Kunst und - Zusatzmaterialien zu den KünstlerInnen

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Kunst und - Zusatzmaterialien zu den KünstlerInnen
Kunst und
© 2014 John Baldessari
John Baldessari, Six Colorful Inside Jobs, 1977
16-mm-Film, transferiert auf DVD, Farbe
32:53 min
mumok, Wien, erworben 2005
(weiters in der Sammlung des mumok: Color Corrected Studio (with Window),
1972/73, und zahlreiche Videoarbeiten)
Baldessari, John (* 1931)
US-amerikanischer Konzeptkünstler
John Baldessari beginnt in den 1960er-Jahren als Maler, geht
aber schon bald dazu über, Malerei und Fotografie, Bild und
Schrift miteinander zu verknüpfen. 1970 verbrennt er sämtliche
seiner Malereien in dem aufsehenerregenden Cremation Project
und verabschiedet sich damit endgültig von der traditionellen
­Malerei zugunsten einer medienübergreifenden Praxis.
In dem Film Six Colorful Inside Jobs greift Baldessari das Thema
der Malerei nochmals auf. Die Kamera blickt von oben in einen
Raum, der an sechs aufeinanderfolgenden Tagen von einem
Mann komplett ausgemalt wird. Jeden Tag in einer anderen Farbe.
Sonntag ist Ruhetag. Für die Performance hat John Baldessari
dem Studenten, der den Raum ausmalt, keine Vorgaben gegeben, sondern nur die Farben ausgewählt. Die Kameraeinstellung
lässt den Raum als dreidimensionales Bild erscheinen, der Maler
wird zum lebendigen Pinsel eines sich selbst malenden Bildes.
­Baldessari zeigt die Malerei hier als eine Alltagspraxis, jenseits
eines gefühlsbetonten, selbstexpressiven Schöpfungsakts. Auch
mit der Verwendung der festgelegten Spektralfarben des Farbkreises konterkariert die Performance die Idee von Farbe als Trägerin emotionalen Ausdrucks.
Baldessari hat selbst in seiner Studienzeit als Anstreicher gearbeitet, um sein Geld zu verdienen. Six Colorful Inside Jobs fragt
nach dem Unterschied zwischen Anstreicher und Künstler. In
einem Interview meinte Baldessari, er habe, während er Zimmer
und Wände strich, zu sich selbst immer wieder gesagt: »JETZT
bemale ich eine Wand, JETZT male ich ein Bild, JETZT bemale ich
eine Wand, JETZT male ich ein Bild …«
© 2014 Yto Barrada | Courtesy Galerie Sfeir-Semler, Hamburg
Yto Barrada, Une vie pleine de trous, le projet du détroit, 1998–2003
Serie von Farbfotografien, Maße variabel
mumok, Wien, erworben 2005
(Weiters in der Sammlung des mumok aus der Serie: Une vie pleine de trous, le projet du détroit [A Life Full
of Holes, The Strait Project], 2003, erworben 2006: Caisson lumineux – Tanger (Advertisement Lightbox –
Tangier), 2003, Farbfotografie, 60 x 60 cm; Baie de Tanger (Bay of Tangier), 2002, Farbfotografie, 80 x
80 cm; Frontière de Sebta (Ceuta Border Bab Sebta), 1999, Farbfotografie, 80 x 80 cm; Colline du Charf –
Tangier, 2000, Farbfotografie, 103 x 103 cm; Usine 2 – Tanger (Factory 2 – Tangier), 1998, Farbfotografie,
103 x 103 cm; Trou dans le grillage – Tanger (Hole in the Fence – Tangier), 2003, Farbfotografie, 80 x
80 cm; Homme au tableau – Tetouan (Man with Painting – Tetouan), 1999, Farbfotografie, 50 x 50 cm; N du
mot Nation en arabe – Tanger (N of the Word Nation in Arabic – Tangier), 2003, Farbfotografie, 79,5 x 80 cm;
Pastorale, 2001, Farbfotografie, 125 x 125 cm; Le détroit de Gibraltar – Tanger (The Strait of Gibraltar –
Tangier), 2003, Farbfotografie, 60 x 60 cm; Papier peint – Tanger (Wallpaper – Tangier), 2001 Farbfotografie,
60 x 60 cm; Femmes à la fenêtre (Women at Window), 2002, Farbfotografie, 80 x 80 cm)
Barrada, Yto (* 1971)
Französisch-marokkanische Künstlerin
In ihren Fotografien, Filmen, Publikationen, Installationen und
Skulpturen befasst sich Yto Barrada mit zentralen Fragen der
globalisierten Gesellschaft und der Grenzziehung innerhalb dieser
mit ihren unterschiedlichen Ökonomien. Dabei setzt sie sich intensiv mit der Bedeutung von Bildern auseinander – besonders in
der arabischen Welt. In ihrer Jugend verbrachte sie einige Jahre in
Tanger, studierte dann Geschichte und Politologie an der Sorbonne und besuchte das International Center of Photography in New
York. Zurück in Tanger, arbeitet sie u. a. seit 1998 an dem Projekt
Une vie pleine de trous, le projet du détroit (Ein Leben voller Löcher, das Projekt Meerenge), das die Stadt auf der anderen Seite
der Straße von Gibraltar als Gegenpol zu Europa zeigt, als eine
Stadt des Übergangs und der Grenzen und als Ausgangspunkt
für die Flucht aus tristen Verhältnissen. Fotoserien dokumentieren
die besondere Situation in ihrer marokkanischen Heimatstadt,
gesellschaftliche Realitäten, die geografische und politische Situation, existenzielle Probleme und die Sehnsucht nach einem
besseren Leben in Europa. Für Yto Barrada geht kulturelle mit
sozialer Entwicklung einher und ist für sie deshalb von großer Bedeutung. Gegenwärtig (2012) befasst sich die Künstlerin mit einer
anderen Grenze, der zwischen Stadt und natürlicher Umgebung.
Der Arbeitstitel ist »Flowers«. Zusammen mit dem Filmproduzenten Cyriac Auriol gründete Barrada das Kino Cinémathèque de
Tanger, dessen künstlerische Direktorin sie ist.
© 2014 Alighiero Boetti | Bildrecht Wien
Alighiero Boetti, Afghanistan, 1974
720 Briefmarken auf Kuverts auf 6 Tafeln
167 x 745 x 170 cm
mumok, Wien, Leihgabe der Österreichischen LudwigStiftung, seit 1998
(weiters in der Sammlung des mumok: Cieli ad alta
quota, Künstlerbuch, 1993, Schenkung des Museum
in Progress, 1997; La Mappa del Mondo (Weltkarte),
1972, Stickerei auf Leinen, 180 x 220 cm, Leihgabe der
Österreichischen Ludwig-Stiftung, seit 2001)
Boetti, Alighiero (1940–1994)
Italienischer Grafiker, Maler und Objektkünstler
Alighiero Boetti interessiert sich früh für Mathematik, Musik,
Philosophie, Alchemie und Esoterik, bricht seine Studien an der
Universität Turin aber schließlich ab, um sich der Kunst zu widmen. Anfang der 1970er-Jahre schließt sich der Autodidakt der
Arte-povera-Bewegung an. Ab 1971 findet Boetti eine zweite
Heimat in Afghanistan, gründet in Kabul das legendäre One-Hotel
und lässt seine Stickbilder von lokalen Sticker_innen anfertigen.
Bis 1979, dem Jahr des Einmarsches der sowjetischen Armee,
kehrt Boetti jährlich nach Afghanistan zurück. Er wendet sich gegen den Mythos vom einsamen Künstlergenie. Arbeitsteilung und
die Zusammenarbeit mit Künstler_innen und Nichtkünstler_innen
werden für ihn zum Prinzip seiner Konzeptkunst. Wesentliche
Themen sind für ihn ordnende Strukturen und Klassifikationssysteme wie z. B. das Alphabet, Landkarten, Postweg und Zeitungen
sowie Dualität, beispielsweise Ordnung/Unordnung oder normal/
anormal. Boetti erforscht die Spannung zwischen Inhalt und
Form und macht Ordnung und Chaos, Zufall und Notwendigkeit,
West und Ost als relative Kategorien anschaulich. Ab Mitte der
1970er-Jahre tritt Boetti als fiktives Künstlerduo Alighiero e Boetti
auf, um opponierende Faktoren in seinem Werk zu signalisieren:
Individualität und Gesellschaft, Irrtum und Perfektion, Ordnung
und Unordnung.
In der Werkgruppe Lavori Postali, in der Boetti das Transportsystem der Post für seine künstlerische Produktion verwendet,
ist Afghanistan ein Hauptwerk. 720 Briefe werden an die immer
gleiche Adresse in Turin geschickt, das einzige Merkmal, das die
Kuverts unterscheidet, ist die Anordnung der sechs Briefmarken.
Mit dieser Anzahl von Briefmarken hat man 720 unterschiedliche
Möglichkeiten der Reihung. Der Inhalt der Briefe setzt sich aus
Bildern oder Textpassagen in serieller Struktur zusammen Der
Geschäftsführer des von Boetti gegründeten One-Hotel in Kabul,
Dastaghir, beschreibt in arabischer Schrift die Blätter. Boetti ergänzt den Text mit 32 viereckigen Stempelabdrücken pro Seite
und Zeichnungen. Es entsteht eine neue Struktur aus jeweils 24
Quadraten, die immer verschieden, zum Teil auch als Buchstaben
lesbar sind. Das Quadrat gilt als wichtiges Ordnungsprinzip und
verkörpert mit der Zahl Vier die Welt. Die 720 Blätter werden als
Das Buch Dastaghirs gebunden.
© 2014 John Cage Trust
John Cage, Water Music, 1952
Bleistift auf Papier, S/W-Fotografie,
Zeitungsausschnitt
152 x 59 cm
mumok, Wien, ehemals Sammlung
Hahn, Köln, erworben 2004
(weiters in der Sammlung des mumok: John Cage und
Merce Cunningham spielen Schach, frühe 1960er-Jahre,
S/W-Fotografie, 15 x 15 cm; INDETERMINACY, 1959,
Schallplatte, 31,5 x 31,5 cm, Schenkung Hildegard Hahn
2003; Cage und Moorman, 1975, S/W-Fotografie, 50 x
65 cm, Schenkung Egidio Marzona 2005)
Cage, John (1912–1992)
US-amerikanischer Komponist und Künstler
John Cage studiert Komposition, Harmonielehre und Kontrapunkt
und erhält zwei Jahre Unterricht bei Arnold Schönberg. Mit seinen
revolutionären Ideen und Kompositionen stellt er das herkömmliche Verständnis von Musik infrage. Als eine der Schlüsselfiguren
für die Ende der 1950er-Jahre entstehende Happeningbewegung ist er in Zusammenarbeit mit Jasper Johns und Robert
Rauschenberg wichtiger Anreger für die Fluxusbewegung und
die neue Improvisationsmusik. Mit mehr als 250 Kompositionen gilt er als einer der weltweit einflussreichsten Komponisten
des 20. Jahrhunderts. Die indirekte Mitwirkung des Publikums,
­seine methodische Arbeit mit Zufallsoperationen, die Verwendung ungewöhnlicher oder zweckentfremdeter Instrumente oder
neuer Medien wie Tonbänder und Computer, die Ausführung von
nichtmusikalischen Handlungen und die Übernahme szenischer
Elemente in die Musik repräsentieren sein innovatives Musikverständnis. Seit den späten 1940er-Jahren beschäftigt er sich
intensiv mit indischer Philosophie, mit dem Zen-Buddhismus und
mit dem I Ging, dem chinesischen Orakel- und Weisheitsbuch.
Stille im Sinne absoluter Geräuschlosigkeit gibt es für ihn nicht
(4’ 33”, 1952). 1948 bis 1952 unterrichtet er am Black Mountain
College und wird 1953 musikalischer Direktor der Cunningham
Dance Company.
Bis zu seinem Tod publizierte er Vorträge, Schriften und poe­
tische Texte. Seit 1978 entstanden zunehmend grafische Zyklen,
Radierungen, Zeichnungen und Aquarelle.
In dem Werk Water Music, 1952, wird vom Pianisten verlangt,
Wasser von einem Becher in den anderen zu gießen, das Piano zu
präparieren, indem Gegenstände zwischen die Saiten gesteckt
werden, unter Wasser Flöte zu spielen, ein Radio und ein Kartenspiel zu benützen und andere nichtmusikalische Handlungen auszuführen, um den Gesichtssinn anzusprechen. Die Anweisungen
sind auf zehn aneinandergefügten Blättern notiert, das Publikum
kann die Partitur mitverfolgen.
© 2014 André Derain | Bildrecht Wien
André Derain, Homme accroupi (Kauernder), 1907
Sandstein
33 x 28 x 26 cm
mumok, Wien, erworben 1964
Derain, André (1880–1954)
Französischer Maler
Zunächst den Fauves und Henri Matisse nahestehend, zieht sich
André Derain nach 1908 aus der Pariser Künstlergemeinschaft
zurück, setzt sich mit Paul Cézanne auseinander und schließt sich
eine Zeit lang dem Kubismus an.
Seine Skulptur Kauernder aus dem Jahr 1907, eines der wertvollsten Stücke in der Sammlung des mumok, bedeutet einen
revolutionären Aufbruch zu Neuem. Die Bildhauerei entwickelte
sich jenseits der repräsentativen Denkmäler, die Kunst machte
sich frei von der Verpflichtung, Wirklichkeit abzubilden. Die Figur
des Kauernden ist aus grobem Sandstein – und nicht aus bislang
als kunstwürdig erachteten Materialien wie Bronze oder Marmor.
Sie hat keinen Sockel, ihre Körperformen sind stark vereinfacht,
geometrisch und blockhaft geschlossen. Mit dem Kauernden
stellt der Künstler eine allgemein menschliche Situation dar. Eine
wesentliche Inspirationsquelle für Derains formale Gestaltung
bildete seine Auseinandersetzung mit Werken außereuropäischer
Kulturen. Gemeinsam mit seinem Freund Pablo Picasso hatte er
um 1906/07 Ausstellungen sogenannter primitiver Kunst besucht und sich für deren Ausdruckskraft begeistert.
© 2014 VALIE EXPORT | Bildrecht Wien
VALIE EXPORT, Aufhockung, 1972
S/W-Fotografie, 60,5 x 41,7 cm
mumok, Wien, erworben 1980
VALIE EXPORT, Starre Identität, 1972
S/W-Fotografie, 41 x 61 cm
mumok, Wien, erworben 1980
VALIE EXPORT, Abrundung II, 1976
S/W-Fotografie, 41 x 60,4 cm
mumok, Wien, erworben 1980
(weiters in der Sammlung des mumok: Aufhockung 2, 1972, S/W-Fotografie, Tinte, Papier,
60,5 x 41,5 cm, erworben 1980; Aufhockung, 1972, S/W-Fotografie, Tinte, 60,5 x 41,7
cm, erworben 1980; Starre Identität, 1972, S/W-Fotografie, Tinte, 41 x 61 cm, erworben
1980; Abrundung II, 1976, S/W-Fotografie, 41 x 60,4 cm, erworben 1980, Bedrückung,
1972, S/W-Fotografie, Tusche, 41,5 x 60,5 cm, erworben 1980, Body Sign C, 1970 S/WFotografie, 107 x 71 cm, Schenkung aus Privatbesitz, 2004; VALIE EXPORT/Peter Weibel,
Tapp und Tastkino, 1968, Video, s/w, Ton, 11 min, erworben mit Unterstützung des BKA,
Sektion Kunst, 2011; u. a. m.)
EXPORT, VALIE (Waltraud Höllinger) (* 1940)
Österreichische Medienkünstlerin, Performancekünstlerin
und Filmemacherin
VALIE EXPORT war Dozentin an verschiedenen europäischen
und amerikanischen Universitäten, lehrte an der Hochschule der
Künste in Berlin und war Professorin für Multimedia-Performance
an der Kunsthochschule für Medien in Köln. In allen von ihr aufgegriffenen Kunstsparten arbeitet sie mit ihrem Körper, vornehmlich
aus weiblicher, geschlechtsspezifischer Sicht. Teilweise geht dessen Einsatz bis an die Grenze der physischen Belastbarkeit, sie
macht ihren Körper zum Maßstab ihrer Erfahrungen und benützt
ihn als Medium der Information und als Zeichenträger. Mit der
Darstellung von Körperhaltungen als Ausdruck innerer Zustände,
in der Natur sowie in der Architektur, als Anpassung, Abrundung
oder Einfügung, beschäftigt sie sich erstmals zwischen 1972
und 1976. Diese Körperkonfigurationen sind als Körperschrift zu
lesen, die Bilder vom kulturellen Umgebungskörper liefern. Sie
nimmt mit ihrem Körper Maß an der Architektur, der Körper ist für
sie Schauplatz des gesellschaftlichen Systems.
Die Strukturen der Gesellschaft, die die Energie des Menschen
reglementieren und ummauern, sind für sie schmerzhafte Barrieren, durch die der Mensch zu einem gezähmten Tier wird. So stellt
sie gesellschaftliche Rahmenbedingungen infrage, versucht, sie
zu verändern, und tritt stets für die gesellschaftliche Verantwortung von Kunst ein.
© 2014 Dan Flavin | Bildrecht Wien
Dan Flavin, »monument« 1 for V. Tatlin, 1964
Kaltweiße Leuchtstoffröhren
244 cm hoch
The Estate Collection David Zwirner
(weiters in der Sammlung des mumok: Untitled (To my
friend De Wain Valentine), 1990, Leuchtstoffröhren, Metall,
erworben 1993; Untitled (To Cy Twombly), 1972, kaltweiße
und Tageslichtleuchtstoffröhre, 244 cm über eine Ecke,
Leihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung, seit 2012)
Flavin, Dan (1933–1996)
US-amerikanischer Künstler der Minimal Art
Dan Flavin studiert Kunstgeschichte und arbeitet als Aufseher in
verschiedenen New Yorker Museen. Parallel experimentiert er mit
Malerei und Assemblage. 1961 integriert er Glühbirnen in seine
Arbeiten, ab 1963 wird die handelsübliche Leuchtstoffröhre in
genormten Dimensionen und Farben zu seinem einzigen künst­
lerischen Material.
Seine Installationen, die er nicht als Skulpturen, sondern als
»Situationen« oder »Vorschläge« bezeichnet, variieren in der
Länge der Röhren, ihrer Farbe und ihrer Positionierung im Raum.
Zwischen 1964 und 1982 schafft Dan Flavin eine Serie, deren
Titel »monuments« for V. Tatlin (1964–1990) auf das Denkmal der
III. Internationale von 1919/20 des russischen Konstruktivisten
Wladimir Tatlin verweist. Tatlin hatte für das politische Großereignis einen schräg gestellten metallenen Turm von 400 Meter Höhe
entworfen. Nur als Modell ausgeführt, ist dieser Turm zu einem
Symbol für die kommunistischen Utopien wie auch für deren
Scheitern geworden. Flavins Anordnung der Leuchtstoffröhren
ähnelt allerdings auch anderen Monumenten: Die vertikale Staffelung der Leuchtstoffröhren wiederholt die markanten Silhouetten
des Empire State Building oder des Rockefeller Center in New
York. Durch den Werktitel und die formale Anordnung der Leuchtstoffröhren verbindet Flavin ein Motiv kommunistischer Ideologie
mit einem des Kapitalismus. Er blendet damit zwei konträre poli­
tische Visionen ineinander und verweist auf deren gemeinsame
monumentale Machtgebärden. Auch spottet seine Technologie,
die lediglich aus billigen und jederzeit ersetzbaren Leuchtmodulen besteht, jenem Ewigkeitsanspruch, den Monumente gewöhnlich repräsentieren. »Ich setzte das Wort ›Monumente‹ immer in
Anführungszeichen, um den ironischen Humor temporärer Monu­
mente oder Denkmäler hervorzuheben. Diese Monumente sind
nur so dauerhaft wie das Lichtsystem selbst – 2100 Stunden.«1
1 Zit. nach Suzanne Munchnic, »Flavin Exhibit: His Artistra Comes to Light«, Los Angeles Times,
23.04.1984.
Gerstl, Richard (1883–1908)
Österreichischer Maler
Er studierte an der Wiener Akademie der bildenden Künste in
Wien. Zum zeitgenössischen Kunstbetrieb stand er in radikaler
Opposition und lehnte diesen ab. Durch engagierte Interessen auf
literarischem, philosophischem und vor allem auf musikalischem
Gebiet entwickelte sich eine intensive Freundschaft mit dem
Komponisten Arnold Schönberg. Seine frühen Arbeiten waren
pointilistisch gefärbt, in seiner letzten Zeit entstanden seine Werke in Auseinandersetzung mit dem Symbolismus, Strömungen des
Impressionismus bis hin zum aufkeimenden Expressionismus. Er
löst sich zusehends vom äußeren Schein immer mehr dringt das
innere Erleben auf die Leinwand. Seine Landschaftsbilder, Selbstbildnisse und Porträts sind gekennzeichnet durch Impulsivität,
Spontanität und befreiter zuweilen aggressiver Ausdrucksmalerei,
sie enthalten aber auch ein großes Maß an Abstraktion. Gerstl
porträtierte mehrfach Arnold Schönberg, seine Angehörigen und
die Mitglieder des »Schönberg-Kreises«, einer avantgardistischen, verschworenen Gruppe. Schönberg begann seinerseits zu
malen und wurde zweifellos von Gerstl beeinflusst. Das Familienbild Schönberg zeigt den Komponisten mit seiner Frau Mathilde
und den Kindern Gertrud und Georg. Entstanden ist es wahrscheinlich im Sommer 1907, den Gerstl mit den Schönbergs und
ihren Freunden am Traunsee verbrachte. Von jeder linearen Formgebung entbunden, ist das Bild allein aus Farbgebilden aufgebaut, die sich zu nur schemenhaft erkennbaren Gestalten fügen.
Gerstl wagt sich damit so nahe wie keiner seiner Zeitgenossen an
die Grenze zur abstrakt-expressiven Malerei. Für Gerstl hatte die
Liaison mit Mathilde Schönberg nach ihrem Bekanntwerden die
Verbindung mit den gesamten Kreis unmöglich gemacht, er vernichtet alle persönlichen Aufzeichnungen und zahlreiche Gemälde und setzt seinem Leben ein Ende. Die meisten Werke befinden
sich im Leopold Museum und in der Österreichischen Galerie
Belvedere in Wien.
Richard Gerstl, Familie Schönberg, 1907
Öl auf Leinwand
88 x 109 cm
Schenkung der Familie Kamm, Zug
© 2014 Raymond Hains | Bildrecht Wien
Raymond Hains, Palissade de trois planches, 1959
Plakatreste auf Originalbrettern eines Zaunes
100 x 64 x 2 cm
mumok, Wien, ehemals Sammlung Hahn, Köln, erworben 1978
(weiters in der Sammlung des mumok: Ainsi bafouée, 1959, Plakatabrisse auf
Zinkblech, 200 x 150 cm, ehemals Sammlung Hahn, erworben 2005; Palissade,
1959, Plakatabrisse auf Holz, 56,5 x 23 x 2 cm, ehemals Sammlung Hahn,
erworben 2003; Seita, 1964, Holz, Plastikmasse, Ölfarbe auf Holz, 95 x 86 x
7 cm, ehemals Sammlung Hahn, erworben 1978; 33. Biennale Venezia, 1966,
Plakatabrisse, montiert auf Leinwand, 104 x 143 cm, ehemals Sammlung Hahn,
erworben 1978; Yves Klein – Jean Tinguely I, 2000, Silbergelatinedruck auf
Aluminium, 120 x 150 cm, erworben 2001; Hains et la Reddition de Breda, 2000,
Silbergelatinedruck auf Aluminium, 120 x 150 cm, erworben 2001)
Hains, Raymond (1926–2005)
Französischer Künstler des Nouveau Réalisme
Raymond Hains zählt zu den sogenannten Affichistes (Plakat­
abreißern) und ist Gründungsmitglied des Nouveau Réalisme,
dessen Ziel es ist, einen fließenden Übergang zwischen Kunst
und Leben zu schaffen und soziale Realitäten in der Kunst widerzuspiegeln. Bereits ab 1949 sammelt er »verletzte« Plakate im
öffentlichen Raum, die er dann als zufällige, anonyme und urbane
Malereien ausstellt. Diese Zufallsbilder werden als Décollagen
bezeichnet, weil mit ihnen ein Gestaltungsprinzip eingeführt wird,
das die herkömmliche Bildcollage umkehrt – in den Abreißbildern werden die Bildschichten freigelegt statt zusammengefügt.
­Neben den zufällig gefundenen zerrissenen Plakatwänden, die
ohne weitere Bearbeitung in den Ausstellungsraum transferiert
werden, stellt Hains auch selbst Décollagen her. Palissade de trois
planches ist so ein Beispiel. Die Arbeit besteht aus drei Brettern
eines Bauzaunes, auf denen Plakatreste zu sehen sind. Hains
hat die Bretter zuvor im öffentlichen Raum illegal beklebt, die
manipulierten Oberflächen teilweise wieder abgerissen und zum
Kunstwerk erhoben. Diese Readymademalerei entspricht dem
Wirklichkeitsbegriff der Neuen Realisten: Es gibt eine Deckungsgleichheit von Darstellung und Dargestelltem. Die Abstraktion ist
nicht länger ein individueller Gestaltungsvorgang, sondern ein
zufälliges Formprodukt der industriellen Gesellschaft.
Hanson, Duane (1925–1996)
US-amerikanischer Bildhauer des Hyperrealismus
Duane Hanson gilt als einer der einflussreichsten, dem Realismus
verpflichteten amerikanischen Bildhauer des 20. Jahrhunderts.
Viele seiner Arbeiten sind von einem starken sozialkritischen Impetus gekennzeichnet. Unter dem Einfluss der Pop-Art beginnt
Hanson in den 1960er Jahren mit lebensgroßen und detailgetreuen Figuren die Schattenseiten des »American Way of Life« in
Szene zu setzen. Mit seinem Fokus auf Menschen aus der amerikanischen Mittel- und Unterschicht führt er den Betrachter_innen
soziale und politische Missstände seiner Zeit vor Augen. Seine
lebensgroßen, detailgetreu ausstaffierten Figuren sind in einem
Abgussverfahren vom lebenden Modell aus Polyesterharz und Fiberglas gefertigt und mit realer Kleidung ausstaffiert.
Die Bowery Derelicts wurden 1972 bei der documenta V in
Kassel gezeigt und brachten Hanson internationalen Erfolg.
»Ich wollte Kommentare abgeben und wurde auch kritisiert,
dass ich das nur täte, um zu schockieren. Ich für meinen Teil glaube mich aber mit diesen hoffnungslosen Fällen den gescheiterten
Revolutionen usw. identifizieren zu müssen. Ich bin nicht zufrieden mit der Welt. Nicht dass ich glaube, man könne sie ändern,
aber zumindest will ich meinen Unmut über sie zum Ausdruck
bringen.«
Duane Hanson, Bowery Derelicts (Bowery Bums), 1969/70
Fiberglas, Polyester und originale Kleidung
78 x 123 x 73 cm, 40 x 186 x 75 cm, 32 x 127 x 82 cm
Sammlung Ludwig, Ludwig Forum für internationale Kunst, Aachen
© 2014 Johannes Itten | Bildrecht Wien
Der rote Turm, 1917/18
Öl auf Leinwand
141 x 100,5 cm
mumok, Wien, Schenkung der Gesellschaft der Freunde der
bildenden Künste Wien, 1989
(weiters in der Sammlung des mumok: Mädchen am Fenster,
1917, Bleistift auf Transparentpapier, 23,5 x 17 cm, Sammlung
Dieter und Gertraud Bogner im mumok, seit 2007 ; Vogelthema,
1918, Öl auf Leinwand, 111,3 x 55,3 cm, erworben 1962;
Ohne Titel, 1960, Aquarell, Tusche auf Papier, 17,2 x 13,1 cm,
Sammlung Dieter und Gertraud Bogner im mumok, seit 2007;
Rotes Quadrat, 1967, Lithografie, 45 x 56,5 cm, Sammlung
Dieter und Gertraud Bogner im mumok, seit 2007; u. a. m.)
Zur Zusammenarbeit
Josef Matthias Hauer (1883–1959)
»Ich bin Komponist und habe in meiner Tasche Briefe an meine
Freunde, um ihnen mitzuteilen, dass ich derart hoffnungslos in
die Zukunft sehe, dass ich mich entschlossen habe, nie mehr eine
einzige Komposition zu schreiben. Seit ich jetzt hier Ihre Bilder
sah, verspreche ich Ihnen, dass ich diese Briefe verbrenne und
mit neuer Hoffnung an die Arbeit gehe!«
Diese Worte richtet der österreichische Komponist Josef
­Matthias Hauer im Jahr 1919 an den Maler und Kunstpädagogen
Johannes Itten, nachdem er dessen Gemälde in den Ausstellungsräumen der Künstlervereinigung Freie Bewegung in Wien
gesehen hat. Itten selbst leitet zu diesem Zeitpunkt seine private Kunstschule in Wien und ist im Begriff, dem Ruf von Walter
Gropius ans Bauhaus in Weimar zu folgen. Josef Matthias Hauer
hingegen beschäftigt sich intensiv mit seinem musikalischen
Zwölftonkonzept.
In der Folge tauschen sich die beiden Künstler über ihre Theorien zu Farb- und Tonverhältnissen aus und entdecken große
Übereinstimmungen ihrer Modelle. Hauer entwickelt einen Farbkreis, bei dem er warmen und kalten Farben jeweils Tonarten aus
dem Quintenzirkel zuordnet. Itten erarbeitet mit Grundformen
und Grundfarben ein System, das Formen und Farben bestimmte Charaktereigenschaften zuweist, sowie eine Kontrastlehre.
Nachdem Itten im Sommer 1919 ans Bauhaus geht, wo er den
Vorkurs leitet, setzt ein reger Briefwechsel zwischen den beiden Künstlern ein. Der Plan, am neu gegründeten Bauhaus eine
Musikklasse zu etablieren, scheitert aber an den finanziellen
Rahmenbedingungen. Nach der euphorischen ersten Phase der
Zusammenarbeit kommt es in der Folge zu Spannungen, da die
Absolutheitsansprüche der beiden Konzepte trotz vieler Überschneidungen von keiner Seite relativiert werden.
Opus 19, das Hauer unter dem Eindruck der Begegnung mit
Itten 1919 komponiert hat, ist als Hörbeispiel beigefügt.
Johannes Itten (1888–1967)
Das 1918 entstandene Ölbild Der rote Turm ist eine Reflexion
über den Kreislauf des Lebens. Es enthält im Vergleich mit anderen Bildern Ittens aus dieser Periode viele gegenständliche
Details. Die erste Anregung zu diesem Bild war laut Itten ein
Blick aus dem Fenster seiner Wiener Wohnung in der Peter-Jordan-Straße, von der er sowohl auf die Ignaz-Semmelweis-Klinik
als auch auf zwei Kirchen mit roten Backsteintürmen sah. Der von
den Backsteinkirchtürmen angeregte rote Turm ist zu einem die
Bildmitte beherrschenden Rechteck verdichtet und weist wie ein
Zeigefinger auf einen Stern, umgeben von »Luftwesen«, sowie
einen mondähnlichen gelben Kreis im oberen Drittel des Bildes.
Die Mittelachse wird von einander überschneidenden Formen
umspielt, die dem Bild seinen lebendigen, pulsierenden Charakter
verleihen.
© 2014 Jasper Johns | Bildrecht Wien
Jasper Johns, Target (Zielscheibe), 1967/69
Öl, Collage, Transfertechnik auf Leinwand
157 x 157 x 2,5 cm
mumok, Wien, Leihgabe der Österreichischen LudwigStiftung seit 1981
(weiters in der Sammlung des mumok: Two Flags (Zwei
Flaggen), 1959, Acryl auf Leinwand, 203,5 x 148,5 cm,
Leihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung, seit
1978)
Johns, Jasper (* 1930)
US-amerikanischer Bildhauer und Grafiker
Nach seinem Kunststudium in South Carolina geht Jasper Johns
1952 nach New York und beginnt einen intensiven Ideenaustausch mit Robert Rauschenberg.
Ausgehend vom abstrakten Expressionismus, wandte er sich
Mitte der 1950er-Jahre bewusst banalen Sujets zu, die allen aus
dem täglichen Leben vertraut sind, wie Zahlen, Zielscheiben und
der US-amerikanischen Flagge. Johns verwendet eine spezielle
Enkaustiktechnik, ein Gemisch aus Wachs und Farbpigmenten, in
das er collagierte Zeitungsfetzen integriert. Diese Technik wurde
zu seinem Markenzeichen. Seine Zielscheibenbilder hatten viele
Nachahmer_innen und wurden aufmerksam studiert. Die amerikanische Flagge tritt allgemein nicht mehr so ins Bewusstsein,
wird aus der alltäglichen Umgebung befreit und so gemalt, dass
möglichst wenig subjektive Ansätze erkennbar sind. Die Provokation liegt in der Abbildung des vermeintlich Banalen. Es geht nicht
um Bedeutung, Inhalt und Interpretation, sondern um die formale
Identität. Es wird nicht komponiert, sondern der Gegenstand wird
gezeigt, wie er ist. Eine Wiederholung der Wirklichkeit mit malerischen Mitteln.
Wir haben es mit grundlegenden Problemstellungen von Malerei wie der des Objektcharakters eines Bildes zu tun: Handelt es
sich um eine Flagge oder um ein Bild? Ist es Abgebildetes oder
Abbildung?
© 2014 Franitsek Lesák | Bildrecht Wien
Frantisek Lesák, Halbvoll / Halbleer, 1975
Holz, Messing, Glas, Glyzerin
158 x 30 x 30 cm
Sammlung Dieter und Gertraud Bogner im mumok, seit 2007
(weiters in der Sammlung des mumok: Ohne Titel, 1991,
Kunststoff bemalt, Ø 60 cm, Sockel: 103 x 45 x 45 cm,
erworben 1993; Machtspiele, 1973, Video, s/w, Ton, 11:36
min, Sammlung Dieter und Gertraud Bogner im mumok, seit
2010; Demonstrationsfeld, 1993, Video, s/w, Ton, 17:25
min, Sammlung Dieter und Gertraud Bogner im mumok, seit
2010; Irrtümer, 1973, Video, s/w, Ton, 5:32 min, Sammlung
Dieter und Gertraud Bogner im mumok, seit 2010; Hermes
des Praxtiteles punktiert mittels Licht, 2003, vier S/WFotografien, je 40 x 30 cm, erworben mit Unterstützung der
Gesellschaft der Freunde der bildenden Künste, 2004)
Lesák, Frantisek (* 1943)
Tschechischer Konzeptkünstler
Seit 1964 lebt Lesák in Wien, wo er von 1979 bis 2003 plastisches Gestalten an der Technischen Universität lehrte.
Frantisek Lesák beschäftigt sich in seiner Arbeit u. a. mit
Messvorgängen und ihrer Darstellung. Er vermisst räumliche
Strukturen und quantitative Verhältnisse und visualisiert sie mit
grafischen Mitteln oder mit Alltagsgegenständen.
Frantisek Lesáks Arbeit Halbvoll / Halbleer zeigt ein exakt bis
zur Hälfte mit klarer Flüssigkeit gefülltes Viertellitertrinkglas, das
auf einem schlanken Holzsockel unter einem messinggefassten
Glassturz steht. An der unteren Leiste der Vitrinenfassung ist auf
zwei Seiten jeweils eine Plakette angebracht, in die einerseits
Autor und Datum und andererseits der Titel des Werks eingraviert
sind. Sockel, Sturz, Objekt und Titel thematisieren zwei unterschiedliche Aspekte der Erfassung von Wirklichkeit: einen persönlichen und einen wissenschaftlichen. Zum einen verweist der
Titel auf die zur umgangssprachlichen Redewendung gewordene
philosophische Erkenntnis der Perspektivgebundenheit unserer
Sicht der Dinge: Ob wir das Glas halb voll oder halb leer sehen,
hängt von unserer persönlichen Lebenseinstellung ab. Andererseits aber ähnelt die Präsentation des mit der klaren Flüssigkeit
gefüllten Glases der Zurschaustellung eines musealen Präparats,
das, aus jedem Gebrauchskontext isoliert und mit einer Bezeichnung versehen, eine wissenschaftliche Aussage illustriert.
© 2014 Sol LeWitt | Bildrecht Wien
Sol LeWitt, Form Derived from a Cube, 1986
5-teilig: Holz, Lack
Kuben #1–#3 à 65 x 65 x 65 cm, #4 75 x 50 x 65 cm,
#5 65 x 55 x 70 cm
mumok, Wien, Leihgabe der Österreichischen LudwigStiftung, seit 1988
(weiters in der Sammlung des mumok: Untitled, 1963;
Lines to Specific Points, 1975, 4 Aquatinta-Radierungen
auf Papier, je 45,5 x 45,5 cm, erworben 1984; On the
Walls to the Lower East Side, 1976; 37 Offsetdrucke auf
Karton, je 24,5 x 46,5 cm, Schenkung Egidio Marzona,
2005; Walldrawing 116. Arcs from Four Corners, Using
Four Colors, One from each Corner, 1971, Buntstift und
Bleistift, erworben 2005)
LeWitt, Sol (1928–2007)
US-amerikanischer Künstler der Minimal Art
Sol LeWitt ist ein führender Vertreter der Minimal Art. Von Bauhaus, de Stijl und dem Konstruktivismus beeinflusst, beginnt er
1962 Boden- und Wandstücke mit rein geometrischen Formen zu
schaffen. Mit seinem theoretischen Werk Paragraphs on Conceptual Art von 1967 wird er wegweisend für die Konzeptkunst.
Seit den 1960er-Jahren arbeitet Sol LeWitt mit geometrischen
Grundformen wie Kubus oder Quadrat. Die Eigenschaft des Würfels, »neutral«1 zu sein, ermöglicht es LeWitt, das Augenmerk weg
von der Form des Objekts hin zum dahinterliegenden Konzept
zu richten. Die Ausführung geschieht durch andere nach seinen
Instruktionen. Indem er seine eigene Handschrift am Werk auf
ein Minimum reduziert, wird das Konzept wichtiger als das fertige
Objekt. Damit verweist er über die Minimal Art hinaus auf die Concept Art: »In der Konzeptkunst ist die Idee oder das Konzept der
wichtigste Aspekt der Arbeit. Wenn ein Künstler eine konzeptuelle
Form von Kunst praktiziert, heißt das, dass alle Pläne und Entscheidungen im Voraus erledigt werden und die Ausführung eine
rein mechanische Arbeit ist. Die Idee wird zu einer Maschine, die
Kunst macht.«2 Auch in Untitled (Form Derived from a Cube) von
1986 entwickelt er aus der Grundstruktur des Würfels eine variierende Reihe geometrischer Formen. Die fünfteilige Arbeit des
mumok verdeutlicht LeWitts Abkehr von der strengen Geometrie
früherer Arbeiten. Statt den Würfel als standardisiertes Modul einzusetzen, dynamisiert LeWitt die Form durch Abschrägungen und
Fragmentierungen. Durch die eingesetzte weiße Farbe lenkt er
die ungeteilte Aufmerksamkeit auf die Essenz des Würfels.
1 »Die interessanteste Eigenschaft des Würfels ist, dass er relativ uninteressant ist«, so Sol
LeWitt. Zitiert nach Sol LeWitt, »Der Kubus«, in: Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, Gregor
Stemmrich (Hg.), Verlag der Kunst, Dresden/Basel, 1995, S. 185.
2 Sol LeWitt, »Paragraphen über konzeptuelle Kunst«, in: Über Kunst. Künstlertexte zum
veränderten Kunstverständnis nach 1965, Gert de Vries (Hg.), DuMont Schauberg, Köln, 1974,
S. 177.
© 2014 Roy Lichtenstein | Bildrecht Wien
Roy Lichtenstein, The Red Horseman (Der rote Reiter),
1974
Öl und Magna auf Leinwand
284,5 x 213,5 cm
mumok, Wien, Leihgabe der Österreichischen LudwigStiftung, seit 1978
(weiters in der Sammlung des mumok: Untitled (Around
the U.S.A.) From the portfolio: 1 CENT LIFE, 1964,
Farbfotografie, 41 x 58 cm, erworben 1983; Modular
painting with four Panels, 1969, Öl, Magna auf Leinwand,
244 x 244 cm, Leihgabe der Österreichischen LudwigStiftung, seit 1981; Mirror in Six Panels No. 1, 1970, Öl,
Magna auf Leinwand, 243,8 x 274,3 cm, Leihgabe der
Österreichischen Ludwig-Stiftung, seit 1991)
Lichtenstein, Roy (1923–1997)
US-amerikanischer Maler, Grafiker und Bildhauer der Pop Art
Roy Lichtenstein ist neben Andy Warhol der bekannteste Vertreter
der amerikanischen Pop Art. Seine Benday-Dots, die den industriellen Druck imitieren, werden zu seinem Markenzeichen. Die Motive entnimmt Lichtenstein aus Comicheften und Werbeanzeigen
sowie aus der Kunstgeschichte und hebt somit die Grenzen zwischen trivialer und hoher Kunst auf. Er beschränkt die Farbigkeit
auf ein Minimum und bevorzugt die Grundfarben und die Nichtfarbe Schwarz: Farben, die im kommerziellen Druck verwendet
werden. Neben der Malerei beschäftigt sich Lichtenstein auch mit
Sieb- und Holzdruck sowie mit Keramik.
Mit Der rote Reiter paraphrasiert Roy Lichtenstein das gleichnamige Bild des Futuristen Carlo Carrà von 1913, eine Hommage
an Bewegung und Geschwindigkeit. Ihm selbst nur als Reproduktion bekannt, zitiert Lichtenstein das berühmte Original nicht
mehr als wertvolles Objekt der Hochkultur, sondern als beliebig
verfügbaren Teil einer Massenkultur, die nicht mehr zwischen
Populär- und Hochkultur differenziert. Er unterwirft das kunsthistorische Vorbild der für ihn charakteristischen Bildsprache der
Benday-Rasterpunkte. Durch die Übertragung in die Grundfarben
Rot, Blau und Gelb, in gepunktete Schattierungen und starre
Konturen friert Lichtenstein die ursprüngliche Bewegung und
Dynamik des futuristischen Bildes ein und hebt die malerische
Dynamik auf. Vergleichbar der Siebdrucktechnik von Andy Warhol, nobilitiert Lichtenstein ein kommerzielles Druckverfahren zur
künstlerischen Technik. Seine Arbeiten sind jedoch keineswegs
Druckerzeugnisse, sondern Ergebnis eines aufwendigen Herstellungsprozesses, in dem er die nach Bildvorlagen angefertigten
Zeichnungen mithilfe eines Episkops auf die Leinwand projiziert
und die Farben auf das Kompositionsgerüst mittels Schablonen
schrittweise aufträgt.
Long, Richard (* 1945)
Britischer Land-Art Künstler
»Meine persönliche Philosophie unterscheidet sich von der der
amerikanischen Land-Art-Künstler, die in ihren Werken Gebrauch
von Grundbesitz und Geld, Maschinen und Monumentalität machen. Einfaches Wandern und Zurücklassen ephemerer Spuren in
öffentlichen Naturlandschaften bedeutet für mich künstlerische
Freiheit, in der Natur, ohne all das vermittelnde Zeug. (...) Ich mag
den Gedanken, Land zu verwenden, ohne es zu besitzen.«
So formuliert der britische Land-Art-Künstler Richard Long
seinen behutsamen Umgang mit Natur als Antithese zu den spektakulären Eingriffen der amerikanischen Kollegen.
Seine Erkundung von Landschaft, die sich innerhalb vorher
festgelegter Parameter bewegt, lässt gleichsam Skulptur entstehen. Auf seinen Wanderungen in den entlegensten Gebieten
der Erde sammelt er Naturmaterialien wie Steine oder Hölzer,
mit denen er geometrische Markierungen in Form von Kreisen,
Spiralen oder Linien setzt – elementare Ordnungssysteme, die an
prähistorische Monumente erinnern. Nachdem er sie fotografisch
dokumentiert hat, löst er sie wieder auf und führt sie so in den
Kreislauf der Natur zurück.
Mit Bodenskulpturen wie dem Steinkreis von 1980 schafft
Long komplementäre Situationen. Dem Landschaftskontext
enthoben, erfahren die Anordnungen im Ausstellungsraum eine
Ästhetisierung. Ein Zertifikat soll die exakte Anordnung der Steine
gewährleisten und garantiert deren Identität als Kunstobjekt.
Longs geometrisches Formenrepertoire erinnert an die Minimal
Art, doch richtet sich sein Fokus nicht auf die Erschaffung formalistischer Artefakte, sondern auf Ergebnisse realer Handlungen
und individueller Raum- und Zeiterfahrungen in der Natur.
Richard Long, Stone Circle, 1980
Marmor
Ø 280 cm
mumok, Wien, erworben 1986
(weiters in der Sammlung des mumok: Black and White
Willow Circles, 1981, Schwarze und weisse Holzstäbchen,
in vier Kreisen aneinandergelegt, Ø 400 cm; mumok
Wien, erworben 1997; Dark Charcoal Line, 1988, Kohle,
650 x 40 cm, mumok Wien, erworben 1995; Untitled,
1970, mumok, Wien, Leihgabe der Österreichischen
Ludwig-Stiftung, seit 1981)
© 2014 René Magritte | Bildrecht Wien
René Magritte, La Voix du sang (Die Stimme des Blutes),
1959
Öl auf Leinwand
116,5 x 89,5 x 2 cm, mumok, Wien, erworben 1960
(weiters in der Sammlung des mumok: La Fidelité des
images, 1928–1955, 16 S/W-Fotografien, je 8 x 14 bzw.
14 x 8 cm, erworben 1995)
Magritte, René (1898–1967)
Belgischer Maler
René Magritte wird zu den bedeutendsten Surrealisten gezählt.
Nach einem Studium in Brüssel experimentiert er anfänglich, beeinflusst von Futurismus, Orphismus und Kubismus, mit verschiedenen Stilen. Von 1927 bis 1930 lebt er in Paris und schließt sich
den Surrealisten um André Breton an. Seinen Lebensunterhalt
verdient er mit Entwürfen für Plakate, Tapeten und Reklamezeichnungen. Er sucht eine spezifisch metaphysische Ausdrucksform,
die traumatisch hintergründige Assoziationen hervorruft. In seinen
Werken löst er Dinge aus ihrem gewohnten Kontext und komponiert scheinbare Nonsenskonstellationen. Er malt keine konkreten
Träume, macht sich aber Traumszenarien zunutze. Als Künstler
interessiert er sich für Figuren aus legendären Horror- und Kriminalgeschichten und die Trivialität von Grusel und Spannung,
die Figuren wie Dracula, Frankenstein und Fantomas umgab.
Die magische Wirkung seiner Bilder beruht auf der unerwarteten
Gegenüberstellung alltäglicher Objekte. Großes ist ganz klein,
Schweres schwebt im Himmel, Tag und Nacht erscheinen gleichzeitig im Bild. Magritte verwehrt sich gegen symbolhafte Bezüge
und verwendet Bildtitel, die als zusätzliches Verunklärungsmoment dienen sollen. Hinter der banalen Erscheinungsform sollen
das Rätselhafte, Poetische und Wunderbare der Wirklichkeit sowie
die geheimnisvolle Natur des menschlichen Wahrnehmens und
Denkens spürbar sein.
© 2014 Karel Malich | Bildrecht Wien
Malich, Karel (* 1924)
Tschechischer Zeichner, Maler und Bildhauer
Karel Malich studiert nach dem Krieg in Prag Zeichnen, Pädagogik und Ästhetik und beginnt zunächst Zeichnungen und Malereien nach der Natur anzufertigen. Erst Anfang der 1960er-Jahre
findet er zur Abstraktion und erweitert seinen künstlerischen Ausdruck auch auf die Skulptur. Seine Malereien werden zunehmend
reliefartig und seine Zeichnungen zu dreidimensionalen Draht­
skulpturen.
»Karel Malich hat die Auffassung der Statue revolutioniert. Er
hat sie ihrer Masse beraubt und sie nur aus Drähten oder durchsichtigen Plexiglasstäben modelliert. Dadurch schuf er etwas, das
kein Vorbild in der Geschichte der Kunst hatte«, sagt der tschechischer Kunsthistoriker Tomáš Vlček1 über Malichs filigrane Plastiken, die im Raum zu schweben scheinen. Der Künstler selbst
beschreibt sie als »Sprache des Raums, die in Harmonie mit dem
Universum und seinen Elementen« sein sollten. Malichs Arbeiten
sind den Ideen des Konstruktivismus und der Kinetik ebenso
verpflichtet wie seiner Offenheit gegenüber kosmologischen und
spirituellen Erfahrungen mit dem Licht, mit dem Erblicken des
Strahlenflusses und der Energienetze, die alles Lebende verbinden. In seiner Installation Entfesselte Landschaft versucht Malich
unsichtbare Energiefelder zu visualisieren. Der Titel unterstreicht
zudem Malichs tiefe Bewunderung der Natur und seine konzentrierte und sensible Aufmerksamkeit für alles, was er sieht und
wahrnimmt.
1 Zit. nach Marco Zimmermann, »Einer der ganz Großen. Karel Malich und der menschlichkosmische Geschlechtsverkehr«, 20.04.2013, http://www.radio.cz/de/rubrik/kultur/einer-derganz-grossen-karel-malich-und-der-menschlich-kosmische-geschlechtsverkehr (23.10.2013).
Karel Malich, Entfesselte Landschaft II, 1973/74
Draht
167 x 134 x 190 cm
mumok, Wien, erworben 1995
(weiters in der Sammlung des mumok: Ohne Titel, 1989, Pastell auf
Papier, 100 x 70 cm, erworben 1999; Blauer Korridor, 1966, Lack auf
Holz, 95 x 158 x 8 cm, erworben, 2002; Schwarzes Relief, 1968/69,
Lack, Kunststoff auf Holz, 90 x 64 x 8 cm, erworben 1994; Entfesselte
Landschaft III, 1973/74; Draht, 130 x 170 x 106, erworben 1995; Licht,
1991, Pastell auf Papier, 100 x 70 cm, erworben, 1999; Licht, 1993,
Pastell auf Papier, 100 x 70 cm, erworben, 1999; Licht, 1993, Pastell
auf Papier, 101 x 72 cm, erworben, 1999; Ich sah es, 1995, Pastell auf
Papier, 102 x 74 cm, erworben, 1999)
© 2014 Mondrian/Holtzman Trust c/o HCR International USA
Piet Mondrian, Komposition mit Doppellinie und Blau
(unvollendet), 1935
Öl auf Leinwand
60 x 50 cm
mumok, Wien, erworben 1967
Mondrian, Piet (1872–1944)
Niederländischer Maler, Begründer des Neoplastizismus
Piet Mondrian studiert in Amsterdam und malt zunächst Landschaften, die in der holländischen Tradition des 19. Jahrhunderts
stehen. Von 1911 bis 1914 lebt er in Paris, wo seine künstlerische Entwicklung einen starken Impuls und Einfluss durch den
Kubismus erfährt, den er bis zur extremen Vereinfachung seiner
Plus-und-Minus-Bilder abstrahiert. Auf der Suche nach bildnerischen Symbolen für eine universelle Wirklichkeit gelangt er 1917
in den Niederlanden zur vollständigen Abstraktion. Im gleichen
Jahr gründet er mit Theo van Doesburg die De-Stijl-Bewegung.
Farbe soll autonom sein, frei von individueller Gefühlsbeschreibung. Er beschränkt seine Farbskala weitgehend auf die drei Primärfarben Rot, Gelb und Blau und die drei Nichtfarben Schwarz,
Grau und Weiß. Eine exakte Gestaltung von ausgewogenen Farb­
beziehungen soll subjektive Emotionen vermeiden, der rechte
Winkel schafft eine Gleichgewichtsbeziehung von Ausdehnung
und Begrenzung, schwarze Linien verlaufen in der Vertikalen und
Hori­zontalen. Die Diagonale lehnt Mondrian als Mittel der Perspektive – die Illusion einer Tiefendarstellung – ab. Geprägt von den
Ideen des Philosophen M. H. J. Schoenmaekers, sind die Bilder für
Mondrian Gleichnisse einer universalen Harmonie, die er auf alle
Lebensbereiche ausdehnen wollte. Sein Denken hatte große Wirkung auf die Gestaltung moderner Umwelt, vor allem in der Architektur und im Städtebau.
© 2014 Henrik Olesen | Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Köln
Henrik Olesen, Zwischenstufen (nach Magnus
Hirschfeld), 1999–2011
Fußleiste, Milchtüte
Maße variabel
mumok, Wien, erworben 2011
(weiters in der Sammlung des mumok: Some gaylesbian artists (and/or artists relevant to homo-social)
born inbetween 1717–1864, 2006, Collage von
Computerausdrucken, auf Holztafel, 208,3 x 300 x
86,4 cm, erworben 2011)
Olesen, Henrik (* 1967)
Dänischer Konzeptkünstler
Henrik Olesen studiert in Kopenhagen und Frankfurt am Main.
In seinen konzeptuell angelegten Skulpturen, Rauminstallationen, Collagen und architektonischen Interventionen widmet er
sich aktuellen wie historischen Themen aus der Kunst- und Kulturgeschichte sowie der Naturwissenschaft. Seit vielen Jahren
beschäftigt er sich mit der bildlichen Repräsentation von gleichgeschlechtlicher Kultur und setzt sich mit den Mechanismen der
Identitätsproduktion auseinander. Mit umfassenden Recherchen
und dem Aufbau eines Bildarchivs thematisiert er die Tätigkeit des
Sammelns und die Problematik dieser Form der Informationserfassung. Als Künstler ordnet er Dinge und Dokumente nach eigenen Kriterien und setzt bestehenden Ordnungen eine mögliche
Alternative entgegen. Seine Arbeiten sind kontinuierliche Untersuchungen von Geschlechts- und Identitätskonstruktionen, wie
sie auch in Kunstinstitutionen fortgeschrieben werden. Olesen
wirft einen kritischen Blick auf das Museum als Gedächtnisspeicher und zeigt, wie es maßgeblich zur Konstitution und Konstruktion gesellschaftlicher Konventionen beiträgt. Dabei setzt er sich
u. a. mit dem britischen Mathematiker Alan Turing auseinander
sowie mit dem Sexualforscher Magnus Hirschfeld (1868–1935),
besonders mit dessen Modell der Homosexualität als einer Zwischenstufe der menschlichen Sexualität und seinem Ziel der Verwirklichung der sexuellen Menschenrechte.
© 2014 Roman Opalka | Bildrecht Wien
Roman Opalka, OPALKA 1965/1–∞ (4185294–
4207974, 4207975–4232327, 4232328–4253355),
1965
Acryl auf Leinwand
196 x 135 cm
mumok, Wien, Leihgabe der Österreichischen LudwigStiftung, seit 1995
Opalka, Roman (1931–2011)
Polnisch-französischer Maler
Roman Opalka studiert in Lodz und in Warschau und lebt ab 1977
im südfranzösischen Bazérac. Sein Werk wird der prozessorientierten Konzeptkunst zugeordnet. In seiner künstlerischen Arbeit
setzt er sich mit der Frage der Zeitlichkeit auseinander. Es geht
ihm um die Sichtbarmachung einer Idee, eines Prinzips, einer
Strategie, die erst durch zeitliche Dauer und Repetition entfaltet
werden kann. Seit 1965 verfolgt er die »Beschreibung« der eigenen Existenz in Form von kontinuierlich fortlaufenden natürlichen
Zahlen. Atelier und Wohnort sind nicht getrennt, längere Unterbrechungen seiner Arbeit nicht möglich. Mit titanweißer Farbe
und dem kleinsten verfügbaren Pinsel (Nr. 0) werden die Zahlen
von Null fortlaufend auf Leinwände, mit der konstant bleibenden Größe 196 × 135 cm, aufgetragen. Opalka fügt der anfangs
schwarzen Hintergrundfarbe bei jedem weiteren Bild ein Prozent
weiße Farbe zu und hellt sie so kontinuierlich auf. Nachdem er
den Pinsel in die weiße Farbe taucht, schreibt er so lange, bis die
Linien sehr hell werden. Es entstehen sichtbare Rhythmen. Nach
Abschluss eines Bildes, auch »Detail« genannt, wird der Pinsel
mit der ersten und letzten ausgeführten Zahl gekennzeichnet und
aufbewahrt. Die Zahlen werden in polnischer Sprache laut gelesen und aufgenommen. Am Ende eines Arbeitstages erfolgt ein
fotografisches Selbstporträt mit Selbstauslöser in immer gleicher
Kleidung, Haltung, Lichtverhältnissen und »neutralem« Gesichtsausdruck. Während seiner letzten Ausstellung in Berlin im Juni
2011 war er bei der Zahl 5.590.000 angekommen. Bis zum reinen Weiß als Hintergrundfarbe kam er nicht mehr.
Am 6. August 2011 ist Opalka verstorben. Seine letzte Zahl
5.607.249 definiert das Ende der Unendlichkeit in seinem Werk.
© 2014 Michelangelo Pistoletto | Bildrecht Wien
Michelangelo Pistoletto, Divisione e moltiplicazione.
Specchio-angolo, 1976/90
2 Spiegel mit Holzrahmen, je 230 x 128 x 5 cm
mumok, Wien, Leihgabe der Österreichischen LudwigStiftung
(weiters in der Sammlung des mumok: Hunger, 1988, Holz,
Schaumgummi, Leinwand, 47 x 200 x 85 cm und 111 x
200 x 6 cm, Leihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung;
Uomo con barba, 1980, Siebdruck auf verspiegeltem
Edelstahl, 40 x 40 x 1,2 cm, erworben 1995; Uomo in
camicia seduto, 1993, Siebdruck auf verspiegeltem Edelstahl,
228 x 125 x 3 cm, erworben 1998)
Pistoletto, Michelangelo (* 1933)
Italienischer Maler, Objekt- und Aktionskünstler,
Kunsttheoretiker, Vertreter der Arte povera
Der Autodidakt Michelangelo Pistoletto beginnt seine künstlerische Aktivität in den 1950er-Jahren als Maler. Sein Werk wird
im Kontext der Arte povera rezipiert und von Manifesten, theoretischen Texten und selbstkritischen Reflexionen des Künstlers
begleitet. Schon in den ersten Selbstporträts, die er oft auf glänzendem Grund malt, reflektiert Pistoletto die Problematik der
Widerspiegelung und des Abbildes. 1961 schließlich setzt er zum
ersten Mal den Spiegel als Instrument unmittelbarer Realitätserfassung ein.
Divisione e moltiplicazione. Specchio-angolo gehört zu einer
Serie, in der Pistoletto mit der Teilung und Multiplikation von
Spiegelbildern experimentiert: »Wir können jede Sache im Reflex
des Spiegels verdoppeln, während wir den Spiegel jedoch nicht
verdoppeln können. Falls wir dem Spiegel sein eigenes Doppel
geben wollen, müssen wir ihn in zwei Teile trennen. Auf diese Weise kann ein Teil, indem er sich im anderen spiegelt, eine Vervielfachung des Spiegels bis ins Unendliche hervorrufen. So haben wir
in der Teilung der Einheit, der vom Spiegel dargestellten Einmaligkeit, das Prinzip der Vervielfachung.« (Michelangelo Pistoletto)
Die spiegelnden Oberflächen in Pistolettos Werk nehmen das
Abbild der Betrachtenden sowie des sie umgebenden Raumes
auf. Das Werk verändert sich somit unaufhörlich, es wird zur Projektionsfläche für alle erdenklichen Bilder.
© 2014 Fred Sandback Archive
Sandback, Fred (1943–2003)
US-amerikanischer Künstler des Minimalismus
Der studierte Bildhauer Fred Sandback wird durch seine minimalistischen Skulpturen aus feinen Metallstäben, bemalten Gummischnüren oder bemalter Acrylwolle bekannt. Seine linear-subtilen
Markierungen im Raum bezeichnet er selbst als Skulpturen. Sie
haben jedoch nichts mit der konventionellen Vorstellung von
Skulptur als abgeschlossenem Volumen zu tun: »Ich habe mich
schon früh von dem Modell solcher einzelnen skulpturalen Volumina zugunsten einer Skulptur gelöst, die weniger ein Ding an
sich wurde und mehr eine diffuse Schnittstelle zwischen mir, meiner Umgebung und anderen, die diese Umgebung bevölkern; errichtet aus dünnen Linien, die ausreichend Raum ließen, um sich
durch sie hindurch- und in ihr herumzubewegen. Noch Skulptur,
wenn auch weniger dicht, mit einer Ambivalenz zwischen Außenraum und Innenraum. Eine Zeichnung, die man bewohnen kann.«1
Untitled zeigt zwei horizontal und parallel in deutlichem Abstand hintereinander gestaffelte Schnüre in Augenhöhe. Indem
sie die gegenüberliegenden Wände miteinander verbinden,
thematisieren sie die Raumecke. Sie schreiben eine visuelle Markierung in den Raum ein, der den analysierenden Blick in eine
Pendelbewegung versetzt: Schnur und Ecke, Kunstwerk und
Raum definieren einander und bestimmen die Wahrnehmung als
die eigentliche Schaltstelle dieser Werk-Raum-Dialektik. Man
kann den Blick so steuern, dass die hintere von der vorderen
Schnur verdeckt wird, und damit das Wahrnehmen als einen Akt
erfahren, in dem Wissen und Sehen unablässig ineinander spielen. Diese Arbeit sensibilisiert nicht nur für die Zusammenhänge
räumlicher Parameter, sondern auch für jene zwischen Wahrnehmung und Interpretation.
1 Fred Sandback, Friedemann Malsch und Christiane Meyer-Stoll (Hg.), Ausst.-Kat.
Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz, Hatje-Cantz, Ostfildern-Ruit 2005.
Fred Sandback, Untitled, 1971
Elastische Schnur, graue Acrylfarbe
162,6 x 243,8 x 243,8 cm
mumok, Wien, erworben 2011
(weiters in der Sammlung des mumok: drawing from
the fourth of sixty-four three part pieces/75/rust-brown,
1975, Bleistift, Farbe, Tinte auf Papier, 20 x 19,5 cm,
Schenkung Christine König, 2011)
© 2014 Oskar Schlemmer | Bildrecht Wien
Oskar Schlemmer, Abstrakte Figur, 1921 (1962)
Bronzeguss
107 x 63 x 21 cm
mumok, Wien, erworben 1962
(weiters in der Sammlung des mumok: Dreiergruppe
mit Rückenakt, 1929, Pastell auf Papier, 60 x 44 cm,
erworben 1980)
Schlemmer, Oskar (1888–1943)
Deutscher Maler, Bildhauer und Bühnenbildner
Oskar Schlemmer studiert, unterbrochen durch Kriegsdienst, in
Stuttgart. 1920 wird er von Walter Gropius als Leiter der Bildhauereiabteilung und Bühnenwerkstatt an das Bauhaus berufen. Bis
zu seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1932
unterrichtet er an der Berliner Akademie. Wie bei vielen anderen zeitgenössischen Künstlern wird seine Arbeit vom Regime
als »entartete Kunst« entwertet. Seine Werke werden aus den
Museen entfernt, er erhält Ausstellungsverbot, und es folgen für
ihn bilderlose Jahre. Während seiner Bauhaus-Zeit beschäftigt er
sich hauptsächlich mit dem Thema der Figur im Raum, arbeitet
als Choreograf, Kostüm- und Bühnenbildner, Regisseur und Tänzer. Sein ganzes Leben setzt er sich mit dem Menschenbild und
der menschlichen Figur auseinander. Seine Objektivierung und
Entpersönlichung seiner abstrakten Figuren weist den Weg zu
allgemeingültiger Typengestaltung. Die naturalistische Wiedergabe zufälliger, individueller Züge lehnt er ab, ebenso jede Form
expressiver Übersteigerung. Seine Figuren gestaltet er in zeitloser, klassisch-maßvoller Harmonie. Er reduziert das Naturvorbild
auf das Wesentliche und setzt die Menschenfigur in strenge,
geometrische Formen um. Diese Kunstfiguren strahlen in ihrer
sachlich-nüchternen Präzision den Geist technischer Errungenschaften aus. Sein Leben lang strebt Schlemmer nach Synthese,
Harmonie und Universalität, sein Menschenbild erscheint als
technisch-funktional, zum Teil als Mischung zwischen Maschine und Mensch. So findet er zu seinem Sinnbild des modernen
Menschen, eines überindividuellen, sachlichen und überzeitlichen
Typus.
Segal, George (1924–2000)
Amerikanischer Bildhauer
Durch den Ausbruch des Krieges und der Arbeit auf der elterlichen Hühnerfarm, die er später als Atelier benützte, unterbrach
er sein Studium und setzte es 1946 an der Rutgers University fort.
Durch seine Begegnung mit Allan Kaprow und dem Einfluss des
Neuen Realismus, der Pop Art und dem Happening gab er seine
anfänglich figurative Malerei auf und wandte sich der environmentalen Plastik zu. In seinen ersten Skulpturen arbeitete er noch
mit Holz und Draht als Gerüst für seine Figuren. 1961 begann
er, mit Gipsbandagen direkte Körperabformungen vorzunehmen
und diese nach dem Entfernen der Gipshülle zu einem Körper
zusammenzusetzen. An der Technik fasziniert ihn das Wegfallen
von Posen und äußerlichen, zurechtgelegten Haltungen, bestimmt
durch die langwierige Prozedur des Bandagenauflegens, der unangenehmen Nässe und Unbeweglichkeit. Die »innere« Form, die
»Wahrheit« des jeweiligen Menschen tritt zu Tage. Das Material
Gips hat kein Eigenleben, es passt sich vollkommen der jeweiligen
Oberfläche an. Es geht ihm nicht um das Herausarbeiten von Details, sondern um einen Gesamteindruck des Menschen. 1959/60
präsentiert Segal seine erste situationelle Skulptur Man on a
Bicycle. Typisch für ihn ist die Verbindung von Gipsfiguren und
echten Gegenständen. In den folgenden Jahren entstanden unter
Einbeziehung realer Gegenstände Environments wie zum Beispiel
Cinema (1963) und The Restaurant (1967). Seine Arbeiten verkörpern in ihrer Stummheit und der jeweils speziellen Körperhaltung
zumeist Isolierung, Anonymität und Einsamkeit des modernen
Großstadtmenschen.
George Segal Woman in a Restaurant Booth (Frau in Restaurantnische), 1961
Tisch, Bank, Figur aus Gipsbandage, Tasse
130 x 175 x 110 cm
mumok, Wien, ehemals Sammlung Hahn, erworben 1978
© 2014 Jean Tinguely | Bildrecht Wien
Jean Tinguely, Méta-Harmonie, 1978
Dreiteilige Maschinenskulptur aus Eisen und Holz
mit diversen Gegenständen und Fundstücken, 3
Elektromotoren
290 x 600 x 150 cm
mumok, Wien, Leihgabe der Österreichischen LudwigStiftung seit 1983
(weiters in der Sammlung des mumok: Méta-matics, 1959
(10 Blätter) Farbstift, Filzstift, Farbstoff auf Papier, je
30 × 19 cm, erworben 1983; Maschinenbild Haus Lange,
1960, Eisenblech, Farbe auf Holzplatte, Elektromotor,
65 x 65 cm, ehemals Sammlung Hahn, erworben 2004;
Demi Barock, 1961, Eisenschrott, Gummischläuche,
Wassersprenger, Elektromotor, 240 x 85 x 70 cm, ehemals
Sammlung Hahn, erworben 1978; Brief an Dr. Dieter Ronte,
Palazzo Grassi Venedig, 1991, Farbe, Tusche auf Papier,
30 × 31 cm, Schenkung des Künstlers, 1988)
Tinguely, Jean (1925–1991)
Maler und Bildhauer des Nouveau Réalisme, Vertreter der
kinetischen Kunst
Jean Tinguely arbeitet zunächst als Schaufensterdekorateur in
der Schweiz und zieht Anfang der 1950er-Jahre nach Frankreich,
wo er mit der Neoavantgarde in Kontakt kommt. 1954 setzt er
erstmals eine seiner Skulpturen aus Draht und Blech in Bewegung. 1960 ist Jean Tinguely Gründungsmitglied der Gruppe
der Nouveaux Réalistes, zu denen unter anderen auch Raymond
Hains, Daniel Spoerri, Niki de Saint Phalle und Yves Klein gehören. Ab diesem Jahr beginnt er, Fundstücke in seine Arbeit zu
integrieren, und montiert aus Alteisen, Metallteilen und Schrott
Maschinen, die, wie er findet, nichts nutzen und produktive Aktionen lächerlich machen sollen.1 Sein absurder Maschinenbau
ist verzerrtes Spiegelbild und Ironisierung der Technik zugleich
und versteht sich als Gesellschaftskritik. Tinguely löst die tatsächlichen wissenschaftlichen und technischen Bezüge der
sonst zweckgebundenen Maschinen, und es bleibt nichts als der
künstlerisch-ästhetische Eigenwert. So rattert, quietscht, dreht
und lärmt es im sonst leisen und statischen Kunstraum, sobald
Elektromotoren die drei Teile der Méta-Harmonie in Gang setzen.
Die Abfolge von Bewegungen und Geräuschen ist nur scheinbar
zufällig. Vielmehr ist sie eine rein technische Abfolge, die, von
außen nicht beeinflussbar und nicht veränderbar, immer gleich
abläuft. Die einzelnen Teile des Kunstwerks funktionieren unabhängig voneinander und reagieren nicht auf die Umgebung. Seine
kinetischen – also sich bewegenden – Skulpturen demontieren
den eigenen Gattungsbegriff und fordern seine Neudefinition.
1 Rudolf Suter, »Stillstand gibt es nicht«, Neue Zürcher Zeitung, 16.02.2013, http://www.nzz.ch/
aktuell/feuilleton/literatur-und-kunst/stillstand-gibt-es-nicht-1.18004162 (29.10.2013).
© 2014 The Andy Warhol Foundation for Visual Arts Inc. | Bildrecht Wien
Andy Warhol, Orange Car Crash, 1963
Acryl, Siebdruck auf Leinwand
334,1 x 418 x 4,3 cm
Leihgabe der Sammlung Ludwig, Aachen, seit 1978
(weiters in der Sammlung des mumok: Mick Jagger, 1975,
(10 Blätter), Siebdruck, Acetat auf Papier, je 110 x 73 cm,
Leihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung, seit
1981; Flowers, 1970, 10 Siebdrucke auf Papier, je 91 x
91 cm, Leihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung,
seit 1980; Ladies and Gentlemen, 1975, Siebdruck auf
Leinwand, 305 x 205 cm, Leihgabe der Österreichischen
Ludwig-Stiftung, seit 1987; u. v. m.)
Warhol, Andy (1928–1987)
Amerikanischer Maler, Grafiker und Filmemacher
Als Hauptvertreter der Pop Art übte Andy Warhol großen Einfluss
auf die zeitgenössische Kunstszene aus. Nach einem Studium in
Pittsburgh ist er zunächst erfolgreich als Werbegrafiker in New
York tätig. 1960 entstehen die ersten Gemälde mit Comicstripfiguren. 1962 folgen die für sein Schaffen typischen Siebdrucke
mit Motiven wie der Campbell’s-Suppendose oder der Coca-­
Cola-Flasche. Seine künstlerische Absicht ist, die Herstellung von
Kunstwerken zu entpersonalisieren und sich vom Originalitätsund Kreativitätsanspruch zurückzuziehen. Alles, was Warhol begegnet, ist schön für ihn: die Künstlichkeit der Konsumkultur, die
Formensprache der kommerziellen Kultur- und Werbeindustrie,
das Klischee und die Lüge in den Massenmedien sowie die Idole
und der Glamour aus der Welt des Starkults. Durch Zeitungsbilder bekannt gewordene Gesichter werden isoliert, gereiht,
künstlich eingefärbt, vergrößert, massenweise mittels Siebdruck
vervielfältigt und mit Farbe und Pinsel weiterbearbeitet. In den
1970er-Jahren widmet sich Andy Warhol vermehrt dem Porträt
als einer spezifischen künstlerischen Form. Mit seinen Werken
berühmter Sänger_innen, Schauspieler_innen und Künstler_innen
wird Andy Warhol Chronist seiner Zeit und nimmt mit seinen konzeptuellen Tendenzen spätere Kunstentwicklungen vorweg.
© 2014 Franz West | Archiv Franz West
Franz West, Redundanz, 1986
Papiermaché, bemalt
3 Teile: 92 x 143 x 47 cm; 210 x 95 x 95 cm; 62,9 x
172,7 x 72,4 cm
mumok,Wien, erworben 2007, 2008 und 2011
(weiters in Sammlung des mumok: Approximation,
1985/86, Metall, Papier, Gips, 2 Teile: 185 x 110 x 40
cm; 180 x 95 x 30 cm, erworben 1986; Homemades,
1989, Papiermaché, Holz, Eisen, Dispersion, 60 x 41 x
41 cm, erworben 1998; Ohne Titel, E-Rohr, Draht, Molino,
Polyester, Dispersion, 29 x 41 x 27 cm, erworben 1999;
Ohne Titel (Rosa Labstück), 1983, Holz, Glas, Metall,
Papiermaché, Dispersion, 22 x 39 x 28 cm, erworben
1999; Onkel, 2002, Stahlrohr, gewebte Textilgurte,
88 x 46 x 50 cm, erworben mit Unterstützung der
Gesellschaft der Freunde der bildenden Künste 2003;
Reduktion Teil III, 1986–88, Papiermaché, Farbe, Draht,
220 x 68 x 53 cm, Leihgabe der Österreichischen
Ludwig-Stiftung, seit 2005; u. a. m.)
West, Franz (1947–2012)
Österreichischer Künstler
Franz Wests Kunst ist im Gegensatz zu traditionellen Werkbegriffen partizipativ angelegt. Mit seinen Arbeiten sucht der
Künstler den Dialog mit den Rezipient_innen und begreift deren
jeweilige Reaktionen als notwendige, integrale Bestandteile. So
können seine Passstücke und Möbel angefasst oder auf andere
Weise körperlich benutzt werden. Seine »legitimen Skulpturen«,
zu denen auch Redundanz gehört, suchen den Dialog auf der
assoziativen und intellektuellen Ebene und werden häufig von
Textbeigaben begleitet. Die dreiteilige Skulpturengruppe ist aus
Papiermaché gefertigt und bemalt. Der innere Kern besteht aus
diversen alltäglichen Objekten, z. B. aus übereinandergestapelten Hüten. Diese informellen Skulpturen provozieren unsere
assoziative Wahrnehmung: Eine Säule kann zu einem menschlichen Gegenüber werden, eine Öffnung zu einem aufgerissenen
Maul. West selbst sprach vom »Spuk der Semantik im Informel«.
­Redundanz ist zudem ein Beispiel für Wests Praxis der Kombination und Rekombination von Arbeiten. Die Skulpturengruppe wurde
1986 zum ersten Mal in der Galerie Pakesch in Wien gezeigt und
kurz darauf für das Foto eines Katalogcovers mit drei Arbeiten
von Heimo Zobernig Ohne Titel kombiniert. 1988 wurde dann
gegen den Willen des Künstlers ein Teil von Redundanz verkauft,
woraufhin West im selben Jahr die beiden verbleibenden Teile mit
einer neuen Skulptur ergänzte und die neu arrangierte Werkgruppe Reduktion nannte. Diese wurde später vom mumok angekauft.
2011 konnte das mumok auch die Stele erwerben und so die
ursprüngliche Redundanz wieder vereinen. Für die Wiedervereinigung von Redundanz hat Franz West einen neuen Text verfasst:
»REDUNDANZ. Diesen Begriff fand ich in der Einführung in die
Semiotik bei Umberto Eco. Ich hatte damals das Spruchband der
documenta 7 im Kopf, wo es heißt, Kunst wäre überflüssig (Ben
Vautier). Auf diese Kunstsicht wird hier eingegangen. Man kann
sich das Urteil selber bilden, ob das, was da steht, überflüssig (redundant) ist.«1
1 Franz West, 2011, anlässlich der Ausstellung Museum der Wünsche, Museum moderner Kunst
Stiftung Ludwig Wien, zitiert nach Franz West. Wo ist mein Achter?, Eva Badura-Triska (Hg.),
König, Köln, 2013, S. 24.
© 2014 Heimo Zobernig | Bildrecht Wien
Heimo Zobernig, Ohne Titel (Weißer Kubus), 2002
Diverse Materialien
340 x 340 x 700 cm
Auftragsarbeit
mumok, Wien
(weiters in der Sammlung des mumok: de nada, 1981,
Video, Farbe, Ton, 67:00 min, Schenkung des Künstlers,
2011; Ohne Titel, 1984, Öl auf Molino, 60 x 60 x 2,5 cm,
erworben mit Unterstützung der Sammlung Ploil, 2005;
Ohne Titel, 1985, Kunstharzlack auf Karton, 119 x Ø 66
cm, erworben mit Unterstützung der Sammlung Ploil,
2005; Ohne Titel, 1985, Kunstharzlack auf Karton, 190 x
Ø 40 cm, Leihgabe der Artothek des Bundes, seit 1988;
Die Kunst der Enzyklopädie, 1988, Serigrafie, je 59 x 84
cm, erworben mit Unterstützung der Sammlung Ploil,
2005; Ohne Titel, 2007, Pressspanplatte, Stahlwinkel,
3,8 x 280 x 30 cm, Sammlung Dieter und Gertraud
Bogner im mumok, seit 2007; Heimo Zobernig erklärt
seinem Double, wie man eine Performance macht, 2008,
Video, Farbe, Ton, 61:58 min, erworben 2009; u. a. m.)
Zobernig, Heimo (* 1958)
Österreichischer Künstler
Heimo Zobernig arbeitet medienübergreifend. Seinen Gemälden,
Skulpturen, Videos, Performances oder architektonischen Eingriffen liegen immer ein klares Konzept und eine nüchterne Formensprache zugrunde. Er knüpft an die abstrakte Formensprache des
russischen Konstruktivismus, der niederländischen De-Stijl-Bewegung oder der Zürcher Konkreten an. Viele seiner Skulpturen
weisen formale Ähnlichkeiten zur Minimal Art auf, jedoch unterläuft Zobernig zuweilen deren Erhabenheit durch eine bewusst
nachlässige Herstellung (sichtbare Arbeitsspuren), preiswerte Materialien (Karton, Styropor, Spanplatten, Beton) oder durch einen
funktionalen Nutzen (Sockel, Bank, Tisch z. B.).
Heimo Zobernigs Ohne Titel (Weißer Kubus) im mumok ist autonome Skulptur und begehbares Raumelement in einem. Als das
Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien im Herbst 2001
den Neubau im MQ bezog, war das Museum durch einen zentral
gelegenen, alle Stockwerke durchziehenden Licht- und Liftschacht räumlich zweigeteilt. Edelbert Köb, der Anfang 2002 die
Direktion des Hauses übernahm, bat Zobernig, die Ebene 2 durch
einen künstlerischen Eingriff optisch zu markieren. Zobernigs
Idee bestand darin, in den Schacht einen weißen Kubus einzubauen, der ein durchgängiges Raumkontinuum schafft. Seit 2002 besteht diese Verbindungsbrücke auf halber Höhe zwischen Foyer
und Dach und zieht als Ohne Titel (Weißer Kubus) im Herzen des
White Cube die Blicke nach oben.