Nordtörn
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Nordtörn
„Lucky mushroom“ Ein Segeltörn in nordischen Gewässern. 13. Mai bis 18. August 2009 Skipper: Viktor Mayer Navigator: Heiner Scherer Der Streckenplan. Aufgezeichnet mit dem GPS Trip Recorder i-Blue 747, Auswertung mit Google Earth. -2- Tag 1, Montagvormittag, 13.05. 2009 10.00 Uhr Auf dem Zufahrtsweg zum Weberbauer steht ein für diese Gegend seltsames Gefährt. Ein kleiner Sattelschlepper mit einem Segelboot. Das Boot, eine schwedische Albin Delta, 10 Meter lang und 3 Meter breit hat den bezeichnendem Namen „Glückspilz“. Daneben ein kleines Grüppchen Leute. Bootseigner und Skipper Viktor (70), der Seniorchef eines kleinen Straßenbauund PflästereiAuf dem Weg zum Weberbauer in Kandern Betriebes mit Ehefrau, Schwiegertochter und Enkel. Dazu noch der Chronist Heiner (57), ein ehemaliger Computerspezialist, der von seiner Firma mit Taschengeld für die nächsten 10 Jahre versehen, schon vor 4 Jahren entlassen wurde. Helga, seine Frau, hat die „MonCherry“ die sie den beiden zum Abschied als „Nervennahrung“ noch schenken wollte, Zuhause vergessen. Das Boot wird in den nächsten 3 Monaten für Viktor und Heiner das schwimmende Zuhause sein. Küsschen und tschüss, keine Abschiedsszene. Als wenn die beiden mal eben an den Bodensee fahren würden, verabschiedet sich das seltsame Gefährt in Richtung Riedlingen. Danach folgt Autobahn …., Autobahn …., Autobahn …., nordwärts. Ich habe extra meinen Führerschein - der geliebte alte graue Lappen - auf einen neuen Euro-Führerschein CE79 umschreiben lassen, damit ich den Sattelzug mit 9,9t fahren darf. Die Vorgeschichte dazu ist Abenteuerlich. Erst nach monatelangem Hin und Her mit den Behörden Polizei, Landratsamt, Zulassungsstelle und TÜV wurde mir bestätigt, dass ich mit diesem Schein einen Sattelzug bis 12t fahren darf. Nun sitze ich zum ersten Mal in meinem Leben am Steuer eines Sattelzuges. Tanken und Kaffee trinken, tanken und Kaffee trinken, ……. Irgendwann in den frühen Morgenstunden sind wir nach 1030km in Kappeln an der Schlei und schlafen den Rest der Nacht im Boot. -3- Tag 2. Am Vormittag wird das Boot ins Wasser gelassen und der Mast gesetzt (Einkranen). Danach wird das Boot seeklar gemacht. Dabei erfahren wir die erste unliebsame Überraschung. Eine Rolle mit 100 Meter Schwimmleine, die an der Reling festgemacht war, fehlt. Die Halterung ist abgebrochen und die Rolle liegt irgendwo auf der Autobahn zwischen Müllheim/Baden und Neumünster. War das der Grund, warum ein Brummifahrer irgendwann nach Frankfurt uns wild gestikulierend und hupend überholt hat? Die Schwimmleine wird für den Rettungsring benötigt und ist deshalb für uns Lebensnotwendig. Der Ersatz reißt ein bedrohliches Loch von 200€ in unsere Bordkasse. Tag 3. Heute soll es weiter gehen, aber Regen und böiger Ostwind mit 7 – 8 Bf. gegenan Richtung Kiel! Das tun wir uns am ersten Tag doch nicht an. Dazu werden wir in den nächsten 3 Monaten noch genügen Möglichkeiten haben. Also machen wir uns zusammen mit unserem Gast Jürgen, der uns bis Dover begleitet, einen ruhigen Tag. Viktor und Jürgen bunkern noch frische Lebensmittel und ich beschäftige mich mit der Navigationselektronik. Schon beim ersten Test eine weitere böse Überraschung. Der Touchscreen-Monitor für den Navigations-PC ist defekt. Den hatte ich extra gekauft, damit wir auch bei Schwerwetter am Ruder stehend auf den Plotter sehen können. Also zur Post und mit DHL zurück zum Hersteller. In Glasgow kommt ein neuer Gast aus der Heimat an Bord. Bis dahin muss der Bildschirm repariert wieder in Kandern sein. Skipper Viktor, Chronist Heiner und Segelgast Jürgen in Kappeln an der Schlei -4- Tag 4, Am Donnerstag 16. Mai Geht es dann bei immer noch regnerischem Wetter und ohne Wind los. In der Kieler Buch kommt dann aber die Sonne heraus und wir segeln die letzten Meilen zur Schleuse Holtenau. Nach dem Anlegen gehen wir in die Kneipe „Am Berg“ in Holtenau, die wir vor 2 Jahren schon besucht hatten. Die Wirtin war uns von unserem Besuch vor 2 Jahren wegen ihrer „trockenen Sprüchen“ und dem reichlichen und guten Essen noch in guter Erinnerung. Sie hat uns doch tatsächlich wieder erkannt. Südbaderner mit ihrem schweizer Dialekt sind halt selten zu Gast in Marine-Ehrenmal Labö Holtenau. Tag 5. Sonntagmorgen um halb 7 legen wir ab zum schleusen. Die Fahrt durch den NordOstseekanal ist für uns schon fast Routine. Unser Gast Jürgen fährt zum ersten Mal den „KielChannel“, wie er international genannt wird. Er bestaunt die riesigen „Ozeandampfer“, die bedrohlich nahe an uns vorbeiziehen. Die Fahrt dauert 9 Stunden. Der einzige, der heute arbeiten muss, ist „Gusti“, unser Autopilot. Ich habe endlich Zeit, meine 4-monatige Vorbereitung mit dem Navi-PC zu testen. Aber es funktioniert fast nichts so wie es im fernen Schwarzwald theoretisch geplant wurde. Den Touchscreen-Monitor, der als Plotter und Bedienungsgerät fungieren sollte, habe ich in Kappeln schon zur Reparatur wegschicken müssen. Als Perfektionist habe ich natürlich für (fast) alles noch einen „Plan B“, in ganz wichtigen Punkten sogar einen „Plan C“ ausgearbeitet. Das vorbereitete Navigationsprogramm „MaxSea“ ist ja eine richtige „eierlegende Wollmilchsau“. Nach längeren Konfigurationsversuchen Wetter-, Strom- und Tiedendaten am Navi-PC funktionieren Navigation, Tiedenplan, Stromplan und die Anzeige der Wetterdaten. Das „Sahnehäubchen“ aber, die Anzeige anderen Schiffe auf der Navigationskarte mittels AIS-Daten verweigert das Programm auch nach stundenlangem Umkonfigurieren und Neuinstallation standhaft. In Brunsbüttel recherchiere ich in einer Internetkneipe die Ursache und stelle fest, dass ein weiterer (teurer) Programmkey fehlt. Also „AIS Plan B!“ Obwohl Sonntagabend ist, bekomme ich innerhalb von 30 Minuten einen Key-Code für das vorbereitete Programm „Yacht-AISPro“. Ein Hoch dem „Internet-Buying“ und weitere 100€ fehlen in der Bordkasse. Schleuse Brunsbüttel mit Plotterprogramm Maxsea -5- Viktor inspiziert nach 9 Stunden Kiel - Dover „motoren“ routinemäßig den Motor. Seine finstere Mine verrät: „Der läuft auch nicht nach Plan A!“ Er hatte den Motor extra für den Törn ausgebaut und überholen lassen. Nun fehlen nach nur 12 Betriebsstunden schon 1 Liter Motorenöl! Wenn wir regelmäßig Öl nachfüllen ist das noch Auskunft des Motorspezialisten für den Motor nicht schädlich. Die Dieselstunde kostet nun aber statt den geplanten 1,30€ nun fast 2€. Ein weiteres Loch in der Bordkasse! Der Tieden- und Stromplan für die Elbmündung und die Deutsche Bucht muss auch noch studiert werden. Dazu benützen wir den „Reeds Nautical Almanac“. Der Zusatztitel „The Yachtsmann’s Bible“ umschreibt das 1000-seitige Buch trefflich. Ab 11.00 Uhr MEST müssen wir in Brunsbüttel auf der Elbe sein. Tag 6. Um 9 Uhr legen wir ab. Vor der Schleuse Brunsbüttel warten wir geduldig über eine Stunde. Plötzlich sind noch weitere 5 Segelyachten da und die Schleuse öffnet sich. Ja hätten wir über VHF nachgefragt, hätten wir erst eine Stunde später ablegen brauchen. Aber keiner hat sich um den erforderlichen VHF-Kanal gekümmert. Die Elbe runter geht es mit raumen Wind. Wir entschließen uns, sofort soweit als möglich Richtung Dover durchzufahren. Also gleich zu Beginn mehrere Nachtfahrten! Nord-Ostsee Kanal bei Brunsbüttel Tag 7. In meiner ersten Nachtwache habe ich mein „Aha-Erlebnis“. Wir fahren am Rande des Inshore-Fahrwassers an der Betonnung entlang nach WSW. Beim Wachwechsel zeigt mir Viktor ein Leuchtfeuer, auf das ich zuhalten soll. Stunden später fahre ich immer noch auf das Leuchtfeuer zu und wundere mich, warum die Wassertiefe auf unter 10 Meter fällt. Der Computer ist ausgeschalter und den Kompass kann ich ohne Brille nicht ablesen. Bei 7 Meter Wassertiefe überprüfe ich den Kurs und schaue mir die Kennung des Leuchtfeuers in der Seekarte mal genauer an. Ich fahre tatsächlich geradewegs auf den Leuchtturm von Norderney zu. Die Wassertiefe beträgt nur noch 6 Meter, als ich wieder auf den richtigen Kurs zurückschwenke. In Zukunft schaue ich mir die Kennungen der Leuchtfeuer genauer an, auf die ich zufahre. -6- In der Frühwache entschließt sich Viktor, nach Borkum zu segeln, um vor der Überfahrt nach England noch genügend Motorenöl in Borkum zu Bunkern. Warum ist der Yachthafen von Borkum immer noch in so einem miserablen Zustand?? Wir finden im fast leeren Hafen nur mit Mühe einen Liegeplatz, der bei Niedrigwasser noch genügend Wassertiefe hat. In der einzigen Tankstelle von Borkum kaufen wir 15 Liter Motorenöl. Das dazu benötigte 30l-Ölfass schenkt uns der Meister. „Ja,“ meinte die Yachthafen Borkum Taxifahrerin auf der Rückfahrt versonnen, „als noch die Marineoffiziere da waren, war hier richtig was los.“ Auch ich war als junger Marinesoldat vor fast 40 Jahren das letzte Mal hier. Einziger Lichtblick im Yachthafen ist das Hotel „Yachthafen“. In dem gepflegten Ambiente bekommen wir ein sehr gutes und günstiges Fischessen. Tag 8. Weiter geht es Richtung SW. Aber zuerst kämpfen wir noch mit der Untiefe „Ballonplatte“, die uns westlich von Borkum den Weg nach England versperrt. Die Sandbänke sind nicht immer da, wo sie in der Seekarte eingezeichnet sind. Diese Erkenntnis machen wir auch noch einige Tage später im Bereich der Themsemündung. Danach segeln wir mit wechselnden Winden 2 Tage und 2 Nächte mal nach NW, mal nach S-SW kreuz und quer durch die westliche Nordsee Richtung Englands Südostküste. Eines der vielen Schiffe, die währen meiner Nachtwache an uns vorbeiziehen, wird vom AIS-System als „Alexander von Humbold“ gemeldet. Im Dunkeln kann ich auf ca. eine Meile aber nur die Positionslichter erkennen. Von den 4 stolzen Masten oder gar den Rahensegel ist nichts zu sehen. Tag 10. Am 22.05. 2008 09.30 Uhr laufen wir in Lowestoft, der östlichsten Stadt Englands ein. Die Grafschaft Suffolk empfängt uns mit warmem Sonnenschein. Ein sauberes, unauffälliges Arbeiterstädtchen, denke ich. Die Hafengegend ist abends offensichtlich ein Treff der Jugend. Mir fällt auf, dass viele Mädchen hier auffällig und bunt gekleidet und frisiert sind. Aber auch viele junge Leute mit Kinderwagen sind zu sehen. So viele Junge Eltern sind in Deutschlands Städten leider nicht mehr anzutreffen. In einem Pub am Hafen trinken wir unser erstes Guinnes bei mehr oder weniger guten Karaoke-Vorträgen. Unsere Anwesenheit hier erhöht das Durchschnittsalter der restlichen Gäste erheblich. -7- Tag 11. Wir warten auf den den versprochenen Südostwind und legen um 15.00 Uhr in Lowestoft ab, um den nördlichen Tiedenstom optimal auszunutzen. In der Nacht dreht der Wind von SE über SSW nach WSW während wir an der Themsemündung vorbei Richtung Dover segeln. Im Kanal von Dover und bei der Hafeneinfahrt Dover nutzen wir das AISSystem mal richtig. Die vielen Fähren, die mit hoher Geschwindigkeit Ein- und Ausfahren können so genau beobachtet werden. Als gewissenhafte Segler darf man sich zwar nicht nur auf die Technik verlassen, sie erleichtert die Navigation aber erheblich. Tag 12. In Dover wollen wir für unseren Gast Jürgen, der nach Radolfzell zurück muss, eine Fahrkarte lösen. Aber das ist nicht so Einfach. Am Bahnhof von Dover gibt es kein Ticket für den Eurotrain nach Paris, und ausgerechnet an diesem Sonntag fährt auch kein Zug nach Ashfort, wo es das benötigte Ticket gibt. Also fahren Jürgen und ich mit dem Ersatzbus nach Ashfort. Der anschließende Bummel durch Dover endet in einer Gaststätte mit Terrasse zum Hafen. In Deutschland würde da am Eingang „Biergarten“ stehen. Bei schönem Wetter und Livemusik können wir das Treiben beobachten. Auch hier fallen mir die vielen jungen Familien mit Kindern auf. Im Yachthafen treffen wir Heiko und seine Frau aus Bremen, die mit ihrer selbstgebauten Yacht unterwegs sind. Segler sind weltweit ja eine sehr kommunikative Spezies. Und so treffen wir uns am Abend auf unserem Boot, um uns bei einigen Gläschen Rotwein über technische Details von Navigation, Wetter uns Bootsbau auszutauschen. Ich hatte mich fast ein Jahr intensiv mit den technischen Möglichkeiten der Computergestützten Navigation und Wetterdatenerfassung befasst. Durch diese umfangreichen Recherchen kann ich nun auch mit den erfahrenen Seglern aus dem Norden gut mitreden. Ich stelle fest, dass ich bestes und neuestes Elektronik-Equipment an Bord installiert habe. Der gute alte Wetterbericht, am Morgen beim Hafenmeister abgeholt, hat fast ausgedient. Mit einem einfachen USB-Stick können in jedem Internet-Point sogenannt GRIB-Dateien downgeladen werden, die alle Daten über Wind, Wolken, Niederschlag, Luftdruckverteilung und vieles mehr für die nächsten 6 – 12 Tagen liefert. Das alles kann man auf die Elektronische Seekarte projizieren oder als Animation am Bildschirm ansehen. Der Empfang der Wetterberichte vom DWD als Text und Fax über ein normales Radio mit Seitenbandempfang habe ich auch vorbereitet. In den nächsten Tagen möchte ich das auch mal testen. -8- Dover - Scillys Tag 13. Nein, abergläubisch sind weder Viktor noch ich. Aber an diesem 13.Tag, den wir nun von Kandern im Südschwarzwald weg sind, begann der Segeltag nicht gut! Um 10 Uhr legen wir bei leichtem Regen gutem Ostwind im Dock Granville ab. Noch im Hafenbecken setzen wir das Großsegel. Gleich nach der Hafenausfahrt wollen wir noch die Genua setzen. Da passiert es! Während Viktor die Luvschoten klar macht und die Holeleine bedient, möchte ich – am Ruder stehend – die verhedderte Leeschot klarieren. Eine Patenthalse schlägt Viktor den Großbaum an den Kopf. Er fällt mit dem Kopf voraus zwischen die Relingleinen. Ich erwische ihn gerade noch an seinen Beinen und kann ihn festhalten. Viktor ist benommen und hängt kopfüber an der Backbordseite, mehr als festhalten kann ich im ersten Moment nicht. Zum Glück rappelt sich Viktor wieder auf, und mit vereinten Kräften kommt Viktor wieder zurück an Bord. Darüber, wie ich Viktor wieder an Bord gebracht hätte, wenn er bewusstlos gewesen wäre, möchte ich lieber nicht nachdenken. Ja unser Boot heißt Glückspilz und nach Viktors Überzeugung besteht der Name zu Recht. Es ist gerade noch einmal gut gegangen. Zurück bleiben eine Beule am Kopf und eine Blutende Prellung am Schienbein von Viktor. Es war fehlende Absprache der Manöver! Wir müssen in Zukunft wieder das eingespielte Team werden, das vor 2 Jahren so gut funktioniert hat. Am Nachmittag passierten wir Cap Dungeness. Wer die Seekarten nicht genau studiert, übersieht leicht, dass hier ein Schießgebiet eingezeichnet ist. Obwohl wir knapp außerhalb der Sperrzone entlang segeln, kommt ein Patrouillenboot längsseits und macht uns freundlich auf die Gefahrenzone aufmerksam. Später hangelten wir uns von Gewitterböe zu Gewitterböe westwärts nach Eastbourne. Die Hafeneinfahrt Eastbourne bei Niedrigwasser bringt jeden Navigator ins Grübeln. Die Bergrenzungsbojen des Fahrwassers liegen auf die Seite gekippt im Schlick. Ich hatte das Gefühl, durch einen schmutzigen Bach zu fahren. 2 Schleusen trennen die moderne Hafenanlage tiedenunabhängig von der See. Da haben die Engländer eine moderne Anlage gebaut, die mich an Cogolin in der Bucht von St Tropez an der Coté Azur erinnert. Die Stimmung ist an diesem regnerischen Abend aber nicht mediterran. Unser Liegeplatznachbar ist Karel aus Holland. Er ist alleine mit seiner 30-Fuß Yacht unterwegs. Nach kurzer Zeit sind wir beide in ein tiefschürfendes Fachgespräch über Radioantennen für den Empfang von Wetterdaten verwickelt. „Sind denn nur noch Fachsimpler unterwegs?“ fragt Viktor resignierend. Karel, der wie ich einmal Regelungstechnik studiert hat, gibt mir eine Lehrstunde in Antennenphysik. Ich habe ja immer noch ein Problem mit dem Empfang der Wetterdaten über das Radio. Auch hier muss ich „Plan B“ anwenden, weil der Mittelwellenanschluss der Antennenweiche für AIS die erforderlichen Frequenzen nicht liefert. Aber auch der 12 Meter lange Antennendraht, am Achterstak befestigt, bringt nicht die gewünschte Empfangsqualität. -9- Tag 14. Auch ohne Wetterbericht ist erkennbar dass es heute draußen ungemütlich ist. Den Hafentag verbringen wir mit Wäsche waschen, Kleinreparaturen und Einkaufen. Eigentlich müsste ich mal zum Friseur. Da entschließe ich mich kurzerhand, meine Lockenpracht von Viktor auf 5 Millimeter kürzen zu lassen. In 3 Monaten wenn ich wieder nach Hause komme, sind die Haare ja wieder gewachsen. Meine Lockenpracht ist weg. Tag 15. Auch am nächsten Tag laden uns Wind und Regen nicht zum segeln ein. So etwas wie Hafenviertel oder eine Altstadt gibt es in dieser Retortenanlage nicht. So verbringen wir die Zeit mit Bootsnachbar Karel bei Fachsimpeln über Navigationselektronik und Antennenberechnung. Meine Frau berichtet mir, dass meine EDV-Anlage Zuhause nach einem nächtlichen Gewitter ausgefallen ist. Auch für diesen WorstCase-Fall habe ich vorgesorgt. Über Teamviewer logge ich mich auf meinem Arbeitsplatz-PC ein und fahre die virtuellen Server wieder einzeln hoch. Mein „Rechenzentrum“ muss ja weiterlaufen. Die Homepages der Vereine und Onlinebanking funktionieren sonst nicht. Tag 16. Lektüre des Stromplanes. Ab 13.00 Uhr haben wir Strom nach westen. Um 18.00 Uhr legen wir in Brighton an. Ca. 4 km Fußmarsch zur berühmten Seebrücke Brighton bei Nacht. Man muss es gesehen haben, aber etwas ganz besonderes ist es nicht. Vor den Bars und Clubs ist reger Publikumsverkehr. Über alles wachen die teils eifrigen, teils gelangweilten Türsteher. Nach einem kleinen Stadtbummel kehren wir in einem Pub ein und trinken das Auf der Seebrücke von Brighton bei Nacht. obligate Guinnes. Die englischen Pubs haben alle ein besonderes Flair. Das Publikum ist hier aber irgendwie anders als sonst. Wir waren in einer Schwulen- und Lespenkneipe gelandet. - 10 - Tag 17. Eigentlich hatte man uns versprochen, dass wir in Brighton ein dringend benötigtes Ersatzteil für unseren Autipiloten „Gusti“ bekommen. Aber die Verkäuferin im Fachgeschäft für Raymarine wusste nicht einmal, was ein „Gearbelt“ ist. Gegen Mittag segeln wir weiter. Diesmal seeseitig an der Brücke, die mich an den alten Messplatz von Freiburg erinnert, vorbei. Wir segeln gemächlich weiter westwärts. Gegen Abend sind wir in Portsmouth am Eingang des Solent. Die östliche Einfahrt nach Portsmouth ist interessant. Entlang der Isle of Wright sehen wir schon 2 Stunden vor dem Einlaufen das Hafenwahrzeichen „Spinnackertower“. Wir machen im westlichen Stadtteil, der auf der Insel Portsea liegt in der Haslar-Marina fest. Tag 18. Portsmouth ist eine typische englische Hafenstadt mit Flair. Es ist heute die bedeutendste Basis der britischen Marine. Insgesamt sind 47 Kriegsschiffe hier stationiert. 17.200 militärische und zivile Angestellte arbeiten auf dem Stützpunkt. Zudem befindet sich in Portsmouth das Hauptquartier der Royal Navy, mehrere Trainingszentren und das größte Lager für Ausrüstung und Versorgungsgüter der britischen Streitkräfte. Wir machen einen Stadtbummel und wollen noch einiges einkaufen. In den riesigen Einkaufspassagen unterhalb des Spinackertowers, der der 170 m hoch ist, finden wir viele Schicki-Micki Läden und verirren uns dabei fast, aber einen normalen LebensmittelLaden gibt es keinen. Auf dem Spinackertower kann man in 100 Meter Höhe die Stadt und Hafenanlagen sehr gut überblicken. 30 Millionen Pfund, über drei mal soviel als geplant, hat der Turm vor 5 Jahren gekostet. Eigentlich wollten wir im altehrwürdigen Pub „Lady Hamilton“ am Hafen noch Lammbraten essen. Der Tiedenplan diktiert uns aber baldiges Auslaufen. Wir segeln die bei Seglern berühmte Solentpassage Richtung Westen. Dass wir hier im Zentrum des englischen Segelsports segeln, ist an diesem sonnigen Samstag offensichtlich. So viele Segelboote auf einmal sieht man höchstens mal am Sonntagnachmittag auf dem Bodensee. Die Isle of Wright mit der berühmten königlichen Marina in Cowes lassen wir links liegen und segeln mit E-NE Wind die ganze Nacht durch nach Falmuth. - 11 - Tag 19. Viktors Wunde am Schienbein ist stark entzündet und muss 2-mal täglich gereinigt und neu verbunden werden. Zum Glück habe ich für solche Fälle genügend antiseptische Mittel und Verbandsmaterial dabei. Die englischen Marinas, die wir bisher besuchten, machen alle einen sehr gepflegten Eindruck. Das Personal ist höflich und hilfsbereit. Auch hier in Falmouth werden wir von einer freundlichen jungen Frau bedient. Auffällig ist allerdings ihr „Office“. Eine ca. 4qm große Holzhütte am Ende der Pier. Tag 20. Beim Stadtrundgang in Falmouth, das zur Grafschaft Cornwall gehört, gehen wir noch kurz in die Libary und ziehen die neuesten Wetterdaten auf den USB-Stick. Öffentliche Büchereien findet man in England und Irland in jeder Stadt. Sie sind – im Gegensatz zu Deutschland – immer sehr stark frequentiert. Hier bekommt man auch immer kostenlos einen Internetplatz. Nach dem Stadtrundgang blasen wir noch das Dingi auf, das wir die nächsten 8 Wochen hinten dem Boot herziehen werden. Schon im nächsten Hafen und in den meisten Buchten in Irland kann nicht angelegt werden. Die meisten Fischerhäfen fallen bei Ebbe trocken. Gegen Mittag legen wir zu einer weiteren Nachtfahrt Richtung Scillys ab. Nach dem LizardPoint sichten wir ein Rudel Fische, deren Rückenflossen wie Haiflossen aus dem Wasser ragen. Die ca. 3 – 4 Meter langen Fische sehen tatsächlich wie große Haifische aus. Es sind BlasketSharks. Diese Fischart hatten wir vor 2 Jahren auch an der Irischen Südküste gesehen. Sie gehören zur Gattung der Wale, genauso wie die Delphine. Eine lokale Zeitung hatte damals einen großen Bericht mit Bilder von Badegästen mit den Fischen gebracht. Aus dem Bericht war auch zu entnehmen, dass diese Fische völlig ungefährlich sind. Auf der Weiterfahrt entschädigt uns Romantische Abendstimmung mit Sonnenuntergang am Lands-End für die bevorstehende Nachtfahrt zu den Sonnenuntergang am Lands-End (Cornwall) Scillys. - 12 - Tag 21. Bei der Anfahrt auf die Einfahrt der Scillys südlich St. Mary am frühen Morgen mache ich eine unliebsame Entdeckung. Je näher ich der Einfahrt komme, desto mehr muss ich anluven. Die 3 Leuchtfeuer sind schon seit Stunden sichtbar. Der Navi-PC ist - um die Bordbatterien zu schonen ausgeschaltet. Ich überprüfe meine Position und stelle fest, dass ich über 2 Meilen zu südlich bin. Ein Blick in die Stromkarte klärt mich auf. Ich habe von Steuerbord ca. 2 kn. Strom querab. Um 6.30 Uhr machen wir an einer Gästeboje in der St. Mary-Bucht fest und genießen den in diesem Sommer wärmsten Tag Englands. Auf der Haupinsel St Mary gibt es tatsächlich mehrere gut gepflegte Sandstrände, die zum Baden einladen. Unser Badethermometer zeigt in der Ankerbucht nur 13,5° an. Das ist selbst mir zu kalt. Wir wollen mit dem Dingi ans Land. Unser Außenborder will jedoch nicht starten. Bei dem Versuch, den Fehler zu beheben fällt ein Hebelchen am Vergaser ins Wasser. Die nächste Reparaturstunde ist fällig. Um den Motor am Laufen zu halten, muss nun die Starterklappe am Vergaser manuell bedient werden. Am Abend machen wir während der untergehenden Sonne noch einen ausgedehnten Spaziergang über die Insel. Tag 22. Heute wollen wir den 150 Meilen-Schlag an die Südküste Irlands starten. Bei erst mäßigem, gegen Abend und in der Nacht immer mehr auffrischendem NE-Wind kommen wir zügig nach Norden voran. Hoch am Wind bei 4-5 Beaufort ist eine unruhige Angelegenheit. Viktor versucht in der Pentry zu schlafen. Der Platz vor dem Herd ist der ruhigste Platz im Boot. Ich steuere die ganze Nacht lang bei klarem Sternenhimmel immer Scillys - Dingle dem Nordstern entgegen. Die kurzen steilen Wellen erzeugen immer noch ein beständiges flaues Gefühl im Magen und obwohl ich bestes Ölzeug und lange Unterwäsche trage, fröstelt es mich ein wenig. Das Segeltrimm ist so gut eingestellt, dass das Boot beständig ohne Ruderkorrektur alleine den Kurs hält. So verbringe ich vor mich hin dösend die gesamte Nacht am Ruder. - 13 - Tag 23. Gegen Mittag legen wir im Fischerhafen Dunmore East längsseits eines alten Fischerkahns an. Damit umgehen wir elegant das Tiedenproblem. An einer Mole mit über 4 Meter Tiedenhub zu liegen ist hier nicht einfach, weil es am Kai kaum geeignete Widerlager für unsere Fender gibt. Da bräuchten wir ein Fenderbrett. Dunmore East (irisch An Dún Mór Thoir) ist ein kleines Fischerdorf im Südosten von Irland. Die gepflegten Straßen und Häuser repräsentieren einem gewissen Wohlstand. Tag 24. Bei mäßigem Ostwind geht es westwärts nach Kinsale. Wir setzen Butterfly-Segel, aber wegen des Wellenganges schlagen die Segel unruhig an den Wanten. Kreuzen vor dem Wind ist da Materialschonender. Kinsale ist ein rundum hübsches Hafenstädtchen mit georgianischen Häuserreihen entlang enger, gewundener Straßen und einer blumengeschmückten Meerespromenade. Es ist in der Region bekannt für seine zahlreichen Kneipen und Restaurants. Tag 25. Den Samstag wollen wir in Kinsale verbringen. Der Hafenmeister, der uns gestern Abend telefonisch einen Platz am äußeren Steg zugewiesen hat, war ein freundlicher junger Bursche. Die Liegegebühren waren allerdings überraschend hoch. 40₤ für zwei Duschtoken und eine Nacht in der Marina des Yachtclubs. Die Entscheidung zu einem Hafentag war genau richtig. In Laufe des Tages frischte der Wind auf 6-7 Beaufort auf. Bis auf das Heulen der Wanten war hier im Hafen davon aber nichts zu spüren. Viktor ruht sich auf dem Boot aus. Seine Wunde ist immer noch entzunden und schmerzt ihn. Ich mache an Land die üblichen Besorgungen. E-Mails, Wetterdaten, Kontobuchungen überprüfen, Aktienkurse, neueste Nachrichten usw. Damit meine Frau mich wiedererkennt, übertrage ich noch einige Bilder von mir mit dem nun kahlen Kopf auf meinen heimischen PC. - 14 - Am Abend gehen wir dann in eines der vielen Pubs mit Livemusik. Unser Pub füllt sich immer mehr mit Frauen aller Altersgruppen. Sie feiern alle ausgelassen und bringen die Thekenmannschaft gehörig auf Trab. Gegen halb zwölf ist das Lokal gerammelt voll, ca. 80% der Anwesenden sind nun Frauen. Sie heben den Stimmungs- und Lärmpegel auf Höchstniveau. So ganz habe ich nicht herausbekommen, was- oder warum es die die Frauen hier so toll treiben. Bei dem Lärm war eine verständliche Konversation kaum möglich, zumal mein Englisch „verry bad“ ist. Aber soviel habe ich mitbekommen, es hat was mit „married“ zu tun. Nach Mitternacht ist das Schauspiel genauso schnell und unspektakulär beendet wie es begonnen hatte. Nun können wir wieder entspannt den Livemusikern zuhören. In den letzten 2 Stunden waren sie trotz Verstärkeranlage kaum zu hören. Tag 26. Sonntag 7. Juni. Wir legen früh am Morgen ab um ev. bis nach Crookhaven am Mizen Head zu kommen. Wir segeln mit raumen Wind und Stromunterstützung mit 7,5 Knoten dem Fastnetrock entgegen, der schon auf 25 Meilen am Horizont sichtbar ist. Am Nachmittag flaut der Wind ab. Wir probieren den neuen Spinnaker aus, den Viktor bei unserem letzten Törn von Segelkamerad Uwe bekommen hat. Bei rollender Achterwelle und nur 6 – 8 Knoten Wind ist das allerdings kein Vergnügen. Viktor an den Schoten und ich am Ruder haben alle Hände voll zu tun um den Spi einigermaßen vor dem Wind zu halten. Der obligatorische Blick zurück beim Vorwindsegeln zeigt uns, dass sich da eventuell was zusammenbraut. Eine große dunkle Wolke hängt da, die wir nun abwechseln beobachten. „Oha!“ sagt Viktor plötzlich. Mit einem Schlag ist die See 2 Meilen hinter uns mit weisen Schaumkronen bedeckt. Sofort den Spi runter, den wir schnell durch das Luk in meine Kajüte im Vorschiff zerren. Mit einem Schlag war der Wind mit Macht zurück. Nach dem Festmachen an einer Gästeboje in der Bucht Crookhaven nehmen wir im Pub am Hafen das obligate Guinness. Tag 27. An nächsten Morgen ist es ab 5 Uhr vorbei mit dem ruhigen Ankerplatz. Ein strenger ENE-Wind bläst genau in die Langgezogene und normalerweise Am Mizen Head, südwestlichster Punkt Irlands total sichere Bucht. Eigentlich wollte ich hier heute mal ein Bad nehmen. Aber 13,5° Wassertemperatur sind mir zu wenig. Vor 2 Jahren hatte es hier angenehme 16°. Um 10.00 Uhr brechen wir auf. Nach dem Mizen Head werden der Wind und die Wellen ruhiger. Wir segeln mit raumen Wind Richtung Dingel. Am Nachmittag dann große Aufregung auf Kanal 16. „Mayday Mayday!!“ Ich schreibe die Position mit. „009 degree 55 dot 97 west, 51 degree 41 dot 50 north“. Ein Fischerboot sinkt ca.15 Meilen von uns entfernt in Hafennähe am “Piepers Rock“. Aus dem Sprechfunkverkehr entnehme ich, dass die Costguard“ sich bereits um die 3 Mann Besatzung kümmert. Nach ca.45 Minuten wird „Mayday“ auf Kanal 16 aufgehoben. Später begleitet uns noch eine große Delphingruppe 10 Minuten lang. Es ist immer wieder ein Vergnügen, diesen Tieren zuzusehen wie sie scheinbar ohne Bewegungen durchs Wasser gleiten. - 15 - Tag 28. Dingel ist für Segler ein absolutes Muss. Dass das Städtchen im Südwesten Irlands auf Tourismus ausgerichtet ist, stört im Gegensatz zu den vielen mediterranen Tourismushochburgen überhaupt nicht. Ein ruhiges gälisches Flair durchströmt die Gassen und Pubs. Ein gemütlicher Abend in einem der vielen Pubs mit lokaler Livemusik ist jedes Mal ein kleines „Highlight“. Während wir gemütlich ein Guinness trinken mustert uns eine rundliche etwas schäbig bekleidete Frau. „Wenn die mich anmacht, nehm ich mein Gebiss raus!“ sagt Viktor ärgerlich zu mir. Tag 29. Nach einem verregneten Hafentag in Dingle begrüßt uns der nächste Morgen überraschend mit hellstem Sonnenschein. Bei 3 - 4 Beaufort Nordwind segeln wir um das Great-Basket Island und dann nach NE Richtung Smerwick-Bay. Wir gehen an eine Boje vor Ballynagal. Für die weitere Törnplanung muss wieder die „Yachtsmann Bible“ gewälzt werden. Übermorgen wollen wir Galway anlaufen. Die Einfahrt zum Hafen ist aber nur von Hochwasser 2 Sunden bis zum Hochwasser geöffnet. Strom ist in der Bucht vernachlässigbar. Also Freitagabend zwischen 19.00 Uhr und 21.00 Uhr einlaufen, und am Sonntag um halb neun raus. Dingle - Teelin - 16 - Tag 30. Der versprochene E-SE Wind will nicht kommen. Am Loop-Head machen wir bei völliger Windstille eine Pause und werfen unsere Angeln aus. 3 Makrelen und 2 Seelachse ergeben 2 bis 3 Abendessen für uns. Die zuerst vorgesehene Rossbay ist als Ankerbucht bei den erwarteten Windstärken nicht geeignet. Gegen 18.00 Uhr kommt dann der SE und wir segeln in die MooreBay. Das Städtchen Kilkee liegt am Ende der Bucht, die einen großen Sandstrand säumt. Große breite Straßen, eine großzügig angelegte Strandpromenade Hallenbad und viele Pubs, Restuarants und Übernachtungsmöglichkeiten erwecken den Eindruck einer florierenden Touristenhochburg. Davon ist heute aber nichts zu sehen. Auf mich wirkt der Ort wie ein total überdimensioniertes Dorf. Weit nach Mitternacht wollen wir zurück zu unserem Boot, das in der Bucht vor Anker liegt. Das ist heute aber nicht so einfach. Wir hatten das Niedrigwasser unterschätzt. Unser Dingi hängt in den Klippen an der Kaimauer. Bei strömenden Regen und völliger Dunkelheit watet Viktor in die Klippen und macht das Dingi wieder seeklar. Der Außenborder, unser größtes Sorgenkind, und das Dingi haben das Malheuer glücklicherweise heil überstanden. Tag 31. Ein Monat sind wir nun unterwegs und immer noch keine Gelegenheit zu einem Bad im Atlantik! Die Bucht hier ladet zum Baden ein, das Wasser hat aber nur 14°. Ich muss meine Ansprüche an die Wassertemperatur nun eben zurückschrauben. Heute stimmt der Wetterbericht. Wir segeln unter Spinnacker Richtung Galway. Bei den „Cliffs of Moher“ geht der Wind wieder aus. Unter den imposanten Klippen, die über 200 Meter senkrecht aus dem Meer ragen, machen wir einen Photostopp. Bei der warmen Mittagssonne musste es dann sein. „Am besten ist es“ denke ich, „ ich spring ins Wasser und messe die Temperatur danach.“ Ich nehme kurzerhand ein kühles erfrischendes Bad und messe anschließend 14.5° Wassertemperatur. So kalt hat es sich doch gar nicht angefühlt. - 17 - Wir haben nun viel Zeit verloren. Spätestens bei HW um 21.00 Uhr müssen wir ja in Galway sein. Ein kräftiger Südwind, den nach einer Stunde einsetzt, schiebt uns rechtzeitig vor dem Schließen der Docktore nach Galway. Dass es, wie überall in der Welt, auch unangenehme Zeitgenossen gibt erfahren wir dann im Hafenbecken. Viktor möchte an einer Swan mit blauem Rumpf längsseits gehen. Unsere Fender haben den Blauen Rumpf gerade berührt, da schießt einer aus dem Niedergang heraus und bezichtigt uns, Schrammen in sein Schiff gefahren zu haben. Offensichtlich sucht er einen Dummen, der die längst vorhandenen Schrammen in seinem Schiff bezahlt. Wir lassen den zeternden Mann stehen und machen am nächsten Boot fest. Bei dem anschließenden Gang durch die Stadt sind wir überrascht von dem vielfältigen und bunten Treiben in den Gassen. Es geht zu, wie auf dem Kö in Düsseldorf währen einer großen Messe. Auf die Frage Frage von Viktor, welcher Anlass hier gefeiert wird, bekommen wir die überraschende Antwort: „Every Days are this too!“ Die massiven wirtschaftlichen Probleme des Landes, über die man hier täglich in den Zeitungen liest, sind beim Volk offensichtlich (noch) nicht angekommen. Auch an diesem Freitagabend fällt auf, dass sehr viele Gruppen von Frauen allen Alters unterwegs sind. Sie ziehen ausgelassen feiernd von Pub zu Pub. Bei vielen ist erkennbar, dass sie dort nicht nur Limonade trinken. Tag 32. Hafentag in Galway. Die zerschlissene Reffleine der Genua wird ausgewechselt und Viktor überprüft und repariert die Befestigung der Relingstützen. Ich finde im Hafen einen freien WirelessPiont und habe damit bequemen Zugang zum Internet. So ein Hafentag vergeht mit solchen Arbeiten immer sehr schnell. Bei der Stadtbesichtigung fallen uns die vielen Kanäle und Flussläufe auf, die die Stadt durchziehen. „Fast wie in Amsterdam“ meint Viktor. - 18 - Tag 33. Wir segeln westwärts nördlich der Irischen Araninseln vorbei bis zum Golam Head. Hier spüren wir zum ersten Mal eine hohe und lange Atlantikdünung Ein Tief, das seit Tagen westlich Irlands steht, hat diese Wellenberge aufgetürmt. Wir Ankern in der Gortonbay östlich des „Slyne Head“. Eine nach Südosten offene Bucht, die auf der Westseite durch eine große Düne vom Atlantikschwell geschützt ist. Eine sichere und ruhige Bucht für fast alle Wetterlagen. So was gibt es noch in Europa! Ein einsamer Sandstrand ganz alleine für uns. Die Sonne geht im Nordwesten rot glühend über den Dünen unter. Im Gegenlicht der Sonne weiden über den Dünen einige Kühe. „Aha“ denke ich, „da kommt also das Kerrygold in den Kühlregalen unserer Supermärkte her.“ Einziger Wermutstropfen im meridianen Stimmungsbild ist halt die Wassertemperatur, die immer noch bei 14° verharrt. Ich halte es mit den Norwegern: „Wenn Sommer ist wird im Meer gebadet, egal wie warm das Wasser ist.“ Langsam senkt die nordische Nacht die Bucht in ein diffuses Licht. Die Stille wird nur vom unendlichen Rauschen der Atlantikdünung gebrochen. Die elektronischen Karten benutzen wir nur noch sporadisch. In fremdem Gewässer mit Seekarten terrestrisch zu navigieren soll jeder gute Skipper beherrschen. Wir navigieren mit Imray-Karten, die für unsere Zwecke optimal sind. Imray-Karten sind für Segler bedeutend besser als die eigentlich vorgeschriebenen Admirals-Karten. Sie enthalten Details über Häfen und Ankerbuchten, das Papier ist wasser- und reißfest, kann zur Not auch noch als Dichtung für Wasserpumpen geschnitten werden und sie sind vor allem viel billiger. Sehr gut funktioniert nun auch der Wetterdatenempfang vom DWD über das Radio. Lediglich während heftiger Bewegung des Mastes bei Seegang bekomme ich Störsignale. Die Ursache hierfür muss ich noch untersuchen. Die Wetterdaten der nächsten Tage verheißen nichts Gutes. Ein Sturmtief südlich Grönlands macht sich auf den Weg zu uns. In spätestens 2 Tagen ist es da. Dann gibt es für mindestens 4 Tage kein Weg mehr in westliche Richtungen. Also, Routenplanung für die nächsten Tage machen und Notbuchten festlegen, in denen wir sicher unterkommen können. Auf keinen Fall dürfen wir in den nächsten Tagen in nach Westen oder Süden offene Buchten einlaufen. Die könnten für uns zur Mausefalle werden, wenn die angesagten 8 9 Beaufort SW und 6 Meter Wellen Wetterdaten mit zyGrib eintreffen. - 19 - Tag 34. Am Slyne Head steht eine 2 – 3 Meter hohe Atlantikdünung, die die unzähligen Klippen in einen schäumenden Hexenkessel verwandeln. Wir segeln nordwärts zum Achill Head. Dicht davor ist die Keem-Bay. Wieder eine einsame Badebucht, diesmal umringt von hohen Felsen. Die Sonne geht am Ende der Bucht genau im Kim der Bergkette unter, auf der einige Schafe weiden. Diesmal verkneife ich mir das Bad. Das Wasser hat nur noch 13°. Aber Morgen Früh!!! Tag 35. Heute stimmt die langfristige Wettervorhersage wieder genau. Mit Südwind geht es um den Achill Head herum NE-wärts zum Errishead, wo der Wind bereits mit Stärke 7 bläst. Die erwarteten Gästebojen bei Ballyglass in der Broadhaven-Bay sind leider nicht zu finden. Bei inzwischen 35 Knoten Wind ankern wir in der Nähe eines „Lifeboats“ das auch in der Bucht vor Anker liegt. Die Tatsache, dass sich die komplette Besatzung auf dem Seenotrettungskreuzer aufhält, lässt uns ahnen, dass es nun draußen ungemütlich wird. Wir erwarten heute Nacht Windstärke 9. Ich überprüfe regelmäßig die Ankerkette, die nun einem erheblichen Zug ausgesetzt ist. GPS und Landpeilung zerstreuen unsere Bedenken. Der Anker hält sicher. Unsere schmale Bucht zieht sich noch 4 Meilen südwärts ins Land hinein, ist aber für uns zu flach. Sie baut bis zu unserem Ankerplatz einen Schwell von fast einem Meter auf. Eine unruhige Nacht steht uns bevor. Tag 36. Dienstag 17. 06. Der Westwind weht am Vormittag nur noch mit 4 Beaufort. Wir segeln mit raumen Wind nach NE Richtung Malin Moore Head. Nachmittags nimmt der Wind dann zu und vor den immer wieder durchziehenden Regenschauer erreichen die Böen Windstärke 7 – 8. „Wie sich der menschliche Organismus doch an geänderte Umgebungsbedingungen anpassen kann“, denke ich während ich bei dem aufkommenden Seegang in der Pentry diesen Bericht schreibe. In den ersten drei Wochen bestand bei mir immer die latente Gefahr der Seekrankheit. Nur mit Cinnarzirin-Tabletten konnte ich die ersten beiden Nächte auf See einigermaßen überstehen. Und immer das flaue Gefühl in der Magengegend. Mit gerefftem Genua machen wir nun 6 bis 7 Knoten Fahrt vor dem Wind. Die Wellen sind inzwischen 3 – 4 Meter hoch. Für die Nacht und den Nächsten Tag erwarten wir Sturm von 8 – 9 Beaufort. Die nach Osten und Süden offene Teelin-Bay bietet für den erwartetet Sturm ausreichen Schutz und hat sichere Gästebojen. Die dauernde Sorge, ob der Anker auch hält, entfällt damit. Mit dem Bewusstsein eines sicheren Liegeplatzes genehmigen wir uns im einzigen Pub der Bucht die in den letzten 3 Tagen vermissten Guinness. - 20 - Tag 37. Am frühen Morgen wird es dann doch unruhig. Der Wind hat erwartungsgemäß auch in der Bucht von Teelin zugenommen. Nun drückt der mächtige Atlantikschwell, der draußen vor der Bucht vorbeizieht, in die Bucht hinein. Naja, unruhige Ankerplätze sind wir ja gewohnt. Ich überprüfe die Festmacherleine an der Boje und stelle zum meinem Erschrecken fest, dass die Leine an der Bojenöse fast durchgescheuert ist. Ich hatte glücklicherweise eine zweite Sicherungsleine angebracht, die ohne Druck und deshalb noch gut war. Wieder was gelernt: Leinen an Bojen nie auf Slip legen. Durch das heftige Schwojen bei Starkwind scheuert die Leine an den meist rostigen Bojenösen. Iren sind Gastfreundlich und Hilfsbereit. Das haben wir hier gleich mehrfach erlebt. Als wir gestern Abend mit dem Dingi an der Fischerpier festmachten um ein Guinness zu trinken, empfängt uns ein freundlicher junger Mann, und fragt uns, ob wir ins Pub wollen. Er räumt den Rücksitz frei und lässt uns einsteigen. Viktor nimmt auf dem Rücksitz Platz, und ich steige vorne ein. Der Ire schaut mich entgeistert an, ich schau verwirrt zurück und sehe ein Lenkrad vor mir! Linksverkehr ist für einen überzeugten Festlandeuropäer halt gewöhnungsbedürftig. Die 2 km zurück mussten wir spät nach Mitternacht zu Fuß gehen. Heute bin ich mit dem „Bordvelo“ ca. 6 km bei strömenden Regen in den nächsten Ort gefahren um frische Lebensmittel einzukaufen. Wie ich im Supermarkt erstmal das Nasse Ölzeug in den Einkaufswagen packe, kommt gleich ein anderer Kunde und bietet mir an, mich nach dem Einkaufen mit dem Auto zurückzufahren. Ich muss leider ablehnen, Die Bucht von Teelin mit dem Fahrrad geht das leider nicht. Ich gehe noch in das Pub Visavis des Sparmarktes um ein Guinness zu trinken und treffe dort einen Musiker, den wir vor 2 Jahren in unserm Pub in der Bucht kennen gelernt hatten. Er bezahlt mir spontan ein Guinness und erzählt mir, dass er immer noch jeden Samstag Livemusik im Pub macht. Auf dem Rückweg scheint dann die Sonne in die stürmische Teelinbay. Ein imposantes Schauspiel bietet sich mir. Draußen ziehen die Schaumkronen der 5 – 6 Meter hohen Wellen vorbei. An den Klippen am Eingang der Bucht brechen die Wellen in einer riesigen Gischtfontäne, die der Sturm dann 30 – 40 Meter hoch, einem Feuerwerk gleich, über die Felsen treibt. Das Donnern der Wellen an den Klippen kann ich noch auf 5km Entfernung hören. Unwillkürlich kommt mir die Silvesternacht in Erinnerung. - 21 - An Bord zurück legt der Wind noch mal mächtig zu. Eine Böe erfasst unser Dingi und schleudert es wie ein Papierfetzen in die Luft. Samt Außenborder liegt es danach kieloben im brodelnden Wasser. Die Paddel treiben vom Sturm getrieben davon. Wir bergen das Beiboot und wollen den Außenborder starten um die Paddel wieder einzufangen. Der verweigert wie erwartet seinen Dienst. Ein Fischer, der mit seinem Kutter in der Nähe Krabbenreusen einsammelt, hat alles gesehen und kommt sofort herbei. Er nimmt mit dem Kutter unser Dingi in Schlepp und führt uns zu den davon rauschenden Paddeln. Anschließend bringt er uns zum Boot zurück, denn bei der vorherrschenden Windstärke ist es aussichtslos, gegen den Wind anzupaddeln. Wir bauen am Außenborder die Zündkerzen aus, reinigen und trocknen den Motor. Der 30 Jahre alte Johnson-Motor springt nach einigen Versuchen wieder Problemlos sogar auf beiden Zylinder an. Nach diesem aufregenden Ankertag gönnen wir uns am Abend im Pub ein Guinness. Der Außenborder läuft ja wieder, und zwei mal 2km laufen tut unserm Kreislauf auch gut. Viktor kämpft ja immer noch mit hohem Blutdruck. Obwohl heute nicht Wochenende ist, füllt sich das Lokal allmählich. Einige Gäste tragen Instrumentenkoffer mit sich. „Hoppla“ denke ich, „das könnte noch ein lustiger Abend werden.“ Tatsächlich, so gegen halb elf werden die Instrumente ausgepackt. Ein klassischer irischer Folkloreabend in der Dorfkneipe erwartet uns. Im Laufe des Abends beteiligt sich fast jeder im Raum als Musiker oder Sänger. Eine bunte Schar von 19- bis 90-Jährigen musiziert und singt mit sichtlichem Spaß und Freude. Eine 90-Jährige singt als Solistin mit glockenklarer weicher Stimme einige irische Volkslieder, eine 19-Jährige spielt auf der diatonischen Harmonika virtuos Sextolen im Mazurkatakt. Flöten, Querflöten, Violinen, Gitarren und die typische irische Handtrommel ertönen im Wechsel und über allem thront sowohl körperlich als auch musikalisch der Gitarrist und „Bandleader“ mit silbernem Bart und weicher Tenorstimme. Wir nutzen die heitere Stimmung um unser spärliches Englisch durch Konversation mit einheimischen Gästen etwas aufzubessern. Zurück an Bord singen die Wanten immer noch ihren eintönig hohen Ton unterbrochen vom trotzig aufsteigenden Heulen der Böen. Ob wir Morgen hier rauskommen? Tag 38. Der Wind hat nach NE gedreht. Bei Windstärke 7 am Malin Moore Head aufkreuzen? Das wäre sicher keine „vergnügungssteuerpflichtige Angelegenheit“! Wir warten einen weiteren Tag an der sicheren aber unruhigen Boje und hören auf Kanal 16 die Wetterankündigungen der Costguard ab. Dabei erfahren wir, dass ein französisches Segelboot von der Größe unseres Glückspilzes auf dem Weg von Kanada nach Irland mit 2 Personen an Bord verschollen ist. - 22 - Teelin - Campbeltown Tag 39. Der Wind hat auf 5 – 6 Beaufort nachgelassen. Wir verlassen die sichere Bucht und machen einen kurzen Kreuzschlag nach SW Danach segeln wir am Malin Moore Head vorbei nach Norden. Der Sturm der letzten Tage hat einen imposanten Atlantikschwell hinterlassen. Hoch am Wind, der heute „nur noch“ mit 5 Beaufort bläst, und mit 5 - 6 Meter hohen Wellen segeln wir an Aran-Island vorbei in die Bucht vor Burtonport. In dieser Bucht muss sehr genau navigiert werden. Richtfeuer und Peilobeliske weisen den Weg durch die unzähligen Untiefen. Tag 40. Was für ein Segeltag! Nieselregen und Nebel erfordern auch heute Morgen genaueste Navigation. Mit dem Navi-PC wäre das ja zu einfach. Viktor will die Batterien schonen. Uns erwartet ja noch ein weiterer Tag in einer Bucht, bevor wir in Portrush wieder Landstrom zum Batterien landen bekommen. „Kurs 40, nach 3 Meilen kommt dann steuerbord querab eine gefährliche Untiefe“ gebe ich Viktor am Ruder an. Gusti, unser Autopilot ist mit der hohen achterlichen Welle völlig überfordert. Bei 0,5 bis 1 Meile Sicht ist es gar nicht so einfach, manuell den Kurs zu halten. Nur Wasser und graue Suppe zu ist sehen! Nach einer halben Stunde, ich war am Kartentisch eingenickt, weckt mich Viktor aufgeregt auf. „Da vorne schäumt es im Wasser, was ist da los?“ Ich überprüfe die Position und stelle fest, dass wir viel zu nahe an die Untiefe „Bullogconell Shoals“ gekommen sind. - 23 - Gegen Mittag dreht der Wind von W auf SW zurück und nimmt zu. Der Nebel ist auch gewichen. Mit Butterfly Segelstellung und 6 Knoten über Grund geht Am Malin Head, nördlichster Punkt Irlands es nach NO Richtung Malin Head. Im Wetterbericht von der Costguard für Morgen hören wir überraschend, dass spätestens Morgen Nachmittag SE-Wind kommt. Im DWD-Bericht war bisher davon nichts zu sehen. Wir ändern deshalb kurzfristig unser Fahrplan und streichen die Ankernacht in der Lough Swilly Bay. Wenn wir gleich nach Portrush durchsegeln können wir noch den Strom vom Malin Head SE-wärts mitnehmen, der ab 19.00 Uhr mit 2 – 3 Knoten strömt. Also noch mal eine halbe Nacht durchsegeln! Strom und Wind aus SW schieben uns mit 6 bis 7 Knoten über Grund an der Nordküste entlang nach NE. Am Malin Head, dem Nördlichsten Punkt Irlands, bringen 4 Knoten Strom, Atlantikwellen und der SW-Wind die See zum kochen. Danach schießt unser „Glückspilz“, angetrieben von 3 Knoten Strom und 5 Beaufort Halbwind, mit sage und schreibe 10,5 Knoten über Grund Portrush in Nordirland entgegen. Durch die rasante Fahrt kommen wir 3 Stunden früher als geplant in Portrush an und können noch bei Dämmerung vor Mitternacht festmachen. 75 Seemeilen in 12 Sunden mit Allem, was ein Seglerherz höher schlagen lässt. Was für ein Segelertag! Tag 41. Portrush hat wohl den schönsten Sandstrand nördlich des 50. Breitengrades. Der breite und flache Strand erstreckt sich Port Rush Nordirland direkt neben der Stadt über 4km lang nach Osten. Er wird gesäumt von Dünen, hinter denen keine Hotels mit all dem Touristenrummel stehen, sondern friedlich Kühe weiden. Der geplante Ausflug zu den Giants Causeway kommt leider nicht zustande weil die Busverbindung zu umständlich und langwierig ist. - 24 - Tag 42. Um den berüchtigten Strom am Rathlin und am Mull of Kentyre optimal auszunutzen, legen wir morgens um 4 Giants Causeway im Morgennebel Uhr in Portrush ab. Nebel mit einer halben Meile Sicht und mondlose Nacht legen die See in eine gefährlich anmutende Dunkelheit. Zur Sicherheit schalte ich diesmal die Navi-PC ein und fahre mit elektronischer Karte und AISÜberwachung. Wind gibt es heute auch keinen und so motoren wir um die vielen Klippen am Nordstrand von Nordirland dem Mall of Kintyre entgegen. Nur kurzzeitig lichtet sich am Morgen der Nebel und wie eine Fata Morgana tauchen dann unmittelbar neben uns mal Klippen mit Basaltsäulen, mal weise Felsen auf und verschwinden genauso schnell wieder hinter der grauen Nebelwand. Erst gegen Mittag gewinnt die Sonne Oberhand und löst den Nebel auf. Der Wind macht immer noch Pause. Wir fahren unter Motor nach Campbeltown im Südwesten Schottlands. Das Städtchen am Ende eine Bucht wird von grünen Hügeln gesäumt auf den, schon von weitem sichtbar, Kühe weiden. Tag 43. Hafentag in Campbeltown. Von hier fuhren im 18. und 19. Jahrhundert die Auswandererschiffe nach Amerika, die - nicht immer freiwillig – verarmte und von den Schafbaronen vertriebene Bauern in die neue Welt verbrachten. - 25 - Tag 44. Im Kilbrannan Sound kommen wir wegen der heftigen Kreuzsee trotz 3 Beaufort nicht richtig voran. Erst als wir dicht unter Land von Isle of Aran segeln geht es flott weiter. Am Skipness Point weiter nördlich wieder dasselbe Spiel. Viktor gefällt das überhaupt nicht und dreht kurzerhand ab in die Ankerbucht Loch Ranza auf Aran wo wir an einer Gästeboje festmachen. Campbeltown - Oban Tag 45. Auch heute Morgen scheitern wir wieder am Skipness Point. Die Fallwinde aus den Bergen und der Seewind heben sich hier auf und hinterlassen eine hässliche hohe Kreuzsee mit ständig wechselnden Windrichtungen. Am frühen Nachmittag legen wir in East Loch Tabert im Loch Fyne an. Die Bucht und der Hafen liegen sehr geschützt hinter Felsengruppen, die nur eine schmale Einfahrt frei lassen. Das alles sieht wie einer der vielen norwegischen Schärenhafen aus. Der Ort besteht nur aus einigen Häuserzeilen entlang des Hafenbeckens überragt von einer East Loch Tabert im Loch Fyne Kirche mit Kirchturm, der nur deshalb so mächtig aussieht, weil er wuchtig auf einer Anhöhe hinter den Häusern gebaut wurde. - 26 - Tag 46. Inzwischen kennen wir uns mit den Windverhältnissen hier im Firth of Clyde besser aus. Wir segeln dicht an die NE-Küste wo uns ein guter Ostwind erwartet. Aus dem East Loch Tabert gegenüberliegenden Hafen Portavadie laufen gleichzeitig ca.6 Segelboote aus. Ohne Aussprache entwickelt sich eine kleine Regatta. Windstärke und Windrichtung ändern sich ständig. Regattafuchs Viktor packt seine ganze Erfahrung aus. Die anderen schlafen aber auch nicht. Lediglich eine „Halberg Rassy 35“ lassen wir klar hinter uns. Als wir durch geschicktes Kreuzen uns endlich einen kleinen Vorteil verschafft haben, biegt die ganze Meute in den West Kyle ab. Wir segeln weiter zu Garroch Head und biegen in den Firth of Klyde Richtung Glasgow ein. Wir erwarten den neuen Segelgast Dirk, den wir morgen am Flughafen abholen wollen, und laufen deshalb die Kipmarina an. Inverkip hat eine sehr gute Verkehrsanbindung nach Glasgow und zum Airport Glasgow. Dirk hat (hoffentlich) den Touchscreen im Gepäck, der auf dem Transport nach Kappeln kaputt ging. Damit können wir den GPS-Plotter aus der Plicht heraus sehen und bedienen. Tag 47. Am Vormittag fahren wir mit dem Zug nach Glasgow. Nach einer Stadtrundfahrt mit einem offenen Bus holen wir Dirk am Flughafen ab. Abends im einzigen Pub von Inverkip unterhalten sich Dirk und Viktor, die ausgezeichnete Kenner der schottischen Whisky-Szene sind, angeregt mit den einheimische Gästen über die vermeintlich oder tatsächlich besten Whiskymarken. Beim umfangreichen Verkosten der angebotenen Marken gewinnen sie neben einer schweren Zunge auch neue Erkenntnisse. „Bunnahabhain“ heißt der neue Favorit, der wahrscheinlich demnächst in der Bar der beiden stehen wird. Tag 48. Mit Spinnacker segeln wir den Firth of Kyde südwärts. Eigentlich wollten wir nach Campbeltown, aber der Wind schwächelt nach 3 Stunden. Wir fahren in die Lamlash-Bay an der Ostseite von Island of Arran. Beim baden in der Bucht mache ich eine schmerzhafte Bekanntschaft mit einer großen Feuerqualle. Mein ganzer Körper brennt, als hätte ich mich in einem Brennnesselfeld gewälzt. Viktor kennt glücklicherweise ein gutes Hausmittel dagegen. Er macht sofort heißes Wasser, mit dem ich mich dann so heiß als möglich abwasche. Jedes Englische und Irische Pub hat mindestens 2 riesige Flachbildschirme, auf denen ständig irgendwelche Übertragungen von Sportveranstaltungen laufen, bevorzugt Golf und Rugby. Am Abend wollen wir uns das Endspiel der U21-Europameisterschaft im Fußball im Pub ansehen aber den erforderlichen Premiere-Kanal gibt es leider nicht. Gegen 22.00 Uhr teilt uns der Wirt das Ergebnis mit, 4:0 hat Deutschland gegen England gewonnen. In den aktuellen Sportnachrichten am Bildschirm wird das Spiel mit keiner Silbe erwähnt. Tag 49. Ein richtiger Sommertag, leider ohne Wind. Wir wollen den Strom am Mall of Kintyre und zur Whyski-Insel Islay optimal ausnützen. Dazu müssen wir um 20.00 Uhr am Mull sein. Wir haben also viel Zeit und machen am Südkap von Isle of Arran in einem Strömungsfeld erstmal einen Fischerstopp. Nach einer Stunde haben wir 10 Makrelen gefangen. „Das genügt für 2 Abendessen“ sagt Viktor und wirft den Motor wieder an. - 27 - Kurz vor dem Mull of Kintyre spring der Strom an. Vor dem Leuchtturm setzt dann auch noch ein Südwind mit 4 – 5 Beaufort ein. Mit bis zu 10 Knoten über Grund schießen wir durch die aufgewühlte See unterhalb des Mull of Kintyre Nordwestwärts. Als der Ostwind nach dem Kap auf SE dreht, mach Viktor eine Halse. Durch starken Wind und Welle wird die Pentry komplett abgeräumt. Dabei geht Viktors Lieblingstablett in die Brüche. Später habe ich die vielen Scherben mit Sekundenkleber wie ein Puzzle wieder zusammengesetzt. Jetzt sieht das Tablett wie ein archäologisch wertvoller Teller aus. Bis zu unserer Ankunft in Port Ellen haben wir immer noch den Strom mit uns. Vor der Bucht hat es viele Untiefen, und das Leichtfeuer der Hafeneinfahrt ist zeitweise von einer großen Fähre abgedeckt. Wir fahren die nächtliche Anfahrt deswegen diesmal mit PC-Unterstützung. Tag 50. Gleich 8 Whisky Destillerien von Weltruf gibt es hier auf Islay. Im Sound of Jura weht ein guter Ostwind mit 5 Beaufort. Wir kommen trotz dem erwarteten Gegenstrom zügig nach Norden voran. Ursprünglich wollten wir heute in der Bucht vor der Whisky Destillerie Craighouse ankern. Wegen der Guten Windlage segeln wir weiter in die Bucht Loch Crinan. Bowmore und Ardbeg zwei der berühmten Islay- Whiskys Tag 51. Das obligate morgendliche Bad im See ist diesmal schnell wieder beendet. Eine Kontrollmessung bestätigt mein Verdacht. Hatten wir vorgestern in Lamlash noch angenehme 16°, beträgt die Wassertemperatur hier im Sound of Jura nur noch 11°. Um 07.00 Uhr starten wir zum Sound of Corryveckan, der auch als größter Wirlpool Europas bezeichnet wird. Bei gutem Nordwind kreuzen wir durch die brodelnde See und vielen Klippen nordwärts nach Oban. Tag 52. Hafentag in Oban. Die Marina auf der Insel Kerrea gegenüber der Stadt ist sehr gut ausgerüstet. Duschen, WC, Waschmaschinen, Wäschetrockner, Tankstelle und eine Werft mit Motorenwerkstatt. Ich steige in den Mast und wickle den Antennendraht gleichmäßig um das Achterstak. Nun ist der Wetterempfang am Kurzwellenradio bedeutend besser. Auf dem Rückweg von einem Landausflug fällt der Außenborder unseres Beibootes aus. Dirk, der ja Mitglied in einem Ruderclub ist, und ich müssen die Meile zurück rudern. Obwohl das eine anstrengende Sache ist, sind dabei die Kalorien der vorher eingenommenen Guinness nicht verbrannt. - 28 - Tag 53. Wieder ein schöner Segeltag. Wir segeln mit Spinnacker durch den Sound of Mull nach Tobermory. Etwa 4 Meilen vor dem Ziel nimmt der wind stark zu. Diesmal reagieren wir zu spät. Beim Bergen des Spinnackers machen wir einen Tobermory „Sonnenschuss“ und legen dabei das Boot fast quer ins Wasser. Alle Leinen los und den Spi wieder einfangen! Nichts ist passiert, der Spi ist noch trocken und heil. Die Ursache des Malheurs ist auch gleich gefunden. Wir hatten die Luvschot nicht genügend gefiert. Tobermory liegt an einem großen geschützten Naturhafen. An der Westseite steht eine bunte Häuserreihe und die nach dem Ort benannte Whiskybrennerei. Der Rest der Bucht ist gesäumt mit hohen Felsen und dichtem Wald. In einer der beiden Kirchen an der Pier ist der örtliche Sparmarkt untergebracht. Schon vor 2 Jahren ist uns aufgefallen, dass in England viele Kirchengebäude zu kommerziellen Zwecken umgewidmet werden. An einem Freitagabend ist in schottischen Pubs immer was los. Wir gehen in das Pub neben der neuen Marina, die letztes Jahr an der Südseite der Bucht angelegt wurde. Überwiegend Jugendliche feiern im Pub fröhlich und ausgelassen. 3 Jugendliche Musiker spielen Auf Akkordeon, Dudelsack und Schlagzeug klassische schottische Volkslieder, die sie teilweise mit modernen Rhythmen versehen. Wir machen eine umfangreiche Whiskyprobe der seht gut sortierten Pubtheke. Eindeutiger Sieger ist ein 18-jähriger Bunnahabein. Oban - Ullapool - 29 - Tag 54. Wir verlassen die geschützten Gewässer der schottischen Inseln und segeln zu den südlichen Hebriden. Der lange Atlantikschwell und die um 90° versetzte Welle ergeben eine unruhige Fahrt. 10 Meilen vor Isle of Barra geht der Wind aus. Die „saublöde Welle“ wie Viktor sagt, mach aus der 2-stündigen Motorfahrt eine anstrengende und feuchte Angelegenheit. In der Bucht vor Castelbay erwischen wir die letzte freie Boje. In dem kleinen Ort vor den zerklüfteten und kahlen Bergen gibt es viele zerfallene oder unbewohnte Häuser. Auch eine der beiden Kirchen hat Löcher im Dach und eingeschlagene Fenster. Eine Jugendherberge, englisch Hostel genannt das es in fast jeden Ort in England und Irland findet, gibt es hier auch. Nach einem Spaziergang trinken wir im Pub noch ein Bier. Und wieder feiern einige einheimische Jugendliche ausgelassen. Der große runde Tisch, um den sie sitzen ist übervoll beladen mit Bier- und Whiskygläsern, die ständig nachgefüllt werden. Unterstütz von 2 Akkordeons werden schottische Volkslieder und alte Schlager gesungen, wobei die reine Harmonielehre nicht immer korrekt angewendet wird. Wir unterhalten uns angeregt mit einigen Frauen aus Südengland, die hier auf der kleinen Insel Urlaub machen. Tag 55. Der Tag beginnt mit großer Aufregung und Schrecken. Ich möchte noch schnell im kleinen Laden des Ortes Brot einkaufen und finde meinen Geldbeutel nicht mehr. Da war doch was gestern Abend? Eine der Frauen hat mit Ihrem Foto Bilder von uns gemacht. Ich hatte ihr eine Adresskarte aus meinem Geldbeutel gegeben, damit sie die Bilder mir mailen kann. Da habe ich den Geldbeutel offensichtlich nicht mehr richtig eingesteckt. Ich renne zum Pub zurück und werde vom Besitzer gleich lachend empfangen. Er hatte nach Feierabend den Geldbeutel auf der Eckbank, auf der wir gestern saßen, tatsächlich gefunden und sicher aufbewahrt. Nach dem Abstecher zu den Hebriden segeln wir zurück zur Isle of Canna. An der Westseite der Insel gibt es eine Bucht, in der wir vor dem strengen Nordwind sichern Schutz finden. Hier müssen früher mal Mönche gelebt haben, denn außer Schafen gibt es hier nur eine große Kirche und einen alten Friedhof mit Kapelle. Neben der Kirche stehen noch zwei eingefallene Häuserruinen. Das Abendrot und die schnell ziehenden Wolken zeichnen ein prächtiges Bild von den hohen felsigen Bergen der südlichen Nachbarinsel Rhum. - 30 - Tag 56. Entlang von Isle of Rhum segeln wir zum Point of Sleat. Im Sound of Sleat erwartet uns Nordwind mit 6 – 7 Beaufort. Hoch am Wind und mit stark gerefften Segel fahren wir NE-wärts in den Sound. Spätestens um 17.00 Uhr müssen wir im Keyle Rhea sein, wo uns dann Strom von bis zu 7 Knoten erwartet. Daraus wird leider nichts. Die Toplaterne hat sich gelöst und baumelt an der Mastspitze, die sich durch den Seegang heftig bewegt. Kurzentschlossen biegen wir in die Bucht „Loch na Dal“ ab und machen an einer Fischerboje fest. Zumindest der Wellengang ist hier erträglicher, aber der Wind pfeift immer noch mit 7 Beaufort. Ich habe das zweifelhafte Vergnügen, bei diesen Bedingungen auf den 16 Meter hohen Mast zu steigen, um die Toplaterne zu bergen. Tag 57. Die Strömung im Kyle Rhea bestimmt den Tagesablauf. Damit wir um 5 Uhr den nördlichen Strom nutzen können, fahren Eilan Dunan Castle wir schon morgens um 4 Uhr weiter. Der Strenge NE hat sich gelegt und weht wie erwartet im Kyle of Rhea mit 3 Beaufort dagegen. Mit langsam laufendem Motor und 6 Knoten Strom kommen wir aber trotzdem schnell voran. Das gestrige Ziel „Eilan Dunan Castle“ erreichen wir deshalb schon morgens um 7 Uhr. Eilan Dunan Castle, in dem einer Sage nach der Highlander MacLoid gelebt hat, ist eines der meist fotografierten Motive Schottlands. Wir ankern unmittelbar vor dem Castle und Frühstücken. Danach segeln wir nach Kyle of Lochalsh, wo es nach 5 Tagen auf dem Boot endlich wieder Duschen und Einkaufsmöglichkeit gibt. Am Nachmittag geht es weiter nach Plokton im „Loch Carron“. Draußen im „Inner Sound“ weht der Nordwind inzwischen mit 7 – 8 Beaufort. Eine Stunde müssen wir hart gegenan kreuzen um dann in das ruhigere „Loch Carron“ abzubiegen. Die Ankerbucht von Plokton ist bei jeder Wellerlage sicher und ruhig. Beim Spaziergang durch den gepflegten kleinen Ort fallen mir die mediterran anmutenden Gärten auf, die zwischen der Häuserzeile und dem Strand angelegt sind. Palmen, Zedern und andere Sträucher, die sonst nur am Mittelmeer anzutreffen sind, zeugen von einem durch den Golfstrom verursachten milden Klima hier. - 31 - Tag 58. Eigentlich wollten wir mit unserem Segelgast Dirk eine „Dackeltour“ machen. Dackeltour nennen die Fahrtensegler einen Törn, bei dem ohne festes Ziel immer dahin gesegelt wird, wo der Wind eine gemütliche Fahrt ermöglicht. Genauso wie „Herrchen“ oder „Frauchen“ dem Dackel beim Ausgehen folgen. Da für die nächsten 4 Tage weiterhin strenger Nordwind angesagt ist, wechseln wir die Genoa gegen eine viel kleinere Sturmfock. Irgendwie müssen wir nach Norden kommen um Dirk rechtzeitig in Ullapool wieder absetzen zu können. Wir kreuzen deshalb bei 5 Beaufort NWind durch den „Inner Sound“ nordwärts und danach durch den „Caol Rona“ in den „Sound of Raasay“. Dort hat der Nordwind der letzten Tage bis zu 5 Meter hohe Altantikwellen aufgebaut. An der Nordspitze der Insel Rona ankern wir im „Loch A’Bhraige“ in einer kleinen Seitenbucht, die bei der vorherrschenden Nordlage relativ sicher und ruhig ist. Damit wir bei – sehr unwahrscheinlichem – Windwechsel in der engen Bucht nicht auf die Felsen treiben, legen wir noch einen Loch A’Bhraige Heckanker. - 32 - Tag 59. Für die immer noch vorhandenen Wellen ist der Wind heute Morgen zu schwach und hat zudem noch nach NE gedreht. Unser Glückspilz schaukelt und tänzelt mit 4 Knoten Fahrt nordwärts. Das „Badachro In“ ist heute unser Ziel. Das Restaurant hat sogar einen MichelinStern und liegt in einer Seitenbucht von Loch Gairloch idyllisch umgeben von Viehweiden und Tannenwald. Gleich nach dem wir an der Boje festgemacht haben, möchte ich für heute Abend einen Platz für uns reservieren. Leider sind im „Lunch-Room“, der einen herrlichen Rundum-Blick über die Bucht bietet, um 15.00 Uhr schon alle Tische reserviert. Das „Meal“, das wir dann abends im Bar-Room zu uns nehmen, ist für englische Verhältnisse sehr gut und dazu noch preiswert. Anschließend trinken wir auf der offenen Terrasse noch einen Whisky und lernen einen Maurer kennen, der schon in München gearbeitet hat und deshalb etwas deutsch kann. Bevor wir wieder zurück aufs Boot gehen wollen, schlendere ich noch über den Hof vor dem Restaurant. Dabei spricht mich ein Mädchen an, das Behindert ist. Ich hatte es am Nachmittag und am Abend in der Bar schon gesehen und dabei beobachtet, wie es von einem Gast sehr laut und schroff abgewiesen wurde. Das Mädchen forderte mich durch Gesten auf, mit ihm zu spielen. Wir tollten über den Hof, durch einen Schuppen in den angrenzenden Wald und wieder zurück. Da bei habe ich das Mädchen mehrfach auf den Arm genommen. Das Mädchen hatte ein starkes Verlangen nach kindlicher Zuneigung, dem ich unbedacht nachgegangen bin. Das Spiel wurde jäh durch 3 Männer beendet, die mich zu Boden warfen und mich verprügeln wollten. Sie bezichtigten mich, das Mädchen sexuell belästigt zu haben. Erst als der Maurer dazu kommt, entspannt sich die Situation. Als Viktor und Dirk noch dazukommen beschließen wir, sofort auf das Boot zurückzukehren, wo ich auf den Schreck erstmal einen Whisky nehme. Viktor wollte nun nicht mehr hier bleiben. „Ich habe hier nichts unrechtes getan. Es gibt keinen Grund, hier abzuhauen!“ warf ich ein. Er war aber nicht umzustimmen. „Ich möchte von den besoffenen Kerlen nicht auch noch verprügelt werden. Wir fahren in die sehr ruhige Shildaig-Bay, die am Ostende von Gairloch liegt und von Felsen und Wald gesäumt ist. - 33 - Tag 60. Der windstille und sonnige Samstagmorgen macht die abgelegene Bucht noch einsamer und stiller. Mit ablaufendem Strom und einem Hauch von Ostwind lassen wir uns ganz langsam aus Loch Gairloch treiben. Heute wollen wir endlich mal wieder einige Fische fangen. Aber die wollen heute nicht beisen. Erst bei Longa Island am Eingang von Loch Gairloch fängt Dirk 2 Makrelen. Inzwischen ist NNE-Wind aufgekommen und wir kreuzen nordwärts Richtung Loch Ewe. Am Nachmittag frischt der Wind auf 5-6 Beaufort auf, auch die hohe Atlantikdünung ist wieder da. Um nach Loch Ewe zu kommen müssen wir noch einige Stunden gegen Welle und Strom um das Kap „Rubha Reidh“ ankreuzen. Loch Ewe war im 2. Weltkrieg ein wichtiger Marinestützpunkt. Außer einigen wuchtigen Schützenbunker am im schmalen Eingang der Bucht und einer verrotteten Pier ist davon nichts mehr zu sehen. Gleich in der ersten Seitenbucht an deren Ende noch einige alte Wellblechbaracken stehen, finden wir überraschend 3 Gästebojen. Nur so zum Zeitvertreib hängt Dirk die Angel raus. Kurze Zeit später zappelt doch tatsächlich die dritte dringend benötigte Makrele am Angelhaken. Obwohl Die Bucht sehr geschützt am Nordende von Loch Ewe liegt, wird es eine unruhige Nacht. Irgendwie bildet sich durch Strömung und Wind ständig ein Wellengang. Vor allem während der auflaufenden Flut wippt unser Glückspilz über Bug und Heck. Tag 61. Zu unserem Verdruss hat der Wind auf ENE gedreht. Also weiter kreuzen! Wir müssen heute nach Ullapool, von wo unser Gast Dirk morgen mit Bus und Zug zurück nach Glasgow fährt. Am Greenstone Point müssen wir trotz Sturmfock das Großsegel reffen. Für die nächsten 4 Stunden ist „Kampfsegeln“ hoch am Wind bei 6-7 Beaufort durch die aufgewühlte See angesagt. Dass Wind, Seegang und Tidenstrom eine sehr gefährliche Mischung ergeben, erlebe ich dann am Riff „Glas-Leac Beag“, das ich mit ca. einer halben Meile Abstand in Luv passieren will. Ich muss immer höher an den Wind um den Abstand zu halten. Dadurch wird das Boot immer langsamer und ich treibe immer schneller auf das Riff zu. Gerade noch rechtzeitig mache ich die Segel auf und werfe den Motor an damit ich mit Motorkraft mich aus der gefährlichen Lage befreien kann. Es ist doch verflixt, immer wenn ich schnell den Motor brauche, ist der Starterschlüssel, der sonst immer startbereit steckt, verkantet oder aus dem Schloss gefallen. Adrenalinschübe machen das Segeln zwar immer spannend, aber solche Begebenheiten verzichte ich gerne. Inzwischen bläst es ständig mit 7 Beaufort aus Osten. Wir setzen das Großsegel auf das kleinste Reff und kreuzen vor Loch Broom ostwärts. Ullapool hat nur einen Industriehafen und einen Fischerhafen. Yachten machen an Gästebojen vor dem Hafen fest. Wir gehen um einzukaufen an einem Fischerboot längsseits. - 34 - Viktor geht an Land, um zu klären, wie lange wir am Fischerboot bleiben können. Auf der Pier wird er von 2 Polizisten nach den Ausweisen von uns gefragt. Ich hole meinen Ausweis aus dem Geldbeutel und gehe im Ölzeug und Bordstiefel von Bord, nichts ahnend was uns da erwartet. Der Polizist redet sehr viel, verstanden hat keiner etwas. Nur die Zahl 1995 habe ich verstanden. Wir müssen alle mit zur Polizeistation. Ich werde in ein Büro geführt, wo eine freundliche Polizistin meine Personalien aufnimmt. Viktor und Dirk bekomme ich nicht mehr zu sehen. Was nun folgt, übersteigt alle meine bisherige Vorstellungskraft. Nach langem Hin und Her wird telefonisch ein Dolmetscher eingeschaltet. Ich erfahre, dass ich aufgrund eines schottischen Gesetzes von 1995 festgehalten werde, das Wörtlich übersetzt „schlechtes Benehmen“ unter Strafe stellt. Wo ich mich schlecht benommen haben soll, wissen die Polizisten auch nicht. Ich werde noch gefragt, ob ich jemanden informieren möchte wo ich jetzt sei und ob ich einen Rechtsanwalt habe. Ich kann damit nichts anfangen und halte die Frage für eine Standartfloskel der Polizei. Ein schwerer Fehler von mir, wie sich später herausstellen sollte. Danach geht alles sehr schnell. Ich werde am ganzen Körper visitiert, muss mein Ölzeug ausziehen und den Gürtel abgeben. Sogar mein Taschentuch muss ich herausgeben. Handschellen klicken und ich werde in ein Polizeiauto gesteckt. Mit Blaulicht und teilweise „Tatü“ rasen zwei blutjunge Polizisten mit über 80mph, das sind ca. 130 kmh über die Landstraße nach Inverness. Sämtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen auch Innerorts werden ignoriert, und waghalsige Überholmanöver durchgeführt. Die Jungs haben offensichtlich Spass an der rasanten Fahrt. Auf der Polizeistation in Inverness beginn dann das, was mich in den nächsten Tagen fast zum Wahnsinn getrieben hat. Warten, warten, warten, …… und nie wissen, was als nächstes passiert. Irgendwann am Abend werde ich in einen Verhörraum geführt, wo mich eine Polizistin in Zivil, ein weiterer Polizist den Protokoll führt und ein Dolmetscher erwarten. Die resolute Polizistin macht von Vornherein keinen Vertrauen erweckenden Eindruck bei mir. Endlich erfahre ich, was ich bereits geahnt habe. Ich bin wegen des Vorfalls im „Badachrow In“ Verhaftet. Man wirft mir sexuelle Belästigung einer Minderjährigen vor. Jetzt verlange ich einen Rechtsanwalt. Die Sache ist mir zu heiß geworden. Aber dazu ist es nun zu spät. Meine Forderung wird abgelehnt. Ich hätte schweigen sollen, bis ein deutsch sprechender Anwalt da ist! Ich wollte aber die Angelegenheit nicht unnötig kompliziert machen und schilderte den Vorfall so gut es meine verwirrten Gedanken und der erhebliche Alkoholgenuss vor und vor allem nach dem Geschehen in der Ankerbucht erlaubten. Dabei wurde ich auch gefragt, ob ich bei dem Restaurant ein Polizeiauto gesehen habe. Die waren offensichtlich schon das, als wir die Bucht verlassen hatten. Die Polizistin sagt mir frech ins Gesicht, dass sie meine Ausführungen nicht glaubt. Was für ein Böses Spiel wird hier mit mir getrieben?? Ich werde in eine 3x4 Meter große Zelle gesteckt deren einziges Mobiliar eine mit blauem Latex überzogene Matratze und ein WC (ohne Klopapier) ist. Weis gekalkt ohne Fenster und mit grellem hellem Neonlicht erleuchtet. Etwas Später bekomme ich noch etwas zu Essen, eine Decke und einige Becher Wasser. Danach fällt die schwere Stahltüre mit einem lauten Knall zu. Obwohl ich den ganzen Tag noch nichts gegessen habe, bin ich unfähig, etwas zu essen. Die Angst schnürt mir die Kehle zu. - 35 - Die schlimmste Nacht meines Lebens beginnt. Kein Fenster, kein Tageslicht, kein Geräusch dringt von draußen rein, nur fahl weise Wände und Decke. Die totale Ruhe, nach der sich so viele sehnen, hier habe ich sie! Nur das ganz leise Surren eines Lüfters. Seit 4 Tagen habe ich nicht mehr geduscht. Ich trage schmutzige und verschwitzte Unterwäsche. Die ganze Kleidung ist von den letzten beiden schweren Segeltagen klamm und salzgetränkt. Auch Kopfkissen gibt es hier keines. Nirgends eine Uhr, nichts, was die wirren Gedanken ablenken könnte. Das alles kommt mir wie mittelalterliche Folter vor. Dazu noch der unerbittlich surrende Lüfter, der vermeintlich immer lauter wird. Ich falte aus der schmutzigen Jeanhose ein Kissen und versuche zu schlafen, unmöglich! In meinem Kopf dreht sich alles. Ich zermartere mir mein Gehirn in panischer Angst. Habe ich etwas gesagt, was falsch interpretiert wird? Habe ich etwas vergessen, was wichtig gewesen wäre? Ist da doch etwas passiert, was ich – vom Alkoholgenuss unkontrolliert – getan habe? Aber soviel hatte ich doch bis zu dem Vorfall mit dem Mädchen auch nicht getrunken. Wie konnte es passieren dass bei mir alle Warnsysteme versagten, als das Mädchen mich an der Hand nahm um mit mir zu spielen? Das Kind, das in Badachrow immer nur von den Erwachsenen abgewiesen wurde, muss nun als Vehikel herhalten, mich zu ruinieren. Nervlich am Ende und zu keinem klaren Gedanken fähig sehe ich mich für die nächsten Monate in einem schottischen Gefängnis schmachten. War ich eingeschlafen oder die ganze Zeit wach? Durch die unendliche Stille röhrt der Lüfter scheinbar immer lauter. Irgendwann schlafe ich dann doch ein, werde aber gleich wieder vom Lärm wach weil ich neben dem ratternden Schiffsdiesel unseres Glückspilzes liege. Nein! Das ist ja der Lüfter, der real immer noch leise surrt. Ich hoffe inbrünstig, dass ich aufwache und der böse Alptraum zu Ende ist. Aber nein, ich bin ja wach und der böse Traum geht weiter. Um dem gleißenden Neonlicht zu entfliehen ziehe ich mein Unterhemd aus und binde es mir über die Augen. Irgendwann muss diese grässliche unendliche Nacht doch zu Ende sein. Tag 62. Auch das Frühstück, das ich gegen 7.00 Uhr bekomme, rühre ich nicht an. Zumindest die Uhrzeit konnte ich vom Aufseher erfahren. Und wieder beginnt das unendliche Warten. Ich soll heute dem Haftrichter vorgeführt werden, hat man mir gesagt. Um halb 9 wieder Handschellen, ich werde mit 6 weiteren Personen – Personen?? Häftlinge!!, nein Häftlinge sind wir ja – in einen Gefangenentransporter gesteckt. Nun bin ich also ein Häftling und werde behandelt wie ein Mörder. Wieder steigt in mir die grässliche Angst hoch, dass ich dieser Justizmühle auf die nächsten Monate oder gar Jahre nicht entrinnen kann. Über eine Stunde fährt der rumpelnde Bus durch die schottische Landschaft. Wenn ich jetzt mit meinem Wohnmobil unterwegs wäre, wäre es ein herrlicher Tag am Rande der Highlands. Die Gegend ist Landwirtschaftlich geprägt mit Blick auf die hohen Berge im Osten. Die Namen der Schilder, die an mir vorbeifliegen sind für mich nichts sagend. Nur der Name Thurso taucht immer wieder auf. Wo geht die Reise hin? Aufgrund der Uhrzeit und des Busschattens erkenne ich, dass es die meiste Zeit nach Nordosten geht. Vor einem klassischen englischen Herrenhaus in einem kleinen Dorf hält der Bus. Ich werde in ein kahles Besprechungszimmer geführt und wieder stundenlang …….. Warten! Die anderen Häftlinge werden in Zellen untergebracht. Das Besprechungszimmer ist also ein Privileg für mich, ein Lichtblick im Dunkeln? Leider nicht! Eine freundliche Aufseherin erklärt mir auf Nachfrage, dass wir hier in einem Gerichtsgebäude südlich von Thurso, sind. Also an der Nordküste Schottlands. Am Schatten, den ein Gebäudeteil auf das Milchglasfenster wirft, versuche ich die Zeit einzuschätzen. Wenn ich doch nur einige Blätter Papier und einen Stift bekäme! Ich könnte meine Gedanken etwas ordnen und aufschreiben. Aber selbst das wird mir bisher immer wieder verwehrt. - 36 - Ich glaubte, dass es bereits später Nachmittag ist, als 2 Damen eintreten, die sich als Dolmetscher und Pflichtverteidigerin vorstellen. Endlich mal jemand, der mir wirklich helfen will und dem ich vertrauen kann. Ich erklär den ganzen Vorfall noch mal. In der ruhigen Atmosphäre fallen mir auch mehr Details vom Abend in Badachrow ein. Die Verteidigerin, Alison Foggo, erklärt mir, dass der Staatsanwalt einer Entlassung nicht zustimmen wird. Die Begründung ist genauso niederschmetternd wie einleuchtend. Ich habe keinen festen Wohnsitz in Schottland und der Reisepass, dessen Einzug – vermeintlich – verhindern könnte, dass ich den EG-Raum verlassen kann, liegt auch nicht vor. Die Damen versuchen mich zu beruhigen. Selbst im schlimmsten Fall, wenn das alles wahr wäre, was mir da vorgeworfen wird, müsste ich nicht dafür in das Gefängnis. Aber ich bin nun halt Untersuchungshäftling, wie das in Deutschland heißt. Da laufen gesetzlich vorgeschriebene Prozeduren ab, die nun nicht mehr unterbrochen werden können. Die Gerichtsverhandlung dauert dann mit allen Regularien weniger als 5 Minuten. „……… ist weiterhin in Haft zu halten!“, der Hammer saust nieder, aus vorbei, die nächsten 8 Tage muss ich im Gefängnis verbringen! Später erklärt mir die Rechtsanwältin, dass der Staatsanwalt eventuell einer früheren Entlassung zustimmt, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu muss der Reisepass vorliegen, eine Kaution überwiesen werden, und ein Videoclip von mir für die Zeugenerkennung erstellt werden. Eigentlich ganz profane Dinge, die mit 2-3 Telefonaten erledigt wären. Mein Handy, auf dem alle Adressen, Telefonnummern und sonstige wichtigen Daten gespeichert sind und mein Geldbeutel mit Kreditkarten sind für mich unerreichbar auf dem Boot in Ullapool. Telefongespräche wurden mir bisher streng untersagt. Ins Ausland schon gar nicht. Frau Foggo erreicht, dass ich noch im Gerichtsgebäude meine Frau Helga anrufen darf. Was soll ich ihr denn erzählen? Natürlich die Wahrheit, aber was ist denn die Wahrheit? Ich versuche es auf die lässige Art, „Ich habe wieder mal im Ausland scheiße gebaut und Handschellen an!“ Wieder mal! Eine Anspielung auf den Vorfall in Chamonix vor fast 30 Jahren. Damals hat mich die französische Polizei publikumswirksam in Handschellen über einen belebten Markt gezerrt, weil einige Vereinskollegen und ich angeblich die Zeche nicht bezahlt hatten. Die Sache ging damals für mich – mit Ausnahme einer blutenden Platzwunde am Kopf – glimpflich aus. So einfach komme ich diesmal nicht mehr davon. Für Gefühle am Telefon ist keine Zeit. Ich muss die weitere Vorgehensweise organisieren. Meine Tochter Angela, die als einzige in der Familie sehr gut englisch spricht, ist nun die einzige Schaltstelle, über die ich indirekt über Frau Foggo mit der Außenwelt korrespondieren kann. Auch Viktor, der auf unserem „Glückspilz“ in Ullapool auf mich wartet, muss endlich informiert werden, was passiert ist. Viel später erfahre ich, dass er heute „Besuch“ vom schottischen Zoll hatte. Sie durchsuchten das Boot gründlich nach Drogen. Das war aber nur ein vorgeschobener Grund. In Wirklichkeit hatten sie von der Staatsanwaltschaft den Auftrag, das Boot nach pornografischen Beweisen, vor allem Kinderpornos, zu durchsuchen. Viktors PC, den NaviPC und sämtliche CDs wurden überprüft. Mein PC, die externe Platte und alle Videofilme von mir wurden konfisziert. Wenn die nur Pornos suchen, habe ich ja nichts zu befürchten, aber auf dem PC sind aber wichtige Kundeninterne Daten, die die Schotten gar nichts angehen. Und dazu noch einige nicht legal installierte Programme! Nach dem Gespräch mit Helga bekomme ich fast einen Nervenzusammenbruch, Ich weine hemmungslos und weis gar nicht warum. Wie ein Vulkan in der Arktis bricht es aus dem Eispanzer aus. Meine Gefühle, mein Innerstes, das die Vernunft und der tägliche Erfolgsdruck in der realen Welt der kalten „Business-Gesellschaft“ wie unter einem Eispanzer zugedeckt halten, brechen unter der geschmolzenen Eisdecke hervor. Ein Eispanzer, den die Erwartungen der Erwachsenenwelt vor über 40 Jahren aufgebaut haben. Ein Eispanzer, der aus einem sinnlichen und träumenden Buben allzu schnell einen nur noch rationell denkenden ehrgeizigen Erwachsenen gemacht hat. - 37 - „Heiner der Träumer“ hat mich mein geliebter Großvater manchmal genannt. Die Jahre, die ich als „Hirtebube“ auf dem abgelegenen Bergbauernhof bei meinem Großvater verbracht habe, waren voller kindlichen Emotionen und Träumen. Immer noch zehre ich von den kostbaren Erfahrungen, die ich auf den abgeschiedenen Bergweiden beim Hüten meiner Kühe gemacht habe. Die Frösche im Sumpf, der Ameisenhaufen im Wald, die Spinnentunnel am Wegesrand, die Sandfallen der Ameisenlöwen am Waldesrand, die Leuchtwürmer in der lauen Augustnacht, aber auch die brüllenden Gewitter, die grellen Blitze, die Nachts meine Kuhherde vor der gelbgrauen Gewitterwand schemenhaft wie ein Scherenschnitt aussehen ließen, auch der gestrenge aber immer gerechte Großvater und Onkel Albert, der Jungbauer, der mir viele Tricks Kniffe beigebracht hat, die man als Lausbube braucht. All das ist bei mir immerwährend gegenwärtig, es sind Bilder, die mir viel bedeuten und die ich dankbar in Erinnerung halte. Ein Lehrlingsausbilder, mit dem ich später noch mal geschäftlich zusammen kam, hatte mich damals gefragt: „Heinrich, was haben die bloß aus dir gemacht? Wo ist der schüchterne unbeholfene Junge geblieben?“ Ich hatte diesen Satz damals in meinem neu erworbenen Selbstverständnis als Kompliment aufgefasst. Heute weis ich, dass es keines war. Ich atme tief durch, schalte mein Vernunftgehirn wieder ein und analysiere die Lage. Es hilft nichts, es gibt hier für mich keine Alternative. Wenn ich das hier ohne psychischen Knacks überstehen will, muss ich das geschmolzene Eis über meinen Emotionen wieder gefrieren lassen. Es fällt mir nicht leicht, hier in Zelle 11 des Gefängnisses in Inverness, diese Zeilen zu Papier zu bringen. Aber diese Zeilen sind Teil meiner emotionalen Rehabilitation. Die Dolmetscherin versucht mich aufzumuntern: „In spätestens einer Woche ist alles vorbei!“ Zurück geht es wieder mit der „grünen Minna“, wie diese Fahrzeuge in Deutschland genannt werden, hier aber neutral weis sind. Diesmal in das Gefängnis von Inverness. Es ist zwar nicht so komfortabel, aber im Moment viel billiger als ein Hotelzimmer. Ich habe in Hotels auch schon unfreundlicheres Personal erfahren als hier. Ich darf endlich duschen, bekomme meinen dringend benötigten Gürtel zurück und werde in die unvermeidliche Gefängniskleidung eingekleidet. Diese besteht aus altertümlich anmutender Unterwäsche, modern geschnittener Jeanshose und sportlich elegantem Poloshirt. Auch die Lederschuhe könnten bei entsprechender Pflege zum sonntäglichen Kirchgang getragen werden. Lediglich der Aufgebügelte gelbe Streifen auf den Hosenbeinen und der eingestickte Schriftzug „SPS Inverness“ auf den Poloshirts weisen auf das Gefängnis hin. Dieser Schriftzug ist auch auf allen Uniformen des Personals. Wie in jedem Hotel gibt es auch hier einen richtigen „Check In“. Die Konversation gestaltet sich allerdings anfänglich sehr schwierig. Einen Dolmetscher gibt es hier nicht und die Anweisungen, Fragen und Informationen sind sehr umfangreich. Wie ich den PC auf dem Schreibtisch sehe, kommt mir die rettende Idee. Ich bitte den Officer, das Google Übersetzungsprogramm aufzurufen. Der ist davon so begeistert, dass er mich auffordert, gemeinsam am PC das In Gefängniskleidung Check-In durchzuführen. So werden die gegenseitig eingetippten und übersetzten Informationen für beide Seiten einigermaßen verständlich. - 38 - Die Zellenhalle, in die ich dann geführt werde, sieht tatsächlich genau so aus, wie es in zahllosen amerikanischen Krimis gezeigt wird. Das hier ist aber kein Klischee sondern raue Wirklichkeit. Vorne rechts eine Art Tresen, hinter der das Wachpersonal sitzt. Auf 3 Etagen rechts und links die wuchtigen stählernen Zellentüren und an den Gängen in den oberen Etagen hohe kunstvolle schmiedeeiserne Geländer. In Deutschland würde so ein Ensemble sicher unter Denkmalschutz gestellt. Gefängnishalle „B“ Inverness Mir wird Zelle 11 im Erdgeschoss zugewiesen. Die Zellen sind spartanisch, aber mit allem erforderlichen Inventar ausgerüstet. Waschbecken, 2 Abschließbare Schrankfächer, separates WC und natürlich das obligate eiserne Doppelbett. Sogar ein Fernseher und ein Wasserkocher sind da. Fehlt nur noch eine Dusche, und das Hotelzimmer wäre komplett. Meine Unterkunft während 2 Jahre Marine in der Kaserne und auf dem Torpedoboot „Hermes“ waren zu keiner Zeit komfortabler. Nur die schwere Stahltüre, die jedes Mal mit einem dumpfen „Plopp“ zufällt und innen keine Klinke hat, stört das Idyll. Appetit habe ich immer noch keinen. Obwohl ich den ganzen Tag nur Tee und Wasser bekommen habe lasse ich das Abendessen, das ein Officer mir besorgt hat, unberührt. Tag 63. Der erste Gefängnistag meines fast 58-jährigen Lebens. Die Abläufe sind reglementiert aber ohne Hektik und Geschrei. Zu Essenszeit, Zimmerreinigung, Hofgang, der hier „exercise“ heißt, etc. werden Etageweise die Zellentüren geöffnet. Wenn da nicht die immer noch beständige Angst wäre, dass diese Justizmühle mich so schnell nicht wieder ausspuckt, ich könnte dem Ganzen gar etwas Positives abringen. Sogar einen sehr gut bestückten Fitnessraum gibt es, den man theoretisch außer Sonntag jeden Tag eine Stunde benutzen darf. Wegen Personalmangel funktioniert das allerdings nicht jeden Tag. - 39 - Nach dem Mittagessen händigt man mir eine große Plastiktüte mit gebrauchten Brillen aus. Ich kippe den Inhalt auf mein Bett. Es kling makaber, aber unwillkürlich kommt mir eine Szene aus einem Holocaust Film in den Sinn, wo Brillen von getöteten Juden auf einen Haufen geworfen werden. Aus dem Berg von über 100 Brillen finde ich tatsächlich eine Passende Lesebrille für mich. Endlich kann ich wieder lesen und schreiben. Beim Hofgang am Nachmittag im Innenhof unterhalten sich einige Gruppen angeregt miteinender. Ich halte mich zurück und beobachte das Geschehen aus der Entfernung. Komisch, ich werde gleich mehrfach gefragt, ob ich ein Pole wäre. Sehe ich so aus? OK, ich müsste mich mal rasieren. Dabei fällt mir auf, dass polnisch die einzige Fremdsprache ist, in die einige Infos und Anweisungen an den Anschlagbrettern übersetzt sind. Die Polen stellen hier demnach den größten Anteil ausländischer Häftlinge. Ansonsten ignorieren mich die Mithäftlinge, was mir auch recht ist. Lediglich einer, der sich auch nicht an den Gruppengesprächen beteiligt, spricht mich nach einiger Zeit an. Er ist 23 Jahre alt und noch etwas kleiner als ich. Aus der Konversation, die sich entwickelt, erkenne ich dass er wohl nicht so intelligent ist wie er Aussieht. Er erzählt mir freimütig, dass er mit seiner Freundin 2 Menschen umgebracht hat, die – wie er sagte – nichts anderes verdient hätten. Ich verzichte auf weitere Konversation und hoffe, dass der Hofgang bald beendet ist. Am Abend bekomme ich dann den sehnlich erwarteten Besuch der Pflichtverteidigerin mit der Dolmetscherin. Wir gehen den ganzen Fall noch mal durch, ergänzen Details und bisher noch nicht beachtete Einzelheiten. Leider fehlt mir immer noch der Überblick des Ganzen. Frau Foggo telefoniert täglich mit meiner Tochter Angela und informiert mich, dass alles Besprochene Zuhause auf den Weg gebracht wurde. Wenn alles gut läuft, bin ich am Freitag ein freier Mann. Meine Nerven sind zwar immer noch auf Hochspannung, aber zum ersten Mal seit Tagen ist diese fürchterliche Angst gemildert. Zum ersten Mal bilden sich die Glieder der endlosen Verkettung ungünstiger Umstände heraus. 1. Zu viel Alkohol. 2. Unbedachter Umgang mit einem fremden Kind. 3. Den Hosenschlitz hatte ich auf der Toilette vergessen zu schließen. Zugegeben ein delikater und kompromittierender Lapsus. 4. Die unverzügliche Abreise vor den Augen der Polizei. Flucht ist immer ein Eingeständnis der Schuld. 5. Der – wahrscheinlich betrunkene – Vater, der als Zeuge mich angezeigt hat, hat der Polizei offensichtlich unwahres ausgesagt. Nach meiner Einschätzung hat er überhaupt nichts gesehen. 6. Meine schlechten Englischkenntnisse. 7. Spätestens als ich gefragt wurde, ob ich einen Rechtsanwalt habe, hätte ich die Notbremse ziehen sollen und ohne qualifizierte deutschsprachige Unterstützung nichts mehr sagen dürfen. 8. Ich habe keinen festen Wohnsitz in Schottland. 9. Ich habe keinen Reisepass dabei. 10. Ich bin deutscher. Im Laufe des Verfahrens habe ich mehrfach geringschätzige Reaktionen erfahren, als bekannt wurde, dass ich deutscher bin. Da ja nur einseitige und offensichtlich unwahre Aussagen vorlagen, die zudem noch strafwürdig sind, blieb der Polizei nichts anderes übrig, als mich zur Fahndung auszuschreiben. Damit wurde ein Prozess angestoßen der zumindest mit den Mitteln, die mir zur Verfügung standen, nicht mehr angehalten werden konnte. - 40 - Tag 64. Der 2. Gefängnistag. Die lässige Gleichgültigkeit der Mitgefangenen hat sich überraschend schnell auch auf mich übertragen. Alles geht seinen gewohnten Gang. Als ich vom Sport zurück komme, ist ein Mithäftling in meiner Suite Einquartiert. Der junge Mann ist unordentlich, raucht und nuschelt einen fürchterlichen Dialekt. Er versucht immer wieder mir etwas zu erklären, verstehen kann ich aber nichts. Einziger Vorteil: Er gehorcht mir aufs Wort und räumt auch seine Unordnung weg, wenn ich ihn dazu auffordere. Nach dem Hofgang bekommt er von einem Mithäftling von der Zelle gegenüber etwas auf das Zimmer gebracht. Als er danach auch noch zu kiffen anfängt, habe ich genug von ihm und beschwere mich bei einem Officer. Der ist sehr verwundert darüber, dass ein Raucher zu einem Nichtraucher gelegt wurde und verspricht Abhilfe. Überraschend wird mir mitgeteilt, dass mein Geldbeutel und mein Handy abgegeben wurden. Wer es gebracht hat, konnte mir nicht gesagt werden. Ich durfte die benötigten Daten und Adressen abschreiben. Benutzen des Handys wurde mir aber streng untersagt. Es ist aber beruhigend zu wissen, dass ich es bekommen kann, wenn ich es benötige. Auch Geld habe ich jetzt. Aber das braucht man hier eigentlich nicht. Später erfahre ich, dass Viktor mich besuchen wollte, aber keine Besuchsgenehmigung erhalten hat. Auch hat er mir ein Buch, Unterwäsche und weitere Kleinigkeiten des täglichen Bedarfs gebracht. Nichts davon habe ich erhalten. Wieder so eine ärgerliche, unverständliche Einschränkung. Mein psychischer Zustand hat sich inzwischen soweit verbessert, dass ich mit dem Aufschreiben dieses Manuskriptes beginnen kann. Tag 65. Die Lässigkeit des Lebens hier ist bei mir nur oberflächlich. So langsam erkenne ich, was es bedeutet, total fremdbestimmt leben zu müssen. Die einfachsten und selbstverständlichsten Dinge des Lebens sind reglementiert. Der Besitz von Geld in der Zelle ist nicht zulässig, Eigenes Geld wird von dem Gefängnis auf dem Canteen-Conto verwaltet. Handy und PC sind strengstens untersagt. Der totale Verlust der Selbstbestimmung würde mich langfristig zum psychischen Krüppel machen. Eine Zeitung kaufen, ein Telefonat tätigen, Besuch empfangen, nichts geht ohne vorher eine Genehmigung einzuholen. Hinzu kommen die Einsamkeit und die Ungewissheit, wie das hier noch Endet. Erschwert wird alles noch durch die Sprachbarriere. Fast jedes Anliegen von mir, fast jede Frage des Personals wird zum umständlichen Gestikulieren. Ein Wörterbuch wäre wirklich hilfreich. Aber auch das bekomme ich nicht. - 41 - „Den köstlichen Wert der Freiheit kann nur der erahnen und lieben, der sie schon mal verloren hatte.“ Schon Friedrich Schiller hatte im Gefängnis auf der Hohenasperg diese Erfahrung gemacht. Ein par vertraute Worte, ein wohlwollender oder auch kritischer Blick, die vertraute Umgebung, alles bisher Selbstverständliche ist unerreichbar weit weg. Noch nie habe ich die Nähe von Helga so vermisst als hier. Keine Aufgabe, kein Arbeitsziel, kein Erfolgserlebnis, so könnte ich nie auf Dauer leben. Ist die Lässigkeit der Häftlinge hier nur oberflächlich oder sind die alle schon so abgestumpft. Die einzige Beschäftigung mit aktuellen Medien ist der dauern laufende Fernseher. Aber da wiederholt sich alles spätestens nach 2 Stunden. Ein altes GEO-Heft in Englisch vom September 1979 habe ich auf dem Schrank gefunden. Den Bericht über die „schwarzen Kamine“ im Pazifik hatte ich schon mal in Deutsch gelesen. Mit minimalen englischen Kenntnissen benötige ich ca. einen Tag um eine Seite einigermaßen zu verstehen. Das Schreiben dieses Manuskriptes auf die losen A5-Blätter, die mir ein freundlicher Officer gegeben hat, bringt auch etwas Ablenkung. Trotzdem, es ist immer wieder da, das stupide Warten, Warten, das totale ausgeliefert sein an eine übermächtige Instanz. Wenn ich aus der Zelle geholt werde, erfahre ich nie, was als nächstes passiert. Ist nur eine Frage zu beantworten? Ist die Rechtsanwältin da? Ist das beantragte Gespräch mit dem Konsulat genehmigt? Aus Angst, irgendwann bei den seltenen Gelegenheiten etwas zu vergessen, habe ich alle wichtigen Daten auf den kleinen A5-Zettel notiert. Namen, Telefonnummern, offene Fragen, wichtige Detailinformationen usw. Jedes Mal, wenn ich aus der Zelle geholt werde, nehme ich das alles samt Brille, Stift und Papier mit. Es gibt hier doch noch Leute hier, die sich selbstlos um mich kümmern. Paul, der Dolmetscher auf der Polizeistation hat den Gefängnispfarrer beauftragt, mich zu besuchen um festzustellen, ob ich seine Hilfe brauche. Ich komme ja Morgen hier raus, da brauche ich keine weitere Unterstützung. Auf den Hofgang verzichte ich heute. Ich kenne inzwischen jeden Stein des Platzes und mit den Jungs, die da rum stehen kann ich nichts anfangen. Am späten Nachmittag werde ich auf die Polizeistation gebracht, wo ein sogenanntes VIPER von mir erstellt wird. Das ist ei Identifizierungsvideo für Zeugen. Dieses Video ist eine wichtige Voraussetzung für meine Entlassung. Bei der anschließenden Besprechung mit der Anwältin dann der nächste Tiefschlag! Aus der Entlassung Morgen wird diesmal wieder nichts. Es sind rein administrative Gründe, versucht Frau Foggo mich zu beruhigen. Diesen Satz höre ich nun seit Dienstag. Erst fehlt der Reisepass, dann die Kaution, dann das Video! Nun fehlt das Führungszeugnis der deutschen Polizei noch (wo ohnehin nichts drin steht!). Was fällt denen am Montag neues ein? Nach schottischem Recht dürfen die mich bis maximal 8 Tage und damit bis Montagabend festhalten. Die Dolmetscherin versucht mich aufzumuntern. Das Licht am Ende des Tunnels sei ja nun sichtbar! Ich sehe aber nur 4 weitere Tage Dunkelheit. - 42 - Tag 66. Der 4. Gefängnistag. Andrew, der rauchende und kiffende junge Mann ist immer noch bei mir in der Zelle. Die Versprochene Umquartierung zu einem Nichtraucher wünsche ich mir gar nicht mehr. Ich bin hier eindeutig Chef in der Zelle und er ist bestimmt nur deshalb hier, weil ein anderer ihn zu einer Straftat angestiftet hat. Ich gehe davon aus, dass die Gefängnisleitung ihn mit Bedacht zu mir gelegt hat. Er hat auch schon gelernt, etwas ordentlicher zu sein. Wenn ich bei einem anderen Häftling untergebracht werde, muss ich mich in eine existierende Ordnung einfügen. Hier kann ich die eigene Zellenordnung festlegen. Im Gefängnisalltag ist das ein sehr wichtiger Umstand. 22 englische Fernsehprogramme habe ich hier zur Auswahl. Ein Drittel sind nichtssagende Soap shows, ein weiteres Drittel sind sich ständig wiederholende Sport- und Nachrichtensendungen. Andrew schaut am liebsten einen der drei Musiksender. Die Musik gefällt mir zwar nicht, ist aber nicht so nervig laut wie auf anderen Zellen. Die Videoclips dazu muss ich mir ja nicht ansehen. Der vor 4 Wochen verstorbene Michael Jackson ist auf allen Musikkanälen omnipräsent. Die Zellentüre geht wieder mal auf und einige Häftlinge versammeln sich in der Halle vor den Zellen. Ich weis nicht, was es gibt und nehme vorsichtshalber Papier, Stift und Brille mit. Der Raum, in den wir geführt werden, ist eine Mischung aus Kirche, Sporthalle, Bibliothek und Spielhalle. In einer Ecke ist sogar ein Frisiertisch. Ob der Friseur, der hier einigen die Haare schneidet auch ein Häftling ist? Auch 2 echte uralte, rote, englische Telefonzellen stehen im Raum. Mit Helga telefonieren kann ich ja sowieso nicht, weil Auslandsgespräche nicht zugelassen sind. Die Spielkonsolen interessieren mich nicht und die Billard-Tische sind ständig umlagert. Die Tischtennisplatten sind nicht so begehrt und so spiele ich zum ersten mal seit ca. 20 Jahren wieder Tischtennis. Wie zählt man da überhaupt? Meine Gegenspieler wissen Bescheid. Nach dem zweiten Spiel weis ich auch wieder, wie das geht. Dass ich die ersten beiden Spiele verloren habe, lag aber nicht daran, dass die Gegner besser zählen konnten. Die weiteren Gegner mussten sich aber mächtig anstrengen um dann aber jedes Mal deutlich zu gewinnen. Schnelligkeit, Reaktion und Konzentration sind noch da, aber mit der Ballführung hapert es gewaltig. Nach einer Stunde wird alles wieder artig zusammengeräumt und die Meute wartet geduldig vor dem schweren Stahlgitter am Ausgang der Halle auf den Rückweg zu den Zellen. Als kleiner Junge musste ich oft die Kuhherde vom Pferch auf der Weide zurück in den Stall holen. Die Kuhherde hat sich jedes Mal in einer festgefügten Ordnung vor dem Pferchgitter aufgestellt. Nach dem Abtrieb ist dann jede Kuh in ihre Box gelaufen und hat danach geduldig darauf gewartet, wieder angekettet zu werden. Dieses Bild aus Kindertagen kam mir unwillkürlich in den Sinn, als wir danach in die Zellen zurück gelaufen sind um wieder eingeschlossen zu werden. Nein, wie Vieh werden wir hier nicht gehalten, aber der Vergleich drängt sich auf. Dazu passt auch der Vorfall heute beim Hofgang. Ein Häftling läuft gedankenverloren in eine Ecke, die vom Personal nicht eingesehen werden kann. Ein kurzes „Hey“ des Officers, und er reiht sich geduldig wieder in die Gruppe ein. Meine Kühe auf der Bergweide haben damals ähnlich reagiert. - 43 - Das „Personal“ (Gallery Officers) ist sehr geduldig. Mein Zellengenosse Andrew ist offensichtlich unfähig, seinen Lebensablauf hier vernünftig zu koordinieren. Immer fehlt ihm etwas. Mal ist das Feuerzeug kaputt, mal hat er keine Teebeutel mehr – meine hat er gestern schon alle aufgebraucht. Dann ist der Tabakbeutel leer oder er hat kein Zigarettenpapier mehr. Mehrfach täglich steht er dann an der Stahltüre und ruft durch den schmalen Schlitz bettelnd „Boss, Boss!!“ Anfänglich hatte er dafür den „Emergency Bottom“, - der für Notfälle in der Zelle ist , benutzt. Das habe ich ihm dann aber verboten, weil er dafür zusätzlich bestraft werden kann. Mehr oder weniger freundlich wird dann nach einiger Zeit die Zellentüre geöffnet und Andrew darf dann zu einem seiner Kumpels, die ihn dann mit allem Nötigen versorgen. Tag 67. Wenn ich doch nur ein Wörterbuch hätte, ich könnte die Zeit nutzen um etwas englisch zu lernen. Das englische GEO-Heft von 1979 ist interessant zu lesen, aber viele Wörter verstehe ich nicht. Einiges kann ich aus dem Zusammenhang erahnen. Der euphorische Bericht über die Begrünung von Wüstenlandschaft ist mit dem heutigen Wissen unrealistisch, aber nicht falsch. Auch bei den Nachrichten im Fernsehen kann ich nur aufgrund der Bilder das Thema erkennen. Die Insassen hier sind alle sehr jung. Ich schätze dass 70-80% hier unter 35 Jahre alt sind. Den ruhigen alten Mann in der Zelle nebenan schätze ich auf 65 Jahre, ein anderer etwa gleichen alters habe ich mal im Hof gesehen. Einmal in der Woche bekommt man hier einen Einkaufszettel. Auf diesem ist auch das Guthaben für Telefon und Einkaufen angegeben. Meine Kinder hatten mit 8 Jahren mehr finanzielle Freiheiten als ich hier. Ich werde ja am Montag entlassen, da brauche ich nichts mehr bestellen. Tag 68. Es ist Sonntag 19. Juli. Das Wochenende ist noch langweiliger als der ohnehin wenig abwechslungsreiche Gefängnisalltag unter der Woche. Nur der einstündige Rundgang im kalten und verregneten Gefängnishof unterbricht den Zellenalltag. Es ist kein Personal für die Zusatzangebote wie Sport, Billard etc. da. Die polizeilichen Ermittlungen und regularien sind abgeschlossen. Auch die Rechtsanwältin, die mich regelmäßig besuchte, hat ihre Pflicht getan. Morgen soll ja alles vorbei sein. Andrew hat schon seit 2 Tagen nicht mehr gekifft. Ist der Nachschub ausgeblieben oder hat er kein Kredit mehr beim Lieferant? Dafür raucht er unablässig. Hier im Gefängnis drehen alle Raucher ihre Zigaretten selbst. Auch Andrew ist ständig damit beschäftigt. Da er keine Filter hat und kein Krümel Tabak vergeudet werden darf, ersetzt er das Mundstück durch zusammengerolltes Zeitungspapier. Er kocht mir auch regelmäßig Tee, bringt das Essgeschirr weg und freut sich wie ein Kind, wenn er die grässlichen Brotscheiben, die ich nicht esse, dem Gefängnis-Raabe im Hof füttern kann. Ich lasse ihn dafür fast den ganzen Tag seine Musiksender sehen und hören. Ein FernsehProgrammheft gibt es auch keines. Deshalb zappe ich ab- und zu über die Sender. Zurzeit gibt es abends Dokumentarfilme vom 2. Weltkrieg und Originalfilme von der Wehrmacht. Vor 65 - 44 - Jahren war ja der D-Day und das ist für die Engländer noch heute ein wichtiges Datum. Ansonsten gibt es endlose Wiederholungen von trivialen Spielfilmen. Sport besteht zu 80% aus Rugby, Golf und Polo. Internationale Sportevents werden sehr selten gezeigt. Die „Tour de Franc“ wird auch nur erwähnt, weil ein Engländer vorne mitradelt. Beim letzten Hofgang beobachte ich die Jungs, die da in Gruppen zusammenstehen, mal genauer. Zum Bier würde ich keinen einladen. Aus dem schüchternen Bangladeshi, der immer abseits steht, bekommt man sowieso nichts raus. Der einzige interessante ist der auffällig Unauffällige von Zelle 2. Er ist der kleinste von allen und ca. 35 Jahren alt. Wenn er etwas sagt, klingt es vernünftig und überzeugt. Bei Ihm bekommt man offensichtlich Dinge, die sonst hier nicht zu bekommen sind. Auch das Zeug zum kiffen hat Andrew von ihm bekommen. Wie ein Dealer sieht er aber nicht aus. Er hat eindeutig ersichtlich hier eine Sonderstellung innerhalb der Häftlingshierarchie, die er aber nie zur schau stellt, und die von den Officers offensichtlich wissentlich geduldet wird. Mit diesem „Betriebsrat – Typ“ hätte ich mich gerne mal unterhalten. Anbiedern ist aber nicht meine Sache, schon gar nicht hier. Somit bleibt alles Spekulation. Hungern muss hier keiner. Der sprichwörtliche Blechnapf ist durch einen grauen Kunststoffteller ersetzt. Ich lasse mir den Teller immer nur mit der halben Portion füllen. Die meisten Brote werden von Andrew den Möwen und dem GefängnisRaaben im Hof gefüttert. Inzwischen fällt mir aber auf, dass alles einen eigenartigen Nebengeschmack hat. Am Reinigungsmittel in der Spülmaschine kann es nicht liegen. Meine Teetasse reinige ich immer selber. Aber auch der Tee hat denselben Beigeschmack. Ich werde den bösen Verdacht nicht los, dass da Psychopharmakas drin sind. Ist das auch der Grund, warum die Häftlinge hier alles so gleichgültig über sich ergehen lassen? Auch stelle ich bei mir ein totales sexuelles Desinteresse fest, wie ich es bisher noch nie kannte. Die vielen Videoclips, die Andrew anschaut, sind voll von hübschen leicht gekleideten Girls in eindeutigen Posen und ich schau nicht mal hin! Soll ich anstelle des Tees in Zukunft lieber Wasser trinken? - 45 - Tag 69. Wieder so ein Tag, der nur aus Warten besteht. Heute soll die ganze Sache ja endlich ein Ende haben. Zuerst die Abreise zum Gericht, diesmal nicht ganz so weit im Nordosten. Danach über 3 Stunden Warten zusammen mit 8 weiteren meist jugendlichen Häftlingen in einem nur ca. 3x4 Meter gossen unbelüfteten Raum. Die Luft ist zum schneiden und obwohl es verboten ist, rauchen einige. Die anschließende Besprechung mit der Pflichtverteidigerin bringt neue Erkenntnisse. Die Anklage wurde nach der Befragung der Kinder noch mal reduziert. Der Gesetzestext, nach dem ich jetzt angeklagt bin, lautet sinngemäß auf „Erregung öffentlichen Ärgernisses.“ „Jetzt wird ja alles Gut“ denke ich. Obwohl ich mit der Anklage nicht in jedem Punkt übereinstimme, nehme ich die Empfehlung von Frau Foggo an und werde mich für schuldig erklären. Ein mögliches Strafmaß wird in der heutigen Verhandlung nicht festgelegt. Dafür gibt es in 6 Wochen eine weitere Gerichtsverhandlung. Deswegen muss ich auf jeden Fall eine Kaution hinterlegen. Als Mittagessen bringt ein Gerichtsdiener 2 kleine Sandwiches und einen Becher Wasser. Nach weiteren 2 Stunden – es ist inzwischen nach 15.00 Uhr – werde ich in den Gerichtssaal geführt. Diesmal dauert es sehr lange. Es werden alle Zeugenaussagen, meine Aussage sowie die Anklage verlesen und mündlich übersetzt. Von den vielen Texte habe ich nur weniges verstanden und mir merken können. Ob Frau Foggo alles, was ich zu meiner Entlastung ihr mitgeteilt habe auch vorgetragen hat, habe ich auch nicht feststellen können. Ob der Staatsanwalt auch eine Abneigung gegen deutsche hat? Er lässt jedenfalls keine Möglichkeit aus, den Vorgang im „Bachrow In“ überzogen darzustellen. Vor allem lässt er sich viel Zeit. Nach fast 2 Stunden erklärt der Richter, dass ich gegen eine Kaution von 5.000₤ freikomme. Nun passiert das, was ich die ganze Zeit befürchtet habe. Die Banken haben inzwischen geschlossen. Ich könnte das Gericht als freier Mann verlassen wenn, ……. ja wenn ich die Kaution auf der Bank holen könnte. Meine Kreditkarte hat eine entsprechende Deckung, das hat mir Helga auf Nachfrage noch mal bestätigt. Noch während ich mit der Rechtsanwältin berate, wie es nun weitergeht, bringt der Staatsanwalt eine Verfügung vorbei mich unverzüglich wieder in das Gefängnis einzuweisen. Nach schottischem Recht darf ich maximal 8 Tage ohne Gerichturteil im Gefängnis verbringen. Eine Entlassung ist aber nun erst möglich, wenn das Geld auf dem Konto des Gerichtes ist. Der hat genau gewusst, dass ich jetzt keine Möglichkeit mehr habe, das Geld für die Kaution zu bekommen. Bin ich dann wieder im Gefängnis, ist es noch schwerer für mich ohne Telefon, ohne Dolmetscher und ohne Zugang zu einer Bank an das Geld zu kommen. Ich unterstelle ihm auch, absichtlich die Verhandlung zeitlich verschleppt zu haben. Lamentieren nützt jetzt nichts, ich muss zurück in das Gefängnis. Frau Foggo verspricht mir, dafür zu sorgen, dass ich Morgen zu einer Bank gebracht werde um das Geld zu besorgen. Wie sie das anstellen will, ist mir noch unklar. - 46 - Das Personal, von dem ich mich heute Morgen freundlich verabschiedet habe, bringt mich nach dem erneuten „Check-In“ grinsend wieder zu Andrew in Zelle 11 zurück. Der hat inzwischen seine bestellte Ware aus der Kantine bekommen. Darunter ca. 8 Päckchen Tabak a ca. 5₤. In Laufe des Abends kommt ein anderer Häftling aus Zelle 2 vorbei und nimmt 5 Päckchen mit. „Aha“ denke ich. „das ist also die Währung, mit der hier bezahlt wird.“ Ich habe mir gleich gedacht, dass die ihn nicht aus purer Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft ständig mit Tabak und Drogen versorgen. Tag 70. Eigentlich wollte ich heute Morgen mit Viktor wieder auf See sein. Ich bin Verzweifelt. Frau Foggo meldet sich nicht, nichts tut sich! Ein Anruf beim Konsulat bringt mich auch nicht weiter. Alle versprechen, mir zu helfen, aber nichts geht. Mehrfach wird meine Bitte, weitere Telefongespräche führen zu dürfen, von einer resoluten Aufseherin an der Zellentüre abgewiesen. Inzwischen ist es halb 4. um 5 machen die Banken wieder zu und ich habe immer noch kein Geld. Ich fass es nicht und kann vor Erregung kaum schreiben. Ich versuche vergebens bei den Officers mein Problem zu erklären. Ich muss ja nur irgendwie zu einer Bank kommen um mit meiner Checkkarte die Kaution abzuheben. Hier bin ich aber Gefangener! Ich habe es gleich geahnt, dass das nicht funktioniert. Die müssten mich ja mit der Polizei in Handschellen zur Bank bringen. Erst wenn das Geld in Dingwall beim Sheriff ist, werde ich freigelassen. Der einzige hier, der meine ausweglose Situation erkannt hat und sich wirklich um mich kümmert, ist Officer „Watty“ Walter Dickson. Er hat mir mitgeteilt, dass es für mich keine Möglichkeit gibt, an das Geld zu kommen. Ich muss bis Donnerstag hier bleiben. Also noch 3 Tage unschuldig im Gefängnis! Am Donnerstag werde ich dann zum Gericht nach Dingwall gebracht und kann dann dort das Geld besorgen. Watty organisiert auch, dass Angela mich abends in seinem Büro anrufen kann. Ich bin mit den Nerven völlig am Ende. So einfach ist es doch nicht, den Eispanzer wieder aufzubauen. Es fällt mir schwer, mit Angela ein vernünftiges Gespräch zu führen. Die Auskunft, dass so ein Fall im schottischen Rechtssystem nicht vorgesehen ist und ich deshalb 3 Tage unschuldig im Gefängnis sitzen muss, kann mich auch nicht beruhigen. Angela soll nun versuchen, dass Viktor morgen das Geld mit seiner Checkkarte besorgt und es dann nach Dingwall bringt. - 47 - Tag 71. Hoffentlich klappt es heute mit der Kaution. Ich kämme den Vorfall in Badachrow zum zigsten Mal in meinem Kopf durch. Immer auf der Suche nach Details, die mir weiterhelfen könnten. Die Details der Zeugenaussagen kenne ich nicht. Ich habe keine Ahnung, gegen was ich mich eigentlich wehren muss. Klar ist nur, dass ich das Mädchen nach schottischem Recht nicht hätte anfassen dürfen ohne vorher die Eltern zu fragen. Ich habe damit eine strafbare Handlung begangen. Dass mir deshalb aber sexuelle Belästigung vorgeworfen wird, übersteigt mein Rechtsempfinden. Kurz vor 12 Uhr kommt Watty in die Zelle und verkündet mir, dass ich alles fertig machen soll zur Entlassung. Ich ziehe das Bett zum 3. Mal ab, packe den Wäschesack und sammle mein „Paperwork“, meine gesammelten handschriftlichen Aufzeichnungen, sorgfältig in ein Kuvert. Aber wieder passiert nichts! Als ich nach fast einer Stunde an der Zellentüre erregt einem Officer rufe, kommt die resolute Aufseherin und antwortet ebenso gereizt: „Sie kommen raus, wenn wir es wollen. Vorher nicht!“ Irgendwann geht es dann doch weiter. Der Officer am „Empfang“ hat sich bei mir entschuldigt, dass ich 2 Tage zu lange ihr Gast sein musste. Er erklärte mir, dass die Gefängnisverwaltung keine Möglichkeit hatte, mir zu helfen. Eine Stunde später sitze ich immer noch im Gefängnis. Inzwischen aber mit frischer ziviler Kleidung, die Viktor vor einer Woche vorbeigebracht hatte. Nach einer weiteren Stunde warten bin ich endlich draußen, wo Viktor und die Pflichtverteidigerin mich erwarten. Ich muss noch weiteren Formalien auf der Polizeiwache in Inverness erledigen. Dabei lernen wir einen schottischen Verkehrspolizisten aus Villingen kennen, der kurzfristig als Dolmetscher einspringt. Danach bin ich endlich frei. Wir machen eine Besichtigungstour durch die Stadt. Auf einer Parkbank am River Ness spricht mich eine Frau an. „Nicht schon wieder!“ denke ich und nehme mit Viktor Reißaus. Mit dem Bus geht es dann über Dingwall nach Ullapool zurück. Abends im Pub treffen wir eine Schweizer Reisegruppe. Erst als die nörgelnden Ehefrauen ins Bett gehen, wird es für die Männer lustig. „Un si begriefes nit! Si begriefes eifach nit!“ meint einer leicht gestresst über das Verhalten der Frauen. Wir haben dann den Schweizer Freunden eine Ausbildungseinheit in Sachen Whisky gegeben. - 48 - Ullapool - Egersund Tag 72. Von Ullapool aus geht es heute weiter nordwärts. Kein Wind will aufkommen, wir biegen nach Lochinver ab und warten morgen auf Wind. Der Hafen ist ein großer Umschlagplatz für die internationale Fischereiflotte. Wir treffen aber nur einen einzigen Trawler vor den riesigen überdimensionierten Umschlaghallen an. Wir sind nun in der schottischen Grafschaft Sutherland, die europaweit die geringste Bevölkerungsdichte hat. Obwohl der Ort keine 500 Einwohner hat, finden wir auf der Suche nach einem InternetPoint ein neues Gemeindezentrum, wie es sich viele Kleinstädte in Deutschland nicht leisten können. Sporthalle, Fitnessraum, Bibliothek usw. alles steht – EU sei Dank – kostenlos zur Verfügung. Tag 73. Bei gutem NNW segeln wir nordwärts nach Kinlochbervie. Bei einer Wende rutscht mir die Winschenkurbel aus der Hand und fällt ins Wasser. Sie schwimmt tatsächlich, aber bei dem starken Wellengang und 6 Beaufort Wind ist es uns unmöglich, die Kurbel zu bergen. Wir fahren die schwimmende Kurbel mehrfach an, können sie aber nicht fangen. Irgendwann verliere ich sie in der 2-3 Meter hohen Wellenbergen aus den Augen. Das reißt wieder ein Loch in unsere Reisekasse. Der Hafen Kinlochbervie liegt versteckt und sehr geschützt hinter der felsigen Küste und hat ebenfalls die gleichen überdimensionierten Umschlaghallen für die Fischereiflotte. Es sieht aus wie in einem norwegischen Schärenhafen. Wir treffen 2 schottische Segler, die auch noch durch den Pentland Firth wollen. Sie empfehlen uns, Morgen bereits um 6 Uhr loszusegeln um in einem Rutsch bis nach Scrabster durchzufahren. Ich berechne auch die Stromverhältnisse und komme auf das gleiche Ergebnis. Wenn alles optimal läuft haben wir auf über 60 Meilen ununterbrochen Strom mit uns. Abends gehen wir noch in ein Pub, das auf einer Anhöhe über dem Hafen steht und eine sehr gute Aussicht über die Buchten und das felsige Hinterland bietet. Eine 2-Mann Band spielt triviale Unterhaltungsmusik. Das einzige Folkloristische an den Beiden ist der Schottenrock. Mit anzüglichen Sprüchen werden französische und holländische Gäste vom Bandleader in der jeweiligen Landessprache begrüßt. Zu meinem Erschrecken muss ich hören, wie er deutsche Gäste mit „Sieg Heil“ begrüßt. Ein weiteres Indiz für mich, dass das Deutschlandbild bei vielen Engländern von alten Vorurteilen geprägt ist. - 49 - Tag 74. Wie gestern mit den schottischen Kollegen besprochen stehen wir um 5 Uhr auf um zu frühstücken. Punkt 6 Uhr müssen wir ablegen um die schottische Nordküste in einem Rutsch zu passieren. Die nächsten 8 Stunden haben wir nun ununterbrochen mitlaufenden Strom. Am Cap Wrath empfängt uns eine brodelnde Kreuzsee, wie ich es noch nie erlebt habe. Wir kommen uns vor, wie eine Nussschale in einem kochenden Wassertopf. Die über 3 Meter hohen kurzen und steilen Wellen, die von der Strömung und der Atlantikdünung erzeugt werden, schütteln das Boot gehörig durcheinander. Zu meinem großen Erschrecken stelle ich fest, dass die Luke über meiner Koje nicht richtig verschlossen ist. Über 20 Liter Seewasser haben sich von oben über mein Bett und die gesamte Wäsche ergossen. Obwohl das Boot immer noch wie ein Tennisball im Wildbach auf den Wellen hüpft, muss ich sofort die Koje und meine gesamte Wäsche ausräumen. Da ich nach 10 Tagen Segelpause noch nicht wieder richtig seefest bin, hat das natürlich für mich sehr unangenehme Folgen. Die Seekrankheit hat mich für den Rest des Tages fest im Griff. Glücklicherweise ist es heute sehr warm und sonnig. Wir waschen die Salzwasser getränkte Wäsche, Matratzen und Kissen in Süßwasser aus und machen das Boot zu einer „Wöschhänki.“ Am Abend ist alles wieder trocken. Auf der Weiterfahrt begleitet uns längere Zeit eine Delphingruppe. Zu solch einem Segeltörn schweiße ich vorher meine gesamte Wäsche in Vakuumfolien ein. Die frische Wäsche hat deshalb das Malheuer schadlos überstanden. Durch die Aktion habe wir aber eine Stunde verloren. Die letzten 10 Meilen müssen wir nun mit Motor gegen den Strom fahren und brauchen deshalb 2 Stunden länger als geplant. Tag 75. Starker SE verhindert unsere Weiterfahrt nach Osten. Wir machen einen Hafentag in Scrabster. Im stürmischen Regen laufen wir an der Küste entlang zum Einkaufen in den nächsten Ort Thurso. Als wir wieder am Boot zurück sind, fällt Viktor beim Einsteigen über den 4 Meter hohen Kai die Einkaufstüte ins Wasser. Das meiste geht sofort unter. Unser schöner Mittagsbraten ist für uns unerreichbar auf dem Meeresgrund. Ich laufe also die 3 km zum Lidl in Thurso noch mal, diesmal ohne Regen. Draußen im Pentland Firth schäumen die Wellenberge. Nein, da draußen wollte ich jetzt nicht sein. Zurück im Hafen habe ich ein Problem auf das Boot zu kommen. Der Tiedenhub beträgt heute fast 5 Meter und es ist inzwischen Hochwasser. Die Festmacherleinen müssen entsprechend lang ausgelegt werden. Nun drückt der Wind das Boot 4 Meter von der Mole weg und muss mühsam gegen den starken Wind herangezogen werden um dann auf das Boot zu gelangen. Vor unserer Überfahrt nach Norwegen brauchen wir verlässliche Vorhersagen für die Nordsee. Über das Radio kann ich die 3-Tage Wettervorhersage des DWD als Text am PC empfangen. Um genauere Mittelfristige Vorhersagen zu bekommen gehe ich über das Handy ins Internet und hole die aktuellen Wetterdaten als GRIB-Datei ab. Das sind nur ca. 500kB und kosten deshalb im EU-Ausland weniger als 2€. In Norwegen wäre das mehr als 5-mal so teuer. - 50 - DWD-Wetterdaten vom 25. Juli. Empfangen über Radio mit Seatty Daten von Internet über zyGrib NNNN ZCZC 189 FQEN75 EDZW 251800 WEATHER AND SEA BULLETIN FOR NORWEGIAN SEA AND BALTIC SEA ISSUED BY MARINE WEATHER SERVICE HAMBURG 25.07.2009 18 UTC: GENERAL SYNOPTIC SITUATION: LOW 998 NORTHSWEDEN, WEAKENING, MOVING NORTH A LITTLE. TROUGH 1010 NORTHJUTLAND, 1020 NETHERLANDS, WEAKENING, MOVING EAST. HIGH 1027 INNER BAY OF BISCAY WITH RIDGE 1025 BAVARIA, 1020 HUNGARY, MOVING EAST. FURTHER RIDGE 1020 NORTHENGLAND, 1015 NORTH OF THE FAEROES, INTENSIFYING, MOVING EAST. GALE CENTRE 992 AT 52 NORTH 2 WEST STILL DEEPENING A LITTLE, MOVING NORTHEAST, TOMORGOR 990 WEST OF IRELAND. HIGH 1024 SOUTHEAST OF NEWFOUNDLAND, INTENSIFYING, 9=8,' '975'3-'5. DWD FORECAST OF SA//07.2009 12 KTC: WIND FORCEAPBEAUFORT, WAVE HEIGHT: METRE NORTH CAPE (72.1N 25.3E) SST: SU 26. 00Z: E-SE 5 7 SU 26. 06Z: E-SE 5 6-7 SU 26. 12Z: E-SE 5 SU 26. 18Z: E-SE 5 6-7 MO 27. 00Z: E-SE 5 6-7 MO 27. 06Z: E-SE 5 6-7 MO 27. 12Z: E-SE 5 6-7 LOFOTEN (68.6N 14.1E) SST: SU 26. 00Z: E-SE 2-3 SU 26. 06Z: E 0-2 : SU 26. 12Z: NE-E 0-2 SU 26. 18Z: NKNE 0-2 MO 27. 00Z: E 2-3 MO 27. 06Z: SE 2-3 MO 27. 12Z: SW 0-2 HALTENBANK (65.5N SU 26. 00Z: NW-N SU 26. 06Z: NW SU 26. 12Z: NW-N SU 26. 18Z: NE-E MO 27. 00Z: SE-S MO 27. 06Z: S-SW MO 27. 12Z: U SVINOY SU 26. SU 26. SU 26. SU 26. MO 27. MO 27. MO 27. 8 C 27. 07. 14:00 // // // // // // // DZ DZ C 0.5 0.5 0.5 1 0.5 0.5 0.5 M M M M M M M N 8.6E) SST: 13 C 6 7 2.5 M RAIN 6-7 7-8 3 M RAIN 5-6 7 3 M RAIN PPM // 4 2 M 5 2 M 3-4 1.5 M (62.3N 4.4E) SST: 13 C 00Z: N 00. 4-8, // 06Z:N 3-4 1 M 12Z: N-NE 3 1 M 18Z: N-NE 3 1.5 M 00Z: E 2-3 1.5 M 06Z: S-SW 4 1.5 M 12Z: E-SE 3 1.5 M FAEROES (60/4N 5.6W) SST: 13 C SU 26. 00Z: SE 4 1 SU 26. 06Z: E-SE 5-QNPT M SU 26. 12Z: EASE 6-7 8 2 SU 26. 18Z: E-SE 6-7 8-9 3 MO 27. 00Z: E 6-7 8-9 3 MO 27. 06Z: E-SE 5 7-8 3 MO 27. 12Z: S 3 2.5 // // // // // // // // // // // // // 28.07. 02:00 // // // // // // M // M M RAIN M RAIN M RAIN M SH PENTLAND FIRTH (59.7N 1W) SST: 14 C SU 26. 00Z: E 3 1 M SU 26. 06Z: E-SE 4-5 1 M SU 26. 12Z: E-SE 5-6 6-7 1.5 M SU 26. 18Z: E-SE 6-7 700. ' MO 27. 00Z: E-SE 3-4 '.5 M MO 27. 06Z: S-SW 2-3 1.5 M MO 27. 12Z: S 3 1.5 M // // // // // // // // // // // // / 28.07. 22:00 HEBRIDES (57.9N 8.1W) SST: 15 C SU 26. 00Z: SE 5-6 6-7 1.5 SU 26. 06W: SE P 6-7 8-9 2.5 SU 26. 12Z: SE-S 5 8-9 3 SUVWYM QIZ: SE 6 7-8 3.5 MO 27. 00Z: S 5 7 3.5 MO 27. 06Z: SW 5 6-7 3 MO 27. 12Z: SW-W 6 7-8 3.5 M M M M M M M SH SH SH // // // // // // // SHETLANDS (60.9N SU 26. 00Z: N-NE SU 26. 06Z: E-SE SU 26. 12Z: E-SE SU 26. 18Z: E-SE MO 27. 00Z:='7 MO 27. 06Z: E-SE MO 27. 12Z: S-SW M M M M RAIN M M // // // // // // // 1.6W) SST: 14 C 2-3 1 2-3 1 3-4 1 4 1 5 1.5 M 3-4 1.5 2-! 2 RAIN TS BAY OF BOTHNIA (65.0N 23.5E) SST: 15 C SUH26. 00Z: E 3-4 0.5 M SU 26. 06Z: E 5 1 M RAIN SU YM QWZ: E-SE 3-4 1 M SU 26. 18Z: E 2-3 0.5 M MO 27. 00Z: SE 3 0.5 M MO 27. 06Z: S 2-3 ( 0 M MO 27. 12Z: NE-E 2-3 0 M // // // // // // // 29.07. 08:00 - 51 - Tag 76. Die Wetterlage ist also günstig. Es könnte unruhig und feucht werden, die Windrichtung ist aber für die nächsten 4 Tage SW bis S und damit optimal für die 320 Meilen nach Norwegen. Die optimale Zeit für die Passage des berüchtigten und gefürchteten Pentland Firth habe ich gestern berechnet. Zwischen 10:00 und 12:00 Uhr ist die beste Zeit. Wir wählen die Südpassage südlich der Insel Stroma. Obwohl wir heute Springtime haben, also die größtmögliche Stromgeschwindigkeit, wird es eine verhältnismäßig ruhige Fahrt mit maximaler Stromgeschwindigkeit von ca. 5 Knoten. Die Nordpassage hat um diese Zeit bis zu 12 Knoten Strom. In der Nordsee angekommen dreht der Wind von Süd auf West und verabschiedet sich dann ganz. Zurück bleibt der Seegang mit bis zu 2m hohe Wellen. Keine gemütliche Angelegenheit. Erst nach Sonnenuntergang kommt der versprochene Südwind. Tag 77. In der sternenklaren Nacht und am folgenden Tag nehmen Wind und Wellen kontinuierlich zu. Mit 6 Knoten im Durchschnitt kommen wir schneller voran als vorausberechnet. Die 2. Nacht ist dann schon sehr anstrengend. Der Wind hat auf ESE zurückgedreht und bläst mit 6 Beauforts. Hoch am Wind und mit bis zu 4 Meter hohen Wellen peitscht das Boot durch Regen und stockdunkle Nacht. Jetzt bewährt sich mein schweres Ölzeug, das ich vor einem Jahr auf der „Boot“ in Düsseldorf teuer erworben habe. Helga hatte damals sarkastisch festgestellt, dass alleine die Stiefel mehr gekostet haben, als sie selbst in 10 Jahren für Schuhe ausgibt. Am Morgen nimmt der Wind auf 7 – 8 Beaufort zu. Beim Versuch, das Genua noch weiter zu reffen klemmt die Holeleine. Dabei verheddert sich die Genua so stark am Vorstak, dass nichts mehr geht. Bei 40 Knoten Wind und 4 Meter Welle schlägt das Segeltuch wild am Vorstak Alle Versuche, das Segel zu bergen schlagen fehl. Viktor hat innerlich das Genua schon abgeschrieben. Wir bergen das Großsegel, starten den Motor und lösen alle Schoten. Auf dem Vorschiff drehe ich dann die Rollgenua von Hand so lange, bis das schlagende Segel irgendwie aufgewickelt ist. Nur mit dem Großsegel ist es nun noch schwieriger, den geplanten Kurs nach Lista Havn zu halten. Wir beschließen, nach Egersund abzufallen. Am Mittag lässt der Wind dann endlich etwas nach. Wir können die Genua wieder richten und setzen. Am späten Nachmittag sind wir dann im ruhigen Hafen Egersund. 310 Seemeilen in 55 Stunden! Eine schnelle, aber auch sehr anstrengende Überfahrt. - 52 - Tag 79. Wir reinigen und trocknen unsere Wäsche und das Boot. Der Hafentag in Egersund tut uns gut während es draußen in strömen regnet. Spät am Egersund Abend bekomme ich dann die traurige aber seit einigen Tagen erwartete Nachricht, dass mein Vater nach jahrelanger schwerer Krankheit gestorben ist. Ob ich bei diesen Wetterverhältnissen von hier rechtzeitig nach Hause kommen kann, ist nicht sicher. Die Reise würde 3 – 4 Tage dauern. Viktor müsste noch mal 8 Tage auf die Weiterreise warten. Ich beschließe schweren Herzens nicht nach Hause zu fahren und hoffe auf das Verständnis meine Geschwister. In der Nacht bläst der Wind dann plötzlich mit 7 Beaufort durch den ansonsten ruhigen Hafen. Er baut innerhalb des Hafens eine gefährliche Welle auf, die uns an die Pier drückt. Unser Boot ist an einer Mooringboje gut festgemacht. Der Skipper auf dem Motorboot neben uns hat keine Mooring und muss den Platz schnell räumen. Bei Starkwind und Regen eine anstrengende Angelegenheit. Der Wetterbericht meldet draußen Windstärke 9 – 10. Tag 80. Der Wind ist immer noch heftig und der Regen hat seit gestern Abend nicht aufgehört. In der Pütz, die in der Plicht steht hat sich 10cm Regenwasser angesammelt. Durch eine undichte Stelle unter dem Teak Tropft Wasser in Viktors Koje. Wieder ein nasses Bett! Aber diesmal ist es kein Salzwasser. Wir schrauben die Deckenverkleidung ab und verkleben die undichten Stellen. Der Wetterbericht meldet nur noch für heute Westwind. Danach schwacher, später zunehmender Ostwind. Keine Frage, wir müssen heute noch raus, sonst haben wir in den nächsten Tagen nur noch Gegenwind. Wenn wir nach Kristiansand in die Schären kommen, ist der Wind dann kein Problem mehr. Zu unserer Überraschung ist der Wind draußen Korshavn moderater als befürchtet. Nur die gewaltigen Wellen sind noch da. Bei gutem achterlichem Wind und Sonnenschein, später bei Mondschein segeln wir bis Mitternacht nach Korshavn wo wir vor einem Lebensmittelladen festmachen. - 53 - Egersund - Strömstad Tag 81. Ein schöner sonniger Morgen in den Schären. Erwartungsgemäß hat der Wind auf 2 Beaufort Ost gedreht, zum Segeln zu wenig! Die See hat sich nun auch beruhigt. Aus allen Ecken kommen nun die Boote raus um endlich weiter zu kommen. „Heute sind aber viele Motorboote unterwegs, die einen Mast drauf haben!“ sinniert Viktor beim Anblick der vielen Segler, die sich nun unter Motor meist Richtung Westen auf den Heimweg machen. Am Kap Lindesnes hatte ich vor 2 Jahren mit einem Zug 5 Makrelen gefangen. Heute will keine beißen. Als ich schon aufgeben will, zappelt es plötzlich an der Leine. Ein kapitaler 75cm langer Dornhecht hängt am Haken. Mit einem Zug wieder ein komplettes Abendessen. Ohne Wind tuckern wir weiter nach Kristiansand. Am Abend fahren wir dann in die Schäre „Stokken“ wo wir mit Heckanker festmachen. Nach dem Abendessen machen wir einen Spaziergang durch die zerklüftete Schärenlandschaft. Das Wort „Schäre“ bedeutet auf Deutsch „Stein“ oder auch „Fels“. Tag 82. Bei Regen und böigem NE-Wind vergeht uns die Lust auf einen Bummel mit dem Boot durch die Blindleia. Die Fahrt durch die unzähligen Inseln und Kanäle ist für Bootsfahrer ein Highlight! Es ist die schönste Fahrstrecke Norwegens und bei schönem Wetter entsprechend viel befahren. Heute ist nichts los. Auch wir haben bald die genug davon und machen schon nach 4 Meilen in Ulvö an einem Felsen fest. Jetzt kann sich das Wetter austoben, wir liegen sicher und geschützt hinter einem großen Stein und beobachten die schäumenden Wellen draußen aus dem Fenster. - 54 - Tag 83. Ein Nebliger diesiger Morgen ohne Wind. Die Strecke, die wir heute fahren wollen ist ja eigentlich das „Sahnestück“ der Südnorwegischen Küste. Aber selbst bei tief hängenden Wolken und Nieselregen kann man die Schönheit dieser Gegend erahnen. Beim Anblick dieser durch Nebel und Regen traurig schönen Gegend denke ich an meinen Vater, der zu dieser Zeit gerade beerdigt wird. Sein Leben ist ähnlich wie die Stimmung heute in den Schären verlaufen, Rau, widrig, anstrengend und doch auch ohne Sonnenschein Blindleia lebenswert. Nie hat er über sein schweres Lebenslos geklagt. Pflichtbewusstsein und unbedingter Lebenswille waren sein Lebensinhalt. Um wie viel angenehmer ist doch mein Leben bisher verlaufen. Tiefe Dankbarkeit ist jetzt noch das Einzige, was ich ihm bieten kann. An den Navigator stellt die Blindleia höchste Konzentration und Aufmerksamkeit. Unzählige Steine und Untiefen erfordern eine sehr genaue Navigation. Jede Barke, jede Varde (so werden de schwarzen und weißen Steintürme auf den Felsen genannt) muss auf der Karte abgehakt werden um sich ja nicht in dem Schären-Irrgarten zu verirren. Genau vor 2 Jahren waren wir hier einmal unachtsam. Und sind prompt auf einen Unterwasserstein aufgelaufen. 10.000€ Schaden und 2 Wochen Zwangsaufenthalt in der Werft Wagness bei Arendal hat uns das damals gekostet. Nur zur Sicherheit lasse ich auf dem Navi-PC das Navigationsprogramm mitlaufen. Die Möglichkeit, zwischen Übersichtskarte und extremen Detailzoom zu wechseln macht die Blindleia auf dem Plotterprogramm C-Map elektronische Karte zu einer optimalen Ergänzung der terrestrischen Navigation. In Lillesand machen wir einen kurzen Zwischenstopp zum Einkaufen und Download aktueller Wetterdaten für die nächsten Tage. Am Späten Abend machen wir in der Werft Wagnes fest. Der Werftbesitzer hat uns gleich wieder erkannt und begrüßt uns freudig. Diesmal kommen wir nicht als Kunden sondern als Freunde. Viktor denkt heute noch dankbar daran zurück, wie die Touristinformation in Lillesand und das Werfpersonal hier uns vor 2 Jahren bei unserer Havarie geholfen haben. Detailzoom bei C-Map - 55 - Tag 84. Weiter geht es der Norwegischen Küste entlang nach Nordosten. In den nächsten Tagen sind für das Skagerrak „umlaufende Winde“ angesagt. Ohne Motor geht da nichts mehr. Im Oslofjord ist ein Tanker auf Grund gelaufen. Die Meeresströmung treibt das auslaufende Schweröl an der Küste entlang uns entgegen. Wir streichen deshalb Oslo vom Fahrplan. Als gegen Mittag überraschend guter Nordwind aufkommt, entschließen wir uns kurzfristig gleich nach Schweden durchzufahren. Wir ändern den Kurs und segeln direkt nach Strömstad am westlichen Ausgang des Oslofjordes. Gegen Abend dann wieder Windstille. Unter Motor erreichen wir um 4 Uhr in der Morgendämmerung Strömstad. Die Einfahrt durch unzählige Schären ist sehr gut mit Richtfeuern und Kardinalen befeuert, erfordert aber hohe Aufmerksamkeit vom Navigator. Tag 85. Im Hafen von Strömstad treffen wir Rolf und Gisela wieder, die zur gleichen Zeit mit uns in Kappeln gestartet waren. Für die nächsten Tage ist schönes Sommerwetter ohne Wind vorausgesagt. Wir beschließen, zusammen einige Tage durch die schwedischen Westschären zu bummeln. Ca. 10 Seemeilen südlich von Strömstad verbringen wir die ruhige Vollmondnacht in einer Außenschäre vor der Insel Langeskär. Tag 86. Unter Motor fahren wir weiter durch die schwedischen Westschären. Wie die Blindleia in Südnorwegen ist die Strecke von Strömstad bis Göteborg innerseitig hinter den unzähligen Schären befahrbar. Im Gegensatz zu den norwegischen Schären sind die Felsen hier fast alle kahl und rund geschliffen von den Gletschern der Urzeit. Um die Strecke durchgängig befahrbar zu machen, wurde an einigen Stellen ein Kanal in die Felsen gesprengt. Einer dieser Kanäle ist der Hamburgsund, der von ländlichen Dörfern und Bauernhöfen gesäumt ist. Gegen Abend machen wir in einer Schäre bei der Insel Yttre Huö fest. Grillen auf dem mitgebrachten Holzkohlegrill ist ein festes Ritual der Segler in den Schären Norwegens und Schwedens. Bier, Wein und noch schärfere Getränke – vorzugsweise aus Deutschland importiert – gehören natürlich auch dazu. Bei schönem Wetter schwärmen die Boote von den Städten aus und belegen die schönen und sicheren Plätze in den Schären. Überall sind Segelboote und Motorjachten an den Felsen festgemacht. - 56 - Tag 87. Bei der Ausfahrt aus der Bucht passiert uns dann das, was nie passieren darf. Nach einem Blick auf die Seekarte informiere ich Viktor dass wir die Insel mit etwas Abstand passieren müssen weil da irgendwo eine Untiefe ist. Noch während wir gemeinsam die Karte studieren, rumpelt es gewaltig am Kiel. „Nein, nicht schon wieder!“ schießt es mir durch den Kopf. Wir hatten den Abstand falsch eingeschätzt und den Stein getroffen. Glücklicherweise ist das Boot diesmal unbeschädigt. Der PC mit dem Kartenprogramm war zwar eingeschaltet, aber wie bereits erwähnt navigieren wir normalerweise mit den Seekarten. Die 2 Meilen nach Hunebostrand erschienen uns problemlos. „Euch steht der Schreck immer noch im Gesicht!“ antwortet Rolf, als wir nach dem Anlegen ihm das soeben geschehene berichteten. Wir machen einen kleinen Bummel durch das Städtchen. Der Spaziergang auf Kirche in Hunebostrand den Felsen, an dessen Fuß Hunebostrand liegt, endet jedoch an einer unüberwindbaren Felswand. Wir hatten den falschen Weg eingeschlagen. Nach dem Einkaufen geht es weiter durch den Stotekanal. Danach verlassen wir die Schären ostwärts und wollen den aufkommenden Südwind nutzen um endlich wider einmal die Segel zu lüften. Wir kreuzen südostwärts und kommen kaum voran weil es hier draußen bis zu 2 Knoten Strom gegen uns hat. Nach 4 Stunden geht uns dann auch noch der Wind aus. Wir tuckern immer noch mit Gegenstrom zum Leuchtturm „Måsekör“ um danach ostwärts wieder in die Schären zu kommen. Am Ende des Kyrkesundes liegt an Backbord die Ankerbucht „Sumaholme“. Der „alte Hase“ Rolf ist mit seiner Yacht „Gazella“ in den Schären geblieben und natürlich längst schon da. Wir gehen bei ihm längsseits und bereiten das Abendessen vor. 1kg Rägger, das sind gekochte Skambis, soll es heute Abend geben. Diese Delikatesse ist zwar sehr teuer – umgerechnet 25€ haben wir dafür in Hunebostrand bezahlt – gehört aber unbedingt mindestens einmal auf so einem Törn auf den Speiseplan. - 57 - Tag 88. Endlich wieder mal Wind zum segeln. Bei sanftem ESE segeln wir gemächlich nach Marstrand auf den Schäreninseln Marstrandsö und Koö. Die Burg „Carlstens fästning“ wurde 1689 gebaut und überragt das alte Städtchen schon aus der Ferne, das an diesem schönen Sommerwochenende sehr lebhaft und freundlich wirkt. Auf dem Kanal durch die Stadt wimmelt es von kleinen und großen Motorbooten. Auch viele Segelyachten sind auf dem Weg zu mehr oder weniger ruhigen Grillplätzen in den Schären. Köpstadtö ist heute unser Ziel, an deren Südseite ganz versteck ein kleiner Yachthafen liegt. Auf Deutsch heißt die Insel „Kaufmannsinsel“, weil hier die Kaufleute von der nahen Großstadt Göteborg ihre Sommerresidenzen haben. An vielen Villen und Gartenanlagen ist auch ersichtlich, dass hier wohlhabende Eigentümer wohnen. Viktor und Rolf haben vor 20 Jahren einen dieser Patrons kennen gelernt und ihn danach regelmäßig bei ihren vielen Nordtörns besucht. „Zwei Familien gibt es auf der Insel, die hier allene das Sagen haben!“ hat er den beiden damals erzählt. „Wenn ich mir eine 15Meter Yacht zulege, kauft der Andere eine 16-Meter Yacht, wenn ich hier das 8. Haus baue, baut mein Widerpart sein 9. Haus.“ Inzwischen ist der vornehme Herr 90 Jahre alt und kann keine Besuche mehr empfangen. Seine Enkel benehmen sich wie alle Jugendliche in diesem Alter und feiern auf der Bavaria 48 des Vaters direkt neben uns ausgelassen und lautstark bis zum Morgengrauen. Strömstad - Hals - 58 - Tag 89. Wie vom Wetterbericht vorausgesagt, ist das herrliche Sommerwetter vorläufig vorbei. Dafür gibt es endlich richtigen Wind um auch größere Strecken zu segeln. Wir verlassen Schweden und segeln zur nördlichsten Insel Dänemarks in den Hafen Vesterö auf Läsö. Die flache Sandinsel lebt von Landwirtschaft und Tourismus. Obwohl wir erst den 9. August haben, ist die Saison hier offensichtlich schon gelaufen. Weniger als ein Drittel der Yachtliegeplätze sind an diesem Sonntagabend belegt. In Norwegen und Schweden sind die Ferien bereits vorbei. Deutsche auf der Heimreise und einige Dänen sind die wenigen Gäste, die wir in den Gaststätten antreffen. In einer Woche wollen wir auch zurück in Kappeln sein. Eigentlich wollte ich durch den Sund an Kopenhagen vorbei durch die südliche Ostsee segeln. Die langfristige Wettervorhersage bringt jedoch anhaltend westliche Winde. Die hätten wir in den letzten 2 Wochen gebrauchen können. Nun aber ist es in den nächsten Tagen nicht möglich, durch die „Kadettenrinne“ und Mecklenburger Bucht in die Kieler Bucht zu segeln. Wir beschließen deshalb, auf der Ostseite Jütlands zu bleiben. Auch Anhold anzulaufen, was fest eingeplant war, ist bei dieser Wetterlage zu riskant. Tag 90. Frühmorgens um 6 Uhr warten ich auf die einlaufenden Fischerboote. Frischer Jungfru-Hummer ist eine Delikatesse, die es in dieser Qualität nur hier gibt. Die Enttäuschung der wartenden Touristen ist groß, als die ersten einlaufenden Boote keinen Hummer zum verkauf anbieten. Der Fang ist schon an Gaststätten und Händler verkauft. 4 Schollen für 40 Kronen, das sind ca. 5,50€, ist meine erste magere Ausbeute. Dank unseres AIS-Systems kann ich vom Boot aus genau überwachen, wann im Laufe des Morgens weitere Fischerboote einlaufen um dann rechtzeitig zum Anlegen an der Pier beim Fischer zu sein. Die anderen Kaufinteressenten stehen sich an der Pier die Beine in den Bauch oder verpassen die Ankunft. 2 Stunden Später habe ich dann eine prall volle Tüte Hummer für 100 Kronen. Das nächste Gourmet-Abendessen kann zelebriert werden Bei zunächst mäßigem, später aufkommendem WNW segeln wir Südwestwärts nach Hals am Limfiord. Der Limfjord ist ein lang gestreckter Sund zwischen der Halbinsel Jütland und der Insel Vendsyssel-Thy. Er verbindet die Nordsee im Westen bei Thyborøn mit dem Kattegat bei Hals. Wir genießen zum letzten Mal die Gastfreundschaft von Gisela und Rolf, die uns seit Strömstad mit ihrer 39-Fuß Yacht“Gazella“ begleitet haben. In der geräumigen überdachten Plicht – Markgräfler Segelprofis nennen es „Chuchibudi“ – zelebrieren wir einen kulinarischen Abend. Als Vorspeise Krabbenscheren und zum Hauptgang JungfruHummer. Natürlich darf dazu der gehaltvolle Spätburgunder Rotwein aus dem Markgräflerland Segelyacht „Gazella“ mit Gisela und Rolf Schneider nicht fehlen. - 59 - Tag 91. Auf dem Weg nach Grenå benötigen wir zum ersten Mal seit Wochen den Motor nur zum Ab- und Anlegen an der Pier. Grenå ist ein klassischer Durchgangshafen für Yachten auf der Strecke Kiel – Norwegen. So treffen wir im Hafen hauptsächlich heimreisende deutsche Segelyachten an. Überrascht und erstaunt sehen wir, wie mitten im Hafen eine Regatta gestartet wird. Die regattierenden Boote schießen mit Vollzeug bei Windstärke 5 an den einlaufenden und angelegten Booten vorbei zum Hafen hinaus. Die Regatta wurde mit einem sogenannten „Le-Mans-Start“ gestartet. Die Crews saßen zum Startzeitpunkt in normaler Straßenkleidung im Clubheim und sprinteten nach dem Startschuss zu Ihren Yachten. Startklar machen, Ölzeug anziehen, ablegen unter Segel, alles gehörte zur Regatta. Eine interessante Regattavariante, die das immer gleichförmige Regattageschehen auch am Bodensee mal aufmischen könnte. Der Yachthafen ist gesäumt von hölzernen Ferienhäuschen. Direkt daneben ist ein weitläufiger Sandstrand, eigentlich eine perfekte Urlaubsidylle. Aber auch hier wie auch in Läsö ist der Tourismusbetrieb zurückhaltend obwohl in den meisten deutschen Bundesländern noch Ferien sind. Es ist für eine deutsche Standartfamilie mit Kindern offensichtlich alles zu teuer hier. So ist z.B. ein Essen im Restaurant fast doppelt so teuer als bei uns. Ich bin deshalb auch sehr erstaunt, als wir in einer kleinen Dorfkneipe ein gutes Fassbier zum fast gleichen Preis wie bei uns bekommen. Auch das strikte Rauchverbot, das bisher in allen von uns besuchten Ländern galt, kennen die Dänen offensichtlich (noch) nicht. Le-Mans-Start einer Regatta im Yachthafen - 60 - Hals - Kappeln Tag 92. Die Yachtkarawane zieht weiter südwärts Richtung Deutschland. Wie an einer Perlenschnur aufgereiht ziehen die Segelboote von der Hafenausfahrt aus ihre Bahn. Wenn so viele Segler mit dem gleichen Ziel unterwegs sind, erwacht natürlich der Jagdinstinkt. Wir wollen eine Dehler 34 in Lee überholen. Als der erkennt, was da vor sich geht, optimiert er sein Rigg und zieht davon. Wir sind ihm mit unserem Material hoffnungslos unterlegen, können aber im Pulk der anderen gut mithalten. Die Hafengebühren sind in Dänemark - wie in allen nordischen Ländern – meist moderat. Jeden Tag 15 – 20 € Hafengebühr belasten die Urlaubskasse aber auch. Deshalb Ankern wir heute mal in der sehr sicheren und ruhigen Bucht „Langör“ an der Nordseite der Insel Samsö. Es wird trotzdem eine unruhige Nacht. Der Wind hat auf NE gedreht und bläst am Ankerplatz mit 6 Beaufort. Tag 93. Heute benütze ich mal wieder die Computernavigation, um das Labyrinth des Stavns Fjords auf dem kürzesten Weg verlassen zu können. Mit 6 Beauforts Wind aus Nordwest kommen wir schnell südwärts in den großen Belt. Inzwischen läuft eine Welle von 1,5 Meter auf, die hier im Belt sehr kurz und steil ist. Gegen Mittag passieren wir die Autobahnbrücke der Vogelfluglinie von Lindholm über die Insel Sprogö nach Korsör. Jeweils ca. 3. Meilen lang sind die beiden Brückenteile. Die Durchfahrt über die Schifffahrtsstraße hat 65 Meter lichte Weite. Mit einer Spannweite von1624 m ist sie bis jetzt eine der längsten Hängebrücken ihrer Art in Europa. Gehalten wird die freigespannte Fahrtrasse von zwei, jeweils 3 km langen Tragseilen, deren 85 cm dicke Kabel aus 18.648 Einzeldrähten bestehen und von denen jeder einzelne Meter 3,2t wiegt. In Eisen, Stahl und Beton hängt die Schrägseilkonstruktion an zwei 204 m hohen Pylonen. - 61 - Gegen Abend laufen wir die kleine Insel Onö an. Trotz 6 Beauforts im Hafen Kirkehavn klappt das Anlegemanöver problemlos. Allerdings ist auch dieser Hafen bei NW sehr unruhig. Immer noch konstant 6 Beaufort zeigt der Windmesser an. Wir machen einen kleinen Inselrundgang am Strand entlang und über die abgeernteten Stoppelfelder, die die kleine Insel am Ostrand des großen Belts prägen. Auch diese Nacht ist wieder sehr unruhig. Der Wind pfeift nach wie vor mit gleicher Stärke durch den Hafen und die Wellen aus NW erzeugen im Hafen einen erheblichen Schwell. Tag 94. Immer noch mit Windstärke 6 verlassen wir den Hafen und segeln an die gegenüberliegende Ostküste von Langeland. Hier unter Land ist die Welle erträglicher, dafür ist der Wind aber sehr böig. Unterwegs überholt uns der Rahensegler „Thor-Heyerdal“ unter Vollzeug. Es ist schon ein erhebendes Gefühl für einen Segler, ein solches Historisches Schiff unter Vollbesegelung in Aktion zu sehen. Nach der Umrundung der Südspitze von Langeland machen wir im Hafen Bagenkop fest. Auch hier besteht die Hafenanlage aus einer modernen Ferienhaus Siedlung mit kleinem Strand und einem Dorf daneben. Der Versuch, unsere letzten Kronen in einige Glas Bier umzuwandeln misslingt aus Mangel an einer entsprechenden Kneipe. - 62 - Tag 95. Schon um 6 Uhr schmeißst mich Viktor aus der Koje. Das Wetter ist zwar miserabel, und der Wind hat nach Süd gedreht. Wie ein Pferdegespann kurz vor dem heimischen Hof hat auch Viktor wieder den unbändigen Stalldrang. Wenn der Heimathafen in „Riechweite“ ist, ist er nicht mehr zu bremsen. Ich will aber heute erst mal noch nach Labö. Als wir den Hafen verlassen, weht es wieder mit 6 Beaufort aus SSW. Hoch am Wind geht es erst mal westwärts. Heute navigieren wir ausschließlich konventionell mit koppeln und terrestrischer Navigation. Nach 15 Seemeilen wende ich und segel mit dem rechtdrehendem Wind Südwärts. Um 12.00 Uhr sehen wir erwartungsgemäß Steuerbord voraus Kiel Leuchtturm. Kurze Zeit später taucht auch das Marine-Ehrenmal Labö am diesigen Horizont auf. Die deutsche Heimat hat uns nach fast 100 Tagen wieder. Fast 5 Stunden kreuzen wir noch gegen den strengen SW Wind aus der Kieler Förde nach Labö an. Inzwischen ist es wolkenlos und Sommerlich warm. Kiel empfängt uns mit Kaiserwetter. Nach dem Anlegen machen wir einen Spaziergang entlang des Sandstrandes zum Ehrenmal der Marine und dem Museums-U-Boot U995. Es handelt sich hierbei um den meistgebauten U-Boot-Typen des zweiten Weltkrieges, den Typen VII-C. Tag 96. Die letzte Strecke auf See zurück nach Kappeln bietet uns noch mal einen besonderen Segeltag. Etwas vorlicher Wind aus WSW mit 6 Beaufort bringt den „Glückspilz“ bei herrlichem Sonnenschein noch mal auf 7 Knoten Fahrt. Der ehemalige Marinehafen Olpeniz direkt neben der Schleimündung ist leer und unbewohnt. Vor fast 40 Jahren war ich als Marinesoldat sehr oft hier. Es gab damals den Spruch: „Wenn du in Olpeniz am Kasernentor stehst, kannst du am Morgen sehen, wer am Abend zu Besuch kommt.“ Vom segeln hatte ich damals noch keine Ahnung. Auf der Schlei ist an so einem Sommer-Sonntag viel Betrieb. Ich habe in der Einfahrt die Gastlandflaggen gesetzt. Nun beobachten wir die erstaunten Reaktionen der vorbeifahrenden Boote. 7 Gastlandflaggen sind auch bei erfahrenen Seglern etwas Besonderes. Im Hafen des „Yachtservice Ancker“ treffen wir gleich Tessy und Hermann Gotert. Die beiden sind jeden Sommer mit Ihrer Yacht hier in der Ostsee. Abends beim Bier und einigen schärferen Sachen gibt es natürlich viel zu erzählen. - 63 - Noch am Sonntagnachmittag beginnen wir mit dem Abbau des Bootes. Die Segel sind alle trocken und müssen vor Einbruch der Dämmerung geborgen und verpackt sein. Das gesamte „laufende Gut“ (das sind alle Leinen, die bewegt werde können) wird abgebaut und verstaut. Tag 97. Viktor ist vollauf beschäftigt mit Krantermin, Lastwagenzulassung und Mastabbau. Das „stehende Gut“ (Staken und Wanten, die den Mast halten) wird erst ganz zum Schluss gelöst. Danach habe ich noch eine weitere Premiere. Ich schaffe es tatsächlich, entgegen Viktors Befürchtung den Sattelschlepper rückwärts ohne Schaden aus der Parkbucht an der Straße in den Yacht-Hof zu bugsieren. Scheißgebadet klettere ich aus dem Führerhaus. Jetzt habe ich eine Ahnung, welche Kraft Viktor jedes Mal benötigt um den Sattelzug, der ja keine Servolenkung hat, Zuhause rückwärts in die Scheune zu fahren. Etwas wehmütig ist es mir schon ums Herz, als der Kran unser „Glückspilz“ aus dem Wasser hebt und wieder auf dem Sattelschlepper absetzt. Hat er uns auch diesmal wieder über fast 3.500 Seemeilen heil ans Ziel zurückgebracht. Es dauert einen weiteren halben Tag, bis das Boot richtig befestigt, alles an Bord fest verstaut und angelascht und der Sattelschlepper TÜV-gerecht ausgestattet ist. Die 1.000 km Fahrt auf dem Sattelauflieger ist für das Boot genauso Material belastend wie die Seestrecke in den 3 Monaten zuvor. Am Abend gehen wir noch mal in die „Bierakademie“ in der Altstadt Kappeln. Dieses Institut für "Bierologie und Hektoliteratur" ist jedes Mal ein Besuch wert. Die Spezialität neben guten Bieren ist gegrillte Speerrippe. Eine Portion ist so groß, dass ich jedes Mal mich davon 2 Tage ernähren kann. - 64 - Tag 98. Morgens um halb 4 setzen wir unseren Truck in Bewegung Richtung Heimat. Südlich von Bremen stoppt uns die Autobahnkontrolle BAG. Unser Lastzug ist mautfrei, das ist schnell geklärt. Irgendwie scheint Viktor aber den Teufel zu reiten. Er erzählt dem Beamten die abenteuerliche Vorgeschichte zu meinem CE79 Führerschein. Der wiederum blättert eine halbe Stunde in Gesetzestexten und erklärt mir anschließend, dass ich den Sattelzug nicht fahren darf. Er hätte aber keine Lust, deswegen auch noch mit den Kollegen der Autobahnpolizei zu diskutieren. Er rät mir aber ab, weiter zu fahren. Ich lasse mich davon nicht beeindrucken und fahre trotzdem weiter. Aufgebracht fauchte ich Viktor an: „Hätsch Gosche ghalte, wäre mr jetz 40km widdr!“ Wir spulen das gleiche Programm wie auf der Hinfahrt ab. Tanken und Kaffee trinken, tanken und Kaffee trinken, ……. Kurz vor dem Ziel bei Teningen aber eine weitere unerwünschte Unterbrechung. Ich sitze wieder Mal am Steuer als wir erneut gestoppt werden. Diesmal ist es die Autobahnpolizei. Oha, denke ich, jetzt geht der Ärger mit dem Führerschein erst richtig los. Die Beamten sammeln gleich die Führerscheine ein und inspizieren den Auflieger. Zuerst messen sie die Zuglänge, danach wollen sie die Breite des Bootes messen. Aber wie? Die Beamten wollen auf das Boot steigen und mit der aufwändigen Bestimmung der Bootsbreite beginnen. Wenn sie es geschafft hätten korrekt zu messen, wären 3,07 Meter herausgekommen. Zu breit für die vorhandene Genehmigung! Viktor kommt die rettende Idee. Schaut doch im Messbrief des Bootes nach, da steht die (offizielle) Breite von 3,00 Meter drin. Die Beamten akzeptieren das, stellen jedoch fest, dass in der Überbreitengenehmigung „nur“ 2,99 Meter stehen. Ein Zentimeter zu viel! Sie sind großzügig und lassen das durchgehen. Die Führerscheine geben sie und nach kurzem Kontrollblick zurück. Im inzwischen diffusen Abendlicht konnten sie ohnehin nicht lesen, was da genau drauf steht. Am 18. August um 21.30 Uhr fahre ich mit dem „Glückspilz“ in den Meyerschen Werkhof in Kandern ein. Wir werden von derselben Gruppe freudig empfangen, die uns vor 98 Tagen verabschiedet hat. - 65 -