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Fotos: Wolschendorf
SPECIAL
Ein
gewagtes
Unternehmen
von Ulrike Dobberthien
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Dr. Rolf-Peter Lacher wollte unbedingt mongolische
Pferde haben. Zehn Jahre verbiß er sich in seinen Traum.
Jetzt gelang ihm, was bislang unmöglich schien: Die
ersten acht Mongolenponys grasen auf der Alb.
Noch drei Schritte. Noch zwei. Und weg
sind sie. Keine Chance, die wilden Zottel zu
kraulen. Acht zauselige Kerlchen verschwinden im Galopp zwischen den Apfelbäumen,
deren Früchte sie nicht anrühren. Was ein
Mongole nicht kennt, frißt er schließlich
nicht. Und diese acht sind waschechte Mongolen; die ersten, die jemals nach Deutsch-
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land kamen. Fast ein halbes Jahr dauerte
ihre abenteuerliche Reise, bis sie wohlbehalten von dem Transporter kletterten, der sie
die letzten 2000 Kilometer vom russischen
Minsk ins schwäbische Gammertingen fuhr.
„Ich habe immer von mongolischen Pferden
geträumt. Endlich habe ich sie“, strahlt Dr.
Rolf-Peter Lacher, 59, hauptberuflich Lehrer,
nebenberuflich Abenteurer. „Vielleicht war
es nur der Wille, etwas Unmögliches möglich zu machen. Er brachte mich dazu,
immer wieder den Versuch zu starten, mongolische Pferde nach Europa zu bringen“,
sagt er.
Seit seiner ersten Mongolei-Reise vor
zehn Jahren steckt ihm die Idee im Hirn.
Faxe und Briefe an Ministerien, Eisenbahnverwaltungen und Veterinärbehörden füllen Ordner; doch lange Zeit passierte nichts
Von der Steppe auf die Alb: Der stämmige Hengst Narangerel bei der Auswahl in
der Mongolei (links) und im Winterpelz mit Mehlmaul (großes Bild) kurz nach der
Ankunft. Der Fuchswallach Sarangerel (rechts) reiste ebenfalls mit (großes Bild Mitte).
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Erstes Toben unter Bäumen: Beherzt
flitzen die Pferde durch den Apfelgarten,
drängeln sich um den Wassertrog und
streiten um die besten Freßplätze.
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Zuchthengst Narangerel (Sonnenschein) ist durch
sein helles Mehlmaul auf Anhieb zu erkennen.
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– schließlich liegt zwischen Deutschland und
der Mongolei das riesige Rußland. „Und
Rußland ist es völlig gleichgültig, daß irgendjemand ein paar mongolische Pferde
haben möchte. So gleichgültig, daß Rußland
noch nicht einmal antwortet.“
Dr. Lacher wühlt im Korb mit Möhren.
„Die kennen sie auch nicht. Zur Zeit kann
ich sie nur mit Wasser locken, aber das wird
sich wahrscheinlich schnell geben.“
Zwei Hengste, zwei Wallache und vier
Stuten hat er unter 16 Tieren ausgewählt.
„Sie gehören alle zur Zuchtrichtung Tes“,
sagt Dr. Lacher. Darauf ist er stolz, denn Tes
ist die besonders schnelle Rennpferderasse.
Die anderen Zuchtrichtungen sind Darkhat,
Galshiir und Mianggad, womit Reit-, Fleischund Milchpferde bezeichnet werden. „Da
sag mal noch einer, Mongolenpferde hätten
häßliche Köpfe“, sagt der wagemutige Leh-
Das Labor in der Steppe: Tierarzt Yunger (2.v.r.) nimmt die
Blutproben gleich vor der Jurte und schickt sie ins Labor.
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rer und wagt gleich einen neuen Kraul-Versuch. Mit Erfolg: Als die Pferde saufen, kann
er sich anpirschen. Er streichelt. Und strahlt.
Und erzählt von Nomt Yunger, der endlich
Dinge in Bewegung brachte. Yunger ist Tierarzt, Leiter der Veterinärbehörde im Aimak
(Bezirk) Uvs, 1100 Kilometer westlich von
Ulaanbaatar. Er war Dr. Lachers Mann in der
Mongolei. Er besorgte die Ausfuhr-Erlaubnis, er wählte Pferde aus, untersuchte sie
auf klinische Symptome und legte Listen an.
Dr. Lacher flog in die Mongolei. „Ich sollte
mir die Pferde anschauen. Wir fanden den
Viehzüchter, einen alten Mann mit Händen
so knorrig wie Rebstöcke. Aber ein Viertel
seiner Herde und einige meiner Pferde
waren weg, gestohlen von Tuwinern.“
Also wieder Pferde auswählen; jene
Pferde, die in der weiten baumlosen Mongolei so achtunggebietend wirken; und die
Hirten bändigen den ungezähmten
Hengst Narangerel per Ohr-Bremse, um
ihm Blut abzunehmen.
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hier, im Gammertinger Apfelgarten, zu netten Ponys schrumpfen. Nur ihr hellwacher
Blick, ihre deutlich ausgeprägte Sprache –
sie beißen oder treten viel schneller, wenn
ein Herdengenosse nicht spurt – und ihr ungewöhnlich intensiver Pferdegeruch verraten, daß es sich hier um wildes Steppenvolk
handelt.
„Nun ja. Das sind also die, die wir im
zweiten Anlauf auswählten“, erzählt Dr. Lacher. „Die Hirten trieben die Herde von Tumenbaryaryn Batsukh zusammen, rund 150
Pferde.“ Mongolisch ausgedrückt: fünf
Hengste mit ihren jeweils dazugehörigen
Stuten, Fohlen und Wallachen (siehe PFERDEBÖRSE 11/12-03).
Dr. Lacher ritt kreuz und durch die
Herde; einen jungen Hirten an der Seite, der
mit ihm die einzelnen Familien umkreiste,
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Solange sie kein Halfter tragen, sind die
Pferde scheu. Anfangs lassen sie sich
von Dr. Lacher nur beim Saufen kraulen.
die von den Hengsten zusammengehalten
wurden. Gefiel ihm ein Pferd, fragte der
Lehrer den Burschen: „Kheden nastai?“ Wie
alt? Die Antworten lauteten mal „dorvon
nastai guu“, mal „doloonastai mor“; „eine
vierjährige Stute“ oder „ein siebenjähriger
Wallach“. Dann fragte Dr. Lacher dunkel
„bolokh uu“, was sich wie „bolchooo“ anhört und „ist’s möglich?“ bedeutet. Ein
scharfes „bolokhgui“ hieß nein, ein warmes
Platte Welten: In der weiten Steppe
wirken die Mongolenpferde größer und
eindrucksvoller als in deutschen Gärten.
„bolno“ bedeutete ja.
„Die Pferde waren Anfang Juni noch
klapperdürr vom langen Winter. Aber ich
sah, wie die Beine standen, schaute auf
Rücken, Kopf, Vor- und Hinterhand und achtete aufs Temperament“, sagt Dr. Lacher
und freut sich, daß einige Mongolen seine
Wahl bedauerten. „Ich durfte mir etwas einbilden, als mein Begleiter zu Batsukh sagte,
manchmal habe er gehofft, ich würde dieses
und jenes Pferd übersehen, weil sie es gern
behalten würden – und genau dieses Pferd
hätte ich ausgewählt.“
15 Pferde kamen in die engere Wahl,
von denen schließlich acht nach Schwaben
reisen sollten. 15 Blutproben wurden gezogen, die für die serologischen Tests auf Beschälseuche, Rotz und Infektiöse Anämie
nötig waren.
„Das Einfangen der Pferde war ein wilder Zirkus“, grinst Dr. Lacher. Lassoschwingend preschten die Hirten hinter ihnen her,
Staub stob, Hengste wieherten und verbissen Rivalen, die sich im Durcheinander an
ihre Gruppe heranmachten. Die Urga-Pferde
zeigten ihre Kunst, wobei die Urga (Fangstock) in Uvs durch Lassos ersetzt wird. „Ein
Urga-Pferd beschleunigt wahnsinnig schnell
und folgt den Richtungswechseln des gejagten Pferds“, erzählt Dr. Lacher und blickt
über seine kleine Herde. „Der Reiter kann
ihm die Zügel auch im Galopp auf den Hals
werfen, wenn er das Lasso mit beiden Händen hält und sich in die Bügel stemmt, um
das gefangene Pferd zu bremsen.“ Danach,
so Dr. Lacher, springt der Reiter ab „und
haut die Hacken in den Schotter, bis das
Pferd zitternd steht“.
Der Deutsche photographierte jedes
Pferd; einen Fuchswallach, den er später
„Sarangerel“ (Mondschein) taufte, ritt er
Probe. „Er war butterweich und kinderleicht
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Die schwarzbraune Stute
Dschargal (Glück) trägt noch
mongolischen Topfschnitt.
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Fuchswallach Sarangerel ist besonders vorwitzig.
Auf ihm ritt Dr. Lacher bereits in der Mongolei.
zu reiten“, erzählt er. Jetzt ist davon freilich
nichts mehr zu merken. „Fang mich doch,
wenn du ein Lasso hast“ scheint Sarangel zu
denken und verzieht sich vorsichtshalber
hinter einen Apfelbaum. „Das wird schon.
Wenn die erst ein Halfter draufhaben, werden sie schnell zahm“, ist Dr. Lacher überzeugt und reist in Gedanken von der Schwäbischen Alb zurück in die baumlose Steppe
der Mongolei; zurück in die Jurte, in der er
bei gesalzenem Tee mit Milch und der üblichen Fleisch-Nudel-Suppe um die Pferde
feilschte.
Dann begann das Warten. Warten auf
das Ok der Tierärzte, den Befund der Blutproben, die Importgenehmigung. Woche
für Woche. Dann die erste Nachricht. Keine
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Schräge Vögel: Die Perspektive verzerrt
die drei Stuten zu urigen Gestalten.
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Ohne Pferde hätten die Nomaden die Steppen der Mongolei
nicht besiedeln können. Zum Einreiten klemmen sie
sich aufs Pferd und lassen es bocken; heraus kommen
erstaunlich brave Hirtenpferde. Auch der Rappe Khurdan
(oben rechts) wurde vermutlich so eingeritten.
DIE AUTORIN
Antikörper, die auf Beschälseuche hindeuteten. Aber die Spezialisten für Rotz und Infektiöse Anämie seien im Urlaub. Endlich kam
der erlösende Anruf: Die Pferde stehen auf dem LKW, Genehmigungen und Untersuchungen sind klar.
Westlich des Ural bezogen sie erneut Quarantäne-Quartier, diesmal für drei Monate in einer Kolchose. „Sie erholten sich von der tagelangen Fahrt durch Kasachstan, wurden herausgefüttert und wieder untersucht, getestet, entwurmt und gegen Tollwut und Milzbrand geimpft“, erzählt Dr. Lacher.
„Als dann der Anruf kam, daß die Pferde endlich kommen, ist
mir der ganze Ural vom Herzen gefallen“, erzählt Dr. Lacher. Er
deutet auf einen braunen Hengst mit hellem Maul. „Ist das nicht
ein Prachtkerl? Den behalte ich als Zuchthengst.“ Der Prachtkerl
schlägt unwillig seine Zähne in den Hals des schwarzen Wallachs
„Khurdan“ (der Schnelle), weil er ihm beim Saufen auf den Pelz
rückt. Dann schlendert er gemächlich fort. Die Fuchstute „Busgui“
(Mädchen) folgt. „Das ist seine kleine Freundin. Sie hält sich immer
dicht bei ihm“ beschreibt Dr. Lacher erste Beobachtungen. Zwei Stuten möchte er behalten; die restlichen fünf Pferde verkaufen (siehe
Seite 125). Jetzt, wo die Herausforderung erledigt ist, möchte er seinen Traum teilen. „Schließlich sehnen sich viele nach Mongolenpferden. Sie sind einmalig. Wer sonst kann schon von seinem Tier sagen,
daß es direkt von Dschinghis-Khans Reitpferden abstammt?“
Ulrike Dobberthien, 38,
reiste ins schwäbische
Gammertingen, um die
urigen Tiere gleich
nach ihrer Ankunft aus
den weiten Steppen zu
besuchen. Ihr imponierFoto: Wolschendorf
te besonders, wie
geschickt sich die Pferde unter den Ästen
duckten, wenn sie wieder mal Reißaus
nahmen – und das, obwohl es erst zwölf
Stunden her war, seit sie zum erstenmal in
ihrem Leben Bäume sahen.
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