Nordtörn

Transcription

Nordtörn
„Lucky mushroom“
Ein Segeltörn in nordischen Gewässern.
13. Mai bis 18. August 2009
Skipper: Viktor Mayer
Navigator: Heiner Scherer
Der Streckenplan.
Aufgezeichnet mit dem GPS Trip Recorder i-Blue 747, Auswertung mit Google Earth.
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Tag 1, Montagvormittag, 13.05. 2009 10.00 Uhr
Auf dem Zufahrtsweg
zum Weberbauer steht
ein für diese Gegend
seltsames Gefährt. Ein
kleiner Sattelschlepper
mit einem Segelboot.
Das
Boot,
eine
schwedische
Albin
Delta, 10 Meter lang
und 3 Meter breit hat
den
bezeichnendem
Namen „Glückspilz“.
Daneben ein kleines
Grüppchen
Leute.
Bootseigner
und
Skipper Viktor (70),
der Seniorchef eines
kleinen
Straßenbauund
PflästereiAuf dem Weg zum Weberbauer in Kandern
Betriebes mit Ehefrau,
Schwiegertochter und Enkel. Dazu noch der Chronist Heiner (57), ein ehemaliger
Computerspezialist, der von seiner Firma mit Taschengeld für
die nächsten 10 Jahre versehen, schon vor 4 Jahren entlassen
wurde. Helga, seine Frau, hat die „MonCherry“ die sie den
beiden zum Abschied als „Nervennahrung“ noch schenken
wollte, Zuhause vergessen. Das Boot wird in den nächsten 3
Monaten für Viktor und Heiner das schwimmende Zuhause
sein. Küsschen und tschüss, keine Abschiedsszene. Als wenn
die beiden mal eben an den Bodensee fahren würden,
verabschiedet sich das seltsame Gefährt in Richtung
Riedlingen.
Danach folgt Autobahn …., Autobahn …., Autobahn ….,
nordwärts. Ich habe extra meinen Führerschein - der geliebte
alte graue Lappen - auf einen neuen Euro-Führerschein CE79
umschreiben lassen, damit ich den Sattelzug mit 9,9t fahren
darf. Die Vorgeschichte dazu ist Abenteuerlich. Erst nach
monatelangem Hin und Her mit den Behörden Polizei,
Landratsamt, Zulassungsstelle und TÜV wurde mir bestätigt,
dass ich mit diesem Schein einen Sattelzug bis 12t fahren darf.
Nun sitze ich zum ersten Mal in meinem Leben am Steuer
eines Sattelzuges. Tanken und Kaffee trinken, tanken und
Kaffee trinken, ……. Irgendwann in den frühen
Morgenstunden sind wir nach 1030km in Kappeln an der
Schlei und schlafen den Rest der Nacht im Boot.
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Tag 2. Am Vormittag wird das Boot ins Wasser gelassen und der Mast gesetzt (Einkranen).
Danach wird das Boot seeklar gemacht. Dabei erfahren wir die erste unliebsame
Überraschung. Eine Rolle mit 100
Meter Schwimmleine, die an der
Reling festgemacht war, fehlt. Die
Halterung ist abgebrochen und die
Rolle liegt irgendwo auf der
Autobahn
zwischen
Müllheim/Baden und Neumünster.
War das der Grund, warum ein
Brummifahrer irgendwann nach
Frankfurt uns wild gestikulierend
und hupend überholt hat? Die
Schwimmleine wird für den
Rettungsring benötigt und ist
deshalb für uns Lebensnotwendig.
Der Ersatz reißt ein bedrohliches
Loch von 200€ in unsere
Bordkasse.
Tag 3. Heute soll es weiter gehen, aber Regen und böiger Ostwind mit 7 – 8 Bf. gegenan
Richtung Kiel! Das tun wir uns am ersten Tag doch nicht an. Dazu werden wir in den
nächsten 3 Monaten noch genügen Möglichkeiten haben. Also machen wir uns zusammen mit
unserem Gast Jürgen, der uns bis Dover begleitet, einen ruhigen Tag.
Viktor und Jürgen bunkern noch frische Lebensmittel und ich beschäftige mich mit der
Navigationselektronik.
Schon beim ersten Test
eine
weitere
böse
Überraschung.
Der
Touchscreen-Monitor für
den Navigations-PC ist
defekt. Den hatte ich extra
gekauft, damit wir auch
bei Schwerwetter am
Ruder stehend auf den
Plotter sehen können. Also
zur Post und mit DHL
zurück zum Hersteller. In
Glasgow kommt ein neuer
Gast aus der Heimat an
Bord. Bis dahin muss der
Bildschirm
repariert
wieder in Kandern sein.
Skipper Viktor, Chronist Heiner und Segelgast Jürgen in Kappeln an der Schlei
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Tag 4, Am Donnerstag 16. Mai Geht es dann bei immer noch regnerischem Wetter und ohne
Wind los. In der Kieler Buch kommt
dann aber die Sonne heraus und wir
segeln die letzten Meilen zur Schleuse
Holtenau. Nach dem Anlegen gehen
wir in die Kneipe „Am Berg“ in
Holtenau, die wir vor 2 Jahren schon
besucht hatten. Die Wirtin war uns von
unserem Besuch vor 2 Jahren wegen
ihrer „trockenen Sprüchen“ und dem
reichlichen und guten Essen noch in
guter Erinnerung. Sie hat uns doch
tatsächlich
wieder
erkannt.
Südbaderner mit ihrem schweizer
Dialekt sind halt selten zu Gast in
Marine-Ehrenmal Labö
Holtenau.
Tag 5. Sonntagmorgen um halb 7 legen wir ab zum schleusen. Die Fahrt durch den NordOstseekanal ist für uns schon fast Routine. Unser Gast Jürgen fährt zum ersten Mal den „KielChannel“, wie er international genannt wird. Er bestaunt die riesigen „Ozeandampfer“, die
bedrohlich nahe an uns vorbeiziehen. Die Fahrt dauert 9 Stunden. Der einzige, der heute
arbeiten muss, ist „Gusti“, unser Autopilot. Ich habe endlich Zeit, meine 4-monatige
Vorbereitung mit dem Navi-PC zu testen.
Aber es funktioniert fast nichts so wie es im
fernen Schwarzwald theoretisch geplant
wurde. Den Touchscreen-Monitor, der als
Plotter und Bedienungsgerät fungieren sollte,
habe ich in Kappeln schon zur Reparatur
wegschicken müssen. Als Perfektionist habe
ich natürlich für (fast) alles noch einen „Plan
B“, in ganz wichtigen Punkten sogar einen
„Plan C“ ausgearbeitet. Das vorbereitete
Navigationsprogramm „MaxSea“ ist ja eine
richtige „eierlegende Wollmilchsau“. Nach
längeren
Konfigurationsversuchen
Wetter-, Strom- und Tiedendaten am Navi-PC
funktionieren
Navigation,
Tiedenplan,
Stromplan und die Anzeige der Wetterdaten. Das „Sahnehäubchen“ aber, die Anzeige anderen
Schiffe auf der Navigationskarte mittels
AIS-Daten verweigert das Programm auch
nach stundenlangem Umkonfigurieren und
Neuinstallation standhaft. In Brunsbüttel
recherchiere ich in einer Internetkneipe die
Ursache und stelle fest, dass ein weiterer
(teurer) Programmkey fehlt. Also „AIS Plan
B!“ Obwohl Sonntagabend ist, bekomme ich
innerhalb von 30 Minuten einen Key-Code
für das vorbereitete Programm „Yacht-AISPro“. Ein Hoch dem „Internet-Buying“ und
weitere 100€ fehlen in der Bordkasse.
Schleuse Brunsbüttel mit Plotterprogramm Maxsea
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Viktor inspiziert
nach 9 Stunden
Kiel - Dover
„motoren“
routinemäßig
den
Motor.
Seine
finstere
Mine
verrät:
„Der läuft auch
nicht nach Plan
A!“ Er hatte den
Motor extra für
den
Törn
ausgebaut und
überholen
lassen.
Nun
fehlen nach nur
12 Betriebsstunden schon 1 Liter Motorenöl! Wenn wir regelmäßig Öl nachfüllen ist das noch
Auskunft des Motorspezialisten für den Motor nicht schädlich. Die Dieselstunde kostet nun
aber statt den geplanten 1,30€ nun fast 2€. Ein weiteres Loch in der Bordkasse!
Der Tieden- und Stromplan für die Elbmündung und die Deutsche Bucht muss auch noch
studiert werden. Dazu benützen wir den „Reeds Nautical Almanac“. Der Zusatztitel „The
Yachtsmann’s Bible“ umschreibt das 1000-seitige Buch trefflich. Ab 11.00 Uhr MEST
müssen wir in Brunsbüttel auf der Elbe sein.
Tag 6. Um 9 Uhr legen wir ab. Vor der Schleuse Brunsbüttel warten wir geduldig über eine
Stunde. Plötzlich sind noch
weitere 5 Segelyachten da und die
Schleuse öffnet sich. Ja hätten wir
über VHF nachgefragt, hätten wir
erst eine Stunde später ablegen
brauchen. Aber keiner hat sich um
den erforderlichen VHF-Kanal
gekümmert.
Die Elbe runter geht es mit
raumen Wind. Wir entschließen
uns, sofort soweit als möglich
Richtung Dover durchzufahren.
Also gleich zu Beginn mehrere
Nachtfahrten!
Nord-Ostsee Kanal bei Brunsbüttel
Tag 7. In meiner ersten Nachtwache habe ich mein „Aha-Erlebnis“. Wir fahren am Rande des
Inshore-Fahrwassers an der Betonnung entlang nach WSW. Beim Wachwechsel zeigt mir
Viktor ein Leuchtfeuer, auf das ich zuhalten soll. Stunden später fahre ich immer noch auf das
Leuchtfeuer zu und wundere mich, warum die Wassertiefe auf unter 10 Meter fällt. Der
Computer ist ausgeschalter und den Kompass kann ich ohne Brille nicht ablesen. Bei 7 Meter
Wassertiefe überprüfe ich den Kurs und schaue mir die Kennung des Leuchtfeuers in der
Seekarte mal genauer an. Ich fahre tatsächlich geradewegs auf den Leuchtturm von Norderney
zu. Die Wassertiefe beträgt nur noch 6 Meter, als ich wieder auf den richtigen Kurs
zurückschwenke. In Zukunft schaue ich mir die Kennungen der Leuchtfeuer genauer an, auf
die ich zufahre.
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In der Frühwache entschließt sich
Viktor, nach Borkum zu segeln,
um vor der Überfahrt nach
England
noch
genügend
Motorenöl in Borkum zu
Bunkern.
Warum
ist
der
Yachthafen von Borkum immer
noch in so einem miserablen
Zustand?? Wir finden im fast
leeren Hafen nur mit Mühe einen
Liegeplatz, der bei Niedrigwasser
noch genügend Wassertiefe hat.
In der einzigen Tankstelle von
Borkum kaufen wir 15 Liter
Motorenöl. Das dazu benötigte
30l-Ölfass schenkt uns der
Meister.
„Ja,“ meinte die Yachthafen Borkum
Taxifahrerin auf der Rückfahrt
versonnen, „als noch die Marineoffiziere da waren, war hier richtig was los.“ Auch ich war
als junger Marinesoldat vor fast 40 Jahren das letzte Mal hier.
Einziger Lichtblick im Yachthafen ist das Hotel „Yachthafen“. In dem gepflegten Ambiente
bekommen wir ein sehr gutes und günstiges Fischessen.
Tag 8. Weiter geht es Richtung SW. Aber zuerst kämpfen wir noch mit der Untiefe
„Ballonplatte“, die uns westlich von Borkum den Weg nach England versperrt. Die
Sandbänke sind nicht immer da, wo sie in der Seekarte eingezeichnet sind. Diese Erkenntnis
machen wir auch noch einige Tage später im Bereich der Themsemündung. Danach segeln
wir mit wechselnden Winden 2 Tage und 2 Nächte mal nach NW, mal nach S-SW kreuz und
quer durch die westliche Nordsee Richtung Englands Südostküste. Eines der vielen Schiffe,
die währen meiner Nachtwache an uns vorbeiziehen, wird vom AIS-System als „Alexander
von Humbold“ gemeldet. Im Dunkeln kann ich auf ca. eine Meile aber nur die Positionslichter
erkennen. Von den 4 stolzen Masten oder gar den Rahensegel ist nichts zu sehen.
Tag 10. Am 22.05. 2008 09.30 Uhr laufen wir in Lowestoft, der östlichsten Stadt Englands
ein. Die Grafschaft Suffolk empfängt
uns mit warmem Sonnenschein. Ein
sauberes,
unauffälliges
Arbeiterstädtchen, denke ich. Die
Hafengegend ist abends offensichtlich
ein Treff der Jugend. Mir fällt auf, dass
viele Mädchen hier auffällig und bunt
gekleidet und frisiert sind. Aber auch
viele junge Leute mit Kinderwagen
sind zu sehen. So viele Junge Eltern
sind in Deutschlands Städten leider
nicht mehr anzutreffen. In einem Pub
am Hafen trinken wir unser erstes
Guinnes bei mehr oder weniger guten
Karaoke-Vorträgen.
Unsere
Anwesenheit hier erhöht das Durchschnittsalter der restlichen Gäste erheblich.
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Tag 11. Wir warten auf den den versprochenen Südostwind und legen um 15.00 Uhr in
Lowestoft ab, um den nördlichen Tiedenstom optimal auszunutzen. In der Nacht dreht der
Wind von SE über SSW nach WSW während wir an der Themsemündung vorbei Richtung
Dover segeln. Im Kanal von Dover und bei der Hafeneinfahrt Dover nutzen wir das AISSystem mal richtig. Die vielen Fähren, die mit hoher Geschwindigkeit Ein- und Ausfahren
können so genau beobachtet werden. Als gewissenhafte Segler darf man sich zwar nicht nur
auf die Technik verlassen, sie erleichtert die Navigation aber erheblich.
Tag 12. In Dover wollen wir für
unseren Gast Jürgen, der nach
Radolfzell zurück muss,
eine
Fahrkarte lösen. Aber das ist nicht so
Einfach. Am Bahnhof von Dover gibt
es kein Ticket für den Eurotrain nach
Paris, und ausgerechnet an diesem
Sonntag fährt auch kein Zug nach
Ashfort, wo es das benötigte Ticket
gibt. Also fahren Jürgen und ich mit
dem Ersatzbus nach Ashfort. Der
anschließende Bummel durch Dover
endet in einer Gaststätte mit Terrasse
zum Hafen. In Deutschland würde da
am Eingang „Biergarten“ stehen. Bei
schönem Wetter und Livemusik können wir das Treiben beobachten. Auch hier fallen mir die
vielen jungen Familien mit Kindern auf.
Im Yachthafen treffen wir Heiko und seine Frau aus Bremen, die mit ihrer selbstgebauten
Yacht unterwegs sind. Segler sind
weltweit
ja
eine
sehr
kommunikative Spezies. Und so
treffen wir uns am Abend auf
unserem Boot, um uns bei einigen
Gläschen
Rotwein
über
technische
Details
von
Navigation, Wetter uns Bootsbau
auszutauschen. Ich hatte mich fast
ein Jahr intensiv mit den
technischen Möglichkeiten der
Computergestützten Navigation
und Wetterdatenerfassung befasst.
Durch
diese
umfangreichen
Recherchen kann ich nun auch
mit den erfahrenen Seglern aus
dem Norden gut mitreden. Ich stelle fest, dass ich bestes und neuestes Elektronik-Equipment
an Bord installiert habe. Der gute alte Wetterbericht, am Morgen beim Hafenmeister abgeholt,
hat fast ausgedient. Mit einem einfachen USB-Stick können in jedem Internet-Point
sogenannt GRIB-Dateien downgeladen werden, die alle Daten über Wind, Wolken,
Niederschlag, Luftdruckverteilung und vieles mehr für die nächsten 6 – 12 Tagen liefert. Das
alles kann man auf die Elektronische Seekarte projizieren oder als Animation am Bildschirm
ansehen. Der Empfang der Wetterberichte vom DWD als Text und Fax über ein normales
Radio mit Seitenbandempfang habe ich auch vorbereitet. In den nächsten Tagen möchte ich
das auch mal testen.
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Dover - Scillys
Tag 13. Nein, abergläubisch sind weder Viktor noch ich. Aber an diesem 13.Tag, den wir nun
von Kandern im Südschwarzwald weg sind, begann der Segeltag nicht gut! Um 10 Uhr legen
wir bei leichtem Regen gutem Ostwind im Dock Granville ab. Noch im Hafenbecken setzen
wir das Großsegel. Gleich nach der Hafenausfahrt wollen wir noch die Genua setzen. Da
passiert es! Während Viktor die Luvschoten klar macht und die Holeleine bedient, möchte ich
– am Ruder stehend – die verhedderte Leeschot klarieren. Eine Patenthalse schlägt Viktor den
Großbaum an den Kopf. Er fällt mit dem Kopf voraus zwischen die Relingleinen. Ich
erwische ihn gerade noch an seinen Beinen und kann ihn festhalten. Viktor ist benommen und
hängt kopfüber an der Backbordseite, mehr als festhalten kann ich im ersten Moment nicht.
Zum Glück rappelt sich Viktor wieder auf, und mit vereinten Kräften kommt Viktor wieder
zurück an Bord. Darüber, wie ich Viktor wieder an Bord gebracht hätte, wenn er bewusstlos
gewesen wäre, möchte ich lieber nicht nachdenken. Ja unser Boot heißt Glückspilz und nach
Viktors Überzeugung besteht der Name zu Recht. Es ist gerade noch einmal gut gegangen.
Zurück bleiben eine Beule am Kopf und eine Blutende Prellung am Schienbein von Viktor. Es
war fehlende Absprache der Manöver! Wir müssen in Zukunft wieder das eingespielte Team
werden, das vor 2 Jahren so gut funktioniert hat.
Am Nachmittag passierten wir Cap Dungeness. Wer die Seekarten nicht genau studiert,
übersieht leicht, dass hier ein Schießgebiet eingezeichnet ist. Obwohl wir knapp außerhalb der
Sperrzone entlang segeln, kommt ein Patrouillenboot längsseits und macht uns freundlich auf
die Gefahrenzone aufmerksam. Später hangelten wir uns von Gewitterböe zu Gewitterböe
westwärts nach Eastbourne. Die Hafeneinfahrt Eastbourne bei Niedrigwasser bringt jeden
Navigator ins Grübeln. Die Bergrenzungsbojen des Fahrwassers liegen auf die Seite gekippt
im Schlick. Ich hatte das Gefühl, durch einen schmutzigen Bach zu fahren. 2 Schleusen
trennen die moderne Hafenanlage tiedenunabhängig von der See. Da haben die Engländer
eine moderne Anlage gebaut, die mich an Cogolin in der Bucht von St Tropez an der Coté
Azur erinnert. Die Stimmung ist an diesem regnerischen Abend aber nicht mediterran. Unser
Liegeplatznachbar ist Karel aus Holland. Er ist alleine mit seiner 30-Fuß Yacht unterwegs.
Nach kurzer Zeit sind wir beide in
ein tiefschürfendes Fachgespräch
über Radioantennen für den
Empfang
von
Wetterdaten
verwickelt. „Sind denn nur noch
Fachsimpler unterwegs?“ fragt
Viktor resignierend. Karel, der wie
ich
einmal
Regelungstechnik
studiert hat, gibt mir eine
Lehrstunde in Antennenphysik. Ich
habe ja immer noch ein Problem
mit dem Empfang der Wetterdaten
über das Radio. Auch hier muss ich
„Plan B“ anwenden, weil der Mittelwellenanschluss der Antennenweiche für AIS die
erforderlichen Frequenzen nicht liefert. Aber auch der 12 Meter lange Antennendraht, am
Achterstak befestigt, bringt nicht die gewünschte Empfangsqualität.
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Tag 14. Auch ohne Wetterbericht ist erkennbar dass es heute draußen ungemütlich ist. Den
Hafentag verbringen wir mit Wäsche waschen,
Kleinreparaturen und Einkaufen. Eigentlich
müsste ich mal zum Friseur. Da entschließe ich
mich kurzerhand, meine Lockenpracht von
Viktor auf 5 Millimeter kürzen zu lassen. In 3
Monaten wenn ich wieder nach Hause komme,
sind die Haare ja wieder gewachsen.
Meine Lockenpracht ist weg.
Tag 15. Auch am nächsten Tag laden uns Wind und Regen nicht zum segeln ein. So etwas
wie Hafenviertel oder eine Altstadt gibt es in dieser Retortenanlage nicht. So verbringen wir
die Zeit mit Bootsnachbar Karel bei Fachsimpeln über Navigationselektronik und
Antennenberechnung. Meine Frau berichtet mir, dass meine EDV-Anlage Zuhause nach
einem nächtlichen Gewitter ausgefallen ist. Auch für diesen WorstCase-Fall habe ich
vorgesorgt. Über Teamviewer logge ich mich auf meinem Arbeitsplatz-PC ein und fahre die
virtuellen Server wieder einzeln hoch. Mein „Rechenzentrum“ muss ja weiterlaufen. Die
Homepages der Vereine und Onlinebanking funktionieren sonst nicht.
Tag 16. Lektüre des Stromplanes. Ab 13.00 Uhr haben wir Strom nach westen. Um 18.00 Uhr
legen wir in Brighton
an.
Ca.
4
km
Fußmarsch
zur
berühmten Seebrücke
Brighton bei Nacht.
Man muss es gesehen
haben, aber etwas ganz
besonderes ist es nicht.
Vor den Bars und Clubs
ist
reger
Publikumsverkehr.
Über alles wachen die
teils
eifrigen,
teils
gelangweilten
Türsteher. Nach einem
kleinen Stadtbummel
kehren wir in einem
Pub ein und trinken das Auf der Seebrücke von Brighton bei Nacht.
obligate Guinnes. Die
englischen Pubs haben
alle ein besonderes Flair. Das Publikum ist hier aber irgendwie anders als sonst. Wir waren in
einer Schwulen- und Lespenkneipe gelandet.
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Tag 17. Eigentlich hatte man uns versprochen, dass wir in Brighton ein dringend benötigtes
Ersatzteil für unseren Autipiloten „Gusti“ bekommen. Aber die Verkäuferin im Fachgeschäft
für Raymarine wusste nicht einmal, was ein „Gearbelt“ ist. Gegen Mittag segeln wir weiter.
Diesmal seeseitig an der
Brücke, die mich an den alten
Messplatz
von
Freiburg
erinnert, vorbei. Wir segeln
gemächlich weiter westwärts.
Gegen Abend sind wir in
Portsmouth am Eingang des
Solent. Die östliche Einfahrt
nach Portsmouth ist interessant.
Entlang der Isle of Wright sehen
wir schon 2 Stunden vor dem
Einlaufen
das
Hafenwahrzeichen
„Spinnackertower“.
Wir
machen im westlichen Stadtteil,
der auf der Insel Portsea liegt in
der Haslar-Marina fest.
Tag 18. Portsmouth ist eine typische englische Hafenstadt mit Flair. Es ist heute die
bedeutendste Basis der britischen Marine. Insgesamt sind 47 Kriegsschiffe hier stationiert.
17.200 militärische und zivile Angestellte arbeiten auf dem Stützpunkt. Zudem befindet sich
in Portsmouth das Hauptquartier der Royal Navy, mehrere Trainingszentren und das größte
Lager für Ausrüstung und Versorgungsgüter der britischen Streitkräfte.
Wir machen einen Stadtbummel
und wollen noch einiges
einkaufen. In den riesigen
Einkaufspassagen unterhalb des
Spinackertowers, der der 170 m
hoch ist, finden wir viele
Schicki-Micki
Läden
und
verirren uns dabei fast, aber
einen normalen LebensmittelLaden gibt es keinen. Auf dem
Spinackertower kann man in 100
Meter Höhe die Stadt und
Hafenanlagen
sehr
gut
überblicken. 30 Millionen Pfund,
über drei mal soviel als geplant,
hat der Turm vor 5 Jahren
gekostet.
Eigentlich wollten wir im altehrwürdigen Pub „Lady Hamilton“ am Hafen noch Lammbraten
essen. Der Tiedenplan diktiert uns aber baldiges Auslaufen. Wir segeln die bei Seglern
berühmte Solentpassage Richtung Westen. Dass wir hier im Zentrum des englischen
Segelsports segeln, ist an diesem sonnigen Samstag offensichtlich. So viele Segelboote auf
einmal sieht man höchstens mal am Sonntagnachmittag auf dem Bodensee. Die Isle of Wright
mit der berühmten königlichen Marina in Cowes lassen wir links liegen und segeln mit E-NE
Wind die ganze Nacht durch nach Falmuth.
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Tag 19. Viktors Wunde am Schienbein ist stark entzündet und muss 2-mal täglich gereinigt
und neu verbunden werden. Zum Glück habe ich für solche Fälle genügend antiseptische
Mittel und Verbandsmaterial dabei.
Die
englischen
Marinas, die wir
bisher
besuchten,
machen alle einen
sehr
gepflegten
Eindruck.
Das
Personal ist höflich
und hilfsbereit. Auch
hier in Falmouth
werden wir von einer
freundlichen jungen
Frau
bedient.
Auffällig
ist
allerdings
ihr
„Office“. Eine ca.
4qm große Holzhütte
am Ende der Pier.
Tag 20. Beim Stadtrundgang in Falmouth, das zur Grafschaft Cornwall gehört, gehen wir
noch kurz in die Libary und ziehen die neuesten Wetterdaten auf den USB-Stick. Öffentliche
Büchereien findet man in England und Irland in jeder Stadt. Sie sind – im Gegensatz zu
Deutschland – immer sehr stark frequentiert. Hier bekommt man auch immer kostenlos einen
Internetplatz. Nach dem Stadtrundgang blasen wir noch das Dingi auf, das wir die nächsten 8
Wochen hinten dem Boot herziehen werden. Schon im nächsten Hafen und in den meisten
Buchten in Irland kann nicht angelegt werden. Die meisten Fischerhäfen fallen bei Ebbe
trocken.
Gegen Mittag legen wir zu einer weiteren Nachtfahrt Richtung Scillys ab. Nach dem LizardPoint sichten wir ein Rudel Fische, deren Rückenflossen wie Haiflossen aus dem Wasser
ragen. Die ca. 3 – 4 Meter langen
Fische sehen tatsächlich wie große
Haifische aus. Es sind BlasketSharks. Diese Fischart hatten wir vor
2 Jahren auch an der Irischen
Südküste gesehen. Sie gehören zur
Gattung der Wale, genauso wie die
Delphine. Eine lokale Zeitung hatte
damals einen großen Bericht mit
Bilder von Badegästen mit den
Fischen gebracht. Aus dem Bericht
war auch zu entnehmen, dass diese
Fische völlig ungefährlich sind. Auf
der Weiterfahrt entschädigt uns
Romantische Abendstimmung mit
Sonnenuntergang am Lands-End für
die bevorstehende Nachtfahrt zu den Sonnenuntergang am Lands-End (Cornwall)
Scillys.
- 12 -
Tag 21. Bei der Anfahrt auf die Einfahrt der Scillys südlich St. Mary am frühen Morgen
mache ich eine unliebsame Entdeckung. Je
näher ich der Einfahrt komme, desto mehr
muss ich anluven. Die 3 Leuchtfeuer sind
schon seit Stunden sichtbar. Der Navi-PC
ist - um die Bordbatterien zu schonen ausgeschaltet. Ich überprüfe meine
Position und stelle fest, dass ich über 2
Meilen zu südlich bin. Ein Blick in die
Stromkarte klärt mich auf. Ich habe von
Steuerbord ca. 2 kn. Strom querab.
Um 6.30 Uhr machen wir an einer Gästeboje in der St. Mary-Bucht fest und genießen den in
diesem Sommer wärmsten Tag Englands. Auf der Haupinsel St Mary gibt es tatsächlich
mehrere gut gepflegte Sandstrände, die zum Baden einladen. Unser Badethermometer zeigt in
der Ankerbucht nur 13,5° an. Das ist selbst mir zu kalt.
Wir wollen mit dem Dingi ans Land. Unser
Außenborder will jedoch nicht starten. Bei
dem Versuch, den Fehler zu beheben fällt ein
Hebelchen am Vergaser ins Wasser. Die
nächste Reparaturstunde ist fällig. Um den
Motor am Laufen zu halten, muss nun die
Starterklappe am Vergaser manuell bedient
werden. Am Abend machen wir während der
untergehenden
Sonne
noch
einen
ausgedehnten Spaziergang über die Insel.
Tag 22. Heute wollen wir den 150 Meilen-Schlag an die Südküste Irlands starten. Bei erst
mäßigem, gegen Abend
und in der Nacht immer
mehr auffrischendem
NE-Wind kommen wir
zügig nach Norden
voran. Hoch am Wind
bei 4-5 Beaufort ist eine
unruhige
Angelegenheit. Viktor
versucht in der Pentry
zu schlafen. Der Platz
vor dem Herd ist der
ruhigste Platz im Boot.
Ich steuere die ganze
Nacht lang bei klarem
Sternenhimmel immer
Scillys - Dingle
dem
Nordstern
entgegen. Die kurzen
steilen Wellen erzeugen
immer
noch
ein
beständiges flaues Gefühl im Magen und obwohl ich bestes Ölzeug und lange Unterwäsche
trage, fröstelt es mich ein wenig. Das Segeltrimm ist so gut eingestellt, dass das Boot
beständig ohne Ruderkorrektur alleine den Kurs hält. So verbringe ich vor mich hin dösend
die gesamte Nacht am Ruder.
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Tag 23. Gegen Mittag legen wir im Fischerhafen Dunmore East längsseits eines alten
Fischerkahns an. Damit
umgehen wir elegant
das Tiedenproblem. An
einer Mole mit über 4
Meter Tiedenhub zu
liegen ist hier nicht
einfach, weil es am Kai
kaum
geeignete
Widerlager für unsere
Fender
gibt.
Da
bräuchten
wir
ein
Fenderbrett.
Dunmore East (irisch
An Dún Mór Thoir) ist
ein kleines Fischerdorf
im Südosten von Irland.
Die gepflegten Straßen
und
Häuser
repräsentieren
einem
gewissen Wohlstand.
Tag 24. Bei mäßigem Ostwind geht es westwärts nach Kinsale. Wir setzen Butterfly-Segel,
aber wegen des Wellenganges schlagen die Segel unruhig an den Wanten. Kreuzen vor dem
Wind ist da Materialschonender.
Kinsale ist ein rundum
hübsches
Hafenstädtchen
mit
georgianischen
Häuserreihen entlang enger,
gewundener Straßen und
einer blumengeschmückten
Meerespromenade. Es ist in
der Region bekannt für
seine zahlreichen Kneipen
und Restaurants.
Tag 25. Den Samstag wollen wir in Kinsale verbringen. Der Hafenmeister, der uns gestern
Abend telefonisch einen Platz am äußeren Steg zugewiesen hat, war ein freundlicher junger
Bursche. Die Liegegebühren waren allerdings überraschend hoch. 40₤ für zwei Duschtoken
und eine Nacht in der Marina des Yachtclubs. Die Entscheidung zu einem Hafentag war
genau richtig. In Laufe des Tages frischte der Wind auf 6-7 Beaufort auf. Bis auf das Heulen
der Wanten war hier im Hafen davon aber nichts zu spüren. Viktor ruht sich auf dem Boot
aus. Seine Wunde ist immer noch entzunden und schmerzt ihn. Ich mache an Land die
üblichen Besorgungen. E-Mails, Wetterdaten, Kontobuchungen überprüfen, Aktienkurse,
neueste Nachrichten usw. Damit meine Frau mich wiedererkennt, übertrage ich noch einige
Bilder von mir mit dem nun kahlen Kopf auf meinen heimischen PC.
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Am Abend gehen wir dann in eines der vielen Pubs mit
Livemusik. Unser Pub füllt sich immer mehr mit Frauen
aller Altersgruppen. Sie feiern alle ausgelassen und bringen
die Thekenmannschaft gehörig auf Trab. Gegen halb zwölf
ist das Lokal gerammelt voll, ca. 80% der Anwesenden
sind nun Frauen. Sie heben den Stimmungs- und
Lärmpegel auf Höchstniveau. So ganz habe ich nicht
herausbekommen, was- oder warum es die die Frauen hier
so toll treiben. Bei dem Lärm war eine verständliche
Konversation kaum möglich, zumal mein Englisch „verry
bad“ ist. Aber soviel habe ich mitbekommen, es hat was
mit „married“ zu tun. Nach Mitternacht ist das Schauspiel
genauso schnell und unspektakulär beendet wie es
begonnen hatte. Nun können wir wieder entspannt den
Livemusikern zuhören. In den letzten 2 Stunden waren sie
trotz Verstärkeranlage kaum zu hören.
Tag 26. Sonntag 7. Juni. Wir legen früh am Morgen ab um ev. bis nach Crookhaven am
Mizen Head zu kommen. Wir segeln mit raumen Wind und Stromunterstützung mit 7,5
Knoten dem Fastnetrock entgegen, der schon auf 25 Meilen am Horizont sichtbar ist. Am
Nachmittag flaut der Wind ab. Wir probieren den neuen Spinnaker aus, den Viktor bei
unserem letzten Törn von Segelkamerad Uwe bekommen hat. Bei rollender Achterwelle und
nur 6 – 8 Knoten Wind ist das allerdings kein Vergnügen. Viktor an den Schoten und ich am
Ruder haben alle Hände voll zu tun um den Spi einigermaßen vor dem Wind zu halten. Der
obligatorische Blick zurück beim Vorwindsegeln zeigt uns, dass sich da eventuell was
zusammenbraut. Eine große dunkle Wolke hängt da, die wir nun abwechseln beobachten.
„Oha!“ sagt Viktor plötzlich. Mit einem Schlag ist die See 2 Meilen hinter uns mit weisen
Schaumkronen bedeckt. Sofort den Spi runter, den wir schnell durch das Luk in meine Kajüte
im Vorschiff zerren. Mit einem Schlag war der Wind mit Macht zurück. Nach dem
Festmachen an einer Gästeboje in der Bucht Crookhaven nehmen wir im Pub am Hafen das
obligate Guinness.
Tag 27. An nächsten Morgen ist es ab 5 Uhr vorbei mit dem ruhigen Ankerplatz. Ein strenger
ENE-Wind bläst genau in die
Langgezogene und normalerweise
Am Mizen Head, südwestlichster Punkt Irlands
total sichere Bucht. Eigentlich wollte
ich hier heute mal ein Bad nehmen.
Aber 13,5° Wassertemperatur sind
mir zu wenig. Vor 2 Jahren hatte es
hier angenehme 16°. Um 10.00 Uhr
brechen wir auf. Nach dem Mizen
Head werden der Wind und die
Wellen ruhiger. Wir segeln mit
raumen Wind Richtung Dingel.
Am Nachmittag dann große Aufregung auf Kanal 16. „Mayday Mayday!!“ Ich schreibe die
Position mit. „009 degree 55 dot 97 west, 51 degree 41 dot 50 north“. Ein Fischerboot sinkt
ca.15 Meilen von uns entfernt in Hafennähe am “Piepers Rock“. Aus dem Sprechfunkverkehr
entnehme ich, dass die Costguard“ sich bereits um die 3 Mann Besatzung kümmert. Nach
ca.45 Minuten wird „Mayday“ auf Kanal 16 aufgehoben. Später begleitet uns noch eine große
Delphingruppe 10 Minuten lang. Es ist immer wieder ein Vergnügen, diesen Tieren
zuzusehen wie sie scheinbar ohne Bewegungen durchs Wasser gleiten.
- 15 -
Tag 28. Dingel ist für Segler ein absolutes Muss. Dass das Städtchen im Südwesten Irlands
auf
Tourismus
ausgerichtet ist, stört
im Gegensatz zu den
vielen
mediterranen
Tourismushochburgen
überhaupt nicht. Ein
ruhiges gälisches Flair
durchströmt
die
Gassen und Pubs. Ein
gemütlicher Abend in
einem der vielen Pubs
mit lokaler Livemusik
ist jedes Mal ein
kleines „Highlight“.
Während
wir
gemütlich ein Guinness trinken mustert uns eine rundliche etwas schäbig bekleidete Frau.
„Wenn die mich anmacht, nehm ich mein Gebiss raus!“ sagt Viktor ärgerlich zu mir.
Tag 29. Nach einem verregneten
Hafentag in Dingle begrüßt uns der
nächste Morgen überraschend mit
hellstem Sonnenschein. Bei 3 - 4
Beaufort Nordwind segeln wir um
das Great-Basket Island und dann
nach NE Richtung Smerwick-Bay.
Wir gehen an eine Boje vor
Ballynagal.
Für
die
weitere
Törnplanung muss wieder die
„Yachtsmann
Bible“
gewälzt
werden. Übermorgen wollen wir
Galway anlaufen. Die Einfahrt zum
Hafen ist aber nur von Hochwasser 2 Sunden bis zum Hochwasser
geöffnet. Strom ist in der Bucht
vernachlässigbar. Also Freitagabend
zwischen 19.00 Uhr und 21.00 Uhr
einlaufen, und am Sonntag um halb
neun raus.
Dingle - Teelin
- 16 -
Tag 30. Der versprochene E-SE Wind will nicht kommen. Am Loop-Head machen wir bei
völliger
Windstille eine
Pause und werfen unsere
Angeln aus. 3 Makrelen und
2 Seelachse ergeben 2 bis 3
Abendessen für uns. Die
zuerst vorgesehene Rossbay
ist als Ankerbucht bei den
erwarteten
Windstärken
nicht geeignet. Gegen 18.00
Uhr kommt dann der SE und
wir segeln in die MooreBay. Das Städtchen Kilkee
liegt am Ende der Bucht, die
einen großen Sandstrand
säumt. Große breite Straßen,
eine großzügig angelegte
Strandpromenade Hallenbad
und viele Pubs, Restuarants
und Übernachtungsmöglichkeiten erwecken den Eindruck einer florierenden
Touristenhochburg. Davon ist heute aber nichts zu sehen. Auf mich wirkt der Ort wie ein total
überdimensioniertes Dorf. Weit nach Mitternacht wollen wir zurück zu unserem Boot, das in
der Bucht vor Anker liegt. Das ist heute aber nicht so einfach. Wir hatten das Niedrigwasser
unterschätzt. Unser Dingi hängt in den Klippen an der Kaimauer. Bei strömenden Regen und
völliger Dunkelheit watet Viktor in die Klippen und macht das Dingi wieder seeklar. Der
Außenborder, unser größtes Sorgenkind, und das Dingi haben das Malheuer glücklicherweise
heil überstanden.
Tag 31. Ein Monat sind wir nun unterwegs und immer noch keine Gelegenheit zu einem Bad
im Atlantik! Die Bucht hier ladet zum Baden ein, das Wasser hat aber nur 14°. Ich muss
meine Ansprüche an die Wassertemperatur nun eben zurückschrauben.
Heute
stimmt
der
Wetterbericht. Wir segeln
unter Spinnacker Richtung
Galway. Bei den „Cliffs of
Moher“ geht der Wind
wieder aus. Unter den
imposanten Klippen, die über
200 Meter senkrecht aus dem
Meer ragen, machen wir
einen Photostopp. Bei der
warmen Mittagssonne musste
es dann sein. „Am besten ist
es“ denke ich, „ ich spring
ins Wasser und messe die
Temperatur danach.“ Ich
nehme kurzerhand ein kühles
erfrischendes Bad und messe anschließend 14.5° Wassertemperatur. So kalt hat es sich doch
gar nicht angefühlt.
- 17 -
Wir haben nun viel Zeit verloren. Spätestens bei HW um 21.00 Uhr müssen wir ja in Galway
sein. Ein kräftiger Südwind, den nach einer Stunde einsetzt, schiebt uns rechtzeitig vor dem
Schließen der Docktore nach Galway. Dass es, wie überall in der Welt, auch unangenehme
Zeitgenossen gibt erfahren wir dann im Hafenbecken. Viktor möchte an einer Swan mit
blauem Rumpf längsseits gehen. Unsere Fender haben den Blauen Rumpf gerade berührt, da
schießt einer aus dem Niedergang heraus und bezichtigt uns, Schrammen in sein Schiff
gefahren zu haben. Offensichtlich sucht er einen Dummen, der die längst vorhandenen
Schrammen in seinem Schiff bezahlt. Wir lassen den zeternden Mann stehen und machen am
nächsten Boot fest.
Bei dem anschließenden Gang durch die Stadt sind wir überrascht von dem vielfältigen und
bunten Treiben in den
Gassen. Es geht zu, wie
auf
dem
Kö
in
Düsseldorf währen einer
großen Messe. Auf die
Frage Frage von Viktor,
welcher Anlass hier
gefeiert
wird,
bekommen
wir
die
überraschende Antwort:
„Every Days are this
too!“ Die massiven
wirtschaftlichen
Probleme des Landes,
über die man hier täglich
in den Zeitungen liest,
sind
beim
Volk
offensichtlich
(noch)
nicht angekommen. Auch an diesem Freitagabend fällt auf, dass sehr viele Gruppen von
Frauen allen Alters unterwegs sind. Sie ziehen ausgelassen feiernd von Pub zu Pub. Bei vielen
ist erkennbar, dass sie dort nicht nur Limonade trinken.
Tag 32. Hafentag in Galway. Die zerschlissene Reffleine der Genua wird ausgewechselt und
Viktor überprüft und repariert
die
Befestigung
der
Relingstützen. Ich finde im
Hafen einen freien WirelessPiont
und
habe
damit
bequemen
Zugang
zum
Internet. So ein Hafentag
vergeht mit solchen Arbeiten
immer sehr schnell. Bei der
Stadtbesichtigung fallen uns
die
vielen
Kanäle
und
Flussläufe auf, die die Stadt
durchziehen. „Fast wie in
Amsterdam“ meint Viktor.
- 18 -
Tag 33. Wir segeln westwärts nördlich der Irischen Araninseln vorbei bis zum Golam Head.
Hier spüren wir zum ersten Mal eine hohe und lange Atlantikdünung Ein Tief, das seit Tagen
westlich Irlands steht, hat diese Wellenberge aufgetürmt. Wir Ankern in der Gortonbay
östlich des „Slyne Head“. Eine nach Südosten offene Bucht, die auf der Westseite durch eine
große Düne vom Atlantikschwell geschützt ist. Eine sichere und ruhige Bucht für fast alle
Wetterlagen. So was gibt es noch in Europa! Ein einsamer Sandstrand ganz alleine für uns.
Die Sonne geht im Nordwesten rot glühend über den Dünen unter. Im Gegenlicht der Sonne
weiden über den Dünen einige Kühe. „Aha“ denke ich, „da kommt also das Kerrygold in den
Kühlregalen
unserer
Supermärkte
her.“
Einziger
Wermutstropfen
im
meridianen
Stimmungsbild ist halt
die Wassertemperatur,
die immer noch bei 14°
verharrt. Ich halte es mit
den Norwegern: „Wenn
Sommer ist wird im
Meer gebadet, egal wie
warm das Wasser ist.“
Langsam
senkt
die
nordische Nacht die
Bucht in ein diffuses
Licht. Die Stille wird
nur vom unendlichen
Rauschen der Atlantikdünung gebrochen.
Die elektronischen Karten benutzen wir nur noch sporadisch. In fremdem Gewässer mit
Seekarten terrestrisch zu navigieren soll jeder gute Skipper beherrschen. Wir navigieren mit
Imray-Karten, die für unsere Zwecke optimal sind. Imray-Karten sind für Segler bedeutend
besser als die eigentlich vorgeschriebenen Admirals-Karten. Sie enthalten Details über Häfen
und Ankerbuchten, das Papier ist wasser- und reißfest, kann zur Not auch noch als Dichtung
für Wasserpumpen geschnitten werden und sie sind vor allem viel billiger.
Sehr gut funktioniert nun auch der Wetterdatenempfang vom DWD über das Radio. Lediglich
während heftiger Bewegung des Mastes bei Seegang bekomme ich Störsignale. Die Ursache
hierfür muss ich noch untersuchen.
Die Wetterdaten der nächsten Tage
verheißen nichts Gutes. Ein Sturmtief
südlich Grönlands macht sich auf den Weg
zu uns. In spätestens 2 Tagen ist es da. Dann
gibt es für mindestens 4 Tage kein Weg
mehr in westliche Richtungen. Also,
Routenplanung für die nächsten Tage
machen und Notbuchten festlegen, in denen
wir sicher unterkommen können. Auf
keinen Fall dürfen wir in den nächsten
Tagen in nach Westen oder Süden offene
Buchten einlaufen. Die könnten für uns zur
Mausefalle werden, wenn die angesagten 8 9 Beaufort SW und 6 Meter Wellen Wetterdaten mit zyGrib
eintreffen.
- 19 -
Tag 34. Am Slyne Head steht eine 2 – 3 Meter hohe Atlantikdünung, die die unzähligen
Klippen
in
einen
schäumenden Hexenkessel
verwandeln. Wir segeln
nordwärts zum Achill
Head. Dicht davor ist die
Keem-Bay. Wieder eine
einsame
Badebucht,
diesmal
umringt
von
hohen Felsen. Die Sonne
geht am Ende der Bucht
genau im Kim der
Bergkette unter, auf der
einige Schafe weiden.
Diesmal verkneife ich mir
das Bad. Das Wasser hat
nur noch 13°. Aber
Morgen Früh!!!
Tag 35. Heute stimmt die langfristige Wettervorhersage wieder genau. Mit Südwind geht es
um den Achill Head herum NE-wärts zum Errishead, wo der Wind bereits mit Stärke 7 bläst.
Die erwarteten Gästebojen bei Ballyglass in der Broadhaven-Bay sind leider nicht zu finden.
Bei inzwischen 35 Knoten Wind ankern wir in der Nähe eines „Lifeboats“ das auch in der
Bucht vor Anker liegt. Die Tatsache, dass sich die komplette Besatzung auf dem
Seenotrettungskreuzer aufhält, lässt uns ahnen, dass es nun draußen ungemütlich wird. Wir
erwarten heute Nacht Windstärke 9. Ich überprüfe regelmäßig die Ankerkette, die nun einem
erheblichen Zug ausgesetzt ist. GPS und Landpeilung zerstreuen unsere Bedenken. Der Anker
hält sicher. Unsere schmale Bucht zieht sich noch 4 Meilen südwärts ins Land hinein, ist aber
für uns zu flach. Sie baut bis zu unserem Ankerplatz einen Schwell von fast einem Meter auf.
Eine unruhige Nacht steht uns bevor.
Tag 36. Dienstag 17. 06. Der Westwind weht am Vormittag nur noch mit 4 Beaufort. Wir
segeln mit raumen Wind nach NE Richtung Malin Moore Head. Nachmittags nimmt der
Wind dann zu und vor den immer wieder durchziehenden Regenschauer erreichen die Böen
Windstärke 7 – 8. „Wie sich der menschliche Organismus doch an geänderte
Umgebungsbedingungen anpassen kann“, denke ich während ich bei dem aufkommenden
Seegang in der Pentry diesen Bericht schreibe. In den ersten drei Wochen bestand bei mir
immer die latente Gefahr der Seekrankheit. Nur mit Cinnarzirin-Tabletten konnte ich die
ersten beiden Nächte auf See einigermaßen überstehen. Und immer das flaue Gefühl in der
Magengegend.
Mit gerefftem Genua machen wir nun 6 bis 7 Knoten Fahrt vor dem Wind. Die Wellen sind
inzwischen 3 – 4 Meter hoch. Für die Nacht und den Nächsten Tag erwarten wir Sturm von 8
– 9 Beaufort. Die nach Osten und Süden offene Teelin-Bay bietet für den erwartetet Sturm
ausreichen Schutz und hat sichere Gästebojen. Die dauernde Sorge, ob der Anker auch hält,
entfällt damit. Mit dem Bewusstsein eines sicheren Liegeplatzes genehmigen wir uns im
einzigen Pub der Bucht die in den letzten 3 Tagen vermissten Guinness.
- 20 -
Tag 37. Am frühen Morgen wird es dann doch unruhig. Der Wind hat erwartungsgemäß auch
in der Bucht von Teelin zugenommen.
Nun drückt der mächtige Atlantikschwell,
der draußen vor der Bucht vorbeizieht, in
die Bucht hinein. Naja, unruhige
Ankerplätze sind wir ja gewohnt. Ich
überprüfe die Festmacherleine an der Boje
und stelle zum meinem Erschrecken fest,
dass die Leine an der Bojenöse fast
durchgescheuert
ist.
Ich
hatte
glücklicherweise
eine
zweite
Sicherungsleine angebracht, die ohne
Druck und deshalb noch gut war. Wieder
was gelernt: Leinen an Bojen nie auf Slip
legen. Durch das heftige Schwojen bei
Starkwind scheuert die Leine an den meist rostigen Bojenösen.
Iren sind Gastfreundlich und Hilfsbereit. Das haben wir hier gleich mehrfach erlebt. Als wir
gestern Abend mit dem Dingi an der Fischerpier festmachten um ein Guinness zu trinken,
empfängt uns ein freundlicher junger Mann, und fragt uns, ob wir ins Pub wollen. Er räumt
den Rücksitz frei und lässt uns einsteigen. Viktor nimmt auf dem Rücksitz Platz, und ich
steige vorne ein. Der Ire schaut mich entgeistert an, ich schau verwirrt zurück und sehe ein
Lenkrad vor mir! Linksverkehr ist für einen überzeugten Festlandeuropäer halt
gewöhnungsbedürftig. Die 2 km zurück mussten wir spät nach Mitternacht zu Fuß gehen.
Heute bin ich mit dem
„Bordvelo“ ca. 6 km
bei strömenden Regen
in den nächsten Ort
gefahren um frische
Lebensmittel
einzukaufen. Wie ich
im Supermarkt erstmal
das Nasse Ölzeug in
den
Einkaufswagen
packe, kommt gleich
ein anderer Kunde und
bietet mir an, mich
nach dem Einkaufen
mit
dem
Auto
zurückzufahren.
Ich
muss leider ablehnen,
Die Bucht von Teelin
mit dem Fahrrad geht
das leider nicht. Ich
gehe noch in das Pub Visavis des Sparmarktes um ein Guinness zu trinken und treffe dort
einen Musiker, den wir vor 2 Jahren in unserm Pub in der Bucht kennen gelernt hatten. Er
bezahlt mir spontan ein Guinness und erzählt mir, dass er immer noch jeden Samstag
Livemusik im Pub macht. Auf dem Rückweg scheint dann die Sonne in die stürmische
Teelinbay. Ein imposantes Schauspiel bietet sich mir. Draußen ziehen die Schaumkronen der
5 – 6 Meter hohen Wellen vorbei. An den Klippen am Eingang der Bucht brechen die Wellen
in einer riesigen Gischtfontäne, die der Sturm dann 30 – 40 Meter hoch, einem Feuerwerk
gleich, über die Felsen treibt. Das Donnern der Wellen an den Klippen kann ich noch auf 5km
Entfernung hören. Unwillkürlich kommt mir die Silvesternacht in Erinnerung.
- 21 -
An Bord zurück legt der Wind noch mal mächtig zu. Eine Böe erfasst unser Dingi und
schleudert es wie ein Papierfetzen in die Luft. Samt Außenborder liegt es danach kieloben im
brodelnden Wasser. Die Paddel treiben vom Sturm getrieben davon. Wir bergen das Beiboot
und wollen den Außenborder starten um die Paddel wieder einzufangen. Der verweigert wie
erwartet seinen Dienst. Ein Fischer, der mit seinem Kutter in der Nähe Krabbenreusen
einsammelt, hat alles gesehen und kommt sofort herbei. Er nimmt mit dem Kutter unser Dingi
in Schlepp und führt uns zu den davon rauschenden Paddeln. Anschließend bringt er uns zum
Boot zurück, denn bei der vorherrschenden Windstärke ist es aussichtslos, gegen den Wind
anzupaddeln. Wir bauen am Außenborder die Zündkerzen aus, reinigen und trocknen den
Motor. Der 30 Jahre alte Johnson-Motor springt nach einigen Versuchen wieder Problemlos
sogar auf beiden Zylinder an.
Nach diesem aufregenden Ankertag gönnen wir uns am Abend im Pub ein Guinness. Der
Außenborder läuft
ja wieder, und zwei
mal 2km laufen tut
unserm
Kreislauf
auch gut. Viktor
kämpft ja immer
noch mit hohem
Blutdruck. Obwohl
heute
nicht
Wochenende
ist,
füllt sich das Lokal
allmählich. Einige
Gäste
tragen
Instrumentenkoffer
mit sich. „Hoppla“
denke ich,
„das
könnte noch ein
lustiger
Abend
werden.“
Tatsächlich,
so
gegen halb elf werden die Instrumente ausgepackt. Ein klassischer irischer Folkloreabend in
der Dorfkneipe erwartet uns. Im Laufe des Abends beteiligt sich fast jeder im Raum als
Musiker oder Sänger. Eine bunte Schar von 19- bis 90-Jährigen musiziert und singt mit
sichtlichem Spaß und Freude. Eine 90-Jährige singt als Solistin mit glockenklarer weicher
Stimme einige irische Volkslieder, eine 19-Jährige spielt auf der diatonischen Harmonika
virtuos Sextolen im Mazurkatakt. Flöten, Querflöten, Violinen, Gitarren und die typische
irische Handtrommel ertönen im Wechsel und über allem thront sowohl körperlich als auch
musikalisch der Gitarrist und „Bandleader“ mit silbernem Bart und weicher Tenorstimme.
Wir nutzen die heitere Stimmung um unser spärliches Englisch durch Konversation mit
einheimischen Gästen etwas aufzubessern. Zurück an Bord singen die Wanten immer noch
ihren eintönig hohen Ton unterbrochen vom trotzig aufsteigenden Heulen der Böen. Ob wir
Morgen hier rauskommen?
Tag 38. Der Wind hat nach NE gedreht. Bei Windstärke 7 am Malin Moore Head
aufkreuzen? Das wäre sicher keine „vergnügungssteuerpflichtige Angelegenheit“! Wir warten
einen weiteren Tag an der sicheren aber unruhigen Boje und hören auf Kanal 16 die
Wetterankündigungen der Costguard ab. Dabei erfahren wir, dass ein französisches Segelboot
von der Größe unseres Glückspilzes auf dem Weg von Kanada nach Irland mit 2 Personen an
Bord verschollen ist.
- 22 -
Teelin - Campbeltown
Tag 39. Der Wind hat auf 5 – 6 Beaufort nachgelassen. Wir verlassen die sichere Bucht und
machen einen kurzen
Kreuzschlag nach SW
Danach segeln wir am
Malin
Moore
Head
vorbei nach Norden. Der
Sturm der letzten Tage
hat einen imposanten
Atlantikschwell
hinterlassen. Hoch am
Wind, der heute „nur
noch“ mit 5 Beaufort
bläst, und mit 5 - 6 Meter
hohen Wellen segeln wir
an Aran-Island vorbei in
die Bucht vor Burtonport.
In dieser Bucht muss sehr
genau navigiert werden.
Richtfeuer
und
Peilobeliske weisen den Weg durch die unzähligen Untiefen.
Tag 40. Was für ein Segeltag! Nieselregen und Nebel erfordern auch heute Morgen genaueste
Navigation. Mit dem Navi-PC wäre das ja zu einfach. Viktor will die Batterien schonen. Uns
erwartet ja noch ein weiterer Tag in einer Bucht, bevor wir in Portrush wieder Landstrom zum
Batterien landen bekommen. „Kurs 40, nach 3 Meilen kommt dann steuerbord querab eine
gefährliche Untiefe“ gebe ich Viktor am Ruder an. Gusti, unser Autopilot ist mit der hohen
achterlichen Welle völlig überfordert. Bei 0,5 bis 1 Meile Sicht ist es gar nicht so einfach,
manuell den Kurs zu halten. Nur Wasser und graue Suppe zu ist sehen! Nach einer halben
Stunde, ich war am Kartentisch eingenickt, weckt mich Viktor aufgeregt auf. „Da vorne
schäumt es im Wasser, was ist da los?“ Ich überprüfe die Position und stelle fest, dass wir viel
zu nahe an die Untiefe „Bullogconell Shoals“ gekommen sind.
- 23 -
Gegen Mittag dreht der Wind von W auf SW zurück und nimmt zu. Der Nebel ist auch
gewichen. Mit Butterfly
Segelstellung
und
6
Knoten über Grund geht
Am Malin Head, nördlichster Punkt Irlands
es nach NO Richtung
Malin
Head.
Im
Wetterbericht von der
Costguard für Morgen
hören wir überraschend,
dass spätestens Morgen
Nachmittag
SE-Wind
kommt. Im DWD-Bericht
war bisher davon nichts
zu sehen. Wir ändern
deshalb kurzfristig unser
Fahrplan und streichen die
Ankernacht in der Lough
Swilly Bay. Wenn wir
gleich nach Portrush
durchsegeln können wir
noch den Strom vom Malin Head SE-wärts mitnehmen, der ab 19.00 Uhr mit 2 – 3 Knoten
strömt. Also noch mal eine halbe Nacht durchsegeln! Strom und Wind aus SW schieben uns
mit 6 bis 7 Knoten über Grund an der Nordküste entlang nach NE. Am Malin Head, dem
Nördlichsten Punkt Irlands, bringen 4 Knoten Strom, Atlantikwellen und der SW-Wind die
See zum kochen. Danach schießt unser „Glückspilz“, angetrieben von 3 Knoten Strom und 5
Beaufort Halbwind, mit sage und schreibe 10,5 Knoten über Grund Portrush in Nordirland
entgegen. Durch die rasante Fahrt kommen wir 3 Stunden früher als geplant in Portrush an
und können noch bei Dämmerung vor Mitternacht festmachen. 75 Seemeilen in 12 Sunden
mit Allem, was ein Seglerherz höher schlagen lässt. Was für ein Segelertag!
Tag 41. Portrush hat wohl den schönsten Sandstrand nördlich des 50. Breitengrades. Der
breite und flache
Strand erstreckt sich
Port Rush Nordirland
direkt neben der Stadt
über 4km lang nach
Osten.
Er
wird
gesäumt von Dünen,
hinter denen keine
Hotels mit all dem
Touristenrummel
stehen,
sondern
friedlich
Kühe
weiden. Der geplante
Ausflug zu den Giants
Causeway
kommt
leider nicht zustande
weil
die
Busverbindung
zu
umständlich
und
langwierig ist.
- 24 -
Tag 42. Um den berüchtigten Strom am Rathlin und am Mull of Kentyre optimal
auszunutzen, legen
wir morgens um 4
Giants Causeway im Morgennebel
Uhr in Portrush ab.
Nebel mit einer
halben Meile Sicht
und mondlose Nacht
legen die See in eine
gefährlich
anmutende
Dunkelheit.
Zur
Sicherheit
schalte
ich diesmal die
Navi-PC ein und
fahre
mit
elektronischer Karte
und
AISÜberwachung. Wind
gibt es heute auch
keinen und so motoren wir um die vielen Klippen am Nordstrand von Nordirland dem Mall of
Kintyre entgegen. Nur kurzzeitig lichtet sich am Morgen der Nebel und wie eine Fata
Morgana tauchen dann unmittelbar neben uns mal Klippen mit Basaltsäulen, mal weise Felsen
auf und verschwinden genauso schnell wieder hinter der grauen Nebelwand. Erst gegen
Mittag gewinnt die Sonne Oberhand und löst den Nebel auf. Der Wind macht immer noch
Pause. Wir fahren unter Motor nach Campbeltown im Südwesten Schottlands. Das Städtchen
am Ende eine Bucht wird von grünen Hügeln gesäumt auf den, schon von weitem sichtbar,
Kühe weiden.
Tag 43. Hafentag in
Campbeltown. Von hier
fuhren im 18. und 19.
Jahrhundert
die
Auswandererschiffe nach
Amerika, die - nicht
immer
freiwillig
–
verarmte und von den
Schafbaronen vertriebene
Bauern in die neue Welt
verbrachten.
- 25 -
Tag 44. Im
Kilbrannan
Sound kommen
wir wegen der
heftigen
Kreuzsee trotz 3
Beaufort nicht
richtig
voran.
Erst als wir
dicht unter Land
von Isle of Aran
segeln geht es
flott weiter. Am
Skipness Point
weiter nördlich
wieder dasselbe
Spiel.
Viktor
gefällt
das
überhaupt nicht
und
dreht
kurzerhand ab in
die Ankerbucht
Loch Ranza auf
Aran wo wir an
einer Gästeboje
festmachen.
Campbeltown - Oban
Tag 45. Auch heute Morgen scheitern wir wieder am Skipness Point. Die Fallwinde aus den
Bergen und der Seewind heben sich hier auf und hinterlassen eine hässliche hohe Kreuzsee
mit ständig wechselnden Windrichtungen. Am frühen Nachmittag legen wir in East Loch
Tabert im Loch Fyne
an. Die Bucht und
der Hafen liegen
sehr geschützt hinter
Felsengruppen, die
nur eine schmale
Einfahrt frei lassen.
Das alles sieht wie
einer der vielen
norwegischen
Schärenhafen
aus.
Der Ort besteht nur
aus
einigen
Häuserzeilen entlang
des
Hafenbeckens
überragt von einer
East Loch Tabert im Loch Fyne
Kirche
mit
Kirchturm, der nur
deshalb so mächtig
aussieht, weil er wuchtig auf einer Anhöhe hinter den Häusern gebaut wurde.
- 26 -
Tag 46. Inzwischen kennen wir uns mit den Windverhältnissen hier im Firth of Clyde besser
aus. Wir segeln dicht an die NE-Küste wo uns ein guter Ostwind erwartet. Aus dem East Loch
Tabert gegenüberliegenden Hafen Portavadie laufen gleichzeitig ca.6 Segelboote aus. Ohne
Aussprache entwickelt sich eine kleine Regatta. Windstärke und Windrichtung ändern sich
ständig. Regattafuchs Viktor packt seine ganze Erfahrung aus. Die anderen schlafen aber auch
nicht. Lediglich eine „Halberg Rassy 35“ lassen wir klar hinter uns. Als wir durch geschicktes
Kreuzen uns endlich einen kleinen Vorteil verschafft haben, biegt die ganze Meute in den
West Kyle ab. Wir segeln weiter zu Garroch Head und biegen in den Firth of Klyde Richtung
Glasgow ein. Wir erwarten den neuen Segelgast Dirk, den wir morgen am Flughafen abholen
wollen, und laufen deshalb die Kipmarina an. Inverkip hat eine sehr gute Verkehrsanbindung
nach Glasgow und zum Airport Glasgow.
Dirk hat (hoffentlich) den Touchscreen im Gepäck, der auf dem Transport nach Kappeln
kaputt ging. Damit können wir den GPS-Plotter aus der Plicht heraus sehen und bedienen.
Tag 47. Am Vormittag fahren wir mit dem Zug nach Glasgow. Nach einer Stadtrundfahrt mit
einem offenen Bus holen wir Dirk am
Flughafen ab. Abends im einzigen Pub von
Inverkip unterhalten sich Dirk und Viktor, die
ausgezeichnete Kenner der schottischen
Whisky-Szene sind, angeregt mit den
einheimische Gästen über die vermeintlich
oder tatsächlich besten Whiskymarken. Beim
umfangreichen Verkosten der angebotenen
Marken gewinnen sie neben einer schweren
Zunge
auch
neue
Erkenntnisse.
„Bunnahabhain“ heißt der neue Favorit, der
wahrscheinlich demnächst in der Bar der
beiden stehen wird.
Tag 48. Mit Spinnacker segeln wir den Firth of Kyde südwärts. Eigentlich wollten wir nach
Campbeltown, aber der Wind schwächelt nach 3 Stunden. Wir fahren in die Lamlash-Bay an
der Ostseite von Island of Arran. Beim baden in der Bucht mache ich eine schmerzhafte
Bekanntschaft mit einer großen Feuerqualle. Mein ganzer Körper brennt, als hätte ich mich in
einem Brennnesselfeld gewälzt. Viktor kennt glücklicherweise ein gutes Hausmittel dagegen.
Er macht sofort heißes Wasser, mit dem ich mich dann so heiß als möglich abwasche.
Jedes Englische und Irische Pub hat mindestens 2 riesige Flachbildschirme, auf denen ständig
irgendwelche Übertragungen von Sportveranstaltungen laufen, bevorzugt Golf und Rugby.
Am Abend wollen wir uns das Endspiel der U21-Europameisterschaft im Fußball im Pub
ansehen aber den erforderlichen Premiere-Kanal gibt es leider nicht. Gegen 22.00 Uhr teilt
uns der Wirt das Ergebnis mit, 4:0 hat Deutschland gegen England gewonnen. In den
aktuellen Sportnachrichten am Bildschirm wird das Spiel mit keiner Silbe erwähnt.
Tag 49. Ein richtiger Sommertag, leider ohne Wind. Wir wollen den Strom am Mall of
Kintyre und zur Whyski-Insel Islay optimal ausnützen. Dazu müssen wir um 20.00 Uhr am
Mull sein. Wir haben also viel Zeit und machen am Südkap von Isle of Arran in einem
Strömungsfeld erstmal einen Fischerstopp. Nach einer Stunde haben wir 10 Makrelen
gefangen. „Das genügt für 2 Abendessen“ sagt Viktor und wirft den Motor wieder an.
- 27 -
Kurz vor dem Mull of Kintyre spring der Strom an. Vor dem Leuchtturm setzt dann auch
noch ein Südwind mit 4 – 5 Beaufort ein. Mit bis zu 10 Knoten über Grund schießen wir
durch die aufgewühlte See
unterhalb des Mull of Kintyre
Nordwestwärts.
Als
der
Ostwind nach dem Kap auf SE
dreht, mach Viktor eine Halse.
Durch starken Wind und Welle
wird die Pentry komplett
abgeräumt. Dabei geht Viktors
Lieblingstablett in die Brüche.
Später habe ich die vielen
Scherben mit Sekundenkleber
wie
ein
Puzzle
wieder
zusammengesetzt. Jetzt sieht
das
Tablett
wie
ein
archäologisch wertvoller Teller
aus. Bis zu unserer Ankunft in
Port Ellen haben wir immer noch den Strom mit uns. Vor der Bucht hat es viele Untiefen, und
das Leichtfeuer der Hafeneinfahrt ist zeitweise von einer großen Fähre abgedeckt. Wir fahren
die nächtliche Anfahrt deswegen diesmal mit PC-Unterstützung.
Tag 50. Gleich 8 Whisky Destillerien von Weltruf
gibt es hier auf Islay. Im Sound of Jura weht ein
guter Ostwind mit 5 Beaufort. Wir kommen trotz
dem erwarteten Gegenstrom zügig nach Norden
voran. Ursprünglich wollten wir heute in der Bucht
vor der Whisky Destillerie Craighouse ankern.
Wegen der Guten Windlage segeln wir weiter in die
Bucht Loch Crinan.
Bowmore und Ardbeg
zwei der berühmten Islay- Whiskys
Tag 51. Das obligate morgendliche Bad im See ist diesmal schnell wieder beendet. Eine
Kontrollmessung bestätigt mein Verdacht. Hatten wir vorgestern in Lamlash noch angenehme
16°, beträgt die Wassertemperatur hier im Sound of Jura nur noch 11°. Um 07.00 Uhr starten
wir zum Sound of Corryveckan, der auch als größter Wirlpool Europas bezeichnet wird. Bei
gutem Nordwind kreuzen wir durch die brodelnde See und vielen Klippen nordwärts nach
Oban.
Tag 52. Hafentag in Oban. Die Marina auf der Insel Kerrea gegenüber der Stadt ist sehr gut
ausgerüstet. Duschen, WC, Waschmaschinen, Wäschetrockner, Tankstelle und eine Werft mit
Motorenwerkstatt. Ich steige in den Mast und wickle den Antennendraht gleichmäßig um das
Achterstak. Nun ist der Wetterempfang am Kurzwellenradio bedeutend besser.
Auf dem Rückweg von einem Landausflug fällt der Außenborder unseres Beibootes aus.
Dirk, der ja Mitglied in einem Ruderclub ist, und ich müssen die Meile zurück rudern.
Obwohl das eine anstrengende Sache ist, sind dabei die Kalorien der vorher eingenommenen
Guinness nicht verbrannt.
- 28 -
Tag 53. Wieder ein schöner Segeltag. Wir segeln mit Spinnacker durch den Sound of Mull
nach Tobermory. Etwa 4 Meilen vor dem Ziel nimmt der wind stark zu. Diesmal reagieren
wir zu spät. Beim Bergen des
Spinnackers machen wir einen
Tobermory
„Sonnenschuss“ und legen dabei das
Boot fast quer ins Wasser. Alle
Leinen los und den Spi wieder
einfangen! Nichts ist passiert, der Spi
ist noch trocken und heil. Die Ursache
des Malheurs ist auch gleich
gefunden. Wir hatten die Luvschot
nicht genügend gefiert.
Tobermory liegt an einem großen
geschützten Naturhafen. An der
Westseite
steht
eine
bunte
Häuserreihe und die nach dem Ort
benannte Whiskybrennerei. Der Rest
der Bucht ist gesäumt mit hohen Felsen und dichtem Wald. In einer der beiden Kirchen an der
Pier ist der örtliche Sparmarkt untergebracht. Schon vor 2 Jahren ist uns aufgefallen, dass in
England viele Kirchengebäude zu kommerziellen Zwecken umgewidmet werden.
An einem Freitagabend ist in schottischen Pubs immer was los. Wir gehen in das Pub neben
der neuen Marina, die letztes Jahr an der Südseite der Bucht angelegt wurde. Überwiegend
Jugendliche feiern im Pub fröhlich und ausgelassen. 3 Jugendliche Musiker spielen Auf
Akkordeon, Dudelsack und Schlagzeug klassische schottische Volkslieder, die sie teilweise
mit modernen Rhythmen versehen. Wir machen eine umfangreiche Whiskyprobe der seht gut
sortierten Pubtheke. Eindeutiger Sieger ist ein 18-jähriger Bunnahabein.
Oban - Ullapool
- 29 -
Tag 54. Wir verlassen die geschützten Gewässer der schottischen Inseln und segeln zu den
südlichen Hebriden. Der lange Atlantikschwell und die um 90° versetzte Welle ergeben eine
unruhige Fahrt. 10 Meilen vor Isle of Barra geht der Wind aus. Die „saublöde Welle“ wie
Viktor sagt, mach aus der 2-stündigen Motorfahrt eine anstrengende und feuchte
Angelegenheit.
In der Bucht vor Castelbay erwischen wir die letzte freie Boje. In dem kleinen Ort vor den
zerklüfteten und kahlen
Bergen gibt es viele
zerfallene
oder
unbewohnte
Häuser.
Auch eine der beiden
Kirchen hat Löcher im
Dach
und
eingeschlagene Fenster.
Eine
Jugendherberge,
englisch Hostel genannt
das es in fast jeden Ort
in England und Irland
findet, gibt es hier auch.
Nach einem Spaziergang trinken wir im Pub noch ein Bier. Und wieder feiern einige
einheimische Jugendliche ausgelassen. Der große runde Tisch, um den sie sitzen ist übervoll
beladen mit Bier- und Whiskygläsern, die ständig nachgefüllt werden. Unterstütz von 2
Akkordeons werden schottische Volkslieder und alte Schlager gesungen, wobei die reine
Harmonielehre nicht immer korrekt angewendet wird. Wir unterhalten uns angeregt mit
einigen Frauen aus Südengland, die hier auf der kleinen Insel Urlaub machen.
Tag 55. Der Tag beginnt mit großer Aufregung und Schrecken. Ich möchte noch schnell im
kleinen Laden des Ortes Brot einkaufen und finde meinen Geldbeutel nicht mehr. Da war
doch was gestern Abend? Eine der Frauen hat mit Ihrem Foto Bilder von uns gemacht. Ich
hatte ihr eine Adresskarte aus meinem Geldbeutel gegeben, damit sie die Bilder mir mailen
kann. Da habe ich den Geldbeutel offensichtlich nicht mehr richtig eingesteckt. Ich renne zum
Pub zurück und werde vom Besitzer gleich lachend empfangen. Er hatte nach Feierabend den
Geldbeutel auf der Eckbank, auf der wir gestern saßen, tatsächlich gefunden und sicher
aufbewahrt.
Nach dem Abstecher zu den
Hebriden segeln wir zurück zur
Isle of Canna. An der Westseite
der Insel gibt es eine Bucht, in
der wir vor dem strengen
Nordwind sichern Schutz finden.
Hier müssen früher mal Mönche
gelebt haben, denn außer
Schafen gibt es hier nur eine
große Kirche und einen alten
Friedhof mit Kapelle. Neben der
Kirche stehen noch zwei
eingefallene Häuserruinen. Das
Abendrot und die schnell
ziehenden Wolken zeichnen ein
prächtiges Bild von den hohen
felsigen Bergen der südlichen Nachbarinsel Rhum.
- 30 -
Tag 56. Entlang von Isle of Rhum segeln wir zum Point of Sleat. Im Sound of Sleat erwartet
uns Nordwind mit 6 – 7 Beaufort. Hoch am Wind und mit stark gerefften Segel fahren wir
NE-wärts in den Sound. Spätestens um 17.00 Uhr müssen wir im Keyle Rhea sein, wo uns
dann Strom von bis zu 7 Knoten erwartet. Daraus wird leider nichts. Die Toplaterne hat sich
gelöst und baumelt an der Mastspitze, die sich durch den Seegang heftig bewegt.
Kurzentschlossen biegen wir in die Bucht „Loch na Dal“ ab und machen an einer Fischerboje
fest. Zumindest der Wellengang ist hier erträglicher, aber der Wind pfeift immer noch mit 7
Beaufort. Ich habe das zweifelhafte Vergnügen, bei diesen Bedingungen auf den 16 Meter
hohen Mast zu steigen, um die Toplaterne zu bergen.
Tag 57. Die Strömung im Kyle Rhea bestimmt den Tagesablauf. Damit wir um 5 Uhr den
nördlichen
Strom
nutzen können, fahren
Eilan Dunan Castle
wir schon morgens
um 4 Uhr weiter. Der
Strenge NE hat sich
gelegt und weht wie
erwartet im Kyle of
Rhea mit 3 Beaufort
dagegen. Mit langsam
laufendem Motor und
6
Knoten
Strom
kommen wir aber
trotzdem
schnell
voran. Das gestrige
Ziel „Eilan Dunan
Castle“ erreichen wir
deshalb
schon
morgens um 7 Uhr.
Eilan Dunan Castle,
in dem einer Sage nach der Highlander MacLoid gelebt hat, ist eines der meist fotografierten
Motive Schottlands. Wir ankern unmittelbar vor dem Castle und Frühstücken. Danach segeln
wir nach Kyle of Lochalsh, wo es nach 5 Tagen auf dem Boot endlich wieder Duschen und
Einkaufsmöglichkeit gibt. Am Nachmittag geht es weiter nach Plokton im „Loch Carron“.
Draußen im „Inner Sound“ weht der Nordwind inzwischen mit 7 – 8 Beaufort. Eine Stunde
müssen wir hart gegenan kreuzen um dann in das ruhigere „Loch Carron“ abzubiegen. Die
Ankerbucht von Plokton ist bei jeder Wellerlage sicher und ruhig. Beim Spaziergang durch
den gepflegten kleinen Ort fallen mir die mediterran anmutenden Gärten auf, die zwischen der
Häuserzeile und dem Strand angelegt sind. Palmen, Zedern und andere Sträucher, die sonst
nur am Mittelmeer anzutreffen sind, zeugen von einem durch den Golfstrom verursachten
milden Klima hier.
- 31 -
Tag 58. Eigentlich wollten wir mit unserem Segelgast Dirk eine „Dackeltour“ machen.
Dackeltour nennen die
Fahrtensegler einen Törn,
bei dem ohne festes Ziel
immer dahin gesegelt wird,
wo
der
Wind
eine
gemütliche
Fahrt
ermöglicht. Genauso wie
„Herrchen“
oder
„Frauchen“ dem Dackel
beim Ausgehen folgen.
Da für die nächsten 4 Tage
weiterhin
strenger
Nordwind angesagt ist,
wechseln wir die Genoa
gegen eine viel kleinere
Sturmfock.
Irgendwie
müssen wir nach Norden
kommen
um
Dirk
rechtzeitig in Ullapool wieder absetzen zu können. Wir kreuzen deshalb bei 5 Beaufort NWind durch den „Inner Sound“ nordwärts und danach durch den „Caol Rona“ in den „Sound
of Raasay“. Dort hat der Nordwind der letzten Tage bis zu 5 Meter hohe Altantikwellen
aufgebaut. An der
Nordspitze der Insel
Rona ankern wir im
„Loch A’Bhraige“ in
einer
kleinen
Seitenbucht, die bei
der vorherrschenden
Nordlage
relativ
sicher und ruhig ist.
Damit wir bei – sehr
unwahrscheinlichem
– Windwechsel in
der engen Bucht
nicht auf die Felsen
treiben, legen wir
noch
einen
Loch A’Bhraige
Heckanker.
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Tag 59. Für die immer noch vorhandenen Wellen ist der Wind heute Morgen zu schwach und
hat zudem noch nach NE gedreht. Unser Glückspilz schaukelt und tänzelt mit 4 Knoten Fahrt
nordwärts. Das „Badachro In“ ist heute unser Ziel. Das Restaurant hat sogar einen MichelinStern und liegt in einer
Seitenbucht von Loch
Gairloch
idyllisch
umgeben von Viehweiden
und Tannenwald. Gleich
nach dem wir an der Boje
festgemacht
haben,
möchte ich für heute
Abend einen Platz für uns
reservieren. Leider sind im
„Lunch-Room“, der einen
herrlichen Rundum-Blick
über die Bucht bietet, um
15.00 Uhr schon alle
Tische reserviert. Das
„Meal“, das wir dann
abends im Bar-Room zu
uns nehmen, ist für
englische Verhältnisse sehr gut und dazu noch preiswert. Anschließend trinken wir auf der
offenen Terrasse noch einen Whisky und lernen einen Maurer kennen, der schon in München
gearbeitet hat und deshalb etwas deutsch kann.
Bevor wir wieder zurück aufs Boot gehen wollen, schlendere ich noch über den Hof vor dem
Restaurant. Dabei spricht mich ein Mädchen an, das Behindert ist. Ich hatte es am Nachmittag
und am Abend in der Bar schon gesehen und dabei beobachtet, wie es von einem Gast sehr
laut und schroff abgewiesen
wurde. Das Mädchen forderte
mich durch Gesten auf, mit
ihm zu spielen. Wir tollten
über den Hof, durch einen
Schuppen in den angrenzenden
Wald und wieder zurück. Da
bei habe ich das Mädchen
mehrfach auf den Arm
genommen. Das Mädchen hatte
ein starkes Verlangen nach
kindlicher Zuneigung, dem ich
unbedacht nachgegangen bin.
Das Spiel wurde jäh durch 3
Männer beendet, die mich zu
Boden warfen und mich
verprügeln wollten. Sie bezichtigten mich, das Mädchen sexuell belästigt zu haben. Erst als
der Maurer dazu kommt, entspannt sich die Situation. Als Viktor und Dirk noch dazukommen
beschließen wir, sofort auf das Boot zurückzukehren, wo ich auf den Schreck erstmal einen
Whisky nehme. Viktor wollte nun nicht mehr hier bleiben. „Ich habe hier nichts unrechtes
getan. Es gibt keinen Grund, hier abzuhauen!“ warf ich ein. Er war aber nicht umzustimmen.
„Ich möchte von den besoffenen Kerlen nicht auch noch verprügelt werden. Wir fahren in die
sehr ruhige Shildaig-Bay, die am Ostende von Gairloch liegt und von Felsen und Wald
gesäumt ist.
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Tag 60. Der windstille und sonnige Samstagmorgen macht die abgelegene Bucht noch
einsamer und stiller. Mit ablaufendem Strom und einem Hauch von Ostwind lassen wir uns
ganz langsam aus Loch Gairloch treiben. Heute wollen wir endlich mal wieder einige Fische
fangen. Aber die wollen heute nicht beisen. Erst bei Longa Island am Eingang von Loch
Gairloch fängt Dirk 2 Makrelen. Inzwischen ist NNE-Wind aufgekommen und wir kreuzen
nordwärts Richtung Loch Ewe. Am Nachmittag frischt der Wind auf 5-6 Beaufort auf, auch
die hohe Atlantikdünung ist wieder da. Um nach Loch Ewe zu kommen müssen wir noch
einige Stunden gegen Welle und Strom um das Kap „Rubha Reidh“ ankreuzen.
Loch Ewe war im 2. Weltkrieg ein wichtiger Marinestützpunkt. Außer einigen wuchtigen
Schützenbunker am im schmalen Eingang der Bucht und einer verrotteten Pier ist davon
nichts mehr zu sehen. Gleich in der ersten Seitenbucht an deren Ende noch einige alte
Wellblechbaracken stehen, finden wir überraschend 3 Gästebojen. Nur so zum Zeitvertreib
hängt Dirk die Angel raus. Kurze Zeit später zappelt doch tatsächlich die dritte dringend
benötigte Makrele am Angelhaken. Obwohl Die Bucht sehr geschützt am Nordende von
Loch Ewe liegt, wird es eine unruhige Nacht. Irgendwie bildet sich durch Strömung und Wind
ständig ein Wellengang. Vor allem während der auflaufenden Flut wippt unser Glückspilz
über Bug und Heck.
Tag 61. Zu unserem Verdruss hat der Wind auf ENE gedreht. Also weiter kreuzen! Wir
müssen heute nach Ullapool, von wo unser Gast Dirk morgen mit Bus und Zug zurück nach
Glasgow fährt. Am Greenstone Point müssen wir trotz Sturmfock das Großsegel reffen. Für
die nächsten 4 Stunden ist „Kampfsegeln“ hoch am Wind bei 6-7 Beaufort durch die
aufgewühlte See angesagt. Dass Wind, Seegang und Tidenstrom eine sehr gefährliche
Mischung ergeben, erlebe ich dann am Riff „Glas-Leac Beag“, das ich mit ca. einer halben
Meile Abstand in Luv passieren will. Ich muss immer höher an den Wind um den Abstand zu
halten. Dadurch wird das Boot immer langsamer und ich treibe immer schneller auf das Riff
zu.
Gerade
noch
rechtzeitig mache ich die
Segel auf und werfe den
Motor an damit ich mit
Motorkraft mich aus der
gefährlichen
Lage
befreien kann. Es ist
doch verflixt, immer
wenn ich schnell den
Motor brauche, ist der
Starterschlüssel,
der
sonst immer startbereit
steckt, verkantet oder
aus
dem
Schloss
gefallen.
Adrenalinschübe
machen das Segeln zwar
immer spannend, aber
solche Begebenheiten verzichte ich gerne. Inzwischen bläst es ständig mit 7 Beaufort aus
Osten. Wir setzen das Großsegel auf das kleinste Reff und kreuzen vor Loch Broom
ostwärts. Ullapool hat nur einen Industriehafen und einen Fischerhafen. Yachten machen an
Gästebojen vor dem Hafen fest. Wir gehen um einzukaufen an einem Fischerboot längsseits.
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Viktor geht an Land, um zu klären, wie lange wir am Fischerboot bleiben können. Auf der
Pier wird er von 2 Polizisten nach den
Ausweisen von uns gefragt. Ich hole
meinen Ausweis aus dem Geldbeutel
und gehe im Ölzeug und Bordstiefel
von Bord, nichts ahnend was uns da
erwartet. Der Polizist redet sehr viel,
verstanden hat keiner etwas. Nur die
Zahl 1995 habe ich verstanden. Wir
müssen alle mit zur Polizeistation. Ich
werde in ein Büro geführt, wo eine
freundliche
Polizistin
meine
Personalien aufnimmt. Viktor und
Dirk bekomme ich nicht mehr zu
sehen. Was nun folgt, übersteigt alle
meine bisherige Vorstellungskraft.
Nach langem Hin und Her wird telefonisch ein Dolmetscher eingeschaltet. Ich erfahre, dass
ich aufgrund eines schottischen Gesetzes von 1995 festgehalten werde, das Wörtlich übersetzt
„schlechtes Benehmen“ unter Strafe stellt. Wo ich mich schlecht benommen haben soll,
wissen die Polizisten auch nicht. Ich werde noch gefragt, ob ich jemanden informieren möchte
wo ich jetzt sei und ob ich einen Rechtsanwalt habe. Ich kann damit nichts anfangen und halte
die Frage für eine Standartfloskel der Polizei. Ein schwerer Fehler von mir, wie sich später
herausstellen sollte.
Danach geht alles sehr schnell. Ich werde am ganzen Körper visitiert, muss mein Ölzeug
ausziehen und den Gürtel abgeben. Sogar mein Taschentuch muss ich herausgeben.
Handschellen klicken und ich werde in ein Polizeiauto gesteckt. Mit Blaulicht und teilweise
„Tatü“ rasen zwei blutjunge Polizisten mit über 80mph, das sind ca. 130 kmh über die
Landstraße nach Inverness. Sämtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen auch Innerorts werden
ignoriert, und waghalsige Überholmanöver durchgeführt. Die Jungs haben offensichtlich
Spass an der rasanten Fahrt. Auf der Polizeistation in Inverness beginn dann das, was mich in
den nächsten Tagen fast zum Wahnsinn getrieben hat. Warten, warten, warten, …… und nie
wissen, was als nächstes passiert.
Irgendwann am Abend werde ich in einen Verhörraum geführt, wo mich eine Polizistin in
Zivil, ein weiterer Polizist den Protokoll führt und ein Dolmetscher erwarten. Die resolute
Polizistin macht von Vornherein keinen Vertrauen erweckenden Eindruck bei mir. Endlich
erfahre ich, was ich bereits geahnt habe. Ich bin wegen des Vorfalls im „Badachrow In“
Verhaftet. Man wirft mir sexuelle Belästigung einer Minderjährigen vor. Jetzt verlange ich
einen Rechtsanwalt. Die Sache ist mir zu heiß geworden. Aber dazu ist es nun zu spät. Meine
Forderung wird abgelehnt. Ich hätte schweigen sollen, bis ein deutsch sprechender Anwalt da
ist! Ich wollte aber die Angelegenheit nicht unnötig kompliziert machen und schilderte den
Vorfall so gut es meine verwirrten Gedanken und der erhebliche Alkoholgenuss vor und vor
allem nach dem Geschehen in der Ankerbucht erlaubten. Dabei wurde ich auch gefragt, ob ich
bei dem Restaurant ein Polizeiauto gesehen habe. Die waren offensichtlich schon das, als wir
die Bucht verlassen hatten. Die Polizistin sagt mir frech ins Gesicht, dass sie meine
Ausführungen nicht glaubt. Was für ein Böses Spiel wird hier mit mir getrieben?? Ich werde
in eine 3x4 Meter große Zelle gesteckt deren einziges Mobiliar eine mit blauem Latex
überzogene Matratze und ein WC (ohne Klopapier) ist. Weis gekalkt ohne Fenster und mit
grellem hellem Neonlicht erleuchtet. Etwas Später bekomme ich noch etwas zu Essen, eine
Decke und einige Becher Wasser. Danach fällt die schwere Stahltüre mit einem lauten Knall
zu. Obwohl ich den ganzen Tag noch nichts gegessen habe, bin ich unfähig, etwas zu essen.
Die Angst schnürt mir die Kehle zu.
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Die schlimmste Nacht meines Lebens beginnt. Kein Fenster, kein Tageslicht, kein Geräusch
dringt von draußen rein, nur fahl weise Wände und Decke. Die totale Ruhe, nach der sich so
viele sehnen, hier habe ich sie! Nur das ganz leise Surren eines Lüfters. Seit 4 Tagen habe ich
nicht mehr geduscht. Ich trage schmutzige und verschwitzte Unterwäsche. Die ganze
Kleidung ist von den letzten beiden schweren Segeltagen klamm und salzgetränkt. Auch
Kopfkissen gibt es hier keines. Nirgends eine Uhr, nichts, was die wirren Gedanken ablenken
könnte. Das alles kommt mir wie mittelalterliche Folter vor. Dazu noch der unerbittlich
surrende Lüfter, der vermeintlich immer lauter wird. Ich falte aus der schmutzigen Jeanhose
ein Kissen und versuche zu schlafen, unmöglich! In meinem Kopf dreht sich alles. Ich
zermartere mir mein Gehirn in panischer Angst.
Habe ich etwas gesagt, was falsch interpretiert wird? Habe ich etwas vergessen, was wichtig
gewesen wäre? Ist da doch etwas passiert, was ich – vom Alkoholgenuss unkontrolliert –
getan habe? Aber soviel hatte ich doch bis zu dem Vorfall mit dem Mädchen auch nicht
getrunken. Wie konnte es passieren dass bei mir alle Warnsysteme versagten, als das
Mädchen mich an der Hand nahm um mit mir zu spielen? Das Kind, das in Badachrow immer
nur von den Erwachsenen abgewiesen wurde, muss nun als Vehikel herhalten, mich zu
ruinieren. Nervlich am Ende und zu keinem klaren Gedanken fähig sehe ich mich für die
nächsten Monate in einem schottischen Gefängnis schmachten.
War ich eingeschlafen oder die ganze Zeit wach? Durch die unendliche Stille röhrt der Lüfter
scheinbar immer lauter. Irgendwann schlafe ich dann doch ein, werde aber gleich wieder vom
Lärm wach weil ich neben dem ratternden Schiffsdiesel unseres Glückspilzes liege. Nein! Das
ist ja der Lüfter, der real immer noch leise surrt.
Ich hoffe inbrünstig, dass ich aufwache und der böse Alptraum zu Ende ist. Aber nein, ich bin
ja wach und der böse Traum geht weiter. Um dem gleißenden Neonlicht zu entfliehen ziehe
ich mein Unterhemd aus und binde es mir über die Augen. Irgendwann muss diese grässliche
unendliche Nacht doch zu Ende sein.
Tag 62. Auch das Frühstück, das ich gegen 7.00 Uhr bekomme, rühre ich nicht an. Zumindest
die Uhrzeit konnte ich vom Aufseher erfahren. Und wieder beginnt das unendliche Warten.
Ich soll heute dem Haftrichter vorgeführt werden, hat man mir gesagt. Um halb 9 wieder
Handschellen, ich werde mit 6 weiteren Personen – Personen?? Häftlinge!!, nein Häftlinge
sind wir ja – in einen Gefangenentransporter gesteckt. Nun bin ich also ein Häftling und
werde behandelt wie ein Mörder. Wieder steigt in mir die grässliche Angst hoch, dass ich
dieser Justizmühle auf die nächsten Monate oder gar Jahre nicht entrinnen kann.
Über eine Stunde fährt der rumpelnde Bus durch die schottische Landschaft. Wenn ich jetzt
mit meinem Wohnmobil unterwegs wäre, wäre es ein herrlicher Tag am Rande der Highlands.
Die Gegend ist Landwirtschaftlich geprägt mit Blick auf die hohen Berge im Osten. Die
Namen der Schilder, die an mir vorbeifliegen sind für mich nichts sagend. Nur der Name
Thurso taucht immer wieder auf. Wo geht die Reise hin? Aufgrund der Uhrzeit und des
Busschattens erkenne ich, dass es die meiste Zeit nach Nordosten geht. Vor einem klassischen
englischen Herrenhaus in einem kleinen Dorf hält der Bus. Ich werde in ein kahles
Besprechungszimmer geführt und wieder stundenlang …….. Warten! Die anderen Häftlinge
werden in Zellen untergebracht. Das Besprechungszimmer ist also ein Privileg für mich, ein
Lichtblick im Dunkeln? Leider nicht!
Eine freundliche Aufseherin erklärt mir auf Nachfrage, dass wir hier in einem
Gerichtsgebäude südlich von Thurso, sind. Also an der Nordküste Schottlands. Am Schatten,
den ein Gebäudeteil auf das Milchglasfenster wirft, versuche ich die Zeit einzuschätzen.
Wenn ich doch nur einige Blätter Papier und einen Stift bekäme! Ich könnte meine Gedanken
etwas ordnen und aufschreiben. Aber selbst das wird mir bisher immer wieder verwehrt.
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Ich glaubte, dass es bereits später Nachmittag ist, als 2 Damen eintreten, die sich als
Dolmetscher und Pflichtverteidigerin vorstellen. Endlich mal jemand, der mir wirklich helfen
will und dem ich vertrauen kann. Ich erklär den ganzen Vorfall noch mal. In der ruhigen
Atmosphäre fallen mir auch mehr Details vom Abend in Badachrow ein. Die Verteidigerin,
Alison Foggo, erklärt mir, dass der Staatsanwalt einer Entlassung nicht zustimmen wird. Die
Begründung ist genauso niederschmetternd wie einleuchtend. Ich habe keinen festen
Wohnsitz in Schottland und der Reisepass, dessen Einzug – vermeintlich – verhindern könnte,
dass ich den EG-Raum verlassen kann, liegt auch nicht vor. Die Damen versuchen mich zu
beruhigen. Selbst im schlimmsten Fall, wenn das alles wahr wäre, was mir da vorgeworfen
wird, müsste ich nicht dafür in das Gefängnis. Aber ich bin nun halt Untersuchungshäftling,
wie das in Deutschland heißt. Da laufen gesetzlich vorgeschriebene Prozeduren ab, die nun
nicht mehr unterbrochen werden können. Die Gerichtsverhandlung dauert dann mit allen
Regularien weniger als 5 Minuten. „……… ist weiterhin in Haft zu halten!“, der Hammer
saust nieder, aus vorbei, die nächsten 8 Tage muss ich im Gefängnis verbringen! Später
erklärt mir die Rechtsanwältin, dass der Staatsanwalt eventuell einer früheren Entlassung
zustimmt, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu muss der Reisepass vorliegen, eine
Kaution überwiesen werden, und ein Videoclip von mir für die Zeugenerkennung erstellt
werden. Eigentlich ganz profane Dinge, die mit 2-3 Telefonaten erledigt wären. Mein Handy,
auf dem alle Adressen, Telefonnummern und sonstige wichtigen Daten gespeichert sind und
mein Geldbeutel mit Kreditkarten sind für mich unerreichbar auf dem Boot in Ullapool.
Telefongespräche wurden mir bisher streng untersagt. Ins Ausland schon gar nicht. Frau
Foggo erreicht, dass ich noch im Gerichtsgebäude meine Frau Helga anrufen darf. Was soll
ich ihr denn erzählen? Natürlich die Wahrheit, aber was ist denn die Wahrheit? Ich versuche
es auf die lässige Art, „Ich habe wieder mal im Ausland scheiße gebaut und Handschellen
an!“ Wieder mal! Eine Anspielung auf den Vorfall in Chamonix vor fast 30 Jahren. Damals
hat mich die französische Polizei publikumswirksam in Handschellen über einen belebten
Markt gezerrt, weil einige Vereinskollegen und ich angeblich die Zeche nicht bezahlt hatten.
Die Sache ging damals für mich – mit Ausnahme einer blutenden Platzwunde am Kopf –
glimpflich aus. So einfach komme ich diesmal nicht mehr davon. Für Gefühle am Telefon ist
keine Zeit. Ich muss die weitere Vorgehensweise organisieren. Meine Tochter Angela, die als
einzige in der Familie sehr gut englisch spricht, ist nun die einzige Schaltstelle, über die ich
indirekt über Frau Foggo mit der Außenwelt korrespondieren kann. Auch Viktor, der auf
unserem „Glückspilz“ in Ullapool auf mich wartet, muss endlich informiert werden, was
passiert ist. Viel später erfahre ich, dass er heute „Besuch“ vom schottischen Zoll hatte. Sie
durchsuchten das Boot gründlich nach Drogen. Das war aber nur ein vorgeschobener Grund.
In Wirklichkeit hatten sie von der Staatsanwaltschaft den Auftrag, das Boot nach
pornografischen Beweisen, vor allem Kinderpornos, zu durchsuchen. Viktors PC, den NaviPC und sämtliche CDs wurden überprüft. Mein PC, die externe Platte und alle Videofilme
von mir wurden konfisziert. Wenn die nur Pornos suchen, habe ich ja nichts zu befürchten,
aber auf dem PC sind aber wichtige Kundeninterne Daten, die die Schotten gar nichts
angehen. Und dazu noch einige nicht legal installierte Programme!
Nach dem Gespräch mit Helga bekomme ich fast einen Nervenzusammenbruch, Ich weine
hemmungslos und weis gar nicht warum. Wie ein Vulkan in der Arktis bricht es aus dem
Eispanzer aus. Meine Gefühle, mein Innerstes, das die Vernunft und der tägliche Erfolgsdruck
in der realen Welt der kalten „Business-Gesellschaft“ wie unter einem Eispanzer zugedeckt
halten, brechen unter der geschmolzenen Eisdecke hervor. Ein Eispanzer, den die
Erwartungen der Erwachsenenwelt vor über 40 Jahren aufgebaut haben. Ein Eispanzer, der
aus einem sinnlichen und träumenden Buben allzu schnell einen nur noch rationell denkenden
ehrgeizigen Erwachsenen gemacht hat.
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„Heiner der Träumer“ hat mich mein geliebter Großvater manchmal genannt. Die Jahre, die
ich als „Hirtebube“ auf dem abgelegenen Bergbauernhof bei meinem Großvater verbracht
habe, waren voller kindlichen Emotionen und Träumen. Immer noch zehre ich von den
kostbaren Erfahrungen, die ich auf den abgeschiedenen Bergweiden beim Hüten meiner Kühe
gemacht habe. Die Frösche im Sumpf, der Ameisenhaufen im Wald, die Spinnentunnel am
Wegesrand, die Sandfallen der Ameisenlöwen am Waldesrand, die Leuchtwürmer in der
lauen Augustnacht, aber auch die brüllenden Gewitter, die grellen Blitze, die Nachts meine
Kuhherde vor der gelbgrauen Gewitterwand schemenhaft wie ein Scherenschnitt aussehen
ließen, auch der gestrenge aber immer gerechte Großvater und Onkel Albert, der Jungbauer,
der mir viele Tricks Kniffe beigebracht hat, die man als Lausbube braucht. All das ist bei mir
immerwährend gegenwärtig, es sind Bilder, die mir viel bedeuten und die ich dankbar in
Erinnerung halte.
Ein Lehrlingsausbilder, mit dem ich später noch mal geschäftlich zusammen kam, hatte mich
damals gefragt: „Heinrich, was haben die bloß aus dir gemacht? Wo ist der schüchterne
unbeholfene Junge geblieben?“ Ich hatte diesen Satz damals in meinem neu erworbenen
Selbstverständnis als Kompliment aufgefasst. Heute weis ich, dass es keines war.
Ich atme tief durch, schalte mein Vernunftgehirn wieder ein und analysiere die Lage. Es hilft
nichts, es gibt hier für mich keine Alternative. Wenn ich das hier ohne psychischen Knacks
überstehen will, muss ich das geschmolzene Eis über meinen
Emotionen wieder gefrieren lassen. Es fällt mir nicht leicht,
hier in Zelle 11 des Gefängnisses in Inverness, diese Zeilen
zu Papier zu bringen. Aber diese Zeilen sind Teil meiner
emotionalen Rehabilitation.
Die Dolmetscherin versucht mich aufzumuntern: „In
spätestens einer Woche ist alles vorbei!“ Zurück geht es
wieder mit der „grünen Minna“, wie diese Fahrzeuge in
Deutschland genannt werden, hier aber neutral weis sind.
Diesmal in das Gefängnis von Inverness. Es ist zwar nicht so
komfortabel, aber im Moment viel billiger als ein
Hotelzimmer. Ich habe in Hotels auch schon
unfreundlicheres Personal erfahren als hier. Ich darf endlich
duschen, bekomme meinen dringend benötigten Gürtel
zurück und werde in die unvermeidliche Gefängniskleidung
eingekleidet. Diese besteht aus altertümlich anmutender
Unterwäsche, modern geschnittener Jeanshose und sportlich
elegantem Poloshirt. Auch die Lederschuhe könnten bei
entsprechender Pflege zum sonntäglichen Kirchgang
getragen werden. Lediglich der Aufgebügelte gelbe Streifen
auf den Hosenbeinen und der eingestickte Schriftzug „SPS
Inverness“ auf den Poloshirts weisen auf das Gefängnis hin.
Dieser Schriftzug ist auch auf allen Uniformen des Personals.
Wie in jedem Hotel gibt es auch hier einen richtigen „Check
In“. Die Konversation gestaltet sich allerdings anfänglich
sehr schwierig. Einen Dolmetscher gibt es hier nicht und die
Anweisungen, Fragen und Informationen sind sehr
umfangreich. Wie ich den PC auf dem Schreibtisch sehe,
kommt mir die rettende Idee. Ich bitte den Officer, das
Google Übersetzungsprogramm aufzurufen. Der ist davon so
begeistert, dass er mich auffordert, gemeinsam am PC das In Gefängniskleidung
Check-In durchzuführen. So werden die gegenseitig eingetippten und übersetzten
Informationen für beide Seiten einigermaßen verständlich.
- 38 -
Die Zellenhalle, in die ich dann
geführt werde, sieht tatsächlich
genau so aus, wie es in
zahllosen
amerikanischen
Krimis gezeigt wird. Das hier
ist aber kein Klischee sondern
raue Wirklichkeit. Vorne rechts
eine Art Tresen, hinter der das
Wachpersonal sitzt. Auf 3
Etagen rechts und links die
wuchtigen
stählernen
Zellentüren und an den Gängen
in den oberen Etagen hohe
kunstvolle
schmiedeeiserne
Geländer. In Deutschland würde
so ein Ensemble sicher unter
Denkmalschutz gestellt.
Gefängnishalle „B“ Inverness
Mir wird Zelle 11 im
Erdgeschoss zugewiesen. Die Zellen sind spartanisch, aber mit allem erforderlichen Inventar
ausgerüstet. Waschbecken, 2 Abschließbare Schrankfächer, separates WC und natürlich das
obligate eiserne Doppelbett. Sogar ein Fernseher und ein Wasserkocher sind da. Fehlt nur
noch eine Dusche, und das Hotelzimmer wäre komplett. Meine Unterkunft während 2 Jahre
Marine in der Kaserne und auf dem Torpedoboot „Hermes“ waren zu keiner Zeit
komfortabler. Nur die schwere Stahltüre, die jedes Mal mit einem dumpfen „Plopp“ zufällt
und innen keine Klinke hat, stört das Idyll. Appetit habe ich immer noch keinen. Obwohl ich
den ganzen Tag nur Tee und Wasser bekommen habe lasse ich das Abendessen, das ein
Officer mir besorgt hat, unberührt.
Tag 63. Der erste Gefängnistag meines fast 58-jährigen Lebens. Die Abläufe sind
reglementiert aber ohne Hektik und Geschrei. Zu Essenszeit, Zimmerreinigung, Hofgang, der
hier „exercise“ heißt, etc. werden Etageweise die Zellentüren geöffnet. Wenn da nicht die
immer
noch
beständige
Angst
wäre, dass diese
Justizmühle mich so
schnell nicht wieder
ausspuckt, ich könnte
dem Ganzen gar
etwas
Positives
abringen. Sogar einen
sehr gut bestückten
Fitnessraum gibt es,
den man theoretisch
außer Sonntag jeden
Tag eine Stunde
benutzen darf. Wegen
Personalmangel
funktioniert
das
allerdings nicht jeden
Tag.
- 39 -
Nach dem Mittagessen händigt man mir eine große Plastiktüte mit gebrauchten Brillen aus.
Ich kippe den Inhalt auf mein Bett. Es kling makaber, aber unwillkürlich kommt mir eine
Szene aus einem Holocaust Film in den Sinn, wo Brillen von getöteten Juden auf einen
Haufen geworfen werden. Aus dem Berg von über 100 Brillen finde ich tatsächlich eine
Passende Lesebrille für mich. Endlich kann ich wieder lesen und schreiben.
Beim Hofgang am Nachmittag im Innenhof unterhalten sich einige Gruppen angeregt
miteinender. Ich halte mich zurück und beobachte das Geschehen aus der Entfernung.
Komisch, ich werde gleich mehrfach gefragt, ob ich ein Pole wäre. Sehe ich so aus? OK, ich
müsste mich mal rasieren. Dabei fällt mir auf, dass polnisch die einzige Fremdsprache ist, in
die einige Infos und Anweisungen an den Anschlagbrettern übersetzt sind. Die Polen stellen
hier demnach den größten Anteil ausländischer Häftlinge. Ansonsten ignorieren mich die
Mithäftlinge, was mir auch recht ist. Lediglich einer, der sich auch nicht an den
Gruppengesprächen beteiligt, spricht mich nach einiger Zeit an. Er ist 23 Jahre alt und noch
etwas kleiner als ich. Aus der Konversation, die sich entwickelt, erkenne ich dass er wohl
nicht so intelligent ist wie er Aussieht. Er erzählt mir freimütig, dass er mit seiner Freundin 2
Menschen umgebracht hat, die – wie er sagte – nichts anderes verdient hätten. Ich verzichte
auf weitere Konversation und hoffe, dass der Hofgang bald beendet ist. Am Abend bekomme
ich dann den sehnlich erwarteten Besuch der Pflichtverteidigerin mit der Dolmetscherin. Wir
gehen den ganzen Fall noch mal durch, ergänzen Details und bisher noch nicht beachtete
Einzelheiten. Leider fehlt mir immer noch der Überblick des Ganzen. Frau Foggo telefoniert
täglich mit meiner Tochter Angela und informiert mich, dass alles Besprochene Zuhause auf
den Weg gebracht wurde. Wenn alles gut läuft, bin ich am Freitag ein freier Mann. Meine
Nerven sind zwar immer noch auf Hochspannung, aber zum ersten Mal seit Tagen ist diese
fürchterliche Angst gemildert. Zum ersten Mal bilden sich die Glieder der endlosen
Verkettung ungünstiger Umstände heraus.
1. Zu viel Alkohol.
2. Unbedachter Umgang mit einem fremden Kind.
3. Den Hosenschlitz hatte ich auf der Toilette vergessen zu schließen. Zugegeben ein
delikater und kompromittierender Lapsus.
4. Die unverzügliche Abreise vor den Augen der Polizei. Flucht ist immer ein
Eingeständnis der Schuld.
5. Der – wahrscheinlich betrunkene – Vater, der als Zeuge mich angezeigt hat, hat der
Polizei offensichtlich unwahres ausgesagt. Nach meiner Einschätzung hat er überhaupt
nichts gesehen.
6. Meine schlechten Englischkenntnisse.
7. Spätestens als ich gefragt wurde, ob ich einen Rechtsanwalt habe, hätte ich die
Notbremse ziehen sollen und ohne qualifizierte deutschsprachige Unterstützung nichts
mehr sagen dürfen.
8. Ich habe keinen festen Wohnsitz in Schottland.
9. Ich habe keinen Reisepass dabei.
10. Ich bin deutscher. Im Laufe des Verfahrens habe ich mehrfach geringschätzige
Reaktionen erfahren, als bekannt wurde, dass ich deutscher bin.
Da ja nur einseitige und offensichtlich unwahre Aussagen vorlagen, die zudem noch
strafwürdig sind, blieb der Polizei nichts anderes übrig, als mich zur Fahndung
auszuschreiben. Damit wurde ein Prozess angestoßen der zumindest mit den Mitteln, die mir
zur Verfügung standen, nicht mehr angehalten werden konnte.
- 40 -
Tag 64. Der 2. Gefängnistag. Die lässige Gleichgültigkeit der Mitgefangenen hat sich
überraschend schnell auch auf
mich übertragen. Alles geht
seinen gewohnten Gang. Als ich
vom Sport zurück komme, ist
ein Mithäftling in meiner Suite
Einquartiert. Der junge Mann ist
unordentlich,
raucht
und
nuschelt einen fürchterlichen
Dialekt. Er versucht immer
wieder mir etwas zu erklären,
verstehen kann ich aber nichts.
Einziger Vorteil: Er gehorcht
mir aufs Wort und räumt auch
seine Unordnung weg, wenn ich
ihn dazu auffordere. Nach dem
Hofgang bekommt er von einem
Mithäftling von der Zelle
gegenüber etwas auf das
Zimmer gebracht. Als er danach
auch noch zu kiffen anfängt,
habe ich genug von ihm und
beschwere mich bei einem
Officer. Der ist sehr verwundert
darüber, dass ein Raucher zu
einem
Nichtraucher
gelegt
wurde und verspricht Abhilfe.
Überraschend
wird
mir
mitgeteilt, dass mein Geldbeutel
und mein Handy abgegeben wurden. Wer es gebracht hat, konnte mir nicht gesagt werden. Ich
durfte die benötigten Daten und Adressen abschreiben. Benutzen des Handys wurde mir aber
streng untersagt. Es ist aber beruhigend zu wissen, dass ich es bekommen kann, wenn ich es
benötige. Auch Geld habe ich jetzt. Aber das braucht man hier eigentlich nicht. Später erfahre
ich, dass Viktor mich besuchen wollte, aber keine Besuchsgenehmigung erhalten hat. Auch
hat er mir ein Buch, Unterwäsche und weitere Kleinigkeiten des täglichen Bedarfs gebracht.
Nichts davon habe ich erhalten. Wieder so eine ärgerliche, unverständliche Einschränkung.
Mein psychischer Zustand hat sich inzwischen soweit verbessert, dass ich mit dem
Aufschreiben dieses Manuskriptes beginnen kann.
Tag 65. Die Lässigkeit des Lebens hier ist bei mir nur oberflächlich. So langsam erkenne ich,
was es bedeutet, total fremdbestimmt leben zu müssen. Die einfachsten und
selbstverständlichsten Dinge des Lebens sind reglementiert. Der Besitz von Geld in der Zelle
ist nicht zulässig, Eigenes Geld wird von dem Gefängnis auf dem Canteen-Conto verwaltet.
Handy und PC sind strengstens untersagt. Der totale Verlust der Selbstbestimmung würde
mich langfristig zum psychischen Krüppel machen. Eine Zeitung kaufen, ein Telefonat
tätigen, Besuch empfangen, nichts geht ohne vorher eine Genehmigung einzuholen. Hinzu
kommen die Einsamkeit und die Ungewissheit, wie das hier noch Endet. Erschwert wird alles
noch durch die Sprachbarriere. Fast jedes Anliegen von mir, fast jede Frage des Personals
wird zum umständlichen Gestikulieren. Ein Wörterbuch wäre wirklich hilfreich. Aber auch
das bekomme ich nicht.
- 41 -
„Den köstlichen Wert der Freiheit kann nur der erahnen und lieben, der sie schon mal
verloren hatte.“ Schon Friedrich Schiller hatte im Gefängnis auf der Hohenasperg diese
Erfahrung gemacht.
Ein par vertraute Worte, ein wohlwollender oder auch kritischer Blick, die vertraute
Umgebung, alles bisher Selbstverständliche ist unerreichbar weit weg. Noch nie habe ich die
Nähe von Helga so vermisst als hier. Keine Aufgabe, kein Arbeitsziel, kein Erfolgserlebnis,
so könnte ich nie auf Dauer leben. Ist die Lässigkeit der Häftlinge hier nur oberflächlich oder
sind die alle schon so abgestumpft.
Die einzige Beschäftigung mit aktuellen Medien ist der dauern laufende Fernseher. Aber da
wiederholt sich alles spätestens nach 2 Stunden. Ein altes GEO-Heft in Englisch vom
September 1979 habe ich auf dem Schrank gefunden. Den Bericht über die „schwarzen
Kamine“ im Pazifik hatte ich schon mal in Deutsch gelesen. Mit minimalen englischen
Kenntnissen benötige ich ca. einen Tag um eine Seite einigermaßen zu verstehen.
Das Schreiben dieses Manuskriptes auf die losen A5-Blätter, die mir ein freundlicher Officer
gegeben hat, bringt auch etwas Ablenkung. Trotzdem, es ist immer wieder da, das stupide
Warten, Warten, das totale ausgeliefert sein an eine übermächtige Instanz. Wenn ich aus der
Zelle geholt werde, erfahre ich nie, was als nächstes passiert. Ist nur eine Frage zu
beantworten? Ist die Rechtsanwältin da? Ist das beantragte Gespräch mit dem Konsulat
genehmigt? Aus Angst, irgendwann bei den seltenen Gelegenheiten etwas zu vergessen, habe
ich alle wichtigen Daten auf den kleinen A5-Zettel notiert. Namen, Telefonnummern, offene
Fragen, wichtige Detailinformationen usw. Jedes Mal, wenn ich aus der Zelle geholt werde,
nehme ich das alles samt Brille, Stift und Papier mit.
Es gibt hier doch noch Leute hier, die sich selbstlos um mich kümmern. Paul, der
Dolmetscher
auf
der
Polizeistation
hat
den
Gefängnispfarrer
beauftragt,
mich
zu
besuchen
um
festzustellen, ob ich seine Hilfe
brauche. Ich komme ja Morgen
hier raus, da brauche ich keine
weitere Unterstützung. Auf den
Hofgang verzichte ich heute.
Ich kenne inzwischen jeden
Stein des Platzes und mit den
Jungs, die da rum stehen kann
ich nichts anfangen.
Am späten Nachmittag werde
ich auf die Polizeistation
gebracht, wo ein sogenanntes
VIPER von mir erstellt wird.
Das ist ei Identifizierungsvideo
für Zeugen. Dieses Video ist
eine wichtige Voraussetzung für meine Entlassung.
Bei der anschließenden Besprechung mit der Anwältin dann der nächste Tiefschlag! Aus der
Entlassung Morgen wird diesmal wieder nichts. Es sind rein administrative Gründe, versucht
Frau Foggo mich zu beruhigen. Diesen Satz höre ich nun seit Dienstag. Erst fehlt der
Reisepass, dann die Kaution, dann das Video! Nun fehlt das Führungszeugnis der deutschen
Polizei noch (wo ohnehin nichts drin steht!). Was fällt denen am Montag neues ein? Nach
schottischem Recht dürfen die mich bis maximal 8 Tage und damit bis Montagabend
festhalten. Die Dolmetscherin versucht mich aufzumuntern. Das Licht am Ende des Tunnels
sei ja nun sichtbar! Ich sehe aber nur 4 weitere Tage Dunkelheit.
- 42 -
Tag 66. Der 4. Gefängnistag. Andrew, der rauchende und kiffende junge Mann ist immer
noch bei mir in der Zelle. Die Versprochene Umquartierung zu einem Nichtraucher wünsche
ich mir gar nicht mehr. Ich bin hier eindeutig Chef in der Zelle und er ist bestimmt nur
deshalb hier, weil ein anderer ihn zu einer Straftat angestiftet hat. Ich gehe davon aus, dass die
Gefängnisleitung ihn mit Bedacht zu mir gelegt hat. Er hat auch schon gelernt, etwas
ordentlicher zu sein. Wenn ich bei einem anderen Häftling untergebracht werde, muss ich
mich in eine existierende Ordnung einfügen. Hier kann ich die eigene Zellenordnung
festlegen. Im Gefängnisalltag ist das ein sehr wichtiger Umstand. 22 englische
Fernsehprogramme habe ich hier zur Auswahl. Ein Drittel sind nichtssagende Soap shows, ein
weiteres Drittel sind sich ständig wiederholende Sport- und Nachrichtensendungen. Andrew
schaut am liebsten einen der drei Musiksender. Die Musik gefällt mir zwar nicht, ist aber
nicht so nervig laut wie auf anderen Zellen. Die Videoclips dazu muss ich mir ja nicht
ansehen. Der vor 4 Wochen verstorbene Michael Jackson ist auf allen Musikkanälen
omnipräsent.
Die Zellentüre geht wieder mal auf und einige Häftlinge versammeln sich in der Halle vor den
Zellen. Ich weis nicht, was es gibt und nehme vorsichtshalber Papier, Stift und Brille mit. Der
Raum, in den wir geführt werden, ist eine Mischung aus Kirche, Sporthalle, Bibliothek und
Spielhalle. In einer Ecke ist sogar ein Frisiertisch. Ob der Friseur, der hier einigen die Haare
schneidet auch ein Häftling ist? Auch 2 echte uralte, rote, englische Telefonzellen stehen im
Raum. Mit Helga telefonieren kann ich ja sowieso nicht, weil Auslandsgespräche nicht
zugelassen sind. Die Spielkonsolen interessieren mich nicht und die Billard-Tische sind
ständig umlagert. Die Tischtennisplatten sind nicht so begehrt und so spiele ich zum ersten
mal seit ca. 20 Jahren wieder Tischtennis. Wie zählt man da überhaupt? Meine Gegenspieler
wissen Bescheid. Nach dem zweiten Spiel weis ich auch wieder, wie das geht. Dass ich die
ersten beiden Spiele verloren habe, lag aber nicht daran, dass die Gegner besser zählen
konnten. Die weiteren Gegner mussten sich aber mächtig anstrengen um dann aber jedes Mal
deutlich zu gewinnen. Schnelligkeit, Reaktion und Konzentration sind noch da, aber mit der
Ballführung hapert es gewaltig. Nach einer Stunde wird alles wieder artig zusammengeräumt
und die Meute wartet geduldig vor dem schweren Stahlgitter am Ausgang der Halle auf den
Rückweg zu den Zellen.
Als kleiner Junge musste ich oft die Kuhherde vom Pferch auf der Weide zurück in den Stall
holen. Die Kuhherde hat sich jedes Mal in einer festgefügten Ordnung vor dem Pferchgitter
aufgestellt. Nach dem Abtrieb ist dann jede Kuh in ihre Box gelaufen und hat danach
geduldig darauf gewartet, wieder angekettet zu werden. Dieses Bild aus Kindertagen kam mir
unwillkürlich in den Sinn, als wir danach in die Zellen zurück gelaufen sind um wieder
eingeschlossen zu werden.
Nein, wie Vieh werden wir hier nicht gehalten, aber der Vergleich drängt sich auf. Dazu passt
auch der Vorfall heute beim Hofgang. Ein Häftling läuft gedankenverloren in eine Ecke, die
vom Personal nicht eingesehen werden kann. Ein kurzes „Hey“ des Officers, und er reiht sich
geduldig wieder in die Gruppe ein. Meine Kühe auf der Bergweide haben damals ähnlich
reagiert.
- 43 -
Das „Personal“ (Gallery Officers) ist sehr geduldig. Mein Zellengenosse Andrew ist
offensichtlich unfähig, seinen Lebensablauf hier vernünftig zu koordinieren. Immer fehlt ihm
etwas. Mal ist das Feuerzeug kaputt, mal hat er keine Teebeutel mehr – meine hat er gestern
schon alle aufgebraucht.
Dann
ist
der
Tabakbeutel leer oder er
hat
kein
Zigarettenpapier mehr.
Mehrfach täglich steht er
dann an der Stahltüre
und ruft durch den
schmalen
Schlitz
bettelnd „Boss, Boss!!“
Anfänglich hatte er
dafür den „Emergency
Bottom“, - der für
Notfälle in der Zelle ist , benutzt. Das habe ich
ihm dann aber verboten,
weil er dafür zusätzlich
bestraft werden kann. Mehr oder weniger freundlich wird dann nach einiger Zeit die
Zellentüre geöffnet und Andrew darf dann zu einem seiner Kumpels, die ihn dann mit allem
Nötigen versorgen.
Tag 67. Wenn ich doch nur ein Wörterbuch hätte, ich könnte die Zeit nutzen um etwas
englisch zu lernen. Das englische GEO-Heft von 1979 ist interessant zu lesen, aber viele
Wörter verstehe ich nicht. Einiges kann ich aus dem Zusammenhang erahnen. Der
euphorische Bericht über die Begrünung von Wüstenlandschaft ist mit dem heutigen Wissen
unrealistisch, aber nicht falsch. Auch bei den Nachrichten im Fernsehen kann ich nur
aufgrund der Bilder das Thema erkennen.
Die Insassen hier sind alle sehr jung. Ich schätze dass 70-80% hier unter 35 Jahre alt sind.
Den ruhigen alten Mann in der Zelle nebenan schätze ich auf 65 Jahre, ein anderer etwa
gleichen alters habe ich mal im Hof gesehen.
Einmal in der Woche bekommt man hier einen Einkaufszettel. Auf diesem ist auch das
Guthaben für Telefon und Einkaufen angegeben. Meine Kinder hatten mit 8 Jahren mehr
finanzielle Freiheiten als ich hier. Ich werde ja am Montag entlassen, da brauche ich nichts
mehr bestellen.
Tag 68. Es ist Sonntag 19. Juli. Das Wochenende ist noch langweiliger als der ohnehin wenig
abwechslungsreiche Gefängnisalltag unter der Woche. Nur der einstündige Rundgang im
kalten und verregneten Gefängnishof unterbricht den Zellenalltag. Es ist kein Personal für die
Zusatzangebote wie Sport, Billard etc. da. Die polizeilichen Ermittlungen und regularien sind
abgeschlossen. Auch die Rechtsanwältin, die mich regelmäßig besuchte, hat ihre Pflicht
getan. Morgen soll ja alles vorbei sein. Andrew hat schon seit 2 Tagen nicht mehr gekifft. Ist
der Nachschub ausgeblieben oder hat er kein Kredit mehr beim Lieferant? Dafür raucht er
unablässig. Hier im Gefängnis drehen alle Raucher ihre Zigaretten selbst. Auch Andrew ist
ständig damit beschäftigt. Da er keine Filter hat und kein Krümel Tabak vergeudet werden
darf, ersetzt er das Mundstück durch zusammengerolltes Zeitungspapier. Er kocht mir auch
regelmäßig Tee, bringt das Essgeschirr weg und freut sich wie ein Kind, wenn er die
grässlichen Brotscheiben, die ich nicht esse, dem Gefängnis-Raabe im Hof füttern kann. Ich
lasse ihn dafür fast den ganzen Tag seine Musiksender sehen und hören. Ein FernsehProgrammheft gibt es auch keines. Deshalb zappe ich ab- und zu über die Sender. Zurzeit gibt
es abends Dokumentarfilme vom 2. Weltkrieg und Originalfilme von der Wehrmacht. Vor 65
- 44 -
Jahren war ja der D-Day und das ist für die Engländer noch heute ein wichtiges Datum.
Ansonsten gibt es endlose Wiederholungen von trivialen Spielfilmen. Sport besteht zu 80%
aus Rugby, Golf und Polo. Internationale Sportevents werden sehr selten gezeigt. Die „Tour
de Franc“ wird auch nur erwähnt, weil ein Engländer vorne mitradelt.
Beim letzten Hofgang beobachte ich die Jungs, die da in Gruppen zusammenstehen, mal
genauer. Zum Bier würde ich keinen einladen. Aus dem schüchternen Bangladeshi, der immer
abseits steht, bekommt man sowieso nichts raus. Der einzige interessante ist der auffällig
Unauffällige von Zelle 2. Er ist der kleinste von allen und ca. 35 Jahren alt. Wenn er etwas
sagt, klingt es vernünftig und überzeugt. Bei Ihm bekommt man offensichtlich Dinge, die
sonst hier nicht zu bekommen sind. Auch das Zeug zum kiffen hat Andrew von ihm
bekommen. Wie ein Dealer sieht er aber nicht aus. Er hat eindeutig ersichtlich hier eine
Sonderstellung innerhalb der Häftlingshierarchie, die er aber nie zur schau stellt, und die von
den Officers offensichtlich wissentlich geduldet wird. Mit diesem „Betriebsrat – Typ“ hätte
ich mich gerne mal unterhalten. Anbiedern ist aber nicht meine Sache, schon gar nicht hier.
Somit bleibt alles Spekulation.
Hungern muss hier keiner. Der sprichwörtliche Blechnapf ist durch einen grauen
Kunststoffteller ersetzt. Ich lasse mir den
Teller immer nur mit der halben Portion
füllen. Die meisten Brote werden von
Andrew den Möwen und dem GefängnisRaaben im Hof gefüttert. Inzwischen fällt
mir aber auf, dass alles einen eigenartigen
Nebengeschmack hat. Am Reinigungsmittel
in der Spülmaschine kann es nicht liegen.
Meine Teetasse reinige ich immer selber.
Aber auch der Tee hat denselben
Beigeschmack. Ich werde den bösen
Verdacht
nicht
los,
dass
da
Psychopharmakas drin sind. Ist das auch der
Grund, warum die Häftlinge hier alles so
gleichgültig über sich ergehen lassen? Auch
stelle ich bei mir ein totales sexuelles
Desinteresse fest, wie ich es bisher noch nie
kannte. Die vielen Videoclips, die Andrew
anschaut, sind voll von hübschen leicht
gekleideten Girls in eindeutigen Posen und
ich schau nicht mal hin! Soll ich anstelle des
Tees in Zukunft lieber Wasser trinken?
- 45 -
Tag 69. Wieder so ein Tag, der nur aus Warten besteht. Heute soll die ganze Sache ja endlich
ein Ende haben. Zuerst die Abreise zum
Gericht, diesmal nicht ganz so weit im
Nordosten. Danach über 3 Stunden
Warten zusammen mit 8 weiteren meist
jugendlichen Häftlingen in einem nur ca.
3x4 Meter gossen unbelüfteten Raum. Die
Luft ist zum schneiden und obwohl es
verboten ist, rauchen einige. Die
anschließende Besprechung mit der
Pflichtverteidigerin
bringt
neue
Erkenntnisse. Die Anklage wurde nach der
Befragung der Kinder noch mal reduziert.
Der Gesetzestext, nach dem ich jetzt
angeklagt bin,
lautet sinngemäß auf
„Erregung öffentlichen Ärgernisses.“
„Jetzt wird ja alles Gut“ denke ich.
Obwohl ich mit der Anklage nicht in
jedem Punkt übereinstimme, nehme ich
die Empfehlung von Frau Foggo an und
werde mich für schuldig erklären. Ein
mögliches Strafmaß wird in der heutigen
Verhandlung nicht festgelegt. Dafür gibt
es in 6 Wochen eine weitere
Gerichtsverhandlung. Deswegen muss ich
auf jeden Fall eine Kaution hinterlegen.
Als Mittagessen bringt ein Gerichtsdiener
2 kleine Sandwiches und einen Becher Wasser. Nach weiteren 2 Stunden – es ist inzwischen
nach 15.00 Uhr – werde ich in den Gerichtssaal geführt. Diesmal dauert es sehr lange. Es
werden alle Zeugenaussagen, meine Aussage sowie die Anklage verlesen und mündlich
übersetzt. Von den vielen Texte habe ich nur weniges verstanden und mir merken können. Ob
Frau Foggo alles, was ich zu meiner Entlastung ihr mitgeteilt habe auch vorgetragen hat, habe
ich auch nicht feststellen können. Ob der Staatsanwalt auch eine Abneigung gegen deutsche
hat? Er lässt jedenfalls keine Möglichkeit aus, den Vorgang im „Bachrow In“ überzogen
darzustellen. Vor allem lässt er sich viel Zeit. Nach fast 2 Stunden erklärt der Richter, dass ich
gegen eine Kaution von 5.000₤ freikomme. Nun passiert das, was ich die ganze Zeit
befürchtet habe. Die Banken haben inzwischen geschlossen. Ich könnte das Gericht als freier
Mann verlassen wenn, ……. ja wenn ich die Kaution auf der Bank holen könnte. Meine
Kreditkarte hat eine entsprechende Deckung, das hat mir Helga auf Nachfrage noch mal
bestätigt.
Noch während ich mit der Rechtsanwältin berate, wie es nun weitergeht, bringt der
Staatsanwalt eine Verfügung vorbei mich unverzüglich wieder in das Gefängnis einzuweisen.
Nach schottischem Recht darf ich maximal 8 Tage ohne Gerichturteil im Gefängnis
verbringen. Eine Entlassung ist aber nun erst möglich, wenn das Geld auf dem Konto des
Gerichtes ist. Der hat genau gewusst, dass ich jetzt keine Möglichkeit mehr habe, das Geld für
die Kaution zu bekommen. Bin ich dann wieder im Gefängnis, ist es noch schwerer für mich
ohne Telefon, ohne Dolmetscher und ohne Zugang zu einer Bank an das Geld zu kommen.
Ich unterstelle ihm auch, absichtlich die Verhandlung zeitlich verschleppt zu haben.
Lamentieren nützt jetzt nichts, ich muss zurück in das Gefängnis. Frau Foggo verspricht mir,
dafür zu sorgen, dass ich Morgen zu einer Bank gebracht werde um das Geld zu besorgen.
Wie sie das anstellen will, ist mir noch unklar.
- 46 -
Das Personal, von dem ich mich heute Morgen freundlich verabschiedet habe, bringt mich
nach dem erneuten „Check-In“ grinsend wieder zu Andrew in Zelle 11 zurück. Der hat
inzwischen seine bestellte Ware aus der Kantine bekommen. Darunter ca. 8 Päckchen Tabak a
ca. 5₤. In Laufe des Abends kommt ein anderer Häftling aus Zelle 2 vorbei und nimmt 5
Päckchen mit. „Aha“ denke ich. „das ist also die Währung, mit der hier bezahlt wird.“ Ich
habe mir gleich gedacht, dass die ihn nicht aus purer Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft
ständig mit Tabak und Drogen versorgen.
Tag 70. Eigentlich wollte ich heute Morgen mit Viktor wieder auf See sein. Ich bin
Verzweifelt. Frau Foggo meldet
sich nicht, nichts tut sich! Ein
Anruf beim Konsulat bringt
mich auch nicht weiter. Alle
versprechen, mir zu helfen, aber
nichts geht. Mehrfach wird
meine
Bitte,
weitere
Telefongespräche führen zu
dürfen, von einer resoluten
Aufseherin an der Zellentüre
abgewiesen. Inzwischen ist es
halb 4. um 5 machen die
Banken wieder zu und ich habe
immer noch kein Geld. Ich fass
es nicht und kann vor Erregung
kaum schreiben. Ich versuche
vergebens bei den Officers mein
Problem zu erklären. Ich muss
ja nur irgendwie zu einer Bank
kommen um mit meiner
Checkkarte
die
Kaution
abzuheben. Hier bin ich aber
Gefangener! Ich habe es gleich
geahnt, dass das nicht funktioniert. Die müssten mich ja mit der Polizei in Handschellen zur
Bank bringen. Erst wenn das Geld in Dingwall beim Sheriff ist, werde ich freigelassen.
Der einzige hier, der meine ausweglose Situation erkannt hat und sich wirklich um mich
kümmert, ist Officer „Watty“ Walter Dickson. Er hat mir mitgeteilt, dass es für mich keine
Möglichkeit gibt, an das Geld zu kommen. Ich muss bis Donnerstag hier bleiben. Also noch 3
Tage unschuldig im Gefängnis! Am Donnerstag werde ich dann zum Gericht nach Dingwall
gebracht und kann dann dort das Geld besorgen. Watty organisiert auch, dass Angela mich
abends in seinem Büro anrufen kann. Ich bin mit den Nerven völlig am Ende. So einfach ist es
doch nicht, den Eispanzer wieder aufzubauen. Es fällt mir schwer, mit Angela ein
vernünftiges Gespräch zu führen. Die Auskunft, dass so ein Fall im schottischen
Rechtssystem nicht vorgesehen ist und ich deshalb 3 Tage unschuldig im Gefängnis sitzen
muss, kann mich auch nicht beruhigen. Angela soll nun versuchen, dass Viktor morgen das
Geld mit seiner Checkkarte besorgt und es dann nach Dingwall bringt.
- 47 -
Tag 71. Hoffentlich klappt es heute mit der Kaution. Ich kämme den Vorfall in Badachrow
zum zigsten Mal in meinem Kopf durch. Immer auf der Suche nach Details, die mir
weiterhelfen könnten. Die Details der Zeugenaussagen kenne ich nicht. Ich habe keine
Ahnung, gegen was ich mich eigentlich wehren muss. Klar ist nur, dass ich das Mädchen nach
schottischem Recht nicht hätte anfassen dürfen ohne vorher die Eltern zu fragen. Ich habe
damit eine strafbare Handlung begangen. Dass mir deshalb aber sexuelle Belästigung
vorgeworfen wird, übersteigt mein Rechtsempfinden.
Kurz vor 12 Uhr kommt Watty in die Zelle und verkündet mir, dass ich alles fertig machen
soll zur Entlassung. Ich ziehe das Bett zum 3. Mal ab, packe den Wäschesack und sammle
mein „Paperwork“, meine gesammelten handschriftlichen Aufzeichnungen, sorgfältig in ein
Kuvert. Aber wieder passiert nichts! Als ich nach fast einer Stunde an der Zellentüre erregt
einem Officer rufe, kommt die resolute Aufseherin und antwortet ebenso gereizt: „Sie
kommen raus, wenn wir es wollen. Vorher nicht!“
Irgendwann geht es dann doch weiter. Der Officer am „Empfang“ hat sich bei mir
entschuldigt, dass ich 2 Tage zu lange ihr Gast sein musste. Er erklärte mir, dass die
Gefängnisverwaltung keine Möglichkeit hatte, mir zu helfen.
Eine Stunde später sitze ich immer noch im Gefängnis. Inzwischen aber mit frischer ziviler
Kleidung, die Viktor vor einer Woche vorbeigebracht hatte. Nach einer weiteren Stunde
warten bin ich endlich draußen, wo Viktor und die Pflichtverteidigerin mich erwarten.
Ich muss noch weiteren Formalien auf der Polizeiwache in Inverness erledigen. Dabei lernen
wir einen schottischen Verkehrspolizisten aus Villingen kennen, der kurzfristig als
Dolmetscher einspringt. Danach bin ich endlich frei.
Wir machen eine
Besichtigungstour
durch die Stadt.
Auf
einer
Parkbank am River
Ness spricht mich
eine
Frau
an.
„Nicht
schon
wieder!“ denke ich
und nehme mit
Viktor Reißaus.
Mit dem Bus geht
es
dann
über
Dingwall
nach
Ullapool zurück.
Abends im Pub treffen wir eine Schweizer Reisegruppe. Erst als die nörgelnden Ehefrauen ins
Bett gehen, wird es für die Männer lustig. „Un si begriefes nit! Si begriefes eifach nit!“ meint
einer leicht gestresst über das Verhalten der Frauen. Wir haben dann den Schweizer Freunden
eine Ausbildungseinheit in Sachen Whisky gegeben.
- 48 -
Ullapool - Egersund
Tag 72. Von Ullapool aus geht es heute weiter nordwärts. Kein Wind will aufkommen, wir
biegen nach Lochinver ab und warten morgen auf Wind. Der Hafen ist ein großer
Umschlagplatz für die internationale Fischereiflotte. Wir treffen aber nur einen einzigen
Trawler vor den riesigen
überdimensionierten
Umschlaghallen an. Wir sind
nun
in
der
schottischen
Grafschaft
Sutherland,
die
europaweit
die
geringste
Bevölkerungsdichte
hat.
Obwohl der Ort keine 500
Einwohner hat, finden wir auf
der Suche nach einem InternetPoint
ein
neues
Gemeindezentrum, wie es sich
viele Kleinstädte in Deutschland
nicht leisten können. Sporthalle,
Fitnessraum, Bibliothek usw.
alles steht – EU sei Dank –
kostenlos zur Verfügung.
Tag 73. Bei gutem NNW segeln wir nordwärts nach Kinlochbervie. Bei einer Wende rutscht
mir die Winschenkurbel aus der Hand und fällt ins Wasser. Sie schwimmt tatsächlich, aber
bei dem starken Wellengang und 6 Beaufort Wind ist es uns unmöglich, die Kurbel zu bergen.
Wir fahren die schwimmende Kurbel mehrfach an, können sie aber nicht fangen. Irgendwann
verliere ich sie in der 2-3 Meter hohen Wellenbergen aus den Augen. Das reißt wieder ein
Loch in unsere Reisekasse.
Der Hafen Kinlochbervie liegt versteckt und sehr geschützt hinter der felsigen Küste und hat
ebenfalls die gleichen überdimensionierten Umschlaghallen für die Fischereiflotte. Es sieht
aus wie in einem norwegischen Schärenhafen. Wir treffen 2 schottische Segler, die auch noch
durch den Pentland Firth wollen. Sie empfehlen uns, Morgen bereits um 6 Uhr loszusegeln
um in einem Rutsch bis nach Scrabster durchzufahren. Ich berechne auch die
Stromverhältnisse und komme auf das gleiche Ergebnis. Wenn alles optimal läuft haben wir
auf über 60 Meilen ununterbrochen Strom mit uns.
Abends gehen wir noch in ein Pub, das auf einer Anhöhe über dem Hafen steht und eine sehr
gute Aussicht über die Buchten und das felsige Hinterland bietet. Eine 2-Mann Band spielt
triviale Unterhaltungsmusik. Das einzige Folkloristische an den Beiden ist der Schottenrock.
Mit anzüglichen Sprüchen werden französische und holländische Gäste vom Bandleader in
der jeweiligen Landessprache begrüßt. Zu meinem Erschrecken muss ich hören, wie er
deutsche Gäste mit „Sieg Heil“ begrüßt. Ein weiteres Indiz für mich, dass das
Deutschlandbild bei vielen Engländern von alten Vorurteilen geprägt ist.
- 49 -
Tag 74. Wie gestern mit den schottischen Kollegen besprochen stehen wir um 5 Uhr auf um
zu frühstücken. Punkt 6 Uhr müssen
wir ablegen um die schottische
Nordküste in einem Rutsch zu
passieren. Die nächsten 8 Stunden
haben wir nun ununterbrochen
mitlaufenden Strom. Am Cap Wrath
empfängt uns eine brodelnde
Kreuzsee, wie ich es noch nie erlebt
habe. Wir kommen uns vor, wie eine
Nussschale in einem kochenden
Wassertopf. Die über 3 Meter hohen
kurzen und steilen Wellen, die von
der Strömung und der Atlantikdünung
erzeugt werden, schütteln das Boot
gehörig durcheinander. Zu meinem
großen Erschrecken stelle ich fest, dass die Luke über meiner Koje nicht richtig verschlossen
ist. Über 20 Liter Seewasser haben sich von oben über mein Bett und die gesamte Wäsche
ergossen. Obwohl das Boot immer noch wie ein Tennisball im Wildbach auf den Wellen
hüpft, muss ich sofort die Koje und meine gesamte Wäsche ausräumen. Da ich nach 10 Tagen
Segelpause noch nicht wieder richtig seefest bin, hat das natürlich für mich sehr unangenehme
Folgen. Die Seekrankheit hat mich für den Rest des Tages fest im Griff. Glücklicherweise ist
es heute sehr warm und sonnig. Wir waschen die
Salzwasser getränkte Wäsche, Matratzen und Kissen in
Süßwasser aus und machen das Boot zu einer
„Wöschhänki.“ Am Abend ist alles wieder trocken. Auf
der Weiterfahrt begleitet uns längere Zeit eine
Delphingruppe.
Zu solch einem Segeltörn schweiße ich vorher meine
gesamte Wäsche in Vakuumfolien ein. Die frische
Wäsche hat deshalb das Malheuer schadlos überstanden.
Durch die Aktion habe wir aber eine Stunde verloren. Die letzten 10 Meilen müssen wir nun
mit Motor gegen den Strom fahren und brauchen deshalb 2 Stunden länger als geplant.
Tag 75. Starker SE verhindert unsere Weiterfahrt nach Osten. Wir machen einen Hafentag in
Scrabster. Im stürmischen Regen laufen wir an der Küste entlang zum Einkaufen in den
nächsten Ort Thurso. Als wir wieder am Boot zurück sind, fällt Viktor beim Einsteigen über
den 4 Meter hohen Kai die Einkaufstüte ins Wasser. Das meiste geht sofort unter. Unser
schöner Mittagsbraten ist für uns unerreichbar auf dem Meeresgrund. Ich laufe also die 3 km
zum Lidl in Thurso noch mal, diesmal ohne Regen. Draußen im Pentland Firth schäumen die
Wellenberge. Nein, da draußen wollte ich jetzt nicht sein. Zurück im Hafen habe ich ein
Problem auf das Boot zu kommen. Der Tiedenhub beträgt heute fast 5 Meter und es ist
inzwischen Hochwasser. Die Festmacherleinen müssen entsprechend lang ausgelegt werden.
Nun drückt der Wind das Boot 4 Meter von der Mole weg und muss mühsam gegen den
starken Wind herangezogen werden um dann auf das Boot zu gelangen.
Vor unserer Überfahrt nach Norwegen brauchen wir verlässliche Vorhersagen für die
Nordsee. Über das Radio kann ich die 3-Tage Wettervorhersage des DWD als Text am PC
empfangen. Um genauere Mittelfristige Vorhersagen zu bekommen gehe ich über das Handy
ins Internet und hole die aktuellen Wetterdaten als GRIB-Datei ab. Das sind nur ca. 500kB
und kosten deshalb im EU-Ausland weniger als 2€. In Norwegen wäre das mehr als 5-mal so
teuer.
- 50 -
DWD-Wetterdaten vom 25. Juli.
Empfangen über Radio mit Seatty
Daten von Internet über zyGrib
NNNN
ZCZC 189
FQEN75 EDZW 251800
WEATHER AND SEA BULLETIN FOR NORWEGIAN SEA AND BALTIC SEA
ISSUED BY MARINE WEATHER SERVICE HAMBURG
25.07.2009 18 UTC:
GENERAL SYNOPTIC SITUATION:
LOW 998 NORTHSWEDEN, WEAKENING, MOVING NORTH A LITTLE.
TROUGH 1010 NORTHJUTLAND, 1020 NETHERLANDS, WEAKENING,
MOVING EAST. HIGH 1027 INNER BAY OF BISCAY WITH RIDGE 1025
BAVARIA, 1020 HUNGARY, MOVING EAST. FURTHER RIDGE 1020
NORTHENGLAND, 1015 NORTH OF THE FAEROES, INTENSIFYING,
MOVING EAST. GALE CENTRE 992 AT 52 NORTH 2 WEST STILL
DEEPENING A LITTLE, MOVING NORTHEAST, TOMORGOR 990
WEST OF IRELAND. HIGH 1024 SOUTHEAST OF NEWFOUNDLAND,
INTENSIFYING, 9=8,' '975'3-'5.
DWD FORECAST OF SA//07.2009 12 KTC:
WIND FORCEAPBEAUFORT, WAVE HEIGHT: METRE
NORTH CAPE (72.1N 25.3E) SST:
SU 26. 00Z: E-SE
5
7
SU 26. 06Z: E-SE
5
6-7
SU 26. 12Z: E-SE
5
SU 26. 18Z: E-SE
5
6-7
MO 27. 00Z: E-SE
5
6-7
MO 27. 06Z: E-SE
5
6-7
MO 27. 12Z: E-SE
5
6-7
LOFOTEN (68.6N 14.1E) SST:
SU 26. 00Z: E-SE
2-3
SU 26. 06Z: E
0-2
:
SU 26. 12Z: NE-E
0-2
SU 26. 18Z: NKNE
0-2
MO 27. 00Z: E
2-3
MO 27. 06Z: SE
2-3
MO 27. 12Z: SW
0-2
HALTENBANK (65.5N
SU 26. 00Z: NW-N
SU 26. 06Z: NW
SU 26. 12Z: NW-N
SU 26. 18Z: NE-E
MO 27. 00Z: SE-S
MO 27. 06Z: S-SW
MO 27. 12Z: U
SVINOY
SU 26.
SU 26.
SU 26.
SU 26.
MO 27.
MO 27.
MO 27.
8 C
27. 07. 14:00
//
//
//
//
//
//
//
DZ
DZ
C
0.5
0.5
0.5
1
0.5
0.5
0.5
M
M
M
M
M
M
M
N
8.6E) SST: 13 C
6
7 2.5 M RAIN
6-7
7-8
3 M RAIN
5-6
7
3 M RAIN
PPM
//
4
2 M
5
2 M
3-4
1.5 M
(62.3N 4.4E) SST: 13 C
00Z: N
00. 4-8,
//
06Z:N
3-4
1 M
12Z: N-NE
3
1 M
18Z: N-NE
3
1.5 M
00Z: E
2-3
1.5 M
06Z: S-SW
4
1.5 M
12Z: E-SE
3
1.5 M
FAEROES (60/4N 5.6W) SST: 13 C
SU 26. 00Z: SE
4
1
SU 26. 06Z: E-SE
5-QNPT M
SU 26. 12Z: EASE
6-7
8
2
SU 26. 18Z: E-SE
6-7
8-9
3
MO 27. 00Z: E
6-7
8-9
3
MO 27. 06Z: E-SE
5
7-8
3
MO 27. 12Z: S
3
2.5
//
//
//
//
//
//
//
//
//
//
//
//
//
28.07. 02:00
//
//
//
//
//
//
M
//
M
M RAIN
M RAIN
M RAIN
M SH
PENTLAND FIRTH (59.7N 1W) SST: 14 C
SU 26. 00Z: E
3
1 M
SU 26. 06Z: E-SE
4-5
1 M
SU 26. 12Z: E-SE
5-6
6-7 1.5 M
SU 26. 18Z: E-SE
6-7
700. '
MO 27. 00Z: E-SE
3-4
'.5 M
MO 27. 06Z: S-SW
2-3
1.5 M
MO 27. 12Z: S
3
1.5 M
//
//
//
//
//
//
//
//
//
//
//
//
/
28.07. 22:00
HEBRIDES (57.9N 8.1W) SST: 15 C
SU 26. 00Z: SE
5-6
6-7 1.5
SU 26. 06W: SE P
6-7
8-9 2.5
SU 26. 12Z: SE-S
5
8-9
3
SUVWYM QIZ: SE
6
7-8 3.5
MO 27. 00Z: S
5
7 3.5
MO 27. 06Z: SW
5
6-7
3
MO 27. 12Z: SW-W
6
7-8 3.5
M
M
M
M
M
M
M
SH
SH
SH
//
//
//
//
//
//
//
SHETLANDS (60.9N
SU 26. 00Z: N-NE
SU 26. 06Z: E-SE
SU 26. 12Z: E-SE
SU 26. 18Z: E-SE
MO 27. 00Z:='7
MO 27. 06Z: E-SE
MO 27. 12Z: S-SW
M
M
M
M
RAIN
M
M
//
//
//
//
//
//
//
1.6W) SST: 14 C
2-3
1
2-3
1
3-4
1
4
1
5
1.5 M
3-4
1.5
2-!
2
RAIN
TS
BAY OF BOTHNIA (65.0N 23.5E) SST: 15 C
SUH26. 00Z: E
3-4
0.5 M
SU 26. 06Z: E
5
1 M RAIN
SU YM QWZ: E-SE
3-4
1 M
SU 26. 18Z: E
2-3
0.5 M
MO 27. 00Z: SE
3
0.5 M
MO 27. 06Z: S
2-3
( 0 M
MO 27. 12Z: NE-E
2-3
0 M
//
//
//
//
//
//
//
29.07. 08:00
- 51 -
Tag 76. Die Wetterlage ist also günstig. Es könnte unruhig und feucht werden, die
Windrichtung ist aber für die nächsten 4 Tage SW bis S und damit optimal für die 320 Meilen
nach Norwegen. Die optimale Zeit für die Passage des berüchtigten und gefürchteten Pentland
Firth habe ich gestern berechnet. Zwischen 10:00 und 12:00 Uhr ist die beste Zeit. Wir
wählen die Südpassage südlich der Insel Stroma. Obwohl wir heute Springtime haben, also
die größtmögliche Stromgeschwindigkeit, wird es eine verhältnismäßig ruhige Fahrt mit
maximaler Stromgeschwindigkeit von ca. 5 Knoten. Die Nordpassage hat um diese Zeit bis zu
12 Knoten Strom. In der Nordsee angekommen dreht der Wind von Süd auf West und
verabschiedet sich dann ganz. Zurück bleibt der Seegang mit bis zu 2m hohe Wellen. Keine
gemütliche Angelegenheit. Erst nach Sonnenuntergang kommt der versprochene Südwind.
Tag 77. In der sternenklaren Nacht und am folgenden Tag nehmen Wind und Wellen
kontinuierlich zu. Mit 6 Knoten im Durchschnitt kommen wir schneller voran als
vorausberechnet.
Die 2. Nacht ist
dann schon sehr
anstrengend. Der
Wind hat auf ESE
zurückgedreht und
bläst
mit
6
Beauforts. Hoch
am Wind und mit
bis zu 4 Meter
hohen
Wellen
peitscht das Boot
durch Regen und
stockdunkle Nacht.
Jetzt bewährt sich
mein
schweres
Ölzeug, das ich vor
einem Jahr auf der
„Boot“
in
Düsseldorf teuer
erworben habe. Helga hatte damals sarkastisch festgestellt, dass alleine die Stiefel mehr
gekostet haben, als sie selbst in 10 Jahren für Schuhe ausgibt. Am Morgen nimmt der Wind
auf 7 – 8 Beaufort zu.
Beim Versuch, das Genua noch weiter zu reffen klemmt die Holeleine. Dabei verheddert sich
die Genua so stark am Vorstak, dass nichts mehr geht. Bei 40 Knoten Wind und 4 Meter
Welle schlägt das Segeltuch wild am Vorstak Alle Versuche, das Segel zu bergen schlagen
fehl. Viktor hat innerlich das Genua schon abgeschrieben.
Wir bergen das Großsegel, starten den Motor und lösen alle Schoten. Auf dem Vorschiff
drehe ich dann die Rollgenua von Hand so lange, bis das schlagende Segel irgendwie
aufgewickelt ist.
Nur mit dem Großsegel ist es nun noch schwieriger, den geplanten Kurs nach Lista Havn zu
halten. Wir beschließen, nach Egersund abzufallen. Am Mittag lässt der Wind dann endlich
etwas nach. Wir können die Genua wieder richten und setzen. Am späten Nachmittag sind wir
dann im ruhigen Hafen Egersund. 310 Seemeilen in 55 Stunden! Eine schnelle, aber auch sehr
anstrengende Überfahrt.
- 52 -
Tag 79. Wir reinigen und trocknen unsere Wäsche und das Boot. Der Hafentag in Egersund
tut uns gut während es draußen
in strömen regnet. Spät am
Egersund
Abend bekomme ich dann die
traurige aber seit einigen Tagen
erwartete Nachricht, dass mein
Vater
nach
jahrelanger
schwerer Krankheit gestorben
ist. Ob ich bei diesen
Wetterverhältnissen von hier
rechtzeitig
nach
Hause
kommen kann, ist nicht sicher.
Die Reise würde 3 – 4 Tage
dauern. Viktor müsste noch
mal 8 Tage auf die Weiterreise
warten.
Ich
beschließe
schweren Herzens nicht nach Hause zu fahren und hoffe auf das Verständnis meine
Geschwister.
In der Nacht bläst der Wind dann plötzlich mit 7 Beaufort durch den ansonsten ruhigen
Hafen. Er baut innerhalb des Hafens eine gefährliche Welle auf, die uns an die Pier drückt.
Unser Boot ist an einer Mooringboje gut festgemacht. Der Skipper auf dem Motorboot neben
uns hat keine Mooring und muss den Platz schnell räumen. Bei Starkwind und Regen eine
anstrengende Angelegenheit. Der Wetterbericht meldet draußen Windstärke 9 – 10.
Tag 80. Der Wind ist immer noch heftig und der Regen hat seit gestern Abend nicht
aufgehört. In der Pütz, die in der Plicht steht hat sich 10cm Regenwasser angesammelt. Durch
eine undichte Stelle unter dem Teak Tropft Wasser in Viktors Koje. Wieder ein nasses Bett!
Aber diesmal ist es kein Salzwasser. Wir schrauben die Deckenverkleidung ab und verkleben
die undichten Stellen.
Der Wetterbericht meldet nur noch für heute Westwind. Danach schwacher, später
zunehmender Ostwind. Keine Frage, wir müssen heute noch raus, sonst haben wir in den
nächsten Tagen nur noch Gegenwind. Wenn wir nach Kristiansand in die Schären kommen,
ist der Wind dann kein Problem mehr.
Zu
unserer
Überraschung ist
der Wind draußen
Korshavn
moderater
als
befürchtet. Nur die
gewaltigen Wellen
sind noch da. Bei
gutem
achterlichem Wind
und Sonnenschein,
später
bei
Mondschein segeln
wir bis Mitternacht
nach Korshavn wo
wir vor einem
Lebensmittelladen
festmachen.
- 53 -
Egersund - Strömstad
Tag 81. Ein schöner sonniger Morgen in den Schären. Erwartungsgemäß hat der Wind auf 2
Beaufort Ost gedreht, zum Segeln zu wenig! Die See hat sich nun auch beruhigt. Aus allen
Ecken kommen nun die Boote raus um
endlich weiter zu kommen. „Heute sind aber
viele Motorboote unterwegs, die einen Mast
drauf haben!“ sinniert Viktor beim Anblick
der vielen Segler, die sich nun unter Motor
meist Richtung Westen auf den Heimweg
machen.
Am Kap Lindesnes hatte ich vor 2 Jahren
mit einem Zug 5 Makrelen gefangen. Heute
will keine beißen. Als ich schon aufgeben
will, zappelt es plötzlich an der Leine. Ein
kapitaler 75cm langer Dornhecht hängt am
Haken. Mit einem Zug wieder ein
komplettes Abendessen.
Ohne Wind tuckern wir weiter nach Kristiansand. Am Abend fahren wir dann in die Schäre
„Stokken“ wo wir mit Heckanker festmachen. Nach dem Abendessen machen wir einen
Spaziergang durch die zerklüftete Schärenlandschaft. Das Wort „Schäre“ bedeutet auf
Deutsch „Stein“ oder auch „Fels“.
Tag 82. Bei Regen und böigem NE-Wind vergeht uns die Lust auf einen Bummel mit dem
Boot durch die Blindleia. Die Fahrt
durch die unzähligen Inseln und
Kanäle ist für Bootsfahrer ein
Highlight! Es ist die schönste
Fahrstrecke Norwegens und bei
schönem Wetter entsprechend viel
befahren. Heute ist nichts los. Auch
wir haben bald die genug davon und
machen schon nach 4 Meilen in Ulvö
an einem Felsen fest. Jetzt kann sich
das Wetter austoben, wir liegen sicher
und geschützt hinter einem großen
Stein
und
beobachten
die
schäumenden Wellen draußen aus
dem Fenster.
- 54 -
Tag 83. Ein Nebliger diesiger Morgen ohne Wind. Die Strecke, die wir heute fahren wollen
ist ja eigentlich das „Sahnestück“ der Südnorwegischen Küste. Aber selbst bei tief hängenden
Wolken und Nieselregen kann man die Schönheit dieser Gegend erahnen.
Beim Anblick dieser
durch Nebel und Regen
traurig schönen Gegend
denke ich an meinen
Vater, der zu dieser Zeit
gerade beerdigt wird.
Sein Leben ist ähnlich
wie die Stimmung heute
in
den
Schären
verlaufen, Rau, widrig,
anstrengend und doch
auch ohne Sonnenschein
Blindleia
lebenswert. Nie hat er
über
sein
schweres
Lebenslos
geklagt.
Pflichtbewusstsein und unbedingter Lebenswille waren sein Lebensinhalt. Um wie viel
angenehmer ist doch mein Leben bisher verlaufen. Tiefe Dankbarkeit ist jetzt noch das
Einzige, was ich ihm bieten kann.
An den Navigator stellt die Blindleia höchste Konzentration und Aufmerksamkeit. Unzählige
Steine und Untiefen erfordern eine sehr genaue Navigation. Jede Barke, jede Varde (so
werden de schwarzen und weißen Steintürme
auf den Felsen genannt) muss auf der Karte
abgehakt werden um sich ja nicht in dem
Schären-Irrgarten zu verirren. Genau vor 2
Jahren waren wir hier einmal unachtsam. Und
sind prompt auf einen Unterwasserstein
aufgelaufen. 10.000€ Schaden und 2 Wochen
Zwangsaufenthalt in der Werft Wagness bei
Arendal hat uns das damals gekostet. Nur zur
Sicherheit lasse ich auf dem Navi-PC das
Navigationsprogramm
mitlaufen.
Die
Möglichkeit, zwischen Übersichtskarte und
extremen Detailzoom zu wechseln macht die Blindleia auf dem Plotterprogramm C-Map
elektronische Karte zu einer optimalen Ergänzung der terrestrischen Navigation.
In Lillesand machen wir einen kurzen
Zwischenstopp
zum
Einkaufen
und
Download aktueller Wetterdaten für die
nächsten Tage. Am Späten Abend machen
wir in der Werft Wagnes fest. Der
Werftbesitzer hat uns gleich wieder erkannt
und begrüßt uns freudig. Diesmal kommen
wir nicht als Kunden sondern als Freunde.
Viktor denkt heute noch dankbar daran
zurück, wie die Touristinformation in
Lillesand und das Werfpersonal hier uns vor
2 Jahren bei unserer Havarie geholfen haben.
Detailzoom bei C-Map
- 55 -
Tag 84. Weiter geht es der Norwegischen Küste entlang nach Nordosten. In den nächsten
Tagen sind für das Skagerrak „umlaufende Winde“ angesagt. Ohne Motor geht da nichts
mehr. Im Oslofjord ist ein Tanker auf Grund gelaufen. Die Meeresströmung treibt das
auslaufende Schweröl an der Küste entlang uns entgegen. Wir streichen deshalb Oslo vom
Fahrplan. Als gegen Mittag überraschend guter Nordwind aufkommt, entschließen wir uns
kurzfristig gleich nach Schweden durchzufahren. Wir ändern den Kurs und segeln direkt nach
Strömstad am westlichen Ausgang des Oslofjordes.
Gegen Abend dann wieder Windstille. Unter Motor erreichen wir um 4 Uhr in der
Morgendämmerung Strömstad. Die Einfahrt durch unzählige Schären ist sehr gut mit
Richtfeuern und Kardinalen befeuert, erfordert aber hohe Aufmerksamkeit vom Navigator.
Tag 85. Im Hafen von
Strömstad treffen wir Rolf und
Gisela wieder, die zur gleichen
Zeit mit uns in Kappeln
gestartet waren. Für die
nächsten Tage ist schönes
Sommerwetter ohne Wind
vorausgesagt. Wir beschließen,
zusammen einige Tage durch
die schwedischen Westschären
zu bummeln. Ca. 10 Seemeilen
südlich
von
Strömstad
verbringen wir die ruhige
Vollmondnacht
in
einer
Außenschäre vor der Insel
Langeskär.
Tag 86. Unter Motor fahren wir weiter durch die schwedischen Westschären. Wie die
Blindleia in Südnorwegen ist die Strecke von Strömstad bis Göteborg innerseitig hinter den
unzähligen Schären befahrbar. Im Gegensatz zu den norwegischen Schären sind die Felsen
hier fast alle kahl und rund geschliffen von den Gletschern der Urzeit. Um die Strecke
durchgängig befahrbar zu machen, wurde an einigen Stellen ein Kanal in die Felsen
gesprengt. Einer dieser Kanäle ist der Hamburgsund, der von ländlichen Dörfern und
Bauernhöfen gesäumt ist. Gegen Abend machen wir in einer Schäre bei der Insel Yttre Huö
fest.
Grillen auf dem mitgebrachten
Holzkohlegrill ist ein festes Ritual
der Segler in den Schären
Norwegens und Schwedens. Bier,
Wein und noch schärfere Getränke
– vorzugsweise aus Deutschland
importiert – gehören natürlich auch
dazu.
Bei
schönem
Wetter
schwärmen die Boote von den
Städten aus und belegen die
schönen und sicheren Plätze in den
Schären. Überall sind Segelboote
und Motorjachten an den Felsen
festgemacht.
- 56 -
Tag 87. Bei der Ausfahrt aus der Bucht passiert uns dann das, was nie passieren darf. Nach
einem Blick auf die
Seekarte informiere ich
Viktor dass wir die Insel
mit
etwas
Abstand
passieren müssen weil da
irgendwo eine Untiefe ist.
Noch
während
wir
gemeinsam
die
Karte
studieren,
rumpelt
es
gewaltig am Kiel. „Nein,
nicht
schon
wieder!“
schießt es mir durch den
Kopf. Wir hatten den
Abstand falsch eingeschätzt
und den Stein getroffen.
Glücklicherweise ist das Boot diesmal unbeschädigt. Der PC mit dem Kartenprogramm war
zwar eingeschaltet, aber wie bereits erwähnt navigieren wir normalerweise mit den Seekarten.
Die 2 Meilen nach Hunebostrand erschienen uns problemlos.
„Euch steht der Schreck immer noch im Gesicht!“ antwortet Rolf, als wir nach dem Anlegen
ihm das soeben geschehene berichteten. Wir machen einen kleinen Bummel durch das
Städtchen.
Der
Spaziergang auf
Kirche in Hunebostrand
den Felsen, an
dessen
Fuß
Hunebostrand
liegt, endet jedoch
an
einer
unüberwindbaren
Felswand.
Wir
hatten
den
falschen
Weg
eingeschlagen.
Nach
dem
Einkaufen geht es
weiter durch den
Stotekanal.
Danach verlassen
wir die Schären
ostwärts
und
wollen den aufkommenden Südwind nutzen um endlich wider einmal die Segel zu lüften. Wir
kreuzen südostwärts und kommen kaum voran weil es hier draußen bis zu 2 Knoten Strom
gegen uns hat. Nach 4 Stunden geht uns dann auch noch der Wind aus. Wir tuckern immer
noch mit Gegenstrom zum Leuchtturm „Måsekör“ um danach ostwärts wieder in die Schären
zu kommen. Am Ende des Kyrkesundes liegt an Backbord die Ankerbucht „Sumaholme“. Der
„alte Hase“ Rolf ist mit seiner Yacht „Gazella“ in den Schären geblieben und natürlich längst
schon da. Wir gehen bei ihm längsseits und bereiten das Abendessen vor. 1kg Rägger, das
sind gekochte Skambis, soll es heute Abend geben. Diese Delikatesse ist zwar sehr teuer –
umgerechnet 25€ haben wir dafür in Hunebostrand bezahlt – gehört aber unbedingt
mindestens einmal auf so einem Törn auf den Speiseplan.
- 57 -
Tag 88. Endlich wieder mal Wind zum
segeln. Bei sanftem ESE segeln wir
gemächlich nach Marstrand auf den
Schäreninseln Marstrandsö und Koö. Die
Burg „Carlstens fästning“ wurde 1689
gebaut und überragt das alte Städtchen
schon aus der Ferne, das an diesem
schönen Sommerwochenende sehr lebhaft
und freundlich wirkt. Auf dem Kanal
durch die Stadt wimmelt es von kleinen
und großen Motorbooten. Auch viele
Segelyachten sind auf dem Weg zu mehr
oder weniger ruhigen Grillplätzen in den
Schären.
Köpstadtö ist heute unser Ziel, an deren
Südseite ganz versteck ein kleiner
Yachthafen liegt. Auf Deutsch heißt die
Insel „Kaufmannsinsel“, weil hier die
Kaufleute von der nahen Großstadt
Göteborg ihre Sommerresidenzen haben.
An vielen Villen und Gartenanlagen ist
auch ersichtlich, dass hier wohlhabende
Eigentümer wohnen. Viktor und Rolf
haben vor 20 Jahren einen dieser Patrons
kennen gelernt und ihn danach regelmäßig
bei ihren vielen Nordtörns besucht. „Zwei
Familien gibt es auf der Insel, die hier
allene das Sagen haben!“ hat er den beiden
damals erzählt. „Wenn ich mir eine 15Meter Yacht zulege, kauft der Andere eine
16-Meter Yacht, wenn ich hier das 8. Haus
baue,
baut
mein
Widerpart sein 9.
Haus.“
Inzwischen ist der
vornehme Herr 90
Jahre alt und kann
keine Besuche mehr
empfangen.
Seine
Enkel benehmen sich
wie alle Jugendliche
in diesem Alter und
feiern auf der Bavaria
48 des Vaters direkt
neben
uns
ausgelassen
und
lautstark bis zum
Morgengrauen.
Strömstad - Hals
- 58 -
Tag 89. Wie vom Wetterbericht vorausgesagt, ist das herrliche Sommerwetter vorläufig
vorbei. Dafür gibt es endlich richtigen Wind um auch größere Strecken zu segeln. Wir
verlassen Schweden und segeln zur nördlichsten Insel Dänemarks in den Hafen Vesterö auf
Läsö. Die flache Sandinsel lebt von Landwirtschaft und Tourismus. Obwohl wir erst den 9.
August haben, ist die Saison hier offensichtlich schon gelaufen. Weniger als ein Drittel der
Yachtliegeplätze sind an diesem Sonntagabend belegt. In Norwegen und Schweden sind die
Ferien bereits vorbei. Deutsche auf der Heimreise und einige Dänen sind die wenigen Gäste,
die wir in den Gaststätten antreffen.
In einer Woche wollen wir auch zurück in Kappeln sein. Eigentlich wollte ich durch den Sund
an Kopenhagen vorbei durch die südliche Ostsee segeln. Die langfristige Wettervorhersage
bringt jedoch anhaltend westliche Winde. Die hätten wir in den letzten 2 Wochen gebrauchen
können. Nun aber ist es in den nächsten Tagen nicht möglich, durch die „Kadettenrinne“ und
Mecklenburger Bucht in die Kieler Bucht zu segeln. Wir beschließen deshalb, auf der Ostseite
Jütlands zu bleiben. Auch Anhold anzulaufen, was fest eingeplant war, ist bei dieser
Wetterlage zu riskant.
Tag 90. Frühmorgens um 6 Uhr warten ich auf die einlaufenden Fischerboote. Frischer
Jungfru-Hummer ist eine Delikatesse, die es in dieser Qualität nur hier gibt. Die Enttäuschung
der wartenden Touristen ist groß, als die ersten einlaufenden Boote keinen Hummer zum
verkauf anbieten. Der Fang ist schon an Gaststätten und Händler verkauft. 4 Schollen für 40
Kronen, das sind ca. 5,50€, ist meine erste magere Ausbeute. Dank unseres AIS-Systems kann
ich vom Boot aus genau überwachen, wann im Laufe des Morgens weitere Fischerboote
einlaufen um dann rechtzeitig zum Anlegen an der Pier beim Fischer zu sein. Die anderen
Kaufinteressenten stehen sich an der Pier die Beine in den Bauch oder verpassen die Ankunft.
2 Stunden Später habe ich dann eine prall volle Tüte Hummer für 100 Kronen. Das nächste
Gourmet-Abendessen kann zelebriert werden
Bei zunächst mäßigem, später aufkommendem WNW segeln wir Südwestwärts nach Hals am
Limfiord. Der Limfjord ist ein lang gestreckter Sund zwischen der Halbinsel Jütland und der
Insel Vendsyssel-Thy. Er verbindet die Nordsee im Westen bei Thyborøn mit dem Kattegat
bei Hals.
Wir genießen zum letzten
Mal die Gastfreundschaft
von Gisela und Rolf, die
uns seit Strömstad mit
ihrer
39-Fuß
Yacht“Gazella“ begleitet
haben. In der geräumigen
überdachten Plicht –
Markgräfler Segelprofis
nennen es „Chuchibudi“
– zelebrieren wir einen
kulinarischen Abend. Als
Vorspeise
Krabbenscheren und zum
Hauptgang
JungfruHummer. Natürlich darf
dazu der gehaltvolle
Spätburgunder Rotwein
aus dem Markgräflerland Segelyacht „Gazella“ mit Gisela und Rolf Schneider
nicht fehlen.
- 59 -
Tag 91. Auf dem Weg nach Grenå benötigen wir
zum ersten Mal seit Wochen den Motor nur zum
Ab- und Anlegen an der Pier. Grenå ist ein
klassischer Durchgangshafen für Yachten auf der
Strecke Kiel – Norwegen. So treffen wir im Hafen
hauptsächlich heimreisende deutsche Segelyachten
an.
Überrascht und erstaunt sehen wir, wie mitten im
Hafen eine Regatta gestartet wird. Die
regattierenden Boote schießen mit Vollzeug bei
Windstärke 5 an den einlaufenden und angelegten
Booten vorbei zum Hafen hinaus. Die Regatta
wurde mit einem sogenannten „Le-Mans-Start“
gestartet. Die Crews saßen zum Startzeitpunkt in
normaler Straßenkleidung im Clubheim und
sprinteten nach dem Startschuss zu Ihren Yachten.
Startklar machen, Ölzeug anziehen, ablegen unter
Segel, alles gehörte zur Regatta. Eine interessante
Regattavariante, die das immer gleichförmige
Regattageschehen auch am Bodensee mal
aufmischen könnte.
Der Yachthafen ist gesäumt von hölzernen
Ferienhäuschen. Direkt daneben ist ein weitläufiger
Sandstrand, eigentlich eine perfekte Urlaubsidylle.
Aber auch hier wie auch in Läsö ist der
Tourismusbetrieb zurückhaltend obwohl in den
meisten deutschen Bundesländern noch Ferien sind.
Es ist für eine deutsche Standartfamilie mit Kindern
offensichtlich alles zu teuer hier. So ist z.B. ein
Essen im Restaurant fast doppelt so teuer als bei
uns. Ich bin deshalb auch sehr erstaunt, als wir in
einer kleinen Dorfkneipe ein gutes Fassbier zum fast
gleichen Preis wie bei uns bekommen. Auch das
strikte Rauchverbot, das bisher in allen von uns
besuchten Ländern galt, kennen die Dänen
offensichtlich (noch) nicht.
Le-Mans-Start einer
Regatta im Yachthafen
- 60 -
Hals - Kappeln
Tag 92. Die Yachtkarawane zieht weiter südwärts Richtung Deutschland. Wie an einer
Perlenschnur aufgereiht ziehen die Segelboote von der Hafenausfahrt aus ihre Bahn. Wenn so
viele Segler mit dem gleichen Ziel unterwegs sind, erwacht natürlich der Jagdinstinkt. Wir
wollen eine Dehler 34 in Lee überholen. Als der erkennt, was da vor sich geht, optimiert er
sein Rigg und zieht davon. Wir sind ihm mit unserem Material hoffnungslos unterlegen,
können aber im Pulk der anderen gut mithalten.
Die
Hafengebühren
sind in Dänemark - wie
in allen nordischen
Ländern
–
meist
moderat. Jeden Tag 15
– 20 € Hafengebühr
belasten
die
Urlaubskasse
aber
auch. Deshalb Ankern
wir heute mal in der
sehr
sicheren
und
ruhigen
Bucht
„Langör“
an
der
Nordseite der Insel
Samsö.
Es
wird
trotzdem eine unruhige
Nacht. Der Wind hat
auf NE gedreht und
bläst am Ankerplatz mit
6 Beaufort.
Tag 93. Heute benütze ich mal wieder die Computernavigation, um das Labyrinth des Stavns
Fjords auf dem kürzesten Weg verlassen zu können. Mit 6 Beauforts Wind aus Nordwest
kommen wir schnell südwärts in den großen Belt. Inzwischen läuft eine Welle von 1,5 Meter
auf, die hier im Belt sehr kurz und steil ist. Gegen Mittag passieren wir die Autobahnbrücke
der Vogelfluglinie von Lindholm über die Insel Sprogö nach Korsör. Jeweils ca. 3. Meilen
lang sind die beiden Brückenteile. Die Durchfahrt über die Schifffahrtsstraße hat 65 Meter
lichte Weite. Mit einer
Spannweite von1624 m
ist sie bis jetzt eine der
längsten Hängebrücken
ihrer Art in Europa.
Gehalten
wird
die
freigespannte Fahrtrasse
von zwei, jeweils 3 km
langen Tragseilen, deren
85 cm dicke Kabel aus
18.648
Einzeldrähten
bestehen und von denen
jeder einzelne Meter 3,2t
wiegt. In Eisen, Stahl
und Beton hängt die
Schrägseilkonstruktion
an zwei 204 m hohen
Pylonen.
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Gegen Abend laufen
wir die kleine Insel
Onö an. Trotz 6
Beauforts im Hafen
Kirkehavn klappt das
Anlegemanöver
problemlos.
Allerdings ist auch
dieser Hafen bei NW
sehr unruhig. Immer
noch
konstant
6
Beaufort zeigt der
Windmesser an. Wir
machen einen kleinen
Inselrundgang
am
Strand entlang und
über die abgeernteten
Stoppelfelder, die die
kleine
Insel
am
Ostrand des großen Belts prägen. Auch diese Nacht ist wieder sehr unruhig. Der Wind pfeift
nach wie vor mit gleicher Stärke durch den Hafen und die Wellen aus NW erzeugen im Hafen
einen erheblichen Schwell.
Tag 94. Immer noch mit Windstärke 6 verlassen wir den Hafen und segeln an die
gegenüberliegende Ostküste von Langeland. Hier unter Land ist die Welle erträglicher, dafür
ist der Wind aber
sehr
böig.
Unterwegs
überholt uns der
Rahensegler
„Thor-Heyerdal“
unter Vollzeug. Es
ist
schon
ein
erhebendes Gefühl
für einen Segler,
ein
solches
Historisches Schiff
unter
Vollbesegelung in
Aktion zu sehen.
Nach
der
Umrundung
der
Südspitze
von
Langeland machen
wir im Hafen
Bagenkop fest. Auch hier besteht die Hafenanlage aus einer modernen Ferienhaus Siedlung
mit kleinem Strand und einem Dorf daneben. Der Versuch, unsere letzten Kronen in einige
Glas Bier umzuwandeln misslingt aus Mangel an einer entsprechenden Kneipe.
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Tag 95. Schon um 6 Uhr schmeißst mich Viktor aus der Koje. Das Wetter ist zwar miserabel,
und der Wind hat nach Süd gedreht. Wie ein Pferdegespann kurz vor dem heimischen Hof hat
auch Viktor wieder den unbändigen Stalldrang. Wenn der Heimathafen in „Riechweite“ ist,
ist er nicht mehr zu bremsen. Ich will aber heute erst mal noch nach Labö. Als wir den Hafen
verlassen, weht es wieder mit 6 Beaufort aus SSW. Hoch am Wind geht es erst mal westwärts.
Heute navigieren wir ausschließlich konventionell mit koppeln und terrestrischer Navigation.
Nach 15 Seemeilen wende ich und segel mit dem rechtdrehendem Wind Südwärts. Um 12.00
Uhr sehen wir erwartungsgemäß Steuerbord voraus Kiel Leuchtturm. Kurze Zeit später
taucht auch das Marine-Ehrenmal Labö am diesigen Horizont auf. Die deutsche Heimat hat
uns nach fast 100 Tagen wieder.
Fast 5 Stunden kreuzen wir noch
gegen den strengen SW Wind aus
der Kieler Förde nach Labö an.
Inzwischen ist es wolkenlos und
Sommerlich warm. Kiel empfängt
uns mit Kaiserwetter. Nach dem
Anlegen machen wir einen
Spaziergang
entlang
des
Sandstrandes zum Ehrenmal der
Marine und dem Museums-U-Boot
U995. Es handelt sich hierbei um
den meistgebauten U-Boot-Typen
des zweiten Weltkrieges, den
Typen VII-C.
Tag 96. Die letzte Strecke auf See zurück nach Kappeln bietet uns noch mal einen besonderen
Segeltag. Etwas vorlicher Wind aus WSW mit 6 Beaufort bringt den „Glückspilz“ bei
herrlichem Sonnenschein noch mal auf 7 Knoten Fahrt. Der ehemalige Marinehafen Olpeniz
direkt neben der Schleimündung ist leer und unbewohnt. Vor fast 40 Jahren war ich als
Marinesoldat sehr oft hier. Es gab damals den Spruch: „Wenn du in Olpeniz am Kasernentor
stehst, kannst du am Morgen sehen, wer am Abend zu Besuch kommt.“ Vom segeln hatte ich
damals noch keine Ahnung.
Auf der Schlei ist an so einem Sommer-Sonntag viel Betrieb. Ich habe in der Einfahrt die
Gastlandflaggen gesetzt. Nun
beobachten wir die erstaunten
Reaktionen
der
vorbeifahrenden Boote. 7
Gastlandflaggen sind auch bei
erfahrenen Seglern etwas
Besonderes.
Im Hafen des „Yachtservice
Ancker“ treffen wir gleich
Tessy und Hermann Gotert.
Die beiden sind jeden
Sommer mit Ihrer Yacht hier
in der Ostsee. Abends beim
Bier und einigen schärferen
Sachen gibt es natürlich viel
zu erzählen.
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Noch
am
Sonntagnachmittag
beginnen wir mit dem
Abbau des Bootes. Die
Segel sind alle trocken
und
müssen
vor
Einbruch
der
Dämmerung geborgen
und verpackt sein. Das
gesamte „laufende Gut“
(das sind alle Leinen,
die
bewegt
werde
können) wird abgebaut
und verstaut.
Tag 97. Viktor ist vollauf beschäftigt mit Krantermin, Lastwagenzulassung und Mastabbau.
Das „stehende Gut“ (Staken und Wanten, die den Mast halten) wird erst ganz zum Schluss
gelöst. Danach habe ich noch eine weitere Premiere. Ich schaffe es tatsächlich, entgegen
Viktors Befürchtung den Sattelschlepper rückwärts ohne Schaden aus der Parkbucht an der
Straße in den Yacht-Hof zu bugsieren. Scheißgebadet klettere ich aus dem Führerhaus. Jetzt
habe ich eine Ahnung, welche Kraft Viktor jedes Mal benötigt um den Sattelzug, der ja keine
Servolenkung
hat,
Zuhause rückwärts in
die Scheune zu fahren.
Etwas wehmütig ist es
mir schon ums Herz,
als der Kran unser
„Glückspilz“ aus dem
Wasser
hebt
und
wieder
auf
dem
Sattelschlepper
absetzt. Hat er uns
auch diesmal wieder
über
fast
3.500
Seemeilen heil ans
Ziel zurückgebracht.
Es
dauert
einen
weiteren halben Tag,
bis das Boot richtig
befestigt, alles an Bord
fest verstaut und angelascht und der Sattelschlepper TÜV-gerecht ausgestattet ist. Die 1.000
km Fahrt auf dem Sattelauflieger ist für das Boot genauso Material belastend wie die
Seestrecke in den 3 Monaten zuvor.
Am Abend gehen wir noch mal in die „Bierakademie“ in der Altstadt Kappeln. Dieses Institut
für "Bierologie und Hektoliteratur" ist jedes Mal ein Besuch wert. Die Spezialität neben guten
Bieren ist gegrillte Speerrippe. Eine Portion ist so groß, dass ich jedes Mal mich davon 2 Tage
ernähren kann.
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Tag 98. Morgens um halb 4 setzen wir unseren Truck in Bewegung Richtung Heimat. Südlich
von Bremen stoppt uns die Autobahnkontrolle BAG. Unser Lastzug ist mautfrei, das ist
schnell geklärt.
Irgendwie scheint Viktor aber den Teufel zu reiten. Er erzählt dem Beamten die
abenteuerliche Vorgeschichte zu meinem CE79 Führerschein. Der wiederum blättert eine
halbe Stunde in Gesetzestexten und erklärt mir anschließend, dass ich den Sattelzug nicht
fahren darf. Er hätte aber keine Lust, deswegen auch noch mit den Kollegen der
Autobahnpolizei zu diskutieren. Er rät mir aber ab, weiter zu fahren. Ich lasse mich davon
nicht beeindrucken und fahre trotzdem weiter. Aufgebracht fauchte ich Viktor an: „Hätsch
Gosche ghalte, wäre mr jetz 40km widdr!“
Wir spulen das
gleiche Programm
wie
auf
der
Hinfahrt
ab.
Tanken und Kaffee
trinken, tanken und
Kaffee
trinken,
……. Kurz vor
dem
Ziel
bei
Teningen aber eine
weitere
unerwünschte
Unterbrechung. Ich
sitze wieder Mal
am Steuer als wir
erneut
gestoppt
werden. Diesmal
ist
es
die
Autobahnpolizei.
Oha, denke ich,
jetzt geht der Ärger mit dem Führerschein erst richtig los. Die Beamten sammeln gleich die
Führerscheine ein und inspizieren den Auflieger. Zuerst messen sie die Zuglänge, danach
wollen sie die Breite des Bootes messen. Aber wie? Die Beamten wollen auf das Boot steigen
und mit der aufwändigen Bestimmung der Bootsbreite beginnen. Wenn sie es geschafft hätten
korrekt zu messen, wären 3,07 Meter herausgekommen. Zu breit für die vorhandene
Genehmigung! Viktor kommt die rettende Idee. Schaut doch im Messbrief des Bootes nach,
da steht die (offizielle) Breite von 3,00 Meter drin. Die Beamten akzeptieren das, stellen
jedoch fest, dass in der Überbreitengenehmigung „nur“ 2,99 Meter stehen. Ein Zentimeter zu
viel! Sie sind großzügig und lassen das durchgehen. Die Führerscheine geben sie und nach
kurzem Kontrollblick zurück. Im inzwischen diffusen Abendlicht konnten sie ohnehin nicht
lesen, was da genau drauf steht.
Am 18. August um 21.30 Uhr fahre ich mit dem „Glückspilz“ in den Meyerschen Werkhof in
Kandern ein. Wir werden von derselben Gruppe freudig empfangen, die uns vor 98 Tagen
verabschiedet hat.
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