Verzweifluflg auf fiärkischefi Safld

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Verzweifluflg auf fiärkischefi Safld
Verzweiflung auf märkischem Sand
Verzweiflung auf märkischem Sand
Am Maxim Gorki Theater thematisiert das Tanztheater „Fallen“ Gewalt
Veröffentlicht am 14.09.2014, von Volkmar Draeger
Berlin - Bedrohlich hatte sich am Premierenabend der Himmel über dem Freilichtbau vorm Maxim Gorki Theater zugezogen. Was
sich dann drinnen, in der eigens errichteten Arena, vollzog, übertraf an Gefährlichkeit das Wolkenschauspiel bei Weitem. Auf
Bänken vor geschwärzten Sperrholzwänden umsitzt man ringsum die längliche Manege aus 70 Tonnen Sand, der unter dem
Flutlicht aufleuchtet und friedlich scheint. Noch. Denn einige der ebenfalls schwarz gewandeten zehn heutigen Gladiatoren
stürmen auf die Szene und schlagen, treten ihr Opfer zusammen, erschreckend brutal, und verschwinden so rasch, wie sie
gekommen sind. Erinnerung wird wach an Anschläge, wie sie sich ähnlich um den Alexanderplatz zugetragen haben,
beklemmend nah am Ort jenes Tanztheaters von Sebastian Nübling und seinem Choreografen Ives Thuwis.
Dabei lässt sich der Titel „Fallen“ deutsch lesen, als Aktion, oder englisch, als abgeschlossener Zustand des Gefallenseins. Um
Hinfallen, physisch und sicher auch sozial gemeint, dreht sich eine Stunde lang, was die hyperaktive Schauspielermannschaft zu
leisten hat. Als heterogene Masse beginnt sie zuerst mit einem zehn Minuten währenden, trancehaften Ertüchtigungslauf, hin und
her, in gleichem Atem keuchend, leicht die Formation wechselnd, das Tempo anziehend, bis ein Sprint daraus wird. Dreht sich
das Ganze um Chancen auch im Leben? Verkehrs- und U-Bahn-Geräusch bilden die reale Klangkulisse.
Auf der Diagonalen begegnen sich dann je zwei von ihnen, ob noch Freunde im Kräftemessen oder schon Gegner. Ohne
Rücksicht auf gesundheitliche Folgen klatschen aus dem Schnelllauf Körper zusammen, mit Volle-Pulle-Remplern,
Niederschlag-Absicht, Zu-Fall-Bringen, Nachtreten, Kampfsportsalti. Sand spritzt beim Sturz mit harschem Aufprall auf, Schreie
hallen, fast hört man die Knochen krachen. In dieser unerbittlichen Härte hat man Gewalt auf der Bühne kaum je gesehen. Auch
wenn sie kalkuliert sein mag, treibt das die Inszenierung doch arg in die Nähe von sensationslüsternem Reality-TV. An künstlerisch
verdichteter, überhöhter Form wird es ihr noch an weiteren Stellen mangeln. Nicht jedoch, wenn alle im Liegen synchron
strampeln und Sand um sich werfen, als Einheitsfront Suchender. Auch nicht, wenn sich in Soli Individualität aus der Menge schält.
Einer pumpt seine Muckis, bis er prustend fällt; einer dreht sich liegend fortwährend um sich selbst und schafft so eine unnahbare
Zone; ein Dritter übt sich in Trampolinstürzen; ein Vierter greift sich provokant an die Brustwarzen. Machogehabe aus
Minderwertigkeitskomplexen?
Andere bewerfen sich manisch mit Sand oder buddeln Kuhlen, in die sie erstickungsgefährdet den Kopf stecken. Zwei der
Männer umarmen sich, bis aus spontaner Zärtlichkeit doch wieder nur ein ringerhaftes Pressen wird. Wenn sich einer an den
anderen hängt und der Vordrängende den Hilflosen schwer mitschleppt; wenn Ansprünge zu einem Augenblick der Geborgenheit
vor dem gemeinsamen Sturz führen; wenn ein Akteur die Vorübereilenden vergeblich berühren will, im folgenden Solo etwas
zwischen den Händen zu bewahren sucht, dann erreichen Inszenierung und Choreografie intimere Momente, die aus der Meute
potenzieller Täter Menschen aufscheinen lassen. Genau solcher filigranen, konkreter ausgeführten Momente hätte man sich mehr
gewünscht.
Mit Selbstfolter gehen manche gegen eine erkannt sinnentleerte Existenz vor, Kaskaden von Springflug in den Sand etwa bis zum
Weinkrampf, weil die Kraft versagt, trotzdem der Selbstbeweis geklappt hat. „Scheißspiel“, entfährt es da dem Krafttester. Dann
steigen die Zehn auf die Sexschiene um. Bäuche, Brüste, Po werden entblößt, dicht vorm Publikum, auf der Manegenbande und
mit aggressiven Drohgebärden. Wie im Triumphzug zerrt ein Mann immer wieder einen anderen an den Haaren über den
Grund, bis das Opfer vor Schmerz um Gnade winselt. Geht Theater hier zu weit? Mit freiem Oberkörper formieren sich alle zum
Lauf des Beginns, repetieren nach dem klassischen A-B-A-Schema auch die rabiaten Sturzduos, rasen dann durch die Türen ab.
Respekt vor der Unbedingtheit, mit der sich die Schauspieler in die Sandschlacht werfen. Eine perfekte Lösung des Problems
Gewalt hat wohl niemand erwartet, ein diskutierenswertes Tanztheater aber jeder gesehen.
Bis 28.9., Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, Mitte, Kartentelefon 20 221 115, www.gorki.de
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Verzweiflung auf märkischem Sand
"Fallen" am Maxim Gorki Theater
Berlin
© Ute Langkafel
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