Totem Testbericht LP Jahrbuch Sttaf CH - High

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Totem Testbericht LP Jahrbuch Sttaf CH - High
62 Exklusivtest: Totem Acoustic Sttaf
Frisch,
fromm,
fröhlich,
frei
Wenn Sie bei diesen Standlautsprechern, die vollkommen unauffällig
in der Ausführung „Esche furniert
schwarz“ daherkommen, an Modelle aus einem großen Elektronikhaus,
dessen Name mit c anfängt, denken,
mögen Sie rein optisch gesehen vielleicht nicht so ganz Unrecht haben.
Bitter Unrecht tun Sie den Totem
Acoustic Sttaf mit dieser Einschätzung
allerdings mehr als nur ein bisschen,
sobald wir über das sprechen, was
klangentscheidend ist
Nr_1-2013
Exklusivtest 63
W
as diesen Lautsprecher ausmacht
sind nicht etwa ein hochglänzendes,
extrovertiert daherkommendes Gehäuse und vergoldete Membranen, sondern
eine ganze Menge cleverer Detaillösungen,
Pioniergeist, Kreativität, der Mut, neue
Wege zu gehen und ein unabänderlicher
Wille, einem gewissen Klangideal ganz
nahe zu kommen – und das zu einem
bezahlbaren Kurs. Heraus kam als neueste Kreation des Hauses die Sttaf. Vince
Bruzzese ist, wenn man den Namen hört,
erst mal gänzlich unverdächtig, als treibender Geist und Besitzer hinter einem
kanadischen Lautsprecherhersteller zu stecken. Und doch: Seit über 20 Jahren entwickelt und baut er diese ungewöhnlichen
Lautsprecher von Totem Acoustics, die nur
eine Mission haben: sein Klangideal zu erreichen. Dabei geht er ganz eigene Wege.
Wo die große Mehrzahl der Hersteller auf
messtechnisch perfekte Konstruktionen
setzt, ist Herr Bruzzese vielmehr davon
überzeugt, dass der Spaß und das emotionale musikalische Erlebnis, das alle
Musikliebhaber eigentlich suchen, nicht
unbedingt (nur) damit gefunden werden
können. Teil seines Konzeptes (oder eher
eine Nebeneffekt seiner Konzentration
auf das absolut Nötige) ist eben auch die
betont schlichte optische Erscheinung zumindest der kleineren Modelle aus dem
Hause Totem Acoustic. Das verleitet leider dazu, die Lautsprecher mental in die
Bastelecke oder gar (geben Sie’s ruhig zu!)
in die Billig-Schnäppchen-Ecke großer
Warenhäuser zu stecken. Doch das ist ein
großer Fehler. Als ich vor Jahren für eine
Zeit in den USA weilte, besuchte ich einen kleinen Händler in Salt Lake City. Bei
dem stand eine kleine Wiedergabekette,
bestehend aus Naim-Elektronik und sehr
kleinen, mir zu dem Zeitpunkt gänzlich
unbekannten Lautsprechern. Das waren
die Totem Acoustic Arrow. Und nach wenigen Augenblicken glaubte ich meinen
Ohren nicht mehr trauen zu können: Was
da rauskam, konnte doch unmöglich das
Werk dieser Winzlinge sein? War es aber
– und ein Augenöffner.
Und nun haben wir hier ein sehr ähnliches
Modell, die Sttaf. Ein klassischer, minimalistisch aufgebauter Standlautsprecher mit
einem 14-cm-Tiefmitteltöner und einer
Anlage
Plattenspieler:
· Transrotor ZET 3 mit SME5012
und Transrotor Merlo Reference
CD-Player:
· CEC CD 3 N mit DA 3 N
Der wenig bedämpfte Tiefmitteltöner
spielt so frei auf, wie es nur möglich ist
25-mm-Textilkalotte. Die Frequenzweiche
zweiter Ordnung (Flankensteilheit ist 12
dB pro Oktave) trennt beide Chassis bei
2,5 kHz, also relativ weit oben – gut für die
Kohärenz im wichtigen Stimmenbereich.
Lautsprechergehäusen wird ja generell
viel Aufmerksamkeit geschenkt, schließlich haben sie maßgeblichen Einfluss auf
den Klang. In diesem Fall ist die Liebe
zum Detail fast schon obsessiv: Die Fugen
zwischen den Platten werden mit ineinandergreifenden Gehrungen ausgeführt, um
ausgezeichnete Passform, hohe Stabilität
und perfekte Abdichtung zu erzielen. Insgesamt scheint die gewählte Bauform absichtlich ziemlich leichtgewichtig zu sein
(das Panel der Rückseite ist nur 11 mm
dick) – vermutlich, um den Verlust von
akustischer Energie im Gehäuse zu minimieren. Darüber hinaus kann man weit
und breit keine dämpfende Füllung innerhalb des Gehäuses selbst finden. Mutig! Die
Säule selbst wird durch zwei
Querstreben versteift. Die
obere ist abgewinkelt und hat
große Löcher, um akustische
Kontinuität zu gewährleisten
und um die Entstehung stehender Wellen zu vermeiden.
Die untere dichtet eine Kammer am Boden des Gehäuses
ab – hier lassen sich bis zu 4,5
Kilogramm Füllmaterial einbringen, die bei Resonanzen
Phonoverstärker:
· Trigon Advance
· PS Audio GCPH modifiziert
· Audio Research
Reference Phono 2 SE
Verstärker:
· Lindemann 830S und 858
· Tsakaridis Aeolus Plus
· Malvalve Preamp Four
und Accustic Arts AMP II
Zubehör:
· Netzfilter PS-Audio Power Plant
· Phonokabel: WSS,
Horn Audiophiles
· NF-Kabel: Van den Hul,
Horn Audiophiles
· Lautsprecherkabel: Silent Wire
· Racks und Basen: SSC, Thixar,
Tabula Rasa
So hat man früher gute Laustprecher
gebaut - warum sollte es heute anders sein?
Gewebekalotte und Papierkonus mit etwas
Luft dahinter – schon geht die Post ab
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Porcupine Tree - In Absentia
64 Exklusivtest: Totem Acoustic Sttaf
Musik
Porcupine Tree
In Absentia
Nicolas Jaars
Space Is Only Noise
Nine Horses
Snow Borne Sorrow
Quincy Jones
Back on the Block
Jazz at the Pawnshop
im Bassbereich für Abhilfe sorgen sollen.
Über dem kleinen Loch zum Einfüllen des
Materials (wir haben die Option nicht genutzt) findet sich der Luftaustrittskanal des
Bassreflexsystems. Eine weitere Besonderheit betrifft die Ankoppelung des Gehäuses an den Boden. Ein kleiner Sockel wird
mitgeliefert, dessen Montage die seitliche
Stabilität durch eine größere Stellfläche
erhöht. Der Sockel ist mit Spike-Buchsen
versehen. Die Spikes selbst sind durch Silikon Unterlegscheiben entkoppelt. Die Sockel sind ebenfalls rudimentär entkoppelt,
und zwar durch die klebrige Masse, mit der
man sie am Gehäuse „festklebt“. Eine interessante und unkonventionelle Idee. Aber
das hatten wir ja schon geklärt ...
Ein ganz kleines bisschen eingewinkelt
(nicht direkt auf den Hörplatz gerichtet,
dann kann nämlich die unbändige Hochtonenergie bei spitz aufgenommenen Scheiben zu viel des Guten sein), mit etwa zwei
Meter Basisbreite, gute zwei Meter von der
Rückwand(!) und mit knapp drei Metern
Hörabstand, so stehen die Sttaf im wahrlich nicht kleinen Hörraum der Redaktion. Und bereits nach wenigen Sekunden
bin ich sprachlos. Wo nehmen die Dinger
die Chuzpe her, mir Fourplays „Bali Run“
mindestens genauso erwachsen, schnell
und dynamisch aufzutischen, wie meine
fast doppelt so teuren und anderthalb mal
so großen eigenen Lautsprecher es können? Okay, die spielen noch einen Zacken
tiefer und massiver, aber mit zwei 16ern
wäre alles andere auch ein Hohn. Dennoch: Ich habe keine Ahnung, wie diese
Messtechnik-Kommentar
Die Messungen der Sttaf zeigt die eigenwillige Philosophie des Entwicklers deutlich: Während der Frequenzgang noch recht ausgewogen ist – mit einem frisch abgestimmten Hochtöner – zeigt sich die fast komplett unbedämpfte Bauweise im Wasserfalldiagramm recht
deutlich: Im Mitteltonbereich gibt es einen recht langen Nachschwinger.
Die Klirrmessungen zeigen die eine oder andere Spitze, sind insgesamt aber unbedenklich.
Die Impedanzmessung offenbart einige kleine Störungen – die Chassis werden „laufen gelassen“.
Ein Biwiring-Terminal gehört heute zum guten
Ton - die Blechlaschen kann man fürs gute
Gewissen durch Kabelbrücken ersetzen
kleinen, so zierlichen und unscheinbaren
Lautsprecher es schaffen, dermaßen viel
musikalische und akustische Energie zu
übertragen! Porcupine Trees „The Sound
of Muzak“ vom Album „In Absentia“, eines
der besten Progressive-Rock-Stücke überhaupt, jagt mir Schauer der Zufriedenheit
über den Rücken. Wahnsinn, wie kompakt
und präzise die Drums rüberkommen, wie
unbeeindruckt die anderen Instrumente
ihren Job machen können, und welch riesiges Klangbild die Winzlinge herbeizaubern können! Wie sich mit akustischen
Aufnahmen herausstellt, ist die virtuelle
Bühne eher cinemaskopisch breit als ultratief, doch an Realismus mangelt es auch
diesbezüglich nicht. Mit Nicolas Jaars Ausnahmealbum „Space Is Only Noise“ auf
dem Plattenteller erlebe ich dann schier
Unglaubliches: Die zusammenhängenden
Songs „Être“ und „Colomb“ sind (fein-)
dynamische Elektro-/Minimal-Meisterwerke, deren stupender Detailreichtum
einem mit den Sttaf extrem unangestrengt
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auf dem Silbertablett serviert wird; passende Abspielgeräte und Elektronik natürlich
immer vorausgesetzt. Dass sie dabei die alleruntersten Frequenzen schuldig bleibt, war
zu erwarten und kann generell einem Lautsprecher dieser Größe und Bestückung nicht
wirklich angekreidet werden. Im Klanghimmel finde ich mich schließlich mit Nine
Horses’ fantastischem Album „Snow Borne Sorrow“ wieder. David Sylvian scheint mit
seiner intim und nah aufgenommen Stimme fast auf meinem Schoß zu sitzen. Phänomenal, mit welcher Offenheit und Schnelligkeit und unverfärbtem Mittelton die Sttaf
hier agieren. Das hat ganz große Klasse.
Wenn Sie also gerade auf der Suche nach neuen Lautsprechern in dieser Preisklasse
sind, gibt es wirklich nur drei Dinge, die gegen die Sttaf als Ihren nächsten Lautsprecher sprechen: Eine ausgeprägte Allergie gegen Understatement, eine sehr hell abgestimmte Elektronik und/oder ein sehr schallharter Raum. Im ersteren Fall hilft ein
ausführlicher Hörcheck, um Sie zu heilen, in den beiden anderen Fällen könnte man
sich fast überlegen, diese Missstände zugunsten dieses kleinen Wunderlautsprechers
zu beseitigen.
Michael Bruss
Der Hochtöner spielt ebenso frisch auf wie
der Rest der Sttaf – Detailfreude garantiert
Sttaf
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High End Company
Vertrieb
Telefon
+41 071 9118690
Internet
www.highendcompany.ch
PxHxT
160 x 850 x 242 mm
Gewicht
ziemlich leicht
Ausführungen
schwarze Esche,
weiss Satin, Mahagoni, Kirsche
Fazit
Keine im HiFi-Sinne/messtechnisch „perfekten“ Lautsprecher, aber in ihrem
Preisrahmen perfekte Musikmaschinen. Beeindruckend!
Das Terminal musste nach oben
wandern, um dem Sand-Einfüllstutzen unten Platz zu schaffen