Man wird nicht erwachsen, nur älter
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Man wird nicht erwachsen, nur älter
14 «Man wird nicht erwachsen, nur älter» Acht Fragen an Bligg Interview Raphaela Birrer Foto: Lena Thüring Waren Sie ein glückliches Kind? Das kam immer auf die Umstände an. Es gab Phasen, da war ich sehr glücklich oder sehr schlecht gelaunt, ohne einen wirklichen Grund dafür gehabt zu haben. Ich bin im Sternzeichen der Waage geboren und somit ein relativ ausgeglichener Mensch. Ich bin nicht sehr launisch. Es ist nicht so, dass ich an einem Tag schlecht und am anderen übertrieben gut gelaunt bin. Es ist immer ein konstantes Empfinden. So war das auch in meiner Kindheit. Es gibt jedoch Situationen oder Phasen, in denen Einflüsse eine grosse Rolle auf mein Empfinden spielen. Ich bin zum Beispiel automatisch gut gelaunt, wenn schönes Wetter ist. Andererseits haben mich beispielsweise Streitigkeiten in Fritz+Fränzi, #3 im Juni 2009 der Familie als Kind unglücklich gemacht. Ich hatte eine nicht sehr einfache Kindheit. Trotzdem war ich glücklich. Wenn Sie an Ihre Schulzeit zurückdenken, was geht Ihnen durch den Kopf? Meine Eltern sind während meiner Kindheit oft umgezogen, was auch einige Schulwechsel mit sich brachte. Ich lernte schon während meiner Kindheit viele Leute aus diversen sozialen Schichten kennen. Mit den meisten Lehrern hatte ich es ganz gut. Es gab aber einige, mit denen ich mich überhaupt nicht verstanden habe. Sie waren mit ihrem Job überfordert und liessen ihre schlechte Stimmung offensichtlich an Interview den Schülern aus. Mit meinen Mitschülern habe ich mich immer gut verstanden – bis auf ein paar wenige. Verwöhnte Kinder von reichen Eltern, die immer alles besser wussten und sich für besser hielten, konnte ich nicht ausstehen, und sie mich auch nicht. Ich ging gern zur Schule, obwohl ich eher ein fauler Schüler war. Aber ich mochte die Momente auf dem Pausenplatz, in denen man zum Beispiel über TV-Sendungen quatschte. Ich mochte die Fächer Zeichnen, Werken, Singen und alles, was irgendwie kreativ war. Französisch oder Rechnen waren nicht so mein Fall. Ich war auch einer von denen, die ihre Hausaufgaben immer in letzter Minute machten, weil ich lieber mit den Jungs am Skateboardfahren war. Was lernten Sie in der Schule fürs Leben? Die gesamte Basis, die ich heute noch für das Leben brauche. In jeder Hinsicht. Was können Kinder den Erwachsenen beibringen? Als Kind wurde mir eingetrichtert, dass man eines Tages erwachsen wird. Der Ausdruck «erwachsen» ist für mich ein Luftschloss. Man wird nicht erwachsen, man wird nur älter. Für mich haben Erwachsene auch Was sollen Eltern ihren Kindern mitgeben? Alles, was in ihrer Macht steht. Jede Form von Wissen und Lebensweisheit. Ich denke, die besten Eltern sind die, die ihre Kinder mit gleichem Respekt behandeln wie ihren Chef oder ihre Freunde. Egal, wie alt das Kind ist, man sollte sich dem Kind nicht überlegen fühlen nur aufgrund des Alters oder der Tatsache, dass man die Mutter oder der Vater ist. Ich halte es für ungesund, wenn man das Kind in irgendeine Ecke – etwa beruflich – drücken möchte, in der das Kind gar nicht sein will. Man sollte dessen Fähigkeiten erkennen und diese fördern. Ich habe bei vielen Eltern den Eindruck, dass sie versuchen, das aus ihrem Kind zu machen, was sie selber am liebsten sein würden, aber nie erreichen konnten. Es gibt aber auch das andere Extrem, dass Eltern krampfhaft versuchen, die Kinder auf exakt den gleichen Weg zu bringen, den sie gegangen sind, und dabei vergessen, dass sich die Zeiten geändert haben. Was muss man heute vor allem können, um seinen Weg zu machen? Um seinen eigenen Weg zu machen, darf man sich nicht blenden lassen von der Meinung anderer Leute. Was würden Sie sich gerne noch beibringen? Da gibt es so viele Dinge. Ich kann das auch nicht anhand eines Beispiels sagen. Ich lerne immer wieder dazu und bringe mir auch dauernd wieder etwas bei. Wer aufhört, etwas zu werden, hört auf, jemand zu sein. Der Musiker Bligg wurde am 30. September 1976 als Marco Bliggensdorfer in Zürich-Schwamendingen geboren. Mit 16 Jahren beteiligte er sich an Freestyle-Contests, an denen er in Mundart rappte und damit massgeblich zur Etablierung des Schweizerdeutsch als Rapsprache beitrug. Ab 1995 war Bligg auf zahlreichen Singles und Alben als Rapper zu hören. Im Jahr 2000 gelang ihm mit seinem musikalischen Partner Lexx als Duo Bligg’n’Lexx mit dem Album «Nahdisnah» der Sprung in eine breitere Öffentlichkeit. Seit 2001 erschienen fünf Soloalben von Bligg, in denen er sich als facettenreicher und experimentierfreudiger Produzent und Songwriter zeigt. Auf seinem neuesten Album «0816», für das er zweifach Platin erhielt und das dieses Jahr mit dem Swiss Music Award ausgezeichnet wurde, verschmelzt er Rap mit traditioneller Volksmusik. Bligg arbeitet mit Musikern wie Gölä zusammen und tritt regelmässig in ausverkauften Hallen auf. Fritz+Fränzi, #3 im Juni 2009 15 Gibt es eine besonders eindrückliche Geschichte aus Ihrer Schulzeit? Als ich in die Oberstufe ging, hatten wir einen Lehrer namens Hans Erni. Er war sehr streng. Obwohl ihn deshalb die meisten Schüler nicht mochten, habe ich immer zu ihm aufgeschaut. Denn bei seiner ganzen Strenge machten für mich die Dinge, die er erzählte, immer Sinn. Er war einer der wenigen, die kreatives Talent in mir sahen und versuchten, das zu fördern. Ich wollte damals Grafiker werden. Hans Erni hat mir in den Zeichnungsstunden spezielle Aufgaben gegeben, die mich auf die Aufnahmeprüfung der Kunstgewerbeschule einstimmen sollten. Am ersten Schultag nach den Sommerferien im letzten Schuljahr kam der Direktor ins Klassenzimmer und teilte uns mit, dass Herr Erni während einer Velotour an einem Herzinfarkt gestorben sei. Das hat mich unheimlich getroffen. Wir bekamen drei Tage frei und erhielten Aushilfen, die ständig wechselten, und ich hatte es mit niemandem von ihnen gut. Mit der letzten Aushilfe geriet ich so in Konflikt, dass er mir im Zeugnis ein Genügend im Betragen bescherte. Daher fiel ich dann durch die Aufnahmeprüfung der Kunstgewerbeschule, obwohl ich vom Kreativen her unter den drei Besten abgeschlossen habe. Hätte ich heute die Adresse dieses Lehrers, würde ich ihn gerne zu einem meiner Konzerte einladen. keinen höheren Stellenwert als Kinder. Kinder sind ehrlicher und weniger vorbelastet als Erwachsene, und sie lernen viel schneller. Eltern können einiges von ihren Kindern lernen, zum Beispiel in technischer Hinsicht. Ich bin überzeugt, dass viele Kids den Erwachsenen zeigen, wie man mit dem Internet umgeht.