Raus aus der „Horst-Schlämmer
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Raus aus der „Horst-Schlämmer
Sagen Sie mal ... ... Frau Schober Raus aus der „Horst-Schlämmer-Schmuddelecke“ Die Münchner Journalistin Jessica Schober tippelte nach Art der Handwerker durch Deutschland – und vertiefte dabei ihre Leidenschaft für den Lokaljournalismus Von Senta Krasser Hin und wieder verbrachten Sie die Nacht im Freien, im Wald. Das ist sparsam, aber nicht jederfraus Sache. Aber es ging immer gut. Ich schlief auch auf einem Spielplatz, im Baumhaus oder mit Obdachlosen unter der Brücke. Wildfremde Menschen ließen mich bei sich zuhause übernachten oder nahmen mich im Auto mit. Ich bin noch immer überwältigt, wie großzügig und gastfreundlich manche Leute sind. Mal weg vom Schreibtisch, ohne Laptop und Handy – diese Freiheit hat sich Jessica Schober genommen. Fast vier Monate ging die 26-jährige Reporterin auf die „Wortwalz“, um ihr Handwerk, den Journalismus, in Lokalredaktionen von Pfaffenhofen bis Hamburg zu verfeinern. Die Rhein-Zeitung war von Schobers Talent besonders beeindruckt – und kürte sie mit zur künftigen Burgenbloggerin. Sagen Sie mal, Frau Schober, was bitteschön ist eine Burgenbloggerin? Jessica Schober: Jemand, der den Burgfrieden stört und darüber bloggt. Was genau dort passiert, werde ich gemeinsam mit meinem Team definieren. Fest steht nur, dass ich von Mai an auf der schönen Burg Sooneck am Mittelrhein leben und im Netz über die Region berichten werde. Klingt wildromantisch. Sie bloggen standesgemäß im Kostüm eines Burgfräuleins? Freilich, ich werde sechs Monate lang ausschließlich einen Ritterhelm tragen. Aber im Ernst: In erster Linie geht es darum, die Gegend und ihre Menschen zu porträtieren, im Guten wie im Schlechten. Als ich gefragt wurde, ob ich diese Aufgabe übernehmen möchte, hat mich das sehr gefreut. Irgendwann einmal muss ich ja wieder sesshaft werden. „Im Lokalen spielt sich die ganze Welt im Kleinen ab“, findet Jessica Schober. Foto: Vivian Balzerkiewitz Ein Fazit Ihrer Reise: „Wohin ich komme, empfängt man mich herzlich. Und das ist als Journalistin auch einfach mal ein gutes Gefühl.“ Heißt das, der Beruf des Journalisten ist gar nicht so mies angesehen, wie es die BerufeRankings glauben machen? Ich weiß nicht, wie beliebt wir tatsächlich sind. Ich habe nur in meinen zahlreichen Gesprächen in der Welt der Wandergesellen gemerkt, wie viel verbrannte Erde manche Kollegen hinterlassen haben. Mit der Presse spreche ich nicht mehr, hörte ich oft, meine Erfahrungen mit Journalisten sind schlecht. Es hat viel Kraft gekostet, Vertrauen wiederherzustellen. Ein Grundsatz der Wandergesellen hat sich deshalb tief bei mir eingebrannt: Hinterlasse nie so viel Schaden, dass nicht der nächste Geselle kommen kann. Wer in Kluft auf die Straße geht, soll von weitem erkennbar sein als ehrenhafter Handwerker. So ein Codex würde uns Journalisten auch gut stehen. Losgezogen sind Sie im Sommer in München, um Ihr „Handwerk“, den Journalismus, zu verfeinern. Wie hat es geklappt? Ich war und bin eine Lernende. Das ist ja das Schöne an dem Gedanken Bei 2000 Euro Honorar im Monat und einem Dach überm Kopf wird man doch gerne sesshaft, zumal die vergangenen Monate sehr entbehrungsreich gewesen sein müssen. Was heißt entbehrungsreich? Das, was Wandergesellen sonst machen, wenn sie drei Jahre und einen Tag auf Tippelei gehen, das ist entbehrungsreich. Ich habe im Vergleich bloß einen Mini-Ausflug unternommen. Entbehrungsreich war meine Tippelei nur dann, wenn ich abends im Regen in eine Stadt kam und nicht wusste, wo den Schlafsack ausrollen. Nach guter alter Wandergesellentradition darf man kein Geld fürs Übernachten ausgeben. BJVreport 6/2014 53 Sagen Sie mal ... ... Frau Schober Weil er die kleine Welt vor der Haustür abbildet. Mir ist nicht wichtig, ob meine Texte in überregionalen Medien erscheinen, sondern, dass sie die Menschen erreichen. Im Lokalen spielt sich die ganze Welt im Kleinen ab. der Walz: dass man nicht losgeht und sagt, jo, ich hab’s voll drauf, sondern dass man schaut, wie es die anderen machen und dadurch dazu lernt. Die Jungredakteure, die Sie trafen, denken auch so euphorisch? Für manche Nachwuchsjournalisten steht der Lokaljournalismus in so einer Horst-Schlämmer-Schmuddelecke. Dabei war vor Ort oft eine bessere Stimmung, als ich gedacht hatte. Der Pfaffenhofener Kurier zum Beispiel hat ein sehr junges Team, lauter gut gelaunte Kerle, die von sich sagen: Wir sind von hier, wir wollen über und für die Region berichten. Das ist mir bei vielen Lokaljournalisten aufgefallen: Sie haben eine Haltung. Sie wollen sich einbringen und das Leben in ihrer Stadt positiv beeinflussen. Ein Lokalchef sagte mir: Man muss die Region lieben. Im Lokaljournalismus geht es viel um Gefühle. Wenn man mit einer Region fühlt, dann schreibt man auch gerne über das Leben vor Ort. Machen es die Bayreuther Journalisten anders als die in Weimar? Klar, die haben natürlich alle unterschiedliche Redaktionssysteme, Themen und Arbeitsweisen. Große Unterschiede zeigen sich dort, wo Veränderungen anstehen. Mancherorts wussten die Kollegen nicht mal genau, welche Facebookseite sie für ihre Redaktion bespielen sollten oder wie man ein @-Zeichen schreibt. Andernorts wurde schon längst an Webreportagen oder Storifys gebastelt, gerade im Lokalen. Oft war auch Thema: Haben wir eine Chronistenpflicht oder schmeißen wir die Vereine aus dem Blatt? Aha. Zum Beispiel? Die Westerwälder Zeitung machte den 90. Geburtstag eines Zwillingsgeschwisterpaares zum Aufmacher. Das fand ich total clever. Nicht nur, weil die beiden Omis aussehen wie Thomas Gottschalk. Sie haben auch an unterschiedlichen Tagen Geburtstag. Anstelle einer langweiligen Terminankündigung „Morgen im Seniorenheim feiern Roswitha und Renate Geburtstag“ brachte die Zeitung eine tolle Geschichte. Interessant fand ich übrigens, dass die wenigsten Lokalzeitungen über den eigenen Tellerrand hinausschauen. Dabei könnte es doch sinnvoll sein zu sehen, wie andere Kommunen mit lokalen Wutbürgerthemen wie dem Verlauf einer neuen Stromtrasse umgehen. Hyperlokal, vernetzt und dabei unaufgeregt, so hat mir der Lokaljournalismus am besten gefallen, wenn ich vor Ort war. Ich merke, Ihr Herz schlägt für den Lokaljournalismus. Warum eigentlich? 54 Sie wurden für Ihre Mitarbeit doch hoffentlich gut entlohnt? Das war sehr unterschiedlich. Jedenfalls stimmt der landläufige Glaube nicht, dass Wandergesellen nur für Kost und Logis arbeiten: Der Schreiner auf der Walz, der einen Tisch baut, möchte dafür mehr haben als eine warme Kartoffelsuppe und ein weiches Bett. Deshalb war mein Anspruch, dass ich genau so bezahlt werde wie die freien Mitarbeiter der jeweiligen Zeitung. Manchmal waren das 28,75 Euro pro Text. Jessica Schober wurde 1988 in Frankfurt/ Oder geboren. Sie studierte Soziologie und Politikwissenschaft in Eichstätt und München und absolvierte die Deutsche Journalistenschule. Als freie Autorin schreibt sie u.a. für Focus und Cosmopolitan und ist auch als Trainerin, Referentin und Moderatorin tätig. Ihre Reiselust führte Schober 2012 mehrere Wochen durch Russland; demnächst erscheint ein Buch darüber. Für die Tippeltour durch deutsche Lokalredaktionen sammelte sie Geld bei Startnext. Ihre Eindrücke sind nachzulesen unter www.wortwalz.de. Wie bitte?! Bei einer Zeitung waren es sogar 80 Euro für eine Woche Mitarbeit. Meine Ausflüge in den Lokaljournalismus hätte ich mir ohne das Crowdfunding definitiv nicht leisten können. Was Sie erlebten, haben Sie regelmäßig dokumentiert in Ihrem Blog und auf Twitter – nur praktisch wie? Ohne eigenes Laptop und Handy? Das war in der Tat mühselig. Meine Texte habe ich meist nach Redaktionsschluss in den Dienstrechner getippt. Manchmal hatte ich aber drei Tage lang kein Internet. Die neue Redaktion twitterte schon, ich sei im Anmarsch, und ich konnte nicht sofort reagieren, geschweige denn, dass ich den Bericht über meine vorherige Station veröffentlicht hatte. Also dieser ganze EchtzeitWahn, das möchte ich hier auch mal deutlich sagen, hat wahnsinnig viel Kraft gekostet. Und ich frage mich inzwischen, worin der Wert legt, dass es immer superschnell und superaktuell zugehen muss. Kamen Ihnen auf der Wortwalz irgendwann Zweifel: Was habe ich mir angetan? Überhaupt, mit Journalismus ist kein Blumentopf zu gewinnen? Nein! Nein! Nein! Ich will ja auch gar keine Blumentöpfe gewinnen. Die Wortwalz war ein riesengroßer Spaß. Ich habe so viel gelernt und so viele tolle Menschen kennen gelernt. Selbst die Wandergesellen haben mich irgendwann – manche zähneknirschend – willkommen geheißen. Und immer, wenn es scheinbar nicht weiterging, ist was völlig Verrücktes passiert. BJVreport 6/2014 Foto: Frank Seibert „Kaninchenzüchter füllen immer noch die Titelseiten“, haben Sie festgestellt. Echt wahr? Ja, und die haben auch ihre Berechtigung! Ein Chefredakteur erzählte mir von einer Leserumfrage. 42 Prozent der Befragten gaben an, wir lieben die Vereinsberichterstattung, wir wollen jedes Detail wissen. 41 Prozent sagten, so was landet bei mir im Altpapier. Ist natürlich schwierig, wie soll man sich entscheiden? Eine Beilage, in der Vereinsberichte ausgelagert sind, ist vielleicht eine elegante Übergangslösung. Aber ich glaube, man muss einen eigenen Dreh finden. Eine gute Geschichte erzählen. Na ja, gute Gefühle allein. . . Klar, ich habe auch mitbekommen, wie junge Kollegen zu unmöglichen Arbeitsbedingungen im Redaktionsapparat verheizt werden. In manchen Landredaktionen stemmt einer ganz allein das Blatt. Da kann man nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.