Herbert Moser
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Herbert Moser
Der Vietnamkrieg war in den USA von Anfang an weniger ein reales als ein mediales Ereignis. Außer für die knapp drei Millionen amerikanischen Soldaten (Frey 2000: 222), die in Vietnam zum Einsatz kamen und tatsächlich mit dem Krieg konfrontiert waren, blieb der Vietnamkrieg für den größten Teil der amerikanischen Bevölkerung ein durch die Medien vermitteltes, wenn nicht – in seiner medialen Realität – erst generiertes Ereignis. Presse, Rundfunk und Fernsehen, in den 1970er Jahren auch Dokumentarfilme unabhängiger Filmemacher, vermittelten dabei einen heterogenen Eindruck vom Vietnamkrieg. Offizielle Verlautbarungen und militärische Propaganda zeichneten zu Beginn des Krieges, unterstützt von den Massenmedien des Fernsehens und des Rundfunks, noch das Bild eines sauberen und gerechten Einsatzes der US-Streitkräfte in Vietnam (2000: 151). Es sollte, so die verbreitete Meinung, das südvietnamesische Volk in seinem einhelligen Widerstand gegen eine kommunistische Okkupation durch den Norden unterstützt werden. Im Kontext einer seit Mitte der 1960er Jahre in den USA zunehmend an Einfluss gewinnenden Antikriegsbewegung, vor allem aber mit der Tet-Offensive der nordvietnamesischen Armee am 31. Januar 1968, wan- Another interesting thing about the Vietnam War is we have no idea what the costs were to the Vietnamese. I mean, for the United States, we know down to the last person. […] But nobody has any idea how many Vietnamese died or are still dying, for that matter. The guesses literally vary within millions. Because, who cares, you don’t consider it when you slaughter other people. (Noam Chomsky) DER UNBEKANNTE FEIND: VIETNAM IM FILMISCHEN DISKURS Christer Petersen Herbert Moser 195 3 2 1 Einerseits divergieren die Beschreibungen der US-amerikanischen Kriegsberichterstattung während des Vietnamkrieges stark voneinander. Michael Strübel etwa lobt »die eigenständige, unzensierte und kritische Präsentation des Krieges« (2002a: 188). Waltraut Wende spricht dagegen von »für die Fernsehkameras inszenierte[n] VietnamBilder[n]« und bemängelt, dass selbst das authentische Filmmaterial in seiner fernsehgerechten Aufbereitung »in der Regel keinen wirklichen Informationsgehalt« bot (1999: 1076). Andererseits ist man sich aber darin einig, dass der Vietnamkrieg der letzte »größere (Medien-)Krieg ohne militärische Zensur war« (1999: 1076) und dass die (wenigen) »kritischen Korrespondentenberichte ausreichten, um eine Trendwende der öffentlichen Meinung zu initiieren« (1999: 1077). Vgl. hierzu Adair 1981, Hölzl/Peipp 1991, Reinecke 1993 und Weigel-Klinck 1996, die ›den Vietnamfilm‹ ausnahmslos vor dem Hintergrund eines solchen mit der Niederlage verbundenen gesellschaftlichen Traumas der USA zu beschreiben suchen. Vgl. Frey (2000: 164), aber auch Anderson (1998: 4), der sich auf vietnamesische Quellen bezieht und von 504 Opfern des Massakers spricht. delte sich das Bild des Krieges in den amerikanischen Medien und damit auch in der amerikanischen Gesellschaft radikal. In den von Fernsehen und Presse größtenteils unzensiert verbreiteten Bildern der verwüsteten Städte, der verwundeten und getöteten Soldaten und der unzähligen Opfer innerhalb der Zivilbevölkerung erschien der Krieg einem Großteil der Amerikaner nun als ein ebenso grausames wie militärisch sinnloses Unterfangen. Bis zum gänzlichen Abzug der amerikanischen Truppen und der bedingungslosen Kapitulation der Republik Südvietnam 1975 hatte sich in den USA schließlich ein Bild des Vietnameinsatzes verfestigt, das wohl ohne Übertreibung als gesellschaftliches Trauma bezeichnet werden kann. In Vietnam unterlagen die USA trotz ihrer deutlichen technisch-militärischen Überlegenheit erstmals in einem Krieg und büßten neben dem Nimbus der Unbesiegbarkeit auch das nicht zuletzt aus dem Zweiten Weltkrieg resultierende Selbstbild ein, als antitotalitäre und damit moralisch überlegene Schutzmacht Freiheit und Menschenrechte zu verteidigen. So hinterließen nicht nur die Niederlage selbst, sondern auch öffentlich gemachte Kriegsverbrechen wie das ›My LaiMassaker‹, in dem von einem amerikanischen Platoon 200 Zivilisten (darunter viele Frauen und Kinder) grundlos getötet wurden, ihre Spuren in der amerikanischen Seele – wenn auch bis heute lieber die Opfer in den eigenen Reihen als die auf Seiten der vietnamesischen Bevölkerung beklagt werden: DER UNBEKANNTE FEIND: VIETNAM IM FILMISCHEN DISKURS The Vietnam conflict was a most troubling experience. […] At the end, there seemed to be nothing but loss. We lost the conflict and came home. We lost fifty thousand lives and we lost the sense of cause and purpose that seemed to be present in the early stage of the conflict. (Bee 1999: 785) CHRISTER PETERSEN 4 Siehe gerade zu den divergierenden Zahlen der vietnamesischen Opfer Weigel-Klinck (1996: 13), Raeithel (1999: 739), Frey (2000: 222), Krause/Schwelling (2002: 93) und Chomsky (2003: 27). Das Vietnam-Trauma findet seine kulturelle Spiegelung in der Kunst, der Literatur und der Musik sowie vor allem auch im Massenmedium Kino. Wie ein Überblick über das reiche US-amerikanische Filmschaffen zu diesem Thema zeigt, schwanken die Filme dabei zwischen den Versuchen einer kritischen Aufklärung und den Formen der patriotischen Verdrängung, Verklärung und Verharmlosung des Krieges und seiner Folgen. Eine der Folgen des Vietnamkrieges, die gerade das Kino thematisch für sich beansprucht, ist das Problem der sozialen Reintegration der aus Vietnam heimkehrenden Soldaten. Es kamen nicht nur etwa eine halbe Million US-Soldaten körperlich oder psychisch versehrt aus dem Krieg zurück, sondern laut Schätzungen verübten mehr Veteranen in den USA Selbstmord, als Soldaten in Vietnam gefallen waren (Weigel-Klinck 1996: 13). So wird der Veteran zum zentralen Motiv des Vietnamfilms US-amerikanischer Produktion und zugleich zum Topos einer fast solipsistischen Selbstspiegelung des amerikanischen Vietnamtraumas: Im Veteranenmotiv wird primär das eigene Leid des Krieges – mal kritisch, mal unkritisch, aber stets selbstbezüglich – verhandelt. Das Leiden der Kriegsgegner aber bleibt dabei beinahe gänzlich ausgeblendet. Das erscheint schon allein vor dem Hintergrund der bloßen Zahlen mehr als zynisch, stehen doch den 58.000 gefallenen US-Soldaten (und nochmals derselben Zahl von Folgeopfern) geschätzte 1,5 bis 3,3 Millionen vietnamesische Opfer gegenüber (die Spätfolgen des großflächigen Einsatzes des dioxinhaltigen Entlaubungsmittels ›Agent Orange‹ und anderer chemischer Waffen noch nicht eingerechnet). 196 197 7 6 5 Zu Fragen und Problemen der Definition des Genres ›Kriegsfilm‹ siehe den Aufsatz von Lars Baumgart in diesem Band. So genannte allegorische Vietnamfilme, die sich nicht ausdrücklich auf Vietnam als Ort oder Hintergrund der Handlung beziehen, subsumiere ich – etwa im Gegensatz zu Reinecke (1993: 24f ) und Weigel-Klinck (1996: 30f ) – nicht dem Genre des Vietnamfilms und schließe sie daher aus meiner Untersuchung von vornherein aus. Der Kritik-Begriff, der meiner Untersuchung zugrunde liegt, ist selbst insofern unkritisch oder ideologisch, als er eine nicht weiter problematisierte Forderung präsupponiert, nämlich die, dass eine Kritik am bzw. eine kritische Aufklärung über den Vietnamkrieg eine Verurteilung des Kriegseinsatzes der USA miteinschließen muss. Das mag zunächst tendenziös wirken, scheint mir aber vor dem Hintergrund der seit den 70er Jahren im westlichen Diskurs kursierenden Daten über den Krieg doch berechtigt. Neben einige Zahlen und ›Fakten‹, die ich im Verlauf des Aufsatzes noch nenne, sei vorab gleichsam pars pro toto ein Fazit der Kriegsfolgen angeführt, das sich bei Reinecke (1993: 18) findet: »Der Vietnamkrieg unterschied sich in seiner materiellen Wirklichkeit von allem, was bisher aus anderen Kriegen bekannt war. Die US-Militärs führten ihn mit einem bis dato beispiellosen Einsatz nichtnuklearer technologischer Vernichtungswaffen. Noch 1988, 15 Jahre nachdem der letzte GI das Land verlassen hatte, waren 30 des fruchtbaren Bodens Vietnams durch den Chemiekrieg der USA Will man sich einen Überblick über die umfangreiche US-amerikanische Produktion von Vietnamfilmen verschaffen, bietet das Kriterium der thematischen Fokussierung einerseits und das Kriterium der filmischen Haltung oder Intention andererseits eine Möglichkeit, die Filme nach einem groben Raster zu kategorisieren. Zunächst lässt sich der Vietnamfilm (als ein Subgenre des Kriegsfilms) hinsichtlich seines Fokus unterscheiden. Neben den Veteranenfilmen, die den gelungenen oder gescheiterten Reintegrationsversuch des aus dem Krieg heimkehrenden Soldaten und damit die mittelbaren Folgen des Krieges in den USA darstellen, thematisiert ein zweiter Typus, das Combat-Movie, die unmittelbaren Ereignisse des Krieges in Vietnam. Dabei finden sich bei beiden Typen sowohl Filme, die ihrer Tendenz nach eher ›kritisch‹ über den Krieg und seine Folgen aufklären wollen, als auch Filme, die die historisch verbürgten Ereignisse des Krieges – meist vor einem patriotisch-propagandistischen Hintergrund – eher zu verklären suchen. Die Orte des Geschehens: Versuch eines systematischen Überblicks über den Vietnamfilm DER UNBEKANNTE FEIND: VIETNAM IM FILMISCHEN DISKURS CHRISTER PETERSEN 8 verseucht. Die US-Air Force warf über Vietnam siebenmal mehr detonierendes Material ab, als insgesamt im Zweiten Weltkrieg zum Einsatz gekommen war. 28 Millionen Bomben und Granaten setzten die USA in Vietnam ein. Mit Dioxin entlaubte die Air Force etwa 40 der Wälder Vietnams.« Dass hier die Mittel das ursprünglich von der US-Regierung propagierte Kriegsziel eines Schutzes der südvietnamesischen Bevölkerung vor einer Okkupation durch den kommunistischen Norden ad absurdum führten, ist wohl nur schwerlich anzuzweifeln. Jane Fonda und Jon Voigt wurden für ihre Rollen jeweils mit einem Oscar ausgezeichnet. Betrachtet man zunächst die Veteranenfilme, zeigt sich, dass gerade Ende der 1970er Jahre eine Reihe kritischer Filme dieses Typus gedreht wurden. Martin Scorseses Taxi Driver (USA 1976), Michael Ciminos The Deer Hunter (Die durch die Hölle gehen, USA 1978) oder Hal Ashbys Coming Home (Coming home – Sie kehren heim, USA 1978) etwa stellen den Veteranen als physisch und psychisch lädierten Charakter in das Zentrum ihrer Erzählung. Den von den Kriegserlebnissen zutiefst traumatisierten und zerstörten Persönlichkeiten gelingt es nicht, in die Gesellschaft zurückzufinden, und am Ende ihres Weges stehen die Vereinsamung, der Selbstmord oder wie in Taxi Driver der Amoklauf des Protagonisten. Coming Home beispielsweise erzählt die Geschichte der Krankenschwester Sally, die sich in den querschnittsgelähmten Veteranen Luke verliebt. Als Sallys Ehemann Bob ebenfalls aus dem Krieg heimkehrt, ist dieser nicht in der Lage, seine Frau zurückzugewinnen. Bob stehen allein die Handlungsmuster des Soldaten zur Verfügung. Seine Unfähigkeit zur Kommunikation mit seiner Frau drückt sich darin aus, dass er sie mit vorgehaltener Waffe zur Rede stellen will. Als er aber einsehen muss, dass er den Konflikt mit Sally nicht mit Gewalt lösen kann, richtet Bob seine Aggression gegen sich selbst und geht schließlich ins Wasser. Luke dagegen gelingt es mit der emotionalen Unterstützung Sallys, seine körperliche Beschädigung seelisch zu überwinden. Die Frau erscheint hier nicht zuletzt als Heilerin einer männlich-militärischen Deformation. Coming Home verweist damit bereits auf einen Typus von Veteranenfilmen, der sich Mitte der 1980er Jahre zu etablieren beginnt. In Filmen wie Alan Parkers Birdy (USA 1984), David Jones’ Jacknife (USA 1989) oder Oliver Stones Born on the Fourth of July (Geboren am 198 199 10 9 Ich beziehe mich hier auf Krause/Schwelling (2002: 93ff), die im Zusammenhang mit Apocalypse Now (Francis Ford Coppola, USA 1979), Coming Home und The Deer Hunter vom Vietnamfilm der späten 1970er Jahre als »Ort der kollektiven Erinnerung« sprechen. Wenn man dem einzelnen Veteranenfilm auch nicht grundsätzlich vorwerfen kann, dass er sich mit der Darstellung des Heimkehrerschicksals ein Sujet sucht, das von der Darstellung der Kriegsereignisse und -folgen in Vietnam absieht, so ist die zu beobachtende Dominanz des Veteranenfilms innerhalb des Vietnamfilms US-amerikanischer Provenienz unter der Prämisse einer aufrichtigen und umfassenden Aufklärung doch äußerst fragwürdig. Eine strukturelle Ausnahme bietet hier allein das mit sechs Oscars gekrönte Anti-Kriegsdrama The Deer Hunter von Michael Cimino, indem es in einem Mix aus Combat- und Veteranenfilm, aus Ereignis- und Folgeschilderungen den Vietnamkrieg durchaus kritisch und über das eigene Leid hinausgehend zu beleuchten versucht. vierten Juli, USA 1989) steht die – wenn auch schmerzvolle – Überwindung des Kriegstraumas im Zentrum der Handlung. Am Ende des Films hat der Held dank der Familie, der Freundschaft und dank professioneller Hilfe oder wie bei Stone im Engagement für die Friedensbewegung seine körperlichen und seelischen Deformationen überwunden. In Born on the Fourth of July befreit sich nicht nur der Veteran selbst vom Trauma Vietnams, sondern in der nationalen Selbstanklage durch die Friedensbewegung scheint das ganze Land geläutert. Es geht offensichtlich nur darum, wie es im Dialog mehrfach heißt, sich die »Wahrheit« über den Krieg einzugestehen. Dass diese Wahrheit die Leiden der Kriegsgegner gänzlich verschweigt, scheint dabei aber kein Problem darzustellen, sondern vielmehr ein Strukturmerkmal des Veteranenfilms an sich zu sein, der nur das eigene Leid kennt, das Leid des vietnamesischen Kriegsopfers aber beständig ausblendet. Vor diesem Hintergrund erscheinen nicht nur die verklärenden Veteranenfilme der 1980er, sondern auch die Veteranenfilme der 1970er Jahre – bei all ihrer Kritik an den sozialen Folgen eines in der Retrospektive als sinnlos erscheinenden Kriegseinsatzes – doch zugleich als ›Orte eines kollektiven Verdrängens‹ der eigentlichen Schuld der USA, die man mit den an Genozid grenzenden Massenvernichtungen am vietnamesischen Volk auf sich geladen hat. Neben den Veteranenfilmen der späten 1980er Jahre, die über das Ereignis Vietnam hinaus auch dessen innenpolitische Folgen mehr zu ver- DER UNBEKANNTE FEIND: VIETNAM IM FILMISCHEN DISKURS CHRISTER PETERSEN Wenn sich John D. Bee allerdings im Fortlauf seiner Untersuchung dazu versteigt, die ersten beiden Rambo-Filme auf eine Stufe mit dem Was- The society that created Rambo and sent him to fight will not allow him to return. […] He is alone in the wilderness, a rejected and dissociated figure. Although he still has the skills of the warrior, he has returned from combat and wants to be recognized and accepted into the civilian environment. Even though he is being hunted and shot at, only one of his pursuers has died and that was accidental. Rambo wants to connect, but he is losing patience. (Bee 1999: 791) klären als zu erklären versuchen, kommt bereits in den frühen 1980er Jahren noch ein anderer Typus unkritischer Veteranenfilme auf. In diesen erfährt die Gewalt des Vietnamkrieges gleichsam im Nachhinein ihre Legitimation, indem der Krieg an der ›Heimatfront‹ erfolgreich fortgesetzt wird. Der heimgekehrte Veteran wird zum Rächer, der auf eigene Faust gesellschaftliche Missstände mittels des in Vietnam erprobten Verhaltens beseitigt: In The Exterminator (Der Exterminator, James Glickenhaus, USA 1980) beispielsweise vollzieht der Protagonist eine grausame Lynchjustiz, nachdem sein bester Freund von Gangstern beinahe getötet wird. Und der bekannteste Film dieses Typus, Ted Kotcheffs First Blood (Rambo, USA 1982) führt mit der Figur des John Rambo (Sylvester Stallone) einen hochdekorierten Veteranen vor, der sich mittels seiner in Vietnam perfektionierten Kampf- und Überlebenstechniken gegen die Privatarmee eines korrupten Sheriffs ebenso blutig wie erfolgreich zu verteidigen weiß. Tatsächlich grenzt sich der erste Teil der Rambo-Trilogie von einem gänzlich sorglosen Umgang mit den Veteranenschicksalen dadurch ab, dass First Blood – etwa im Gegensatz zu The Exterminator und seinem Sequel, The Exterminator II (Exterminator II, Mark Buntzman, USA 1984) – mit John Rambo einen gebrochenen Helden präsentiert, der nicht nur ein gewaltsamer Täter an seinen Verfolgern, sondern auch ein Opfer derselben sowie der US-amerikanischen Gesellschaft überhaupt ist: 200 201 11 Im Zuge der Operation Homecoming wurden kurz nach Abzug der US-Truppen aus Vietnam alle kriegsgefangenen US-Soldaten freigelassen. Wendet man den Blick von den Veteranenfilmen der 1980er Jahre zu den Combat-Movies dieser Zeit, zeigt sich in den Filmen, die den Militärkonflikt in Vietnam unmittelbar darzustellen suchen, ein neues Motiv – nämlich das der Befreiung von amerikanischen Kriegsgefangenen aus vietnamesischen Lagern. Die Fiktion dieser Rescue- oder Prisoner-OfWar(POW)-Movies, dass es noch Kriegsgefangene aus Vietnam zu befreien gäbe, ist nicht nur selbst eine Verfälschung historischer Daten, sondern trägt auch einen Plot, der die Historie auf den Kopf stellt. Ein stets einsamer Held überwindet hier mittels Guerilla-Taktiken einen übermächtigen Feind, indem er sich gerade nicht auf technische Hilfsmittel, sondern auf seinen Verstand, seinen gestählten Körper und seinen Überlebenswillen verlässt. Dabei wird er eins mit dem Dschungel, der ihm den perfekten Schutz vor seinen Gegnern bietet. The action in these films is hardly plausible, though it is entertaining [!] to watch. But Rambo’s various adventures […] are a device for delivering a more fundamental message, the message of the Vietnam Veteran Memorial: America betrayed her promise to her warriors. (Bee 1999: 794) hingtoner ›Vietnam Veterans Memorial‹ zu stellen, scheint er schlichtweg übersehen zu wollen, dass es in First Blood bei der recht stereotypen Kritik des Veteranen an einer ihn zurückweisenden (weil offensichtlich die Niederlage in Vietnam verdrängen wollenden) Gesellschaft doch vor allem darum geht, dem »Geduldverlust« des Helden und der daraus resultierenden Action eine vordergründige Legitimation zu verschaffen. Der sich um das Veteranenmotiv spinnende Plot dient letztlich als ein Vehikel der die Schaulust des Publikums bedienenden Gewaltdarstellungen. Und auch Bee muss – gerade dort, wo er zum finalen Vergleich zwischen Rambo-Filmen und Veteranen-Denkmal ausholt – den vordergründigen ›Schauwert‹ der Filme einräumen: DER UNBEKANNTE FEIND: VIETNAM IM FILMISCHEN DISKURS CHRISTER PETERSEN In Rambo – First Blood Part II (Rambo II – Der Auftrag, George Cosmatos, USA 1985) kämpft sich der Titelheld, nachdem er beim Absprung über Vietnam fast seine komplette Ausrüstung verloren hat, nur mit einem Messer und einem Bogen bewaffnet ins feindliche Lager und mit den Gefangenen wieder heraus. Damit kann er nicht nur gleichsam im Nachhinein den verlorenen Krieg doch noch gewinnen, er gewinnt ihn mit Methoden, die – wenn überhaupt – dem Vietcong zugeschrieben werden müssten, und zwar als ein David, der einen hochtechnisierten Goliath mit nur einfachstem militärischem Aufwand, einem übermenschlichen Überlebenswillen und einer optimalen Anpassung an die natürlichen Gegebenheiten überwindet. Dass in Wirklichkeit die US-Streitkräfte es trotz ihrer kriegstechnischen Überlegenheit zwar geschafft haben, den Feind millionenfach zu töten, ganze Landstriche mit Napalm zu verbrennen und mit ›Agent Orange‹ zu vergiften, es den USA aber trotzdem nicht gelungen ist, den Krieg zu gewinnen, soll hier offensichtlich vergessen gemacht werden. Auch scheint es kein zufälliges dramaturgisches Mittel, dass Colonel Braddock (Chuck Norris), dem Helden von Missing in Action II – The Beginning (Lance Hool, USA 1985), von seinem nordvietnamesischen Gegenspieler vergeblich das Schuldeingeständnis begangener Kriegsverbrechen abgepresst werden soll. Wenn es nämlich für Braddock keine Schuld einzugestehen gibt, sondern diese allein dem Gegner zugeschrieben werden kann, scheint der Film nicht nur die intradiegetische Position seines Helden, sondern die Botschaft des POW-Movies überhaupt zu formulieren: Die US-Soldaten werden filmisch zu alleinigen Opfern des Krieges stilisiert und My Lai und andere amerikanische Kriegsverbrechen haben niemals stattgefunden oder sollen zumindest aus dem öffentlichen Diskurs verbannt werden. Dass es in den Combat-Movies der frühen 1980er Jahre zu einer solchen patriotisch gefärbten Verzerrung der bist dato allgemein akzeptierten historischen Fakten kommen konnte, scheint vor allem durch zwei Umstände begünstigt: Zum Ersten wenden sich gerade die POW-Movies als Subgenre des Action-Films weniger an eine kognitive als an eine emotive Rezeption des Zuschauers. Sie appellieren mit ihrer hohen Schnittfrequenz, ihrer ausgeprägten Kamerahandlung sowie der extensiven Dar- 202 203 stellung von Gewalt an die Schaulust des Rezipienten. Dass die ›Gewalt dieser Bilderfluten‹ vereinfachende und verfälschende Aussagen in besonderem Maße begünstigt, scheint offensichtlich. Zum Zweiten fallen die Filme in die Zeit der Präsidentschaft Ronald Reagans. Der Republikaner Reagan war 1981 mit einer Politik der neuen Stärke angetreten, die außenpolitisch an den militanten Antikommunismus der 1950er Jahre anknüpfte, indem in der UdSSR – Originalton Reagan – »das Reich des Bösen« ausgemacht wurde (Reinecke 1993: 56). Die neuerliche Lokalisierung einer äußeren Bedrohung durch den Kommunismus und die innenpolitische Wiederherstellung einer nationalen Identität im Kampf gegen denselben führten zu einer Verdrängung des Ereignisses Vietnam. Die von der Friedens-, Bürgerrechts- und Studentenbewegung getragene Phase nationaler Selbstanklage und gesellschaftlicher Erneuerung der 1970er Jahre wich so unter der Reagan-Administration einer Phase nationaler Restauration sowie eines politisch verzerrten Geschichtsbildes – auch in den Kinos. Allerdings brachten die späten 1980er Jahre – mit dem Ausklingen der zweiten und letzten Amtszeit Reagans – auch einige Combat-Movies hervor, die versuchten, sich dem Thema Vietnam aufklärerisch anzunähern. Zwei der bekanntesten sind das mit vier Oscars gekrönte Kriegsepos Platoon (USA 1986) von Oliver Stone und Full Metal Jacket (USA, GB 1987) des Wahlbriten Stanley Kubrick. Beide Filme greifen eine Tradition des kritischen Combat-Movies wieder auf, die in den späten 1970er Jahren mit Francis Ford Coppolas ebenfalls Oscar gekürtem Antikriegsfilm Apocalypse Now (USA 1979) begründet wurde. Bevor die drei Filme vor dem Hintergrund der Frage nach einer bloß intendierten, im Gegensatz zu einer tatsächlich gelungenen Kritik am und Aufklärung über den Vietnamkrieg analysiert werden sollen, sei noch auf einen anderen Film eingegangen – und zwar The Green Berets aus dem Jahre 1968 unter der Regie von Ray Kellogg und John Wayne, in der Hauptrolle John Wayne, produziert ebenfalls von John Wayne und seinem Sohn Michael Wayne. Dieser Film kann gerade in seiner augenscheinlich propagandistischen Intention als eine Gegenfläche zu den anderen drei Filmen fungieren. DER UNBEKANNTE FEIND: VIETNAM IM FILMISCHEN DISKURS 215 Full Metal Jacket zeichnet sich aus durch Dominanz der Struktur über die Narration: Relative Autonomie der Einzelszenen, dokumentarisch anmutende Bilderfolgen, TV-Live-Bildern nachempfundene Kameraarbeit, der Einsatz der Handkamera, direktes ›in die Kamera Sprechen‹ der Schauspieler, lange Einstellungen und Kamerafahrten, Blau- und Rotfärbung der Szenerie sowie überlaut eingespielte Pop-Songs […] und leitmotivisch eingesetzte Originalmusik akzentuieren die Künstlichkeit der Cinema-Bilder. (Wende 1999: 1084f ) Stanley Kubricks acht Jahre nach Apocalypse Now erschienener Vietnamfilm Full Metal Jacket teilt mit Coppolas Film neben seinem kritischen Anspruch auch sein selbstreflexives Moment. Wenn in einer Szene von Full Metal Jacket die GIs direkt in das Objektiv der zur Fernsehkamera der Kriegsberichterstattung gewordenen Filmkamera schauen und einer von ihnen ruft: »This is Vietnam, the movie« (77:09), weist sich Kubricks Film als hochgradig selbstreflexives Werk über einen »Krieg der Bilder« aus (Wende 1999: 1078), der längst auch das Kino erfasst hat. In seiner rekurrenten Medienkritik – primär dargestellt anhand der Figur des für das militärische Propagandaorgan Stars and Stripes arbeitenden Kriegsberichterstatters »Joker« – und in seinem offen zur Schau gestellten Artefaktcharakter intendiert der Film niemals eine realistische Abbildung des Vietnamkrieges, sondern bleibt immer als ein ebenso künstlerisches wie selbstreflexives Statement über den Krieg erkennbar: Full Metal Jacket oder Der Krieg der Zeichen und Bilder von rasanten Schlachtszenen und halluzinatorischen Bilderfluten jeden Realismus oder Dokumentarismus leugnet. Apocalypse Now behauptet nicht, die Realität des Krieges darzustellen, und scheint doch gerade dort, wo der Film seine eigene Fiktionalität transparent macht, der Realität des Films als Zeichen eines niemals präsenten realen Signifikats am nächsten zu kommen. Die kritische Haltung von Apocalypse Now manifestiert sich also auch – wenn nicht sogar vorrangig – auf einer selbstreflexiven Ebene der Thematisierung der eigenen medialen Bedingtheit. DER UNBEKANNTE FEIND: VIETNAM IM FILMISCHEN DISKURS CHRISTER PETERSEN 15 Siehe hierzu Raeithel (1999), der in einem Überblick über elf Bände mit Vietnamkriegsfotografien unter anderem auch Beispiele für die im Film zitierten Motive bietet. Verstärkt wird dieser Effekt noch durch die Verweigerung von Identifikationsfiguren, die lineare Erzählweise einer strikt chronologischen Szenenfolge, in der »der Film in seine Einzelteile zu zerfallen« scheint (Reinecke 1993: 106), sowie seine ästhetische Ausrichtung etwa auf symmetrische Bildkompositionen. Ein Filmrealismus scheint damit gänzlich unterlaufen sowie ein unreflektiertes Einfühlen des Zuschauers in die Charaktere von vornherein unterbunden. Und der Film selbst weist sich als eine gleichermaßen distanzierte wie rationale »Analyse des Phänomens Krieg« aus (Wende 1999: 1078). Ein Blick auf das in Full Metal Jacket Dargestellte belegt gerade die selbstreflexive Distanziertheit des Films gegenüber seinem Sujet. Wo Full Metal Jacket sich nämlich auf eine ›Realität des Vietnamkrieges‹ zu beziehen scheint, zitiert der Film vielmehr die Bilder der Kriegsberichterstattung, anstatt selbst ein Bild vom Krieg zu zeichnen. Zwar rekurriert er nicht auf allzu bekannte Motive wie das napalmverbrannte Mädchen Kim Phúc, die Opfer des My Lai-Massakers oder die Erschießung eines Verdächtigen durch den südvietnamesischen Polizeichef. Jedoch verweist der Film in den Szenen um einen aus seinem Helikopter auf vietnamesische Zivilisten schießenden GI (59:06), um die als ›Maskottchen‹ einer Einheit missbrauchte Leiche eines nordvietnamesischen Soldaten (69:02) oder um die Massengräber vietnamesischer Kriegsopfer (63:38) ebenso eklektisch wie kommentarlos auf die aus der Kriegsberichterstattung bekannten Zeichen der Verrohung. Die wieder ins Bewusstsein des Publikums gerufenen Pressebilder sprechen dabei für sich selbst und gegen die sinnlose Brutalität eines Krieges jenseits jeder moralischen oder militärischen Legitimation: Alles, worum es im Vietnamkrieg letztlich zu gehen scheint, ist – wie Joker am Ende des Films weiß – das nackte Überleben: »I’m in a world of shit, yes. But I am alive« (110:17). Wie Joker zu dieser Ansicht gelangt, führt Kubrick in der Darstellung der militärischen Ausbildung in der ersten Hälfte und des Vietnameinsatzes der ausgebildeten Soldaten in der zweiten Hälfte von Full Metal 216 217 17 16 Full Metal Jacket hat eine Gesamtlänge von 116 Minuten. Die Korrelation von Sexualität und Gewalt ist im Werk Stanley Kubricks ein rekurrentes Motiv, das Kubrick gerade in Szenen der Darstellung einer Eskalation der Gewalt immer wieder benutzt. Man denke etwa an die Ermordung der Cat Lady mit einer überdimensionalen Phallus-Skulptur in A Clockwork Orange (USA 1971) oder an Major Kongs finalen ›Ritt‹ auf der Atombombe in Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb (USA 1964). Siehe hierzu Petersen (2001: 102f ). Jacket vor. Die ersten 5l Minuten des Films begleiten eine Gruppe von Marine-Rekruten, die schrittweise einem System militärischer Ordnung unterworfen werden. Der Entindividualisierung mittels einer »äußeren Gleichmachung« (Wende 1999: 1079) durch die Uniformierung und das Kahlscheren (00:20) folgt eine Gehirnwäsche, die eine »Auslöschung der Persönlichkeit« (Reinecke 1993: 104) der Rekruten zum Ziel hat. Sie bekommen von ihrem Ausbilder Sergeant Hartman nicht nur neue Namen verpasst, sondern werden – über ein »yes sir« hinaus weitgehend zum Schweigen verurteilt – einem nicht enden wollenden Trommelfeuer von Anweisungen, Befehlen und Beschimpfungen ausgesetzt. Die Instruktionen wie das fortwährende Exerzieren zielen auf ein Aufgehen des einzelnen Soldaten im Corps und in der Ordnung der Marschformation. Die Beschimpfungen zielen auf eine Ausgrenzung dessen, was von Hartman als nicht-militärisch und weiblich diffamiert wird. Positive Emotionen wie etwa das Mitleid, das Joker für Private Pyle aufbringt, werden gezielt zerstört. Stattdessen schürt Hartman die Aggression gegen den Feind und koppelt diese an eine brutalisierte Sexualität: Das Gewehr wird zur »Braut«, mit der die Rekruten das Bett teilen müssen (10:04), und in einem der soldatischen Chorgesänge heißt es: »This is my rifle [die Rekruten richten ihr Gewehr in die Höhe], this is my gun [sie fassen sich in den Schritt], one is for killing, the other for fun« (12:39). Eine Gefährdung der militärischen Ordnung stellt der von Hartman so genannte »Private Paula« (Private Leonard Pyle) dar. Ständig lächelnd, körperlich nicht in Form und mit dem Gemüt eines Kindes ausgestattet, muss sich gerade an »Paula«, der für Hartman (selbst ›harter Mann‹) nicht nur namentlich das ›Weiblich-Schwache‹ repräsentiert, der militärische Drill beweisen. Pyle ist von Anfang an »das fremde Element in der Geometrie des [militärischen] Terrors« (1993: 107), und es gelingt auch DER UNBEKANNTE FEIND: VIETNAM IM FILMISCHEN DISKURS CHRISTER PETERSEN 18 Auch kann bereits der Selbstmord Pyles als ein In-Frage-Stellen der ›militärischen Ordnung‹ gelesen werden, da Pyle damit der militärischen Gerichtsbarkeit, die seinen Mord an Hartman wohl mit dem Tod bestraft hätte, nicht nur zuvorkommt, sondern sich ihr ausdrücklich entzieht. nicht, ihn in die totale Ordnung der Truppe zu integrieren. Am Ende der Ausbildung erschießt der unter dem psychischen Druck zerbrochene Pyle sich und seinen Ausbilder Hartman. Hätte der bloße Selbstmord Pyles das militärische System noch bestätigt, indem mit Pyles Tod gerade die durch den Rekruten vertretenen ›schwachen‹ und ›unmännlichen‹ Attribute gewaltsam getilgt werden, so bedeutet sein Amoklauf dagegen gleichsam »eine Implosion der Militärmaschine, deren Gewalt sich gegen sie selbst richtet« (1993: 105). Mit Pyles Tat wird das (Ausbildungs-)Ideal einer militärischen Ordnung, in die sich der einzelne Soldat perfekt einfügen soll, bereits in Frage gestellt. Im konkreten Vietnameinsatz scheint diese schließlich gänzlich ad absurdum geführt. Gleich zu Beginn wird Joker, dem die Narration an den Kriegsschauplatz folgt, von einer Prostituierten bestohlen. Der Verbündete ist wie in Apocalypse Now auch in Full Metal Jacket nicht vom Gegner unterscheidbar. Zwar gibt Joker sich vielwissend und zynisch: »Half of these gook whores are officers in the Vietcong the other half have TB. Be sure you get only the ones who cough« (47:16). Dass Joker bzw. dem ihn begleitenden Fotoreporter aber gerade die Kamera gestohlen wird, verweist metonymisch auf die Unfähigkeit der USSoldaten, sich von einer Welt, die vor allem eines nicht ist: nämlich geordnet, ein Bild zu machen und sich in ihr zurecht zu finden. Augenscheinlich wird das in der letzten Szene des Films (91:32). Als das Squad, dem sich Joker angeschlossen hat, in einen Hinterhalt gerät – man hat zuvor bereits jede Orientierung über den Aufenthaltsort verloren (90:29) –, bricht in der Truppe das Chaos aus. Die Kommandostrukturen lösen sich auf und die Soldaten werden der Reihe nach von einem Scharfschützen erschossen. Die militärische Ordnung bricht also gerade in dem Moment zusammen, als sie sich im konkreten Kriegseinsatz legitimieren soll. Moralisch mehr als fragwürdig und durch den Amoklauf Pyles bereits in ihrer Zweckhaftigkeit beschädigt, wird die mi- 218 219 19 Siehe dazu Michael Strübel (2002b: 45), der Full Metal Jacket als Antikriegsfilm, der in seinem zweiten Teil zum Kriegsfilm wird, zu beschreiben versucht: »Am Ende gehen die GIs, nach erfolgreich verrichteter Arbeit [allerdings wurde das halbe Squad liquidiert, bevor man die Scharfschützin stellen kann], gemeinsam singend – und zwar ohne jedweden ironischen Unterton [sie singen das Lied des Mickey-Mouse-Clubs!] – der untergehenden Sonne entgegen [die Sonne ist bereits untergegangen, und das rote Licht wird von den brennenden Ruinen der Stadt erzeugt]. Nach diesem Schluss kann der erste Teil des Films apologetisch-unkritisch als notwendige Vorbereitung auf ein erfolgreiches Soldatentum hin interpretiert werden und als Selektion der Elite, die bis zum Schluss durchhält.« litärische Ausbildung und mit ihr der gesamte Vietnameinsatz zu einem von jedem pragmatisch militärischen Sinn entkoppelten Selbstzweck. Und wenn sich – gleichsam als Pointe des Films – der Scharfschütze als eine junge Frau entpuppt, stellt das die gänzliche Tilgung der Militärphilosophie dar: Man erliegt letztlich dem so zwanghaft verdrängten weiblichen Prinzip, das sich als ebenbürtig und sogar überlegen erweist, genauso wie man in einem Krieg unterliegt, den man weder verstehen noch kontrollieren kann. Die kritische Position des Films gegenüber dem Vietnameinsatz ist (wenn auch gelegentlich missverstanden) eindeutig. Zwar zeigt der Film, wie Gebhard Hölzl und Matthias Peipp zu Recht anmerken, nur mittelbar das Leid der vietnamesischen Bevölkerung, auch zeichnet Full Metal Jacket »kein differenzierteres Bild der gegnerischen Seite als seine Vorgänger« oder »arbeitet die politische Situation des Vietnamkrieges auf« (1991: 132), jedoch gelingt Kubrick in seinem Werk eine ebenso grundsätzliche wie analytisch-distanziert präsentierte Abrechnung mit einer imperialistischen (Militär-)Ideologie, die jede Realität des Feindes verkennt und letztlich im moralischen Nihilismus der entfesselten Gewalt des Krieges zu ihrem eigentlichen Wesen gelangt. Full Metal Jacket ist damit in seiner Kritik am Vietnamkrieg wie am Krieg überhaupt ebenso radikal wie Apocalypse Now und geht in seiner selbstreflexiven Darstellung des Vietnamkrieges als einem Krieg der Zeichen und Bilder sogar noch über seinen Vorgänger hinaus. Dass das außerdem nichts mehr mit der Propaganda eines John Wayne und Ray Kellogg zu tun hat, ist offensichtlich. Vielmehr rekurriert Full Metal Jacket explizit auf The Green Berets. In den Kommentaren, die DER UNBEKANNTE FEIND: VIETNAM IM FILMISCHEN DISKURS CHRISTER PETERSEN Fazit: Krieg ohne Gegner Als Platoon 1986 aber mit großem finanziellem Erfolg in den amerikanischen läuft, stößt er invon denseinen folgenden Jahren bis einezum Welle ihrem Der Blick Kinos auf den Vietnamfilm Anfängen Ende der Anspruch nach Vietnamkriegsfi NebenUSder Semi1980er Jahre hat realistischer vor allem eines gezeigt: In lme den an. meisten Dokumentation Produktionen Dear America. Letters Home fromeher Vietnam (Bill amerikanischen wird der Vietnamkrieg verklärt Couturie, USA 1987), die Die Texte aus Briefen von Vietnamveteranen mit als kritisch aufgearbeitet. starke Fokussierung auf den Fernsehbildern, Privatfotos und Homevideos der GIs zu einer filmischen Kriegsheimkehrer trägt Ich schrieb die Geschichte […] genau wie ich mich an sie erinnerte. Nur wollte die Geschichte dann niemand verfilmen. Sie war ihnen zu hart, zu deprimierend, zu grausam. Ich begrub sie also, meine Geschichte, und fand mich damit ab, daß die Wahrheit über den Krieg in den USA niemand sehen würde, weil sie niemand sehen wollte, konnte. (Zit. nach Hölzl/Peipp 1991: 111) Einen wieder anderen Weg als Apocalypse Now und Full Metal Jacket schlägt Oliver Stone mit seinem Vietnamdrama Platoon ein. Von Stone so gemeint und von Publikum und Kritik so auch begeistert aufgenommen galt Platoon – nicht zuletzt weil Drehbuchautor und Regisseur Stone selbst 18 Monate in Vietnam eingesetzt war – als der »erste wirklichkeitsgetreue Vietnamfilm«. Während laut der zeitgenössischen Presse »die anderen Filme aus Hollywood […] die Geschichte vergewaltigt« haben, ist Platoon »historisch sorgfältig und politisch richtig« (zit. nach Reinecke 1993: 120). Und Stone selbst fügt hinzu: Platoon oder Die Dissimulation des Realen »Is this you, John Wayne? Is this me?« – »Start the cameras: This is Vietnam, the movie.« – »If Joker is John Wayne, I’m a horse!« […] – »I’ll be General Custer« – »Who’ll be the Indian?« – »Well, let the gooks play the Indians.« (77:05) die Soldaten von Jokers Squad nacheinander in die Fernsehkamera der Kriegsberichterstatter rufen, nehmen diese – und mit ihnen der Film selbst – ironisch auf die Wayne’sche Propaganda gerade in ihrer absurden Stilisierung des Vietnamkrieges zum Western Bezug: 220 CHRISTER PETERSEN dazu nicht unwesentlich bei, wird doch in den Veteranenfilmen der späten 1980er Jahre am Heimkehrer synekdochisch für die ganze Nation eine Überwindung des Kriegstraumas bebildert oder in den frühen 1980er Jahren der Heimkehrer sorglos als ein ›Rächer‹ inszeniert, der den Krieg an der ›Heimatfront‹ erfolgreich zu Ende führt. Auch die kritischen Veteranenfilme der späten 1970er Jahre, die von der körperlichen und psychischen Zerstörung der eigenen Soldaten berichten, verdrängen letztlich doch nur ein anderes Ereignis, indem sie das Leid der vietnamesischen Kriegsgegner von vornherein ausblenden. Man verhandelt lieber das eigene Leid und stilisiert sich so zum eigentlichen Opfer eines in der filmischen Darstellung stets absenten Krieges. Das Combat-Movie, das sich dem Kriegsschauplatz und mit ihm einer umfassenden Darstellung des Vietnamkrieges eigentlich annähern sollte, weiß die Kriegsereignisse im POW-Movie dagegen nicht nur zeitlich zu umgehen. Der nach dem Krieg situierte Plot macht vielmehr eine Stilisierung des GIs zum alleinigen Opfer des Krieges möglich und lässt die Millionen vietnamesischer Opfer gleichsam hinter der kinematografischen Fiktion kriegsgefangener US-Soldaten verschwinden, die es aus den Fängen ihrer Folterer zu befreien gilt. Bis dato allgemein anerkannte historische Fakten scheinen hier filmisch korrigiert, indem Verlierer zu Gewinnern des Krieges gemacht werden und ein – an seinen ursprünglichen Zielen gemessen – unsinniger Krieg im Nachhinein als legitim erscheint. Dies steht einer Weltkriegspropaganda, wie sie mit The Green Berets in den 1970er Jahren zumindest für den Vietnamfilm überwunden schien, in kaum etwas nach. Den ihrem Anspruch nach authentischen oder realistischen Combat-Movies der späten 1980er Jahre will es ebenfalls nicht gelingen, ein aufklärerisches Bild vom Vietnamkrieg zu zeichnen. Wie sehr Stone in Platoon mit der Fiktionalisierung des My Lai-Massakers gerade die Brutalität gegen die vietnamesische Seite – wenn wohl auch eher fahrlässig als mutwillig – verschleiert, sei abschließend nochmals an einer Überlegung Jean Baudrillards zum Watergate-Skandal im Jahre 1973 verdeutlicht. Baudrillard beschreibt Funktion und Auswirkung Watergates folgendermaßen: 226 227 25 24 Vgl. hierzu Lt. Gen. William Peers’ (1979) Dokumentation und Auswertung des My Lai-Prozesses. Siehe hierzu Marc Freys historische Darstellung des Vietnamkrieges, in der es explizit heißt: »Das My Lai-Massaker war ein Einzelfall« (2000: 164). Es wurde also – den Gedanken Baudrillards ausführend – mit Watergate nicht wirklich etwas aufgedeckt, sondern vielmehr etwas vertuscht: nämlich der Umstand, dass die Politik nicht nur unter der Nixon-Administration, sondern grundsätzlich von einer Absenz der Moral bestimmt ist. Auf das My Lai-Massaker und dessen öffentliche Anprangerung in den Medien übertragen liest sich das folgendermaßen: Die Öffentlichmachung des Massakers und der folgende Prozess (selbst ein ›Skandal‹ im Freispruch der Mehrzahl der involvierten Offiziere) haben weder die Gerechtigkeit wiederhergestellt noch die Militärgewalt der USStreitkräfte angeprangert, sondern nur vertuscht, dass es im Vietnamkrieg niemals eine Gerechtigkeit (auch keine mediale) gegenüber den vietnamesischen Opfern gegeben hat und dass das My Lai-Massaker eben kein Einzel- und Ausnahmefall war. Wie weit das Ausmaß der systematischen Vernichtung in Wirklichkeit wohl über den ›Ausnahmefall‹ des Medienereignisses My Lai hinausgegangen sein mag, deutet sich in der Existenz des von der US-Regierung 1968 genehmigten ,Phoenix-Programms‹ an: Unter Anleitung der CIA durchforsteten mit Erfolgsprämien ausgestattete Söldnertrupps bis zum Kriegsende systematisch vietnamesische Dörfer. Dabei folterten und ermordeten sie »Verdächtige und ausgemusterte Kollaborateure. Die Zahl der Ermordeten wird auf 20.000 geschätzt« (Raeithel 19:765). Die öffentliche Anprangerung eines Skandals ist stets eine Huldigung an das Gesetz. Und mit Watergate ist es vor allem gelungen, den Eindruck zu erwecken, daß es tatsächlich einen Skandal gegeben hat […]: früher bemühte man sich einen Skandal zu dissimulieren – heute bemüht man sich zu verbergen, dass es keiner ist. Watergate ist kein Skandal – das gilt es auf jeden Fall festzuhalten. Watergate war nur […] die Simulation eines Skandals mit dem Ziel der Wiederherstellung der Moral. (Baudrillard 1978: 26ff) DER UNBEKANNTE FEIND: VIETNAM IM FILMISCHEN DISKURS CHRISTER PETERSEN Damit wird deutlich, dass Platoon selbst mit einem ›aufrichtigen Realismus‹ der schonungslosen Darstellung des My Lai-Massakers noch weit hinter der Realität der Gewalt zurückgeblieben wäre und dass filmische Authentizitätsstrategien, die auf der selbst fragwürdigen ›Wahrheit‹ der Kriegsberichterstattung oder der subjektiven Sichtweise amerikanischer Zeitzeugen beruhen, kaum in der Lage scheinen, das Ausmaß der kriegerischen Vernichtung zu erfassen. Darum können am Ende allein Filme wie Francis Ford Coppolas Apocalypse Now und Stanley Kubricks Full Metal Jacket einem kritischen Anspruch genügen. Zwar klären auch diese Filme nicht über das ganze Ausmaß der Vernichtung im Rahmen des Vietnameinsatzes auf. Indem sie aber von vornherein jede Authentizität leugnen und stattdessen auf einer filmischen Metaebene sich selbst als kinematografische Zeichen des Krieges ebenso selbstreflexiv wie medienkritisch diskutieren, gelangen sie zu einer generellen und parabelhaften Kritik nicht nur am Vietnamkrieg, sondern am Krieg an sich, der militärischen Ausbildung und der Zwangsläufigkeit einer Eskalation kriegerischer Gewalt. Eines jedoch können und wollen auch diese Filme nicht leisten, nämlich eine vietnamesische Opferperspektive einzunehmen und abzubilden. So bleibt auch hier der Vietnamkrieg am Ende ein Krieg ohne tatsächliche, sprich: filmisch erfahrbare, vietnamesische Gegner und Opfer. Dass Apocalypse Now und Full Metal Jacket, indem sie aber zumindest filmimmanent das Unverständnis der USA gegenüber ihrem Gegner kritisieren, immer noch weit über das hinausgehen, was der amerikanische Film in der Breite an Vietnamaufarbeitung bisher zu leisten in der Lage war, belegt auch ein Blick auf neuere Vietnamfilme US-amerikanischer Produktion, wie etwa Tigerland (Joel Schumacher, USA 2000), Green Dragon (Timothy Linh Bui, USA 2001) oder We Were Soldiers (Wir waren Helden, USA 2001). In letzterem setzt Regisseur und Hauptdarsteller Mel Gibson – wenn auch kameratechnisch und akustisch brillant – wieder einmal den Heldenmut und die Opferbereitschaft der eigenen Leute stereotyp in Szene. Der vietnamesische Gegner wird dagegen nicht zum ersten und wohl auch nicht zum letzten Mal zum bloßen ›Statisten der Geschichte‹ degradiert. 228