Die Heutestadt im Morgenlan

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Die Heutestadt im Morgenlan
Beirut
Die Heutestadt im
Levantinischer Leucht­
streifen: An die Corniche (re.)
geht die Schiitin Manal
Hodroj nur bei Tag und mit
Kopftuch. Wenn an der
­Promenade abends Paare fla­
nieren, bleibt sie daheim
58 geo saison | 8.2010
Morgenland
v on m i c h a e l f r i e d r i c h ( T e x t ) u nd j e n s s c h w a r z ( F otos )
Wenn es ein Maß gibt in der Hauptstadt des Libanon, dann das Übermaß.
Zwei Millionen Einwohner, 3500 Jahre Geschichte, 18 Konfessionen und ein
Leitmotiv: Lebe jetzt! Nach 15 Jahren Bürgerkrieg blitzt jener Glamour wieder auf, der
Beirut einst den Ruf „Paris des Nahen Ostens“ bescherte. Die Menschen vergnügen sich,
als gäbe es kein Morgen, ziehen Energie aus den Spannungsfeldern von Schleiern
und Stilettos, Khomeini-Postern und Jesus-Graffiti, Orient und Abendland
60 geo saison | 8.2010
Samba am Märtyrerplatz:
Tanzen und dem Frieden trauen
„Verschwende deine
­Jugend!“: Nach Jahren vol­
ler Konflikte genießen
viele Beiruter jeden Tag, als
wäre es ihr letzter –
im Beach Club „Sporting“
oder bei einer SambaShow vor der Moschee
1
4
3
Nahöstliche Spezialmischung: An
der Amerikanischen Universität spielt
Re­ligion eine Nebenrolle [1]. Im
Zentrum üben Kirchen, Moscheen und
Banken­türme friedliche Koexistenz [2].
Schmuckstücke im Christen-Viertel
Aschrafieh [3]. Monsieur Sahyoun wirft
köstliche Falafelbälle ins Öl [4]. Die
9-jährige Noor posiert im Festtagsdress
[5]. Auf gute Nachbarschaft im HamraViertel: die Bibel und der Koran [6]
5
2
6
Man zeigt, was man hat.
Und was man noch nicht hat,
bekommt man im Shop‑
ping-Viertel Solidere, dem
Laufsteg im Zentrum
Ein bisschen mehr
darf’s immer sein in Beiruts
Daily Soap
8. 2 0 1 0 | g e o s a i s o n 63
f
ouad Hamdans Arbeitsplatz überdacht ein Sonnenschirm unter tiefblauem Himmel. Er balanciert seinen Laptop
auf den Knien, spricht in einer Mischung aus Arabisch, Französisch und Englisch in sein Smartphone, blinzelt aufs Mittelmeer
und greift hin und wieder nach einem Glas kalter Zitrone. Links
von ihm rückt ein Pärchen auf einem Badetuch zusammen, rechts
klatschen die Wellen gegen eine gekalkte Mauer, auf der zwei
Männer plaudern. „Das meiste kann ich per Computer und Handy erledigen“, sagt der Deutsch-Libanese, als er aufgelegt hat,
„und das mache ich bei einem solchen Wetter am liebsten hier.“
In einer Stadt wie Beirut, in der niemand weiß, was das Morgen
bringen wird, sperrt sich keiner freiwillig in einen klimatisierten
Bürokäfig ein, wenn er stattdessen auch am Meer sitzen kann.
Wer Beirut besucht, lernt eine Stadt mit Vergangenheit kennen, die sich manisch auf das Heute fokussiert. Wie der 51-jährige
Fouad, der als Menschenrechtsaktivist arbeitet, machen es hier
viele: sein Freund Mimo etwa, ein Häusermakler, der ein paar
Meter weiter die Füße überm Wasser baumeln lässt. Er fädelt all
seine Geschäfte per Handy ein, bei Sonne in einem Beach Club
wie dem „Sporting“, bei Regen in einem der vielen Cafés. „Beirut
hat keine guten Strände“, sagt Fouad. „Das ,Sporting‘ ist ein Klassiker, die Wasserqualität ist gut, und außerdem laufen nicht so
viele totaloperierte Gäste herum wie anderswo.“ Der nahe Strandclub „Riviera“ zum Beispiel wird wegen der Massen an artifiziellen Dekolletés als „Silicone Beach“ verspottet.
Ein Jetski mit zwei johlenden Männern zieht eine Schaumspur durch die Wellen und umkreist den Pigeon Rock, zwei Fel‑ sen vor der Steilküste von Ras Beirut, der Westspitze der Stadt.
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Präsentierteller: In der Hamra führen die
Passanten Fez, Tops oder ihre BusinessUniform spazieren (li.). Die selbst­bewusste
Muslima Hiba (M.) besuchte eine katho­
lische Schule. An den libanesischen Süßig­
keiten klebt das Glück (o. re.). Nicht mal
Fliegen ist schöner als Wasserskifahren in
der Einflug­schneise des Airports (re. )
Wohntürme mit hunderte Quadratmeter großen und Millionen
Dollar teuren Apartments punktieren die nahe Corniche, die berühmte Küstenstraße, die sich entlang der Klippen windet.
Die Hoffnung auf einen Aufbruch im Nahen Osten hatte den
gelernten Journalisten Fouad von seiner letzten Station Brüssel
in die libanesische Hauptstadt gelockt. Die politische Situation
schien relativ stabil nach der friedlichen Zedernrevolution im
Jahr 2005, bei der die syrische Armee aus dem Libanon gejagt
wurde. Nun koordiniert er für den Arab Human Rights Fund, eine
privat finanzierte Stiftung, von Beirut aus die Unterstützung von
Menschenrechtsgruppen in arabischen Staaten. „So etwas ist nur
im Libanon möglich“, sagt Fouad, dessen Vater aus dem schi­
itischen Südlibanon und dessen Mutter aus Norddeutschland
kam, „er ist mit Abstand das liberalste arabische Land – hier ist
natürlich auch nicht alles erlaubt. Aber jeder macht, was er will.“
Das kann Charme haben, wenn zum Beispiel Schwulenbars
eröffnen, die in anderen Staaten der Region undenkbar wären –
und hier zwar ebenfalls illegal sind, aber wenigstens geduldet.
Und kann ärgerlich sein, wenn ein führender Politiker im Fernsehen erklärt, dass er „natürlich“ keine Steuern zahle. „Korrup­
tion, Freiheit, Fanatismus, Toleranz, Hedonismus – hier existiert
immer alles gleichzeitig“, so Fouad. „Egal, welches Klischee über
den Libanon einer zur Wahrheit erklärt – eine Straße weiter findest du das genaue Gegenteil.“
Wenn Libanons Hauptstadt ein Maß kennt, dann das Übermaß. Von allem gibt es hier zu viel: Geschichte und schmutziges
Geld, strategische Interessen und verfeindete Religionen, schwierige Nachbarn und Visionen, Immobilienhaie und Idealisten.
Jet- Set
Schaumschläger: Startbahn für den Worldwide-Freidenker: Die
Christin Raghda Mouawad
kam in Saudi-Arabien zur Welt,
der Schiit Fouad Hamdan
in Norddeutschland. Die Schau­
spielerin und der Menschen­
rechtsaktivist gehen gern im
religiös gemischten Gem­may­
zeh aus, wo nahe der Rue
Gouraud die Mohammad-alAmin-Moschee leuchtet (re.)
Die Mittelmeer-Metropole war immer ein besonderer Ort.
Eine Stadt, in der Phönizier Handel trieben, Griechen tanzten
und Römer einmarschierten, Mamelucken hausten und Kreuzfahrer Blut vergossen, das Reich der Osmanen zerfiel und Franzosen den Groß-Libanon ausriefen. In Beiruts Straßen massa- krierten sich in den 15 Jahren Bürgerkrieg Christen und Mus‑ lime, beschossen sich Kommunisten und Nationalisten, schlugen
palästinensische Mörsergranaten und israelische Bomben ein.
Heute gabeln hier Saudis russische Prostituierte auf und gehen
in Kopftücher gehüllte Schiitinnen Hand in Hand mit Freundinnen in Spaghettiträger-Tops spazieren. Am selben Tag kann
man im Libanon-Gebirge Ski fahren und im Meer baden.
„Beirut ist eine spannende, eine großartige Stadt, wenn es
ruhig bleibt“, sagt Fouad, „aber das weiß man eben nie. Deshalb
leben die Leute ja jeden Tag so, als gäbe es kein Morgen. Hier
heißt es: ,Ich will alles. Jetzt sofort!‘“ Schließlich braucht nur eine
Bombe hochzugehen, schon ist alles völlig anders. „Für Besucher
ist diese nervöse Energie sicher faszinierend, aber mich macht
das manchmal einfach kirre.“
Ein Freund schlendert herbei. „Bonjour habibi, kifak, good
to see you!“, begrüßt ihn Fouad in Beiruts polyglottem Mix. Issam
Dakroub will eine Runde Wasserski fahren und sucht einen, der
ihn schleppt. Lange muss er Fouad nicht überreden. „Morgen ist
auch noch ein Tag. Yalla, let’s go.“
„Hier arbeitet ohnehin keiner länger als sechs, sieben Stunden pro Tag“, behauptet Issam, der 52-jährige Medienunternehmer, dessen Firma arabische Fernsehsender mit Nachrichten und
Dokumentationen aus dem Libanon versorgt. An den Piers der
„Mövenpick“-Hotel-Marina dümpeln weiße Yachten, die von
­syrischen Gastarbeitern gewienert werden. „Libanesen zeigen
gern, was sie haben“, sagt Issam, ein in Jeans, offenes Hemd und
Lederslipper gekleideter Selfmademan, „selbst wenn es oft mehr
Show als Realität ist. Es gibt da diesen Witz: Wir geben Geld aus,
das wir nicht haben, für Sachen, die wir nicht brauchen, um damit
Leute zu beeindrucken, die wir nicht kennen oder nicht mögen.“
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Ihm selbst scheint das weniger wichtig zu sein: Das kleine Kunststoffboot hat er gebraucht gekauft, die beigen Sitzpolster sind
abgewetzt, das Chrom hat schon einmal mehr geglänzt, und der
Außenbordmotor springt erst nach einigen Versuchen an. „Was
soll’s“, sagt der Skipper nur, „der Spaß ist für mich der gleiche.“
Dann gleiten wir über blaue Wellenkämme. Hinter uns flirrt
die Skyline von Ras Beirut, wo Baukräne stumme Pirouetten drehen. An Backbord zieht der lange Strand vorüber, der Beiruts
südliche Vororte säumt. Gelbe Flaggen flattern über unverputzten
Häusern. „Hisbollahland“, sagt der Fernsehmann mit dem reklameweißen Lächeln. Dort herrscht die Miliz der Schiiten, inzwischen die zahlenstärkste und mächtigste der vielen Fraktio­nen
des Landes, dort zieren riesige Porträts des iranischen Revolutionsführers Khomeini und von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah
die Fassaden. Ein paar Kinder tollen durch den Sand, begluckt
von Frauen, die auch in der warmen Nachmittagssonne lange
Mäntel und Kopftücher tragen.
Der beste Wasserskiplatz bei hohem Wellengang wie heute
ist ein langer Kanal zwischen einem mächtigen Wellenbrecher aus
Betonquadern und der Landebahn des Internationalen Flug­
hafens, in dem die Wellen auch jetzt nur sanft schwappen. Alle
paar Minuten schwebt mit pfeifenden Turbinen ein Passagierjet
heran. „Immer noch besser, als wenn hier ein israelisches Kampfflugzeug die Schallmauer durchbricht, um die Hisbollah zu erschrecken“, sagt Fouad. Gerade als er seinen Freund, der schon
mit Skiern und Zugleine in der Hand in Startposition treibt, aus
dem Wasser ziehen will, setzt der Motor aus und lässt sich nicht
wieder starten. „Macht nichts“, sagt Issam, „lassen wir uns halt
in die Marina schleppen und versuchen es morgen wieder.“
Als wir das Boot vertäut haben, steigen wir hinauf zum
Stadtteil Raouche und essen Falafel im Imbissrestaurant „Barbar“,
um dessen Tische an der Corniche sich Großfamilien drängen.
Joggerinnen in knappen T-Shirts traben vorbei. Im Fernseher
läuft der Hisbollah-Sender Al-Manar („Der Leuchtturm“); auf dem
Nightlife
Zwischen und Nachtgebet
liegen Welten und wenige Meter
Der Tag ist nicht genug: Vor Mitternacht
kommt in dieser Stadt keine Party in
Schwung, und ins Bett geht’s erst kurz vorm
Morgengrauen (li.). Während sich die
Gäste im „Café Gemmayzeh“ (re.) auf eine
Wasser­pfeife treffen, lassen sich die Be­
sucher im Rooftop-Club „Beiruf“ zum Aus­
blick harte Drinks servieren (re. u.)
schaft nicht übereinander her, sondern half sich gegen die Milizen. Einträchtig stehen in den Buchläden Koran und Bibel
Seite an Seite. Aus Wohnzimmerfenstern leuchten blau die
­Fernseher, auf kleinen Balkonen sitzen Männer im Unterhemd,
trinken Arak und Bier und knabbern Pistazien, deren Schalen auf die Straße segeln.
Als Tribut an die orientalischen Wurzeln reihen sich in einer
Straße fast nur Modegeschäfte aneinander, in der nächsten Elektro- oder Schuhläden. An den Straßenecken verkaufen fahrende
Händler Nüsse und Socken, raubkopierte DVDs und gefälschte
Markenuhren. Vor dem Krieg war es hier schicker und teurer, und die Hauptachse der Hamra, nach der das Viertel benannt ist,
Etwas verwirrend ist das, wie eine Überreizung der Sinne war Anfang der Siebzigerjahre noch Beiruts nobelste Einkaufswirkt die Kakophonie der Eindrücke, von denen man doch immer straße. Doch nun kehren die Ladenketten zurück – sogar H & M,
mehr aufsaugen will in dieser Stadt, die ihre Besucher mild zu hat ­Fouad gehört, soll auf der Hamra eine Filiale eröffnen. Für
betäuben droht in ihrer Widersprüchlichkeit, ihrer Mischung aus ihn ist es ein Zeichen der Hoffnung: „Wenn die hierherkommen,
Glanz und Härte, Orient und Abendland.
dann glauben sie an unsere Zukunft.“
In Solidere, dem reichen Zentrum Beiruts, nur wenige KiloVor dem „De Prague“ sammeln sich Studenten der nahen
meter nördlich am anderen Ende der Corniche, schwärmen im AUB, der Amerikanischen Universität, in großen Trauben. Auch
Abendlicht Golfaraber in den blankgefegten Straßen zum Shop- Raghda Mouawad, eine 26-jährige christliche Maronitin aus dem
pen aus. Eine Kirchenglocke bimmelt und mischt sich mit dem Ostteil der Stadt, trifft sich hier mit Freunden. Sie hat in Lyon
Ruf eines Muezzins. Wo früher der Souk war, das Herz und der Theater studiert und unterrichtet nun in der Hamra Schüler in
Bauch von Beirut, oder was der Bürgerkrieg davon übrig gelassen Schauspiel. „Dies ist mein Lieblingsviertel, weil sich hier alles
hatte, zog die Aktiengesellschaft des 2005 ermordeten Premiers mischt“, sagt die kleine, zarte Frau mit der schwarzen Mähne. Sie
Rafik al-Hariri in einem Wirbelwind von Privatisierung ein idea- umarmt einen in Baggy Pants und ein überweites Hemd gekleilisiertes Beirut hoch. So, wie sich Investoren vorstellen, das es deten Kerl mit scharf ausrasiertem Bärtchen. „Das ist mein bester
dort einmal ausgesehen haben könnte. Makellos wirken die brei- Freund“, sagt Raghda, die sich an diesem warmen Abend für ein
ten Fußgängerzonen mit den hohen Arkaden aus ockerfarbenem Kleid mit Blumenmuster entschieden hat, „er ist Schiit und RapStein, eine imaginäre orientalische Baugeschichte zitierend – ei- per. In meiner Generation interessieren wir uns nicht für das, was
uns trennt, sondern für das, was uns verbindet.“
genartig steril in ihrer Pracht und doch faszinierend.
Der Bürgersteig ist völlig überfüllt. Alle tragen ihre schicksIn einem zerbeulten Mercedes-Taxi kutschieren wir zurück
in die Hamra, wo Fouad wohnt. Das Viertel im Westen von Bei‑ ten T-Shirts, alle multitasken, als könnte der Spaß jeden Moment
rut entstand erst in den Fünfziger- und Sechzigerjahren und enden: Sie reden und schreiben SMS, sie rauchen und flirten, sie
­wurde ein Magnet für Intellektuelle und Künstler. Auch wäh‑ trinken und scannen die Menge nach bekannten Gesichtern, sie
rend des Bürgerkriegs fiel seine religiös gemischte Nachbar‑ küssen und umarmen sich zur Begrüßung. „Libanesen sind kleinen Bildschirm paradieren bärtige Männer in weißen Uni­
formen im Stechschritt zu Ehren eines Märtyrers. Niemand
schaut hin. Aus dem Sechzigerjahre-Bau nebenan mit seinen verwitternden orangefarbenen, blauen, grünen und gelben Zier­
blenden tragen junge Burschen glühende Holzkohle herbei, es
duftet nach süßem Tabak und gegrilltem Fleisch, nach Zimt und
Kardamom. Kleinkinder sitzen auf den Tischen und zerrupfen
Papierservietten. Mädchen in bonbonbunten Kleidchen und mit
Schleifen im Haar jagen sich über die Terrasse, ihre Brüder tragen
Plastik-Kalaschnikows spazieren. Die Eltern paffen Wasserpfeife
und sehen der Sonne zu, wie sie im Meer versinkt.
68 geo saison | 8.2010
nicht gern allein“, sagt Raghda Mouawad. „Unsere beste Medizin
­gegen das Chaos ist Joie de vivre.“ Lebenslust. Früher mischten
sich nicht nur in der Hamra die 18 Konfessionen des Landes; vor
dem Bürgerkrieg lebten auch in Stadtteilen wie Aschrafieh im
Osten Beiruts Angehörige vieler Religionen friedlich zusammen.
Während der Kämpfe, die bis heute Narben an den Fassaden hinterlassen haben, zogen die meisten Muslime in den Westen der
Stadt. Heute ist das noble Viertel über dem Hafen fast nur noch
von Christen bewohnt. Taxifahrer aus den schiitischen Vierteln
jenseits der Green Line, der früheren Kampflinie, steuern Aschrafieh nicht an, obwohl es keine 500 Meter Luftlinie von ihren
­eigenen Straßen entfernt liegt, in denen vollverschleierte Frauen
Plastiktüten mit den Einkäufen nach Hause schleppen.
Wir flanieren zwischen üppigen Gärten mit hohen Palmen und knorrigen alten Pinien hindurch. Als „Rue de caractère
traditionelle“ weisen Schilder Straßen wie die Rue Sursock aus –
als gehörten deren osmanische Händlerpaläste und Stadtvillen aus
der französischen Mandatszeit zu einer aussterbenden Gattung.
Damen in Chanel-Kostümen lassen sich im Jaguar zum Diner in
der Nachbarschaft chauffieren. Gut genährte christliche Katzen
putzen sich sorgsam das Fell. Hinter hohen Fenstern funkeln vielarmige Kristalllüster in ballsaalgroßen Räumen und vermitteln
einen Schimmer, warum im einstigen „Paris des Nahen Ostens“
Ava Gardner und Elizabeth Taylor ihre Urlaube verbrachten.
„Für solchen Glamour putzen sie Beirut heraus – aber nicht
als Paris, sondern eher als neureiches Miami“, spottet Fouad Hamdan. Er will uns unbedingt noch ein passendes Spektakel zeigen:
Im 11. Stock eines frisch eröffneten Büroturms am Hafen vibriert
die Luft von Bässen, die sich in Gästemägen bohren. Grüppchen
umringen niedrige Tische, auf denen sich Wodka- und Gin­
flaschen, Cola-Dosen und Champagnerkübel drängen. „Bei uns
feiert die Crème de la crème“, konstatiert Jihad Ashkar, der Mana­
ger des Rooftop-Clubs „Beiruf“: „Geschäftsleute vom Golf, Fernsehstars aus Ägypten und natürlich wohlhabende Libanesen.“
Begeistert begrüßt er Männer in Dreitausend-Dollar-Anzügen,
tauscht Wangenküsse mit Frauen im kleinen Schwarzen.
Drei Kellner tragen einen Champagnerkübel vorbei, umringt
von funkensprühenden Wunderkerzen. „Dom Perignon, die Flasche zu 750 Dollar“, sagt Ashkar beiläufig, „davon gehen bei uns
jeden Abend etliche über die Theke.“ Vom nahen Märtyrerplatz
im Zentrum leuchtet neben der maronitischen St. Georg-Kathedrale die Mohammad-al-Amin-Moschee mit ihren schlanken Minaretten herüber. An den Hängen des Küstengebirges glitzert
die Stadt wie ein Feuerwerk aus Millionen Lichtern.
Längst tanzen die „Beiruf“-Gäste auf den Tischen und Sitzpolstern, trinken Wodka-Red Bull aus Wassergläsern. „Are you
ready for more“, brüllt der DJ von seinem Pult über der Menge.
„Yeah“, schreien alle zurück und reißen die Arme in den Vollmondhimmel. Mehr, das geht in Beirut immer. Hedonisten
Die Hauptstadt der
ist reich an
Höhepunkten und begradigten Nasen