendergrenzen hinweg im Durchschnitt um drei Sekunden länger als unbegründete. Daher ist der Zusammenhang zwischen der Länge und der Verwendung einer Begründung auch deutlich höher. Die öffentlich-rechtlichen Sender gestehen ihren Sprechern, wie die obigen Auswertungen zeigen, durchschnittlich zwei Sekunden längere sound bites zu und schaffen damit sichtlich bessere Rahmenbedingungen für die Verwendung von Begründungen als die privaten Sender. Dies scheint also der Grund für die Unterschiede zwischen den Sendergruppen zu sein. Bestätigung findet dieses Ergebnis außerdem durch einen senderübergreifenden Blick auf die Urheber der Begründungen. So nutzen hauptsächlich die Journalisten das Mehr an Zeit zur verstärkten Begründung. Medienexterne Sprecher tun dies weniger. Vermutlich korreliert dies bei Sprechern aus dem politischen Zentrum mit deren Wissen über das Format der Nachrichtensendung. Sie sind sich wohl bewusst, wie viel Zeit ihnen zur Verfügung steht, und adaptieren diese Medienlogik.57 Aus deliberativer Sicht wirft das kein gutes Licht auf die Sprecher; andererseits aber auch nicht auf das Format der Nachrichtensendung, das ein solches Vorgehen begünstigt. Damit ist bereits ein wichtiger Aspekt angesprochen, der am Ende dieses Kapitels diskutiert wird: das Spannungsverhältnis zwischen normativen Ansprüchen und strukturellen Bedingungen medienvermittelter Deliberation. Weitere Gütekriterien des medialen Diskurses, welche in dieser Studie getestet wurden, sind die Bezugnahme auf Argumente anderer Akteure und die Verwendung von Gegenargumenten in den Sprecheraussagen. Dieser Variable der Widerlegung liegt die Absicht zu Grunde, zu testen, ob in Nachrichtensendungen ansatzweise eine diskursive Dialogstruktur auf der Ebene der einzelnen Aussagen konstruiert wird. Also wird da- 57 Nähere Erläuterungen zu der Beziehung zwischen Journalismus und PR sind in der Determinationshypothese von Barbara Baerns (1985) und dem Intereffikationsmodell von Bentele, Liebes, & Seeling (1997) formuliert. 92 nach gefragt, ob Sprecheraussagen so gewählt und montiert werden, dass dem Rezipient ein komprimiertes Bild der im Diskurs behandelten Geltungsansprüche einerseits, andererseits aber auch Bezüge und Gegenargumente präsentiert werden. Dies ist zugegebenermaßen ein sehr hoher Anspruch an das eher informations- als diskussionsfokussierte Format der Nachrichtensendung. Vorweg ist festzuhalten, dass bei den Gegenargumenten die Fallzahlen (öffentlichrechtliche Sender 13 Gegenargumente vs. fünf Gegenargumente bei den privaten Sendern) sehr gering sind, was nicht für die deliberative Qualität der Sender spricht. Dieser Umstand wird durch den intensiveren Gebrauch des zweiten Indikators „Bezugnahme“ teilweise abgemildert. Hier sind die Fallzahlen beachtlich höher (öffentlich-rechtliche Sender 277 Bezugnahmen vs. 192 Bezugnahmen bei den privaten Sendern). Im Hinblick auf die Bezugnahmen der Akteure scheint die Konstruktion einer dialogischen Struktur in Grundzügen erkennbar zu sein. Interessanterweise sind es auch hier hauptsächlich die Journalisten der Sender, die diese Leistung erbringen und Bezüge zu Aussagen anderer Akteure herstellen (ARD/ZDF 86,6 % vs. RTL/Sat.1 91,7 %). Diese Erkenntnis spricht dafür, dass die Journalisten der beiden Sendergruppen bemüht sind, eine dialogische Struktur zu konstruieren und dem deliberativen Kriterium der Widerlegung zu entsprechen, auch wenn sie dies in unterschiedlichem Ausmaß tun. Hinsichtlich dieses Indikators und der unabhängigen Variablen der Senderstruktur ergibt sich die gleiche Zusammenhangskette wie bei den Begründungen. Die Bezugnahme auf Aussagen anderer Akteure steht in einem starken Zusammenhang mit der Dauer der Aussagen (V = 0,698). Zudem verbessert das Wissen über Letzteres die Voraussagbarkeit des Verhaltens des Indikators „Bezugnahme“ (λ = 0,448).58 Dabei steht die Aussagenlänge, wie oben dargestellt, in Zusammenhang mit der Senderstruktur. Hinsichtlich des zeitlichen Fortschritts der Debatte verhalten sich die Bezugnahmen, ungeachtet des Einbruchs von der ersten zur zweiten Woche, wie in der Hypothese vorausgesagt. Je näher der Wahltag rückt, desto stärker werden Bezüge zu Aussagen anderer Akteure hergestellt. Die dialogischen Strukturen werden also im Verlauf der medialen Debatte komplexer, was für die Qualität der medienvermittelten Deliberation in den Nachrichtensendungen spricht. Der zweite Indikator59 scheint jedoch dem Format nicht 58 Die dazugehörige Tabelle findet sich im Anhang (Kapitel 8.2). Auch hier verhalten sich die Zusammenhänge wie bei dem ersten Indikator beschrieben. Cramer‟s V indiziert für die Länge der Äußerungen und den Gebrauch eines Gegenargumentes einen deutlich erkennbaren Zusammenhang (V = 0,769). Das PRE-Maß Lambda erreicht einen Wert von λ = 0,444. Damit ist 59 93 gerecht zu werden. Ein Blick auf das Untersuchungsmaterial zeigt, dass es sich bei dem Großteil der Aussagen mit Gegenargumenten um Ausschnitte aus Talkshowsendungen wie beispielsweise aus dem „TV-Dreikampf“ vom 14.09.2009 handelt. Gegenargumente finden also meist nur unter Zuhilfenahme eines anderen Formats Eingang in die medienvermittelte Debatte der Nachrichtensendungen. Dieser Umstand gibt Anlass zur Spekulation: Um ein Gegenargument in einer Aussage zu verwenden, muss die betroffene Person mit alternativen Ansichten konfrontiert werden. Ist dies nicht der Fall, so ist der Fehler auch bei dem befragenden Journalisten zu suchen. Insofern ist es nicht nur eine Leistung der Sprecher, sondern auch der Journalisten, Gegenargumente in den Diskurs einzubringen. Betrachtet man die Verteilung der wenigen Gegenargumente auf die einzelnen Sprechertypen, so zeigt sich, dass die Journalisten häufig Urheber eines solchen Gegenarguments sind (öffentlich-rechtliche Journalisten 46,2 % vs. Journalisten privater Sender 40,0 %). Ein solches Verhalten verstößt zwar gegen die für die öffentlich-rechtlichen Sender geforderte „Objektivität und Unparteilichkeit“ (§11 RStV, Absatz 2), aus deliberativer Sicht ist dies hingegen positiv zu werten. Für die Variable der Widerlegung kann also festgestellt werden, dass diese einerseits einen sehr hohen Anspruch an das Format der Nachrichtensendung darstellt, hinsichtlich der Bezugnahme auf Aussagen anderer Akteure aber in Ansätzen erfüllt wird. Dies kann für den Indikator „Gegenargument“ nicht festgestellt werden. Für die medienvermittelte Deliberation ergibt sich durch dieses Kriterium also ein gemischtes Bild: Dialogische Strukturen sind nur in Grundzügen erkennbar. Aufgrund der Formatspezifika der Nachrichtensendung, des Kontexts der Bundestagswahlen und deren Ereignisstruktur, wird dieses Ergebnis jedoch positiv bewertet. Werden die beiden Variablen Rechtfertigung und Widerlegung zusammengefasst und gemeinsam als Argumentation der Debatte betrachtet, so lässt sich festhalten, dass sich die Veränderungen im Zeitverlauf nicht in allen Fällen so verhalten, wie sie in anderen Studien (Maia, 2009; Simon & Xenos, 2000) beschrieben werden. Auch legen die Berechnungen des Assoziationsmaßes Cramer‟s V sowie der PRE-Maße offen, dass die festgestellten Veränderungen nicht direkt mit dem zeitlichen Verlauf der Debatte, sondern stattdessen mit der Länge der Aussagen zusammenhängen. Diese steht wiederum auch ein starker Prädiktionszusammenhang vorhanden. Die dazugehörige Tabelle findet sich im Anhang (Kapitel 8.2). 94 in engem Zusammenhang mit dem Zeitverlauf. Ein weiterer Faktor, der diesen Umstand erklären könnte, ist der, dass sich alle bisherigen Studien zu medienvermittelter Deliberation einem bestimmten Thema widmen, zu dem es nur eine begrenzte Zahl von Argumenten gibt, die in die Debatte eingeführt werden. Folglich kann im Verlauf der Debatte eine Vertiefung der Argumentation stattfinden. Wie in Kapitel 3.1.1 bereits erläutert, sind Bundestagswahlen jedoch Ereignisse und keine Themen, wobei die große Zahl an verschiedenen Diskussionspunkten in Zusammenhang mit der Wahl eine Vertiefung der Argumente nicht unbedingt fordert. Eine komplexer werdende Argumentation über einen längeren zeitlichen Rahmen ist anscheinend nicht charakteristisch für ein Ereignis wie die Bundestagswahl. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist die geringe Dauer des Formats der Fernsehnachrichten. Während Talkshows oder Wahlsendungen meist eine Stunde Zeit zur Verfügung haben, um sich verschiedenen, ausgewählten Themen zu widmen, bleibt den Fernsehnachrichten ein Zeitfenster von zehn bis 20 Minuten. In dieser Zeit können sie jedoch nicht nur über die Bundestagswahl berichten, sie müssen daneben auch Neuigkeiten über Außenpolitik, Kulturelles, Sport und das Wetter abdecken. Damit bleiben durchschnittlich knapp drei Minuten für die Berichterstattung zur Bundestagswahl. Außerdem müssen auch die Spezifika des Mediums Fernsehen beachtet werden. Anders als bei Zeitungen oder Online-Medien ist hier das wiederholte Lesen oder Sehen seitens der Rezipienten nicht ohne einen technischen Aufwand möglich. Umfangreiche und komplexe argumentative Aussagen einzelner Sprecher entsprechen daher auch nur bedingt der Logik des Mediums Fernsehen. Im Anschluss an die obigen Ausführungen zu den einzelnen Deliberativitätskriterien lässt sich die Forschungsfrage folgendermaßen beantworten: Die Diskursqualität der medienvermittelten Deliberation zur Bundestagswahl 2009 gestaltet sich in allen Sendern und über den kompletten Untersuchungszeitraum hinweg sehr zivil. Dies ist positiv hervorzuheben, da es ein Indikator für eine medienübergreifende Norm ist. Begünstigt wird eine solche Norm auch durch die hohe Professionalisierung der Journalisten. In Bezug auf Rechtfertigung und Widerlegung ist festzustellen, dass die deliberativen Kriterien zwar nur mäßig erfüllt werden, sie aber ansatzweise zu erkennen sind und daher „nicht bloße Fiktion bleiben“ (Gerhards, Neidhardt & Rucht, 1998, S. 183). Ein Grund dafür, dass die Kommunikation in der medienvermittelten Öffentlichkeit trotzdem zum Großteil aus bloßen Behauptungen oder Verlautbarungen besteht sind einerseits die „besonderen Konstitutionsbedingungen“ (Gerhards, Neidhardt & Rucht, 1998, 95 S. 183). Gemeint ist damit die stets auf das Publikum gerichtete Aufmerksamkeit der Medien und der Akteure, die als Sprecher zu Wort kommen. Daher folgt die Kommunikation „einer Rationalität, die primär auf die Aufmerksamkeit und Zustimmung von Publikumsgruppen und weniger auf die Verständigung zwischen konkurrierenden Sprechergruppen gerichtet ist“ (Gerhards, Neidhardt & Rucht, 1998, S. 185). Diese Bedingungen stehen einer deliberativen Diskursvorstellung entgegen. Andererseits ist die triadische Struktur der Kommunikation (Wessler & Schultz, 2007, S. 18) unter diesen Bedingungen zu beachten. So sind medienvermittelte Debatten keine Diskurse unter gleichberechtigten Kommunikationspartnern, die in einem „herrschaftsfreien Diskurs“ unter Austausch und Abwägung von Argumenten gegeneinander einen Konsens zu finden versuchen (Habermas, 1984). Vielmehr findet die Debatte niemals unmittelbar statt. Die Diskussionsteilnehmer argumentieren stets unter Abwesenheit ihres Gegenübers mit der Absicht der Überzeugung eines ebenfalls abwesenden Dritten, des Publikums. Dieses ist dazu selbst kein aktiver Kommunikationspartner. Die Ausrichtung auf eine Bezugsgruppe, die selbst nicht Teil der Debatte ist, bleibt nicht ohne Folgen. Einerseits kommunizieren die Sprecher strategisch, was dem Habermas‟schen Diskursideal entgegensteht, jedoch, wie in Kapitel 2.1.2 erläutert, die angelegten Deliberativitätskriterien nicht behindern muss. Andererseits hängt die Bereitschaft der Sprecher, in ihren Aussagen eine Begründung, einen Bezug oder ein Gegenargument zu verwenden, Neidhardt zufolge von ihren Zielen ab: Erst wenn die Zwischengruppe der ‚Neutralen bzw. Unentschiedenen„ [Hervorhebung im Original] einerseits groß genug und damit für die eigenen Zwecke strategisch wichtig ist sowie andererseits als informiert und interessiert wahrgenommen wird, entsteht für den Sprecher die Notwendigkeit diskursiver Auseinandersetzung (Neidhardt, 1994, S. 23). In Bezug auf die Bundestagswahlen und auf das Ziel der Parteien, aufgrund von fehlenden Parteibindungen und Wechselwählern, Wähler zu mobilisieren, kann ein solches Interesse durchaus unterstellt werden. Dadurch fällt die geringe Verwendung von Begründungen durch Sprecher des Zentrums im Vergleich zu den Journalisten umso negativer auf. Die Tatsache, dass Medienschaffende die angelegten Deliberativitätskriterien Rechtfertigung und Widerlegung am ehesten erfüllen, spricht dafür, dass durchaus ein Bewusstsein für diese normativen Anforderungen vorhanden ist und betont die herausragende Rolle der Journalisten bei der Konstruktion medienvermittelter Deliberation. Diese 96 normativen Anforderungen stehen jedoch in einem Spannungsverhältnis zu den oben beschriebenen strukturellen Gegebenheiten der öffentlichen Kommunikation: Nicht der Anspruch [einer verständigungsorientierter Kommunikation] als solcher, sondern seine Vereinbarkeit mit ökonomischen und konkurrenzdemokratischen Imperativen bestimmt somit in letzter Instanz das kommunikative Geschehen in den Massenmedien (Gerhards, Neidhardt & Rucht, 1998, S. 185). Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die strukturellen Bedingungen des Mediums vorherrschend sind und diskursive Elemente in der Debatte zur Bundestagswahl 2009 nur wenig zu erkennen sind. Eine Ausnahme stellt die Zivilität dar. Dieser Anspruch scheint mit den strukturellen Bedingungen der Medien gut vereinbar zu sein oder kann sich gegen sie durchsetzen. 97 5 Zusammenführung der Teilstudien In diesem letzten Teil der Studie sollen nun die beiden Forschungsfragen sowie die gewonnenen Erkenntnisse im Hinblick auf Diskursstruktur und -qualität zusammengeführt werden. Die übergeordnete Frage besteht vor allem darin, welche Auswirkungen der Struktur auf die Qualität der Debatte festgestellt werden können. Nachstehend präsentierte Fragestellungen lehnen sich zum Einen an Erkenntnisse anderer Studien an, zum Anderen befassen sie sich mit den aus Sicht der Autorinnen relevantesten Zusammenhängen von Diskursstruktur und Diskursqualität. 5.1 „Wird der Diskurs durch Sprecher der Peripherie inziviler?“ Ferree et al. gelangen in ihrer Studie unter anderem zu der Erkenntnis, dass „the level of incivility [...] is highest when actors from the periphery are included, alone or with actors from the core” (Ferree et al., 2002, S. 244). Weiterhin stellen sie fest, dass dies besonders stark auf Sprecher in deutschen Medien zutrifft. Die Beteiligung von Sprechern, die zur politischen Peripherie gehören, senkt nach ihren Beobachtungen das Niveau der Zivilität, da ihre Äußerungen allgemein inziviler sind. Übertragen auf diese Studie stellt sich die Frage, ob durch einen höheren in Richtung der Peripherie ausgedehnten Grad an Inklusivität der Anteil inziviler Aussagen ansteigt. Auf Basis des Ausdrucks der verschiedenen Sprechertypen im Vergleich soll dies überprüft werden. Damit wird beurteilt, ob Sprecher der Peripherie auch im Diskurs zur Bundestagswahl für mehr Inzivilität verantwortlich sind. Nachstehende Tabelle veranschaulicht den Zusammenhang zwischen der Zivilität der Aussagen und den Sprechern. Hierbei wird die Unterteilung in Sendergruppen oder Zeitabschnitte nicht mit einbezogen. Ebenso wird die umfangreiche Sprechertypologie in Zentrum (Legislative, Exekutive, Judikative), Peripherie (Interessengruppen und -verbände, soziale Bewegungen, Experten und Intellektuelle, Advokaten, Bürger und Problembetroffene, Prominente und Künstler, Journalisten als NichtMitarbeiter), Journalisten (als Mitarbeiter der Nachrichtensendungen) und Sonstige zusammengefasst. 98 Sprecherzuordnung Zentrum Ausdruck Peripherie Journalisten Sonstige zivil 76,9% 78,3% 85,7% 100% inzivil 23,1% 21,7% 14,3% 0% Gesamt 100% 100% 100% 100% 2 χ = 17,088, V = 0,110, λ = 0,000 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 Tabelle 23: Ausdruck in den Sprechergruppen Zentrum und Peripherie 60 Die Tabelle zeigt, dass sich die Anteile der inzivilen Aussagen im Hinblick auf die Zugehörigkeit der Sprecher zu Zentrum oder Peripherie nur wenig unterscheidet. So sind die Aussagen der Zentrumssprecher zu 23,1 % inzivil, bei den Sprechern aus der Peripherie sind es sogar etwas weniger: 21,7 % ihrer Aussagen gelten als inzivil. Das PREMaß Lambda deutet mit einem Wert von λ = 0 an, dass mit dem Wissen der Sprecherzugehörigkeit keine Fehlerreduktion der Vorhersage einhergeht. Zwar legt Cramer‟s V (V = 0,110) durchaus einen Zusammenhang zwischen der Sprecherzuordnung und der (In-)Zivilität nahe, dieser erklärt jedoch nicht die geringen Differenzen in der Verteilung. Durch Einbezug der Prozentsatzdifferenz von d% = 1,4 wird der empirischen Beobachtung von Ferree et al. eine kontrastierende entgegengesetzt. In der medialen Berichterstattung über die Bundestagswahl kann das Ergebnis, dass Sprecher aus der Peripherie das Zivilitätsniveau der Debatte senken, nicht bestätigt werden. Eine mögliche Erklärung für die abweichende Erkenntnis dieser Studie ist der spezielle Kontext, in dem Ferree et al. zu diesem Ergebnis kommen. Die Abtreibungsdebatte wurde sehr kontrovers diskutiert und kann als ein moralischer und politischer Konflikt bezeichnet werden (Gerhards, Neidhardt & Rucht, 1998, S. 178). Im medialen Diskurs zur Bundestagswahl hingegen werden „informelle gesellschaftliche Konventionen und alltagsweltliche Normen“ (Gerhards, Neidhardt & Rucht, 1998, S. 178) erörtert. 5.2 „Wie undeliberativ ist Horse Race wirklich?“ Im Hinblick auf die Ausgewogenheit der medienvermittelten Deliberation wurde festgestellt, dass in allen Sendern und im gesamten Zeitraum ein enormes Übergewicht an Horse-Race-Berichterstattung vorliegt (siehe Kapitel 4.1). Unter Rückbezug auf diverse Theoretiker lässt sich diese Form der Berichterstattung als nicht deliberativ einordnen 60 Zu dieser Auswertung ist zu bemerken, dass in Bezug auf die Sprecher die Spaltenprozente angegeben sind. Zur Prüfung von Hypothese 7 wurden diesbezüglich Zeilenprozente herangezogen. Deshalb sind die Prozentzahlen voneinander verschieden. 99 (Buchanan, 2001; Gastil, 2008, S. 94; Schultz, 2006; Wessler, 2008, S. 9), was vor allem mit dem fehlenden Fokus auf Sachthemen und auf substantielle, für die Wahl relevante Informationen begründet wird. Allerdings betrifft diese Argumentation in der Hauptsache die Gegenüberstellung von Horse Race und sachpolitischer Berichterstattung; in Bezug auf Fernsehnachrichten also maßgeblich die Ebene von Themen. Es stellt sich die Frage, ob eine solche Form von Berichterstattung auch weitere negative Folgen auf der Ebene der einzelnen Äußerungen hat und damit weitere Belege zur Verurteilung von Horse Race aus deliberativer Sicht als „nur“ eine Vernachlässigung von Sachthemen gefunden werden können. Eine interessante Erkenntnis wäre also, ob eine auf Wahlkampf, Strategie und Taktik fokussierte Berichterstattung auch auf Ebene der Diskursqualität negative Wirkungen nach sich zieht und damit eine begründete Verurteilung dieser Berichterstattungsform selbst möglich ist. Zunächst soll betrachtet werden, ob die Horse-Race-Berichterstattung sich negativ auf das deliberative Kriterium von mit Begründungen ausgestatteten Aussagen auswirkt. Zu diesem Zweck werden alle im Untersuchungszeitraum codierten Aussagen einerseits ihrem Vorkommen in sachpolitisch oder Horse Race zentrierten Beiträgen zugeordnet (Variable „Themenzuordnung“), andererseits danach, ob sie eine Begründung enthalten oder nicht. Tabelle 24 setzt diese beiden Merkmale von Aussagen zueinander in Beziehung: Themenzuordnung Begründungen Sachpolitik Horse Race Sonstige ohne Begründung 86,6% 90,4% 83,7% mit Begründung 13,4% 9,6% 16,3% Gesamt 100% 100% 100% 2 χ = 5,463, V = 0,062, λ = 0,000 Basis: Alle Aussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 Tabelle 24: Begründungen im Zusammenhang mit der Themenzuordnung Die Auswertung zeigt, dass in sachpolitischen Beiträgen mit einer Prozentsatzdifferenz von d% = 3,8 mehr Aussagen mit Begründungen enthalten sind als in solchen, die der Horse-Race-Berichterstattung zuzuordnen sind. Allerdings zeigt das errechnete Assoziationsmaß (V = 0,062) keinen starken Zusammenhang zwischen den beiden Variablen an. Der Wert des PRE-Maßes (λ = 0) indiziert, dass auf Basis der Themenzuordnung keine Vorhersage des Anteils an begründeten Aussagen in einem Beitrag möglich ist. Insofern könnte hier eine Drittvariable Einfluss auf den Zusammenhang nehmen, der 100 eine Beziehung zwischen policy- bzw. politics-Beiträgen und begründeten Aussagen widerlegt. Wie in Kapitel 4.3 erwähnt, verwendeten verschiedene Sprechertypen unterschiedlich häufig Begründungen. Insofern könnte die Sprecherzusammensetzung in den Beiträgen der Grund dafür sein, dass der Anteil an Begründungen in policy-Beiträgen höher ist, nicht aber das Beitragsthema selbst. Gruppiert man die verschiedenen Sprecher analog zur Auswertung im vorangegangenen Abschnitt und kontrolliert den Einfluss dieser Variable, so ergibt sich folgende Tabelle: Themenzuordnung Begründungen unter Einbezug der Sprecherzuordnung Zentrum Peripherie Journalisten Sonstige 2 Sachpolitik Horse Race Sonstige ohne Begründung 80,5% 81,7% 75,0% mit Begründung 19,5% 18,3% 25,0% ohne Begründung 80,5% 84,8% 66,7% mit Begründung 19,5% 15,2% 33,3% ohne Begründung 90,3% 95,2% 89,7% mit Begründung 9,7% 4,8% 10,3% ohne Begründung 100% 0% 0% mit Begründung 100% 0% 0% Zentrum: χ = 0,262, V = 0,027, λ = 0,000 2 Journalisten: χ = 7,937, V = 0,095, λ = 0,000 2 Peripherie: χ = 1,562, V = 0,094, λ = 0,000 Sonstige: keine Berechnung möglich Basis: Alle Aussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N (Zentrum) = 363, N (Peripherie) = 175, N (Journalisten) = 884, N (Sonstige) = 2 Tabelle 25: Begründungen im Zusammenhang mit der Themenzuordnung unter Kontrolle der Sprecherzuordnung In dieser Auswertung sind die Werte des Assoziationsmaßes Cramer‟s V sowie des PRE-Maßes Lambda zwar teilweise noch kleiner als in der vorigen Tabelle, jedoch ist die relevante Erkenntnis, dass die Konditionalbeziehung zwischen der Themenzuordnung und dem Anteil begründeter Aussagen erhalten bleibt. Zwar verringert sich die Prozentsatzdifferenz in Bezug auf Sprecher des politischen Zentrums (d% = 1,2) im Vergleich zur vorigen Tabelle, steigt jedoch in Bezug auf Sprecher der Peripherie (d% = 4,3) und Journalisten (d% = 4,9) sogar an. Zudem ist über alle Sprecher hinweg der Anteil an begründeten Aussagen in sachpolitisch orientierten Beiträgen höher als der in Horse-Race-Beiträgen. Insofern bleibt der Zusammenhang zwischen der Themenzuordnung und dem Anteil an begründeten Aussagen auch unter Kontrolle der Sprechertypen bestehen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass eine weitere Variable den Zusammenhang beeinflusst respektive den Ausschlag für diese Korrelation gibt. 101 Denkbar wäre hier weiterhin ein Einfluss des Responsivitätsgehalts der Beiträge. So wäre es möglich, dass in responsiven Beiträgen mehr Begründungen vorkommen, da sie sich durch eine dialogische Struktur auszeichnen, indem sie verschiedene oppositionelle Standpunkte einander gegenüber stellen. Es kann gemutmaßt werden, dass durch eine solche Beitragsstruktur auf begründete Aussagen weniger verzichtet werden kann als in monologisch strukturierten Beiträgen. Der Responsivitätsgehalt des Beitrags würde insofern den Anteil an Begründungen determinieren und nicht seine Zuordnung zu sachpolitischer oder Horse-Race orientierter Berichterstattung. Deshalb ist es sinnvoll, auch den Einfluss dieser zweiten Drittvariablen zu kontrollieren. Dies stellt die folgende Tabelle dar: Begründungen unter Einbezug des Responsivitätsgehalts Contest Contention Sonstige 2 Themenzuordnung Sachpolitik Horse Race ohne Begründung 88,3% 89,7% 0% mit Begründung 11,7% 10,3% 0% ohne Begründung 81,4% 90,5% 91,7% mit Begründung 18,6% 9,5% 8,3% ohne Begründung 87,0% 90,6% 80,6% mit Begründung 13,0% 9,4% 19,4% Contest: χ = 0,199, V = 0,023, λ = 0,000 2 Sonstige: χ = 0,199, V = 0,080, λ = 0,000 Sonstige 2 Contention: χ = 4,896, V = 0,111, λ = 0,000 Basis: Alle Aussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N (Contest) = 392, N (Contention) = 398, N (Sonstige) = 634 Tabelle 26: Aussagen mit und ohne Begründung im Zusammenhang mit der Themenzuordnung unter Kontrolle des Responsivitätsgehalts Die Auswertung zeigt, dass der Zusammenhang zwischen Themenzuordnung und Begründungen auch hier derselbe bleibt, wenn auch die Werte von Cramer‟s V und Lambda wiederum sehr niedrig sind. Auffallend ist zudem, dass die Prozentsatzdifferenz zwischen den begründeten Aussagen bei sachpolitischen und Horse-Race-Beiträgen sich im Falle der Beitragsart „Contention“ im Vergleich zur Auswertung in Tabelle 26 mehr als verdoppelt (d% = 9,1). Insofern kann zum Einen festgestellt werden, dass auch unter Einbezug des Responsivitätsgehalts zu beobachten ist, dass in sachpolitischen Beiträgen mehr begründete Aussagen vorkommen als in Horse-Race-Beiträgen, zum Anderen scheint sich dieser Zusammenhang im Falle einer „Contention“ – einem Beitrag, der mehr als zwei Standpunkte einander gegenüber stellt – zu verstärken. Es kann also festgehalten werden, dass in der Wahlberichterstattung 2009 der Horse-Race- 102 Berichterstattung zuzuordnende Nachrichten weniger begründete Aussagen enthalten als solche, die sich um Sachpolitik drehen. Dasselbe Bild einer negativen Auswertung von Horse-Race-Berichterstattung auf die Argumentationsstruktur könnte sich im Hinblick auf den Anteil an Widerlegungen ergeben. Jedoch zeigen sich im Hinblick auf den Indikator „Bezugnahmen“ keine Differenzen in Bezug auf die Themenzuordnung, weshalb auf diese Auswertung hier nicht weiter eingegangen wird. Die Anzahl an Gegenargumenten ist – wie in Kapitel 4.3 dargelegt – in der gesamten Berichterstattung zu niedrig, um aussagekräftige Ergebnisse erhalten zu können. Insofern bleibt nun das letzte Kriterium der Diskursqualität zu untersuchen. Eine weitere nicht deliberative Auswirkung von Horse-Race-Berichterstattung könnte ein größeres Ausmaß an Inzivilität sein. Insbesondere bei Berichten über Wahlkampfveranstaltungen ist es plausibel, dass mehr „Persönliche Angriffe“, „Herabwürdigender Sprachgebrauch“ und „Erhöhte Lautstärke“ seitens der Sprecher zum Einsatz kamen als in Beiträgen mit sachpolitischem Inhalt. Tabelle 27 setzt die Anteile (in-)ziviler Aussagen mit der Themenzuordnung in Verbindung: Themenzuordnung Sachpolitik Horse Race zivil 87,1% 80,6% 86,0% inzivil 12,9% 19,4% 14,0% Gesamt 100% 100% 100% Ausdruck Sonstige 2 χ = 8,963, V = 0,079, λ = 0,000 Basis: Alle Aussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 Tabelle 27: Ausdruck im Zusammenhang mit der Themenzuordnung Wie aus dieser Auswertung hervorgeht, ist der Anteil inziviler Aussagen in Horse-RaceBeiträgen tatsächlich höher als der in sachpolitischen Beiträgen. Die Prozentsatzdifferenz beträgt dabei d% = 6,5. Allerdings weist das Korrelationsmaß Cramer‟s V auf einen nur schwachen Zusammenhang hin (V = 0,079); das PRE-Maß Lambda indiziert, dass eine Vorhersage des Anteils (in-)ziviler Aussagen je nach Themenbereich nicht möglich ist (λ = 0). Analog zur Überprüfung der Begründungen ist es hier denkbar, dass der Anteil (in-)ziviler Aussagen auf die Sprecher in den Berichten zurückzuführen ist. Insofern muss der Einfluss dieser Drittvariablen auch hier kontrolliert werden. Die 103 nachfolgende Tabelle zeigt den Zusammenhang zwischen Themenzuordnung und dem Anteil (in-)ziviler Aussagen unter Kontrolle der Sprecherzuordnung: Ausdruck unter Einbezug der Sprecherzuordnung Zentrum Peripherie Journalisten Sonstige Themenzuordnung Sachpolitik Horse Race zivil 84,4% 74,5% 87,5% inzivil 15,6% 25,5% 12,5% zivil 80,5% 76,1% 83,3% inzivil 19,5% 23,9% 16,7% zivil 89,9% 84,0% 86,2% inzivil 10,1% 16,0% 13,8% zivil 100% 0% 0% inzivil 100% 0% 0% 2 Zentrum: χ = 3,881, V = 0,103, λ = 0,000 2 Journalisten: χ = 5,019, V = 0,075, λ = 0,000 Sonstige 2 Peripherie: χ = 0,578, V = 0,057, λ = 0,000 Sonstige: keine Berechnung möglich Basis: Alle Aussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N (Zentrum) = 363, N (Peripherie) = 175, N (Journalisten) = 884, N (Sonstige) = 2 Tabelle 28: Ausdruck im Zusammenhang mit der Themenzuordnung unter Kontrolle der Sprecherzuordnung Es zeigt sich, dass die Prozentsatzdifferenzen zwar nicht identisch sind mit der vorherige Auswertung, in ihrer Richtung jedoch bestehen bleiben. Unabhängig der Sprecherzuordnung lässt sich ein größerer Anteil an inzivilen Aussagen innerhalb der HorseRace-Berichterstattung beobachten. In Bezug auf Sprecher des politischen Zentrums erhöht sich dabei die Prozentsatzdifferenz sogar auf d% = 9,9, was darauf hinweist, dass sich die Inzivilität verstärkt, sobald Sprecher des Zentrums in Horse-Race-Beiträgen zu Wort kommen. Dies stützt die oben erwähnte Annahme, dass im Wettstreit der Parteien – die dem politischen Zentrum zuzuordnen sind – die Inzivilität besonders hoch ist. Die nachfolgende Tabelle, welche die Sprecherverteilung nach Themenzuordnung darstellt, bestätigt diese Vermutung: 104 Themenzuordnung Sprecherzuordnung Sachpolitik Horse Race Sonstige Zentrum 19,1% 28,5% 18,6% Peripherie 19,1% 9,4% 14,0% Journalisten 61,4% 62,1% 67,4% Sonstige 0,5% 0% 0% Gesamt 100% 100% 100% 2 χ = 37,727, V = 0,115, λ = 0,000 Basis: Alle Aussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 Tabelle 29: Anteil der Aussagen in den Beiträgen nach Sprecherzuordnung im Zusammenhang mit der Themenzuordnung Die Auswertung zeigt, dass in Horse-Race-Beiträgen im Vergleich zu anderen Beiträgen weitaus mehr Sprecher des politischen Zentrums als Sprecher der Peripherie zu Wort kommen. Nun könnte argumentiert werden, dass diese sich im Allgemeinen inziviler äußern als andere Sprecher und ihre höhere Präsenz den Anteil inziviler Aussagen in Horse-Race-Beiträgen erhöht. Unter Bezugnahme auf die oben ausgeführte Auswertung der (In-)Zivilität nach Sprecherzuordnung (siehe Tabelle 23) mag dies stimmen, jedoch erweist sich – wie Tabelle 28 zeigt – die Korrelation zwischen Themenzuordnung und (In-)Zivilität trotzdem nicht als Scheinzusammenhang. Vielmehr verstärken sich Themen- sowie Sprecherzuordnung gegenseitig und zwar dahingehend, dass bei Horse-Race-Beiträgen der Ton allgemein inziviler ist und durch einen höheren Anteil an sich inzivil verhaltenden Sprechern des Zentrums noch begünstigt wird. In Bezug auf Sprecher, (In-)Zivilität und Themenzuordnung lässt sich resümieren, dass Letztere die antezedierende Variable für die ersten beiden darstellt. Ob ein Beitrag sich um Horse Race oder Sachpolitik dreht, determiniert in der Wahlberichterstattung 2009 sowohl die darin zu Wort kommenden Sprecher als auch den Anteil (in-)ziviler Aussagen, wobei sich der Zusammenhang zwischen Horse-Race-Berichterstattung und inzivilen Äußerungen bei Sprechern des politischen Zentrums verstärkt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Horse-Race-Berichterstattung nicht nur deshalb als nicht deliberativ bezeichnen lässt, weil sie Sachthemen aus den Nachrichten verdrängt. Sie wirkt sich auch negativ auf die Diskursqualität aus, insofern sie den Anteil an Begründungen reduziert und einen inzivileren Ton nach sich zieht. Der hohe Anteil an Horse Race in der Wahlberichterstattung 2009 (siehe Kapitel 4.1) ist damit aus deliberativer Sicht umso negativer zu beurteilen. 105 5.3 „Sind responsive Beiträge argumentativer?“ Ein weiterer interessanter Punkt ergibt sich aus der Fragestellung, in welcher Beziehung die Responsivität auf Beitragsebene, welche untersucht, inwieweit in einzelnen Beiträgen eine diskursive Struktur vorhanden ist, zur tatsächlichen Argumentation (Rechtfertigung und Widerlegung) der Sprecher steht. Im Gegensatz zu den vorherigen Auswertungen ist dabei vor allem interessant, ob ein responsiver Beitrag mehr Rechtfertigung und Widerlegung nach sich zieht oder ob ein responsiver Beitrag umgekehrt durch die beiden argumentativen Muster entsteht. Betrachtet man zunächst die Beziehung zwischen der Responsivität der Beiträge und der Variablen der Rechtfertigung, so ergibt sich unten stehendes Bild: Responsivitätsgehalt Begründungen Contest Contention Sonstige ohne Begründung 89,0% 88,9% 89,3% mit Begründung 11,0% 11,1% 10,7% Gesamt 100% 100% 100% 2 χ = 0,031, V = 0,005, λ = 0,000 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 Tabelle 30: Begründete Aussagen im Zusammenhang mit dem Responsivitätsgehalt der Aussagen Begründungen und Responsivität stehen, wie obere Tabelle zeigt in einem kaum wahrnehmbaren Zusammenhang (V = 0,005). Auch die Prozentsatzdifferenzen zwischen den begründeten Aussagen in responsiven Beiträgen und nicht responsiven Beiträgen ist minimal (d% = 0,1). Es kann also davon ausgegangen werden, dass die Responsivität keinen Einfluss auf die Verwendung einer Begründung nimmt und umgekehrt auch das Vorhandensein von Begründungen keinen responsiven Beitrag erzeugen. Im Hinblick auf die zweite Variable der Widerlegung ist zunächst festzuhalten, dass hier aufgrund der geringen Fallzahlen für den Indikator „Gegenargument“ (N = 18) dieser nicht weiter beachtet wird. Der zweite Indikator „Bezugnahmen“ weist höhere Fallzahlen auf und wird daher in die Auswertung einbezogen. 106 Responsivitätsgehalt Bezugnahmen Contest Contention Sonstige ohne Bezugnahme 68,4% 62,8% 68,9% mit Bezugnahme 31,6% 37,2% 31,1% Gesamt 100% 100% 100% 2 χ = 4,553, V = 0,057, λr = 0,000, λc = 0,000 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 Tabelle 31:Bezugnahmen in Aussagen im Zusammenhang mit dem Responsivitätsgehalt der Aussagen Die Tabelle veranschaulicht, dass sich die Verwendung von Bezugnahmen in responsiven Beiträgen des Typs „Contest“ im Vergleich zu nicht responsiven Beiträgen („Sonstige“) kaum unterscheidet (d% = 0,5). Im Hinblick auf die als „Contention“ codierten Beiträge ist jedoch im Vergleich zu den nicht responsiven durchaus ein Unterschied festzustellen (d% = 6,1). Allerdings zeigt das Prädiktionsmaß Lambda in keine der beiden Zusammenhangsrichtungen einen Ausschlag an und auch Cramer‟s V (V = 0,057) indiziert nur einen schwachen Zusammenhang der Variablen. Um nun der Möglichkeit einer Scheinkorrelation zu entgehen, muss die Vermutung von mehr Bezugnahmen bei „Contention“ weitere Stützung finden. Es stellt sich die Frage, ob der Zusammenhang bei Kontrolle des Einflusses der Sprecher als Urheber der Bezüge, bestehen bleibt. Tabelle 32 widmet sich dem Einfluss dieser Drittvariablen: Bezugnahmen unter Einbezug der Sprecherzuordnung ohne Bezugnahme Zentrum mit Bezugnahme Peripherie Journalisten Sonstige 2 ohne Bezugnahme mit Bezugnahme Contest Contention Sonstige 90,7% 90,8% 92,0% 9,3% 9,2% 8,0% 91,7% 89,7% 85,7% 8,3% 10,3% 14,3% ohne Bezugnahme 55,1% 42,1% 57,7% mit Bezugnahme 44,9% 57,9% 42,3% ohne Bezugnahme 0% mit Bezugnahme 0% Zentrum: χ = 0,158, V = 0,021, λ = 0,000 2 Journalisten: χ = 14,912, V = 0,130, λ = 0,087 Basis: Responsivitätsgehalt 0% 0% 0% 100,0% 2 Peripherie: χ = 1,171, V = 0,082, λ = 0,000 Sonstige: keine Berechnung möglich Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 Tabelle 32: Bezugnahmen in Aussagen im Zusammenhang mit dem Responsivitätsgehalt der Aussagen unter Kontrolle der Sprecherzuordnung Die Tabelle zeigt, dass die Prozentsatzdifferenz unter Kontrolle der Sprecher teilweise verschwindet. So bleibt der Unterschied zwischen „Contention“ und „Sonstige“ ledig107 lich bei der Sprechergruppe der Journalisten deutlich bestehen (d% = 15,6). Die Drittvariable der Sprecher scheint also die Beziehung zwischen der Responsivität und den Bezugnahmen zu beeinflussen. Um diesen Verdacht weiter zu erhärten, wird in folgender Tabelle betrachtet, um welche es sich bei Bezugnahmen handelt: Bezugnahmen Sprecherzuordnung ohne Bezug mit Bezug Zentrum 34,7% 6,8% Peripherie 16,1% 4,5% Journalisten 49,0% 88,7% Sonstige 0,2% 0% Gesamt 100% 100% 2 χ = 211,149, V = 0,385, λ = 0,000 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 Tabelle 33: Aussagen mit Bezügen im Zusammenhang mit den Sprechergruppen Die Tabelle veranschaulicht, dass wenn Bezugnahmen vorkommen, es sich insbesondere um Journalisten (88,7 %) handelt. In 6,8 % der Fälle handelt es sich um Sprecher des Zentrums; nur zu 4,5 % entstammen die Sprecher, welche einen Bezug herstellen, aus der Peripherie. Der Wert des Assoziationsmaßes Cramer‟s V (V = 0,385) weist außerdem auf einen bedeutsamen Zusammenhang der Variablen hin, was die Vermutung, dass die Sprecher in die Beziehung zwischen der Responsivität und der Widerlegung intervenieren, weiter verstärkt. Wird die Verteilung der Sprecher auf die verschiedenen Beitragstypen betrachtet, so zeigt sich, dass in Beiträgen, die dem Typ „Contention“ zugeordnet werden, mehr Sprecher aus dem Zentrum (35,4 %) und Journalisten (57,3 %) zu Wort kommen. Ähnlich verhält sich diese Verteilung auch bei dem Beitragstyp „Contest“ (Zentrumssprecher 24,7 %, Journalisten 63,0 %). Tabelle 34 veranschaulicht dies: 108 Responsivitätsgehalt Sprecherzuordnung Contest Contention Sonstige Zentrum 24,7% 35,4% 19,7% Peripherie 12,2% 7,3% 15,5% Journalisten 63,0% 57,3% 64,5% 0% 0% 0,3% 100% 100% 100% Sonstige Gesamt 2 χ = 41,702, V = 0,121, λ = 0,020 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 Tabelle 34: Sprecherzuordnung im Zusammenhang mit dem Responsivitätsgehalt Zentrumssprecher und Journalisten sind also am häufigsten in den beiden responsiven Beitragstypen vorhanden. Damit steht die Responsivität der Beiträge also nicht in direktem Zusammenhang mit dem Anteil an Bezugnahmen; weder sorgen responsive Beiträge für mehr Bezugnahmen noch entstehen durch einen hohen Anteil an Bezügen responsive Beiträge. Vielmehr kann die Vermutung, dass die Sprecher eine intervenierende Variable hinsichtlich der Beziehung zwischen Responsivität und Bezugnahmen darstellen, bestätigt werden. Die in diesem Kapitel dargestellten Auswertungen konnten zeigen, dass die Diskursstruktur auf die Diskursqualität nimmt. Dies verdeutlicht, dass die hier zunächst vorgenommene Trennung und auch in anderen Studien vollzogene Einzelbetrachtung verschiedener Deliberativitätskriterien für Operationalisierung und Analyse, nicht aber für eine umfassende Interpretation und Bewertung sinnvoll ist. 109 6 Fazit Im Feld der medienvermittelten Deliberation widmete sich diese Studie dem bisher kaum untersuchten Format der Fernsehnachrichten. Zudem wurde mit den (Bundestags)Wahlen ein angesichts der demokratietheoretischen Fundierung des Konzepts der medienvermittelten Deliberation bislang empirisch überraschend vernachlässigter Gegenstand untersucht. Der Schwerpunkt der Studie lag darin, aufzuzeigen, wie Wähler vor der Bundestagswahl 2009 durch ihr Hauptinformationsmedium und sein Format mit der höchsten Reichweite auf Basis des deliberativen Demokratiemodells auf ihre Wahlentscheidung vorbereitet wurden. Wie ist dies also geschehen? Im Gesamten wurden durch die Nachrichten durchaus ansatzweise deliberative Ansprüche erfüllt. Doch schon die Input-Dimension des Diskurses zeigte teilweise Schwächen: Die Bürger wurden lediglich über ausgewählte Themen und Parteien informiert, dabei allerdings mit einer großen Bandbreite an Standpunkten verschiedener Sprechertypen. Auch sie selbst wurden in nicht unerheblichem Ausmaß in den Diskurs integriert. Nur die Minderheit aller Äußerungen war jedoch mit Begründungen sowie Bezugnahmen auf andere Standpunkte ausgestattet. Fast nie wurden Argumente direkt durch Gegenargumente widerlegt. Damit war hinsichtlich der Throughput-Dimension eine deliberativ anspruchsvolle Argumentation in der Wahlberichterstattung überwiegend nicht vorhanden. Die Wähler wurden somit durch die Nachrichten eher mit der Bundestagswahl konfrontiert als eingehend darüber informiert. Eine Gleichverteilung von Äußerungschancen an die Parteien als Hauptakteure lag nicht vor, ebenso wenig ihre Thematisierung durch verschiedene Sprecher und eine ausgewogene Themenstruktur. Von einem „herrschaftsfreien“ (Habermas, 1984) und argumentativ hochwertigen Diskurs konnte somit nur bedingt die Rede sein. Allerdings können die im Vergleich zu anderen Studien (vor allem Bennett et al., 2004) relativ stark ausgeprägte Responsivität der Berichterstattung und das insgesamt hohe Level an Zivilität positiv hervorgehoben werden. Eine wichtige Erkenntnis dieser Studie ist, dass einzelne Kriterien von Deliberation sich maßgeblich gegenseitig beeinflussten. Dies betrifft zum Einen Auswirkungen der InputDimension auf den Throughput der Deliberation und zum Anderen Wechselwirkungen verschiedener Throughput-Prozesse (siehe Kapitel 5). Die Studie konnte unter anderem zeigen, dass Sprecherinklusivität und -ausgewogenheit sich auf die Argumentation auswirken und eine politics-Zentrierung nicht nur aufgrund der Vernachlässigung von Sachthemen (Buchanan, 2001; Gastil, 2008, S. 94; Schultz, 2006) negativ zu beurteilen ist. Auch auf Ebene der Diskursqualität konnten negative Folgen festgestellt werden. So 110 begünstigte die Horse-Race-Berichterstattung einen inzivilen Ton und verminderte das Ausmaß an begründeten Aussagen. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass Kriterienkataloge für die empirische Erhebung von Deliberativität sinnvoll sind, allerdings nicht wie eine abzuhakende Liste betrachtet werden sollten, sondern wie Faktoren, die sich gegenseitig begünstigen aber auch negativ beeinflussen können. Die vermuteten und durch die Hypothesen formulierten Unterschiede zwischen den Sendergruppen konnten nur bedingt bestätigt werden. Es zeigten sich nicht über alle Deliberativitätskriterien hinweg (auffallende) Unterschiede zwischen öffentlichrechtlichen und privaten Sendern. Trotz einer im Gesamten höheren Deliberativität von ARD und ZDF konnte die Organisationsform der Sender nicht als Ausschlag gebender Einflussfaktor auf die Deliberativität der Wahlberichterstattung bestätigt werden. Die Bewertung dessen ist ambivalent: Einerseits existieren bestimmte journalistische Normen wie die Maßgabe eines zivilen Tons wohl über die beiden Sendergruppen hinweg. Anderseits jedoch scheinen journalistische und redaktionelle Routinen wie die Verwendung von kurzen sound bites und ein geringes Einfordern von Begründungen in Interviews bei allen Sendern vorzuliegen. Darüber hinaus waren Muster wie eine geringe Offenheit gegenüber Splitterparteien oder der Fokus auf Horse-Race-Berichterstattung unabhängig von der Senderstruktur zu beobachten. Dieselbe Feststellung eines lediglich geringen Einflusses auf die Merkmale der Debatte gilt für den zeitlichen Fortschritt, der als prozessuale Komponente der Deliberation in die Studie einfloss. Die Beobachtung von Rousiley C. M. Maia (2009) eines komplexeren Diskurses im zeitlichen Verlauf schien im Hinblick auf die Wahlberichterstattung lediglich ansatzweise in Bezug auf die Inklusivität und das Ausmaß an Begründungen vorgelegen zu haben, nicht aber für Responsivität und Widerlegungen. Dies ist in dem Sinne negativ zu beurteilen, als dass durch die Medien anscheinend kein Fortschritt in der Debatte forciert wurde. Positiv anzumerken ist hierbei jedoch der Umstand, dass sich die Debatte im Zeitverlauf auch nicht maßgeblich undeliberativer gestaltete. So wurde sie nicht, wie angenommen, unausgewogener und inziviler. Es schienen also andere Faktoren als Senderstruktur und Zeitverlauf die Deliberativität der Berichterstattung über die Bundestagswahl beeinflusst zu haben. Hier konnten und können lediglich Vermutungen angestellt werden. Zum Einen ist hier der Umstand zu nennen, dass kein spezifisches Thema sondern ein Ereignis im Vordergrund stand. Bisherige Studien zur medienvermittelten Deliberation beschäftigten sich dem gegenüber meist mit (Streit-)Themen. Vor allem die äußerst niedrige Reflexivität und Widerlegung 111 von Meinungen könnte dadurch erklärt werden. So lässt sich dies bei einem spezifischen Thema, zu dem es eine begrenzte Anzahl von Standpunkten und Argumenten gibt, eher vollziehen als bei einem Ereignis, unter dem sich mehrere Themen gruppieren lassen. In einer eher begrenzten Möglichkeit zur Diskussion aller Themen in den durch ihre Kürze geprägten Nachrichtensendungen war dies anscheinend nicht möglich. Das Merkmal der beschränkten und teils sehr geringen Dauer der Nachrichtenbeiträge schien darüber hinaus auch für andere Deliberativitätskriterien eine erklärende Variable darzustellen. Dies konnte in Bezug auf den Zusammenhang von Beitragslänge und Responsivität genauso gezeigt werden wie für die Existenz von Begründungen und Widerlegungen in Abhängigkeit zur Länge der sound bites. Das genannte Charakteristikum von Fernsehnachrichten wurde in der Phase der Operationalisierung bedacht – beispielsweise durch den Verzicht auf die Kriterien der Antwortbeiträge und konfligierender Ideen in einer Sprecheraussage (Wessler, 2008, S. 11) – anscheinend jedoch hinsichtlich seiner Relevanz und vielfältigen Wirkungsweise trotzdem unterschätzt. So zeigte sich, dass die Throughput-Dimension der Deliberation in TV-Nachrichten maßgeblich von der begrenzten Ressource der Zeit abhing. Auch bei der Inklusivität und insofern der Input-Dimension lässt sich dies vermuten. Die Deliberativität der Nachrichtensendungen war also einerseits dadurch determiniert, welchen Umfang und daran anschließend welche Relevanz die Journalisten der Bundestagswahl in ihrer Berichterstattung einräumten. Andererseits hing sowohl der Umfang als auch weitere Deliberativitätskriterien davon ab, wie sehr sie sich um eine Verbindung des Ereignisses der Wahl mit einzelnen Sachthemen bemühten. Somit lässt sich festhalten, dass der Diskurs um ein Ereignis eine ungleich größere Herausforderung an die Medien darstellt: Sie müssen Themen recherchieren, mit dem Ereignis in Zusammenhang bringen und verschiedene Standpunkte dazu ausfindig machen. Auch das spezifische Ereignis selbst beziehungsweise der hier untersuchte Gegenstand könnte die Berichterstattung und ihre Deliberativität zumindest teilweise determiniert haben. So beeinflusste die Tatsache, dass es um eine Bundestagswahl ging, vor allem die Ausgewogenheit des Diskurses. Bekannte Muster in der Wahlberichterstattung wie die Horse-Race-Zentrierung werden seit Längerem immer wieder beobachtet (siehe Kapitel 2.2) und lagen auch vor der vergangenen Bundestagswahl in erheblichem Ausmaß vor. Bislang hatte lediglich John Gastil diese Form der Berichterstattung in Verbindung zur Deliberation gesetzt (Gastil, 2008, S. 94). Seinen theoretischen Bemerkungen, dass sie Deliberativität vermindert, konnte – wie bereits erwähnt – in Bezug auf 112 mehrere Merkmale von Deliberation Recht gegeben werden. Auch der relativ hohe Grad an Sprecherinklusivität könnte auf den Gegenstand der Bundestagswahl zurückzuführen sein, deren Ausgang schließlich von der politischen Peripherie, genauer der Bürgern, und nicht vom politischen Zentrum bestimmt wird. Weitere Einflussfaktoren auf die Berichterstattung sind in extramedialen Umständen wie den PR-Strategien und den Kampagnen der Parteien zu vermuten. Insbesondere die an der aktuellen Machtverteilung im Parlament orientierte Parteienstruktur und auch der Fokus auf Wahlkampfaktionen der großen Parteien zeigte, dass ein von äußeren Herrschaftseinflüssen freier medialer Diskurs nicht vorlag. Der hohe Fokus auf Horse-RaceBerichterstattung gibt einen Hinweis darauf, dass die Politik die zu den „free media“ zu rechnenden Fernsehnachrichten immer noch als Kampagneninstrument in ihrem Wahlkampf nutzen konnten. Aus deliberativer Sicht haben die Medien hier teilweise versagt und der Einfluss der Politik ist aus mehreren Gründen negativ zu beurteilen. Er verhindert einen „herrschaftsfreien Diskurs“ (Habermas, 1984) und begrenzt das Meinungsspektrum. Außerdem erschwert dieser Einfluss die freie Meinungsbildung und daran anschließend die Entfaltung kommunikativer Macht seitens der Bürger unabhängig von etablierten Machtstrukturen und entgegen der administrativen Macht des politischen Zentrums (siehe Kapitel 2.1.1). Aus dem Fokus auf Horse Race und der scheinbaren Reaktion auf Kampagnen lässt sich ableiten, dass die Debatte eher auf Wahlkampf denn auf Wahl konzentriert war. Weiterhin schienen medienstrukturelle Bedingungen wie Nachrichtenwerte und Redaktionsroutinen die Berichterstattung stärker determiniert zu haben als deliberative Normen. Die vorliegende Studie bestätigt damit eine Erkenntnis von Gerhards, Neidhardt und Rucht (1998, S. 185). Aus dieser Bilanz lassen sich zunächst praktische Konsequenzen ziehen. Eine größere Bemühung um eine deliberativ anspruchsvolle Berichterstattung ist seitens der Journalisten in Bezug auf kommende Bundestagswahlen überaus gefragt. Durch die Gewährleistung höherer Umfänge für einzelne Beiträge und Äußerungen, die Herausforderung begründeter O-Töne, das Aufsuchen von Gegenargumenten sowie durch die Verbindung von mehr Sachthemen mit der Bundestagswahl könnte die Deliberativität der Fernsehnachrichten maßgeblich gesteigert werden. Zudem läge es an den Journalisten, einer auf äußere Einflüsse wie Kampagnen und PR-Strategien der Parteien reagierenden Berichterstattung Einhalt zu gebieten und auch mehr kleinere Parteien in den Diskurs zu 113 integrieren. Damit kann auf der einen Seite ein Plädoyer für einen investigativen als vielmehr verlautbarenden Journalismus ausgesprochen werden. Die journalistische Arbeit ist damit aus deliberativer Sicht bislang ambivalent zu beurteilen. So finden sich auf der einen Seite die erwähnten Defizite, auf der anderen Seite ist die im Vergleich zu anderen Sprechern relativ ausgeprägte Deliberativität der Journalisten in Form von Zivilität und Argumentation positiv hervorzuheben. Weiterhin lassen sich aus den Erkenntnissen der Studie theoretische und empirische Konsequenzen für die Forschung zur medienvermittelten Deliberation ableiten. Gefordert ist hier zunächst eine höhere Beachtung des Gegenstands. Es sollte zwischen Themen und Ereignissen differenziert und die Erkenntnisse daraus einander gegenüber gestellt werden. Dabei stellt ein Ereignis nicht nur für die Medien, wie oben bemerkt, eine größere Herausforderung dar. Auch für die empirische Forschung ergeben sich höhere Ansprüche. Die vorliegende Studie hat zwar unterschiedliche, unter dem Ereignis der Wahl zu gruppierende Themen differenziert erhoben und die Anzahl der jeweiligen Standpunkte festgehalten. Allerdings könnte in weiteren Studien darüber hinaus analysiert werden, welche Standpunkte von welchen Sprechern zu verschiedenen Themen in den Diskurs eingebracht werden. Zudem böte sich ein Vergleich mit der „alltäglichen“ Berichterstattung an, um die Besonderheit von sowohl themen- als auch ereigniszentrierter Deliberation herauszustellen. Stets beachtet werden sollte dabei, um welches Thema beziehungsweise Ereignis es sich handelt und ob über politische oder moralische Konflikte oder vielmehr über „informelle gesellschaftliche Konventionen und alltagsweltliche Normen“ (Gerhards, Neidhardt & Rucht, 1998, S. 178) beratschlagt wird. Des Weiteren sollte das Messinstrument stets auf die Spezifika des jeweiligen Mediums und Formats abgestimmt werden. In dieser Studie wurde darauf bereits geachtet. Allerdings konnten innerhalb der Auswertung und Diskussion der Ergebnisse einige Punkte aufgezeigt werden, die mangels Vorgängerstudien im Vorfeld nicht bekannt waren, nun allerdings Eingang in die empirische Forschung finden können. Eine letzte Folge betrifft den prozessualen Aspekt von Deliberation. Dieser könnte in Nachfolgestudien in einem anderen Licht als dem Zeitverlauf in Bezug auf ein Format betrachtet werden. Wie gezeigt wurde, griffen die Nachrichten Themen auf und gaben damit viele Deliberationsimpulse, die sie jedoch in der Mehrzahl nicht weiter ausführten. Damit ließ sich in dem Format selbst kein Prozess erkennen, der die Kriterien von Deliberation im Gesamten umfasste. Es wäre allerdings interessant, zu verfolgen, inwieweit die durch die Nachrichten gesetzten Impulse einerseits durch andere Formate 114 im Fernsehen – wie politische Talkshows – oder auch andere Medien aufgriffen wurden. Es ließe sich ein Prozessmodell andenken, das angefangen von den extramedialen Einflüssen den Input, dann – unter Beachtung journalistischer und redaktioneller Routinen – den Throughput und anschließend gegebenenfalls das Outcome von Deliberation über mehrere Medien und Formate hinweg fasst. Mit beachtet werden sollte dabei das erwähnte Zusammenspiel von Input- und Throughput-Prozessen, wobei die Relevanz einzelner Faktoren ebenso detailliert zu analysieren wäre wie die Richtung der Zusammenhänge. Bezüglich der Outcome-Dimension sind unter anderem soziale Lernprozesse zu nennen, die mittels Analysen von Medieninhalten allein jedoch nicht zu untersuchen und aufgrund ihrer Eigenschaft als Langzeiteffekte generell schwer zu erfassen sind (Wessler & Schultz, 2007, S. 18f.). Anstatt der Lernprozesse selbst könnte allerdings untersucht werden, inwieweit durch die Beobachtung eines Diskurses Lernprozesse bei den Rezipienten angeregt werden (Gerhards, Neidhardt & Rucht, 1998, S. 187f.). Nicht nur im Anschluss an einen Wahldiskurs ließe sich beispielsweise das politische Wissen und Engagement von Bürgern erheben sowie deren Deliberation untersuchen, die durch die mediale Debatte induziert oder beeinflusst wird. Zum Zusammenhang von Mediennutzung und Bürgerdeliberation liegen bereits Studien vor (Kim, Wyatt, & Katz, 1999; Moy & Gastil, 2006). Allerdings beachteten diese in zu geringem Ausmaß den Medieninhalt selbst, was ebenso für eine Verbindung der verschiedenen Dimensionen von Deliberation spricht. Die vorliegende Studie hat zwar ebenfalls nicht die Outcome-Dimension beziehungsweise die Bürgerdeliberation untersucht; dies war in diesem Rahmen kaum möglich. Input- und Throughput-Dimension jedoch wurden umfassend analysiert, miteinander verbunden und bereits einige Unterschiede von ereignis- und themenzentrierter Deliberation aufgezeigt. Weitere Einschränkungen sind jedoch, dass sich diese Studie zum Einen einem einzelnen Ereignis und einem spezifischen Format widmete und zum Anderen die Vermutungen zu den extramedialen Einflüssen mangels empirischer Daten nicht eindeutig belegt werden können. Die Erkenntnisse lassen deshalb keine Verallgemeinerung zu. Durch Analysen zu weiteren Bundestagswahlen könnten die festgestellten Muster bestätigt oder ausdifferenziert werden. Zudem könnte unter Beachtung des erläuterten prozessualen Modells medienvermittelte Deliberation in einem weit größeren Rahmen und unter Beachtung von noch mehr Einflussfaktoren untersucht werden als bisher meist geschehen. Die von John Gastil formulierte Notwendigkeit der Betrach115 tung des gesamten Mediensystems (Gastil, 2008, S. 50f.) ließe sich so in eine spezifische Richtung lenken. Im Zuge dessen könnten Unterschiede zwischen verschiedenen Formaten und Medien im Hinblick auf ihr deliberatives Potential genauer herausgearbeitet werden. Die wahlbezogene Deliberativität von 15 Minuten Fernsehen konnte diese Studie bereits aufzeigen. 116 7 Literatur Anschlag, Dieter (2009). ARD: Konzernporträt [Elektronische Version]. Abgerufen am 14.03.2010 von http://www.mediadb.eu/datenbanken/deutschemedienkonzerne/ard.html. Anschlag, Dieter & Bartels, Christian (2009). ZDF: Konzernporträt [Elektronische Version]. 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Euro Platz 2 der Medienkonzerne national und Platz 17 international 20.226 Mitarbeiter Nachrichten: Leitung: ARD aktuell Chefredakteur: Dr. Kai Gniffke Tagesschau (Anschlag, 2009; Berger, 2008, S. 81ff.; Gebühreneinzugszentrale (GEZ), 2010a; Media Perspektiven, 2009, S. 7) 125 8.1.2 Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF) Organisation Sendestart: 1. April 1963 Geschäftsführung durch Intendant (seit 2002: Markus Schächter) rechtliche Grundlagen: Rundfunkstaatsvertrag und ZDFStaatsvertrag Finanzierung Bruttowerbeumsatz 2008: 202,8 Mio. Euro Gebührenanteil 2008: 1.728.977.209,42 Euro Geschäftsfelder Produktion des Hauptprogramms und diverser Digitalprogramme Beteiligung u. a. an KI.KA, Phoenix, 3sat und ARTE Angebot im Internet (Mediathek) Status Umsatz 2008: 1.993 Mrd. Euro Platz 7 der Medienkonzerne national etwa 3.600 Mitarbeiter Nachrichten: Ansiedlung in der Hauptredaktion „Aktuelles“ Redaktionsleiter: Luc Walpot (seit 1. Januar 2009; vorheriger Leiter des ZDF-Studios in Kairo und langjähriger Auslandskorrespondent des ZDF in Bagdad und im Nahen Osten) Mitarbeiter: 102 feste und freie Redakteure Redaktionsarbeit in drei Schichten: 1) Nachrichten im Morgenmagazin 2) Nachrichten bis 17 Uhr 3) Hauptnachrichten um 19 Uhr durch ein spezielles Team unter der Leitung eines Schlussredakteurs sowie der Moderatoren Petra Gerster und Steffen Seibert über die tagesaktuell arbeitenden Schichten hinaus organisieren zwei Planungsredakteure die Bereiche Inland und Ausland in Zusammenarbeit mit den Korrespondenten heute (Anschlag & Bartels, 2009; Berger, 2008, S. 87ff.; Gebühreneinzugszentrale (GEZ), 2010a; Media Perspektiven, 2009, S. 7) 126 8.1.3 Radio Television Luxemburg (RTL) Organisation Gründung 1984 Geschäftsführerin Anke Schäferkordt Teil der Mediengruppe RTL, diese gehört zur BertelsmannTochter RTL Group Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) sorgt für die Überwachung der Meinungsvielfalt im privaten Sektor Rechtsform: privatrechtlich Finanzierung Finanzierung über Werbeeinnahmen oder Gebühren (Pay TV) Bruttowerbeumsatz 2008: 2278,2 Mio. Euro Geschäftsfelder der Mediengruppe RTL Produktion verschiedener Fernsehprogramme, vor allem RTL Television, VOX und n-tv; zudem diverse Digitalprogramme RTL Crime, RTL Passion und RTL Living Beteiligung u. a. an RTL II und SUPER RTL Angebot im Internet (RTLNOW.de) Status Umsatz 2008: 16,118 Mrd. Euro Platz 7 der Medienkonzerne international und Platz 1 national etwa 106.083 Mitarbeiter (weltweit) Nachrichten: Leitung: RTL Aktuell Chefredakteur: Peter Kloeppel RTL Aktuell wird aus dem virtuellen Nachrichtenstudio RTL-News-World in Köln gesendet. Um das Nachrichtenangebot besonders nutzerfreundlich zu gestalten, kommen animierte und dreidimensionale Grafiken vermehrt zum Einsatz. Auch Zuschauernews haben bei RTL Aktuell eine Chance auf Veröffentlichung. Dazu können sogenannte RTLHandy-Reporter eigene Videos oder Fotos etwa von Wetterphänomenen als SMS oder MMS an die Redaktion schicken. RTL Aktuell (Berger, 2008; Jakobs, Schmalz, & Schuler, 2010; Media Perspektiven, 2009, S. 12) 127 8.1.4 Satelliten Fernsehen GmbH (Sat.1) Organisation Gründung der PKS (Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenfunk) 1984 1985 Umbenennung in Sat.1 Geschäftsführer seit 01.02.2010 Andreas Bartl, zuvor (01.01.2009 bis 31.01.2010) Guido Bolten und Torsten Rossmann Tochter der ProSiebenSat.1 Media AG, die wiederum Teil der Kirch-Gruppe ist Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) sorgt für die Überwachung der Meinungsvielfalt im privaten Sektor; Rechtsform: privatrechtlich Finanzierung Finanzierung über Werbeeinnahmen oder Gebühren (Pay TV) Bruttowerbeumsatz 2008: 1570,6 Mio. Euro ProSiebenSat.1 Media AG agiert in 13 europäischen Ländern und mit 26 Sendern im Free TV und 24 Sendern im Pay TV sowie 22 Radiosendern Angebot im Internet (Sat.1 Online) Geschäftsfelder der Mediengruppe RTL Status Umsatz 2008: 3,054 Mrd. Euro Platz 39 der Medienkonzerne international und Platz 3 national etwa 6.057 Mitarbeiter (weltweit) Nachrichten: Hauptmoderator: Peter Limbourg Nachrichtendienstleister der ProSiebenSat.1 Media AG ist N24 An einer Sat.1-Nachrichtensendung arbeiten zwei Chefs, mehrere Redakteure und Reporter, die auch die Nachrichten bei ProSieben und Kabel1 betreuen, als Rechercheure und Autoren arbeiten und sich auf die vorbereitende Arbeit der N24-Crew stützen und wiederum für die Sendungen auf N24 zuarbeiten. An einem Werktag sind innerhalb 24 Stunden etwa 60 Redakteure für alle Nachrichten (N24 und Formate), für die Wirtschaftsberichterstattung und die Planung tätig. Sat.1 Nachrichten (Berger, 2008; Media Perspektiven, 2009, S. 12; Zabel & Bartels, 2009) 128 8.2 Tabellen und Diagramme 8.2.1 Diskursstruktur Ökonomische Senderstruktur Themenaspekte Atomkraft/Energie öffentlichrechtlich privat 11 3 Europa 1 2 Bundeswehr/Afghanistan/Terror 6 4 Datenschutz/Internet 1 2 Zuwanderung 0 1 Arbeitslosigkeit 6 3 Wirtschaftslage 8 6 Banken- und Finanzkrise 8 4 Verdruss Politik/Politiker 1 1 Bildung/Schule 4 2 15 1 5 3 15 2 Gesundheitswesen/Pflege 5 0 Rente/Alterssicherung 1 0 soziales Gefälle 2 0 Umwelt/Klima 2 2 43 23 Kosten/Preise/Löhne Familie/Kinder/Jugend Steuern/Steuererhöhungen Gesamt 2 χ = 24,972, V = 0,615, λ = 0,082 Basis: Alle codierten Themenaspekte im gesamten Erhebungszeitraum, N = 399, Tabelle enthält keine Mehrfachnennungen in Beiträgen sowie der Horse-Race-Berichterstattung und der Ausprägung „Sonstiges“ zugeordnete Themenaspekte 129 Anteil der Beiträge Themen nach Senderstruktur Sachpolitik öffentlichrechtlich privat durchschnittliche Beitragslänge (in Sekunden) öffentlichprivat rechtlich 125,57 120,95 [71,56] [57,21] 28,9% 24,7% 5,6% 2,4% 113,33 118,66 0% 0% 0 0 Bundeswehr/Afghanistan/Terror 7,8% 8,2% 131,29 87,12 Datenschutz/Internet 2,2% 0% 106,60 0 0% 0% 0 0 Arbeitslosigkeit 1,1% 1,2% 31,32 115,24 Wirtschaftslage 3,3% 2,4% 186,93 236,06 Banken- und Finanzkrise 2,2% 0% 131,84 0 Verdruss Politik/Politiker 1,1% 2,4% 179,96 125,90 0% 0% 0 0 1,1% 1,2% 119,16 181,40 0% 3,5% 0 93,16 Steuern/Steuererhöhungen 2,2% 3,5% 103,46 130,89 Gesundheitswesen/Pflege 1,1% 0% 86,92 0 Rente/Alterssicherung 1,1% 0% 117,28 0 soziales Gefälle 0% 0% 0 0 Umwelt/Klima 0% 0% 0 0 Horse-Race-Berichterstattung 65,6% 70,6% 108,64 117,93 Wahlkampf/Parteien-PR 44,4% 42,4% 109,65 118,07 Koalitionen 6,7% 12,9% 108,20 110,57 Wahlberichterstattung 8,9% 10,6% 106,85 150,53 Demoskopie 5,6% 4,7% 103,98 63,56 Sonstige 5,6% 4,7% Gesamt [Standardabweichung] 100% 61,82 110,93 [58,00] 96,05 117,65 [55,99] Atomkraft/Energie Europa Zuwanderung Bildung/Schule Kosten/Preise/Löhne Familie/Kinder/Jugend 2 Anteil: χ = 12,849, V = 0,271, λ = 0,000 100% 2 Länge: χ = 116,993, V = 0,818, η = 0,059, η² = 0,003 Basis: Alle Beiträge im gesamten Erhebungszeitraum, N = 175 130 Ökonomische Senderstruktur öffentlichrechtlich sound bites der Politiker privat CDU/CSU 12,57 9,39 SPD 11,87 9,86 FDP 13,05 9,56 Bündnis 90/Die Grünen 10,71 10,40 Die Linke 13,44 9,36 Piratenpartei 0 10,80 Die Violetten 0 7,20 Tierschutzpartei 0 0 Bayernpartei 0 0 0 12,24 [4,65] 0 9,68 [4,27] NPD Gesamt [Standardabweichung] 2 χ = 244,666, V = 0,837, η = 0,277, η² = 0,077 Basis: Sprecheraussagen mit Parteizuordnung im gesamten Erhebungszeitraum, N = 349 sound bites der Politiker Wochen 1 2 3 4 CDU/CSU 10,35 11,88 11,02 10,05 SPD 13,13 9,81 8,66 11,22 FDP 12,99 9,96 11,89 11,00 Bündnis 90/Die Grünen 12,08 12,02 9,85 9,36 Die Linke 12,52 10,69 9,63 12,29 Piratenpartei 0 0 0 10,80 Die Violetten 0 0 0 7,20 Tierschutzpartei 0 0 0 0 Bayernpartei 0 0 0 0 0 12,16 [5,08] 0 11,08 [4,36] 0 10,18 [4,13] 0 10,53 [4,67] NPD Gesamt [Standardabweichung] 2 χ = 704,286, V = 0,820, η = 0,161, η² = 0,026 Basis: Sprecheraussagen mit Parteizuordnung im gesamten Erhebungszeitraum, N = 349 131 Wochen Themenaspekte 1 2 3 4 Atomkraft/Energie 2 2 4 6 Europa 1 1 1 0 Bundeswehr/Afghanistan/Terror 2 1 2 5 Datenschutz/Internet 0 1 0 2 Zuwanderung 0 0 0 1 Arbeitslosigkeit 1 6 0 2 Wirtschaftslage 0 8 6 0 Banken- und Finanzkrise 2 3 3 4 Verdruss Politik/Politiker 0 0 1 1 Bildung/Schule 1 1 4 0 Kosten/Preise/Löhne 6 1 4 5 Familie/Kinder/Jugend 1 2 2 3 Steuern/Steuererhöhungen 2 5 4 6 Gesundheitswesen/Pflege 1 1 0 3 Rente/Alterssicherung 0 0 1 0 soziales Gefälle 0 0 0 2 Umwelt/Klima 1 0 1 2 11 15 16 24 Gesamt 2 χ = 70,278, V = 0,600, λ = 0,184 Basis: Alle codierten Themenaspekte im gesamten Erhebungszeitraum, N = 399, Tabelle enthält keine Mehrfachnennungen in Beiträgen sowie der Horse-Race-Berichterstattung und der Ausprägung „Sonstiges“ zugeordnete Themenaspekte 132 durchschnittliche Beitragslänge (in Sekunden) Anteil der Beiträge Themen nach Wochen Sachpolitik Atomkraft/Energie Europa Bundeswehr/Afghanistan/Terror Datenschutz/Internet Zuwanderung Arbeitslosigkeit Wirtschaftslage Banken- und Finanzkrise Verdruss Politik/Politiker Bildung/Schule Kosten/Preise/Löhne Familie/Kinder/Jugend Steuern/Steuererhöhungen Gesundheitswesen/Pflege Rente/Alterssicherung soziales Gefälle Umwelt/Klima Horse-Race-Berichterstattung Wahlkampf/Parteien-PR Koalitionen Wahlberichterstattung Demoskopie Sonstige Gesamt [Standardabweichung] 2 Anteil: χ = 90,586, V = 0,415, λ = 0,000 1 2 23,8% 9,5% 0% 4,8% 0% 0% 0% 0% 0% 4,8% 0% 0% 4,8% 0% 0% 0% 0% 0% 69,0% 57,1% 2,4% 2,4% 7,1% 7,1% 100% 38,2% 2,9% 0% 8,8% 2,9% 0% 5,9% 14,7% 0% 0% 0% 0% 0% 2,9% 0% 0% 0% 0% 55,9% 29,4% 8,8% 14,7% 2,9% 5,9% 100% 3 24,4% 4,9% 0% 9,8% 0% 0% 0% 0% 0% 0% 0% 2,4% 2,4% 0% 2,4% 2,4% 0% 0% 73,2% 29,3% 14,6% 24,4% 4,9% 2,4% 100% 4 24,1% 0% 0% 8,6% 1,7% 0% 0% 0% 3,4% 1,7% 0% 1,7% 0% 6,9% 0% 0% 0% 0% 70,7% 51,7% 12,1% 1,7% 5,2% 5,2% 100% 1 130,24 [56,96] 126,23 0 180,36 0 0 0 0 0 125,90 0 0 92,48 0 0 0 0 0 118,57 122,43 122,60 185,92 63,91 72,73 118,07 [55,97] 2 150,62 [87,41] 131,20 0 176,32 97,44 0 73,28 206,58 0 0 0 0 0 21,00 0 0 0 0 98,97 92,64 94,49 107,54 132,88 145,88 121,48 [70,27] 3 92,98 [39,01] 83,92 0 86,01 0 0 0 0 0 0 0 119,16 94,52 0 86,92 117,28 0 0 121,75 101,46 134,64 141,06 108,22 30,24 112,50 [59,62] 4 115,33 [54,69] 0 0 59,03 115,76 0 0 0 131,84 179,96 0 181,40 0 144,65 0 0 0 0 110,11 118,48 93,09 75,40 77,71 51,04 108,31 [47,13] 2 Länge: χ = 504,86, V = 0,981, η = 0,090, η² = 0,008 Basis: Alle Beiträge im gesamten Erhebungszeitraum, N = 175 133 8.2.2 Diskursqualität Ökonomische Senderstruktur sound bites nach Sprechertypen (in Sekunden) öffentlichrechtlich privat Parteien: CDU/CSU 12,29 8,06 Parteien: SPD 12,29 9,90 Parteien: FDP 13,05 9,56 Parteien: Bündnis 90/Die Grünen 10,71 10,40 Parteien: Die Linke 13,44 9,36 Parteien: Piratenpartei 0 10,80 Parteien: Die Violetten 0 7,20 Verwaltung und Regierung: CDU/CSU 12,80 10,34 Verwaltung und Regierung: SPD 11,04 9,28 Verwaltung und Regierung: Sonstige/ohne Partei 13,95 11,48 5,84 0 Interessengruppen, -verbände 12,01 8,30 soziale Bewegungen 11,84 7,56 Experten/Intellektuelle 16,67 11,05 0 0 6,61 5,30 0 6,26 Journalisten: Nicht-Mitarbeiter 34,06 27,52 Journalisten: Mitarbeiter 15,21 15,52 0 6,66 14,45 13,07 Judikative Advokaten Problembetroffene/Bürger Künstler/Prominente Sonstige Gesamt 2 2 öffentlich-rechtlich: χ = 5685,010, V = 0,773, η = 0,415, η = 0,172 2 2 privat: χ = 7492,243, V = 0,769, η = 0,416, η = 0,173 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 134 Ökonomische Senderstruktur Begründungen nach Sprechertypen öffentlichrechtlich privat Parteien: CDU/CSU 5,4% 5,0% Parteien: SPD 8,6% 6,7% Parteien: FDP 16,1% 10,0% Parteien: Bündnis 90/Die Grünen 2,2% 3,3% Parteien: Die Linke 5,4% 3,3% Parteien: Piratenpartei 0% 3,3% Parteien: Die Violetten 0% 1,7% Verwaltung und Regierung: CDU/CSU 4,3% 6,7% Verwaltung und Regierung: SPD 3,2% 0% Verwaltung und Regierung: Sonstige/ohne Partei 2,2% 0% 0% 0% 2,2% 5,0% 0% 1,7% 5,4% 10,0% 0% 0% 7,5% 5,0% 0% 1,7% 3,2% 1,7% Journalisten: Mitarbeiter 34,4% 35,0% Gesamt 100% 100% Judikative Interessengruppen, -verbände soziale Bewegungen Experten/Intellektuelle Advokaten Problembetroffene/Bürger Künstler/Prominente Journalisten: Nicht-Mitarbeiter 2 χ = 16,261, V = 0,326 Basis: Alle Sprecheraussagen mit Begründungen im gesamten Erhebungszeitraum; Mehrfachcodierungen möglich, N = 153 135 Bezugnahme Widerlegungen nach Sprechertypen und Senderstruktur öffentlichrechtlich Parteien: CDU/CSU Gegenargument privat öffentlichrechtlich privat 0% 0,5% 0% 0% Parteien: SPD 1,8% 2,1% 23,1% 20,0% Parteien: FDP 1,1% 0,5% 0% 0% Parteien: Bündnis 90/Die Grünen 2,2% 1,0% 7,7% 0% Parteien: Die Linke 1,8% 1,0% 15,4% 0% Parteien: Piratenpartei 0% 0% 0% 0% Parteien: Die Violetten 0% 0% 0% 0% Verwaltung und Regierung: CDU/CSU 0% 0,5% 0% 0% Verwaltung und Regierung: SPD 0,4% 0% 0% 0% Verwaltung und Regierung: Sonstige/ohne Partei 0,4% 0% 7,7% 0% 0% 0% 0% 0% 1,4% 0% 0% 20,0% 0% 0,5% 0% 20,0% 0,7% 1,0% 0% 0% 0% 0% 0% 0% 0,4% 1,0% 0% 0% 0% 0% 0% 0% 3,2% 0% 0% 0% 86,6% 91,7% 46,2% 40,0% 100% 100% 100% 100% Judikative Interessengruppen, -verbände soziale Bewegungen Experten/Intellektuelle Advokaten Problembetroffene/Bürger Künstler/Prominente Journalisten: Nicht-Mitarbeiter Journalisten: Mitarbeiter Gesamt 2 χ = 20,478, V = 0,209 Basis: 2 χ = 7,261, V = 0,635 Alle Sprecheraussagen mit Widerlegungen im gesamten Erhebungszeitraum; Mehrfachcodierungen möglich, N(Bezüge) = 469, N(Gegenargument) = 18 136 sound bites Begründungen öffentlich-rechtlich privat Aussagen ohne Begründung 14,06 12,83 Aussagen mit Begründung 16,92 15,63 2 χ = 677,419, V = 0,690, λ = 0,290 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 sound bites Bezugnahmen öffentlich-rechtlich privat Aussagen ohne Bezugnahme 12,51 11,27 Aussagen mit Bezugnahme 17,27 18,23 2 χ = 692,965, V = 0,698, λ = 0,448 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 sound bites Gegenargumente öffentlich-rechtlich privat Aussagen ohne Gegenargument 14,38 13,06 Aussagen mit Gegenargument 17,76 14,33 2 χ = 841,766, V = 0,769, λ = 0,444 Basis: Alle Sprecheraussagen im gesamten Erhebungszeitraum, N = 1424 137 8.3 Das Codebuch Codebuch 61 Definitorischer Rahmen Forschungsfrage und Hypothesen Forschungsinteresse Inwieweit erfüllt die Berichterstattung in deutschen Fernsehnachrichten über die Bundestagswahl 2009 deliberative Kriterien? Forschungsfragen Wie gestaltet sich die Diskursstruktur der medienvermittelten Deliberation in der Wahlberichterstattung der deutschen Fernsehnachrichten? Wie gestaltet sich die Diskursqualität der medienvermittelten Deliberation in der Wahlberichterstattung der deutschen Fernsehnachrichten? Hypothesen: Diskursstruktur H 1: Wenn der Fernsehsender öffentlich-rechtlich organisiert ist, dann gestaltet sich die Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 inklusiver als bei einem privatwirtschaftlich organisierten. H 2: Wenn der Fernsehsender öffentlich-rechtlich organisiert ist, dann gestaltet sich die Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 ausgewogener als bei einem privatwirtschaftlich organisierten. H 3: Wenn der Fernsehsender öffentlich-rechtlich organisiert ist, dann weist die Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 einen höheren Responsivitätsgehalt auf als ein privatwirtschaftlich organisierter. H 4: Je näher die Bundestagswahl 2009 rückt, desto inklusiver ist die Berichterstattung. H 5: Je näher die Bundestagswahl 2009 rückt, desto weniger ausgewogen ist die Berichterstattung. 61 Aufbau und Gestaltung des Codebuchs orientieren sich an den Hinweisen Patrick Rösslers (Rössler, 2005, S. 87ff.). 138 H 6: Je näher die Bundestagswahl 2009 rückt, desto höher ist der Responsivitätsgehalt der Berichterstattung. Hypothesen: Diskursqualität H 7: Wenn der Fernsehsender öffentlich-rechtlich organisiert ist, dann gestaltet sich die Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 ziviler als bei einem privatwirtschaftlich organisierten. H 8: Wenn der Fernsehsender öffentlich-rechtlich organisiert ist, dann finden sich in der Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 häufiger Rechtfertigungen als bei einem privatwirtschaftlich organisierten. H 9: Wenn der Fernsehsender öffentlich-rechtlich organisiert ist, dann finden sich in der Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 häufiger Widerlegungen als bei einem privatwirtschaftlich organisierten. H 10: Je näher die Bundestagswahl 2009 rückt, desto unziviler wird die Debatte. H 11: Je näher die Bundestagswahl 2009 rückt, desto mehr Rechtfertigungen werden verwendet. H 12: Je näher die Bundestagswahl 2009 rückt, desto mehr Widerlegungen lassen sich feststellen. Definition wichtiger Begriffe Grundgesamtheit Die Grundgesamtheit stellt die Berichterstattung zur Bundestagswahl 2009 in den Hauptnachrichtensendungen vom 30. August bis zum 26. September 2009, die sogenannte „heiße Phase“ des Wahlkampfs, dar. Ökonomische Struktur Der Begriff der ökonomischen Struktur legt fest beschreibt die Form der Finanzierung der Fernsehsender bzw. gibt Auskunft über deren jeweilige Besitz- und Beteiligungsverhältnisse. Nach Dennis McQuail lassen sich grundlegend drei Arten unterscheiden: „Most media belong to one of three categories of ownership: commercial companies, private non-profit bodies and the public sector” (McQuail, 2005, S. 227). Für die vorliegende Arbeit sind lediglich die privatwirtschaftliche sowie die öffentliche Finanzierung 139 relevant, da die untersuchten Sender durch jeweils eine dieser ökonomischen Strukturen gekennzeichnet sind. Beitrag Patrick Rössler folgend lässt sich ein Beitrag als „Gesamtheit aller Botschaften definieren, die zum selben Thema gesendet werden“ (Rössler, 2005, S. 78). Anders ausgedrückt: Ein Beitrag wird definiert als Ausschnitt einer Sendung, der unter einem Thema steht. Eingeschlossen sein können dabei sowohl An- und Abmoderationen durch den/die Nachrichtensprecher/in als auch Magnetaufzeichnungen (MAZ) sowie Kommentare und Live-Schaltungen. Folgt auf einen Beitrag eine Live-Schaltung oder ein Interview, die einen im Beitrag bisher nicht angesprochenen Themenaspekt beleuchtet, so wird dies als neuer Beitrag codiert. O-Ton Ein O-Ton wird definiert als eine von einem Akteur selbst gesprochene Aussage oder alternativ als wörtliches Zitat, das als in Anführungszeichen gesetzter Fließtext oder vergleichbares kenntlich gemacht wird. Äußerungen von Nachrichten- und Beitragssprechern sind hier ausgeklammert. Aussage Als Aussage wird eine abgeschlossene Äußerung eines beliebigen Sprechers definiert: „An utterance is a speech act or statement by a single speaker“ (Ferree et al., 2002, S. 50). Anfang und Ende einer Aussage werden entweder durch einen Sprecherwechsel oder durch Schnitte den Ton betreffend (d. h. ausschlaggebend sind nicht die Bildschnitte) markiert. Irrelevant ist dabei, ob der jeweilige Sprecher im Bild zu sehen ist oder nicht, d. h. auch ein Kommentar aus dem Off wird als Aussage gezählt. Eine Aussage ist im Vergleich zum O-Ton die weiter gefasste Kategorie, denn hier zählen auch Äußerungen des Nachrichten- und Beitragssprechers. Definition der Auswahleinheit In der vorliegenden Studie erfolgt eine Vollerhebung. Zeitraum 30. August 2009 bis 26. September 2009 räumlicher Geltungsbereich national 140 Mediengattung Fernsehen Medienangebote62 ARD, ZDF, RTL und Sat.1 Format Hauptnachrichtensendungen Definition der Analyseeinheiten Hinsichtlich der Definition der Analyseeinheiten wird eine hierarchische Zerlegung (Rössler, 2005, S. 77f.) vorgenommen. Dies bietet unter anderem den Vorteil, dass Datum und Sender der jeweiligen Nachrichtensendung nur im Kontext der ersten Analyseeinheit und nicht mehrmals codiert werden müssen. Erste Analyseeinheit (Analyseebene) Nachrichtensendung Codierung von Datum und Sender Zweite Analyseeinheit (Analyseebene) Beitrag Codierung von Länge, Thema, Themenaspekten sowie Responsivitätsgehalt Aufgreifkriterium (Beitrag) Ein Beitrag wird in Anlehnung an den ARD/ZDF-Wahlmonitor 2009 lediglich dann bei der Codierung beachtet, wenn ein Bezug zur Bundestagswahl 2009 (in Form von Bildern oder Aussagen beliebiger Sprecher) vorhanden ist; dies bedeutet konkret, wenn in einem Beitrag ein expliziter Bezug zur Bundestagswahl hergestellt wird oder die Wahl Hauptgegenstand ist.63 Zwar könnte daneben auch die politische Berichterstattung ohne konkreten Bezug zur Bundestagswahl mit einbezogen werden, da sie schließlich ebenso Informationen hinsichtlich der Parteien und Politiker liefert. Allerdings wird davon ausgegangen, dass erst mit der Verbindung zur Wahl innerhalb des Beitrags auch die Verbindung im Kopf der Rezipienten hergestellt wird und somit die direkt auf die Wahl bezogene politische Berichterstattung letztlich relevant ist für die Wahlentscheidung der Bürger. 62 Analog zum Wahlmonitor wird ProSieben nicht berücksichtigt; die Autoren der Studie schreiben dazu in ihrem Aufsatz: „ProSieben wurde aufgrund seiner marginalen Wahlinformationsangebote in der Analyse nicht berücksichtigt [= Fußnote 1)] (Krüger & Zapf-Schramm, 2009, S. 635). 63 Zwar wird dieses Aufgreifkriterium in der Publikation des Wahlmonitors (Krüger & Zapf-Schramm, 2009) nicht erwähnt, allerdings konnte die Information darüber durch eine Nachfrage bei einem der Autoren (Dr. Udo Michael Krüger) in Erfahrung gebracht werden. 141 Dritte Analyseeinheit (Analyseebene) Aussage Codierung von Sprechertyp, Inzivilität, Rechtfertigung, Widerlegung, Aussagenlänge und Parteinennungen Kategoriensystem Erste Analyseebene (Nachrichtensendung) Datum Mit dieser Kategorie wird das Datum erfasst, an dem die zu codierende Nachrichtensendung ausgestrahlt wurde. Codiert wird es in der folgenden Form: JJMMTT. Somit wird an erster Stelle das Jahr, an zweiter der Monat und an dritter der Tag erfasst. Ausprägungen In dieser Studie werden die Hauptnachrichtensendungen, die vom 3. August bis zum 27. September 2009 ausgestrahlt wurden, untersucht. Diese Kategorie kann deshalb lediglich Werte annehmen, die einen Tag aus diesem Zeitraum beschreiben. Sender Diese Kategorie erfasst den Sender, auf dem die zu analysierende Nachrichtensendungen sowie Beiträge und Aussagen innerhalb der Sendungen ausgestrahlt wurde. In der vorliegenden Untersuchung erfolgt eine Analyse der Hauptnachrichtensendungen der beiden öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF sowie der beiden privaten Sender RTL und Sat.1. Deshalb kann diese Kategorie lediglich vier mögliche Ausprägungen annehmen. Ausprägungen 01 ARD 02 ZDF 03 RTL 04 Sat.1 Codieranweisung Datum sowie ausstrahlender Sender werden gemeinsam im Dateinamen der einzelnen ANVIL-Dateien erfasst. 142 Ankerbeispiele Bei der zu codierenden Nachrichtensendung handelt es sich um die Tagesschau, die am 22.09.2009 in der ARD ausgestrahlt wurde. Datum und Sender werden gemeinsam im Dateinamen erfasst. Dateiname: ARD_090922 Bei der zu codierenden Nachrichtensendung handelt es sich um sat.1 Nachrichten, das am 13.07.2009 auf sat.1 ausgestrahlt wurde. Datum und Sender werden gemeinsam im Dateinamen erfasst. Dateiname: SAT1_090713 Zweite Analyseebene (Beitrag) In Anlehnung an die obige Definition eines Beitrags werden auf der zweiten Analyseebene Merkmale erhoben, die ein Ausschnitt aus der Nachrichtensendung mit Bezug zur Bundestagswahl 2009 aufweist. Es wird das Thema des Beitrags, Themenaspekte, seine Länge sowie der Beitragstyp erhoben. Thema Da die Berichterstattung zur Bundestagswahl 2009 Gegenstand dieser Studie ist, kann sie in diesem Rahmen nicht als Thema betrachtet werden. Insofern ergibt sich das Thema eines Beitrags erst nach Beachtung des oben genannten Aufgreifkriteriums. Die Zuordnung erfolgt anhand der genannten Ausprägungen, wobei jeweils der Hauptfokus des Beitrags zu codieren ist. Eventuelle Nebenthemen werden in Form einer offenen Codierung festgehalten (siehe nächste Kategorie). Ausprägungen 01 Keine 12 Kosten/Preise/Löhne 02 Atomkraft/Energie 13 Familie/Kinder/Jugend 03 Europa 14 Steuern/Steuererhöhungen 04 Bundeswehr/Afghanistan/Terror 15 Gesundheitswesen/Pflege 05 Datenschutz/Internet 16 Rente/Alterssicherung 06 Zuwanderung 17 soziales Gefälle 07 Arbeitslosigkeit 18 Umwelt/Klima 08 Wirtschaftslage 19 Wahlkampf/Parteien-PR 09 Banken- und Finanzkrise 20 Koalitionen 143 10 Verdruss Politik/Politiker 21 Wahlberichterstattung 11 Bildung/Schule 22 Demoskopie 99 Sonstige Codieranweisung Eine Orientierung für die Codierung können in den Nachrichtensendungen vorkommende Inserts vor oder während des Beitrags bieten. Für eine detailliertere Analyse der behandelten Themen und zur Erfassung des Kontexts der Thematisierung werden außerdem Themenaspekte in einer offenen Form festgehalten; dies allerdings in einer weiteren Kategorie (siehe unten). Ankerbeispiele Jan Hofer: „Die Debatte um die Laufzeit der Atomkraftwerke nimmt keine Ende. Die Kanzlerin und der Bundesumweltminister trafen sich dazu heute in Berlin …“ Codierung: Thema: Atomkraft/Energie Peter Limbourg: „Die Jugendarbeitslosigkeit steigt weiterhin rasant an. In den Augen von Pädagogen ein Problem, das in engem Zusammenhang mit Jugendstraftaten steht.“ Codierung: Thema: Arbeitslosigkeit Sprecherton (Off): „… die kürzlich in Kraft getretene EURichtlinie zur Kennzeichnung von …“ Codierung: Thema: Europa Themenaspekte Im Anschluss an den InfoMonitor 2009 werden für jedes der in der Kategorie des Themas codierten Themen dabei angesprochene Aspekte erfasst (Krüger, 2010a, S. 72). Damit kann detaillierter aufgeschlüsselt werden, in welcher Art und Weise sowie Tiefe die jeweiligen Themen in der Berichterstattung behandelt werden. Ausprägungen (offene Codierung) Codieranweisung Hinsichtlich dieser Kategorie werden die Themenaspekte per Schlagwörter notiert. Da im Vorfeld keine Aussage über mögliche Ausprägungen möglich ist, wird eine offene 144 Codierung vorgenommen. Es ist zudem zu beachten, dass diese Kategorie nicht codiert werden muss, falls die Ausprägung innerhalb der Kategorie des Themas bereits den Inhalt des Beitrags ausreichend umschreibt. Ankerbeispiele Peter Limbourg: „Die Jugendarbeitslosigkeit steigt weiterhin rasant an. In den Augen von Pädagogen ein Problem, das in engem Zusammenhang mit Jugendstraftaten steht.“ Codierung: Themenaspekte: Jugendgewalt Sprecherton (Off): „… die kürzlich in Kraft getretene EURichtlinie zur Kennzeichnung von …“ Codierung: Themenaspekte: Gesetz, EU-Richtlinie Beitragslänge Hinsichtlich der Länge des Beitrags sind die oben genannte Kategorie des Themas sowie die dort dargelegten Anweisungen zu beachten. Die Beitragslänge ergibt sich somit aus der Dauer, den ein Sinnkomplex innerhalb der Nachrichtensendung einnimmt. Durch die Erfassung der Beitragslänge ist es möglich, die Ausgewogenheit der in der Berichterstattung der Themen nicht nur im Hinblick auf eine rein gezählte Häufigkeit sondern auch hinsichtlich des Umfangs zu beurteilen. Ausprägungen mm:ss Codieranweisung Diese Kategorie wird durch das Annotationsprogramm ANVIL, das zur Analyse verwendet wird, durch Setzen der Start- und Endpunkte für die Kategorie des Themas automatisch erfasst und muss deshalb durch die Codiererinnen nicht separat beachtet werden. Responsivitätsgehalt Die Kategorie des Beitragstyps dient als Indikator für das Deliberativitätskriterium der Responsivität. In Anlehnung an Ferree et al. (2002) bezeichnet sie das Vorhandensein einer dialogischen Struktur in einem Beitrag: “dialogic structure, measures the presence of speakers with opposing views in the same article” (Ferree et al., 2002, S. 240). Im Anschluss an Wessler (2008) sowie Bennett et al. (2004) sind zudem weitere Kriterien zu beachten: Es muss sich bei den verschiedenen Standpunkten um entgegen gesetzte 145 (und nicht gleiche oder ähnliche), Ansichten handeln, die von den Journalisten miteinander verbunden werden. Ein Standpunkt, der durch sie selbst ausgedrückt wird, wird hier nicht erfasst. Neben diesem Ausschlusskriterium werden alle Standpunkte gezählt, unabhängig von Sprechertyp und davon, ob es sich um einen O-Ton oder ein indirektes Zitat durch den Beitragssprecher handelt. In Anlehnung an Cottle & Rai (2006) wird der Responsivitätsgehalt in Form des Beitragstyps erfasst: In einem „Contest“ werden zwei Standpunkte von Akteuren gegenüber gestellt, jeweils durch Aussagen eines Reporters miteinander verbunden (Cottle & Rai, 2006, S. 172f.). In einer „Contention“ werden mehr als zwei Stimmen und Meinungen erwähnt, es handelt sich mehr um eine Konfliktstruktur, die jedoch ebenso durch einen Reporter geleitet wird (Cottle & Rai, 2006, S. 173f.). Ausprägungen 01 Contest 02 Contention 99 Sonstige Codieranweisung Da diese Kategorie auf Beitragsebene codiert wird, ist die obige Definition eines Beitrags zu beachten. In diesem Sinne wird für jeweils ein Thema erfasst, um welchen Beitragstyp es sich handelt, was bedeutet, dass sich der Responsivitätsgehalt auf die innerhalb der Kategorie „Thema“ codierte Ausprägung bezieht. Hierbei kommt es darauf an, dass mindestens eine Verknüpfung vorliegt, um den Beitrag als responsiv einzustufen. Insofern entscheidet die Anzahl der Standpunkte darüber, ob Ausprägung 01 (zwei Standpunkte) oder 02 (mehr als zwei Standpunkte) codiert wird. Wie oben dargelegt, werden von den Mitwirkenden an der jeweiligen Nachrichtensendung ausgedrückte Standpunkte hier nicht beachtet. Handelt es sich um die Nachrichtensendung Sat.1 Nachrichten, so wird ein von Peter Limbourg ausgedrückter Standpunkt nicht in die Analyse mit einbezogen. Sollte sich dagegen Steffen Seibert in den Sat.1 Nachrichten äußern, ist dieser mit zu codieren, da er zwar im Hinblick auf den Sender ZDF, nicht aber im Kontext des Senders RTL als Mitwirkender an der Nachrichtensendung bezeichnet werden kann. 146 Ankerbeispiele Angela Merkel (O-Ton): „… einen Mindestlohn braucht dieses Land nicht.“ Sprecherton (Off): „Der Finanzminister sieht das anders.“ Peer Steinbrück (O-Ton): „Ohne Mindestlöhne werden wir weiterhin Beschäftigte mit Dumpinglöhnen in Deutschland haben …“ [kein weiterer O-Ton bzw. Standpunkt im Beitrag] Codierung: Beitragstyp: Contest Angela Merkel (O-Ton): „… einen Mindestlohn braucht dieses Land nicht.“ Peer Steinbrück (O-Ton): „Ohne Mindestlöhne werden wir weiterhin Beschäftigte mit Dumpinglöhnen in Deutschland haben …“ [kein weiterer O-Ton bzw. Standpunkt im Beitrag; zudem keine durch den Beitragssprecher hergestellte Verknüpfung] Codierung: Beitragstyp: Sonstiger Dritte Analyseebene (Aussage) Sprechertyp Die Kategorie des Sprechertyps erfasst alle Aussagen, d. h. sowohl O-Töne als auch Äußerungen von Nachrichten- und Beitragssprechern, die in den Nachrichtensendungen vorkommen. Die Kategorie dient damit zum einen als Indikator für das Deliberativitätskriterium der Inklusivität (Sprecher und Parteien) und liefert Informationen darüber, wer in der medialen Berichterstattung – neben den Medien selbst – zu Wort kommt und Raum für den Ausdruck seiner Meinung erhält. Für diesen Zweck wird im Zuge der Auswertung Ausprägung 31 keine Beachtung finden. Zum anderen liefert diese Kategorie detailliertere Informationen im Hinblick auf alle drei Deliberativitätskriterien der Diskursqualität und beantwortet in diesem Sinne, wie zivil sich verschiedene Sprecher verhalten und wie häufig sie Rechtfertigungen und Widerlegungen verwenden. Ausprägungen 01 Zentrum des politischen Systems 147 11 Legislative/Parteien 111 CDU/CSU 112 FDP 113 SPD 114 Die Grünen 115 Die Linke 119Sonstige: (offene Codierung) 12 Verwaltung und Regierung 121 CDU/CSU 122 SPD 129 Sonstige /ohne Partei 13 Judikative 02 Peripherie des politischen Systems 21 Interessengruppen, -verbände 22 soziale Bewegungen 23 Experten/Intellektuelle 24 Advokaten 25 Problembetroffene/Bürger 26 Künstler/Prominente 27 Journalisten und andere Medienschaffende (Nicht-Angehörige der Nachrichtensendung) 03 Journalisten (Angehörige der Nachrichtensendung) 99 Sonstige Codieranweisung Hinsichtlich der Codierung ist anzumerken, dass hier stets die Kategorie codiert wird, die in dem jeweiligen Beitrag bzw. der Aussage relevant ist. So kann beispielsweise Angela Merkel sowohl als Mitglied des Bundestages als auch in ihrer Eigenschaft als Kanzlerin zu Wort kommen. Codiert wird also der im Vordergrund stehende Sprechertyp. Sollten in einem Beitrag nacheinander zwei Positionen eines Sprechers von Relevanz sein oder zwei Positionen eine vergleichbare Rolle spielen, so wird hier eine Doppelcodierung vorgenommen. Dabei gilt stets, dass es keine Rolle spielt, ob der Sprechertyp durch visuelle (z. B. durch eine „Bauchbinde“) oder auditive (z. B. durch den Text des Beitragssprechers) Informationen übermittelt wird. Zudem ist anzumerken, dass eine einmalige Zuordnung oder Bezeichnung eines Sprechers ausreichend ist, d. h. wird seine Position in einem ersten O-Ton genannt, so wird auch ein eventueller zweiter O-Ton entsprechend codiert, auch dann, wenn die Bezeichnung nicht noch einmal er148 neut vorgenommen wird. Dies gilt selbstverständlich nur bei einer nicht vorhandenen zweiten Bezeichnung und nicht dann, wenn sich die Bezeichnung (wie oben beschrieben) ändern sollte. In Bezug auf die Ausprägungen innerhalb der Gruppe der Legislative/Parteien ist anzumerken, dass hier lediglich die im Bundestag vertretenen Parteien namentlich aufgeführt sind, sonstige (eventuell) innerhalb der Berichterstattung zu Wort kommende Parteien jedoch ebenfalls erfasst werden sollten. Somit ist im Falle der Codierung von Ausprägung 119 – falls möglich – die zutreffende Partei in Form einer offenen Codierung zu notieren. Ankerbeispiele Gregor Gysi: „… was im Grunde die Aufgabe der Kanzlerin gewesen wäre …“ Codierung: Sprechertyp: Legislative/Parteien: Die Linke Frank Bsirske: „… den Mindestlohn zu verwirklichen. In der großen Koalition wird das kaum durchzusetzen sein.“ Codierung: Sprechertyp: Interessengruppen, -verbände Richard David Precht: „Philosophisch betrachtet ist das ein Thema, was die Menschheit seit jeder beschäftigt und damit auch die Bürger in Bezug auf diese Bundestagswahl.“ Codierung: Sprechertyp: Experten/Intellektuelle Franz Beckenbauer: „Als Bayer wähle ich schon seit Jahrzehnten dieselbe Partei. Das wird sich auch in diesem Jahr nicht ändern.“ Codierung: Sprechertyp: Künstler/Prominente Steffen Seibert: „Als Journalist hält man sich mit Parteipräferenzen zurück.“ [ausstrahlender Sender: ARD] Codierung: Sprechertyp: Journalisten und andere Medienschaffende: Nicht-Angehöriger der Nachrichtensendung 149 Psychologe: „Die Jugendarbeitslosigkeit belastet die Gesellschaft. Das merkt man auch in unserem Beruf. Die neue Regierung muss da unbedingt Lösungen finden.“ Codierung: Sprechertyp: Advokaten Inzivilität Der Indikator Inzivilität misst in wie weit die Debattenteilnehmer, aber auch die Medienschaffenden gegen die für deliberative Diskurse zentrale Zivilitätsnorm verstoßen. Inzivilität meint hier „being [...] unusually impolite” (Mutz, 2007, S. 624), sowie ein Gebrauch von nonverbal cues (such as rolling of the eyes) and phrases devoid of explicit political content (such as “You have completely missed the point here!”). The candidates in the uncivil condition also raised their voices and interrupted one another. In the civil version, the politicians spoke calmly throughout and were patient and respectful while the other person spoke (Mutz, 2007, S. 625). Zu inzivilem Verhalten der Debattenteilnehmer gehört andererseits auch der Gebrauch von „hot button language, that is, words that are likely to outrange opponents“ (Ferree et al., 2002, S. 239). In Anlehnung an Deana A. Rohlinger, wird hier außerdem die Ausprägung „Herabwürdigender Sprachgebrauch“ eingeführt, da die Ausprägung „Gebrauch von Schimpfwörtern“, welche sich aus der „hot button language“ (Ferree et al., 2002, S. 239) ergibt im Kontext der untersuchten Hauptnachrichtensendungen als ein wenig eng erscheint, schließlich gibt es neben der Verwendung eines Schimpfwortes andere rhetorische Mittel, die nicht zivil sind. Unter diese Ausprägung fallen auch rhetorische Figuren wie Zynismus, Ironie oder Sarkasmus. Eine weitere Dimension von Inzivilität ist der Umgang der Medienschaffenden mit den Debattierenden. Aussagen von Sprechen können daher auch durch Schnitte unterbrochen werden, ein Schnitt unterbricht eine Aussage jedoch nur, wenn die Aussage des Sprechers durch ihn semantisch unvollständig oder sinnlos wird. Eine weitere Dimension von Inzivilität bildet die Kameraperspektive. Kameraeinstellungen, die nur das Gesicht eines Akteurs zeigen werden als inziviler gegenüber denen, die auch noch den Oberkörper oder die ganze Person des Sprechers zeigen definiert. Zu einer inzivilen Darstellung zählen damit die Kameraeinstellungen die Akteure oder Teile von Akteuren in der Großen (close-up) oder der Detailaufnahme (extreme closeup) zeigen. Unter einer Großen wird in Anlehnung an Borstnar, Pabst und Wulff eine Kameraeinstellung verstanden, die „das Gesicht einer Figur oder ein kleineres Objekt (z.B. eine Tasse) bildfüllend [erfasst]“ (Borstnar, Pabst & Wulff, 2002, S. 91). Bei einer 150 Detailaufnahme hingegen wird „ein Detail eines Gesichtes (z.B. das Auge) oder ein sehr kleines Objekt (...) formatfüllend abgebildet“ (Borstnar, Pabst & Wulff, 2002, S. 91).64 Somit lässt sich Inzivilität in zwei Dimensionen unterschieden: Inziviles Verhalten der Debattenteilnehmer selbst und eine inzivile Inszenierung der Teilnehmer durch das Medium. Inzivilität wird auf zwei Ebenen erhoben: der akustischen und der visuellen Ebene. Ausprägungen Akustische Ebene: 01 Gebrauch von Schimpfwörtern 02 Herabwürdigender Sprachgebrauch 03 Unterbrechung durch einen Sprecher 04 Unterbrechung durch das Medium 05 Persönlicher Angriff auf einen anderen Akteurs Visuelle Ebene: 06 Non-verbale Unhöflichkeiten 07 Inzivile Kameraeinstellung 99 Sonstige: (offene Codierung) Codieranweisung Ist in einer Sprecheraussage eine solche Ausprägung aufzufinden, so wird die gesamte Sprecheraussage codiert. Sind mehrere Inzivilitäten innerhalb einer Aussage zu finden, werden alle codiert, wobei die Reihenfolge der Codierung keine Rolle spielt. Sollten die vorhandenen Möglichkeiten nicht ausreichen um alle Inzivilitäten festzuhalten oder noch weitere Verstöße gegen die Zivilitätsnorm auffallen, die nicht in den Ausprägungen aufgeführt sind, so sind diese in der Ausprägung 99 festzuhalten. Ankerbeispiele O-Ton (Bürger): „und Frauen wie die Kanzlerin haben ja sowieso wenig Ahnung von Familienpolitik!“ Codierung: 64 Inzivilität: Persönlicher Angriff auf einen anderen Akteur Für Erläuterungen weiterer Kameraeinstellungen siehe Borstnar, Pabst & Wulff, 2002, S. 91. 151 O-Ton (Politiker): „Die Vorwürfe sind vollkommen an den Haaren herbeigezogen, das kann nur ein Spinner von der FDP gewesen sein, der sich das ausgedacht hat.“ Codierung: Inzivilität: Gebrauch von Schimpfwörtern Codierung: Inzivilität: Inzivile Kameraeinstellung Rechtfertigung Ein wichtiges Element in deliberativen Diskursen ist die Rechtfertigung. Diese werden verstanden als „the demand to give reasons for a claim” (Wessler, 2008, S. 10). Rechtfertigung sind Aussagen, die durch eine Begründung des Urhebers gestützt werden. Hierbei muss zwischen Begründung, Beweis und Erklärung unterschieden werden: Begründungen begründen, warum etwas getan wird, oder getan werden soll, warum bestimmte Ziele und Interessen verfolgt werden oder verfolgt werden sollen. Beweise beweisen, daß etwas so ist, wie behauptet wird. Erklärungen erklären, warum etwas so ist wie es ist (Kuhlmann, 1999, S. 327). In dieser Analyse wird eine Mischung der Vorgehensweisen von Kuhlmann einerseits Gerhards, Neidhardt und Rucht andererseits herangezogen. Die einfache Umsetzung von Rechtfertigung, wie Gerhards, Neidhardt und Rucht sie vorschlagen, wird beibehalten und durch die oben dargestellte Unterscheidung zwischen Begründung, Erklärung und Beweis von Kuhlmann erweitert. 152 Ausprägungen 01 Aussage allein 02 Aussage mit Begründung 03 Aussage mit Beweis 04 Aussage mit Erklärung 99 Sonstige (offene Codierung) Codieranweisung Codiert wird hier stets die komplette Sprecheraussage (Definition siehe oben). In einer Aussage können durchaus mehrere Elemente, also beispielsweise eine Begründung und eine Erklärung, vorkommen, Mehrfachcodierungen sind also möglich. Hierbei spielt es keine Roller welche der Ausprägung zuerst codiert wird. Sollten die vorhandenen Auswahlmöglichkeiten nicht ausreichen um alle Rechtfertigungen einer Sprecheraussage zu erfassen, so bleibt die Möglichkeit diese zusätzlich im Feld „Sonstige“ festzuhalten. Ankerbeispiele Sprecher (Einspieler): „Die CDU fordert eine Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke, da sie die daraus erzielten Gewinne in Familienpolitik investieren möchten.“ Codierung: Rechtfertigung: Aussage mit Begründung O-Ton (Experte): „Die Steuersenkung der FDP ist nicht wünschenswert, weil Deutschland bereits sehr hoch verschuldet ist.“ Codierung: Rechtfertigung: Aussage mit Erklärung Moderator: „Wie Sie den hier dargestellten Ergebnissen einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen entnehmen können, würden 30 % der Deutschen, würde am kommenden Sonntag gewählt werden, die CDU wählen.“ Codierung: Rechtfertigung: Aussage mit Beweis Widerlegung Widerlegung bezeichnet die „presence of an idea that refers to and argues against an idea that it opposes [Hervorhebung im Original]” (Wessler, 2008, S. 10). Die Variable beinhaltet zwei Aspekte: Einerseits den Bezug von Aussagen auf Ideen oder Vorstel153 lungen eines anderen Akteurs, andererseits aber zusätzlich zu dem Bezug auch noch das Anbringen eines Gegenarguments. Aufgrund des besonderen Kontextes dieser Studie wird nicht wie in anderen Untersuchungen themenspezifische Cluster von „rebuttalideas“ (Ferree et al., 2002, S. 241) untersucht, sondern vielmehr allgemeiner überprüft, ob Widerlegungen von Sprechern im Diskurs verwendet werden. Ausprägungen 01 Kein Bezug vorhanden 02 Aussage mit Bezugnahme 03 Aussage mit Gegenargument 99 Sonstige (offene Codierung) Codieranweisung Liegt eine der aufgeführten Ausprägungen in einer Sprecheraussage vor, so wird, wie bei den Rechtfertigungen stets die ganze Aussage codiert. Finden sich in einer Aussage mehrere Ausprägungen, beispielsweise mehrere Gegenargumente, so wird auch hier mehrfach codiert. Es spielt auch hier keine Rolle in welcher Reihenfolge die Ausprägungen, sollten es mehrere sein codiert werden. Falls die vorhandenen Möglichkeiten nicht ausreichen um alle Ausprägungen festzuhalten, so ist dies unter der Ausprägung 99 nachzuholen. Ankerbeispiele O-Ton (Experte): „...ich stimme Herrn Westerwelle in seiner Forderung nach einer Steuersenkung nicht zu...“ Codierung: Widerlegung: Aussage mit Bezugnahme O-Ton (Politiker): „...der Plan die Lohnnebenkosten zu senken um Arbeitsplätze zu schaffen, wird nicht funktionieren, vielmehr werden die Arbeitgeber mehr Angestellte entlassen um auf die Wirtschaftskrise zu reagieren...“ Codierung: Widerlegung: Aussage mit Gegenargument Aussagenlänge Hinsichtlich der Länge der Aussage ist die oben genannte Definition zu beachten, wodurch sich die Aussagenlänge durch Anfang und Ende einer Sprecheraussage ergibt. Im 154 Hinblick auf die Studie dient sie der Erfassung von sound bites und damit zur Beurteilung des Kriteriums der Ausgewogenheit im Hinblick auf die Parteienpräsenz (über den Sprechertyp). Ausprägungen mm:ss Codieranweisung Diese Kategorie wird durch das Annotationsprogramm ANVIL, das zur Analyse verwendet wird, durch Setzen der Start- und Endpunkte einer Aussage automatisch erfasst und muss deshalb durch die Codiererinnen nicht separat beachtet werden. Parteinennung Durch diese Kategorie wird erfasst, welche Parteien durch Sprecher genannt werden. Es spielt keine Rolle, welcher Sprecher eine Partei nennt. Zu beachten ist allerdings, dass mit dieser Kategorie ausschließlich sprachliche und explizite Nennungen der Partei erfasst werden, d. h. nicht implizite Nennungen über ein Parteimitglied (siehe dazu drittes Ankerbeispiel). Zu expliziten Nennungen werden auch die häufig verwendeten Parteibezeichnungen „Union“ (CDU/CSU), „Sozialdemokraten“ (SPD) und „Liberale“ (FDP) gezählt, dagegen nicht Bezeichnungen durch Farben (wie z. B. „Schwarz-Gelb“). Ausprägungen 01 CDU/CSU 02 SPD 03 FDP 04 Bündnis 90/Die Grünen 05 Die Linke 99 Sonstige: (offene Codierung) Codieranweisung Nennt ein Sprecher eine der in den Ausprägungen 1 bis 5 genannten Partei, so wird diese codiert. Dabei gilt die Regel: Codierung pro Nennung. Dies bedeutet, dass jede Nennung codiert wird, sowohl von mehreren als auch von derselben Partei in einer Aussage. Wird eine andere Partei namentlich erwähnt, so ist Ausprägung 99 zu codieren und zeitgleich festzuhalten, um welche Partei es sich handelt. Damit können im Nachhinein etwaige sonstige, (relativ) häufig genannte Parteien in die Analyse mit einbezogen werden. 155 Ankerbeispiele Peter Limbourg: „Die SPD schwieg zu den Vorwürfen.“ Codierung: Parteinennung: SPD Angela Merkel: „Es ist erstaunlich, mit welchen Mitteln die Piratenpartei in diesem Bundestagswahlkampf junge Wähler ansprechen kann.“ Codierung: Parteinennung: Sonstige: Die Piraten Steffen Seibert: „Guido Westerwelle kann sich der Unterstützung seiner Partei sicher sein.“ Codierung: keine Codierung (!) 156 8.4 Die Specification File <?xml version="1.0" encoding="ISO-8859-1" standalone="no"?> <annotation-spec> <head> <valuetype-def> <valueset name="Themen"> <value-el>Atomkraft/Energie</value-el> <value-el>Europa</value-el> <value-el>Bundeswehr/Afghanistan/Terror</value-el> <value-el>Datenschutz/Internet</value-el> <value-el>Zuwanderung</value-el> <value-el>Arbeitslosigkeit</value-el> <value-el>Wirtschaftslage</value-el> <value-el>Banken- und Finanzkrise</value-el> 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