Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2007

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Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2007
INHALT
Allgemeine Informationen zum Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis
Grußadresse der Bundesministerin Dr. Claudia Schmied
Die Preisträger: Lebenslauf, Werkverzeichnis und „Im Gespräch“
Drucksorten:
Einladungskarte
Plakatfolder mit den Preisbüchern und den Büchern der Kollektion
Programmheft zum „ÖsterreichLesefest“
Rückfragen:
Mag. Martina Taig
Kabinett der Bundesministerin
Minoritenplatz 5, 1014 Wien
[email protected]
01/53120 – DW 5032
Mag. Sonja Bognar
Abteilung für Literatur
Minoritenplatz 5, 1014 Wien
[email protected]
01/53115 – DW 7563
Aktuelle Infos auf www.lesefest.at
DER PREIS
Der Österreichische Kinder- und Jugendbuchpreis ist eine staatliche Würdigung des
künstlerischen Schaffens von österreichischen Autoren/innen, Illustratoren/innen und
Übersetzern/innen sowie eine Auszeichnung für die Produktion qualitätsvoller Kinderund Jugendliteratur in österreichischen Verlagen. Insgesamt werden vier Kinder- und
Jugendbuchpreise vergeben, die mit je 6.000 Euro dotiert sind. Bis zu zehn weitere
Bücher werden in die „Kollektion Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis“
aufgenommen.
Wie in den vergangenen Jahren werden die Preise in Gleisdorf/Steiermark verliehen.
Bundesministerin Dr. Claudia Schmied wird sie am 10. Mai 2007, um 13 Uhr im
forumKloster überreichen. Zusätzlich zu den 14 ausgezeichneten Büchern wird auch
der Förderungspreis für Kinder- und Jugendliteratur 2006 an Rachel van Kooij
übergeben werden. Die Preisverleihung wird von der Arbeitsgruppe Österreichischer
Kinder- und Jugendbuchpreis 2007 gestaltet. Durch die Verleihung führen Heidi Lexe
und
Franz
Lettner
gemeinsam
mit
Astrid
Schabl.
Das
musikalische
Rahmenprogramm besorgt die Musikschule Gleisdorf.
DIE JURY
Mag. Severin Filek, Design Austria
Mag. Franz Lettner, Institut für Jugendliteratur, Wien
Dr. Heidi Lexe, Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur, Wien
Mag. Barbara Pichler-Hausegger, ORF
Mag. Elisabeth Wildberger, Buchklub der Jugend, Wien
DIE JUGENDJURY
„Warum werden Kinderbücher immer von Erwachsenen ausgesucht?“; fragten sich
viele Kinder bei der Preisverleihung im Jahre 2005. Ja, warum eigentlich? Die Frage
führte jedenfalls dazu, einen Preis der Jugendjury einzurichten, der heuer von den
Schülerinnen und Schülern des Georg von Peuerbach-Gymnasiums Linz vergeben
wird und vom BMUKK mit 2.000 Euro dotiert ist. Die jungen Leserinnen und Leser
wählen dabei aus den Preisbüchern ihr Lieblingsbuch aus, das dann bei der
Veranstaltung in Gleisdorf bekannt gegeben wird.
DAS ÖSTERREICHLESEFEST
Anlässlich der Verleihung des Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreises
finden in ganz Österreich rund 30 Veranstaltungen in Schulen, Buchhandlungen,
Bibliotheken und Literaturhäusern statt, die Lust aufs Lesen machen sollen. Am 9.
Mai 2007 wird die Ausstellung „BärenWortSpielBilder“ mit Arbeiten des bekannten
österreichischen Illustrators László Varvasovszky im Literaturhaus Graz eröffnet.
Wir danken der Stadt Gleisdorf, dem Service Center für Leseförderung des
Fachverbandes der Buch- und Medienwirtschaft, der Buchhandlung Plautz und der
Arbeitsgruppe Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2007 für ihre
Unterstützung.
DIE PREISBÜCHER AUF TOUR
In Kooperation mit dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur stellt der
Österreichische Buchklub der Jugend interessierten Schulklassen die Bücher des
Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreises gratis zur Verfügung. Zu jedem der
14 Bücher, die praktisch verpackt in einem Alukoffer geliefert werden, gibt es
lesedidaktische Unterlagen und Kopiervorlagen. Jedes Jahr kommen 30 neue
Bücherkoffer dazu, die dann durch Österreich touren.
Seit mehr als 50 Jahren vergibt die Republik Österreich für besonders gelungene
Kinder- und Jugendbücher den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis. Die
prämierten Bücher zeigen durch ihre Vielfalt an Themen, Textarten und Illustrationen
jedes Jahr aufs Neue, wie vielseitig Kinder- und Jugendliteratur sein kann: Vom
klassischen Bilderbuch über Sprachspiele und Porträts vergangener Zeiten bis hin
zum aufrüttelnden Roman reicht der Bogen der diesjährigen Auswahl.
Besonders das beliebte Spiel mit Wörtern und Sprache ist heuer mit drei Büchern
prominent vertreten. Viele erinnern sich sicherlich noch an „Das Sprachbastelbuch“,
das vielen Kindern das Tor in die spannende Welt der Buchstaben geöffnet hat. In
diesem Buch aus meiner Jugend bestaunten wir das „Kakadugnu“, heute macht der
Hahn in Island „Gaggalagu“. Damals fragte man sich, was passiert, wenn zwei Hasen
über den Rasen rasen, heute stellt man sich die Frage, ob man Miezen siezen muss.
Bereits vor vielen Jahren wurde ein Kragenbär, der sich rollt, zum Rollkragenbär, und
heute wird er sogar zum Schlaubärger. Dieser spielerische Umgang mit Sprache
fördert die Kreativität der Kinder und stärkt ihr Sprachgefühl, das in Zeiten von SMS,
E-Mail und Newsflashs bei der sprachlichen Gestaltung von Texten oft nur mehr eine
Nebenrolle spielt.
Die Kinder- und Jugendbuchpreise sind ein Dankeschön der Republik Österreich und
eine Anerkennung der künstlerischen und kreativen Leistungen der Autoren,
Übersetzer und Illustratoren, die diese außergewöhnliche Literatur für ein junges
Publikum schaffen. Sie sollen aber auch eine Bestätigung für jene Verlage sein, die
diese Bücher mitgestalten, publizieren, in die Buchhandlung und zum Leser bringen.
Als Unterrichts- und Kunstministerin freut es mich besonders, dass es Schülerinnen
und Schülern im Rahmen des Preises der Jugendjury ermöglicht wird, sich intensiv
mit den ausgewählten Büchern auseinanderzusetzen und ihr Lieblingsbuch bei der
Preisverleihung in Gleisdorf zu präsentieren.
In diesem Sinne möchte ich den Mitgliedern der Jury für ihre Arbeit sowie der
Gemeinde Gleisdorf und der Buchhandlung Plautz für ihre Unterstützung danken und
darf den diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträgern sehr herzlich gratulieren. Ich
wünsche den Leserinnen und Lesern spannende und vergnügliche Stunden mit den
neuen Preisbüchern und viel Freude bei den Lesungen und Workshops, die
anlässlich der Preisverleihung in ganz Österreich stattfinden.
Dr. Claudia Schmied
Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur
JUTTA TREIBER
Jutta Treiber, geboren 1949, studierte Anglistik und
Germanistik in Wien. Von 1972 bis 1988 war sie als Lehrerin
am Gymnasium tätig, seit 1988 lebt sie als freiberufliche
Autorin in Oberpullendorf. Sie schreibt vorwiegend für Kinder
und Jugendliche (über 30 lieferbare Titel), erhielt viele Preise
und ist viel auf Lesungen in ganz Europa unterwegs.
www.juttatreiber.com
© Patmos Verlagshaus
Werke (Auswahl)
„Connie, das Dazwischenkind“. Wien: Dachs 1998.
„Die Blumen der Engel“. Illustriert von Maria Blazejovsky. Wien, München: Annette
Betz 2001.
„Rosa träumt“. Illustriert von Christa Unzner. Wien, München: Annette Betz 2002.
„Vergewaltigt“. Wien: Ueberreuter 2003.
„Der blaue See ist heute grün“. Bearbeitete Neuauflage. Wien: Ueberreuter 2005.
„Der Angstdrache“. Illustriert von Maria Blazejovsky. Wien, München: Annette Betz
2005.
„Naja“. Illustriert von Susanne Eisermann. St. Pölten: NP Buchverlag 2005.
„Max und Marzipan“. Wien: G & G 2006.
„Die Zeit und Hannah“. Oberwart: Edition lex liszt 2006.
„Der Großvater im rostroten Ohrensessel“. Illustriert von Jens Rassmus. Wien,
Düsseldorf: Dachs 2006.
„Die Straße ist ein Ort für Menschenstudien und ein Fundus von Geschichten
in nuce.“ Jutta Treiber im Gespräch
„Geschichten liegen auf der Straße“, haben Sie geschrieben. Welche von den
Geschichten, die Sie dort finden, interessieren Sie denn besonders?
Treiber: Was mich an den Geschichten, die auf der Straße liegen, fasziniert, ist, dass
man manchmal – wie in einem epiphanischen Moment im Joyceschen Sinn – eine
ganze Lebensgeschichte oder zumindest eine Lebenssituation offenbart bekommt.
Die Art, wie z.B. Eltern mit ihren Kindern im Supermarkt umgehen, ob sie ihre
Wünsche erfüllen, ob sie auf vernünftige Art Grenzen setzen, zeigt viel von der
gesamten Lebenssituation, in der sich diese Familie befindet. Die Art, wie Eltern mit
ihren Kindern auf der Straße umgehen, ob sie sie schreien lassen, ob sie ihnen
davonlaufen und sie im Zorn stehen lassen, ob sie sie liebevoll behandeln, ob sie
ihnen zuhören oder erst nach dreimaligem Drängen und schlussendlichem Schreien
den Kindern Aufmerksamkeit schenken, lassen ganze Geschichten entstehen, die
weitergesponnen
werden
können.
Ein
plötzlicher
Gesprächsfetzen,
zufällig
aufgeschnappt, enthüllt vielleicht, dass ein frustrierter Ehemann eine Geliebte hat,
die wiederum eifersüchtig auf die Ehefrau ist. Beobachtungen von Menschen auf der
Straße sind ein reicher Fundus. Die Art, wie Menschen gehen (dynamisch, schnell,
schlendernd, genießerisch, zögernd, unsicher), die Art, wie sie ihr Eis essen, wie sie
sich in einer Warteschlange verhalten, ob sie drängeln oder geduldig warten, die Art,
wie sie gekleidet sind: all das verrät viel über ihre momentane Situation. Die Straße
ist also ein Ort für Menschenstudien und ein Fundus von Geschichten in nuce. Und
genau das fasziniert mich daran.
Sie gelten als Spezialistin für Bücher, die sich mit familiären Problemen
auseinandersetzen. Warum dieses Thema? Und was bedeutet „Familie“ für Sie?
Treiber: Die Beziehungen innerhalb einer Familie sind die wichtigsten und
prägendsten für die Entwicklung eines Kindes. Das vielfältige und komplizierte
Geflecht von Beziehungen aufzuzeigen, ist mir ein besonderes Anliegen in meinen
Büchern. Wenn die Familie intakt ist und vom Kind positiv erlebt wird, bedeutet sie
Geborgenheit, Vertrauen, Entfaltung der persönlichen Möglichkeiten, Stärkung des
Selbstbewusstseins, Liebe. Die Familie kann aber auch ein Ort der Konflikte, der
Gewalt, der Einsamkeit, der psychischen Zerstörung sein.
Kommen wir zu Ihrem Buch „Der Großvater im rostroten Ohrensessel“. Über den Tod
und den Verlust eines lieben Menschen zu schreiben, ist nicht leicht. Wie aber
erzählt man ein solches Thema in einem Bilderbuch?
Treiber: Eine Vorbemerkung zum „Großvater im rostroten Ohrensessel“: In der Kritik
wurde das Buch manchmal ganz einlinig interpretiert, nämlich so, dass der
imaginierte Großvater eine Erinnerung an den verstorbenen Großvater sei. Ich habe
das aber vielschichtiger angelegt. Der imaginierte Großvater lässt mehrere
Deutungsmöglichkeiten zu: Er könnte eine vage Erinnerung an den verstorbenen
Großvater sein. Er könnte die Erinnerung an den kranken Großvater sein, so wie er
früher war. Er könnte aber auch jemand ganz anderer sein, eine Ersatzfigur, die sich
das Kind (es ist ausdrücklich ein Kind und nicht, wie der Rückentext sagt, ein Junge)
erfindet, weil es beide Großväter auf irgendeine Weise verloren hat. Aber nun zu der
Frage selbst: Es ist nicht ganz einfach, für Kinder über den Tod zu schreiben. Man
muss sich genau überlegen, wie tief man sich auf das Thema einlassen will, welche
Inhalte man transportiert, vor allem aber ist die Wortwahl sehr genau zu überdenken.
Es ist ein Balanceakt, wie auf einem Schwebebalken. Man kann leicht abstürzen,
entweder in den Kitsch oder in die Verharmlosung. Ehrlich sollte man sein, wenn
man für Kinder über den Tod schreibt, die Kinder in ihrem Schmerz ernst nehmen.
Bei Lesungen habe ich die Erfahrung gemacht, dass Kinder sich mit dem Tod
auseinandersetzen wollen, dass sie vor diesem Thema nicht zurückschrecken, ja es
manchmal sogar weniger scheuen als Erwachsene.
Jens Rassmus, der Illustrator des „Großvaters im rostroten Ohrensessel“, nimmt ja
diese Deutungsmöglichkeiten, die Ihr Text für den Leser offen lässt, in seinen Bildern
bewusst auf. Wie arbeitet man da zusammen, Autor und Illustrator?
Treiber: Jens Rassmus wurde vom Dachs Verlag als Illustrator ausgewählt. Ich hatte
ihn bis dato nicht persönlich gekannt. Wir haben auch nie über die Illustrationen
gesprochen. Er hat sie gemacht – und ich war entzückt! So einfach war das.
Inzwischen kenne ich ihn persönlich. Er hat gemeint, es sei eine sehr persönliche
Geschichte, und erst durch diesen Satz bin ich draufgekommen, wie persönlich sie
wirklich ist. (Ein Großvater von mir war schon tot, als ich geboren wurde. Den
anderen Großvater habe ich vor allem krank erlebt. Mein Vater war lange Zeit schwer
krank, bevor er starb.) Bei anderen Illustratoren arbeite ich anders. Wenn es
österreichische, vor allem Wiener Illustratorinnen sind (Maria Blazejovsky, Birgit
Antoni), setzen wir uns gemütlich zusammen und besprechen unsere Vorstellungen.
Da sehe ich die Illustrationen auch während des Entstehungsprozesses. Bei
deutschen Illustratorinnen wird per E-Mail kommuniziert. Das kann auch schon
manchmal ein langes Hin und Her sein, bis sowohl Autorin als auch Illustratorin mit
dem Ergebnis zufrieden sind.
Ihr neuestes Buch ist gerade in der edition lex liszt 12 erschienen. Worum geht's in
„Die Zeit und Hannah“?
Treiber: „Die Zeit und Hannah“ ist ein Roman für Erwachsene in drei Teilen
(Zeit.Raffer, Zeit.Schnitt, Zeit.Lupe), es ist die Lebensgeschichte einer Frau im Alter
von 35, 45 und 55 Jahren. Es geht um ein breites Spektrum an Themen:
Kindheitsverletzungen, behinderter Bruder, Eheprobleme, Liebesversuche, eine
Vergewaltigung und das damit verbundene Trauma, die schwere Krankheit eines
Sohnes. Es geht um Überlastung und daraus resultierende Depressionen,
Entfremdung und Neuorientierung.
Macht es einen Unterschied, ob man eine Geschichte für erwachsene, jugendliche
oder junge Leser entwirft und schreibt?
Treiber: Ich habe mich immer dagegen gewehrt, in die Schublade „Kinder- und
Jugendbuchautorin“ gesteckt zu werden, weil ich daneben immer auch für
Erwachsene geschrieben habe. Ich habe meine Kinderbücher so geschrieben, dass
sie auch für Erwachsene mit Genuss lesbar sind – zumindest hoffe ich, dass es mir
gelungen ist. Beim Erwachsenenroman tritt nun der umgekehrte Fall ein, dass
nämlich auch Jugendliche Interesse dafür zeigen. Literatur ist eben Literatur und
lässt sich nicht schubladisieren. Zumindest sind die Grenzen der einzelnen Genres
sehr durchlässig. Die Themen in meinen Kinder- und Jugendbüchern sind nicht sehr
verschieden von den Themen des Romans für Erwachsene: Liebe, Liebesverlust,
Akzeptanz, Schwangerschaft, Geburt, Heranwachsen, Konflikte in der Familie,
Machtverhältnisse, Tod. Aber es gibt natürlich Unterschiede, und die bestehen vor
allem in der Länge der Texte, in der Sprache und im Maß an Schonungslosigkeit.
Bilderbücher sind ein eigenes, sehr poetisches Genre, da muss jedes Wort genau
überlegt sein. Kinderbücher haben ebenfalls einen geringen Umfang. Inhalt und
Wortwahl sollten dem Welt- und Sprachverständnis des Kindes angemessen sein.
Bei Jugendbüchern gibt es schon ein größeres Maß an sprachlicher Freiheit.
Dennoch kann man manche Dinge nicht voraussetzen, muss sie eventuell erklären.
Wenn man für Erwachsene schreibt, kann man alles voraussetzen. Man muss sich
nicht in eine jugendliche Person hineindenken, man schreibt auf Augenhöhe des
Lesers. Und kann so schonungslos sein wie man will.
Herzlichen Dank für unser Gespräch.
Jutta Treiber / Jens Rassmus: „Der Großvater im rostroten Ohrensessel“. Wien,
Düsseldorf: Dachs-Patmos 2006, 32 S.
Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2007, Bilderbuch
JENS RASSMUS
Jens Rassmus, geboren 1967 in Kiel, lebt seit 1989 in
Hamburg. Studium der Illustration in Hamburg und Dundee,
Schottland. Seit 1996 freier Illustrator und Autor,
Veröffentlichung von mehreren Bilder- und Kinderbüchern in
Deutschland und Österreich.
www.jensrassmus.de
© Patmos Verlagshaus
Werke (Auswahl)
„Buchstaben Dschungel“. Text von Ursula Poznanski. Wien: Dachs 2003.
„Als die Gondolieri schwiegen. Eine Geschichte aus Venedig“. Text von William
Goldman. Frankfurt: Eichborn 2003.
„Der Zapperdockel und der Wock“. Text von Georg Bydlinski. Wien: Dachs 2004.
„Der wunderbarste Platz auf der Welt“. St. Pölten: NP Buchverlag 2005.
„Schlüssel verloren“. Text von Annette Herzog. Peter Hammer 2005.
„Der Großvater im rostroten Ohrensessel“. Text von Jutta Treiber. Wien, Düsseldorf:
Dachs 2006.
„Was Bilderbücher gut können, ist langsam sein“. Jens Rassmus im Gespräch
Ihre Bücher waren bereits mehrere Male beim Österreichischen Kinder- und
Jugendbuchpreis vertreten. Im Jahr 2006 ging auch der Preis der Jugendjury an Sie.
Jens Rassmus: Österreichs liebster Illustrator aus Deutschland, sozusagen. Wie
geht's Ihnen dabei?
Rassmus: Gut geht´s mir dabei. Es ist wirklich sehr viel Ehre. Und als ich erfuhr, dass
ich dieses Jahr wieder einen Preis bekomme, fragte ich mich tatsächlich, ob das jetzt
nicht sogar zuviel der Ehre ist, zumal für einen norddeutschen Küstenbewohner!
Doch es ist natürlich wunderbar einen Preis zu bekommen, eine schöne
Anerkennung. Es freut mich sehr.
Wie kommt man eigentlich zum Bücher-Illustrieren und zum Bilderbuch? War das
Zufall, oder war das ein lange gehegter Berufswunsch?
Rassmus:
Ich
habe
in
Hamburg
bei
Rüdiger
Stoye
Kinder-
und
Jugendbuchillustration studiert, insofern war das ein sehr gerader Werdegang. Vor
dem Studium hatte ich jedoch überhaupt keinen Bezug zu Bilderbüchern. Mir war nur
klar, dass ich weder Freie Kunst noch Grafik-Design machen wollte. Am liebsten
wollte ich Comic-Zeichner werden, denn ich war sehr von Moebius und Tardi
fasziniert.
Die Faszination, die Comics auf einen Menschen mit – sagen wir einmal – 16, 17
Jahren ausüben, kann ich leicht nachvollziehen. Aber warum will jemand in diesem
Alter „Buchillustration“ studieren? Medientechnisch gesehen, hat die Buchillustration
ja einen ziemlichen Bart. Oder?
Rassmus: Bücher-Illustrieren studieren wollte ich erst, als ich mit dem Studium
angefangen und mich ein wenig orientiert hatte. Und ich war da auch schon etwas
älter, Mitte zwanzig. Ich denke nicht, dass ich zwangsläufig beim Bilderbuch und der
Buchillustration gelandet bin. So eine Entwicklung ist ja meistens nur zum Teil freie
Entscheidung und zum anderen Teil sind es Zufälle und Umstände. Ich fühle mich
beim Bilderbuch allerdings sehr wohl und wahrscheinlich hat das sogar etwas mit
dem Bart zu tun. Jedes Medium lebt schließlich durch die Beschränktheit seiner
Möglichkeiten. In einem Bilderbuch stehen in der Regel nur zwölf Doppelseiten für
das Erzählen einer Geschichte zur Verfügung. Dadurch werden die einzelnen Seiten
oder die Kombinationen aus Text und Bild sehr eindringlich. Wie ein Konzentrat. Das
gefällt mir. Und mir gefallen auch klassische Arbeitstechniken, wie Malerei oder
Tuschfeder, die haben ebenfalls einen ziemlichen Bart.
Warum soll ein junger Mensch „Der Großvater im rostroten Ohrensessel“ lesen und
anschauen, anstatt den Kinderkanal einzuschalten?
Rassmus: „Der Großvater im rostroten Ohrensessel“ ist ja so eine Art Plädoyer für
das Bilderbuch. Bilderbücher werden in der Regel vorgelesen. Das Kind braucht
dazu also einen Erwachsenen (oder umgekehrt). Und Bilderbücher werden
zusammen angeschaut, das heißt Kind und Erwachsener sitzen dicht beieinander.
Das Buch schafft also schon allein durch seine Handhabung Nähe und eine
Verbindung. Dazu kommt das Reden über die Geschichte – gerade bei einem Buch
wie dem „Großvater“, das ein Gespräch quasi einfordert. Ein anderer Unterschied
zum Kinderkanal ist der Faktor Zeit. Anders als beim Film lässt sich das
Rezeptionstempo beim Buch selbst regulieren. Man kann auch zurückblättern oder
gleich noch mal von vorne beginnen. Was Bilderbücher gut können, ist langsam sein.
Die Bilder werden länger und intensiver betrachtet und können deswegen sehr viel
komplexer sein als Bilder in anderen Medien. Vielleicht könnte man sagen: mehr
Tiefe als Breite – gut zum Eintauchen.
Krankheit und Tod des Großvaters sind kein leichtes Thema für ein Bilderbuch. Was
kann die Illustration bei einem solchen Text leisten?
Rassmus: Ich denke, das Verhältnis von Text und Illustration beim Bilderbuch ähnelt
dem von Drehbuch und Regiearbeit beim Film. Der Text enthält oft nur sehr wenige,
manchmal auch gar keine Vorgaben bezüglich der Figuren, des Raums oder der
sonstigen Bildelemente. Die Illustrationen inszenieren die textliche Vorgabe. Gerade
bei sehr offenen Texten wie dem „Großvater im rostroten Ohrensessel“ gibt es für
mich als Illustrator viele Möglichkeiten und Richtungen, in die ich gehen kann. Und
ich treffe viele Entscheidungen, die die Geschichte inhaltlich steuern. Dass der
„Großvater“
eine
Trostgeschichte
über
Krankheit
und
Tod
sei,
behauptet
hauptsächlich der Umschlagtext des Verlags. Das ist mir viel zu eng. Es geht in der
Geschichte ja auch um die Einsamkeit des Kindes, sein Verhältnis zu den Eltern, das
Verschwinden von Grenzen zwischen Phantasie und Wirklichkeit, Geborgenheit. Ich
habe mich bemüht, diese Offenheit und Mehrschichtigkeit der Geschichte zu erhalten
und etwas auszubauen. Es sollte auch offen bleiben, ob der Großvater ein frei
erfundener oder einer der beiden Opas ist, an den sich das Mädchen erinnert. Das
war mir sehr wichtig. Ich denke, durch dieses Angebot von Sichtweisen innerhalb der
Bilder können Kinder ihren eigenen Blick auf die Geschichte finden. Für einige Kinder
ist es dann eine Geschichte über Krankheit und Tod, für andere Kinder aber vielleicht
auch eine ganz andere Geschichte.
Hat Ihnen Ihr Großvater auch vorgelesen?
Rassmus: Nein. Fürs Vorlesen war meine Mutter zuständig. Einer meiner beiden
Großväter hat mir aber Bilder gezeichnet und mit der Post zugeschickt.
Gab es Bücher und Leseerlebnisse in Ihrer Kindheit und Jugend, die für Sie
besonders wichtig waren?
Rassmus: Nein, ich wüsste kein Buch, das ich da besonders herausstellen könnte.
Ein Großteil meiner Lesesozialisation bestand aus Comics: Petzi-Hefte, Asterix, Tim
und Struppi. Wahrscheinlich wurde ich durch sie am meisten geprägt.
Zum Schluss kurz zurück zum Comic-Zeichner Jean Giraud alias Moebius: Die Serie
„John Difool“ oder doch eher „Leutnant Blueberry“?
Rassmus: „Die hermetische Garage des Jerry Cornelius“ und „John Difool“.
Das sehe ich ganz genauso. Herzlichen Dank für unser Gespräch.
Jutta Treiber / Jens Rassmus: „Der Großvater im rostroten Ohrensessel“. Wien,
Düsseldorf: Dachs-Patmos 2006, 32 S.
Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2007, Bilderbuch
MICHAEL STAVARIČ
Michael Stavarič wurde 1972 in Brno (Mähren) geboren. Er
ist Autor, Übersetzer und Herausgeber. Seit 1998 arbeitet
Stavarič als Sekretär und Kulturbeauftragter des
Botschafters der Tschechischen Republik in Österreich.
Seit 2004 ist er Executive Coordinator des Präsidenten
des Internationalen P.E.N.-Clubs. Michael Stavarič lebt in
Wien.
Werke (Auswahl)
„Flügellos“. Klosterneuburg: Edition va Bene 2000.
„Europa – Eine Litanei“. Berlin: kookbooks 2005.
„stillborn“. St. Pölten: Residenz 2006.
„Terminifera“. St. Pölten: Residenz 2007.
„Gaggalagu“. Illustriert von Renate Habinger. Idstein: kookbooks 2006.
© kookbooks
„Ich finde es überaus reizvoll, Kinder und Jugendliche spielerisch an
schwierige Themen heranzuführen.“ Michael Stavarič im Gespräch
Sie haben zwei erfolgreiche Romane im Residenz Verlag vorgelegt und werden von
der Kritik gerne als Shooting Star der österreichischen Gegenwartsliteratur
bezeichnet.
Klaus
Nüchtern
hat
Sie
sogar
zum
„Glamrocker
unter
den
österreichischen Jungliteraten“ gemacht: „schnell, originell und modebewusst“. Sind
Sie das?
Stavarič: Ich glaube der Terminus „Glamrocker“ ist ursprünglich auf Gary Glitter
zurückzuführen. Mich als Literaten damit zu belegen, ist im positiven Sinne amüsant.
Es hat wohl nichts mit meiner Literatur zu tun, die von einer intensiven, formalen
Auseinandersetzung zeugt; von poetischen Prinzipien und einem mir eigenen
Narrativ (der von Projekt zu Projekt changiert). Ich glaube für „Glamrock“ bin ich als
Literat viel zu ernst, wenn auch, zugegeben, die Ironie bei mir eine tragende Rolle
spielt. Für Mode habe ich zweifellos eine Schwäche, wobei sich hier auch nichts
anderes als eine Sensibilisierung für formale Umsetzung widerspiegelt. Wie auch die
Sprache ist die Kleidung ein elementarer Bestandteil unserer Identität, die wir ständig
am Körper tragen. Mich reizt das seit jeher, weil es intensiv ist. Schnell war ich
allerdings bestenfalls im Tennis (früher). Und originell zweifellos nie.
Mit „Gaggalagu“ haben Sie das Genre gewechselt. Worin liegt für Sie der Reiz,
Literatur für junge Leser zu schreiben?
Stavarič: In der Tat habe ich mit „Gaggalagu“ etwas Neues versucht, Literarisches für
Kinder gewissermaßen. Es war dies nicht nur eine große Herausforderung, es hat
auch viel Spaß gemacht. Grundsätzlich interessieren mich die unterschiedlichsten
Buchideen – nicht nur die klassische Belletristik. Es geht bei mir auch um Sachbuch,
Dramaturgie, Lyrik, Übersetzungen und Kinderliteratur. Und es wird, das kann ich
jetzt schon sagen, gewiss eine Fortsetzung im Bereich „Kinderbuch“ geben. Ich finde
es überaus reizvoll, Kinder und Jugendliche spielerisch an schwierige Themen
heranzuführen. Bei „Gaggalagu“ sind dies etwa „Identität“ und „Integration“.
In „Gaggalagu“ zeigen Sie anhand kleiner Geschichten mit verschiedenen Tieren,
wie vielsprachig die Welt ist. Was verbinden Sie mit dem Thema „Multikulturelle
Gesellschaft“?
Stavarič: Wenn man so will, verdeutliche ich in „Gaggalagu“ zunächst nur, dass der
Mensch überall auf der Welt anders ist. Denn: Ein Frosch in Asien klingt gewiss nicht
viel anders als einer in Afrika oder Europa; der Faktor „Mensch“ macht den
Unterschied (durch seine Wahrnehmung, Sprache und Identität). Es sind also
weniger die Sprachen der Tiere, vielmehr aber jene der Menschen, die hier im
Vordergrund stehen. Ich glaube, für Kinder ist über diesen „Umweg Tier“ leichter
nachvollziehbar, was Differenz bedeutet. Und dass Differenzen überbrückt werden
können. Das ist gleichsam die Grundbedingung einer multikulturellen Gesellschaft.
Woher wissen Sie eigentlich, wie ein Frosch in Estland quakt? Feldforschung?
Kennen Sie dort einen Zoologen? Haben Sie dafür Wörterbücher verwendet? Oder
einfach „gegaggalagoogelt“?
Stavarič: Das war in der Tat kein Leichtes. Durch meine Kenntnisse der slawischen
Sprachen hatte ich zwar einen kleinen Startvorteil, doch kam ich sehr schnell an
meine Grenzen. Und auch mein Freundes- und Bekanntenkreis konnte mir bald
keine Auskünfte mehr geben. So habe ich einiges bei Botschaften angefragt, in
diversen Newsgroups, natürlich auch gegoogelt (was aber bei Tierlauten nur wenige
Ergebnisse bringt). Es war insgesamt ein durchaus schwieriger Rechercheprozess.
Letztendlich habe ich aber weitaus mehr zusammengetragen, als ich im Buch
verwenden konnte – und es gäbe noch weitaus mehr zu entdecken.
„Gaggalagu“ scheint ja bis ins kleinste Detail durchgeplant zu sein. Wie war denn die
Zusammenarbeit mit kookbooks und mit der Illustratorin, mit Renate Habinger?
Stavarič: Ich habe zuvor lange überlegt, mit welchem Illustrator ich dieses Projekt
angehen möchte – wo ich doch lange Zeit niemanden aus dieser Branche persönlich
kannte. Nachdem man mir Renate Habinger vorstellte, war für mich sehr bald klar:
sie oder keine. Nicht zuletzt ist mir bei Buchprojekten an einem gelegen: ich will
diese mit Menschen umsetzen, die mich restlos überzeugen. Gleiches gilt für meine
Verlegerin Daniela Seel, die uns bei diesem Projekt alle Möglichkeiten offen ließ. Sie
kannte klarerweise die Texte, als sie sich für das Buch entschied, aber alles andere
war für sie eine große Überraschung. Nicht zuletzt bringt „Gaggalagu“ für kookbooks
auch eine gewisse Nachhaltigkeit. Daniela Seel hat es dazu genutzt, eine
Kinderbuchreihe zu begründen. Vor wenigen Tagen ist auf der Leipziger Buchmesse
ein weiteres (spezielles) Kinderbuch präsentiert worden und ich hoffe, dass noch
viele weitere folgen mögen.
Schriftsteller sind ja in der Regel eifrige Leser. Gab es Bücher und Leseerlebnisse in
Ihrer Kindheit und Jugend, die für Sie besonders wichtig waren?
Stavarič: Ich habe sehr lange sowohl tschechische Bücher als auch österreichische
gelesen. Diese bilinguale Auseinandersetzung war sehr wichtig für mich, denn
dadurch konnte ich mich im österreichischen Kontext zurecht finden, ohne aber
meine Wurzeln zu verlieren. Das Lesen war für mich also nicht einfach nur
Unterhaltung – es war eine Begegnung von zwei Welten und Sprachen, eine
identitätsstiftende Maßnahme. Klassische Kinderbücher sind bei mir vor allem
tschechische Märchen, wie etwa jene von Karel Jaromir Erben. Gemocht habe ich
zudem Ferda Mravenec: eine fleißige Ameise, mit rotem Halstuch, die jedes
tschechische Kind kennt. In Österreich sind die Abenteuer des tschechischen
Maulwurfs wohlbekannt, der als Trickfilm mein abendliches Betthupferl bildete.
Ansonsten – und auf Deutsch – habe ich schon sehr früh allerlei gelesen: deutsche
Sagen und Märchen, Karl May, gut und gern auch Comics oder Geschichten von
Jack London.
Herzlichen Dank für unser Gespräch.
Michael Stavarič / Renate Habinger: „Gaggalagu“. Idstein: kookbooks 2006, 48 S.
Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2007, Kinderbuch
RENATE HABINGER
Renate Habinger studierte Grafik-Design an der Höheren
Grafischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt in Wien. Seit
1975 ist sie als freischaffende Künstlerin tätig. 1982
besuchte sie einen Webkurs in der Heimatwerkschule in
Mülene in der Schweiz und lernte Papierschöpfen bei C.
und F. Huinzinger in Frankreich und bei R. A. Silverberg in
New York. 1997 richtete sie die „Papierwerkstatt
© kookbooks
Schneiderhäusl“ ein. Renate Habinger lebt und arbeitet in
Oberndorf/Niederösterreich.
www.habinger.at
Werke (Auswahl)
„Alter John“. Text von Peter Härtling. Weinheim: Beltz & Gelberg 1981.
„Das ungeheuerliche Geheuer“. Text von Edith Schreiber-Wicke. Wien: Jungbrunnen 1985.
„Heile, heile wundes Knie“. Text von Gerda Anger-Schmidt. Mödling: St. Gabriel 1988.
„Wer kommt mit auf den Federnball?“. Text von Gerda Anger-Schmidt. Mödling: St. Gabriel
1992.
„Weite Welt“. Text von Gerda Anger-Schmidt. Mödling: St. Gabriel 1992.
„Glück gehabt, denkt das Hängebauchschwein“. Text von Gerda Anger-Schmidt. Wien:
Herder 1993.
„es war einmal von A bis Zett“. Illustration und Text gemeinsam mit Linda Wolfsgruber.
Weitra: Bibliothek der Provinz 1999.
„Sauberzahntiger“. Text von Edith Schreiber-Wicke. St. Pölten: NP Buchverlag 2002.
„Neun nackte Nilpferddamen“. Text von Gerda Anger-Schmidt. St. Pölten: NP Buchverlag
2003.
„Unser König trug nie eine Krone“. Text von Gerda Anger-Schmidt. St. Pölten: NP
Buchverlag 2005.
„Keiner ist wie Malamu“. Text von Fridolin Reinagl. St. Pölten: NP Buchverlag 2006.
„Gaggalagu“. Text von Michael Stavarič. Idstein: kookbooks
2006.
„Es ist eine große Lust für mich, jedem Buch eine Form und einen visuellen
Ausdruck zu geben…“ Renate Habinger im Gespräch
Sie sind in St. Pölten geboren und leben in Oberndorf/Niederösterreich. In den
Collagen Ihres Buches „Gaggalagu“ verwenden Sie Karten eines gewissen Dr. h.c.
Eduard Imhof aus dem Schweizerischen Mittelschulatlas 1962. Wie kommt das?
Habinger: Meine Verbindungen zur Schweiz sind privater Natur, und irgendwie habe
ich so einen Mittelschulatlas von 1962 „geerbt“. Ich habe ihn bei jedem Umzug
mitgeschleppt und bin jetzt draufgekommen, dass er die Karten enthält, die ich am
allerschönsten
finde
zurzeit:
Schweizer
Gletscher,
mitteleuropäische
Flussmündungen, asiatische Volksdichte-Karten. Im Golf von Mexiko schwimmen
übrigens eigenartige Meereskreaturen herum, Zeugen gewisser Unterrichtsstunden...
Und die Karten, nicht die Zeichnungen, sind eben vom Herrn Imhof, der leider schon
verstorben ist.
Das Seitenlayout, die Typografie und die gesamte Buchgestaltung von „Gaggalagu“
sind selbst für das innovative Bilderbuch ungewöhnlich. Wie war die Arbeit mit dem
Autor Michael Stavarič und mit kookbooks?
Habinger: Von kookbooks her – in der Person von Daniela Seel – war große
Offenheit und Neugier auf Ungewöhnliches vorhanden. Der Grafiker des Verlags,
Andreas Töpfer, hat diese Tendenz unterstützt und auch für das Buch eine
Schrifttype entwickelt sowie den Erstentwurf für die typografische Gestaltung.
Insgesamt war die Zusammenarbeit sehr konstruktiv. Mit Michael Stavarič war es
auch so, dass er für alles Außergewöhnliche und abstrus Witzige zu haben war.
Andererseits hatte ich alle Freiheiten, die ich mir nehmen wollte. Wir waren uns auch
einig, das Buch in die Gesamtgestaltung des Verlags einzubinden, indem wir die
beiden Transparentpapierseiten auch im Kinderbuch einfügten, die ja in allen
Publikationen des Verlags dabei sind.
Wie geht man als Illustrator einen Text wie den von Michael Stavarič an?
Habinger: Mir hat einerseits die Vielsprachigkeit der Tiere im Text von Michael
Stavarič gefallen, weil ich mit meinen Freunden aus allen Teilen der Welt schon viel
Spaß mit diesem Thema gehabt habe. Andererseits war ich fasziniert, wie
durchkomponiert der Text ist. Wir haben ihn einander vorgelesen, Michael Stavarič
und ich. Das war hochinteressant für mich. Ich mag prinzipiell Texte, bei denen die
Sprache so wichtig ist. Normalerweise mache ich mir nach dem Lesen des Textes
ein visuelles Konzept, also eine – auch technische – Vorstellung davon, was für
einen Charakter die Bilder zu genau diesem Text haben sollen. Im Fall von
„Gaggalagu“ habe ich das nicht gemacht, sondern einfach herumprobiert. Diese
Proben habe ich dann dem Autor und dem Verlag gezeigt und die Richtung
ausgewählt, die allen gut gefallen hat. In „Gaggalagu“ gibt es zwar keine
durchgehende Geschichte, aber ein durchgehendes Thema mit seinem Ausdruck in
verschiedenen Situationen. Also kann man formal auch beständig bleiben. Und
formal bin ich bei den Kritzelzeichnungen geblieben, die allen Beteiligten am besten
gefallen haben. Die habe ich dann im Computer noch weiterbearbeitet, damit ich was
Neues lern’.
Warum soll ein junger Mensch „Gaggalagu“ lesen und anschauen, anstatt den
Kinderkanal einzuschalten?
Habinger: Na ja, ich plädiere für „Sowohl – Als auch“: also Kinderkanal und lesen, je
nach Tageszeit und Lust.
Was können denn Bilderbücher besser als andere Bildmedien? Medientechnisch
gesehen, hat die Buchillustration ja einen ziemlichen Bart. Was macht Ihnen denn
Spaß am Bücher-Illustrieren?
Habinger: Mag sein, dass manche Illustrationen einen Bart haben, medientechnisch
sehe ich aber keinen. Ich bin halt altmodisch. Bilderbücher fügen sich einerseits dem
Rhythmus der Betrachter, ihrem Zeitbedarf. Das ist für mich sehr wichtig, denn damit
ermöglichen sie das Abschweifen und die Verbindung des Buches und des Inhalts
mit dem eigenen Leben. Das muss man beim Film eher hinterher machen. Und es
scheint mir auch so, dass Illustration zurzeit wieder ganz gut dasteht, wenn man z.B.
den Zeitschriftenmarkt anschaut. So, und zum angesprochenen Spaß: Den ihren
müssen Ihnen die anderen Betrachter schon selbst erzählen. Zu meinem beim
Arbeiten: Es stimmt, es ist eine große Lust für mich, jedem Buch eine Form und
einen visuellen Ausdruck zu geben, der ihm – meiner subjektiven Meinung nach –
entspricht. Da gehört die Buchgestaltung genauso wie die Illustration dazu. Dass
Bilder im Kopf entstehen, ist für mich ganz normal, und die Stimmungen, die sie
ausdrücken, zeigen eine andere Seite des Inhalts.
Herzlichen Dank für unser Gespräch.
Michael Stavarič / Renate Habinger: „Gaggalagu“. Idstein: kookbooks 2006, 48 S.
Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2007, Kinderbuch
ROBERT KLEMENT
Robert Klement wurde 1949 in St. Pölten geboren. Nach
der Matura besuchte er die Pädagogische Akademie in
Krems und absolvierte dort die Ausbildung zum
Hauptschullehrer. Seither unterrichtet er Deutsch und
Geschichte und ist Referent am Pädagogischen Institut
Niederösterreich. Neben seiner beruflichen Tätigkeit begann
er Reportagen für Zeitungen zu schreiben. Seit 1986
veröffentlichte er zwölf Jugendbücher.
Werke (Auswahl)
„Die Kinder von Leninakan“. Esslingen: Esslinger 1991.
„Die Panther von Rio“. Esslingen: Esslinger 1994.
„Durch den Fluß“. Wien: Jungbrunnen 1997.
„7 Tage im Februar“. Wien: Jungbrunnen 1998.
„Rette die TITANIC“. St. Pölten: Residenz 1998.
„Ein Schloss in Schottland“. St. Pölten: Residenz 2001.
„Die Spur des Schneeleoparden“. Düsseldorf: Sauerländer 2003.
„70 Meilen zum Paradies“. Wien: Jungbrunnen 2006.
© Verlag Jungbrunnen
„Der Leser spürt, ob etwas bloß erfunden oder wahr ist.“ Robert Klement im
Gespräch
Sie schreiben sozialkritische Bücher für junge Leser und sind dafür bekannt, aktuelle
und brisante politische und gesellschaftliche Themen aufzugreifen. Schaut man nicht
besser die Abendnachrichten, wenn man wissen will, was in der Welt passiert?
Klement: Etwa 8.000 Bootsflüchtlinge sind ertrunken. Dokumentationen und
Statistiken können die abgestumpften Menschen in Europa nicht mehr erreichen. In
meiner Geschichte „70 Meilen zum Paradies“ hat das Elend Afrikas Namen und
Gesichter. Aufrütteln und Betroffenheit erzeugen kann man nur mit konkreten
Schicksalen.
Aber über konkrete Menschen und konkrete Schicksale kann ich auch in einer gut
geschriebenen Reportage viel erfahren.
Klement: Gut geschriebene Reportagen über den Irak-Krieg findet man nach
wenigen Tagen im Papier-Container, während es Remarques „Im Westen nichts
Neues“ seit fast 100 Jahren gibt. Wir kennen hervorragende Anti-Kriegsromane und
immer neue Holocaust-Erzählungen, obwohl Zeitgeschichte in Bild und Ton
hinreichend dokumentiert ist und unzählige Sachbücher aufliegen. Es besteht also
Nachfrage. Ich kann nur ersuchen, „70 Meilen zum Paradies“ zu lesen und sich dann
ein Urteil zu bilden, was dieses Buch im Vergleich zu Journalismus und TVReportagen kann, besser kann oder vielleicht nicht kann.
Gibt es literarische Vorbilder für Sie? Autoren, die Sie durch ihre Haltung und ihre Art
zu schreiben, beeinflusst haben?
Klement: Ich habe Egon Erwin Kischs Credo übernommen: „Nichts ist erregender als
die Wahrheit!“ Das Leben schreibt tatsächlich die packendsten Geschichten. Man
muss bloß neugierig bleiben und sich diesen Blick auf die Welt bewahren. Ion
Krakauer greift ebenfalls reale Geschehnisse auf, recherchiert viel. „In eisige Höhen“
ist toll, „In die Wildnis“ noch viel besser. Gabriel García Márquez schätze ich wegen
seines
reportagehaften
Literaturstils
und
seiner
klaren,
unprätentiösen
Mitteilungsprosa. Dass der Deutsche Service für Bibliotheken mich jüngst mit Gary
Paulson verglichen hat, ist das größtmögliche Kompliment.
In den 60er und 70er Jahren war die Literatur sehr stark politisch ausgerichtet.
„Engagement“ lautete damals das Stichwort. Ist das heutzutage passé?
Klement: Die Verlage setzen auf Fantasy, unsere Welt wird weitgehend
ausgeblendet. Sozialkritische Themen sind kaum mehr gefragt. Das war früher
anders. Besonders in den 70er Jahren lag der Pulverdampf von 1968 noch stark in
der Luft. Wenn Sie heute in eine Buchhandlung gehen, werden Sie kaum ein DritteWelt-Jugendbuch finden. Das hat mit der Entsolidarisierung unserer Gesellschaft zu
tun. Ein Autor wie Günter Wallraff wäre heute nicht mehr möglich. Trotzdem horchen
die Schüler gespannt zu, wenn sie bei meinen Lesungen von brasilianischen
Straßenkindern oder Bootsflüchtlingen erfahren. Es ist für einige die totale Gegenwelt
zu ihren Video Games, zu Tokio Hotel und zu Starmania.
Wie vermeidet man den pädagogischen Zeigefinger, wenn man sozialkritische
Themen literarisch aufgreift? Also das „Man merkt die Absicht und ist verstimmt“.
Klement: Wenn es um die Schwachen, Unterdrückten und Entrechteten dieser Erde
geht, dann spricht der Autor für die, die nicht für sich selber sprechen können. Kritik
von wegen „pädagogischer Zeigefinger“ habe ich noch nie gehört. Ich mag eben
keine Bücher, in denen das leidende Selbst in den Mittelpunkt rückt und literarische
Nabelschau betrieben wird.
Wie kommen Sie auf Ihre Themen? Und was ist Fakt, was Fiktion in „70 Meilen zum
Paradies“?
Klement: Triebfeder ist die Neugierde. Die beiden Hauptpersonen Siad und Shara
gibt es wirklich. Ich habe mit zahlreichen afrikanischen Bootsflüchtlingen gesprochen
und an den Schauplätzen des Romans (Tunesien, Lampedusa, Neapel) recherchiert.
Das war mühsam und nicht ungefährlich. Aber wenn man über die Wirklichkeit
berichtet, muss man sich der Wirklichkeit aussetzen. Der Leser spürt, ob etwas bloß
erfunden oder wahr ist.
Schreibt man für junge Leser anders als für erwachsene?
Klement: Leo Tolstoi meinte: „Für Kinder muss man schreiben wie für Erwachsene –
nur besser!“ Meine authentische Geschichte des Attentats von Oberwart („7 Tage im
Februar“) wurde aufgrund von Presse- und Medienberichten von mehr Erwachsenen
als Jugendlichen gelesen. Die Schubladisierung von Kinder- und Jugendliteratur
halte ich ohnehin für problematisch.
Tolstoi ist natürlich ein schöner Schluss für unsere kleine E-Mail-Korrespondenz.
Trotzdem noch eine letzte Frage: Was lesen Sie denn zurzeit?
Klement: Hans Weigel meinte, man sollte alle wichtigen Bücher alle 20 Jahre wieder
lesen. Daher habe ich mir wieder einmal Truman Capotes „Kaltblütig“ vorgenommen
und ich muss sagen: Alles, was heute als trendige Krimi-Literatur inflationär die
Regale der Buchhändler und die Bestsellerlisten füllt, kann man getrost vergessen.
Kein anderer Roman bietet einen tieferen Einblick in die Psychologie des
Verbrechens. Seit 30 Jahren ist auch Martin Walsers Novelle „Ein fliehendes Pferd“
mein absolutes Lieblingsbuch. Bei den Jugendbüchern zähle ich Uwe Timm zu den
Genies in der Szene, weil er mit Humor zu erzählen versteht wie kein anderer.
Herzlichen Dank für unser Gespräch.
Robert Klement: „70 Meilen zum Paradies“. Wien: Jungbrunnen 2006, 144 S.
Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2007, Jugendbuch
SIGRID LAUBE
Sigrid Laube wurde 1953 in Wien geboren. Sie wuchs in
verschiedenen Ländern auf und entwickelte dort ihre Liebe zu
fremden Sprachen. Schon als Kind schrieb sie ihre ersten
Geschichten. Später studierte sie Jura, arbeitete an der
Universität Wien, heiratete und bekam drei Kinder. Auch seither
verbringt sie ihr Leben immer wieder in neuen Ländern. Derzeit
© Christian Strohal
wohnt sie in Wien und Warschau. Mehrere ihrer Bücher wurden
in andere Sprachen übersetzt, viele wurden mit Preisen ausgezeichnet.
Werke (Auswahl)
„Der Zoo macht Spaß“. Illustriert von Maria Blazejovsky. Wien: Jungbrunnen 2001.
„Der unterbrochene Ton“. Wien: Jungbrunnen 2001.
„Zoogeschichten“. Illustriert von Maria Blazejovsky. Wien: Jungbrunnen 2002.
„Wasser in der Hand“. Wien: Jungbrunnen 2003.
„Aufgewacht, der Frühling kommt!“. Illustriert von Silke Leffler. Wien, München:
Annette Betz 2004.
„Aber Mozart!“. Wien: Ueberreuter 2005.
„Der Blumenball“. Illustriert von Silke Leffler. Wien, München: Annette Betz 2005.
„Wolfgang Amadé Mozart. Ein ganz normales Wunderkind“. Gemeinsam mit Nadia
Budde und Barbara Mungenast. Wien: Holzhausen 2006.
„Marie mit dem Kopf voller Blumen“. Wien: Jungbrunnen 2007.
BARBARA MUNGENAST
Barbara Mungenast diplomierte an der Hochschule für
künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz. 1991 bis 1997
arbeitete sie unter dem Label „Les Deux“ (mit Anne Beck). Seit
1997 arbeitet sie zusammen mit Markus Purkhart unter dem
Label „Mungenast“ zusammen.
© Barbara Mungenast
NADIA BUDDE
Nadia Budde wurde in Berlin geboren, wo sie auch an der
Kunsthochschule in Berlin Weissensee studierte und mit
einem Diplom für Grafik-Design abschloss. Sie lebt als
freie Illustratorin in Berlin.
www.nadiabudde.de
© Nadia Budde
Werke (Auswahl)
„Eins Zwei Drei Tier“. Wuppertal: Peter Hammer 1999.
„Trauriger Tiger toastet Tomaten. Ein ABC“. Wuppertal: Peter Hammer 2002.
„Kurz nach sechs kommt die Echs“. Wuppertal: Peter Hammer 2002.
„Flosse, Fell und Federbett“. Wuppertal: Peter Hammer 2004.
„Wolfgang Amadé Mozart. Ein ganz normales Wunderkind“. Gemeinsam mit Sigrid
Laube und Barbara Mungenast. Wien: Holzhausen 2006.
„Ein gutes Sachbuch sollte neugierig machen!“ Barbara Mungenast, Nadia
Budde und Sigrid Laube im Gespräch
Mozart grinst im Kippbild als Krokodil vom Buchdeckel her den Leser an und schon
wissen wir: Dieses Buch ist ein ganz und gar anderer Beitrag zum Mozart-Jahr. Wer
aber – bitte schön – kommt auf eine solche Idee?
Mungenast: „Und da standen die Eltern plötzlich vor einem Krokodil.“ Dieser Satz
stammt von Nikolaus Harnoncourt, der damit ausdrücken wollte, wie sich die Eltern
Mozarts gefühlt haben müssen, als ihnen das Genie ihres Sohnes bewusst wurde.
Das hat mir gefallen: die Fremdheit, die Andersartigkeit, das Ungemütliche am
Genie. Der süße Dreijährige wird zum Angst einflößenden, fremden Krokodil... Das
ist für mich ein wesentlicher Aspekt beim Thema „Wunderkind“.
Ihr Mozart-Buch unterscheidet sich aber nicht nur durch das Kippbild am Buchdeckel
von den Mozart-Büchern, die anlässlich seines 250. Geburtstages erschienen sind.
Mungenast: Natürlich lag es mir am Herzen ein Kinderbuch zu entwickeln, das die
Kids von heute anspricht und anregt, aber auch für die vor- und mitlesenden Eltern
unterhaltsam ist. Ein Buch, das einfach das Spannende und aus heutiger Sicht
Skurrile aus Mozarts Zeit genauso spannend rüberbringt. Selbstverständlich war mir
ein authentisches Bild Mozarts sehr wichtig, und der Text von Sigrid Laube bürgt für
Seriosität.
Und wie entwirft und entwickelt man ein solches Buch?
Mungenast: Ich konzipierte mit Herbert Lachmayer, dem Vorstand des Da Ponte
Instituts, und Elisabeth Menasse, der Direktorin des Zoom Kindermuseums, die
Mozartausstellung im Zoom und war für den Themenbereich „Spiele aus Mozarts
Zeit“ verantwortlich. Die Mitarbeit im Ausstellungsteam wurde mir dann zeitlich zu
aufwändig und ich zog mich zurück auf die Kataloggestaltung. Während ich auf zu
verarbeitendes Material wartete, reifte in meinem Kopf die Vorstellung, dass ein
klassischer Ausstellungskatalog kaum für Kids brauchbar ist. Also schlug ich vor, ein
richtiges Kinderbuch zu gestalten. Ich tauchte in das Leben Mozarts ein und stieß auf
die
damaligen
Lebensumstände
und
die
damalige
Kultur,
auf
Bräuche,
Erziehungsmethoden – einfach auf den ganzen Alltag zu dieser Zeit. Und der ist aus
heutiger Sicht ziemlich schräg: Man hatte Angst vor Wasser, puderte sein Haar mit
Mehl und liebte Geheimsprachen… Der Alltag wird übrigens unheimlich plakativ und
reich an Details in den Bildern und Gemälden des Barock dargestellt, die wir dann
auch im Buch verwendet haben.
Wie kamen Sie auf Nadia Budde als Illustratorin?
Mungenast: Was dieses Buch optisch, historisch und interaktiv zu können hat, war
von Anfang an in meinem Kopf. Mir fehlte nur noch die passende Übersetzung der
Barockbilder ins Heute. Ich kramte in den Büchern meiner Kids und stieß auf die
witzige und comichaft klare Sprache von Nadia Budde. Und Nadia war auch gleich
mit im Boot. Auch Sigrid Laube, die über Mozart bereits ein Buch herausgebracht
hatte und mein inhaltliches Grundgerüst bravourös befüllte, hatte Riesenspaß im
Dreierteam.
Was genau macht Ihrer Meinung nach Mozart für die Kinder von Heute interessant?
Mungenast: Gemeinsam mit Herbert Lachmayer entdeckten wir Mozarts Fähigkeit, in
verschiedenen Welten daheim zu sein: bei Hof, vor gelangweilten fetten Damen in
Versailles,
im
bürgerlichen
Salzburg,
in
harten
Kutschen,
in
schlimmen
Verhältnissen. Mozart konnte also genauso rasch „switchen“ wie heute die Kids
zwischen Alltag, Schule und virtuellem Raum wechseln. Auch seine Genialität wollten
wir nicht auf ein unerreichbares Podest stellen, wogegen sich jedes Kind als
Dummchen fühlt, sondern vermitteln: In jedem steckt etwas Geniales, das es zu
fördern gilt.
Frau Budde, Sie haben dieses Mozart-Buch illustriert. Wie gestaltete sich die
Zusammenarbeit mit Barbara Mungenast und mit der Autorin Sigrid Laube?
Budde: Wir haben uns anfangs getroffen, um das Konzept durchzusprechen und um
uns kennen zu lernen. Danach haben wir im Prinzip immer parallel gearbeitet. Sobald
Sigrid Laube ein Kapitel fertig geschrieben oder ich ein Kapitel bebildert hatte, haben
wir das Material ausgetauscht. Wir mussten jedoch nicht aufeinander warten, da das
Konzept von Barbara Mungenast thematisch schon so gut wie fertig war.
Für das Buch waren Illustrationen zu einer historischen Epoche gefragt. Haben Sie
sich in Ihrer Arbeit an Vorlagen orientiert oder einfach drauf los gezeichnet?
Budde: Ich habe zuallererst alle historischen Mozartporträts gesammelt – Google war
perfekt dafür. Da Mozart aber auf jedem Porträt anders aussieht, habe ich dann alles
beiseite gelegt und einen eigenen Mozart gezeichnet. Für Kleidung, Schminke,
Perücken, Kutschen, Uniformen, Landkarten, auch für das Aussehen von Kopfläusen
und Blutegeln musste ich natürlich viel recherchieren. Von Barbara Mungenast habe
ich ebenfalls viel Bildmaterial bekommen. Und die passende Musik war beim
Arbeiten natürlich immer dabei.
Hat sich ihr Mozart-Bild durch die Arbeit an diesem Buch und die damit
zusammenhängende
intensive
Auseinandersetzung
mit
dieser
Persönlichkeit
verändert?
Budde: Mozart ist in der Tat ein Stück näher gerückt. Ich habe ihn mir allerdings
auch als einen Charakter vorgestellt, der bei vielen anderen Menschen ziemlich
schnell genau das gleiche spontane Gefühl von Nähe erzeugt. Ich habe sehr viel
Musik von ihm. Während des Arbeitens habe ich oft auch dieselben Stücke gehört.
Es hat mich nie gelangweilt und ich habe mehr als sonst sehr viele lustige und
schalkhafte Elemente in seiner Musik gefunden. Das Buch hat es geschafft, genau
die Seite an Mozart zu betonen, die ihn für so viele Menschen so anziehend macht.
Ich glaube, es ist unter anderem das Kindliche, Verspielte, Unbekümmerte und
gleichzeitig Vollkommene an seiner Musik. Mit einer ähnlichen Sehnsucht nach
diesen Eigenschaften sehnen sich viele Erwachsene in die Kindheit zurück. Natürlich
gibt es in Mozarts Musik nicht nur Glück, aber egal wie melancholisch oder
konfliktreich es in seiner Musik zugeht, es gibt immer etwas Heilendes.
Was macht Ihrer Meinung nach Mozart für die Kinder von Heute interessant?
Budde: Mozart als das Kind zu zeigen, das er einmal war, in seiner Zeit, rückt ihn
noch näher an uns heran. Als Kind ist die Welt anderer Kinder sowieso immer
spannender als die der Erwachsenen. Deshalb war es wichtig, ein Buch für Kinder zu
machen, in dem Mozart einfach noch Kind ist. Dass er außerdem in einer sehr
aufregenden, für Kinder zum Teil auch sehr komisch anmutenden Zeit gelebt hat,
macht den Inhalt des Buches sehr interessant. Im Buch finden Kinder jedoch auch
Parallelen zu ihrem heutigen Leben. Mozart wird sogar zum Menschen, den man
gern kennen gelernt hätte. Viele Kinder, die ich kenne, hatten irgendwann einmal
eine „Mozartphase“. Seine Musik spricht Kinder sehr stark an. Dass er auch ein
Mensch war mit Ecken und Kanten, Gefühlen und Sehnsüchten, darüber ist zum
Glück viel überliefert. Dieses Wissen über seine Persönlichkeit in seiner Zeit ist ein
Schatz, den jedes Kind mit auf den Weg bekommen sollte.
Frau Laube, Ihr Mozart-Buch ist ein sehr ungewöhnlicher Beitrag zum vergangenen
Jubiläumsjahr. Aber nichtsdestotrotz ist es ein Sachbuch, das den jungen Lesern
Wissenswertes und Interessantes aus einer bestimmten Epoche nahe bringen will.
Worauf muss man beim Schreiben achten, damit Kinder nicht nach ein paar Seiten
die Lust am Lesen verlieren?
Laube: Ich schreibe grundsätzlich nur über Themen, die mich selbst sehr
interessieren, also begeistern. Vielleicht springt ja da der Funke über! Die
Herausforderung war, im Buch verschiedene Aspekte des 18. Jahrhunderts als
absolutes Konzentrat zu bringen. So entstand ein flotter und zügiger Stil, der keine
Langeweile erlaubt. Das 18. Jahrhundert ist in vieler Hinsicht mit dem 21.
vergleichbar. Es entstanden neue soziale Schichten, neue Denkweisen. Man findet
den Anfang moderner Technik, und ausgeflippte Typen wie Wolfgang Amadé hat es
auch schon gegeben. Das sind vielleicht Gründe, warum sich gerade Kinder und
Jugendliche in diesem Jahrhundert gut zurechtfinden. Im Übrigen habe ich mit großer
Freude feststellen können, dass dieses Buch auch bei vielen Erwachsenen auf
großes Interesse stößt.
Das kann ich bestätigen! Wie schafft man es aber, historische Daten und Fakten so
zu verpacken, dass sich junge Leser dafür interessieren? Und welche Ansprüche
stellen Sie an ein Sachbuch für Kinder?
Laube: Der Trick ist es, eine Welt zu erschaffen, in der Kinder sich zurechtfinden
können, weil es in ihr lebendig und menschlich zugeht. Die Voraussetzung dafür ist
allerdings eine profunde Kenntnis der Zeit und der Gegebenheiten. Denn nur dann,
wenn ich alles genau recherchiert habe, fühle ich mich in meinen eigenen Zeilen
wohl. So entsteht eine gewisse Unbeschwertheit im Stil, und das Buch liest sich
sozusagen von alleine. Was ich in einem Kindersachbuch antreffen möchte? Solide
Recherche, Verständlichkeit, Humor, ein gutes Niveau und nie den lehrhaften Ton
der Erwachsenen nach „unten“ zu den Kindern. Ein gutes Sachbuch sollte neugierig
machen!
Hat sich Ihr Mozart-Bild durch die Arbeit an diesem Buch verändert?
Laube: Mein Mozartbild hat sich sehr verändert. Anfänglich war er für mich ein
interessanter Komponist sehr schöner Musik. Doch nach und nach wurde er ein
Freund von mir und hat mir sein facettenreiches Jahrhundert in all seinen Details
eröffnet – sowie eine Unmenge mir noch unbekannter Musikstücke. Ich kenne ihn
nun besser und habe einen vollständigeren Zugang zu seinen Werken.
Herzlichen Dank für unser Gespräch.
Sigrid Laube / Nadia Budde / Barbara Mungenast: „Wolfgang Amadé Mozart. Ein
ganz normales Wunderkind“. Wien: Holzhausen 2006, 140 S.
Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2007, Sachbuch
FÖRDERUNGSPREIS FÜR KINDER- UND JUGENDLITERATUR 2006
Die Republik Österreich vergibt im Zwei-Jahres-Rhythmus den Förderungspreis für
Kinder- und Jugendliteratur. Diese Auszeichnung wird an einen österreichischen
Autor, Illustrator bzw. Übersetzer der jüngeren oder mittleren Generation vergeben,
der bereits wichtige Veröffentlichungen vorweisen kann. Die Dotation des
Förderungspreises beträgt € 7.300. Bisherige Preisträger waren Martin Auer, Heinz
Janisch, Linda Wolfsgruber, Adelheid Dahimène und Renate Habinger.
RACHEL VAN KOOIJ
Rachel van Kooij wurde 1968 in Wageningen in den
Niederlanden
geboren.
Im
Alter
von
zehn
Jahren
übersiedelte sie nach Österreich. Nach der Matura
studierte sie Pädagogik und Heil- und Sonderpädagogik an
der Universität Wien. Rachel van Kooij lebt in Klosterneuburg
© Verlag Jungbrunnen
und arbeitet als Behindertenbetreuerin.
Werke
„Jonas, die Gans“. Wien: Jungbrunnen 2000.
„Das Vermächtnis der Gartenhexe“. Wien: Jungbrunnen 2002.
„Kein Hundeleben für Bartolomé“. Wien: Jungbrunnen 2003.
„Der Kajütenjunge des Apothekers“. Wien: Jungbrunnen 2005.
„Nora aus dem Baumhaus“. Wien: Jungbrunnen 2007.
„Diesen Teil schreibe ich gerne der Muse zu…“ Rachel van Kooij im Gespräch
Sie haben in Ihren beiden Romanen „Der Kajütenjunge des Apothekers“ und „Kein
Hundeleben für Bartolomé“ historische Stoffe verarbeitet. Was ist zuerst da? Der
Stoff? Das Thema, das Sie interessiert? Eine Idee, von der aus Sie dann den Stoff
suchen?
van Kooij: Ich finde eine solche Frage immer etwas schwierig zu beantworten. Beim
„Kajütenjungen des Apothekers“ war der Anstoß ein paar Zeilen in einem
Australienreiseführer über die Batavia, einem Flaggschiff der Ostindischen
Kompanie, und die Geschichte dahinter. Da dachte ich mir, das klingt interessant und
habe angefangen mich einzulesen. Bei „Kein Hundeleben für Bartolomé“ war es wohl
irgendwie der Gedanke, wie es einem Kind geht, das als Spielzeug für ein anderes
herhalten muss. Von diesem Punkt aus bin ich dann auf Bartolomé und sein Leben
zur Zeit von Philipp IV gekommen. Ganz erstaunlich – auch für mich – war es dann,
dass sich Velázquez und seine Bilder so nahtlos einfügen ließen. Diesen Teil
schreibe ich gerne der Muse zu, die mir – Gott sei Dank – auf mir nicht völlig
begreifliche Art Ideen eingibt und die Abenteuer meiner Helden mitlenkt.
Worin liegt denn der Vorteil eines historischen Romans, wenn ich mir das alles auch
in einem Spielfilm anschauen kann? Kann das Hollywood nicht viel besser?
van Kooij: Ich denke mir, dass jeder, der zuerst ein Buch liest und nachher den Film
dazu sieht, merkt, dass der Film trotz aller Action immer nur eine verdünnte,
vereinfachte Form des Buches darstellen kann. Im Buch kann vieles erzählt werden,
was visuell gar nicht im selben Maß transportiert werden kann, z.B. Zweifel,
Nachdenken, Sehnen, Gewissensbisse, Schuldgefühle… Der Charakter einer Person
lässt sich mit Worten vielschichtiger gestalten als mit Bildern. Außerdem kann jeder
Leser sich selbst ein eigenes Bild schaffen, während man im Film die Bilder eines
anderen serviert bekommt.
Worum geht's denn in Ihrem neuen Buch „Nora aus dem Baumhaus“?
van Kooij: Bei „Nora“ geht es um ein Mädchen, das ihre Urgroßmutter kennen lernt.
Diese ist allerdings dement. Der erste Besuch ist eine große Enttäuschung. Dann
aber findet Nora einen originellen Weg in die Welt ihrer Uroma, und nachher auch
Zugang zu den anderen Betreuten. Nicht zur Freude einer Schwester, die das Chaos
auf der Station verhindern möchte.
Sie sind berufstätig, also keine so genannte freie Autorin. Wann schreiben Sie denn?
Braucht man da nicht sehr viel Disziplin?
van Kooij: Wann ich schreibe? Zwischendurch, wenn ich Zeit und Lust habe.
Manchmal wochenlang kaum und dann wieder jede freie Minute, die sich finden
lässt. Stoff? Ideen habe ich genug in meinem Kopf – plötzliche Gedanken, etwas,
das ich gesehen oder gehört habe... Aber nicht alles wird zu einem Buch werden.
Auf der Website des Jungbrunnen Verlags finde ich den Satz von Ihnen: „Ich
schreibe das, was ich selber gerne lese.“ Was lesen Sie denn zurzeit?
van Kooij: Ein gebrochener Arm hat mir nicht nur einen Krankenhausaufenthalt,
sondern auch eine Menge Lesezeit beschert. Gelesen habe ich ein paar Krimis. Sehr
gerne lese ich die skandinavischen. Weiters „Notes from a Small Island“ und „A Little
History
of
Nearly
Everything“,
beide
von
Bill
Bryson.
Bücher
mit
naturwissenschaftlichem und mathematischem Hintergrund wie z.B. „The Code
Book“ von Simon Singh habe ich sehr gerne, ebenso solche mit historischem
Hintergrund. Auch einen richtig packenden Thriller mag ich. Und natürlich Kinderund Jugendbücher. In der letzten Zeit habe ich so ziemlich alles von Klaus Kordon
verdrückt. Was ich nicht gerne lese, sind die Herzschmerz-Frauenromane und
Horror; ebenso wenig Bücher, die nach einem Film auf den Markt kommen, also
abgeschriebene Dialoge mit dazwischen gefüllten Szenenbeschreibungen. Und alles,
was ebenso schlecht wie diese Filmbücher geschrieben ist.
Gibt es Bücher, die Sie selber gerne geschrieben hätten?
van Kooij: Nein, im realen Sinn keine. Denn für mich fängt jedes Buch mit einer Idee
an und die kann einem nur selber kommen. Aber es gibt schon Kinder- und
Jugendbücher bzw. ihre Autoren, die ich zerlesen habe und noch immer sehr gerne
lese: Tonke Dragts „Der Brief für den König“, Jan Terlouws „Kampf um Katoren“,
Astrid Lindgrens „Die Brüder Löwenherz“, Annie M. G. Schmidts „Otje, pluk van de
petterflat“, von Thea Beckmann die Trilogie über den hundertjährigen Krieg in
Frankreich, die Bücher von Joan Aiken, und und und... Mein Maßstab bei Kinder- und
Jugendbüchern ist dabei sehr klar: Einerseits muss die Geschichte um der
Geschichte Willen erzählt werden und nicht um irgendetwas Pädagogisches zu
vermitteln, und andererseits muss die verwendete Sprache die Geschichte auf
einzigartige Weise lebendig werden lassen.
Herzlichen Dank für unser Gespräch.
Rachel van Kooij erhielt den Förderungspreis für Kinder- und Jugendliteratur 2006.