EinRapperohneGhetto
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EinRapperohneGhetto
Ortstermin Zürichsee-Zeitung Sihltal-Thalwil Mittwoch, 4. März 2009 7 Bligg Mit dem Rapper an seinem Lieblingsplatz am See in Horgen Ein Rapper ohne Ghetto-Vergangenheit Zum Rap gehören nicht zwingend nackte Frauen und Gewalt, sagt Bligg. Der Rapper aus Horgen möchte ein Vorbild für Jugendliche sein – als Weltverbesserer sieht er sich aber nicht. Seraina Sattler Braungebrannt steht Bligg auf dem Steg beim Restaurant L’O in Horgen. Vor ein paar Tagen ist er aus den Ferien in Kuba zurückgekehrt. Nach dem Erfolg und Rummel in Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Albums «0816» hat er etwas Erholung gebraucht. Bligg reist gerne und viel – doch er kommt auch gerne wieder in die Schweiz zurück. «In Kuba habe ich einmal mehr realisiert, in welchem Paradies wir hier leben», sagt der Rapper. «Das fängt beim sauberen Wasser an, das aus der Leitung kommt, und hört bei der direkten Demokratie auf.» Auf seinem aktuellen Album setzt er das Thema Heimat Schweiz musikalisch um, indem er Elemente von traditioneller Volksmusik in modernen HipHop-Sound einfliessen lässt. Dass Bligg in Horgen wohnt, ist Zufall. Als vor vier Jahren die Beziehung mit seiner Freundin in die Brüche ging, verschafften ihm Kollegen eine zur Loft ausgebaute Scheune in Horgen als neue Bleibe. Inzwischen ist Bligg «the last man standing», wie er es nennt: Der Letzte, der übrig geblieben ist. Die Freunde sind weggezogen. Traurig ist er aber nicht darüber: «So habe ich meine Ruhe, wenn ich zu Hause arbeite.» Die Lage zwischen Autobahn und dem geliebten See ist ideal für ihn, und er schätzt die familiäre Atmosphäre im Dorf. Viele kennen den Rapper und haben seine Karriere mitverfolgt: Wird der Taxifahrer gerufen, weiss er, dass er Platz für viel Gepäck braucht. Wenn er Bligg abholt, legt er dessen CD ein. Die Postangestellten wissen, dass in den vielen Briefen, die Bligg regelmässig aufgibt, Autogramme stecken. Auch wenn er von Fremden angesprochen wird, ist er meist für einen Schwatz zu haben. Dass man als Musiker in der Öffentlichkeit steht, gehöre dazu, sagt Bligg. «Das ist der Preis dafür, dass ich das machen kann, was ich gerne tue.» Witzige, aber auch ernste Texte Einen Feierabend, bei dem man richtig abschalten kann, kennen Künstler kaum: Sie werden auf der Strasse von Fans angesprochen, Ideen für neue Songs kommen ihnen selten dann, wenn sie nach ihnen suchen. Diesbezüglich eine Ausnahme war der Hit «Rosalie», der Rapper Bligg auf dem Steg vor dem Restaurant L’O in Horgen. Er liebt es, am Wasser zu sein. (Reto Schneider) unter Zeitdruck an einem einzigen Nach- die tatsächlich aus dem Ghetto kommen. mittag entstand: «Ich ass mit den Band- «Hier haben wir zum Beispiel eine sehr mitgliedern zu Mittag, am Nachmittag hohe Suizidrate – also ein Ghetto in den mussten wir einen Text für ein Lied ha- Köpfen statt auf der Strasse.» Vor ein ben. Dann kam dieser ‹Wolle-du-Rose- paar Jahren schrieb Bligg dazu für das Typ› in das Restaurant – und die Idee für Schweizer Schulfernsehen den Song den Song war geboren.» In «Rosalie» geht «Gang nöd». Bligg ist sich bewusst gees um die Begegnung worden, dass er als eines RosenverkäuRapper ein Vorbild für «Hier haben wir fers mit einer einsaJugendliche ist und men Frau – mit übersich auch entspreein Ghetto in den raschendem Auschend verhalten sollte. gang. Bliggs Texte Rappte er früher auch Köpfen statt auf sind teilweise witzig, mal über das Kiffen, teilweise ernsthaft. tut er dies heute nicht der Strasse.» Das Vorurteil, zu echmehr. Ein Weltverbestem Rap gehörten serer sei er aber nicht. nackte Frauen und die Verherrlichung «Ich sehe mich nach wie vor als Entertaivon Gewalt, sei völlig falsch, betont ner.» Texte wie im Song «Secondos» über Bligg. «Rapper sind eine Art Berichter- die Geschichte seiner Mutter sind autostatter jener Welt, in der sie leben.» In biographisch gefärbt, andere frei erfunder Schweiz habe man eben andere Pro- den. Neue Lieder hat Bligg noch nicht im bleme als gewisse Rapper aus Amerika, Köcher – im Moment fehlt die Zeit. Bligg macht nicht nur Musik, er verbessert auch laufend die Choreographie der Konzert-Show, kümmert sich um die Website, antwortet den Fans. Er hat zwar Mitarbeiter, die ihn unterstützen, doch er gibt die Fäden nie ganz aus der Hand: «Ich habe auf allem mein Auge.» «Kleiner» Ausgang in Horgen Wenn es der volle Terminkalender erlaubt, geht der Rapper in Zürich in den «grossen» Ausgang – oder in Horgen in den «kleinen». Dann setzt er sich an den See, isst im Restaurant Hanegg etwas Währschaftes oder trinkt ein Bier in der Klo-Bar, weil dort die Musik stimmt. Doch auch hier muss er manchmal «arbeiten» – Barmann Nico streckt ihm an diesem Nachmittag seine CD entgegen: «Ein Autogramm für eine Kollegin von mir, bitte. Sie findet dich ganz än Tolle.» Bligg lächelt und unterschreibt. «Sag ihr einen Gruss von mir.» Hineingehorcht «Mit meinem Perfektionismus nerve ich andere» Geben Sie Bettlern Geld? Das kommt öfter vor, vor allem im Ausland. Wann verlieren Sie die Beherrschung? Wenn ich in einer Warteschlange unter Stress stehe und die Kassierin einer Kundin ihre vergangene Woche bis ins letzte Detail erzählt, inklusive Pläne für die nächste Woche. Was kommt in Ihren Albträumen vor? Ich habe zum Glück sehr selten Albträume. Wenn ich solche habe, weiss ich, nachdem ich aufgewacht bin, nicht mehr, was ich geträumt habe. Als ich vor kurzem auf Kuba war, hatte ich einen der schlimmsten Albträume. Es kamen Szenen aus meiner Kindheit und Hexen darin vor. Das Schlimme waren nicht die Hexen, sondern, wie unglaublich realistisch sich dieser Traum anfühlte. Haben Sie sich schon einmal geprügelt? Ja, aber ich bin absolut gegen Prügeleien oder Gewalt jeglicher Art. Was nicht heisst, dass man sich alles gefallen lassen muss. Ist Macht käuflich? Ja. Geld ist Macht. Mögen Sie Überraschungen? Jein. Ich fühle mich nicht gut, wenn sich jemand die Mühe macht, mich zu überraschen und das dann überhaupt nicht meinen Vorstellungen entspricht oder in meinen Zeitplan passt. Es gibt aber Überraschungen, die grosse Freude bereiten. Zum Beispiel, wenn etwas erfolgreicher wird, als man es sich ursprünglich gedacht hatte. Wie wollten Sie nie werden? Verbittert, herablassend, arrogant, respektlos. Hat Jesus gelebt? Woher soll ich das wissen? Ich glaube an eine höhere Instanz. Sind Sie ein Perfektionist? Ich bin ein extremer Perfektionist. Damit gehe ich auch oft Leuten aus meinem Team auf die Nerven. Haben Sie schon mal ans Auswandern gedacht? Bligg alias Marco Bliggensdorfer gilt als erfolgreichster Schweizer MundartRapper: Sein im vergangenen Oktober erschienenes fünftes Soloalbum «0816» hat bereits im Dezember Platinstatus erreicht, inzwischen sogar Doppel-Platinstatus. Das heisst, es wurde über 60 000 Mal verkauft. An den Swiss Music Awards erhielt er kürzlich den Preis «Best Album Urban National» für «0816». Im aktuellen Album verbindet Bligg traditionelle Schweizer Volksmusik mit Rap: Hackbrettmelodien und Jodelklänge treffen auf Hip-Hop-Beats. Seine Karriere startete der heute 32Jährige 1997 zusammen mit Alex «Lexx» Storer als Bligg ’n’ Lexx. Er rappte von Anfang an auf Mundart, was zu Beginn von der Hip-Hop-Szene belächelt wurde. Der Durchbruch gelang ihm 2001. Im Laufe der Zeit kam er vom reinen Rap weg und begann auch zu singen. Bligg ist Autodidakt, er hat nie Gesangsunterricht besucht. Seine Leidenschaft für Musik hat er von seinem Vater geerbt. Seit drei Jahren kann der gelernte Sanitärinstallateur von der Musik leben, davor hatte er sich mit diversen Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Bligg ist in Schwamendingen und im Zürcher Oberland aufgewachsen und wohnt seit vier Jahren in Horgen. (sat) Ortstermin Nein. Jedes Mal, wenn ich im Ausland bin, komme ich sehr gerne zurück nach Horgen. Wem vertrauen Sie blind? Meiner Familie. Was war als Kind Ihr Traumberuf? Ich habe viel gemalt als Kind. Ich wollte immer so was wie Schriftenmaler oder Grafiker werden. Auf jeden Fall etwas Kreatives. (sat) Der Rapper und die Volksmusik Bligg während eines Auftritts mit der Streichmusik Alder. (key) Wo halten sich bekannte Persönlichkeiten aus der Region Zürichsee besonders gerne oder besonders häufig auf? Im Rahmen der Serie «Ortstermin» treffen wir einmal im Monat Prominente an einem Ort, den sie selber ausgesucht haben, und plaudern dort über Gott, die Welt und ihren Bezug zur Region. (zsz) Erschienene Beiträge finden sich im Internet unter www. zsz.ch, Dossier.