Man wird nicht erwachsen, nur älter

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Man wird nicht erwachsen, nur älter
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«Man wird nicht
erwachsen, nur älter»
Acht Fragen an Bligg
Interview Raphaela Birrer Foto: Lena Thüring
Waren Sie ein glückliches Kind?
Das kam immer auf die Umstände an. Es gab Phasen,
da war ich sehr glücklich oder sehr schlecht gelaunt,
ohne einen wirklichen Grund dafür gehabt zu haben.
Ich bin im Sternzeichen der Waage geboren und somit
ein relativ ausgeglichener Mensch. Ich bin nicht sehr
launisch. Es ist nicht so, dass ich an einem Tag
schlecht und am anderen übertrieben gut gelaunt bin.
Es ist immer ein konstantes Empfinden. So war das
auch in meiner Kindheit. Es gibt jedoch Situationen
oder Phasen, in denen Einflüsse eine grosse Rolle auf
mein Empfinden spielen. Ich bin zum Beispiel automatisch gut gelaunt, wenn schönes Wetter ist. Andererseits haben mich beispielsweise Streitigkeiten in
Fritz+Fränzi, #3 im Juni 2009
der Familie als Kind unglücklich gemacht. Ich hatte
eine nicht sehr einfache Kindheit. Trotzdem war ich
glücklich.
Wenn Sie an Ihre Schulzeit zurückdenken, was geht
Ihnen durch den Kopf?
Meine Eltern sind während meiner Kindheit oft umgezogen, was auch einige Schulwechsel mit sich
brachte. Ich lernte schon während meiner Kindheit
viele Leute aus diversen sozialen Schichten kennen.
Mit den meisten Lehrern hatte ich es ganz gut. Es gab
aber einige, mit denen ich mich überhaupt nicht
verstanden habe. Sie waren mit ihrem Job überfordert
und liessen ihre schlechte Stimmung offensichtlich an
Interview
den Schülern aus. Mit meinen Mitschülern habe ich
mich immer gut verstanden – bis auf ein paar wenige.
Verwöhnte Kinder von reichen Eltern, die immer alles
besser wussten und sich für besser hielten, konnte
ich nicht ausstehen, und sie mich auch nicht. Ich ging
gern zur Schule, obwohl ich eher ein fauler Schüler
war. Aber ich mochte die Momente auf dem Pausenplatz, in denen man zum Beispiel über TV-Sendungen
quatschte. Ich mochte die Fächer Zeichnen, Werken,
Singen und alles, was irgendwie kreativ war. Französisch oder Rechnen waren nicht so mein Fall. Ich war
auch einer von denen, die ihre Hausaufgaben immer in
letzter Minute machten, weil ich lieber mit den Jungs
am Skateboardfahren war.
Was lernten Sie in der Schule fürs Leben?
Die gesamte Basis, die ich heute noch für das Leben
brauche. In jeder Hinsicht.
Was können Kinder den Erwachsenen beibringen?
Als Kind wurde mir eingetrichtert, dass man eines
Tages erwachsen wird. Der Ausdruck «erwachsen» ist
für mich ein Luftschloss. Man wird nicht erwachsen,
man wird nur älter. Für mich haben Erwachsene auch
Was sollen Eltern ihren Kindern mitgeben?
Alles, was in ihrer Macht steht. Jede Form von Wissen
und Lebensweisheit. Ich denke, die besten Eltern sind
die, die ihre Kinder mit gleichem Respekt behandeln
wie ihren Chef oder ihre Freunde. Egal, wie alt das Kind
ist, man sollte sich dem Kind nicht überlegen fühlen
nur aufgrund des Alters oder der Tatsache, dass man
die Mutter oder der Vater ist. Ich halte es für ungesund, wenn man das Kind in irgendeine Ecke – etwa
beruflich – drücken möchte, in der das Kind gar nicht
sein will. Man sollte dessen Fähigkeiten erkennen
und diese fördern. Ich habe bei vielen Eltern den
Eindruck, dass sie versuchen, das aus ihrem Kind zu
machen, was sie selber am liebsten sein würden, aber
nie erreichen konnten. Es gibt aber auch das andere
Extrem, dass Eltern krampfhaft versuchen, die Kinder
auf exakt den gleichen Weg zu bringen, den sie gegangen sind, und dabei vergessen, dass sich die Zeiten
geändert haben.
Was muss man heute vor allem können, um seinen
Weg zu machen?
Um seinen eigenen Weg zu machen, darf man sich
nicht blenden lassen von der Meinung anderer Leute.
Was würden Sie sich gerne noch beibringen?
Da gibt es so viele Dinge. Ich kann das auch nicht
anhand eines Beispiels sagen. Ich lerne immer wieder
dazu und bringe mir auch dauernd wieder etwas bei.
Wer aufhört, etwas zu werden, hört auf, jemand zu sein.
Der Musiker Bligg wurde am 30. September 1976 als Marco
Bliggensdorfer in Zürich-Schwamendingen geboren. Mit
16 Jahren beteiligte er sich an Freestyle-Contests, an denen
er in Mundart rappte und damit massgeblich zur Etablierung
des Schweizerdeutsch als Rapsprache beitrug. Ab 1995 war
Bligg auf zahlreichen Singles und Alben als Rapper zu hören.
Im Jahr 2000 gelang ihm mit seinem musikalischen Partner
Lexx als Duo Bligg’n’Lexx mit dem Album «Nahdisnah» der
Sprung in eine breitere Öffentlichkeit. Seit 2001 erschienen
fünf Soloalben von Bligg, in denen er sich als facettenreicher
und experimentierfreudiger Produzent und Songwriter zeigt.
Auf seinem neuesten Album «0816», für das er zweifach
Platin erhielt und das dieses Jahr mit dem Swiss Music Award
ausgezeichnet wurde, verschmelzt er Rap mit traditioneller
Volksmusik. Bligg arbeitet mit Musikern wie Gölä zusammen
und tritt regelmässig in ausverkauften Hallen auf.
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Gibt es eine besonders eindrückliche Geschichte aus
Ihrer Schulzeit?
Als ich in die Oberstufe ging, hatten wir einen Lehrer
namens Hans Erni. Er war sehr streng. Obwohl ihn
deshalb die meisten Schüler nicht mochten, habe ich
immer zu ihm aufgeschaut. Denn bei seiner ganzen
Strenge machten für mich die Dinge, die er erzählte,
immer Sinn. Er war einer der wenigen, die kreatives
Talent in mir sahen und versuchten, das zu fördern.
Ich wollte damals Grafiker werden. Hans Erni hat mir in
den Zeichnungsstunden spezielle Aufgaben gegeben,
die mich auf die Aufnahmeprüfung der Kunstgewerbeschule einstimmen sollten. Am ersten Schultag nach
den Sommerferien im letzten Schuljahr kam der
Direktor ins Klassenzimmer und teilte uns mit, dass
Herr Erni während einer Velotour an einem Herzinfarkt
gestorben sei. Das hat mich unheimlich getroffen.
Wir bekamen drei Tage frei und erhielten Aushilfen, die
ständig wechselten, und ich hatte es mit niemandem
von ihnen gut. Mit der letzten Aushilfe geriet ich so
in Konflikt, dass er mir im Zeugnis ein Genügend im
Betragen bescherte. Daher fiel ich dann durch die
Aufnahmeprüfung der Kunstgewerbeschule, obwohl ich
vom Kreativen her unter den drei Besten abgeschlossen
habe. Hätte ich heute die Adresse dieses Lehrers, würde
ich ihn gerne zu einem meiner Konzerte einladen.
keinen höheren Stellenwert als Kinder. Kinder sind
ehrlicher und weniger vorbelastet als Erwachsene,
und sie lernen viel schneller. Eltern können einiges
von ihren Kindern lernen, zum Beispiel in technischer
Hinsicht. Ich bin überzeugt, dass viele Kids den
Erwachsenen zeigen, wie man mit dem Internet
umgeht.