Alchemisten der Dunkelkammer

Transcription

Alchemisten der Dunkelkammer
27.11.2014
Wiener Zeitung Online
vom 07.11.2014, 17:12 Uhr
Update: 07.11.2014, 17:37 Uhr
Ausstellungskritik
Alchemisten der Dunkelkammer
Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Das Kunst Haus Wien zeigt "Lillian Bassman & Paul Himmel. Zwei Leben für die
Fotografie".
In Kooperation mit den Deichtorhallen
Hamburg widmet das Kunst Haus dem
Ehepaar Lillian Bassman (1917-2012) und
Paul Himmel (1914-2009) und ihrer 77
Jahre währenden Zusammenarbeit als
Fotografen eine erste Retrospektive. Die
beiden haben ihren Brotjob Modefotografie
mit eigenwilligen Experimenten ergänzt
und lieferten wichtige Beiträge in Sachen
Street Photography, Ballettaufnahmen,
dem Akt und in den sechziger Jahren
poppigen Solarisationen und
Bildmanipulationen, welche bereits in der
Schau "Summer of Love" zu sehen waren.
Die russischen Einwandererkinder lebten in
eng verbundenen, sozialistisch und
freidenkerisch geprägten Familien und
trafen einander schon als Kinder in
Brooklyn, bevor sie als Teenager
nebeneinander in Manhattan wohnten.
Künstlerischer Ansätze
der Fotografie
Lilian Bassman wollte Malerin
werden, ehe sie zur Kamera griff:
"Ohne Titel" aus der Serie "Wunder
des Wassers".
© Estate Lillian Bassman
Nach Ausbildungen als Grafikdesignerin
und Lehrer kamen sie zur Fotografie im
erweiterten Sinn, denn Bassman wollte zuerst Malerin werden,
arbeitete in den fünfziger Jahren als Designerin und Art Director der
Modezeitschrift Junior Bazaar, bevor sie als Modefotografin bekannt
wurde, sich aber immer wieder dem textilen Design verschrieb. Himmel
wechselte vom Lehrerberuf zur Modefotografie und war an Edward
Steichens Projekt "Familiy of Man" 1955 im Museum of Modern Art mit
seinem "Botticelli Girl" beteiligt. Nach Enttäuschungen über die Reaktion auf seine
künstlerischen Aktfotos entschied er sich mit 55 Jahren für eine
Ausbildung als Psychotherapeut.
Wichtig ist jedoch, dass beide selbst in der Modefotografie einen
künstlerischen Ansatz vertraten und über ihren Kollegen und Freund
Richard Avedon hinaus experimentelle Fotografie betrieben. Bassman
http://www.wienerzeitung.at/_em_cms/globals/print.php?em_ssc=LCwsLA==&em_cnt=700417&em_loc=371&em_ref=/nachrichten/kultur/kunst/&em_ivw=Re…
1/3
27.11.2014
Wiener Zeitung Online
inszenierte ihre Models, allen voran Barbara Mullen, als manieristische
Figuren mit Schwanenhals und Bewegungen wie im klassischen Tanz.
Dazu holte sie sich wohl Anregungen durch die außergewöhnlichen
Aufnahmen ihres Mannes von New York City Ballet und aus der eigenen
Praxis: Die beiden tanzten gerne. Speziell ist ihr wilder Umgang mit
Negativen durch Brennen, Abwedeln und Bleichen in der
Dunkelkammer, was sie schon vor eigener Kameratätigkeit auch mit
fremdem Material für "Junior Bazaar" gemacht hatte.
Bei Himmel war es weniger eine alchemistische Tätigkeit in der
Dunkelkammer als ein besonderes Ausloten von Unschärfe durch
Langzeitbelichtung, was ein Einfangen von Bewegung und eine
Wirkung besonderer Leichtigkeit bewirkte.
Wie auch später bei seinen Solarisationen ist es ein Spiel mit der
Ambivalenz des Mediums Fotografie durch Einfangen des Moments und
Auflösung des Stillstands durch verschwommene Motive in Bewegung;
dazu setzte er zuweilen besondere Körnigkeit ein. Er war jedoch mit
diesem radikal modernen Ansatz seiner Zeit zu weit voraus.
1938 hatten beide geheiratet, 1951 gründeten sie ein eigenes Studio
und verdienten viel durch ihre individuellen modernen Lösungen in den
konsumorientierten fünfziger Jahren. Ihre zwei Kinder inspirierten sie
zu besonderen privaten Aufnahmen. Die Aussagen Bassmans über
ihren weicheren, fragileren und damit femininen Stil und seine
männlicheren Blickwinkel sind zeitbedingt, jedoch haben beide ihre eigenen Merkmale und Details
entwickelt, vor allem in der Modefotografie.
Der Zufall führt zu Meisterwerken
Kuratorin Brigitte Woischnik entdeckte das künstlerische Werk des
Paars durch Zufall, der Kontakt wurde erst nach der Vertretung von
Bassmans Werken in einer Galerie intensiviert. So stieß sie im New
Yorker Archiv auch auf Himmels experimentelle Werkgruppen. Museen
hatten ab 1985 Bassmans frühe Werke für Junior Bazaar im Umfeld
von Grafikdesign, Collagen und Modefotografie aufgekauft. Die anderen
Zyklen konnten noch entdeckt werden und selbst Avedon hatte keine
Ahnung von der Qualität der Arbeiten seiner Freunde.
Die Planungen einer Retrospektive begann Woischnik noch mit beiden
in New York, wo sie sich im hohen Alter, von ihren analogen
Aufnahmen ausgehend, der digitalen Technik aus anhaltendem
Interesse am Experiment und der Veränderungsvielfalt am Computer
zugewandt hatten. Es ist die Entdeckung eines erstaunlichen
Powerteams.
Bis 8. Februar
http://www.wienerzeitung.at/_em_cms/globals/print.php?em_ssc=LCwsLA==&em_cnt=700417&em_loc=371&em_ref=/nachrichten/kultur/kunst/&em_ivw=Re…
2/3
27.11.2014
Wiener Zeitung Online
UR L: http://www.wie ne rze itung.at/nachrichte n/k ultur/k unst/700417_Alche m iste n-de r-Dunk e lk am m e r.htm l
© 2014 Wiener Zeitung
http://www.wienerzeitung.at/_em_cms/globals/print.php?em_ssc=LCwsLA==&em_cnt=700417&em_loc=371&em_ref=/nachrichten/kultur/kunst/&em_ivw=Re…
3/3