Spruch der Seekammer - mt
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Spruch der Seekammer - mt
1 Spruch der Seekammer MT „Böhlen“ - Sinken vor der französischen Küste am 14.10.1976 Spruch Der Motortanker „Böhlen“ des VEB Deutfracht/Seereederei Rostock unter Führung des Kapitäns R. verließ am 29.09.1976 den Hafen Bajo Grande (Venezuela). Das Schiff befand sich mit einer Ladung Crude Oil auf der Reise nach Rostock. Die Insel Sao Miguel der Azoren wurde am 10.10.1976 gegen 05:00 Uhr passiert. Von hier wurde der Kurs auf den Westeingang des Englische Kanals abgesetzt. Auf Grund mangelhafter Navigation, die in der unzureichenden Ausnutzung der an Bord befindlichen nautischen Geräte begründet war, kam MT „Böhlen“ vom vorherbestimmten Kurs ab. Die Nichtberücksichtigung von Wind, Strom und der tatsächlichen Geschwindigkeit des Schiffes führte auf einer Entfernung von 1.100 Seemeilen zu einer Versetzung in Vorausrichtung um ca. 60 Seemeilen und nach Osten um ca. 30 Seemeilen, der Kurs führte daher auf die Riffe der Inselgruppe Chaussee de Sein. Der wachhabende II. Nautische Offizier H. sowie der Ausgucksmann führten während ihrer Wache Schreibarbeiten durch. Daher bemerkten sie nicht rechtzeitig die 15 bzw. 18 Seemeilen weit scheinenden Leuchtfeuer von Ar Men und Ile de Sein. Gegen 03:55 Uhr des 14.10.1976 erlitt MT „Böhlen“ eine schwere Grundberührung westlich der Insel Ar Men. Die eingetretene Grundberührung bewirkte, daß im Bereich der im Achterschiff liegenden Brennstoff- und Trinkwasserzellen ein Wassereinbruch auftrat. Auch im Vorschiff wurden weitere Zellen beschädigt, was durch den Austritt von Dieselöl durch die an Deck befindlichen Lüfter sichtbar wurde. Das Schiff, das trotz der Beschädigungen anfänglich noch schwimmfähig und außerhalb der Gefahr des Sinkens war, wurde vom Kapitän in einem Seegebiet belassen, in dem stürmische Winde, verbunden mit hohem Seegang herrschten. Infolge des immer tieferen Eintauchens des Schiffes bestand nun die Möglichkeit, daß durch die überkommende See Zerstörungen auf dem Vorschiff entstanden, die ein Eindringen von Seewasser in die Räume des Vorschiffes ermöglichten. Erst das Vollaufen dieser Räume führte zum Sinken des Schiffes über den Bug gegen 17:00 Uhr des 14.10.1976. Da keine organisierten Rettungsmaßnahmen durch den Kapitän befohlen wurden, wurden die Rettungsboote in ihren Halterungen von der See zerschlagen. Die in den vorderen Aufbauten des Schiffes befindlichen Personen wurden von der See erfaßt und über Bord gespült. Die in den hinteren Aufbauten befindlichen Besatzungsmitglieder konnten die beiden Rettungsflöße werfen. Einigen Besatzungsmitgliedern gelang es, die Flöße und die Reste der Rettungsboote zu erreichen. Durch den hohen Seegang und das Hineintreiben der Rettungsmittel in das vom Schiff ausgetretene Öl konnten viele Besatzungsmitglieder nicht bei den Rettungsmitteln verbleiben, sie ertranken. 11 Besatzungsmitglieder wurden gerettet. 24 Besatzungsmitglieder, darunter der Kapitän und alle nautischen Offiziere sowie 2 mitreisende Ehefrauen kamen ums Leben. 2 Die Schuld für die gefährliche Annäherung an die Riffe und für die Berührung des Unterwasserschiffes mit dem Hindernis trägt der II. Nautische Offizier H.. Durch seine Pflichtverletzung verstieß er gegen § 12 (4) der Seemannsordnung, § 21 (1), (4), (5) der Schiffsbesetzungsordnung und Punkte 7.1.2., 7.2.1. und 7.4.1. der „Dienstordnung für das seefahrende Personal“. Die Duldung der Mißstände in der Durchführung der Navigation und der Wachen schufen die Voraussetzung der Grundberührung. Die Inkonsequenz in der weiteren Führung des Schiffes nach der Grundberührung führte schließlich zum Untergang des Schiffes und zum Verlust der vielen Besatzungsmitglieder. Die Schuld am Untergang des Schiffes und am Tod einer so großen Anzahl von Besatzungsmitgliedern trägt der Kapitän. Durch seine Pflichtverletzung verstieß er gegen § 8 (1c) der Seemannsordnung, § 21 der Schfiffsbesetzungsordnung und Punkte 5.4.10. und 5. 4.8. der „Dienstordnung für das seefahrende Personal“. Tatbestand Der Spruch der Seekammer basiert auf den umfangreichen Untersuchungen und durchgeführten Ermittlungen, die sich über Monate erstreckt haben. Es wurden alle 11 geretteten Besatzungsmitglieder befragt und zusätzlich der ehemalige I. und III. Nautische Offizier des MT „Böhlen“ vernommen. Ferner lagen 4 Gutachten vor, welche von der Seewetterdienststelle Warnemünde, der Ingenieurhochschule für Seefahrt Warnemünde/Wustrow, dem Institut für Schiffbau und dem Medizinischen Dienst des Verkehrswesens gefertigt wurden. Das Schiff war in einem einwandfreien technischen Zustand. In der Zeit vom 09.03.76 bis 30.06.76 befand sich das Schiff in einer sowjetischen Reparaturwerft zur Generalreparatur. Die technische Aufsicht wurde im Auftrage der DSRK vom sowjetischen Register durchgeführt. Nach dem Verlassen der Werft waren alle Anlagen und Aggregate funktionstüchtig. Bei der Zusammensetzung der Besatzung des MT „Böhlen“ wurden erfahrene Offiziere und Mannschaften mit entsprechender Qualifikation ausgewählt, wie es laut Schiffsbesetzungsordnung gefordert wird und in der DSR üblich ist. Der Kapitän und der I. Nautische Offizier fuhren Jahrzehnte zur See und verfügten über gute theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten in der Seemannschaft sowie auf dem Gebiet der Tankschiffahrt. MT „Böhlen“ war gehörig mit Rettungsmitteln nach den geltenden nationalen und internationalen Vorschriften ausgerüstet. Es befanden sich an Bord: 4 Stück. Leichtmetallrettungsboote (2 für 34 Pers. / 2 für 40 Pers.) 2 Stück Rettungsflöße für je 20 Personen 60 Stück Rettungskragen - RG 16 Die Rettungsboote wurden in der Werft überholt und vom sowjetischen Register ordnungsgemäß getestet und für in Ordnung befunden. Während der Reise wurden 3 Bootsmanöver durchgeführt und die einwandfreie Funktion durch die Zeugenaussagen bestätigt. Sämtliche Navigationsgeräte auf der Brücke waren funktionstüchtig und jederzeit einsatzklar. Alle überlebenden Besatzungsmitglieder sagten aus, daß keiner der Schiffsoffiziere am 13.10. oder 14.10.1976 Alkohol getrunken hatte. Die Schuld für die gefährliche Annäherung an die Riffe und für die Berührung des Unterwasserschiffes mit dem Hindernis trägt der II. Nautische Offizier. Wie der Havariekommissar in seinem Vortrag ausführte, ist der Untergang des MT „Böhlen“ weder auf den technischen Zustand des Schiffes noch auf die Wetterlage zurückzuführen. Welches sind die Ursachen, die zur Grundberührung führten? Auf MT „Böhlen“ wurde ein Dreiwachensystem gegangen. Die Überlebenden berichteten, daß entgegen den gesetzlichen Bestimmungen der Wachmann jedoch nicht ständig als Ausguck eingesetzt war, sondern mit Schiffspflegearbeiten außerhalb des Brückenbereiches beschäftigt wurde. Diese Mißachtung der Funktion und der Aufgaben eines Ausgucks wurde auf den Wachen an Bord des MT „Böhlen“ vom I., II. Und III. Nautischen Offizier praktiziert. Diese bewußt vorgenommenen Verstöße gegen die Bestimmungen des § 21 Schiffsbesetzungsordnung waren dem Kapitän bekannt, wie die Zeugen bestätigten. Diese Handlungsweise des Kapitäns ist um so unverständlicher, da ihm in Auswertung der Kollision des MS „Fritz Reuter“ mit dem MT „Schwedt“ eine schriftliche Weisung der Inspektion des VEB Deutfracht/ Seereederei am 01.09.76 übergeben wurde, in der es heißt: „Der Ausguck ist ständig besetzt zu halten... Der Ausguck darf mit keinerlei Nebenarbeiten beschäftigt werden.“ Diese gefährliche Vernachlässigung des Ausgucks wird immer dann zu einer unmittelbaren Bedrohung für die Schiffssicherheit, wenn der Wachoffizier zur Durchführung von Arbeiten (Eintragungen im Schiffstage- oder Brückenbuch, Anfertigung von sonstigen Schreibarbeiten, Ablesen der Decometer, Eintragungen in der Seekarte) den vorderen Teil der Brücke oder die Nocken verläßt. Dann fährt das Schiff gewissermaßen blind und sich selbst überlassen auf seinem eingestellten Kurs, ohne daß der Seeraum unter Kontrolle ist. Diese Art der Wachdurchführung schafft alle Voraussetzungen, um mit anderen Schiffen zu kollidieren oder eine Grundberührung zu erleiden. Alle drei Wachhabenden hatten im Verlauf ihrer Wache am 13.10.76 Zweifel an der Richtigkeit ihres Schiffsortes. Bei Zugrundelegen der in der Biskaya durch Decca ermittelten Schiffsorte, hätte MT „Böhlen“ eine Geschwindigkeit von 18 -20 kn. entwickeln müssen. Praktisch ist eine solche Geschwindigkeit nicht möglich, da das Schiff VV 12,5 kn. max. läuft. Die Wachoffiziere versuchten einen Decca-Schiffsort zu ermitteln, zogen aber das festgestellte Ergebnis immer wieder in Zweifel, weil ihnen die Differenz von 60 sm in Vorausrichtung zwischen Koppelort und Decca-Ort zu groß erschien. Der Funkoffizier führte am Nachmittag des 13.10.76 eine Ortsbestimmung mittels Funkpeiler durch und bestätigte die Differenz von 60 sm zwischen dem mit 11 kn. gekoppelten und dem wahren Schiffsort. Dennoch wurden weder vom Kapitän energische Maßnahmen zur Klärung des Standortes verlangt, noch von den Wachoffizieren solche durchgeführt. Der Kapitän hätte mit allen zur 4 Verfügung stehenden Mitteln sorgfältig navigieren müssen, bis er die Gewißheit über einen exakten Standort hatte. Hierunter war konkret zu verstehen: - Durchführung von Funkpeilungen - Einsatz des Decca-Gerätes, wenn die Entfernungen es gestatten - Einsatz des Radargerätes als Navigationshilfsmittel, um markante Ziele in ausreichender Entfernung rechtzeitig zu erkennen - Ausnutzung von Methoden der terristischen Navigation - Verstärkung des optischen Ausguck - Gebrauch des Echolotes Trotz aller Hinweise auf die Ungenauigkeit des Schiffsortes müssen der Kapitän und die Nautischen Offiziere so fest von der Richtigkeit ihres gekoppelten Schiffsortes überzeugt gewesen zu sein, daß selbst das Queren der Hauptschiffahrtslinie Ushant - Kap Finsterre gegen 21.00 Uhr am 13.10.76 den auf der Brücke anwesenden Kapitän nicht aufmerksam werden ließ. Der II. Nautische Offizier ging davon aus, daß auf seiner Wache Leuchtfeuer noch nicht in Sicht kommen können und beschäftigte den Ausgucksmann und sich selbst mit Schreibarbeiten im Inneren der Brücke. Keiner der beiden bemerkte rechtzeitig die 15 sm bzw. 18 sm weit scheinenden Leuchtfeuer von Ar Men und Ile de Sein. In einem Abstand von 2 bis 4 sm muß eines der genannten Feuer entweder vom II. Nautischen oder vom Wachsmatrosen an Bb. Gesehen worden sein, denn zwischen 03.30 Uhr und 03.50 Uhr änderte MT „Böhlen“ - wie die Zeugen aussagten - seinen Kurs in nordwestlicher Richtung. Der II. Nautische Offizier muß das gesichtete Feuer für Ushant angesehen haben und änderte den Kurs um 90° nach Backbord, um freizukommen. Südlich der Riffe von Ile de Sein dagegen war nur eine Kursänderung von ca. 180° erfolgversprechend, um das Schiff vor einer Grundberührung zu bewahren. Offensichtlich versäumte es der Wachoffizier die Kennung des oder der Feuer genau zu bestimmen. Wegen der zu geringen Kursänderung blieb MT „Böhlen“ in der Nähe eines der beiden Leuchtfeuer und erlitt, wahrscheinlich westlich der Insel Ar Men, gegen 03.55 Uhr eine schwere Grundberührung. Die Schuld am Untergang des Schiffes und am Tod von 26 Menschenleben trägt der Kapitän. Die infolge der Grundberührung aufgetretenen schweren Erschütterungen im Schiff waren ein Zeichen dafür, daß am Schiffsboden schwere Zerstörungen eingetreten sein mußten. Auf Grund dieses Ereignisses wäre es die Pflicht des Kapitäns gewesen: - unmittelbar nach Eintritt der Erschütterungen den Standort zu bestimmen und den Umfang der entstandenen Schäden erfassen zu lassen, 5 - den Schiffsrat einzuberufen, um über die Lage zu unterrichten, die Besatzung informieren zu lassen und die notwendigen Maßnahmen festzulegen, - sofort die Reederei über die Lage an Bord und den Stand des Schiffes zu unterrichten, verbunden mit dem Vorschlag, das Schiff abbergen zu lassen, - eine Dringlichkeitsmeldung an Radio Brest zu senden, um das Vorhandensein von Bergungshilfe zu prüfen, - die Rettungsmittel überprüfen und klarmachen zu lassen, - den Kurs des Schiffes so festzulegen, damit ein Gebiet mit Landschutz und ruhigem Wasser erreicht werden konnte. Diese in der Praxis selbstverständlichen und sofort notwendigen Maßnahmen wurden weder vom Kapitän noch vom Leitenden Technischen Offizier hinsichtlich der Schadenserfassung angeordnet. Der Kapitän und die drei Nautischen Offiziere verblieben untätig auf der Brücke. Dieses Verhalten läßt sich bis 12.00 Uhr nur damit erklären, daß sie von der Unsinkbarkeit ihres Schiffes überzeugt waren, obwohl bereits morgens zu erkennen war, daß im Verlauf der nächsten Stunden auch der Trockenladeraum voll laufen würde. Durch Zeugenaussagen und das technische Gutachten ist bewiesen, daß spätestens ab 13.00 Uhr für Kapitän sowie Nautische und Technische Offiziere zu erkennen war, daß mit einem Untergang des Tankers gerechnet werden mußte. Um 13.00 Uhr hätte der Kapitän SOS geben müssen. Sollte sich dies für die Rettung als zu spät erwiesen haben, wäre das Abbergen durch Hubschrauber zu fordern gewesen. Die Entfernung zur Stadt Brest betrug zu dieser Zeit etwa 35 - 40 sm. Unabhängig von diesen Maßnahmen wäre aber das Klarmachen und Aussetzen der Rettungsboote und eines Floßes möglich und notwendig gewesen. Hierin hätte gegen 13.00 Uhr vorgenommen - der größte Teil der Besatzung Platz gefunden und wäre in Sicherheit gewesen. Das zweite Floß hätte zum Werfen klargehalten werden müssen, um den Rest der Besatzung die Möglichkeit zur Rettung zugeben. Eine Überprüfung der Signalraketen wäre erforderlich gewesen. Diese notwendigen Handlungen hätten etwa 4 Stunden vor Schiffsuntergang eingeleitet werden müssen, da man davon ausgehen muß, daß der Kapitän und die Schiffsoffiziere in den seit der Grundberührung vergangenen 8 Stunden keine Maßnahmen zur Rettung von Schiff und Besatzung eingeleitet hatten. Erst um 15.25 Uhr strahlte der Funkoffizier auf Weisung des Kapitäns ein Hilfeersuchen in Form einer Dringlichkeitsmeldung aus, welche um 16.25 Uhr in den Rang eines SOS-Rufes erhoben wurde. Bis zum Untergang des Schiffes ergingen von keinem der Schiffsoffiziere Anweisungen zur Rettung der Besatzungsmitglieder. Jedem Besatzungsmitglied war es daher selbst überlassen, den Zeitpunkt des Verlassens des Schiffes zu wählen. Die überlebenden Besatzungsmitglieder bestätigten, daß alles menschenmögliche seitens der französischen Regierung unternommen wurde, um die Besatzung zu retten. Besonders hervorzuheben sind das Containerschiff „Fort Pontchartain“, das Bergungsschiff „Pacific“ aus der BRD, der Hubschrauber der französischen Marine und der französische Kutter für die aufopferungsvollen und erfolgreichen Rettungsarbeiten. 6 +