Herbert Moser

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Herbert Moser
Der Vietnamkrieg war in den USA von Anfang an weniger ein reales als
ein mediales Ereignis. Außer für die knapp drei Millionen amerikanischen Soldaten (Frey 2000: 222), die in Vietnam zum Einsatz kamen und
tatsächlich mit dem Krieg konfrontiert waren, blieb der Vietnamkrieg
für den größten Teil der amerikanischen Bevölkerung ein durch die Medien vermitteltes, wenn nicht – in seiner medialen Realität – erst generiertes Ereignis. Presse, Rundfunk und Fernsehen, in den 1970er Jahren
auch Dokumentarfilme unabhängiger Filmemacher, vermittelten dabei
einen heterogenen Eindruck vom Vietnamkrieg. Offizielle Verlautbarungen und militärische Propaganda zeichneten zu Beginn des Krieges,
unterstützt von den Massenmedien des Fernsehens und des Rundfunks,
noch das Bild eines sauberen und gerechten Einsatzes der US-Streitkräfte in Vietnam (2000: 151). Es sollte, so die verbreitete Meinung, das südvietnamesische Volk in seinem einhelligen Widerstand gegen eine kommunistische Okkupation durch den Norden unterstützt werden.
Im Kontext einer seit Mitte der 1960er Jahre in den USA zunehmend
an Einfluss gewinnenden Antikriegsbewegung, vor allem aber mit der
Tet-Offensive der nordvietnamesischen Armee am 31. Januar 1968, wan-
Another interesting thing about the Vietnam War is we have no
idea what the costs were to the Vietnamese. I mean, for the United States, we know down to the last person. […] But nobody has
any idea how many Vietnamese died or are still dying, for that
matter. The guesses literally vary within millions. Because, who
cares, you don’t consider it when you slaughter other people.
(Noam Chomsky)
DER UNBEKANNTE FEIND:
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Einerseits divergieren die Beschreibungen der US-amerikanischen Kriegsberichterstattung während des Vietnamkrieges stark voneinander. Michael Strübel etwa lobt »die
eigenständige, unzensierte und kritische Präsentation des Krieges« (2002a: 188). Waltraut Wende spricht dagegen von »für die Fernsehkameras inszenierte[n] VietnamBilder[n]« und bemängelt, dass selbst das authentische Filmmaterial in seiner fernsehgerechten Aufbereitung »in der Regel keinen wirklichen Informationsgehalt« bot
(1999: 1076). Andererseits ist man sich aber darin einig, dass der Vietnamkrieg der letzte »größere (Medien-)Krieg ohne militärische Zensur war« (1999: 1076) und dass die
(wenigen) »kritischen Korrespondentenberichte ausreichten, um eine Trendwende der
öffentlichen Meinung zu initiieren« (1999: 1077).
Vgl. hierzu Adair 1981, Hölzl/Peipp 1991, Reinecke 1993 und Weigel-Klinck 1996, die
›den Vietnamfilm‹ ausnahmslos vor dem Hintergrund eines solchen mit der Niederlage verbundenen gesellschaftlichen Traumas der USA zu beschreiben suchen.
Vgl. Frey (2000: 164), aber auch Anderson (1998: 4), der sich auf vietnamesische Quellen bezieht und von 504 Opfern des Massakers spricht.
delte sich das Bild des Krieges in den amerikanischen Medien und damit
auch in der amerikanischen Gesellschaft radikal. In den von Fernsehen
und Presse größtenteils unzensiert verbreiteten Bildern der verwüsteten
Städte, der verwundeten und getöteten Soldaten und der unzähligen
Opfer innerhalb der Zivilbevölkerung erschien der Krieg einem Großteil
der Amerikaner nun als ein ebenso grausames wie militärisch sinnloses
Unterfangen. Bis zum gänzlichen Abzug der amerikanischen Truppen
und der bedingungslosen Kapitulation der Republik Südvietnam 1975
hatte sich in den USA schließlich ein Bild des Vietnameinsatzes verfestigt, das wohl ohne Übertreibung als gesellschaftliches Trauma bezeichnet werden kann. In Vietnam unterlagen die USA trotz ihrer deutlichen technisch-militärischen Überlegenheit erstmals in einem Krieg und
büßten neben dem Nimbus der Unbesiegbarkeit auch das nicht zuletzt
aus dem Zweiten Weltkrieg resultierende Selbstbild ein, als antitotalitäre
und damit moralisch überlegene Schutzmacht Freiheit und Menschenrechte zu verteidigen. So hinterließen nicht nur die Niederlage selbst,
sondern auch öffentlich gemachte Kriegsverbrechen wie das ›My LaiMassaker‹, in dem von einem amerikanischen Platoon 200 Zivilisten
(darunter viele Frauen und Kinder) grundlos getötet wurden, ihre Spuren in der amerikanischen Seele – wenn auch bis heute lieber die Opfer
in den eigenen Reihen als die auf Seiten der vietnamesischen Bevölkerung beklagt werden:
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The Vietnam conflict was a most troubling experience. […] At
the end, there seemed to be nothing but loss. We lost the conflict
and came home. We lost fifty thousand lives and we lost the sense
of cause and purpose that seemed to be present in the early stage
of the conflict. (Bee 1999: 785)
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Siehe gerade zu den divergierenden Zahlen der vietnamesischen Opfer Weigel-Klinck
(1996: 13), Raeithel (1999: 739), Frey (2000: 222), Krause/Schwelling (2002: 93) und
Chomsky (2003: 27).
Das Vietnam-Trauma findet seine kulturelle Spiegelung in der Kunst,
der Literatur und der Musik sowie vor allem auch im Massenmedium
Kino. Wie ein Überblick über das reiche US-amerikanische Filmschaffen zu diesem Thema zeigt, schwanken die Filme dabei zwischen den
Versuchen einer kritischen Aufklärung und den Formen der patriotischen Verdrängung, Verklärung und Verharmlosung des Krieges und seiner Folgen.
Eine der Folgen des Vietnamkrieges, die gerade das Kino thematisch
für sich beansprucht, ist das Problem der sozialen Reintegration der aus
Vietnam heimkehrenden Soldaten. Es kamen nicht nur etwa eine halbe
Million US-Soldaten körperlich oder psychisch versehrt aus dem Krieg
zurück, sondern laut Schätzungen verübten mehr Veteranen in den USA
Selbstmord, als Soldaten in Vietnam gefallen waren (Weigel-Klinck
1996: 13). So wird der Veteran zum zentralen Motiv des Vietnamfilms
US-amerikanischer Produktion und zugleich zum Topos einer fast solipsistischen Selbstspiegelung des amerikanischen Vietnamtraumas: Im
Veteranenmotiv wird primär das eigene Leid des Krieges – mal kritisch,
mal unkritisch, aber stets selbstbezüglich – verhandelt. Das Leiden der
Kriegsgegner aber bleibt dabei beinahe gänzlich ausgeblendet. Das erscheint schon allein vor dem Hintergrund der bloßen Zahlen mehr als
zynisch, stehen doch den 58.000 gefallenen US-Soldaten (und nochmals
derselben Zahl von Folgeopfern) geschätzte 1,5 bis 3,3 Millionen vietnamesische Opfer gegenüber (die Spätfolgen des großflächigen Einsatzes
des dioxinhaltigen Entlaubungsmittels ›Agent Orange‹ und anderer chemischer Waffen noch nicht eingerechnet).
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Zu Fragen und Problemen der Definition des Genres ›Kriegsfilm‹ siehe den Aufsatz
von Lars Baumgart in diesem Band.
So genannte allegorische Vietnamfilme, die sich nicht ausdrücklich auf Vietnam als
Ort oder Hintergrund der Handlung beziehen, subsumiere ich – etwa im Gegensatz
zu Reinecke (1993: 24f ) und Weigel-Klinck (1996: 30f ) – nicht dem Genre des Vietnamfilms und schließe sie daher aus meiner Untersuchung von vornherein aus.
Der Kritik-Begriff, der meiner Untersuchung zugrunde liegt, ist selbst insofern unkritisch oder ideologisch, als er eine nicht weiter problematisierte Forderung präsupponiert, nämlich die, dass eine Kritik am bzw. eine kritische Aufklärung über den Vietnamkrieg eine Verurteilung des Kriegseinsatzes der USA miteinschließen muss. Das
mag zunächst tendenziös wirken, scheint mir aber vor dem Hintergrund der seit den
70er Jahren im westlichen Diskurs kursierenden Daten über den Krieg doch berechtigt. Neben einige Zahlen und ›Fakten‹, die ich im Verlauf des Aufsatzes noch nenne,
sei vorab gleichsam pars pro toto ein Fazit der Kriegsfolgen angeführt, das sich bei
Reinecke (1993: 18) findet: »Der Vietnamkrieg unterschied sich in seiner materiellen
Wirklichkeit von allem, was bisher aus anderen Kriegen bekannt war. Die US-Militärs
führten ihn mit einem bis dato beispiellosen Einsatz nichtnuklearer technologischer
Vernichtungswaffen. Noch 1988, 15 Jahre nachdem der letzte GI das Land verlassen
hatte, waren 30 des fruchtbaren Bodens Vietnams durch den Chemiekrieg der USA
Will man sich einen Überblick über die umfangreiche US-amerikanische Produktion von Vietnamfilmen verschaffen, bietet das Kriterium
der thematischen Fokussierung einerseits und das Kriterium der filmischen Haltung oder Intention andererseits eine Möglichkeit, die Filme
nach einem groben Raster zu kategorisieren.
Zunächst lässt sich der Vietnamfilm (als ein Subgenre des Kriegsfilms) hinsichtlich seines Fokus unterscheiden. Neben den Veteranenfilmen, die den gelungenen oder gescheiterten Reintegrationsversuch
des aus dem Krieg heimkehrenden Soldaten und damit die mittelbaren Folgen des Krieges in den USA darstellen, thematisiert ein zweiter
Typus, das Combat-Movie, die unmittelbaren Ereignisse des Krieges in
Vietnam. Dabei finden sich bei beiden Typen sowohl Filme, die ihrer
Tendenz nach eher ›kritisch‹ über den Krieg und seine Folgen aufklären wollen, als auch Filme, die die historisch verbürgten Ereignisse des
Krieges – meist vor einem patriotisch-propagandistischen Hintergrund
– eher zu verklären suchen.
Die Orte des Geschehens:
Versuch eines systematischen Überblicks über den Vietnamfilm
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verseucht. Die US-Air Force warf über Vietnam siebenmal mehr detonierendes Material ab, als insgesamt im Zweiten Weltkrieg zum Einsatz gekommen war. 28 Millionen
Bomben und Granaten setzten die USA in Vietnam ein. Mit Dioxin entlaubte die Air
Force etwa 40 der Wälder Vietnams.« Dass hier die Mittel das ursprünglich von der
US-Regierung propagierte Kriegsziel eines Schutzes der südvietnamesischen Bevölkerung vor einer Okkupation durch den kommunistischen Norden ad absurdum führten, ist wohl nur schwerlich anzuzweifeln.
Jane Fonda und Jon Voigt wurden für ihre Rollen jeweils mit einem Oscar ausgezeichnet.
Betrachtet man zunächst die Veteranenfilme, zeigt sich, dass gerade
Ende der 1970er Jahre eine Reihe kritischer Filme dieses Typus gedreht
wurden. Martin Scorseses Taxi Driver (USA 1976), Michael Ciminos
The Deer Hunter (Die durch die Hölle gehen, USA 1978) oder
Hal Ashbys Coming Home (Coming home – Sie kehren heim, USA
1978) etwa stellen den Veteranen als physisch und psychisch lädierten
Charakter in das Zentrum ihrer Erzählung.
Den von den Kriegserlebnissen zutiefst traumatisierten und zerstörten Persönlichkeiten gelingt es nicht, in die Gesellschaft zurückzufinden,
und am Ende ihres Weges stehen die Vereinsamung, der Selbstmord oder
wie in Taxi Driver der Amoklauf des Protagonisten.
Coming Home beispielsweise erzählt die Geschichte der Krankenschwester Sally, die sich in den querschnittsgelähmten Veteranen Luke
verliebt. Als Sallys Ehemann Bob ebenfalls aus dem Krieg heimkehrt, ist
dieser nicht in der Lage, seine Frau zurückzugewinnen. Bob stehen allein
die Handlungsmuster des Soldaten zur Verfügung. Seine Unfähigkeit
zur Kommunikation mit seiner Frau drückt sich darin aus, dass er sie
mit vorgehaltener Waffe zur Rede stellen will. Als er aber einsehen muss,
dass er den Konflikt mit Sally nicht mit Gewalt lösen kann, richtet Bob
seine Aggression gegen sich selbst und geht schließlich ins Wasser. Luke
dagegen gelingt es mit der emotionalen Unterstützung Sallys, seine körperliche Beschädigung seelisch zu überwinden. Die Frau erscheint hier
nicht zuletzt als Heilerin einer männlich-militärischen Deformation.
Coming Home verweist damit bereits auf einen Typus von Veteranenfilmen, der sich Mitte der 1980er Jahre zu etablieren beginnt. In Filmen wie Alan Parkers Birdy (USA 1984), David Jones’ Jacknife (USA
1989) oder Oliver Stones Born on the Fourth of July (Geboren am
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Ich beziehe mich hier auf Krause/Schwelling (2002: 93ff), die im Zusammenhang mit
Apocalypse Now (Francis Ford Coppola, USA 1979), Coming Home und The Deer
Hunter vom Vietnamfilm der späten 1970er Jahre als »Ort der kollektiven Erinnerung« sprechen.
Wenn man dem einzelnen Veteranenfilm auch nicht grundsätzlich vorwerfen kann,
dass er sich mit der Darstellung des Heimkehrerschicksals ein Sujet sucht, das von der
Darstellung der Kriegsereignisse und -folgen in Vietnam absieht, so ist die zu beobachtende Dominanz des Veteranenfilms innerhalb des Vietnamfilms US-amerikanischer
Provenienz unter der Prämisse einer aufrichtigen und umfassenden Aufklärung doch
äußerst fragwürdig. Eine strukturelle Ausnahme bietet hier allein das mit sechs Oscars
gekrönte Anti-Kriegsdrama The Deer Hunter von Michael Cimino, indem es in einem Mix aus Combat- und Veteranenfilm, aus Ereignis- und Folgeschilderungen den
Vietnamkrieg durchaus kritisch und über das eigene Leid hinausgehend zu beleuchten
versucht.
vierten Juli, USA 1989) steht die – wenn auch schmerzvolle – Überwindung des Kriegstraumas im Zentrum der Handlung. Am Ende des
Films hat der Held dank der Familie, der Freundschaft und dank professioneller Hilfe oder wie bei Stone im Engagement für die Friedensbewegung seine körperlichen und seelischen Deformationen überwunden.
In Born on the Fourth of July befreit sich nicht nur der Veteran selbst vom Trauma Vietnams, sondern in der nationalen Selbstanklage durch die Friedensbewegung scheint das ganze Land geläutert. Es
geht offensichtlich nur darum, wie es im Dialog mehrfach heißt, sich
die »Wahrheit« über den Krieg einzugestehen. Dass diese Wahrheit die
Leiden der Kriegsgegner gänzlich verschweigt, scheint dabei aber kein
Problem darzustellen, sondern vielmehr ein Strukturmerkmal des Veteranenfilms an sich zu sein, der nur das eigene Leid kennt, das Leid
des vietnamesischen Kriegsopfers aber beständig ausblendet. Vor diesem
Hintergrund erscheinen nicht nur die verklärenden Veteranenfilme der
1980er, sondern auch die Veteranenfilme der 1970er Jahre – bei all ihrer
Kritik an den sozialen Folgen eines in der Retrospektive als sinnlos erscheinenden Kriegseinsatzes – doch zugleich als ›Orte eines kollektiven
Verdrängens‹ der eigentlichen Schuld der USA, die man mit den an Genozid grenzenden Massenvernichtungen am vietnamesischen Volk auf
sich geladen hat.
Neben den Veteranenfilmen der späten 1980er Jahre, die über das Ereignis Vietnam hinaus auch dessen innenpolitische Folgen mehr zu ver-
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Wenn sich John D. Bee allerdings im Fortlauf seiner Untersuchung dazu
versteigt, die ersten beiden Rambo-Filme auf eine Stufe mit dem Was-
The society that created Rambo and sent him to fight will not allow him to return. […] He is alone in the wilderness, a rejected
and dissociated figure. Although he still has the skills of the warrior, he has returned from combat and wants to be recognized and
accepted into the civilian environment. Even though he is being
hunted and shot at, only one of his pursuers has died and that was
accidental. Rambo wants to connect, but he is losing patience.
(Bee 1999: 791)
klären als zu erklären versuchen, kommt bereits in den frühen 1980er
Jahren noch ein anderer Typus unkritischer Veteranenfilme auf. In diesen erfährt die Gewalt des Vietnamkrieges gleichsam im Nachhinein
ihre Legitimation, indem der Krieg an der ›Heimatfront‹ erfolgreich
fortgesetzt wird. Der heimgekehrte Veteran wird zum Rächer, der auf
eigene Faust gesellschaftliche Missstände mittels des in Vietnam erprobten Verhaltens beseitigt: In The Exterminator (Der Exterminator,
James Glickenhaus, USA 1980) beispielsweise vollzieht der Protagonist
eine grausame Lynchjustiz, nachdem sein bester Freund von Gangstern
beinahe getötet wird. Und der bekannteste Film dieses Typus, Ted Kotcheffs First Blood (Rambo, USA 1982) führt mit der Figur des John
Rambo (Sylvester Stallone) einen hochdekorierten Veteranen vor, der
sich mittels seiner in Vietnam perfektionierten Kampf- und Überlebenstechniken gegen die Privatarmee eines korrupten Sheriffs ebenso blutig
wie erfolgreich zu verteidigen weiß.
Tatsächlich grenzt sich der erste Teil der Rambo-Trilogie von einem
gänzlich sorglosen Umgang mit den Veteranenschicksalen dadurch ab,
dass First Blood – etwa im Gegensatz zu The Exterminator und
seinem Sequel, The Exterminator II (Exterminator II, Mark Buntzman, USA 1984) – mit John Rambo einen gebrochenen Helden präsentiert, der nicht nur ein gewaltsamer Täter an seinen Verfolgern, sondern
auch ein Opfer derselben sowie der US-amerikanischen Gesellschaft
überhaupt ist:
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Im Zuge der Operation Homecoming wurden kurz nach Abzug der US-Truppen aus
Vietnam alle kriegsgefangenen US-Soldaten freigelassen.
Wendet man den Blick von den Veteranenfilmen der 1980er Jahre zu
den Combat-Movies dieser Zeit, zeigt sich in den Filmen, die den Militärkonflikt in Vietnam unmittelbar darzustellen suchen, ein neues Motiv – nämlich das der Befreiung von amerikanischen Kriegsgefangenen
aus vietnamesischen Lagern. Die Fiktion dieser Rescue- oder Prisoner-OfWar(POW)-Movies, dass es noch Kriegsgefangene aus Vietnam zu befreien gäbe, ist nicht nur selbst eine Verfälschung historischer Daten, sondern trägt auch einen Plot, der die Historie auf den Kopf stellt. Ein stets
einsamer Held überwindet hier mittels Guerilla-Taktiken einen übermächtigen Feind, indem er sich gerade nicht auf technische Hilfsmittel,
sondern auf seinen Verstand, seinen gestählten Körper und seinen Überlebenswillen verlässt. Dabei wird er eins mit dem Dschungel, der ihm
den perfekten Schutz vor seinen Gegnern bietet.
The action in these films is hardly plausible, though it is entertaining [!] to watch. But Rambo’s various adventures […] are a
device for delivering a more fundamental message, the message of
the Vietnam Veteran Memorial: America betrayed her promise to
her warriors. (Bee 1999: 794)
hingtoner ›Vietnam Veterans Memorial‹ zu stellen, scheint er schlichtweg
übersehen zu wollen, dass es in First Blood bei der recht stereotypen
Kritik des Veteranen an einer ihn zurückweisenden (weil offensichtlich
die Niederlage in Vietnam verdrängen wollenden) Gesellschaft doch vor
allem darum geht, dem »Geduldverlust« des Helden und der daraus resultierenden Action eine vordergründige Legitimation zu verschaffen.
Der sich um das Veteranenmotiv spinnende Plot dient letztlich als ein
Vehikel der die Schaulust des Publikums bedienenden Gewaltdarstellungen. Und auch Bee muss – gerade dort, wo er zum finalen Vergleich
zwischen Rambo-Filmen und Veteranen-Denkmal ausholt – den vordergründigen ›Schauwert‹ der Filme einräumen:
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In Rambo – First Blood Part II (Rambo II – Der Auftrag, George Cosmatos, USA 1985) kämpft sich der Titelheld, nachdem er beim
Absprung über Vietnam fast seine komplette Ausrüstung verloren hat,
nur mit einem Messer und einem Bogen bewaffnet ins feindliche Lager und mit den Gefangenen wieder heraus. Damit kann er nicht nur
gleichsam im Nachhinein den verlorenen Krieg doch noch gewinnen,
er gewinnt ihn mit Methoden, die – wenn überhaupt – dem Vietcong
zugeschrieben werden müssten, und zwar als ein David, der einen hochtechnisierten Goliath mit nur einfachstem militärischem Aufwand, einem übermenschlichen Überlebenswillen und einer optimalen Anpassung an die natürlichen Gegebenheiten überwindet. Dass in Wirklichkeit die US-Streitkräfte es trotz ihrer kriegstechnischen Überlegenheit
zwar geschafft haben, den Feind millionenfach zu töten, ganze Landstriche mit Napalm zu verbrennen und mit ›Agent Orange‹ zu vergiften, es
den USA aber trotzdem nicht gelungen ist, den Krieg zu gewinnen, soll
hier offensichtlich vergessen gemacht werden.
Auch scheint es kein zufälliges dramaturgisches Mittel, dass Colonel Braddock (Chuck Norris), dem Helden von Missing in Action
II – The Beginning (Lance Hool, USA 1985), von seinem nordvietnamesischen Gegenspieler vergeblich das Schuldeingeständnis begangener
Kriegsverbrechen abgepresst werden soll. Wenn es nämlich für Braddock
keine Schuld einzugestehen gibt, sondern diese allein dem Gegner zugeschrieben werden kann, scheint der Film nicht nur die intradiegetische Position seines Helden, sondern die Botschaft des POW-Movies
überhaupt zu formulieren: Die US-Soldaten werden filmisch zu alleinigen Opfern des Krieges stilisiert und My Lai und andere amerikanische
Kriegsverbrechen haben niemals stattgefunden oder sollen zumindest
aus dem öffentlichen Diskurs verbannt werden.
Dass es in den Combat-Movies der frühen 1980er Jahre zu einer solchen patriotisch gefärbten Verzerrung der bist dato allgemein akzeptierten historischen Fakten kommen konnte, scheint vor allem durch zwei
Umstände begünstigt: Zum Ersten wenden sich gerade die POW-Movies
als Subgenre des Action-Films weniger an eine kognitive als an eine emotive Rezeption des Zuschauers. Sie appellieren mit ihrer hohen Schnittfrequenz, ihrer ausgeprägten Kamerahandlung sowie der extensiven Dar-
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stellung von Gewalt an die Schaulust des Rezipienten. Dass die ›Gewalt
dieser Bilderfluten‹ vereinfachende und verfälschende Aussagen in besonderem Maße begünstigt, scheint offensichtlich. Zum Zweiten fallen
die Filme in die Zeit der Präsidentschaft Ronald Reagans. Der Republikaner Reagan war 1981 mit einer Politik der neuen Stärke angetreten, die
außenpolitisch an den militanten Antikommunismus der 1950er Jahre
anknüpfte, indem in der UdSSR – Originalton Reagan – »das Reich des
Bösen« ausgemacht wurde (Reinecke 1993: 56). Die neuerliche Lokalisierung einer äußeren Bedrohung durch den Kommunismus und die
innenpolitische Wiederherstellung einer nationalen Identität im Kampf
gegen denselben führten zu einer Verdrängung des Ereignisses Vietnam.
Die von der Friedens-, Bürgerrechts- und Studentenbewegung getragene Phase nationaler Selbstanklage und gesellschaftlicher Erneuerung der
1970er Jahre wich so unter der Reagan-Administration einer Phase nationaler Restauration sowie eines politisch verzerrten Geschichtsbildes
– auch in den Kinos.
Allerdings brachten die späten 1980er Jahre – mit dem Ausklingen
der zweiten und letzten Amtszeit Reagans – auch einige Combat-Movies
hervor, die versuchten, sich dem Thema Vietnam aufklärerisch anzunähern. Zwei der bekanntesten sind das mit vier Oscars gekrönte Kriegsepos Platoon (USA 1986) von Oliver Stone und Full Metal Jacket
(USA, GB 1987) des Wahlbriten Stanley Kubrick. Beide Filme greifen
eine Tradition des kritischen Combat-Movies wieder auf, die in den späten 1970er Jahren mit Francis Ford Coppolas ebenfalls Oscar gekürtem
Antikriegsfilm Apocalypse Now (USA 1979) begründet wurde.
Bevor die drei Filme vor dem Hintergrund der Frage nach einer bloß
intendierten, im Gegensatz zu einer tatsächlich gelungenen Kritik am
und Aufklärung über den Vietnamkrieg analysiert werden sollen, sei
noch auf einen anderen Film eingegangen – und zwar The Green Berets aus dem Jahre 1968 unter der Regie von Ray Kellogg und John
Wayne, in der Hauptrolle John Wayne, produziert ebenfalls von John
Wayne und seinem Sohn Michael Wayne. Dieser Film kann gerade in
seiner augenscheinlich propagandistischen Intention als eine Gegenfläche zu den anderen drei Filmen fungieren.
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Full Metal Jacket zeichnet sich aus durch Dominanz der Struktur über die Narration: Relative Autonomie der Einzelszenen, dokumentarisch anmutende Bilderfolgen, TV-Live-Bildern nachempfundene Kameraarbeit, der Einsatz der Handkamera, direktes
›in die Kamera Sprechen‹ der Schauspieler, lange Einstellungen
und Kamerafahrten, Blau- und Rotfärbung der Szenerie sowie
überlaut eingespielte Pop-Songs […] und leitmotivisch eingesetzte Originalmusik akzentuieren die Künstlichkeit der Cinema-Bilder. (Wende 1999: 1084f )
Stanley Kubricks acht Jahre nach Apocalypse Now erschienener
Vietnamfilm Full Metal Jacket teilt mit Coppolas Film neben seinem
kritischen Anspruch auch sein selbstreflexives Moment. Wenn in einer
Szene von Full Metal Jacket die GIs direkt in das Objektiv der zur
Fernsehkamera der Kriegsberichterstattung gewordenen Filmkamera
schauen und einer von ihnen ruft: »This is Vietnam, the movie« (77:09),
weist sich Kubricks Film als hochgradig selbstreflexives Werk über einen
»Krieg der Bilder« aus (Wende 1999: 1078), der längst auch das Kino erfasst hat. In seiner rekurrenten Medienkritik – primär dargestellt anhand
der Figur des für das militärische Propagandaorgan Stars and Stripes arbeitenden Kriegsberichterstatters »Joker« – und in seinem offen zur Schau
gestellten Artefaktcharakter intendiert der Film niemals eine realistische
Abbildung des Vietnamkrieges, sondern bleibt immer als ein ebenso
künstlerisches wie selbstreflexives Statement über den Krieg erkennbar:
Full Metal Jacket oder Der Krieg der Zeichen und Bilder
von rasanten Schlachtszenen und halluzinatorischen Bilderfluten jeden
Realismus oder Dokumentarismus leugnet. Apocalypse Now behauptet nicht, die Realität des Krieges darzustellen, und scheint doch gerade
dort, wo der Film seine eigene Fiktionalität transparent macht, der Realität des Films als Zeichen eines niemals präsenten realen Signifikats am
nächsten zu kommen. Die kritische Haltung von Apocalypse Now manifestiert sich also auch – wenn nicht sogar vorrangig – auf einer selbstreflexiven Ebene der Thematisierung der eigenen medialen Bedingtheit.
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Siehe hierzu Raeithel (1999), der in einem Überblick über elf Bände mit Vietnamkriegsfotografien unter anderem auch Beispiele für die im Film zitierten Motive bietet.
Verstärkt wird dieser Effekt noch durch die Verweigerung von Identifikationsfiguren, die lineare Erzählweise einer strikt chronologischen
Szenenfolge, in der »der Film in seine Einzelteile zu zerfallen« scheint
(Reinecke 1993: 106), sowie seine ästhetische Ausrichtung etwa auf symmetrische Bildkompositionen. Ein Filmrealismus scheint damit gänzlich unterlaufen sowie ein unreflektiertes Einfühlen des Zuschauers in
die Charaktere von vornherein unterbunden. Und der Film selbst weist
sich als eine gleichermaßen distanzierte wie rationale »Analyse des Phänomens Krieg« aus (Wende 1999: 1078).
Ein Blick auf das in Full Metal Jacket Dargestellte belegt gerade
die selbstreflexive Distanziertheit des Films gegenüber seinem Sujet. Wo
Full Metal Jacket sich nämlich auf eine ›Realität des Vietnamkrieges‹
zu beziehen scheint, zitiert der Film vielmehr die Bilder der Kriegsberichterstattung, anstatt selbst ein Bild vom Krieg zu zeichnen. Zwar rekurriert er nicht auf allzu bekannte Motive wie das napalmverbrannte
Mädchen Kim Phúc, die Opfer des My Lai-Massakers oder die Erschießung eines Verdächtigen durch den südvietnamesischen Polizeichef. Jedoch verweist der Film in den Szenen um einen aus seinem Helikopter
auf vietnamesische Zivilisten schießenden GI (59:06), um die als ›Maskottchen‹ einer Einheit missbrauchte Leiche eines nordvietnamesischen
Soldaten (69:02) oder um die Massengräber vietnamesischer Kriegsopfer
(63:38) ebenso eklektisch wie kommentarlos auf die aus der Kriegsberichterstattung bekannten Zeichen der Verrohung. Die wieder ins Bewusstsein des Publikums gerufenen Pressebilder sprechen dabei für sich
selbst und gegen die sinnlose Brutalität eines Krieges jenseits jeder moralischen oder militärischen Legitimation: Alles, worum es im Vietnamkrieg letztlich zu gehen scheint, ist – wie Joker am Ende des Films weiß
– das nackte Überleben: »I’m in a world of shit, yes. But I am alive«
(110:17).
Wie Joker zu dieser Ansicht gelangt, führt Kubrick in der Darstellung
der militärischen Ausbildung in der ersten Hälfte und des Vietnameinsatzes der ausgebildeten Soldaten in der zweiten Hälfte von Full Metal
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Full Metal Jacket hat eine Gesamtlänge von 116 Minuten.
Die Korrelation von Sexualität und Gewalt ist im Werk Stanley Kubricks ein rekurrentes Motiv, das Kubrick gerade in Szenen der Darstellung einer Eskalation der Gewalt
immer wieder benutzt. Man denke etwa an die Ermordung der Cat Lady mit einer
überdimensionalen Phallus-Skulptur in A Clockwork Orange (USA 1971) oder
an Major Kongs finalen ›Ritt‹ auf der Atombombe in Dr. Strangelove or: How I
Learned to Stop Worrying and Love the Bomb (USA 1964). Siehe hierzu Petersen (2001: 102f ).
Jacket vor. Die ersten 5l Minuten des Films begleiten eine Gruppe von
Marine-Rekruten, die schrittweise einem System militärischer Ordnung
unterworfen werden. Der Entindividualisierung mittels einer »äußeren
Gleichmachung« (Wende 1999: 1079) durch die Uniformierung und das
Kahlscheren (00:20) folgt eine Gehirnwäsche, die eine »Auslöschung der
Persönlichkeit« (Reinecke 1993: 104) der Rekruten zum Ziel hat. Sie bekommen von ihrem Ausbilder Sergeant Hartman nicht nur neue Namen
verpasst, sondern werden – über ein »yes sir« hinaus weitgehend zum
Schweigen verurteilt – einem nicht enden wollenden Trommelfeuer von
Anweisungen, Befehlen und Beschimpfungen ausgesetzt. Die Instruktionen wie das fortwährende Exerzieren zielen auf ein Aufgehen des einzelnen Soldaten im Corps und in der Ordnung der Marschformation. Die
Beschimpfungen zielen auf eine Ausgrenzung dessen, was von Hartman
als nicht-militärisch und weiblich diffamiert wird. Positive Emotionen
wie etwa das Mitleid, das Joker für Private Pyle aufbringt, werden gezielt
zerstört. Stattdessen schürt Hartman die Aggression gegen den Feind
und koppelt diese an eine brutalisierte Sexualität: Das Gewehr wird zur
»Braut«, mit der die Rekruten das Bett teilen müssen (10:04), und in
einem der soldatischen Chorgesänge heißt es: »This is my rifle [die Rekruten richten ihr Gewehr in die Höhe], this is my gun [sie fassen sich in
den Schritt], one is for killing, the other for fun« (12:39).
Eine Gefährdung der militärischen Ordnung stellt der von Hartman
so genannte »Private Paula« (Private Leonard Pyle) dar. Ständig lächelnd,
körperlich nicht in Form und mit dem Gemüt eines Kindes ausgestattet, muss sich gerade an »Paula«, der für Hartman (selbst ›harter Mann‹)
nicht nur namentlich das ›Weiblich-Schwache‹ repräsentiert, der militärische Drill beweisen. Pyle ist von Anfang an »das fremde Element in der
Geometrie des [militärischen] Terrors« (1993: 107), und es gelingt auch
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Auch kann bereits der Selbstmord Pyles als ein In-Frage-Stellen der ›militärischen
Ordnung‹ gelesen werden, da Pyle damit der militärischen Gerichtsbarkeit, die seinen
Mord an Hartman wohl mit dem Tod bestraft hätte, nicht nur zuvorkommt, sondern
sich ihr ausdrücklich entzieht.
nicht, ihn in die totale Ordnung der Truppe zu integrieren. Am Ende
der Ausbildung erschießt der unter dem psychischen Druck zerbrochene
Pyle sich und seinen Ausbilder Hartman. Hätte der bloße Selbstmord
Pyles das militärische System noch bestätigt, indem mit Pyles Tod gerade die durch den Rekruten vertretenen ›schwachen‹ und ›unmännlichen‹
Attribute gewaltsam getilgt werden, so bedeutet sein Amoklauf dagegen
gleichsam »eine Implosion der Militärmaschine, deren Gewalt sich gegen sie selbst richtet« (1993: 105).
Mit Pyles Tat wird das (Ausbildungs-)Ideal einer militärischen Ordnung, in die sich der einzelne Soldat perfekt einfügen soll, bereits in Frage gestellt. Im konkreten Vietnameinsatz scheint diese schließlich gänzlich ad absurdum geführt. Gleich zu Beginn wird Joker, dem die Narration an den Kriegsschauplatz folgt, von einer Prostituierten bestohlen.
Der Verbündete ist wie in Apocalypse Now auch in Full Metal Jacket nicht vom Gegner unterscheidbar. Zwar gibt Joker sich vielwissend
und zynisch: »Half of these gook whores are officers in the Vietcong the
other half have TB. Be sure you get only the ones who cough« (47:16).
Dass Joker bzw. dem ihn begleitenden Fotoreporter aber gerade die Kamera gestohlen wird, verweist metonymisch auf die Unfähigkeit der USSoldaten, sich von einer Welt, die vor allem eines nicht ist: nämlich geordnet, ein Bild zu machen und sich in ihr zurecht zu finden.
Augenscheinlich wird das in der letzten Szene des Films (91:32). Als
das Squad, dem sich Joker angeschlossen hat, in einen Hinterhalt gerät – man hat zuvor bereits jede Orientierung über den Aufenthaltsort
verloren (90:29) –, bricht in der Truppe das Chaos aus. Die Kommandostrukturen lösen sich auf und die Soldaten werden der Reihe nach von
einem Scharfschützen erschossen. Die militärische Ordnung bricht also
gerade in dem Moment zusammen, als sie sich im konkreten Kriegseinsatz legitimieren soll. Moralisch mehr als fragwürdig und durch den
Amoklauf Pyles bereits in ihrer Zweckhaftigkeit beschädigt, wird die mi-
218
219
19
Siehe dazu Michael Strübel (2002b: 45), der Full Metal Jacket als Antikriegsfilm,
der in seinem zweiten Teil zum Kriegsfilm wird, zu beschreiben versucht: »Am Ende
gehen die GIs, nach erfolgreich verrichteter Arbeit [allerdings wurde das halbe Squad
liquidiert, bevor man die Scharfschützin stellen kann], gemeinsam singend – und zwar
ohne jedweden ironischen Unterton [sie singen das Lied des Mickey-Mouse-Clubs!]
– der untergehenden Sonne entgegen [die Sonne ist bereits untergegangen, und das
rote Licht wird von den brennenden Ruinen der Stadt erzeugt]. Nach diesem Schluss
kann der erste Teil des Films apologetisch-unkritisch als notwendige Vorbereitung auf
ein erfolgreiches Soldatentum hin interpretiert werden und als Selektion der Elite, die
bis zum Schluss durchhält.«
litärische Ausbildung und mit ihr der gesamte Vietnameinsatz zu einem
von jedem pragmatisch militärischen Sinn entkoppelten Selbstzweck.
Und wenn sich – gleichsam als Pointe des Films – der Scharfschütze als
eine junge Frau entpuppt, stellt das die gänzliche Tilgung der Militärphilosophie dar: Man erliegt letztlich dem so zwanghaft verdrängten
weiblichen Prinzip, das sich als ebenbürtig und sogar überlegen erweist,
genauso wie man in einem Krieg unterliegt, den man weder verstehen
noch kontrollieren kann.
Die kritische Position des Films gegenüber dem Vietnameinsatz ist
(wenn auch gelegentlich missverstanden) eindeutig. Zwar zeigt der
Film, wie Gebhard Hölzl und Matthias Peipp zu Recht anmerken, nur
mittelbar das Leid der vietnamesischen Bevölkerung, auch zeichnet Full
Metal Jacket »kein differenzierteres Bild der gegnerischen Seite als seine Vorgänger« oder »arbeitet die politische Situation des Vietnamkrieges auf« (1991: 132), jedoch gelingt Kubrick in seinem Werk eine ebenso
grundsätzliche wie analytisch-distanziert präsentierte Abrechnung mit
einer imperialistischen (Militär-)Ideologie, die jede Realität des Feindes
verkennt und letztlich im moralischen Nihilismus der entfesselten Gewalt des Krieges zu ihrem eigentlichen Wesen gelangt.
Full Metal Jacket ist damit in seiner Kritik am Vietnamkrieg wie
am Krieg überhaupt ebenso radikal wie Apocalypse Now und geht in
seiner selbstreflexiven Darstellung des Vietnamkrieges als einem Krieg
der Zeichen und Bilder sogar noch über seinen Vorgänger hinaus. Dass
das außerdem nichts mehr mit der Propaganda eines John Wayne und
Ray Kellogg zu tun hat, ist offensichtlich. Vielmehr rekurriert Full Metal Jacket explizit auf The Green Berets. In den Kommentaren, die
DER UNBEKANNTE FEIND: VIETNAM IM FILMISCHEN DISKURS
CHRISTER PETERSEN
Fazit: Krieg ohne Gegner
Als Platoon 1986 aber mit großem finanziellem Erfolg in den amerikanischen
läuft,
stößt er invon
denseinen
folgenden
Jahren bis
einezum
Welle
ihrem
Der
Blick Kinos
auf den
Vietnamfilm
Anfängen
Ende
der
Anspruch
nach
Vietnamkriegsfi
NebenUSder Semi1980er
Jahre
hat realistischer
vor allem eines
gezeigt: In lme
den an.
meisten
Dokumentation Produktionen
Dear America.
Letters
Home fromeher
Vietnam
(Bill
amerikanischen
wird
der Vietnamkrieg
verklärt
Couturie,
USA 1987), die Die
Texte
aus Briefen
von Vietnamveteranen
mit
als
kritisch aufgearbeitet.
starke
Fokussierung
auf den
Fernsehbildern, Privatfotos
und Homevideos der GIs zu einer filmischen
Kriegsheimkehrer
trägt
Ich schrieb die Geschichte […] genau wie ich mich an sie erinnerte. Nur wollte die Geschichte dann niemand verfilmen. Sie war
ihnen zu hart, zu deprimierend, zu grausam. Ich begrub sie also,
meine Geschichte, und fand mich damit ab, daß die Wahrheit
über den Krieg in den USA niemand sehen würde, weil sie niemand sehen wollte, konnte. (Zit. nach Hölzl/Peipp 1991: 111)
Einen wieder anderen Weg als Apocalypse Now und Full Metal
Jacket schlägt Oliver Stone mit seinem Vietnamdrama Platoon ein.
Von Stone so gemeint und von Publikum und Kritik so auch begeistert
aufgenommen galt Platoon – nicht zuletzt weil Drehbuchautor und
Regisseur Stone selbst 18 Monate in Vietnam eingesetzt war – als der
»erste wirklichkeitsgetreue Vietnamfilm«. Während laut der zeitgenössischen Presse »die anderen Filme aus Hollywood […] die Geschichte vergewaltigt« haben, ist Platoon »historisch sorgfältig und politisch
richtig« (zit. nach Reinecke 1993: 120). Und Stone selbst fügt hinzu:
Platoon oder Die Dissimulation des Realen
»Is this you, John Wayne? Is this me?« – »Start the cameras: This
is Vietnam, the movie.« – »If Joker is John Wayne, I’m a horse!«
[…] – »I’ll be General Custer« – »Who’ll be the Indian?« – »Well,
let the gooks play the Indians.« (77:05)
die Soldaten von Jokers Squad nacheinander in die Fernsehkamera der
Kriegsberichterstatter rufen, nehmen diese – und mit ihnen der Film
selbst – ironisch auf die Wayne’sche Propaganda gerade in ihrer absurden
Stilisierung des Vietnamkrieges zum Western Bezug:
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CHRISTER PETERSEN
dazu nicht unwesentlich bei, wird doch in den Veteranenfilmen der
späten 1980er Jahre am Heimkehrer synekdochisch für die ganze Nation eine Überwindung des Kriegstraumas bebildert oder in den frühen
1980er Jahren der Heimkehrer sorglos als ein ›Rächer‹ inszeniert, der den
Krieg an der ›Heimatfront‹ erfolgreich zu Ende führt. Auch die kritischen Veteranenfilme der späten 1970er Jahre, die von der körperlichen
und psychischen Zerstörung der eigenen Soldaten berichten, verdrängen
letztlich doch nur ein anderes Ereignis, indem sie das Leid der vietnamesischen Kriegsgegner von vornherein ausblenden. Man verhandelt lieber
das eigene Leid und stilisiert sich so zum eigentlichen Opfer eines in der
filmischen Darstellung stets absenten Krieges.
Das Combat-Movie, das sich dem Kriegsschauplatz und mit ihm einer umfassenden Darstellung des Vietnamkrieges eigentlich annähern
sollte, weiß die Kriegsereignisse im POW-Movie dagegen nicht nur zeitlich zu umgehen. Der nach dem Krieg situierte Plot macht vielmehr eine
Stilisierung des GIs zum alleinigen Opfer des Krieges möglich und lässt
die Millionen vietnamesischer Opfer gleichsam hinter der kinematografischen Fiktion kriegsgefangener US-Soldaten verschwinden, die es aus
den Fängen ihrer Folterer zu befreien gilt. Bis dato allgemein anerkannte
historische Fakten scheinen hier filmisch korrigiert, indem Verlierer zu
Gewinnern des Krieges gemacht werden und ein – an seinen ursprünglichen Zielen gemessen – unsinniger Krieg im Nachhinein als legitim erscheint. Dies steht einer Weltkriegspropaganda, wie sie mit The Green
Berets in den 1970er Jahren zumindest für den Vietnamfilm überwunden schien, in kaum etwas nach.
Den ihrem Anspruch nach authentischen oder realistischen Combat-Movies der späten 1980er Jahre will es ebenfalls nicht gelingen, ein
aufklärerisches Bild vom Vietnamkrieg zu zeichnen. Wie sehr Stone in
Platoon mit der Fiktionalisierung des My Lai-Massakers gerade die
Brutalität gegen die vietnamesische Seite – wenn wohl auch eher fahrlässig als mutwillig – verschleiert, sei abschließend nochmals an einer
Überlegung Jean Baudrillards zum Watergate-Skandal im Jahre 1973 verdeutlicht. Baudrillard beschreibt Funktion und Auswirkung Watergates
folgendermaßen:
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25
24
Vgl. hierzu Lt. Gen. William Peers’ (1979) Dokumentation und Auswertung des My
Lai-Prozesses.
Siehe hierzu Marc Freys historische Darstellung des Vietnamkrieges, in der es explizit
heißt: »Das My Lai-Massaker war ein Einzelfall« (2000: 164).
Es wurde also – den Gedanken Baudrillards ausführend – mit Watergate
nicht wirklich etwas aufgedeckt, sondern vielmehr etwas vertuscht: nämlich der Umstand, dass die Politik nicht nur unter der Nixon-Administration, sondern grundsätzlich von einer Absenz der Moral bestimmt ist.
Auf das My Lai-Massaker und dessen öffentliche Anprangerung in
den Medien übertragen liest sich das folgendermaßen: Die Öffentlichmachung des Massakers und der folgende Prozess (selbst ein ›Skandal‹
im Freispruch der Mehrzahl der involvierten Offiziere) haben weder
die Gerechtigkeit wiederhergestellt noch die Militärgewalt der USStreitkräfte angeprangert, sondern nur vertuscht, dass es im Vietnamkrieg niemals eine Gerechtigkeit (auch keine mediale) gegenüber den vietnamesischen Opfern gegeben hat und dass das My Lai-Massaker eben
kein Einzel- und Ausnahmefall war. Wie weit das Ausmaß der systematischen Vernichtung in Wirklichkeit wohl über den ›Ausnahmefall‹
des Medienereignisses My Lai hinausgegangen sein mag, deutet sich in
der Existenz des von der US-Regierung 1968 genehmigten ,Phoenix-Programms‹ an: Unter Anleitung der CIA durchforsteten mit Erfolgsprämien ausgestattete Söldnertrupps bis zum Kriegsende systematisch vietnamesische Dörfer. Dabei folterten und ermordeten sie »Verdächtige
und ausgemusterte Kollaborateure. Die Zahl der Ermordeten wird auf
20.000 geschätzt« (Raeithel 19:765).
Die öffentliche Anprangerung eines Skandals ist stets eine Huldigung an das Gesetz. Und mit Watergate ist es vor allem gelungen,
den Eindruck zu erwecken, daß es tatsächlich einen Skandal gegeben hat […]: früher bemühte man sich einen Skandal zu dissimulieren – heute bemüht man sich zu verbergen, dass es keiner ist.
Watergate ist kein Skandal – das gilt es auf jeden Fall festzuhalten.
Watergate war nur […] die Simulation eines Skandals mit dem
Ziel der Wiederherstellung der Moral. (Baudrillard 1978: 26ff)
DER UNBEKANNTE FEIND: VIETNAM IM FILMISCHEN DISKURS
CHRISTER PETERSEN
Damit wird deutlich, dass Platoon selbst mit einem ›aufrichtigen
Realismus‹ der schonungslosen Darstellung des My Lai-Massakers noch
weit hinter der Realität der Gewalt zurückgeblieben wäre und dass filmische Authentizitätsstrategien, die auf der selbst fragwürdigen ›Wahrheit‹
der Kriegsberichterstattung oder der subjektiven Sichtweise amerikanischer Zeitzeugen beruhen, kaum in der Lage scheinen, das Ausmaß der
kriegerischen Vernichtung zu erfassen. Darum können am Ende allein
Filme wie Francis Ford Coppolas Apocalypse Now und Stanley Kubricks Full Metal Jacket einem kritischen Anspruch genügen. Zwar
klären auch diese Filme nicht über das ganze Ausmaß der Vernichtung
im Rahmen des Vietnameinsatzes auf. Indem sie aber von vornherein
jede Authentizität leugnen und stattdessen auf einer filmischen Metaebene sich selbst als kinematografische Zeichen des Krieges ebenso selbstreflexiv wie medienkritisch diskutieren, gelangen sie zu einer generellen
und parabelhaften Kritik nicht nur am Vietnamkrieg, sondern am Krieg
an sich, der militärischen Ausbildung und der Zwangsläufigkeit einer
Eskalation kriegerischer Gewalt.
Eines jedoch können und wollen auch diese Filme nicht leisten, nämlich eine vietnamesische Opferperspektive einzunehmen und abzubilden.
So bleibt auch hier der Vietnamkrieg am Ende ein Krieg ohne tatsächliche, sprich: filmisch erfahrbare, vietnamesische Gegner und Opfer. Dass
Apocalypse Now und Full Metal Jacket, indem sie aber zumindest
filmimmanent das Unverständnis der USA gegenüber ihrem Gegner kritisieren, immer noch weit über das hinausgehen, was der amerikanische
Film in der Breite an Vietnamaufarbeitung bisher zu leisten in der Lage
war, belegt auch ein Blick auf neuere Vietnamfilme US-amerikanischer
Produktion, wie etwa Tigerland (Joel Schumacher, USA 2000), Green
Dragon (Timothy Linh Bui, USA 2001) oder We Were Soldiers (Wir
waren Helden, USA 2001). In letzterem setzt Regisseur und Hauptdarsteller Mel Gibson – wenn auch kameratechnisch und akustisch brillant
– wieder einmal den Heldenmut und die Opferbereitschaft der eigenen
Leute stereotyp in Szene. Der vietnamesische Gegner wird dagegen nicht
zum ersten und wohl auch nicht zum letzten Mal zum bloßen ›Statisten
der Geschichte‹ degradiert.
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