CI-Forum 2015: Die Entwicklung vom Baby bis zum Lernenden
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CI-Forum 2015: Die Entwicklung vom Baby bis zum Lernenden
intern CI-Forum 2015: Die Entwicklung vom Baby bis zum Lernenden Haben die im Babyalter CI-versorgten Kinder in ihrer Entwicklung Vorteile? Ist eine Regelschule oder eine Sonderschule besser? Wie finden Jugendliche mit Hörhandicap ihre Identität? Welche Berufe sind geeignet? Das von pro audito schweiz getragene CI-Forum von Ende Oktober ging diesen und anderen Fragen nach. Das Programm des CI-Forums im Paraplegikerzentrum Nottwil, moderiert von Thomas Linder, CI-Spezialist am CI-Zentrum des Luzerner Kantonsspitals, und Andrea Gerfin, Geschäftsführerin pro audito schweiz, war dicht, interessant, aber auch anspruchsvoll. In einem ersten Teil führte der Pädaudiologe Peter Oppermann (Kantonsspital Luzern) in die Thematik der CIVersorgung bei Kindern und Jugendlichen ein und erläuterte das Vorgehen bei Hörscreenings nach der Geburt. «Auf 1000 Geburten kommen ein bis zwei Babys die wegen einer Fehlanlage im Innenohr eine Hörstörung aufweisen». Die Hörtests, so Oppermann, dauerten rund zwei Minuten. Sie seien schmerzfrei. Gehörlos geboren Die beiden Familien Mauro und Liefert gaben Einblick in die Zeit nach der Geburt, in der sie erfuhren, dass ihre Kinder hochgradig schwerhörig seien. Für beide Elternpaare war die Nachricht, dass ihre Kinder nicht hören konnten, zuerst ein Schock. Ivan, Kind der Familie Mauro, erhielt nach einem Monat erste Hörgeräte. «Wir wollten für Ivan die beste und eine schnelle Lösung. Das war ein Cochlea Implantat. Zeit, um zu trauern blieb nicht». Mauros führten mit Fachleuten viele Gespräche, suchten aber vor allem auch Kontakt zu anderen Eltern. «Das war sehr hilfreich». Ivan erhielt beide CI`s gleichzeitig. Leandro, der zweite Sohn, kam ebenfalls gehörlos zur Welt. «Aber Thomas Linder und Andrea Gerfin moderierten das CI-Forum.. bei ihm ging alles schnell, denn wir kannten ja die Prozesse bereits.» Für die Familie Mauro war dies dann der Auslöser für genetische Abklärungen. «Wir wissen nun, dass wir beide Träger dieses Gendefekts sind», so die Eltern. Für die Familie Liefert, deren Tochter Eline hörbehindert zur Welt kam, begann zuerst eine lange Suche nach der besten Lösung. Sie klärten auch alternativmedizinische Therapien ab. «Das Schlimmste war, als wir erkennen mussten, dass es gar keine Therapie gab, sondern nur der Weg einer Implantation.» Eline erhielt wie Ivan zuerst Hörgeräte. «Sie hat nicht wirklich reagiert.» Oppermann: «Es ist sinnvoll, es mit Hörgeräten zu versuchen. Aber nicht jedes Kind braucht zuerst Hörge- dezibel 4/2015 Das CI-Forum 2015 fand im Paraplegiker-Zentrum Nottwil statt. Fotos Karin Huber. 27 intern CI-Forum 2015: … Berufsfindung bei Jugendlichen Norbert Kobler ist Eingliederungsfachmann bei der IV-Stelle Kanton Bern und zuständig für die Berner Schülerinnen und Schüler am Landenhof. In seinen Ausführungen zum Thema «Ist die Hörbehinderung kein Problem bei der Berufsbildung?» ging er insbesondere auf seine Praxis-Erfahrungen ein. Beim Prozess der Berufsfindung ist es für Jugendliche besser, wenn sie anhand von Berufsbildern (Fotos) jene Berufe auswählen könnten, die sie interessieren würden. Denn Jugendliche würden viele Berufe, wie sie in den Berufsfelder-Tests beschrieben würden, gar nicht kennen und könnten sich so auch nichts darunter vorstellen. «So sind berufliche Fehlentscheide vermeidbar». Kobler weiss: Jugendliche Hörbehinderte brauchen oft länger in der Berufsfindung und länger, bis sie die Berufsreife erreichen. Sie brauchen Zeit, in der hörenden Welt Fuss zu fassen und sie brauchen Vertrauen. Eine praktische Erprobung von Berufen ist wichtig wie auch eine wachsame Begleitung durch die Ausbildung und systemische Zusammenarbeit. dezibel 4/2015 Hörbehinderte Jugendliche werden auch während der Ausbildung von IVEingliederungsfachpersonen begleitet. Auch leistet die IV Unterstützung während eines Studiums. Da nicht alle IVStellen Eingliederungsfachpersonen wie Norbert Kobler beschäftigen, sollten Eltern von hörbehinderten Kindern auf die IV-Stelle ihres Wohnortes zugehen und die Unterstützung einfordern. 28 räte». Thomas Linder, der bereits viele Kinder mit einem CI versorgt hat, weiss, dass der CI-Entscheid meist rasch nach der zweiten negativen Hörtestung kommt. Zu den Abklärungen am CI-Zentrum des Kantonsspitals Luzern gehört gemäss Linder auch eine MRI-Untersuchung des Gehörs. «Fehlbildungen, bei denen der Hörnerv nicht ausgebildet ist, sind selten. In diesen Fällen würde ein CI nichts nützen». Die Akzeptanz Anders als die Familie Mauro, die sich nach den Erfahrungen anderer betroffener Eltern erkundigte, wählte die Familie Liefert ihren eigenen Weg. «Wir waren zu diesem Zeitpunkt nicht zu Diskutierten über integrative Einschulungen: v.l.n.r.: Ruth Linsenmayr, Lilo Ochsner, Monica VonderMühll, Robert und Liselotte Oesch, Eltern von Dorian. einem Austausch bereit und zogen uns zurück. Doch wir fühlten uns im Spital gut aufgehoben, waren immer auch gut informiert. Aber heute, bei den Gruppentreffen des audiopädagogischen Dienstes, geniessen wir diesen Austausch». Beide Familien schilderten auch die Zeit nach der Operation mit Röntgenkontrollen, Funktionsmessungen, dem Verhalten der Kinder. «Es dauerte Monate, bis Eline die CI`s tragen wollte», so Lieferts. «Unsere Kinder akzeptierten die CI`s jedoch von Anfang an», sagten Mauros. Gemäss den Erfahrungen Oppermanns und Linders ist eine Frühimplantation für die Entwicklung der Kinder das Beste. Die fünf Schweizer CI-Zentren, darunter jenes am Kantonsspital Luzern, unterstützen die Eltern in vielen Belangen. Sie nehmen ausser den audiologischen und radiologischen Untersuchungen auch die Finanzierungsfragen an die Hand. Wie entwickelt sich ein CI-Kind? Rainer Truninger, Oberarzt Entwicklungspädiatrie am Kinderspital Zürich, stellte aufgrund von Untersuchungen ebenfalls fest, dass Kinder so früh wie möglich implantiert werden sollten. «Ein Kind, das erst mit 7 Jahren oder später ein CI erhält, kann nicht mehr von der lautsprachlichen Entwicklung profitieren, da das Gehirn nach so vielen stillen Jahren nicht mehr auf Hörreize reagieren kann». Da Kinder zu- dem zwischen ein und sieben Jahren intuitiv lernen würden, spreche auch das für eine frühe Implantation und frühes Lernen der Gebärdensprache. Truninger erläuterte anhand von Dorian, der im Alter von vier Monaten sein Gehör durch eine Hirnhautentzündung verloren hatte und mit 8 ½ Monaten implantiert wurde, das Entwicklungsprofil von Kindern. Das logische Denken, die visuelle Gestalterfassung und das soziale Verhalten von Dorian seien gut, die Sprachentwicklung durchschnittlich entwickelt. Auch verfüge Dorian über gute Strategien, mit seiner Schwerhörigkeit umzugehen. So sage er, wenn er etwas nicht versteht und wann er «Ohr-Pausen» brauche. Tests mit CI-Kindern zeigten jedoch auch, dass die Entwicklung insbesondere in der Lautsprachentwicklung unterschiedlich verlaufe, die Unterschiede zu den hörenden Kindern jedoch gross seien. Wichtig erachtet Truninger, dass die Eltern dem CIKind eine reichhaltige Sprache anbieten, dass sie vieles wiederholen und ihnen oft vorlesen sollten. «Die auditive Merkfähigkeit ist aber nicht trainierbar». Regelschule, Sonderschule? Über die Erfahrungen der Einschulung von Kindern mit CI berichteten Dorians Eltern Liselotte und Robert Oesch sowie Monica Vonder Mühll, Leiterin audiopädagogischer Dienst Landenhof, Lilo Ochsner, audiopädagogische intern CI-Forum 2015: … Norbert Kohler, Eingliederungsfachmann IV-Stelle Kanton Bern. Die Familie Liefert hat ein CI-implantiertes Kind. Die Familie Mauro hat zwei CI-implantierte Kinder Beraterin und Ruth Linsenmayr, Regelschul-Lehrerin. Die Einschulung von Dorian, die unterstützt wurde von einer audiopädagogischer Früherziehung, ist gemäss den Eltern von Dorian gut verlaufen. Im Schulalltag zeigte sich, dass der oft hohe Lärmpegel problematisch ist. «Weil Dorian nicht immer alles verstehen kann und auch nicht alles versteht, was er verstanden hat, ist er abends oft ausgelaugt.» Bis zum Übertritt in die Oberstufe besuchte Dorian (12) die Regelklasse. Der Wechsel in die Oberstufe zeigte: Er hatte zu viele Lehrpersonen, die zudem mit dem Handling der FM-Anlage nicht immer zurechtkamen. Für ihn war die normale weiterführende Regelschule keine Lösung. Nach einem Schulversuch am Zürcher Zentrum frü Gehör und Sprache mit täglichem Pendeln, entschieden sich Dorian und seine Familie dann aber für das Internat an der Landenhofschule. Die Trennung empfinden sowohl die Eltern als auch Dorian als schwierig. «Aber wir haben das jetzt so akzeptiert. Der Landenhof bietet für hörbehinderte Kinder die besten Voraussetzungen.» Neuheiten, Entwicklung ten über ihre CI-Entwicklungen und Neuheiten. Im Weiteren ging die Psychologin Irene Eckerli auf das Thema «Identitätsfindung von Jugendlichen mit Hörhandicap» ein. Thomas Linder befragte Timea Mattman, die trotz ihrem CI den Beruf der Kleinkinderziehung und Berufsbildnerin gewählt hat, zu ihren persönlichen und beruflichen Erfahrungen. Auch zeigte Linder ein Video von zwei Schwestern, beide mit CI, von denen sich die eine dazu entschlossen hat, ihr CI nach zehn Jahren wegen ständiger Kopfschmerzen explantieren zu lassen. Linder: «Nur zwei Prozent profitieren nicht von einem CI. Für die Mehrheit der CI-Tragenden ist das Implantat ein Vorteil». Mehr über das Thema «Identitätsfindung von Jugendlichen mit Hörhandicap» und über die Erfahrungen von Timea Mattmann publizieren wir in einer der nächsten dezibel-Ausgaben. Die drei CI-Hersteller Advanced Bionics, Cochlear und Med-El informier- Karin Huber Integrative Einschulung Für eine integrative Einschulung plädierten Vonder Mühll, Lilo Ochsner und auch Ruth Linsenmayr. Der Entscheid werde ja alle halbe Jahre neu überprüft. Die audiopädagogischen Dienste, die Heilpädagogen und Logopäden leisteten dabei wichtige Arbeit. Der Nachteilsausgleich, der zu beantragen ist, sei eine wichtige Unterstützung für die Kinder. Sei der Leidensdruck für ein Kind in der Regelschule zu gross, dann sollte man auch andere Möglichkeiten in Betracht ziehen, so Ochsner. «Das Kind merkt selber, was am besten für es ist». Weitersagen und ausprobieren: Der von pro audito schweiz lancierte Telefon-Hörcheck ist ausgezeichnet dafür geeignet, sein Gehör zu «testen». Wie gut hören Sie noch? Ein Anruf genügt, um schnell und preisgünstig zu überprüfen, wie gut das eigene Gehör ist. pro audito schweiz bietet unter der TelefonNummer 0900 400 555 (50 Rappen/Min. ab Festnetz) einen wissenschaftlich fundierten Hörcheck an. Dieser Telefon-Hörcheck von pro audito schweiz ist diskret, anonym und zu Hause in wenigen Minuten durchführbar. Der Hörcheck sollte auf beiden Ohren gemacht werden. Die Auswertung über das Hörvermögen erfolgt während des Telefonanrufes. Es wird geprüft, wie gut jemand versteht, wenn Sprache mit Hintergrundgeräuschen unterlegt ist. Mit solchen schwierigen Hörsituationen wird man täglich auch im Alltag konfrontiert. Wer sie meistert, hört meist gut. Die Anrufenden werden durch das Gespräch geleitet. Wird festgestellt, dass das Gehör nicht mehr ganz gut ist, werden die Anrufenden aufgefordert, genauere Abklärungen beim Ohrenarzt oder Akustiker vornehmen zu lassen. Für kostenlose Beratungen steht pro audito schweiz in Zürich (www.pro-audito.ch) zur Verfügung. dezibel 4/2015 0900 400 555 Telefon-Hörcheck (50 Rappen/Min. ab Festnetz) 29