«Mein Geschmack entspricht dem der Masse»
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«Mein Geschmack entspricht dem der Masse»
21 Tages-Anzeiger – Mittwoch, 5. März 2014 Kultur & Gesellschaft Lukas Bärfuss Der neue Roman des Schweizer Autors widmet sich seinem toten Bruder – und dem Koala. 23 «Mein Geschmack entspricht dem der Masse» Vor Bliggs vier Konzerten im Zürcher Volkshaus sagt der Musiker, warum er lieber für die Schulkinder und Grossmütter des Landes singt als gegen seine Politiker. Mit kalkulierter Swissness habe er trotzdem nichts am Hut. Mit Bligg sprachen Adrian Schräder und Christoph Fellmann Sie spielen diese Woche viermal im Volkshaus, drei der Konzerte sind ausverkauft. Wo stehen Sie in Ihrer Karriere? Wo ich stehe? Puh. Ich glaube, viel weiter nach oben gehts nicht. Wir haben die grössten Tourneen gemacht, die man in diesem Land machen kann, und wir haben Rekorde gebrochen mit den CDs. «0816» steht bei 200 000 Stück. «Bart aber herzlich» ist auf dem Weg dahin. Auf Ihrem neuen Album heisst es, Sie seien «erfolgricher worde, als ich s jemals hett welle». Sie wollten diesen Erfolg gar nicht? Es war so gemeint: «. . . als ich s mir jemals hett chönne vorstelle.» Aber mit «welle» war der Reim besser. (lacht) Wir sind erleichtert, der Erfolg ist Ihnen also nicht unangenehm. Doch, das ist er manchmal. Inwiefern? Im Sinne der Zeile: «Bin wie Kurt Cobain, mich stört dä Fame.» Das heisst nicht, dass ich mir nächstens die Schrotflinte an den Kopf setze. Aber es ist nicht einfach, den Erfolg zu handlen. Sehen Sie, als wir «0816» produzierten, gab es ein Meeting bei Universal Music, an dem die Plattenfirma die Jahresziele vorstellte. Da ging es irgendwann auch um Bligg und um 15 000 Platten. Mir lief es kalt den Rücken runter, denn das schien mir unmöglich in meinem Segment. Ich dachte: Okay, mit dem neuen Management und dem neuen Vertrag ist es eventuell machbar. Ich erwartete also eine Welle. Aber es kam ein Tsunami. Aber von hinten. Ja, was das Kommerzielle betrifft. Aber man muss einen solchen Karrieresprung in den Griff bekommen, und das ist eine Riesenwelle an Arbeit, die auf dich zukommt. Das ist, wie wenn die Welle kommt und du dein Floss mit dem greifbaren Treibholz so schnell wie möglich zu einer Arche ausbauen musst. Weniger metaphorisch gesprochen heisst das . . . . . . dass du innert kürzester Zeit auf die neue, riesige Erwartungshaltung der Leute reagieren musst. Team aufbauen, laufende Tournee erweitern, Interviews organisieren, das Internet betreuen. Wenn du etwas postest, muss die Rechtschreibung stimmen, und du denkst: Shit, ich bin mein eigener Redaktor. Es ist etwas anderes, ob du 10 000 Follower hast auf Facebook oder 122 000. Das sind mehr als eine der grössten Tageszeitungen der Schweiz hat. (lacht) Sie könnten Nein sagen. Klar, ein Künstler muss gar nichts. Aber wenn du 15 Jahre gestrugglet und mehr überlebt als von der Musik gelebt hast und wenn du dann die Chance erhältst: Dann kannst du sie wahrnehmen oder nicht. Ich habe sie wahrgenommen. Wie viel Kunst steckt noch in Ihrer Musik? Ihre aktuelle Platte heisst «Service publigg»: Das ist so zu deuten, dass Sie Ihre Musik als Dienst am Kunden verstehen. Ja, wir machen öffentlichen Dienst. Aber der Hauptgrund, warum das Album so heisst, ist das Wortspiel. Sie haben gesagt, dieses Album sei sehr persönlich und ehrlich. Wie geht das, im öffentlichen Dienst? Das geht, weil mein Geschmack dem der breiten Masse entspricht. Als Konsument würden Sie «Service publigg» kaufen? Ich mache nichts, was ich selber nicht kaufen würde. Eine Gratiszeitung hat kürzlich geschrieben, dass vom Schulkind bis zum Grosi alle Ihre Musik mögen. Ein Kompliment? «Mittlerweile habe ich eine gewisse Narrenfreiheit»: Marco Bliggensdorfer alias Bligg. Foto: Dieter Seeger Bedingungslos ja. Für mich ist es auch ein Kompliment, wenn Schwule mich hübsch finden. Auf dem Album heisst es: «Wie vil Kritiker würdets liebe, mich am Bode z gseh.» Das stimmt doch gar nicht, es gibt wenig Kritik. Es gibt immer Kritiker, halt nicht immer in der Öffentlichkeit. Aber na ja, es hat sich schon etwas gelegt. Ja. Heute überwiegt der Respekt auch bei denen, die meine Musik nicht mögen. Wofür zollt man Ihnen Respekt? Für unser Standing im Musikbusiness und für die Tatsache, dass ich mich entwickle und verschiedene Dinge mache. Als ich als Rapper mit Emel den R&BSong «Alles scho mal ghört» machte, hiess es, das sei kommerziell. Dann kam mit «Okey Dokey» ein Battlerap-Mixtape, und es hiess, jetzt macht er auf Ami. Dann kamen die volkstümlichen Sachen, und es hagelte Kritik. So experimentierfreudig zu sein, braucht Eier. Aber Sie haben recht, mittlerweile habe ich eine gewisse Narrenfreiheit. Mit der Streichmusik Alder auf die Swissness aufzuspringen, klang für Bligg Viermal im Volkshaus Bligg, 1976 geboren als Marco Bliggensdorfer in Zürich-Schwamendingen, ist einer der erfolgreichsten Popmusiker der Schweiz. 1995 war er auf der EP «Zürislang Freistiil» erstmals zu hören. Es folgten Rap-Platten mit Bligg ’n’ Lexx und als Solokünstler. Den kommerziellen Durchbruch schaffte er 2007 mit einer neuen Version von «Volksmusigg», die er für das Schweizer Fernsehen gemeinsam mit der Streichmusik Alder einspielte. Die folgenden Alben «0816» und «Bart aber herzlich» standen 100 bzw. 86 Wochen in der Hitparade. Im letzten Oktober erschien mit «Service publigg» das neue Album. Die Tournee führt Bligg ab heute viermal ins Zürcher Volkshaus. Nur fürs erste Konzert von heute Abend gibt es noch Tickets. (TA) viele nicht nach Narrenfreiheit, sondern nach Kalkül. Ich kann nur wiederholen: Das stimmt nicht. Es ist halt schwierig für gewisse Journalisten oder Haters, mich zu schubladisieren. Schon auf den frühen Sachen mit Bligg ’n’ Lexx gab es poppige Synthesizersounds, obwohl damals alle fanden, mit dem SP-1200 zu samplen wie DJ Premier sei cooler. Ich bin mit Blues, Soul und Rock aufgewachsen. Also, es war bei «Volksmusigg» nicht so, dass wir am Reissbrett sassen und sagten: Swissness, das wäre jetzt noch gut. Hatten Sie denn damals einen Bezug zur Volksmusik? Null. Als das Fernsehen vorschlug, den Song mit einer traditionellen Crew neu zu machen, dachte ich: Die sind nicht ganz normal. «Volksmusigg» war in seiner originalen Version ein Song darüber, dass Hip-Hop für junge Leute eine Art von Volksmusik sein kann und nicht nur ein Weg, um zu Geld, schönen Autos und halb nackten Frauen zu kommen. Heute ist in Ihrem Sound von der Volksmusik nur das Akkordeon übrig geblieben. Ich sehe es unterdessen als ein Teil meines musikalischen Fingerprints. Warum? Es klingt geil. Und wofür steht es? In meinen Ohren für Melancholie: Wer meine Platten genau hört, merkt vielleicht, dass neun von zehn Songs in Moll geschrieben sind. Und dann haben die volkstümlichen Instrumente ja eine Geschichte. Als ich nach der Tournee zu «0816» ungestört Ferien in Asien machen wollte, flog mir im Hotel als Erstes wieder der Hackbrettsound um die Ohren. In der Lobby sass eine Asiatin vor diesem Instrument. Es stammt aus Fernost und wird auch auf dem Balkan gespielt. Es ist eine Fiktion, dass Volksmusik an einen bestimmten Ort gehört. In «Wer meine Platten genau hört, merkt vielleicht, dass neun von zehn Songs in Moll geschrieben sind.» Tat und Wahrheit ist sie migrantisch. Genau. Viele meiner Migrantenfreunde, etwa meine albanischen Kollegen, haben damals «Rosalie» gefeiert. Sie sagten, der Song könnte gerade so gut bei ihnen zu Hause entstanden sein. Trotzdem sind Sie für viele ein Repräsentant der Swissness. Ärgert Sie das, etwa im Zusammenhang mit der Abstimmung zur «Masseneinwanderung»? Es wird dann ungemütlich, wenn man mich politisch in eine Ecke drängen will. So hat ein politisch ausgerichtetes Magazin mein Gesicht für eine Story über Swissness benutzt: Heidi, Schoggi, die Berge und Bligg. Es ist erst knapp sechs Jahre her, seit Sie mit Greis und Stress «Fuck Blocher» sangen. Stehen Sie noch hinter dem Song? Ich stehe hinter allem, was ich gemacht habe. Aber wenn das jetzt ein Versuch ist, mich politisch zu fassen: Das können Sie gleich vergessen. Wir würden gern wissen, wie Marco Bliggensdorfer gestimmt hat. Ich finde es gut, wenn politische Musiker ihre Force nutzen, um etwas zu bewegen. Ich selber meine, dass Musik verbinden soll, nicht trennen. Wer auf meine Texte achtet, kann sich ungefähr zusammenreimen, wo ich stehe. Sie betreiben ein KMU mit fünf Angestellten. Wie gross ist der Druck, das am Laufen zu halten? Es gibt diesen Druck, aber insgesamt ist mein Set-up wie ein Zelt, das ich ganz schnell abbauen kann, wenns stürmt. Können Sie das Set-up beschreiben? Wir haben hier bei Dreamstar Entertainment das 360-Grad-Modell. Das heisst, wir sind für alles selber verantwortlich und arbeiten mit unterschiedlichen Partnern. Grosse Plattenfirmen verdienen mit solchen Deals an deinen CDs, Konzerten, T-Shirts. Aber sind sie auch in der Lage, eine Tournee in unserer Grössenordnung zu organisieren? Nein. Merchandising zu produzieren? Nein. Ihre Manpower ist zu klein heute. Und eine Musikkarriere hat viele zusätzliche Ebenen, die man bewirtschaften muss. Könnten Sie so auch Nachwuchskünstler aufbauen? Ja. Wir haben hier alle Schablonen und alle Kontakte, um das zu machen. Werden Sie auf Dreamstar bald andere Künstler produzieren? Genau, das ist der Grund, warum wir so stark ausgebaut haben. Sie haben kürzlich gesagt, dass die Tournee defizitär ist, um die Tickets günstig anbieten zu können. Wie verdienen Sie denn Geld? Da wurde ich falsch verstanden. Klar verdienen wir Geld mit den Konzerten. Aber es könnte mehr sein, wenn wir marktübliche Preise verlangen würden. Wie verdienen Sie? Wir haben das Glück, dass wir immer noch CDs verkaufen. Das ist die Ausnahme. Darum versuchen alle, Modelle zu erfinden, in denen Albumverkäufe keine Rolle mehr spielen. Jay-Z hat das smart gemacht mit seinem Deal mit Samsung. Das Cover von «Service publigg» haben wir zum ersten Mal beim Onlinebanking mit Credit Suisse gesehen. Was ist das für ein Deal? Das ist nicht unser Deal, das ist der Deal von Universal. Klar, jetzt gibt es Nostalgiker, die sagen, so verkaufe das Musikbusiness seine Seele dem Teufel. Das kann man so sehen. Aber: Wo sind die besseren Vorschläge?