PDF, 2,0 MB - Fachgebiet Stadt- und Regionalökonomie
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Vom Datensatz zum Handlungsfeld: Umweltgerechtigkeit angewandt Handlungsleitfaden zur kleinräumigen Umweltgerechtigkeitsanalyse Impressum Masterauftragsprojekt Vom Datensatz zum Handlungsfeld: Umweltgerechtigkeit angewandt WiSe 2014/15 Projektleitung Dipl.-Ing. Josiane Meier | Fachgebiet Stadt- und Regionalökonomie Projektteilnehmer Kay-Uwe Bahrdt | Grit Diesing | Loxandra Dimakopoulos | Xinxin Duan | Sven Hausigke | Helen Keymer | Bernd Kostulski | Till-Merten Lehmann | Sandra May | Markus Mender | Franziska Schlesinger | Ute Weber | Sebastian Wittig Herausgeber TU Berlin | Fakultät IV | Institut für Stadt- und Regionalplanung | Fachgebiet Stadt- und Regionalökonomie Redaktion und Layout Kay-Uwe Bahrdt | Grit Diesing | Loxandra Dimakopoulos | Bernd Kostulski Till-Merten Lehmann | Sandra May | Franziska Schlesinger Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Publikation auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht. Handlungsleitfaden zur kleinräumigen Umweltgerechtigkeitsanalyse Dieser Handlungsleitfaden erläutert das methodische Vorgehen und die einzelnen Analyseschritte einer kleinräumigen Umweltgerechtigkeitsanalyse auf Quartiersebene, wie sie im Studienprojekt „Vom Datensatz zum Handlungsfeld: Umweltgerechtigkeit angewandt“ im Wintersemester 2014/15 am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin entwickelt wurde. Der Leitfaden dient als Einstiegshilfe für eine praxisnahe Auseinandersetzung mit der Umweltgerechtigkeitsthematik und richtet sich an Akteure aus Verwaltung, (Kommunal-)Politik, Stadtplanung und anderen Fachdisziplinen sowie an die interessierte Öffentlichkeit. Der Handlungsleitfaden bietet Anknüpfungspunkte für eine vertiefende Auseinandersetzung mit der Umweltgerechtigkeit vor Ort und damit einen praktischen Ansatz für die Berücksichtigung der Thematik in Stadtentwicklungsprozessen. Einordnung und Relevanz Der Umweltgerechtigkeitsthematik wurde mit der Berliner Umweltgerechtigkeitskonzeption der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (SenStadtUm) ein umfassendes Monitoring-System zur Seite gestellt, das eine wertvolle (Daten-)Grundlage für eine praktische Auseinandersetzung bildet. Doch für eine detaillierte Zustandsanalyse, aus der konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Umweltgerechtigkeitssituation vor Ort – also in einzelnen Stadtteilen – entwickelt werden können, bedarf Projektarbeit dar, ohne konkret auf die Analyseergebnisse der im Projekt untersuchten Gebiete einzugehen. Diese können im zugehörigen Projektbericht nachgelesen werden. Es werden im Folgenden die methodischen Ansätze und einzelnen Analyseschritte der vertiefenden Umweltgerechtig- keitsuntersuchung zur Auswahl der mehrfach belasteten Untersuchungsgebiete und zur konkretisierenden thematischen Analyse dieser beschrieben, auf Grundlage derer Maßnahmen konzipiert werden können. Etappen der kleinräumigen Umweltgerechtigkeitsanalyse Der Aufbau des Handlungsleitfadens entspricht den einzelnen Analyseschritten der vertiefenden Umweltgerechtigkeitsuntersuchung des Studienprojekts. Dargestellt werden in Grundzügen die wesentlichen Aspekte und methodischen Instrumente, von der Gebietsauswahl über die Aufbereitung und Darstellung der Ergebnisse bis hin zur Ableitung von Maßnahmen (siehe Abb. 1). es einer dem Daten-Monitoring nachfolgenden, vertiefenden Untersuchung. Speziell durch diese räumlich konkretisierende Analyse lassen sich etwaige Konflikt- und Potenzialbereiche 1. Gebietsauswahl 2. Herleitung der Analysekategorien (Indikatoren-Set) identifizieren, aus denen konkrete Maßnahmen abgeleitet werden können. Wie eine solche kleinräumige Umweltgerechtigkeitsanalyse in der Praxis durchgeführt werden kann, zeigt der vorliegende Handlungs- 3. Untersuchungsmethoden 4. Aufbereitung und Darstellung der Ergebnisse 5. Ableitung von Maßnahmen leitfaden auf. Er stellt eine stark auf das methodische Vorgehen reduzierte Zusammenfassung der Abb. 1: Methodische Vorgehensweise zur kleinräumigen Umweltgerechtigkeitsanalyse (Eigene Darstellung) 3 Exkurs: Die Berliner Umweltgerechtigkeitskonzeption Die Berliner Umweltgerechtigkeitskonzeption stellt die Grundlage der vertiefenden Projektarbeit dar und wurde im Jahr 2009 als Modellprojekt von der SenStadtUm initiiert. Zur Erfassung der Umweltverhältnisse wurde erstmalig in Deutschland eine Darstellung der sozialräumlichen Verteilung von gesundheitsrelevanten Umweltbelastungen und -ressourcen für eine Großstadt erarbeitet. Die vom Monitoring erfassten Indikatoren sind: • Lärm-, können. Umweltgerechtigkeitsmonitoring, keitsmonitoring basiert auf dem welches die Bereitstellung einer System der „lebensweltlich orien- aussagefähigen und erweiterbaren tierten Räume“ (LOR) bzw. dessen Datenbasis ermöglicht. Die Beson- kleinstmaßstäblicher derheit des Monitorings ist die fort- heit, der Planungsräume (PLR). laufende Erfassung der Daten in re- Anhand gelmäßigen zeitlichen Abständen. Darstellung der Umweltverhältnis- Gedacht ist das Umweltgerechtig- se in den einzelnen PLR wird die keitsmonitoring als ein die bishe- gesamtstädtische Verteilung der rigen Stadtbeobachtungssysteme Umweltbelastungen und -ressour- flankierendes Frühwarnsystem, cen sichtbar. Die kleinräumige, dessen Schwerpunkt auf der Erfas- flächendeckende Datenerfassung sung von gesundheitsrelevanten bildet eine gute Grundlage, um Umwelteinflüssen liegt. Mithilfe eine vertiefende gebietsbezogene der Umweltgerechtigkeitskonzep- Untersuchung – wie die im Studi- tion sollen die Arbeitsweisen und enprojekt durchgeführte – zu rea- Entscheidungsgrundlagen lisieren. der Umweltgerechtig- dieser Gebietseinkleinräumigen sert werden, um sowohl Stadtent- • thermische Belastung, wicklungs- als auch Umweltziele • Grünversorgung, neu bewerten und gewichten zu • soziale Problematik. 1. Gebietsauswahl 2. Analysekategorien 1. Gebietsauswahl Der erste Schritt der kleinräumigen Umweltgerechtigkeitsanalyse ist die Auswahl eines geeigneten Untersuchungsgebiets. Dabei kommt es darauf an, je nach Zielsetzung Auswahlkriterien zu definieren und anhand dieser ein passendes Gebiet oder auch mehrere zu identifizieren. Neben den Auswahlkriterien spielt auch die Überlegung zur Anzahl der Un- 3. Untersuchungsmethoden 4. Aufbereitung und Darstellung Rolle. Die im Projektauftrag formulierte Zielstellung sah vor, zwei mehrfach 5. Ableitung von Maßnahmen belastete Gebiete (auf Grundlage wendig, sich auf die Anzahl der zu der Bewertung der Berliner Um- untersuchenden Gebiete festzule- weltgerechtigkeitskonzeption), die gen. Dabei gibt es verschiedene augenscheinlich Hand- methodische Ansätze, wie vorge- lungsbedarf implizieren, zu identi- gangen werden kann – z. B. mit fizieren und vertiefend zu analysie- dem Kontrastprinzip, bei dem es ren. Im Folgenden soll in gekürzter darum geht, zwei bzw. mehrere Form dargelegt werden, mittels möglichst unterschiedliche Gebie- welcher Auswahlschritte ein mehr- te zu untersuchen. Wichtig ist eine fach belastetes Gebiet mit nied- klare Zielvorstellung zu haben und rigem sozialen Index ausgewählt sich anhand dieser zu überlegen, werden kann. wie viele Untersuchungsgebiete großen ausgewählt werden sollen. tersuchungsgebiete eine wichtige 4 Das Verwaltung ergänzt und verbes- • Luft- und bestimmte Die Konzeption basiert auf einem Entscheidung bezüglich Anzahl und Art der Untersuchungsgebiete Im Studienprojekt wurde die Un- Zuallererst ist es hilfreich bzw. not- Gebietsanalyse trotz begrenzter tersuchung auf zwei Gebiete beschränkt, um eine detaillierte zeitlicher und personeller Res- die Umweltindikatoren betrachtet, gestuften Belastungen im Bereich sourcen gewährleisten zu können. um die am stärksten durch Um- der vier Umweltindikatoren wur- Da sich etwaige Maßnahmen und weltfaktoren belasteten Gebiete zu den in einem weiteren Schritt auf Handlungsoptionen vermutlich in identifizieren. Die soziale Dimen- ihre soziale Lage und Dynamik Abhängigkeit ihrer Gebietscharak- sion wurde in einem zweiten, er- hin untersucht. Zu diesem Zweck teristika voneinander unterschei- gänzenden Schritt berücksichtigt: wurde der Gesamtindex „Soziale den und um eine größere Vielfalt Dabei wurden jeweils die Gebiete Ungleichheit“ des Berliner Moni- zu erhalten, erfolgte die Gebiets- ins Auge gefasst, in denen eine toring auswahl nach dem Kontrastprin- besonders ausgeprägte Umwelt- 2013 herangezogen, welcher aus zip. Um die Möglichkeiten für eine belastung auf eine besonders aus- vier Indexindikatoren (Arbeitslo- Übertragbarkeit der Analyseergeb- geprägte soziale Problemlage trifft. sigkeit, nisse und Handlungsoptionen auf andere Gebiete zu maximieren, wurde die Streuung der Fälle mithilfe verschiedener Kriterien erzielt: Zum einen sollten sich die zwei ausgewählten Untersuchungsge- biete hinsichtlich ihrer Baustruktur und zum anderen hinsichtlich ihrer stadträumlichen Lage voneinander unterschieden, z. B. ein innerstädtisches Gebiet mit dichter Blockrandbebauung sowie eine Großwohnsiedlung im äußeren Stadtbereich. Auswahlkriterien für ein mehrfach belastetes Gebiet Vierfach umweltbelasteter PLR – hohe soziale Problemlage - äußerer Stadtbereich In einem ersten Auswahlschritt wurden alle PLR Berlins identifiziert, die nach dem Umweltgerechtig- keitsmonitoring besonders hohen – d. h. in allen vier Umweltindikatoren (Lärm-, Luft- und thermische Belastung, Grünversorgung) stark ausgeprägten – Umweltbelastungen ausgesetzt sind. der Mehrfachbelastungen wurde die Karte zur „Integrierten Umweltbelastung“ der Berliner Umweltgerechtigkeitskonzeption Die Auswahl der Untersuchungs- genutzt. Acht von 447 Berliner PLR gebiete im Studienprojekt erfolgte weisen für alle vier Umweltindikato- im Wesentlichen anhand der vor- ren eine hohe Belastung auf (siehe gegebenen Indikatoren der Berli- Abb. 2). ner Umweltgerechtigkeitskonzeption. Grundsätzlich wurden zunächst Stadtentwicklung Langzeitarbeitslosigkeit, Transferbezug nach SGB II und XII, Kinderarmut) besteht. Als PLR mit sozialer Problematik wurde im Rahmen des Studienprojekts die Gruppe der „Gebiete mit erhöhtem Aufmerksamkeitsbedarf“ verstanden, d. h. alle PLR mit sehr niedrigem Sozialstatus (in Kombination mit allen Dynamikgruppen) sowie Gebiete mit niedrigem Sozialstatus und negativer Dynamik (3-). Zwei der acht vierfach umwelt- Als Grundlage für die Identifizierung Soziale Diese acht PLR mit als hoch ein- belasteten Gebiete weisen einen erhöhten Aufmerksamkeitsbedarf auf. Dies sind die PLR Klixstraße in Reinickendorf und Heidestraße in Moabit, wobei letzterer aufgrund seiner geringen Einwohnerzahl und -dichte sowie der in Zukunft schwer absehbaren Entwicklung wegen des dort geplanten Quartiers „Europacity“ ausgeschlossen wurde. Für das Projekt ergab sich nach diesem Auswahlverfahren Abb. 2: Schematische Darstellung des ersten Gebietsauswahlschritts (Eigene Darstellung) 5 als erstes Untersuchungsgebiet im Untersuchungsgebiets die Aus- Berücksichtigung des sehr niedri- äußeren Stadtbereich der PLR Klix- wahlkriterien Lage (innerstädtisch) gen Sozialstatus, der gewünschten straße, der baustrukturell größten- sowie als Baustruktur (Blockrandbebauung) teils von Geschosswohnungsbau- Baustruktur, um eine – dem Kont- sowie einer innerstädtischen Lage ten geprägt ist. rastprinzip entsprechend – unter- reduzierte sich die Auswahl auf vier schiedliche Ausgangslage zu dem PLR. Daher wurden weitere Aus- bereits ausgewählten PLR Klixstra- wahlkriterien zur Entscheidung für ße aufzuzeigen. Demnach stand ein zweites Untersuchungsgebiet zunächst die Identifizierung aller herangezogen: Einwohnerzahl und PLR im Fokus, welche mindestens -dichte, Grünversorgung 2008 mit einer dreifachen Umweltbelastung vierstufiger Skala und Überlage- ausgesetzt sind. Dieser Anforde- rung mit einem Quartiersmanage- rung entsprechen insgesamt zwölf ment-Gebiet. Als Ergebnis des PLR, von denen wiederum sechs zweiten PLR als „Gebiete mit besonderem wurde der PLR Beusselkiez für die Aufmerksamkeitsbedarf“ im Sinne weitere Untersuchung ausgewählt des Monitoring Soziale Stadtent- (siehe Abb. 3). Dreifach umweltbelasteter PLR – hohe soziale Problemlage – innerstädtisch und mit Blockrandbebauung Da von den vierfach umweltbelasteten PLR nur der eine – PLR Klixstraße – für die weitere Bearbeitung in Frage kam, wurden in einem nächsten Schritt alle dreifach umweltbelasteten PLR Berlins betrachtet. Hinzugezogen wurden für die Identifizierung des zweiten Blockrandbebauung Gebietsauswahlschritts wicklung 2013 eingestuft sind. Mit Abb. 3: Schematische Darstellung des zweiten Gebietsauswahlschritts (Eigene Darstellung) 1. Gebietsauswahl 2. Analysekategorien 2. Herleitung der Analysekategorien (Indikatoren-Set) Eine Grundlage für die Ableitung möglicher Analysekategorien zur vertiefenden Umweltgerechtig- keitsanalyse bot neben der Berliner Umweltgerechtigkeitskonzeption der SenStadtUm auch das zweistufige Verfahren zur Untersuchung mehrfach belasteter Gebiete des Deutschen Instituts für Urba- 6 3. Untersuchungsmethoden 4. Aufbereitung und Darstellung 5. Ableitung von Maßnahmen nistik (Difu). Bei beiden Methoden toren und sieben Ergänzungsindi- werden für die zweite Stufe des katoren bzw. vertiefende Analyse- Verfahrens, in der es darum geht, kategorien untersucht (siehe Abb. die im Rahmen der ersten Stufe als 4). mehrfach belastet identifizierten Gebiete vertiefend zu betrachten, Ergänzungs- bzw. Vertiefungsindi- Kernindikatoren Im Mittelpunkt der kleinräumigen katoren empfohlen. Umweltgerechtigkeitsanalyse steht Für die kleinräumige Umweltge- hältnisse bzw. Umweltbelastungen rechtigkeitsanalyse der PLR Klix- und -ressourcen. Vertiefend ana- straße und Beusselkiez wurden lysiert wurden dafür zunächst die darauf aufbauend fünf Kernindika- von der SenStadtUm vorgeschla- die Untersuchung der Umweltver- vertiefende Analysekategorie Gebietshistorie Bau- und Siedlungsstruktur Gesundheitliche Lage Thermische Belastung Grünversorgung Verkehr Soziale Lage Kernindikator Rechts- und Planungsgrundlagen Zukunftspläne und -konzepte Lärmbelastung Luftbelastung Industrie und Gewerbe Abb. 4: Analysekategorien der vertiefenden Umweltgerechtigkeitsanalyse (Eigene Darstellung) genen Kernindikatoren zur Lärm-, torie dar, deren Untersuchung von untersucht, bei der es neben der Luft- und thermischen Belastung, historischen Entstehungszusam- Anzahl an Neuerkrankungen mit Grünversorgung sowie zur sozialen menhängen und Meilensteinen der Bezug zu gesundheitsgefährden- Problematik, da diese für die Unter- Entwicklung der Untersuchungs- den Umweltindikatoren in erster Li- suchung der Zusammenhänge von gebiete zu einem allgemeinen nie um Aspekte der Kindergesund- Umwelt, Gesundheit und sozialer Verständnis über die PLR beitrug. heit ging. Lage geeignet bzw. grundlegend Teilweise offenbarten sich dadurch wichtig erschienen (siehe Tab. 1). sogar historische Bezüge zum The- Der Indikator Bau- und Siedlungs- ma Stadt, Umwelt und Gesundheit, struktur fungierte bereits bei der Ergänzungsindikatoren bzw. ver- was wiederum Erklärungen für die Gebietsauswahl als Auswahlkri- heutige Situation bzw. gegenwärti- terium, bei dem es darum ging, Zudem wurden die Kernindikatoren ge Problematiken lieferte. zwei sich baustrukturell deutlich tiefende Analysekategorien durch vertiefende Analysekategori- voneinander unterscheidende PLR en des Difu und der SenStadtUm Zusätzlich sowie weitere im Projekt entwickel- Rechts- und Planungsgrundlagen es zielführend, die Bau- und Sied- te Aspekte ergänzt (siehe Tab. 2). sowie Zukunftspläne und -konzep- lungsstruktur bei der vertiefenden Dadurch konnte eine umfassende te für die ausgewählten PLR und Umweltgerechtigkeitsanalyse ge- Betrachtung der Gebietscharak- deren nähere Umgebung unter- nauer zu untersuchen, da Zusam- teristika rahmengebenden sucht. Diese Analysekategorie er- menhänge zu den Umweltindika- Faktoren ermöglicht werden. Auf- schien v. a. im Hinblick auf die an toren Lärm-, Luft- und thermische gegriffen wurden auch Aspekte, die Belastung sowie den reellen Lauf- die z. T. nur indirekt mit der The- anschließende matik der Umweltgerechtigkeit in nung und diesbezügliche Abschät- Verbindung stehen. Diese können zungen zur Machbarkeit bzw. Re- jedoch für das Verständnis des Zu- alisierbarkeit sowie Identifizierung Durch die ergänzende Betrachtung standekommens der gegebenen möglicher Anknüpfungspunkte an der Industrie- und Gewerbestand- Belastungssituation hilfreich sein bereits geplante Maßnahmen hilf- orte sowie der Verkehrsflüsse in und Anknüpfungspunkte für Hand- reich. und um die Untersuchungsgebiete und wurden bestehende Umweltgerechtigkeitsanalyse Maßnahmenpla- lungsoptionen liefern. auszuwählen. Folglich erschien wegen zu Grünflächen zu erwarten waren. konnten übergeordnete Zusam- Eine dieser vertiefenden Analyse- Darüber hinaus wurde die Analy- menhänge mit bzw. Wechselwir- kategorien stellte die Gebietshis- sekategorie gesundheitliche Lage kungen zu den Umweltindikatoren 7 identifiziert werden, welche v. a. für im Rahmen der kleinräumigen Um- die Entwicklung von Maßnahmen- weltgerechtigkeitsanalyse vorschlägen von Vorteil waren. ckelt und untersucht werden. entwi- Darüber hinaus können – je nach Zielsetzung und Bedarf – auch noch weitere Analysekategorien Kernindikatoren Lärmbelastung • Schallimmissionsbelastung durch Straßenverkehr, oberirdische Bahntrassen, Industrie und Gewerbe, Flugverkehr Luftbelastung • Auswirkungen auf die Gesundheit • Luftqualität, bezogen auf die Stickoxid- (NOX) und Feinstaubwerte (PM2.5, PM10) • Entwicklung der Luftqualität seit 1989 Thermische Belastung • Wärmebelastung und langjährige mittlere Lufttemperatur • Luftaustausch und Kaltluftvolumenstrom Grünversorgung • Versiegelung • Bestand an Grünflächen • Fußläufiger Einzugsbereich (tatsächlicher Laufweg) Soziale Lage • Bewertung der Erreichbarkeit bzw. Zugänglichkeit, Art, Qualität • Altersstruktur • Arbeitslosigkeit/Arbeitslosenquote • Langzeitarbeitslosigkeit • Jugendarbeitslosigkeit • Transferbezug („Aufstocker“-Leistungen) • Netto-Haushaltseinkommen • Bildungsniveau (Bildungsabschlüsse im Quartier) • Bevölkerungszusammensetzung Tab. 1: Kernindikatoren der kleinräumigen Umweltgerechtigkeitsanalyse und untersuchte Betrachtungsaspekte (Eigene Darstellung) Ergänzungsindikatoren Gebietshistorie Rechts- und Planungsgrundlagen • Historische Entwicklung (Entwicklungsphasen) • Historische Bezüge zum Thema Umwelt, Gesundheit, Soziales • FNP Berlin und BNP Berlin • B-Pläne • L-Plan Zukunftspläne und -konzepte • Kleingartenentwicklungsplan • StEK • StEP • BEP • Rahmenpläne • INSEK • Förderkulisse • Sonstige Pläne und Planungen 8 Gesundheitliche Lage • Krebs(neu)erkrankungen • Tumor(neu)bildungen • Vorzeitige Mortalität • Indikatoren für Kindergesundheit Bau- und Siedlungs- • Baustruktur und Nutzung struktur • Städtebauliche Dichte (GRZ) • Gebäudehöhe (Anzahl Vollgeschosse) • Gebäudezustand (Sanierungsstand) Industrie und Gewer- • Standorte von Gewerbe- und Industrieflächen (Struktur, Branchenzugehörigkeit) be • Lkw-Lieferverkehr Verkehr • Genehmigungsbedürftige Industrieanlagen gemäß § 4 BImSchG • Standorte von Gewerbe- und Industrieflächen (Struktur, Branchenzugehörigkeit) • Lkw-Lieferverkehr • Genehmigungsbedürftige Industrieanlagen gemäß § 4 BImSchG Tab. 2: Ergänzungsindikatoren bzw. vertiefende Analysekategorien der kleinräumigen Umweltgerechtigkeitsanalyse und untersuchte Betrachtungsaspekte (Eigene Darstellung) 1. Gebietsauswahl 2. Analysekategorien 3. Untersuchungsmethoden 4. Aufbereitung und Darstellung 5. Ableitung von Maßnahmen 3. Untersuchungsmethoden Für die vertiefende Umweltgerechtigkeitsanalyse gilt es, in einem weiteren Schritt geeignete Methoden für die Untersuchung der einzelnen Analysekategorien zu identifizieren. Für (fast) alle zu untersuchenden Indikatoren wurde im Rahmen des Studienprojekts eine Kombination aus vertiefender Karten- bzw. Datenanalyse mit Vor-Ort-Begehungen und Bestandsaufnahmen als geeignet angesehen. Zudem wurden in beiden Untersuchungsgebieten ergänzende qualitative Datenerhebungen und Untersuchungen (z. B. Bewohnerbefragungen, Interviews) durchgeführt, um zusätzliche Sichtweisen Quantitative Analyse Qualitatitve Analyse • Kartenanalyse • Datenanalyse • Messungen/Bestandsaufnahmen • Vor-Ort-Begehungen • Bewohnerbefragungen • Interviews und Informationen hinsichtlich des zu untersuchenden Gebiets zu erhalten Abb. 5: Untersuchungsmethoden der kleinräumigen Umweltgerechtigkeitsanalyse (siehe Abb. 5). (Eigene Darstellung) 9 1. Gebietsauswahl 2. Analysekategorien 4. Aufbereitung und Darstellung der Ergebnisse Neben der ausführlichen textlichen Erläuterung ist die grafische Aufbereitung der Analyseergebnisse ein wichtiger Baustein, um die herausgearbeiteten Erkenntnisse und Gesamtzusammenhänge greifbar zu machen. Hierzu diente im Rahmen des Studienprojekts die Erstellung von Analysekarten zu einigen der untersuchten Indikatoren. Dabei war es wichtig, die Kartengrundlagen und 3. Untersuchungsmethoden 4. Aufbereitung und Darstellung 5. Ableitung von Maßnahmen im Gegensatz dazu auf Areale mit keine Wetterkarten erstellt, da deren schlechten Umweltbedingungen. Auswirkungen auf die Umwelt bereits Die unterschiedlichen Ausmaße der in den Wetterkarten zur Luft- und Druckgebiete werden mithilfe von Lärmbelastung dargestellt wurden Isobaren-Linien abgebildet. Umso und eine Doppelung vermieden wer- mehr Linien sich um ein Hoch- bzw. den sollte. Tiefdruckgebiet befinden, desto stärker ist es in seiner Ausprägung. Zunächst wurden für die einzelnen betrachteten Analysekategorien jeweils eigenständige Wetterkarten erstellt. Eine Ausnahme stellten die Analysekategorien Verkehr sowie Industrie und Gewerbe dar: Für sie wurden Anschließend wurden die indikatorbezogenen Karten zu einer aggregierten Gesamtwetterkarte zusammengeführt. Dafür wurden die Druckgebiete der einzelnen Wetterkarten übereinandergelegt und Hoch- bzw. Tiefdruckgebiete dort er- Darstellungsweisen zwischen den beiden Untersuchungsgebieten abzustimmen, um die Vergleichbarkeit der Analyseergebnisse zu gewährleisten. Für einige Analysekategorien – wie die soziale und gesundheitliche Lage – bot es sich anstelle von Analysekarten an, die Ergebnisse in Diagrammen darzustellen, da die Datenlage räumliche Unterscheidungen innerhalb des PLR nicht ermöglicht. Um die in den Analysekarten gewonnenen Erkenntnisse zusammenzufassen, wurde im Rahmen des Studienprojekts das Instrument der „Wetterkarte“ entwickelt. Diese Form der grafischen Aufbereitung ermöglicht es, die Areale innerhalb eines PLR zu identifizieren, die sich durch bessere bzw. schlechtere Umweltverhältnisse auszeichnen (siehe Abb. 6). Darauf aufbauend können bedarfsorientiert Maßnahmen konkret im PLR verortet werden. In den Wetterkarten werden zwei Komponenten unterschieden: Hochdruckgebiete weisen auf Areale mit guten Umweltbedingungen hin, Tiefdruckgebiete 10 Abb. 6: Beispiel einer Wetterkarte für die Analysekategorie Lärmbelastung des PLR Klixstraße (Eigene Darstellung) neut gekennzeichnet, wo eine mehr- terkarten, dass die mehrfach belas- gute Umweltverhältnisse verfügen. fache Überlagerung dieser sichtbar teten Gebiete – wie sie in der Berli- Durch die kleinräumige Umweltge- wurde. Die Gesamtwetterkarte zeigt ner Umweltgerechtigkeitskonzeption rechtigkeitsanalyse können konkrete somit, welche Areale im PLR beson- bezeichnet werden – bei näherer Handlungserfordernisse aufgezeigt ders von Umweltbelastungen in den Betrachtung heterogen strukturiert werden, für die anschließend gezielt Bereichen Luft-, Lärm- und thermi- sind: Die Umweltbelastungen und verortete Maßnahmen zur Verbesse- sche Belastung sowie Grünversor- -ressourcen sind über den gesamten rung der Wohn- und Lebensumwelt gung betroffen sind (Konflikträume) PLR hinweg ungleich verteilt, teilwei- abgeleitet werden können. und welche nicht (Potenzialräume). se überlagern sie sich und eben- Demnach veranschaulichen die Wet- so gibt es Räume, die über relativ 1. Gebietsauswahl 2. Analysekategorien 5. Ableitung von Maßnahmen In einem letzten Schritt wurden aus dem identifizierten Handlungsbe- darf der Gesamtwetterkarten, unter Berücksichtigung der in den Bewohnerbefragungen bzw. Interviews geäußerten Problemlagen bzw. Wünsche, bedarfsorientierte bzw. situationsgerechte Maßnahmenvorschläge zur Verbesserung der lokalen Bedingungen abgeleitet. Die Maßnahmen zielen zum einen auf den Abbau gesundheitsgefährdender Umweltbe- lastungen ab und sollen zum anderen zu einer verbesserten Wohn- und Lebensumwelt beitragen. Die Fülle der unterschiedlichen möglichen Maßnahmen musste dabei dem Anspruch einer mittelfristigen Machbarkeit gerecht werden. Bei der Auswahl und Entwicklung der Maßnahmen wurden v. a. drei Kriterien herangezogen: 1. Die Maßnahmen sollten vordergründig keine allgemein anwendbaren Maßnahmen darstellen, sondern 4. Aufbereitung und Darstellung 3. Untersuchungsmethoden 5. Ableitung von Maßnahmen konkret auf die Gegebenheiten des lich aufzubereiten, wurden im Rah- Quartiers zugeschnitten sein. men des Studienprojekts einheitlich aufgebaute Maßnahmen-Steckbriefe 2. Zur Eingrenzung und Auswahl erarbeitet. Diese beinhalten neben bestimmter Maßnahmen wurden die einer ausführlichen Beschreibung Maßnahmen präferiert, die einen po- der jeweiligen Maßnahme auch die sitiven Effekt auf möglichst viele Indi- Formulierung der damit verfolgten katoren haben. Ziele sowie den Verweis auf Referenzbeispiele und eine räumliche 3. Die jeweiligen Maßnahmen sollten Verortung der Maßnahme im jeweili- für sich genommen eine hohe Effizi- gen Untersuchungsgebiet. Die Maß- enz aufweisen. nahmen wurden konkret für die PLR und ihre Potenziale und Missstände Bei der Entwicklung von Maßnahmen entwickelt, können aber bei ähnli- können – je nach Ausgangssituation chen und Bedarf – unterschiedliche Ziele über die untersuchten PLR hinaus verfolgt werden. Bei einer kleinräu- Anwendung finden. migen Rahmenbedingungen auch Umweltgerechtigkeitsanaly- se erscheint es allerdings sinnvoll, nach der gebietsspezifischen Untersuchung auch konkret auf dieses Gebiet zugeschnittene, situationsgerecht und bedarfsorientierte Maßnahmen abzuleiten, die – bei ähnlichen Rahmenbedingungen – auch über das Untersuchungsgebiet hinaus Anwendung finden oder in übergeordnete Maßnahmenplanungen eingebunden sein können. Um die Vielzahl der entwickelten Maßnahmenvorschläge übersicht- 11 Reflexion des methodischen Vorgehens Grundsätzlich bestätigten die im Rahmen des Studienprojekts durchgeführten vertiefenden Umweltgerechtigkeitsanalysen der beiden PLR die Ergebnisse bzw. Einstufungen der auftretenden Mehrfachbelas- tungen aus der Berliner Umweltgerechtigkeitskonzeption. Durch die ergänzende Betrachtung der Bauund Siedlungsstruktur und der Industrie- und Gewerbestandorte konnten übergeordnete Zusammenhänge und Wechselbeziehungen zwischen den Analysekategorien identifiziert werden, die als Grundlage für die Ableitung von Maßnahmen hilfreich waren. Zusätzlich wurden die Gebietshistorie, Rechts- und Planungsgrundlagen sowie Zukunftspläne und -konzepte mit in die Untersuchung einbezogen, die zu einem allgemeinen Eindruck und Verständnis der Hintergründe und Handlungsmöglichkeiten beigetragen haben. Die Erstellung der Wetterkarten als methodisches Bewertungsinstrument half, die detaillierten Inhalte der Analysekarten zu den einzelnen Untersuchungskategorien in eine aggregierte Darstellungsform zu übersetzen. Somit konnten im Sinne einer Schwerpunktsetzung besondere Konfliktund Potenzialräume hervorgehoben werden. Durch die Überlagerung der verschiedenen indikatorbezogenen Wetterkarten gelang es, die Mehrfachbelastungen gebietsspezifisch zu konkretisieren und räumliche Ansatzpunkte für potenzielle Verbesserungsmaßnahmen zu ermitteln. Da es sich bei den Wetterkarten um eine zusammenfassende Abstraktion der Analyseergebnisse handelt, ist gegenüber den zuvor detailliert untersuchten Analysekategorien ein 12 Informationsverlust und eine Abnahme der Detailschärfe zu verzeichnen. Die Durchführung des Interviews und der Bewohnerbefragungen vor Ort erzielten einen beachtlichen Mehrwert. Dadurch konnten ergänzende Perspektiven und Sichtweisen aus dem “Innenleben” des Quartiers gesammelt werden, die mit den Ergebnissen der vorangegangenen Karten- und Datenanalyse verglichen werden konnten. Mithilfe des vorliegenden Handlungsleitfadens, der die methodische Vorgehensweise einer kleinräumigen Umweltgerechtigkeitsanalyse zu- sammenfassend darlegt, wurde veranschaulicht, welche Analyseschritte für eine vertiefende, gebietsbezogene Untersuchung durchgeführt werden können. Diese Vorgehensweise stellt ein Grundmodell dar, welches je nach gegebener Zielstellung sowie je nach lokal verfügbaren Daten und Ressourcen angepasst und ergänzt werden kann.