Zukunft Wohnen – e inblicke und Aussichten
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Zukunft Wohnen – e inblicke und Aussichten
Zukunft Wohnen – Einblicke und Aussichten 1909 2009 2109 3 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916 Inhalt Ei nbl icke u nd Au ssichten 1909 – 1916 Die s i st kei ne Ch ron i k! 1919 – 1921 1 9 0 9 – 20 0 9 : Woh nge sch ichte 1922 – 1951 Te x t : D i e t r i c h z u r N e d d e n Woh ner wa r tu ngen – Woh ner fa h r u ngen 1953 – 1980 I n t e r v i e w s u n d Te x t e: C a r s t e n En s Zu k u n f t Woh nen! Die i m Fi l m woh nen so 2015 – 2022 „ B ea m me up! “ 2023 – 2031 Von Wä r m f l a schen u nd Esst i schen 2032 – 2043 Br uch stücke zu B au stei nen : Ei n Rückbl ick au s 21 0 9! 1917 1981 – 2014 I n t e r v i e w s u n d Te x t e: B e r t S t r e b e 2044 – 2091 Te x t : D i e t r i c h z u r N e d d e n A n sicht ss achen 2092 – 2103 A n h a ng 2104 – 2109 . . . a u c h 2 1 0 9 b e g i n n t d e r Ta g m it d e m M o r g e n . 1918 Dies ist keine Chronik! Bewohnt, gewohnt, ungewohnt: Wohnung, Wohnumfeld, Wohnsitz, Wohnrecht, Wohngeld, Wohnungseigentum, Wohnmedizin, Wohnverhalten, Wohnungspolitik, Wohnungswirtschaft, Wohnungsdefizit, Wohnformen, Wohndauer, Wohnwerte, Wohnleitbilder, Wohnsoziologie, Wohnungsbau, Wohnalltag, Wohnungsfrage, Wohnraum, Wohnverhältnisse, Wohnquartier, Wohnmilieus, Wohnungsmarkt, Wohnbedürfnisse! Dieses Buch, das aus Anlass des 100-jährigen Bestehens des Verbandes der Wohnungswirtschaft in Niedersachsen und Bremen e.V. entstanden ist, nähert sich dem Thema Wohnen mit leichter Hand und auf verschiedenen Wegen. Es gibt sich nicht damit zufrieden, Erlebtes aufzulisten, Erreichtes zu würdigen und im Hier und Jetzt zu verweilen. „Zukunft Wohnen – Einblicke und Aussichten“ hält Ausschau nach Möglichkeiten. Es geht darum, einen frischen, zum Nachdenken und Weiterfragen anregenden Blick auf das Wohnen zu werfen. Es geht um Annahmen, Vermutungen, Visionen – über die sich ohne Zweifel diskutieren und streiten lässt. Wird’s besser? Wird’s schlechter? Niemand weiß es mit Sicherheit. In ihrem Vorwort zur „Geschichte des Wohnens“ hat Ingeborg Flagge vorsorglich formuliert: „Das Thema Wohnen lockt zwar viele Fachleute auf den Plan, dennoch entzieht es sich einer präzisen Beschreibung, die alle seine Aspekte abdeckt und alle befriedigt.“ Eigentlich verblüffend, denn jeder Mensch wohnt, und jeder Mensch hat eine, nein, SEINE Wohngeschichte. Offensichtlich also eine alltägliche Begebenheit. So wie Essen und Trinken. Trotz dieses unendlichen Erfahrungsschatzes, dieser unzähligen Augenzeugenberichte will es offenbar nicht gelingen, Wohnen lückenlos zu erklären. Und das ist gut so: Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, um mit dem Buch in der Hand das Eigene zu ergänzen. 1919 1920 DAS Wohnen gibt es nicht. Jeder wohnt auf irgendeine Weise anders. Wohnmaschinen, die Tag für Tag das Gleiche produzieren? Fehlanzeige! Hinter jeder Wohnungstür, in jedem Garten und in jeder Nachbarschaft herrscht – rein wissenschaftlich gesehen – das absolute Chaos. Vorhersehbar ist praktisch nichts. Wer unter 100 Deckenlampen, 100 Tapetenmustern und 100 Teppichvarianten auswählen kann, kommt eben nur in jedem einmillionsten Zimmer zu dem exakt gleichen Dekor. In historischer Perspektive potenziert sich die Komplexität und erst recht, wenn man einen Blick voraus wagt. Angesichts der Aussichtslosigkeit auf Erfolg erhebt „Zukunft Wohnen“ keinen Anspruch darauf, richtige Antworten zu geben. Die Frage, die diesem Buch zugrunde liegt, lautet nicht: Wie wird sich das Wohnen entwickeln? Sondern die Frage lautet: Wie könnte sich das Wohnen entwickeln? Die Messlatte ist also nicht Wahrheit, sondern das Vorstellungsvermögen. Das Buch verfolgt den spektralen Ansatz, aus sehr unterschiedlichen Perspektiven, in sehr unterschiedlicher Sprache und sehr unterschiedlichen Bildern der „Zukunft Wohnen“ näher zu kommen. Dietrich zur Nedden baut im ersten Teil das solide Fundament der „Zukunft Wohnen“ zusammen, indem er 100 Jahre Wohnen Revue passieren lässt und diese Entwicklung in den Kontext stellt zu Ereignissen und Perioden in Staat und Gesellschaft. Aus diesem „Wo kommen wir her?“ werden im Folgenden die Ideen zur „Zukunft Wohnen“ entwickelt. Zu Wort kommen Politiker, Wohnungsunternehmer, Designer, Architekten, Planer, Soziologen, Berater und elf Jubilare, die in diesem Jahr einen „runden“ Geburtstag feiern und von ihren Wohnerfahrungen und Wohnerwartungen erzählen. Abgerundet wird „Zukunft Wohnen“ von einem Rückblick aus dem Jahr 2109: Was könnte in den nächsten 100 Jahren gewesen sein? Ergänzt wird das Buch von Bildern, die Einblick in Alltägliches wie Visionäres geben, darunter zahlreiche Porträts von „Wohnenden“, die ihre Gedanken zum Wohnen und zur Zukunft in Szene gesetzt haben. Dann wäre da noch zu sprechen von dem, was fehlt. „Etwas ist immer“, hat Kurt Tucholsky einst verdrossen festgestellt und hinzugefügt: „Tröste Dich. Jedes Glück hat einen Stich.“ In dem Wissen von Unvollständigem und Unpräzisem: Viel Spaß mit Ihren persönlichen Einblicken und Aussichten auf die „Zukunft Wohnen“! 1921 Wohn geschichte Te x t : D i e t r i c h z u r N e d d e n ... scheibchenweise 1922 1909 bis 2009 Anfang des Jahres 1909 bricht die Zukunft an 1923 Anfang des Jahres 1909 bricht die Zukunft an auf der Titelseite der französischen Tageszeitung „Le Figaro“. Am 20. Februar erscheint dort das „Manifest des Futurismus“, verfasst von Fillipo Tommaso Marinetti. Spektakulär wird eine Kunstbewegung aus der Taufe gehoben, die in alle Lebensbereiche wirken soll. Die elf provozierenden Thesen des italienischen Dichters verherrlichen „die Liebe zur Gefahr“ und den Krieg, „diese einzige Hygiene der Welt“. Marinetti besingt die Zerstörung der Museen, Bibliotheken und Akademien, „die Verachtung des Weibes“ und „die Schönheit der Geschwindigkeit“. Am selben Tag erblickt Heinz Erhardt in Riga das Licht der Welt. In den 50er und 60er Jahren wird er zu den bekanntesten Komikern der Bundesrepublik gehören. Einer seiner erfolgreichen Filme trägt den Titel „Natürlich die Autofahrer“. Ge näm wie Jah in r ges Be zuw Stä Eine weltgeschichtlich nebensächliche, blasse Notwendigkeit? Beleg einer harmlosen, wenngleich gut gemeinten Sortierung von Verwaltungsakten? Betrachten wir die Gründung zunächst als einen Anhaltspunkt der umwälzenden Veränderungen. Gebaut wird nämlich 1909 wie seit etlichen Jahren schon in rasanter Eile, geschuldet dem Bevölkerungszuwachs in den Städten. Zum Beispiel dem in Hannover. Zählt die Residenzstadt 1811 lediglich 16 815 Einwohner, sind es 1861 bereits 60 120. Dazu tragen Eingemeindungen bei. Einige Jahre später – 1875 – überschreitet die Einwohnerzahl Hannovers, inzwischen preußische Provinzhauptstadt, die Grenze von 100 000, im Jahre 1901 werden 250 000 Einwohner errechnet, 1910 werden es 382 000 sein. „Eine schlechte Wohnung ma ch t b rave L eu te veräch tlich .“ Tatsächlich treibt die Geschwindigkeit im Jahre 1909 voran, so dynamisch wie in den Jahrzehnten zuvor, mutet an wie rasend. Das Leben beschleunigt sich in ungeahnten Dimensionen. Der Drang in die Ferne, ins Weite erobert sogar den Himmel, zum Beispiel den über Frankfurt am Main, wo am 10. Juli die erste Internationale Luftschifffahrt-Ausstellung eröffnet wird. Zu bestaunen für die insgesamt 1,5 Millionen Besucher sind Flugzeuge, Ballone und eben Luftschiffe, wie die von Ferdinand Graf von Zeppelin. Höher hinauf streben in diesem Jahr auch die Staatsdiener. Auf dem ersten Deutschen Beamtentag in Berlin fordern sie in einer Resolution eine Erhöhung der Gehälter. Dem Aufwärts überdies ein Extrem abgezwungen zu haben, nimmt der amerikanische Forscher Robert E. Peary für sich in Anspruch. Er habe nun als erster Mensch den Nordpol berührt, so sein Bericht. Bald jedoch hegen Kenner der klimatisch-geografischen Verhältnisse erhebliche Zweifel an der Richtigkeit seiner Angaben. Sehr viel solider, ja, solidarischer eine Meldung von anno 1909 aus der Provinz Hannover. In der Hauptstadt gründen nicht weniger als 27 Baugenossenschaften einen Verband, um ihre Interessen zu bündeln, um ihr Vorgehen und dessen Ergebnisse einer regelmäßigen Prüfung zu unterziehen. 1924 J ohan n Wo lfg a n g v o n G o e t h e Die Industrielle Revolution hat bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts damit begonnen, die Lebensumstände grundlegend, zugleich in steigendem Maße zu wandeln. Sie gewinnt nochmals an Tempo mit der umgreifenden Nutzung der Elektrizität. Große Teile der gesellschaftlichen Basis, geprägt von Bauern und Handwerkern, von Tagelöhnern und Gesellen, von Heimarbeitern, Knechten und Dienstboten, sind dazu genötigt, sich nach und nach den neuen Produktionsverhältnissen zu unterwerfen. Es bildet sich eine neue Bevölkerungsschicht, die Arbeiterklasse, das Proletariat. In der Folge zerbricht im Dasein der weitaus meisten Menschen etwas Substantielles. Hatte man bislang dort gewohnt, wo man arbeitete, reißt die Lohnarbeit diese Einheit auseinander, Wohnen und Arbeiten werden räumlich getrennt. Das betrifft nicht allein diejenigen, die körperliche Arbeit verrichten, sondern auch die „Arbeiter mit weißem Kragen“, die Angestellten, eine weitere neue Bevölkerungsschicht. Arbeitssuchende strömen massenhaft in die Städte, es mangelt an Wohnungen und Unterkünften, ganze Stadtteile werden zu Slums – so ist die Ausgangslage nicht bloß in Hannover – auf einen lapidaren Punkt gebracht. Viel zu viele Menschen sind eingepfercht auf viel zu engem Raum in viel zu alten, heruntergekommenen Häusern. In den barackenartigen Quartieren herrschen 1925 ebaut wird mlich 1909 e seit etlichen hren schon rasanter Eile, schuldet dem evölkerungswachs in den ädten. w oh n en – d as Zeitwo rt stammt ¯ n, dem v on alth o ch d eu tsch wo n e die Bedeutung „zufrieden sein“ zugrunde liegt und so viel heißt wie „(gewohnt) sein, bleiben, sich Bedrängnis, Dunkelheit, Schmutz. Der Alltag aus Not, Elend und Ausbeutung prägt die Lebenserfahrung, erzeugt Spannungen, die Risse in die Gesellschaft treiben. Der desolate Befund, aus anderer Perspektive betrachtet, birgt sozialen Sprengstoff. Dringend ist menschenwürdiger, erschwinglicher Wohnraum zu schaffen – mehr Licht, mehr Luft, mehr Platz, mehr Wärme und Wasser, bessere Hygieneverhältnisse. Längst hat sich die „Wohnungsfrage“ gestellt. Nicht zum ersten Mal im Übrigen, was die 1872 von Friedrich Engels verfasste Artikelreihe „Zur Wohnungsfrage“ belegt. aufhalten“. Germanisch *wun ist, w i e d as Etymo lo g isch e W ö rterbuch offenbart, Tiefstufe zu der i ndo g erman isch en Wu rzel *u en für „verlangen, lieben“, deren Ableitungen unter „gewinnen“, „gewöhnen“, „Wahn“, „Wonne“ und „Wu n sch “ b eh an d elt werd en . Als einer der geistigen Väter des sozialen Wohnungsbaus und In einer Genossenschaft schließen sich Menschen zusammen, deren Interessen und Probleme sich ähneln, die gleichberechtigt nach Lösungen suchen und sie verwirklichen. Denn gemeinsam ist man stärker. Der ursprünglich in England, dem Avantgardisten der Industriellen Revolution, realisierte Genossenschaftsgedanke hat längst im Deutschen Kaiserreich an Bedeutung gewonnen. Nachdem sich zunächst Konsum- und Kreditgenossenschaften gebildet haben, sind es nun Wohnungsbaugenossenschaften, von denen es 1889 bereits 38 gibt. Ihre Anzahl steigt auf 385 zur Jahrhundertwende und weiter auf 1402 zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914. Die Prinzipien, auf denen eine Genossenschaft beruht – Selbsthilfe, Selbstverantwortung, Selbstverwaltung – bedürfen ständiger Begutachtung, Kontrolle, Revision. Die Aufsicht möchte man jedoch nicht der Obrigkeit überlassen. Damit der Staat nicht eingreift, richtet man also das genossenschaftliche Prüfungswesen ein. Im Zeitraum von 1900 bis 1912 entstehen in Deutschland insgesamt 14 Prüfungsverbände. Die erste Konferenz findet 1906 in Berlin statt. Einer dieser Prüfungsverbände ist der in Hannover 1909 gegründete „Verband der Baugenossenschaften von Niedersachsen“. Die Wahl des Namens irritiert, sobald man bedenkt, dass das Land Niedersachsen erst 1949 gegründet wird. Doch der geografisch wenig präzise Regionsname ist nach einigen Jahrhunderten in die Öffentlichkeit zurückgekehrt, ist beliebt, gleichsam als Protest gegen die Zugehörigkeit zu Preußen seit 1866. zugleich als ein Wegbereiter der Genossenschaftsbewegung in Deutschland gilt Victor Aimé Huber (1800-1869). Von 1849 bis 1852 ist Huber im Vorstand der Gemeinnützigen Berliner Baugesellschaft tätig. Angeregt von den „Cottage“Siedlungen in Manchester schlägt er ein genossenschaftlich organisiertes Projekt mit Wohngebäuden aus höchstens vier Einheiten und Garten vor. Dem Prinzip der „Selbsthülfe“ folgend gehört zu dem Konzept ein Ensemble von Gemeinschaftsräumen. Zentral in einer solchen Siedlung von etwa 100 Häusern würde ein Gebäude die Verwaltung beherbergen, eine Schule, einen Betsaal selbstverständlich, Lesezimmer und Bibliothek, medizinische sowie Vorratsräume, ein Backhaus, ein Waschhaus und eine Badeanstalt. Huber gelingt es zunächst, eine bescheidenere Version seiner Idee zu verwirklichen. Auf der Bremer Höhe in Berlin, damals vor den Toren der Stadt gelegen, beginnen 1849 die Bauarbeiten. Die Grundstücke Schönhauser Allee 58/58a werden mit sechs „Cottages“, also Kleinhäusern für 15 Familien bebaut, die sich, wie es heißt, „einem rigiden Verhaltenskodex unterzuordnen hatten“. Das Musterbeispiel nach Hubers Vorstellung wird nicht lange bestehen. 1888/89 werden die letzten, in der Zwischenzeit verwahrlosten Cottages abgerissen. Währenddessen spricht sich in Windeseile ein Reformmodell aus Großbritannien in Deutschland herum, wird in ganz Europa begeistert aufgenommen und weit darüber hinaus. Das Buch, das einem neuen Leitbild Konturen verleiht, erscheint 1898 und heißt „To-Morrow: A Peaceful Path to Real Reform“, die zweite Auflage 1902 „Garden Cities of To-Morrow“. Ersonnen hat der Genossenschaftssozialist Ebenezer Howard (1850–1928) sein Modell, um auf die miserablen Wohn- und Lebensverhältnisse zu reagieren, um den Folgen des chaotischen Wachstums in den Großstädten etwas Geordnetes entgegenzusetzen. In deren 1926 Umland, so seine Idee, sollten genossenschaftlich organisierte Gartenstädte geschaffen werden, von Grüngürteln gegliederte Siedlungen. 3 J 1 Wenden wir uns nochmals der Provinzhauptstadt Hannover zu, wo eingangs des 20. Jahrhunderts an mehreren Standorten „genossenschaftliche Reforminseln“ gedeihen, so die Formulierung des Bauhistorikers Sid AufDer Begriff der Gartenstadt wird in zahllosen Formulierungen, oft missverständlich oder irreführend, die Debatten bis ins 21. Jahrhundert prägen: Eine Struktur, für die ein nicht rechtwinklig geordneter Stadtraum mit gekrümmten Straßen, geschlossenen Plätzen, großzügigen Grüngürteln charakteristisch ist. Satellitenstädte wird man eine Variante nennen, oder suburbs, wie in den USA. Der genossenschaftliche Impetus, den Howard betont, wird hingegen häufig übersehen. Um dem Grün als Elementarfarbe für die Verbindung von Wohnen und Arbeiten nahe der Großstadt zur Geltung zu verhelfen, gründet sich 1902 die „Deutsche Gartenstadt-Gesellschaft“, ein halbes Jahrzehnt bevor die Übersetzung der epochalen Schrift unter dem Titel „Gartenstädte in Sicht“ erscheinen wird. Von den sozialreformischen Vorstellungen durchdrungen, verwirklicht der Möbelfabrikant Karl Schmidt-Hellerau vor den Toren Dresdens 1909 die Gartenstadtsiedlung Hellerau zusammen mit dem Neubau seiner „Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst“. Neben Richard Riemerschmid gehören Heinrich Tessenow, Hermann Muthesius und Kurt Frick zu den renommierten Architekten und Gestaltern. Ihre Pläne entsprechen dem Anspruch des Auftraggebers, die Einheit von Wohnen und Arbeit, Kultur und Bildung in einem von der Lebensreform geprägten Organismus zu verkörpern. Ein weiteres Beispiel dieser hybriden Siedlungsform ist die Margarethenhöhe an der südlichen Peripherie Essens. Der Name der Siedlung ist Margarethe Krupp gewidmet. Ihre Stiftung für Wohnungsfürsorge beauftragt 1909 den Architekten Georg Metzendorf, Mitglied des Deutschen Werkbundes, eine Siedlung für „minderbemittelte Klassen“ zu entwerfen. Da der Auftrag nicht mit sozialreformerischen Ideen verflochten ist, beschränkt sich der Entwurf auf die Gartenstadt als städtebauliches Vorbild. Im Gleichklang mit dem Pendant in Dresden genießt die Margarethenhöhe dank eines Regierungserlasses die Befreiung von Bauvorschriften. farth. Unweit einer monarchischen Landschaftsperle, dem eleganten Gepräge der Herrenhäuser Gärten, errichtet der 1885 gegründete Spar- und Bauverein ein Ensemble, das den stärksten Eindruck hinterlässt: die von 1912 bis 1924 gebaute Siedlung „Schlosswender Hof“, der im Volksmund der Titel „Rote Burg“ verliehen und die 1947 nach dem Senator Heinrich Brüggemann umbenannt werden wird. „Das Herz der Anlage“, so beschreibt es Auffarth, „wird von einem weiten, durch Nebenhöfe differenzierten Dreieckshof gebildet, dessen Seiten von mächtigen Geschossbauten gefasst wird. Der Zugang zu den Wohnungen erfolgt ausschließlich über den Innenhof, der damit funktional wie symbolisch als gemeinschaftlicher Raum dient.“ Für die damalige Zeit sind die Wohnungen ungewöhnlich gut ausgestattet, einigen ist ein Balkon vorgesetzt. „Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Str aß en sp ü lu n g , Hau sto rsch lü ssel, Luf t h eizu n g u n d Warmwasserl e i tu n g . G emü tlich b in ich selb st.“ K arl K r a u s in d e r F a c k e l Nr. 3 1 5 , 1 9 1 1 Nach dem Ersten Weltkrieg und der gescheiterten Novemberrevolution wird am 31. Juli 1919 von der Nationalversammlung die Weimarer Verfassung beschlossen, kurz darauf von Reichspräsident Friedrich Ebert unterzeichnet: Es ist die erste demokratische Verfassung Deutschlands, die in Kraft tritt. Im zweiten Hauptteil – „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“ – findet sich im fünften Abschnitt – „Wirtschaftsleben“ – der Artikel 155, der wie eine honorige Absicht anmutet: „Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Weise überwacht, die Mißbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern. Kriegsteilnehmer sind bei dem zu schaffenden Heimstättenrecht besonders zu berücksichtigen.“ Aus der Zukunft rückwärts gewandt ist es allemal ein Leichtes, das Ergebnis nachträglich zu prophezeien: Das Ziel, dem man „zustrebt“, wird verfehlt. 1927 31. Juli 1919 Gegen die erbärmlichen Wohnverhältnisse, das dunkle Elend und die enge Not vornehmlich in den Städten entwickeln gänzlich unterschiedliche Gruppen aus unterschiedlichen Beweggründen eine Fülle an Konzepten und Projekten, von denen viele realisiert werden. Um einen von zahllosen Gesichtspunkten herauszugreifen, widmen wir uns kurz der „Zwischenkriegsblüte der Baugenossenschaftsbewegung von 1924 bis 1931“, die der Staat nicht nur finanziell zum Blühen bringt. Wie es in dem Buch „Wohnkultur in gesellschaftlicher Verantwortung“ heißt: „Zwar blieben [im Verband] die Genossenschaften zahlenmäßig mit weitem Abstand in der Mehrheit. Auf der anderen Seite entstanden aber nun viele große Wohnungs- und Siedlungsgesellschaften, die die durchschnittliche Bauleistung der Genossenschaften um ein Vielfaches übertrafen.“ Der Hintergrund für diese Gewichtsverlagerung fügt sich zusammen aus den neuen, zumeist von den Kommunen gegründeten Gesellschaften, „die in der Regel die Aktien- oder Anteilsmehrheit behielten und sich auf diese Weise ein Instrument schufen, um den Kleinwohnungsbau vor Ort zu kontrollieren und gleichzeitig voranzutreiben.“ Eine Vielfalt an Möglichkeiten, Initiativen und Ideen, an Vorschlägen und Bewegungen, an exemplarischen Lösungsvorschlägen und Erscheinungsformen eröffnet Perspektiven in den wenigen Jahren der Weimarer Republik, konkrete wie geistige Anregungen treffen wie selbstverständlich auch in Stadtplanung, Architektur und Wohnungsbau aufeinander, befruchten einander und verknüpfen interessante Projekte. Sie prägen wohl nicht das Erscheinungsbild vieler Klein- und Großstädte, nehmen jedoch zumindest Einfluss auf die öffentlichen Debatten, bereiten sinnliche Erfahrungen, die Reflexionen im kollektiven Bewusstsein erschaffen. Freilich, nicht ausnahmslos steckt Neues drin, wo neu drauf steht. Ohnehin fußt so manches, das umgesetzt wird, auf redlich-gewissenhafter Entwicklung aus der Vergangenheit, auf Errungenschaften der Industriellen Revolution. Wie könnte es anders sein? „Steinhäuser machen Steinherzen! […] Die großen Spinnen – die Stä d te – sin d n u r n o ch Erin n erun gen aus einer Vorzeit, und mi t ih n en d ie Staaten . […] An d ie Zu einem Klischee geronnen ist das Emblem von den Goldenen Zwanziger Jahren, dessen Zwilling die wilden Zwanziger aufruft. Gleichwohl birgt jedes Klischee einen mehr oder minder großen Partikel der Wirklichkeit. Nach den Erschütterungen der Nachkriegszeit – Hungersnot, Arbeitslosigkeit, Hyperinflation, Massenstreiks, Konflikte und Kämpfe zwischen den politischen Strömungen – setzt in der Weimarer Republik eine Phase der Beruhigung ein, indes im kulturellen Leben sich neue Kunstgattungen etablieren. Bis spät in die Nacht flackern die „Lichter der Großstadt“, wie ein Film von Charles Chaplin 1931 heißt, auch in Deutschland, nicht allein in Berlin. Wessen Portemonnaie ausreichend gefüllt ist, steht drängelnd in der Schlange vor dem Lichtspielhaus oder stürmt ins Kabarett, lässt sich von einer Jazzband in Schwung versetzen oder besucht das Theater, um begeistert oder entrüstet das aktuelle Stück von Brecht oder Zuckmayer zu erleben. „ M a n k a nn ei nen Mensch en mit einer Wohnung gen a u s o t ö t e n wie m it einer Axt.“ He inr ich Z i l l e ( 1 8 5 8 - 1 9 2 9 ) 1928 Ste lle des Vaterlandes ist die Hei mat getreten – und sie findet je der ü b erall, wen n er arb eitet.“ D e r A rc h i t e k t B r u n o Ta u t i n s e i n e r S c h r i f t „D i e Au flö s u n g d e r St ä d t e “ , 1 9 2 0 Neue Materialien wie Stahl und Beton, neue Techniken, neue Haus- und Siedlungsformen wecken die Bereitschaft für Experimente. Mit der Gründung des Deutschen Werkbundes 1907 werden in Ausstellungen und Publikationen sowie nicht zuletzt in realisierten Bauten die Begriffe „Sachlichkeit“, „Zweckhaftigkeit“, „Reinheit“ und „Klarheit der Komposition“ in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Neben dem (Backstein-)Expressionismus, einer Richtung in der Wohnungsbau-Architektur nach dem Ersten Weltkrieg, deren wuchtige Formensprache kantige, raue Ornamente betont, setzen sich der spätere Bauhausstil, die Neue Sachlichkeit und die mit beiden eng verwandte Bewegung des Neuen Bauens vielerorts durch. Natürlich spielen traditionalistische Auffassungen weiterhin eine erhebliche Rolle, wie beispielsweise die so genannte Stuttgarter Schule. Und wer auf programmatische Grundsätze verzichtet, mag unterschiedliche Ansätze als Impulse verstehen. Man bedient sich oder, um es vornehmer zu sagen, lässt sich inspirieren. Von Celle nach New York. – Wer hätte vermutet, dass die Kleinstadt Celle neben Frankfurt am Main, Berlin, Karlsruhe und Magdeburg einst ein Zentrum des Neuen Bauens war? Zu verdanken ist es dem Architekten Otto Haesler (18801962), heute weitgehend unbekannt, erst recht im Vergleich zu prominenten Kollegen wie Walter Gropius oder Ludwig Mies van der Rohe. Haesler arbeitet von 1906 bis 1934 vorwiegend in Celle und siedelt nach dem Zweiten Weltkrieg in die DDR über, wo er zum Professor an der Deutschen Bauakademie berufen werden wird. 1932 lädt das Museum of Modern Art in New York zu einer Ausstellung unter dem Titel „The International Style: Architecture Since 1922“ ein. Nicht allein der Titel prägt einen Begriff für die funktionalistische Architektur. Darüber hinaus beeinflusst der Ausstellungskatalog die Ansichten und Debatten um die Entwicklung der Architektur, zum Mindesten von heute aus gesehen. In dem Buch würdigen die Autoren den Architekten aus Celle. Otto Haesler sei „der bedeutendste Siedlungsarchitekt in Deutschland, vielleicht in der Welt, seit Deutschland andere Nationen in der Lösung der Siedlungsprobleme weit überholt hat.“ Retrospektiv formuliert es die Otto Haesler Stiftung bündig, „dass in Celle in den 20er Jahren städtebauliche Premieren stattgefunden haben.“ Haesler realisiert 1923/24 zusammen mit Karl Völker in Celle die erste farblich gestaltete Siedlung namens Italienischer Garten. Eine andere Uraufführung – zwischen Grünstreifen giebelständig zur Straße ausgerichtete Wohnzeilen – platziert Haesler in der Siedlung Georgsgarten: „Die Vorteile sind so einleuchtend, dass man sich erstaunt fragt, warum man noch nicht allgemein zu diesem Prinzip übergegangen ist“, schreibt der Designer und Kunsthistoriker Walter Dexel 1928 darüber. Die voluminösen Trabantensiedlungen der 1960er Jahre werden dies in einem kaum erwartbaren Ausmaß variieren. halten, dennoch unter den Maßgaben Licht, Luft, Sonne praktisches Wohnen zu ermöglichen – bis in die Details einer Einbauküche. Ein Ausgangspunkt, der bereits in dem erwähnten Katalog aus New York zur Sprache kommt: Haesler „besteht darauf, dass auch die billigsten Bauwerke als Kunstwerke behandelt werden“. Dass diesen Kunstwerken ein erzieherischer, fürsorglicher Gedanke innewohnt, liegt auf der Hand. Sobald man von einer Einbauküche spricht, muss man einen kleinen Exkurs zu dem Muster aller Einbauküchen einfügen, einen Schritt in die „Frankfurter Küche“ setzen, entworfen 1926 von der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky im Auftrag des Frankfurter Stadtbaurats Ernst May. Sie arbeitet mit weiteren Mitarbeitern im Hochbauamt in der Abteilung T für Typisierung. Darum geht es: Auf den Prinzipien Rationalität und Funktionalität möglichst kurze, vorher mittels Stoppuhr ausgerechnete Abläufe zu schaffen, „die Arbeit der Hausfrau rationeller zu gestalten“. Ein zweiter Grund entspricht den damaligen Vorstellungen: Man möchte gleichsam Wohnen und (Küchen-) Arbeit trennen, Quadratmeter gewinnen, um die engen Wohnverhältnisse sinnvoll zu nutzen und gut auszustatten – einschließlich Bügelbrett. Mehr als zehntausend Küchen werden in unterschiedlichen Varianten eingerichtet. Dass damit die Wohnküche abgeschafft wird, ist nicht jedem recht. „In Berlin kommen auf jede Wohnung dreizehn Personen: drei, die darin wohnen, und zehn, die draußen darauf warten, dass sie f rei wird . Zu d iesem Beh u fe – u n d auch, damit die Beamten zu tun haben und damit wir wissen, wie e i ne Beh ö rd e au ssieh t, u n d ü b erhaupt –: zu diesem Behufe schuf Go tt d ie Wo h n u n g sämter.“ Anschließend, von Mai 1930 an, wird die zweigeschossige Siedlung Blum- P et e r Pa n t e r a lia s K u r t Tu c h o ls k y, läger Feld mit einem zentralen Wasch- und Badehaus geschaffen, in der Haesler konsequent seine Vorstellungen umzusetzen vermag: neben der Stahlskelettbauweise und der Typisierung der Grundrisse tragen strikte Rationalisierung und Industrialisierung wesentlich dazu bei, die Kosten niedrig zu 1929 P ra g e r Ta g e b la t t , 1 7 . J u n i 1 9 2 3 Zurück nach Celle in die Siedlung Blumläger Feld. Auch hier führt die Generallinie, für die unteren Schichten tragbare Mieten zu ermöglichen, zu einem umstrittenen Ergebnis. Um ein Beispiel auszuwählen: Ein Mitteleuropäer im 21. Jahrhundert dürfte zunächst so instinktiv wie empört den Kopf schütteln bei der Vorstellung eines Kinderzimmers mit sechs Quadratmetern Grundfläche. Wir halten es für unzumutbar. Sobald wir uns jedoch eine Wohnungszählung in der Weimarer Republik aus dem Jahre 1927 in Erinnerung rufen, die besagt, dass jede sechste Mietwohnung Untermieter hatte, dass über eine Million Haushalte ohne eigene Wohnung waren, mildert sich das Unverständnis. Von einem Kinderzimmer war weithin keine Rede. Aus diesem Blickwinkel gewinnen die Kleinstwohnungsprogramme eine gewisse Plausibilität. Im Vorgriff des Projekts schreibt Haesler – in der charakteristischen, Entschiedenheit signalisierenden Kleinschreibung – am 13. Juni 1927 an den Regierungspräsidenten, er habe „seit einiger zeit ein siedlungsprojekt in arbeit, welches die unterste grenze einer einwandfreien und doch zeitgemäßen billigsten kleinstwohnung festzulegen versucht.“ Und der Celler Oberbürgermeister sekundiert ein Jahr später hinsichtlich der Frage, „wie man Armen, die nicht mehr als 4-5 M Miete wöchentlich aufzubringen vermögen, hygienisch einwandfrei und doch gemütvoll zu eigener Behausung verhelfen kann. […] Die Lösung, die Haesler sucht, ist so verblüffend einfach, dass man sich vergeblich fragt, warum man nicht selber auf die Gedanken gekommen ist.“ Mündlichen Berichten zufolge sei man damals von der Einschätzung ausgegangen, die Siedlung würde zwischen dreißig und fünfzig Jahre überdauern. Insofern ist es am Ende des 20. Jahrhunderts höchste Zeit, eine sorgfältige Erneuerung und Sanierung in Angriff zu nehmen. Ein heftiger Streit entbrennt, puristischer Erhaltungswillen versus kühl berechnende Wirtschaftlichkeit. In Abstimmung mit der Denkmalbehörde restauriert die Städtische Wohnungsbau GmbH das Ensemble in drei Abschnitten von 1997 bis 2006. Die charakteristischen Merkmale bleiben weitgehend erhalten, gleichwohl sind nicht alle Interessengruppen von dem Resultat angetan. Grundbaustein das Element G bildet, ein Einfamilienhaus mit drei Zimmern. Deren zweigeschossiger Kern ist einem drei mal drei Meter großen Wohnzimmer vorbehalten, das dreiseitig von eingeschossigen Raumzellen gefasst wird. Sie sind aus einem Fundus von acht Varianten zu wählen. Von der geplanten Bauhaus-Siedlung Am Horn in Weimar kommt das von Georg Muche entworfene Musterhaus zur Ausführung. Die Spannweite der Vielzahl an Aktivitäten reicht von pragmatischen Vorhaben wie der von der Gemeinnützigen Osnabrücker Bauverein errichteten Siedlung Wersener Straße mit schließlich 1 044 Wohnungen, entstanden zwischen 1918 und 1930, oder der Siedlung Liststadt in Hannover, für die zwei Baumeister und zwei Architekten 1928 die Liststadt Wohnungsbau GmbH gegründet hatten, bis nach „Ugrino“. Letzteres sei stellvertretend genannt für eine Facette der lebensreformerischen Bewegung nach einem experimentellen, ja, spirituellen Konzept. Angeführt von dem Schriftsteller Hans Henny Jahnn ist Ugrino „Glaubensgemeinde, Künstlervereinigung, Verlag, literarischer fiktionaler Ort sowie konkretes Bauvorhaben“ (Hilde Strobl, „Architektur, wie sie im Buche steht“). Ein riesiges Grundstück in der Lüneburger Heide ist angekauft, Pläne sind bis ins Detail angefertigt, doch kommt es nicht zur Ausführung. Was die erwähnten Projekte illustrieren, fasst der Architekturkritiker Gert Kähler in seinem Text „Wohnung und Moderne“ zusammen: „Und dennoch ist eines bei einer Bewertung der zwanziger Jahre zu berücksichtigen, das die kritischen Anmerkungen überragt: Wohnung und Wohnungsbau wurden mit einer nie wieder erreichten Intensität und Bandbreite diskutiert und experimentell erprobt. Was in diesen zehn Jahren in dieser Hinsicht geleistet wurde, ist bis heute nicht nur nicht wieder erreicht worden, sondern das, was damals diskutiert und vorgeschlagen wurde, ist bis heute nicht einmal völlig aufgearbeitet.“ Statt das Schlaglicht auf Celle zu werfen, ließen sich weitere Beispiele für „Ugrino“ kann als Stichwort dienen, zusammenfassend daran zu erinnern, dass neben und mit der dominanten Gartenstadtbewegung zahlreiche Spielarten des Wohnungsbaus in der Weimarer Republik vorstellen, Manifeste, Kampfschriften, Theorien, Grundsatzprogramme die hier lediglich angedeutet sein können. Ein Projekt des „Neuen Bauens“ entwerfen Mitarbeiter von Walter Gropius. Unter dem Postulat „Baukasten im Großen“ entwerfen sie Serienhäuser, deren seit Beginn des 20. Jahrhunderts die offensichtlichen, spürbaren Konflikte in Architektur und Städtebau zur Sprache bringen, auf sie reagieren und für Lösungen argumentieren. Erlebt man die Städte als unübersichtliche Mixtur 1930 G G durch Kinder verschärft wird, M e n sch en kräfte ü b ersteig t.“ G e o r g e B e r n h a rd S h a w, „ We g w e i s e r f ü r d i e i n t e l l i g e n t e F r a u z u m S oz i a lis m u s u n d K a p it a lis m u s “ , 1 9 2 8 aus Mietskasernen, Hinterhöfen, engen Straßen, wächst der Wunsch nach dem Kontrast, nach einem Geflecht überschaubarer Strukturen und getrennter Funktionen. Teils wirken die Thesen und Forderungen ins Geschehen ein, teils werden sie in die Praxis umgesetzt, teils sind es immerhin Anstöße zu fruchtbaren Auseinandersetzungen. Einen späterhin maßgeblichen Beitrag leistet die 1928 gegründete Gruppe CIAM, eine Vereinigung international angesehener Architekten wie Walter Gropius, Gerrit Rietveld, Hannes Meyer und Mart Stam, unter Federführung von Le Corbusier. Mitbegründer und Generalsekretär von 1928 bis 1956 ist der Schweizer Architekturhistoriker Siegfried Giedion. In einer 1929 publizierten Schrift mit dem Titel „Befreites Wohnen. 86 Bilder“ formuliert er programmatisch: „SCHÖN ist ein Haus, das unserem Lebensgefühl entspricht. Dieses verlangt: LICHT, LUFT, BEWEGUNG, ÖFFNUNG.“ Die Weltwirtschaftskrise 1929/30 zeitigt binnen kürzester Frist nicht allein in Deutschland dramatische Auswirkungen im Wohnungsbau. Er kommt nahezu zum Erliegen. Der Mangel kulminiert wie bereits in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg in einer akuten Wohnungsnot. Abermals wächst das Elend für viele Familien. Auf dem IV. Kongress der CIAM 1933 wird die „Charta von Athen“ verabschiedet, das Ergebnis der Diskussionen unter Stadtplanern und Architekten zu dem Thema „Die funktionelle Stadt“. Nach der Veröffentlichung während des Zweiten Weltkriegs 1941 bleibt die (öffentliche) Wirkung der Vorschläge marginal, um so schwerwiegender greift sie in die Nachkriegszeit ein. Sowohl das Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ in den 1950er Jahren als auch das im anschließenden Jahrzehnt dominierende Leitbild der „autogerechten Stadt“ werden – zustimmend oder ablehnend – in Verbindung gebracht mit den Analysen, Forderungen und nun von Le Corbusier kommentierten Lehrsätzen der Charta von Athen. Die Charta, zumal nach der Veröffentlichung in deutscher Sprache 1962, zählt zu den Bezugspunkten für das „Unbehagen an der Moderne“. „ Die Wahrheit ist eben d i e , d a s s da s E he l eben in ei ner Ei n z i m m er- „Blut und Boden“ – Mitnichten ist die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 ein eklatanter Bruch in der Wohnungsbaugeschichte. Im „Dritten Reich“ wird es weder eine einheitliche Wohnideologie noch eine einheitliche Wohnungspolitik geben. Während die NS-Ideologie seit langem mit dem Begriff des „zersetzenden Kulturbolschewismus“ auch gegen die sachlichen, kargen Erscheinungsformen moderner Architektur polemisiert, verwendet das Regime wesentliche Elemente des Neuen Bauens – unmissverständlich im Dienste kriegerischer Zwecke und unter rassistischen Vorzeichen, welche die Veränderungsprozesse biologistisch deuten. In Salzgitter und in Wolfsburg, vielmehr: in der „Hermann-GöringStadt“ und in der „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“, werden zwischen 1938 und 1944 in unterschiedlichen Nuancen räumliche Modelle aus dem Boden gestampft, die, wie Werner Durth zusammenfasst, „paradigmatisch die Überlagerung und Transformation der aus den Reformdebatten der zwanziger Jahre selektiv übernommenen Stadtkonzepte“ zeigen. Zunächst setzt die Reichsregierung – der eigenen Propaganda von der ideologisch verbrämten „Heimstätte“ gemäß – den Kleinsiedlungsbau in ländlichen Gebieten und Vorstädten um, weil er „geeignet ist, den deutschen Arbeiter wieder mit dem Heimatboden zu verbinden“. Vollmundig wird den Angehörigen der unteren Bevölkerungsschichten ein ‚kleines Häuschen‘ versprochen – vorausgesetzt allerdings, man erfüllt die Persönlichkeitsprüfung zur Zufriedenheit, die „arische Abstammung“, die „Ehrbarkeit“, die „Erbgesundheit“ - Formeln aus dem Wörterbuch des Schreckens. Diejenigen, die das NS-Regime als Juden definiert und deren systematische Vernichtung sie vorsieht, werden enteignet, ghettoisiert, in Lager deportiert, ermordet. Die Verfolgung hinterlässt verfügbare, lukrative Wohnungen und Häuser, Fabriken, Handelsgeschäfte und Praxen, gleichsam Sachwerte durch den „Horror des Holocaust“ (Hans-Ulrich Wehler). „Gleichschaltung“ – Während 1933/34 bei den Wohnungsgenossenschaften die Aufsichts- und Vorstandsgremien mit Gewährsleuten des wohnung, selbst wenn e s n i c h t 1931 NS-Regimes besetzt werden, treten als Träger des nationalsozialistischen Siedlungsprogramms die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften auf, die als „staatsnaher Wirtschaftszweig“ der Reichsregierung unterworfen und zur Mitgliedschaft im Hauptverband der Deutschen Wohnungsunternehmen verpflichtet worden sind. Unter der Kontrolle und Leitung des Reichsstättenamts erhalten sie den Auftrag, überwiegend jene Kleinwohnungen mit einer Wohnfläche unter 75 Quadratmetern zu erstellen. Zugleich verwendet der ideologische Diskurs eine – selbstverständlich „völkisch“ ausgedeutete – Variante des Modells der Gartenstadt. Das Großprojekt einer „Mustersiedlung“ der Deutschen Arbeitsfront (DAF) in Braunschweig-Mascherode, zwischen 1936 und 1942 errichtet, verkörpert die von Paul Schultze-Naumburg, einem Protagonisten der Heimatschutzbewegung, geforderte „Kunst aus Blut und Boden“: Kritik am Moloch Großstadt in Gestalt einer für etwa 6 000 Bewohner konzipierten Siedlung, dominiert von dem wuchtigen „NSDAP-Gemeinschaftshaus“. In unterschiedlichen Standards für Vertreter aus unterschiedlichen Bevölkerungsschichten und Berufen sollen die Wohnhäuser mit Putzfassade und steilem Satteldach ihren Beitrag zur „Harmonisierung“ der Gesellschaft leisten. Nach wenigen Jahren scheitert das Programm der Kleinsiedlungen nahezu vollends. Im Zuge der Aufrüstungspolitik schwenkt das Regime stattdessen um auf den Neubau von kleinen und billigen „Volkswohnungen“, zumeist am Rande der Industrieanlagen. „ Die Aufgabe heißt, die i n d e r Durch einen „Führererlass“ wird im November 1940 Robert Ley, Leiter der DAF, zum „Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau“ ernannt, eine Wortschöpfung, die in den nächsten Jahrzehnten zu einem zentralen Begriff erhoben wird. Ley hat in der DAF seit 1934 viele Mitarbeiter aus der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft und aus den im Mai 1933 zerschlagenen Gewerkschaften zusammengezogen. Nun wird das Wohnungsund Siedlungsbauwesen allein von der DAF aus angewiesen: Rationalisierung, Typisierung, Normung, Standardisierung – so total wie der Krieg, der zum Endsieg führen soll. Der inneren Logik entsprechend zählt zu den Aufgaben der DAF-Abteilung, den Wohnungsbau im Reich wie in den eroberten Ostgebieten für die Zeit nach dem Sieg vorzubereiten, die Gründung ganzer Städte inklusive. Unter dieser Prämisse bearbeiten ebenfalls diejenigen Planer, die der Heimatschutzbewegung zuzurechnen sind, Siedlungsaufgaben für die „kleinen Leute“, verbinden also die neuen technischen Aufgaben eines seriellen Wohnungsbaus mit traditionellem Anstrich. Die umgesetzten Pläne basieren auf historischen Bautypen, auf der Methode des „typologischen Entwerfens“ und auf der vorgegebenen Vereinheitlichung des Siedlungsbildes. „Wichtig war ihnen die Nähe zum Handwerk und die Vermeidung von Monotonie bei Wiederholung immer gleicher Formen“, beschreibt Gerhard Fehl die Vorgehensweise: „Wegen der im Siedlungsbau als bedeutsam erachteten Erziehungsaufgabe musste der verwendete Formenschatz auch bei fortgeschrittener Rationalisierung – Typisierung von Grundrissen, Normung von Bauteilen – historisch-landschaftlichvölkisch begründet bleiben.“ S tadt gegebene Häufun g v o n Statt des Endsieges naht die militärische Niederlage, die bedingungslose Kapitulation. Das nach dem Angriffskrieg weitgehend zerstörte Land wird unter den Besatzungsmächten aufgeteilt, die Zukunft ist ungewisser denn je. Doch entgegen der verbreiteten Ansicht schlägt keine „Stunde Null“. Der Wiederaufbau wird sich maßgeblich auf Konzepte, Pläne, Vorstellungen stützen, die in den Jahren zuvor erdacht und – aus welchen Gründen auch immer – von offizieller Seite befürwortet, gefördert und teilweise realisiert worden sind. Diese Kontinuitäten sagen natürlich nicht, all die Planer seien – mehr oder weniger unterschwellig – mit der Nazi-Ideologie einverstanden Menschen und Arbeitss t ä t t e n s o z u gesta lten, daß die g e g e n d i e S ta d t e rhobenen Vor wü r f e en tk räftet werden; das Le b e n d e s S tädters muß wieder ge s u n d u n d l ebenswert werden. De r G e d a n k e d er Stad tlandschaft wi l l d i e s e F o rd e rung er fül l en.“ W i l h e l m Wo r t i n d e r Z e i t s c h rift „Rau mfor s c h u n g u n d R a u m ordn u n g “, 1 9 4 1 1932 gewesen. Mehr als eine These dürfte es sein, dass viele sich als Fachleute verstanden haben, die sich technokratisch auf scheinbar objektive, wissenschaftlich verifizierte Kriterien berufen. „ Asyl für Obdachlose. – W i e e s mit dem Privatleben he u t e b e s t e l l t i st, ze ig t sein Schaupl at z an . E i ge ntlic h kann man übe r h au pt n i ch t Der tägliche Hunger wird durch die Vergabe von Lebensmittelmarken geregelt und gelindert, aber nicht gestillt, während der Schwarzmarkt blüht, auf dem getauscht wird oder bezahlt in der Zigarettenwährung. Hermann Glaser wirft in seinem Buch „Deutsche Kultur 1945 – 2000“ einen Blick von oben: „Auch wenn Luftaufnahmen zerstörter Städte kaum vermuten lassen, dass in den Kraterlandschaften und ausgebrannten Häuserzeilen noch Menschen lebten – sie lebten dort, lebten wieder dort […].“ mehr wohnen. Die trad i t i o n e l l e n Eine Statistik besagt, dass 50 Prozent aller Wohnungen mit zwei Haushalten belegt sind. Wohnungen? Oft ist einzig der Keller bewohnbar. Eine halbwegs taugliche Bleibe – Kategorie „Notwohnungen“ – mag in einem Behelfsheim oder einer Baracke, in einem Bunker oder einer Wohnlaube, in einer Bretterbude oder in einem Wohnwagen zu finden sein. Oder man bekommt Unterkunft in einer jener Nissenhütten zugeteilt, ein Provisorium aus Wellblech mit halbrundem Dach. Die Kategorie „Unterkünfte“ umfasst Lager, Fremdenheime, Gasthäuser, Turnhallen. Wer das Glück hat, dass seine Wohnung erhalten geblieben ist, der trifft auf Fremde, die dort untergebracht worden sind. Weitere Zahlen, welche die Not lediglich abstrakt und unzulänglich andeuten: In der britischen Zone, bestehend aus den späteren Bundesländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Hamburg, sind 1946 rund ein Drittel der etwa 22 Millionen Einwohner Flüchtlinge und Vertriebene. Im Rahmen der „Zwangswirtschaft für Wohnraum“ verfügt die Militärverwaltung, dass alle Häuser, die nicht mehr als 60 Prozent zerstört sind, instandgesetzt werden sollen. Wo hnungen, i n denen w i r groß gewo rd e n sind, haben etw as Unerträgliches angeno m m e n : j eder Zug des Behagen s d a r i n i s t mit Ve rrat an der Er kenn tn i s , j ed e Spur der Geborgenh e i t m i t d e r muffigen Interessengem e i n s c h a f t de r Fa m ilie bezahlt. Die n eu s ach l i chen, die tabula rasa g e m a c h t h aben, sind von Sachve r s t ä n d i g e n f ür Banausen angeferti g t e E t u i s , o der Fabrikstätten, die s i c h i n d i e Ko ns um sphäre ver ir r t h aben , oh n e alle Beziehung zum B e w o h n e r : n o c h d e r Sehnsucht na ch u n abh ä ng ig e r Exi stenz, die es oh n eh i n n ic ht m ehr gi bt, schlag en s i e i n s der Wiederaufbau wie eine Lichtjahre entfernte Utopie. Einhundert Jahre werde es dauern, bis Deutschland wieder aufgebaut wird, meint Walter Gropius, der 1948 aus der Emigration anreist. Was also ist zu tun? Wie sind die dringlichen Bedürfnisse zu stillen? Scheinbar unversöhnlich, sind sich die traditionelle und die moderne Schule unter den Stadtplanern und Architekten insoweit einig, dass sie die Gründerzeitstadt aus dem 19. Jahrhundert „mit ihren licht- und luftlosen Hinterhöfen“ ablehnen. Sie ist zum „Schreckensbild der Vergangenheit“ geworden und soll „auf keinen Fall mehr auferstehen“, schreibt der Herausgeber Hans-Reiner Müller-Raemisch in dem Vortragsband „Leitbilder und Mythen in der Stadt- Unter diesen Umständen erscheint vielen G e sic ht. […] Es gibt ke i n r i ch ti ges L e b e n im fal schen.“ Th e o d o r W. A d o r n o , M i n i m a Moralia, 1 944/1951 Die Städte liegen in Trümmern, viele sind durch die Bombenangriffe zu weit mehr als der Hälfte zerstört, zahllose Tote sind zu beklagen. Die Evakuierten kehren nun in Massen zurück, und auch die ersten Flüchtlinge und Vertriebenen verschlägt es in die Städte, sowie die Soldaten, die nicht in Gefangenschaft geraten sind. 1933 planung 1945 – 1985“. Doch schon bei der Frage „Baublock oder Zeile“ trennen sich die Ansichten: „der Block mit der alten Korridorstraße war die Sache der Traditionalisten, der Zeilenbau mit dem ‚fließenden Raum‘ die der Modernen.“ Da die Verwirklichung lebenserfahrungsgemäß anders ausfällt als die Theorie es sich wünscht, Geldmangel und Wohnungsnot dazu zwingen, auf Ideallösungen zu verzichten, gestaltet sich auch die Epoche der Nachkriegszeit komplexer, mit breiten Variationsspielräumen einerseits, andererseits herrscht auch in dieser Phase die architektonische Gewohnheit: einfache Neubauten schließen die zahlreichen Lücken und werden für das Stadtbild bestimmend. Und dass die Besitzverhältnisse von Grund und Boden stets eine Gretchenfrage darstellen, im Großen wie im Kleinen Vorgaben oder Änderungszwänge erfordern, ist obendrein gewiss. Dennoch lässt sich verallgemeinernd von einer parallel verlaufenden Stadtplanung in der Bundesrepublik sprechen: die „Innenstädte mit ihren festgefügten Parzellengrenzen und ihrem noch vorhandenen intakten Straßennetz für die ‚Traditionalisten‘, die großen Neubausiedlungen auf der grünen Wiese für die neuen Formen der ‚Modernisten‘.“ „ Bauen und Denken sin d j e w e i l s n ach ihrer Art für das Wo h n e n u numgänglich. Beide s i n d a b e r auc h unz ulänglich für d as Woh n en , s olange sie abgesonde r t d a s I h re b etreiben, statt aufeina n d e r z u h ören. D ies vermögen s i e , w e n n be id e , B auen und Denk en , dem Wohnen gehören, in ihre n G re n z e n b leiben und wissen, da s s e i n e s wie das andere aus der We r k s t a t t e iner langen Erfahrung u n d republik der Wohnungsbau einen steilen Anstieg. Die Wohnungsbaugeschichte in der DDR entwickelt sich unter abweichenden Ausgangslagen auf unterschiedliche Weise, sie zu schildern bedürfte einer gesonderten Darstellung. Auf dem Territorium der BRD tritt das Erste Wohnungsbaugesetz am 24. April 1950 in Kraft, schon Mitte der 1950er Jahre werden – jährlich! – mehr als eine halbe Million Wohnungen geschaffen, überwiegend im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus, der wiederum von gemeinnützigen und teils neu gegründeten kommunalen Gesellschaften getragen wird. Dies ist noch nicht der Höhepunkt. Als Konrad Adenauer, Bundeskanzler seit der Gründung, 1963 zurücktritt, werden es in dem Jahr mehr als 600 000 Wohnungen sein. Nunmehr wird der Wiederaufbau Westdeutschlands als nahezu abgeschlossen betrachtet. Das Bauen unter dem Diktat des Mangels ist endgültig passé. Bemerkenswert sind die Bedingungen der staatlichen Objektförde- rung, die der Bauherr einzuhalten hat, möchte er die angebotenen zinslosen oder zinsgünstigen Darlehen für sein Vorhaben in Anspruch nehmen, wie dem Band „Wohnkultur in gesellschaftlicher Verantwortung“ zu entnehmen ist: In den Auflagen verlangt der Kreditgeber eine schlichte und funktionale Ausstattung, eine Wohnungsgröße zwischen 32 und 65 Quadratmetern und einen von 0,60 bis 1 Mark pro Quadratmeter betragenden Richtmietzins. Viertens dürfen die Mieter ein bestimmtes Einkommenslimit nicht überschreiten, das unter der Verdienstgrenze in der Angestelltenversicherung liegt. Fünftens üben die kommunalen Wohnungsämter ihren Einfluss auf die Vergabe der Sozialwohnungen aus, indem sie Berechtigungslisten zusammenstellen, aus denen der Bauherr seine Mieter auszusuchen hat. Sechstens schließlich erhalten die Mieter einen besonderen Kündigungsschutz. Obschon die Auflagen den Gestaltungsspielraum merklich einengen, erhöhen sie gleichzeitig den Standard: Fernheizung, ein eigenes Bad und ein Kinderzimmer sind dazumal keineswegs selbstverständlich. Ein we bis wie wir u na b lä ssi gen Übung ko m m t . “ M ar tin H eid e g g e r, B a u e n Woh n en D en ken , 1 951 Im Anschluss an die Währungsreform im Juni 1948 und nach Gründung der beiden deutschen Staaten ein Jahr später nimmt in der Bundes- 1934 Ein Aspekt aus der Legislative: Während im erwähnten Ersten Wohnungsbaugesetz das Augenmerk auf „die Wohnraumbeschaffung für die Heimatvertriebenen und die übrigen Bevölkerungsgruppen“ gelegt wird, die ihre Wohnungen „durch Kriegsfolgen verloren“ haben, formuliert 1956 das Zweite Wohnungs- 1935 „ D ie g a n ze Mater i e Stadt en t w i ckl ung seit dem Kriege is t l e i d e r s o v erworren und komplex , d a s s m a n da rüb e r gar nicht genug di s ku t i eren kann, um etwas Lic h t i n d i e Ha n s - R e i n e r M ü l l e r- R a e m i s ch, Wenig später steuert Reichow ein weiteres Standardwerk zu den herrschenden Debatten bei: „Die autogerechte Stadt. Ein Weg aus dem Ver- M är z 1989 kehrs-Chaos“ erscheint 1959. Zudem erhält das kommende Jahrzehnt S a c he zu br i ngen [...]“ nhundert Jahre erde es dauern, s Deutschland eder aufgebaut rd. baugesetz das Ziel, Wohnraum für „die breiten Schichten der Bevölkerung“ zu schaffen und löst einen Bau-Boom für Eigenheime von Familien mit geringerem Einkommen aus. Das erste und einflussreiche Lehrbuch des Städtebaus in der Bundesrepublik erscheint 1948 unter dem Titel „Organische Stadt-baukunst“, dessen Ziel, eine Versöhnung von Stadt und Natur, mit dem Unter-titel „Von der Großstadt zur Stadtlandschaft“ formuliert ist. Der Autor Hans Bernhard Reichow ist 1940 durch sein städtebauliches Konzept für Stettin, in dem er bereits den Plan einer „Stadtlandschaft“ entwickelt, in Fachkreisen bekannt geworden. Noch während der NS-Zeit hatte Konstanty Gutschow, mit der Neugestaltung Hamburgs beauftragt, Reichow als Gutachter für die städtebaulichen Planungen hinzugezogen: „Gemeinsam entwickeln sie dort das Konzept einer stadträumlichen Gliederung in einzelne Siedlungszellen fort, für deren Größenbemessung die NS-Ortsgruppe zugrunde gelegt wird“, fasst Jan Lubitz auf der Web-Site architekten-portrait.de zusammen. Nach dem Krieg realisiert Reichow neben vielen anderen Projekten von 1954 an bis in die frühen 1970er Jahre eine beispielhafte Großsiedlung „auf der grünen Wiese“ für 30 000 Einwohner, die Sennestadt in Bielefeld: Das Rathaus als Turmhaus am See, weitere Hochbauten korrespondieren mit der Landschaft und der Topografie. Als ein Merkmal erschließt ein kreuzungsarmes, mit Grünflächen durchzogenes System aus Stich- und Sammelstraßen die Siedlung, die Verkehrsflächen für Fußgänger, Radfahrer und Autos sind voneinander getrennt – „organische Wachstumsgesetze“, auf die Stadtstruktur übertragen. Bereits in der Planung werden zudem verschiedene Wohnformen berücksichtigt, um eine gemischte Bevölkerungsstruktur zu erreichen. In mikroskopischer Größe wird der Stadtplan von Sennestadt 1956 zusammen mit fünf anderen auf der Briefmarke für den XXIII. Internationalen Kongress für Wohnungswesen und Städtebau in Wien verewigt. Via Google Earth kann man inzwischen den vorgeblich realistischen Blick aus der Vogelperspektive auf die Siedlung werfen. Die geschwungenen Linien der Straßen, die bestimmenden Grünanlagen, der hufeisenförmige See – Boten, Restbestände, Halluzinationen einer das Organische nachahmenden Struktur. damit ein schlagkräftiges Motto für die nächste Phase der bundesrepublikanischen Stadtentwicklung. 1956 sind in der Bundesrepublik etwa 1,3 Millionen PKW und etwa eine halbe Million LKW zugelassen. Es werden über 12 000 Menschen im Straßenverkehr getötet und mehr als 360 000 Menschen verletzt. Diese Zahlen bedeuten eine viermal höhere Todesrate je Fahrzeug als die in den USA. Im Jahre 2008 – es sind mehr als 40 Millionen PKW zugelassen – wird die Zahl der Verkehrstoten auf etwa 4 600 gesunken sein. Ein anderes Schlagwort liefert ein thematisch dem Erstling Reichows verwandtes, 1957 publiziertes Fachbuch im Nachhinein. Es trägt den Titel „Die gegliederte und aufgelockerte Stadt“ und ist verfasst von Johannes Göderitz, Roland Rainer und Hubert Hoffmann, eine Arbeit, wie es im Geleitwort heißt, die „bereits im Zweiten Weltkrieg abgeschlossen war“. Einige Zeilen aus dem Buch: „Ist der Stadtkörper durch und durch gesund, so werden auch die in ihm lebenden und ihn bildenden Menschen gesunden Sinnes sein.“ Mithin sind wesentliche Züge der planerischen und architektonischen Diskussion bis um 1960 längst vor dem Kriegsende vorbereitet worden, zugleich ist darin gespiegelt die weiter oben erwähnte „Charta von Athen“ der Gruppe CIAM, stellvertretend für bestimmende Linien der Stadtplanung in einem Großteil der westlichen Staaten. „Die sogenannten ‚organischen‘ Systeme kö n n en sich n ich t an passen. Sie sind Verfestigungen von Augenblickszuständen, die de r Bewo h n ersch aft kein e Wah lmöglich keit o ffen lassen . Demgegenüber bieten Gebilde, die w e it wen ig er ‚o rg an isch ‘ au ssehe n, ein e viel g rö ß ere Au stau sch und Verflech tu n g smö g lich keit.“ L. Bu rc k h a rd t , 1 9 6 2 1936 Mustergültiges präsentiert die Bauausstellung auch in puncto Inneneinrichtung. Einbauküchen und Einbauschränke für den sozialen Wohnungsbau werden vorgestellt, Regalsysteme in zerlegbaren Elementen sowie Kunststoffe im Wohnbereich. Leichte, kleinere Möbel zieren den Wohnraum, aus dem die Deckenlampe verbannt und durch Steh- und Tischlampe ersetzt wird. 1957, im selben Jahr als das Buch erscheint, wird zur feierlichen Eröffnung der Internationalen Bauausstellung in (West-)Berlin die Komposition „Perspek- tiven I“ op. 55 für großes Orchester von Max Baumann zu Gehör gebracht. Im Rahmen eines Wettbewerbs haben namhafte Architekten, darunter Alvar Aalto, Egon Eiermann, Le Corbusier, Oscar Niemeyer, Walter Gropius, mit ihren Entwürfen das südliche Hansa-Viertel gestaltet – klare, ornamentlose Architektur in gegliederten, aufgelockerten Raumkompositionen. Ausblicke und Einblicke für die „Stadt von morgen“, lautet die Botschaft an die Zeitgenossen, die zugleich wie eine Antwort auf das aufwändige Projekt namens Stalinallee im Osten der Stadt zu verstehen ist, als Symbol für die freiheitliche westliche Gesellschaft. Wie in einer Leistungsschau werden die unterschiedlichen Wohnungsbautypen vorgeführt: hoch aufragende Punkthochhäuser, acht- bis zehngeschossige Scheibenhochhäuser, Zeilenbauten, Mehrfamilienund Einfamilienwohnhäuser, rhythmisch eingeordnet in eine begrünte Landschaft, während Restaurants, Läden, Kino und U-Bahnstation in niedrigen Flachbauten zentral untergebracht sind. Leitbilder sind Mythen sind Entwicklungslinien sind Moden sind ... Werden die 1950er Jahre des „Wirtschaftswunders“ retrospektiv in Enge und Muff porträtiert, in Biederkeit und Tristesse, entfaltet sich im Anschluss allmählich eine Ära der Unruhe, des Umbruchs und Aufbruchs, die späterhin in den zahllosen Facetten der 68er-Bewegung vielen geradezu bedrohlich erscheint, zumal der Soundtrack mit Songs von den Beatles, den Rolling Stones und Jimi Hendrix in den Ohren dröhnt. Als Ende 1970 – der Krieg in Vietnam wird noch fünf Jahre dauern – im Frankfurter Westend erstmals Häuser besetzt werden, die trotz Wohnungsnot leer stehen – ein Zustand, der nicht bloß für die Bodenspekulanten lukrativer ist – rüttelt auch das an den Grundfesten der Republik. Doch in weiten Teilen der Bevölkerung währt der Fortschrittsglaube und wird einmal mehr bestätigt, als der Erdbewohner Neil Armstrong 1969 die ersten Schritte auf dem Mond hüpft. Die unscharfen Live-Bilder, die zugleich den Sieg des Westens im Wettlauf ins All propagieren, flimmern und rumpeln wie eine beinahe schon rückwärtsgewandte Metapher für Planbarkeit des schier grenzenlosen Gelingens. Neue Baustoffe wie Stahlbeton, neue Konstruktionsarten wie Schotten- und Kastenbauweise ermöglichen es, die Außenhaut frei von konstruktiven Zwängen zu gestalten. Eines der Ergebnisse sind sparsame, dennoch unkonventionelle Wohnungsgrundrisse. In vielen Häusern reichen die Wohnungen über anderthalb oder zwei Stockwerke. Ein genauer Blick von außen entdeckt in den Fassaden mit ihren verspringenden Geschosshöhen, mit Balkonen unterschiedlicher Breite und Zuordnung, mit Laubengängen oder offenen Treppenhausabsätzen die komplexe innere Struktur der meisten Wohngebäude. Zwei Jahre zuvor hat Vizekanzler Willy Brandt während der Funkausstellung in West-Berlin auf einen roten Knopf gedrückt: Nach und nach wird das Farbfernsehgerät zum Mittelpunkt im bundesdeutschen Wohnzimmer, zumal endgültig als Massenprodukt anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 1974, die der Gastgeber trotz mancher Schwächen am Ball gewinnt. Der finnische Architekt und Designer Alvar Aalto führt den „Allraum“ ein, ein vielseitig nutzbarer Wohn-, Arbeits- und Spielbereich im Mittelpunkt der Wohnung – Flexibilität, Helligkeit, Leichtigkeit, Transparenz lauten die Schlüsselworte. Wenig später wird Aalto im Bremer Stadtteil Neue Vahr für die Neue Heimat ein 65 Meter hohes Wohnhaus entwerfen, das zum Wahrzeichen der Siedlung und 1998 unter Denkmalschutz gestellt wird. Dem kollektiven Jubel war ein herber Schock vorausgegangen, der Boykott der Ölförderländer. An vier Sonntagen im November und Dezember 1973 hatte die Bundesregierung ein Fahrverbot verhängt, weil 1937 Är Un de br un br ra der nruhe, es Umruchs nd Aufruchs die Erdöl exportierenden Länder ihre Lieferungen gedrosselt und somit den Preis verteuert hatten. Die graue Ödnis auf dem Meer aus Schnellstraßen und Autobahnen dient eher als moralische Geste als dass sie ökonomischer Notwendigkeit entspringt. Gleichwohl illustriert sie eine Zäsur, die kurz zuvor ein „Bericht zur Lage der Menschheit“ des Club of Rome auf einen Nenner bringt: „Die Grenzen des Wachstums“. Quintessenz“ von Salins Überlegungen beschreibt Eisinger so: „Lebensweisen und Mentalitäten können nicht einfach als Resultanten bestimmter baulicher Konfigurationen verstanden werden, sondern verhalten sich dazu kontingent. […] Dichte und Durchmischung erhöhen zwar die Intensität und Häufigkeit von Kontakten, können aber einzig die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Verhaltensweisen erhöhen, programmieren aber lassen sich diese nicht.“ Wo bau als Fam „ J a mach n u r ein en Plan / sei n u r Doch zunächst die Rückblende und ein Schwenk in die Zunft der Architekten und Stadtplaner. Zu Beginn der sechziger Jahre legen sie die Schlagwörter Gliederung und Auflockerung zu den Akten. Vehement lehnt der mehr oder minder öffentliche Diskurs die Trennung der vier Funktionen Arbeiten, Wohnen, Erholung, Verkehr und die dadurch „hervorgerufenen Defizite an Erlebnismöglichkeiten“ ab (H.R. Müller-Raemisch). Stattdessen prägt den Zeitraum bis Mitte der 1970er Jahre das Label „Urbanität durch Dichte“. Der schillernde Begriff findet Eingang in die Diskussionen um die Entwicklung der Stadt, während der Bauboom weiterhin aufwärts zeigt. Unter dem Titel „Urbanität“ hält der Volkswirtschaftler und Soziologe Edgar Salin auf der Hauptversammlung des Deutschen Städtetags 1960 einen Vortrag, der unter den versammelten Architekten, Planern und Politikern auf erhebliche Resonanz trifft. Weshalb? Wie der Städtebauhistoriker Angelius Eisinger die Ausgangslage beschreibt, wird um 1960 in Fachkreisen „unumwunden zugegeben, mit den vorhandenen architektonischen und städtebaulichen Modellen der Komplexität der gestellten Aufgabe nicht gerecht werden zu können.“ Endlich glaubt man nun das fehlende Bindeglied zwischen Architektur und städtischer Gesellschaft gefunden zu haben, endlich kursiert ein Stichwort für die ersehnte Vielfalt im städtischen Leben, deren Mangel offenkundig ist. „Auf die griffige Formel von der ‚Urbanität durch Dichte‘ gebracht, postulierte man eine Neuausrichtung des städtebaulichen Denkens, das an die Stelle des formalen Schematismus räumlich-funktionaler Trennung und simpler wohnsoziologischer Konzepte Durchmischung und höhere bauliche Dichten setzte.“ Ein Missverständnis insofern, als Salin durchaus nicht für die bauliche Verdichtung per se votiert. Das Publikum habe „ein wesentliches Moment in Salins Argument übersehen, das bis heute wenig beachtet“ werde. Die „fundamentale 1938 ein großes Licht / und mach dann noc h ´ n en zweiten Plan / g eh ‘n tu n si e beid e n ich t …“ B ert o lt Bre c h t , „ Ba lla d e v o n d e r U nz ulä n g lic h k e it m e n s c h lic h e n St re b e n s “ Wagemutig streben die Planer und Architekten im Verbund mit der Bauindustrie und der Wohnungswirtschaft erneut an den Rand der Städte, wo mancherorts Siedlungen entstehen, deren schiere Größe einem beinahe den Atem verschlägt. Bauherren sind häufig die gemeinnützigen und kommunalen Wohnungsgesellschaften, denn sie sind es, die die Herausforderung zu bewältigen wissen. Zwar sind die Hochhäuser – in Scheiben, in Stufen, als Punkte – rhythmisch strukturiert und durchdacht gegliedert, im Wechsel mit Grünanlagen und unweit der vierspurigen Autobahn perfekt, effizient und praktisch, sozusagen theoretisch und am Reißbrett einwandfrei, leider jedoch in Dimensionen, die die vertrauten Maßstäbe sprengen. Unwillkürlich gerät eine Variante des herrschenden Schlagworts in den Sinn: „Rentabilität durch Dichte“. Die Maßstabsvergrößerung, die baulichen Großformen, die Stapelung und Verdichtung im Wohnungsbau der Industrie- und Schwellenländer sind aus mancherlei Gründen zu empfehlen, heißt es. Ein Motiv für die Ausmaße wird gespeist von den Prognosen: Die Einwohnerzahl wächst und wächst und wächst. Erst nach 1965, nach dem „Pillenknick“, sinkt die Geburtenrate in der BRD. Die Größe der Siedlungen beruht außerdem auf der simplen Berechnung, dass die sogenannten Versorgungsinseln andernfalls weder konkurrenzfähig noch lohnend seien – Ladenzentren, Kindergärten, Schulen, Post, eine Bücherei beispielsweise. Auch der Anschluss an das Netz des öffentlichen Nahverkehrs ohnungsupolitik gilt s ein Teil der milienpolitik. sei nur dann zu verantworten. Um die Trendwende von der ökonomischen Warte aus zu verallgemeinern: „Die anhaltende Konzentration von Kapital bringt neue Wirtschafts-, Produktions- und Handelsformen hervor und verlangt auch in der Stadtplanung die Einführung von baulichen und städtebaulichen Großformen.“ (H.R. Müller-Raemisch) Zu den Trabantenstädten, in der öffentlichen, mithin phrasenhaften Meinung einige Jahre später gleichbedeutend mit Brennpunkten für Probleme und Spannungen, gehören die Gropiusstadt in Berlin und Osterholz-Tenever in Bremen. Ein weiteres, vergleichsweise harmloses Beispiel schildert Siegfried Trogisch kenntnisreich in dem Buch „Ansichtssache“ zur Städtebaugeschichte Wolfsburgs: Westhagen, ein Stadtteil direkt an der A39 mit knapp 9 000 Einwohnern, dem der Volksmund den Spitznamen „Unbehagen“ verpasst. Gleichwohl, das miese Image der Großsiedlungen ist nicht lediglich den baulichen Fakten geschuldet, sondern auch der mangelhaften Mischung sozialer Schichten ihrer Bewohner, leidet zudem darunter, dass Vorurteile sich gern durch die mediale Übertragung bestätigen lassen: Ein Prozess, für den das Wort von der Abwärtsspirale verwendet wird. In die Zentren nicht nur der größten Städte drängen Kaufhäuser und Bürotürme. Der aufstrebende tertiäre Sektor, worunter Verwaltung, Handel und Dienstleistung zu verstehen sind, benötigt Flächen und trifft auf willige Kommunen, die ihre Etats vorwiegend aus dem Gewerbesteuertopf schöpfen. Teils wird flächendeckend abgerissen, was nicht mehr passt oder was dem Autoverkehr aus den Randgebieten im Wege steht. Die Kritiker, die häufiger Gehör finden, sprechen von „Kahlschlagsanierungen“. ihrem Plädoyer für das sogar zuweilen chaotische Geflecht der Funktionen trifft sie die Unzufriedenheit und Enttäuschung vieler, die das Verschwinden ganzer Viertel beklagen und als Verlust empfinden. 1963, im Jahr der Ermordung des US-Präsidenten John F. Kennedy, erfährt man auch auf Deutsch vom „Tod und Leben großer amerikanischer Städte“ und es sorgt für Furore. Wenig später veröffentlicht der Publizist Wolf Jobst Siedler das Buch „Die gemordete Stadt: Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum“. Das Quartett der maßgeblichen Veröffentlichungen komplettiert 1964 der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich, der bald als einer der geistigen Väter der 68er-Generation gelten wird: „Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden“. In wechselnden Geschwindigkeiten sinken die Wohnungsbauleistungen der gemeinnützigen Unternehmen bis fast in die Mitte der siebziger Jahre. Liegt der Anteil bei den Neubauten insgesamt zwischen 1949 und 1959 noch bei etwa einem Drittel, so wird er in den Jahren 1980 bis 1989 auf 8,5 Prozent fallen, vor allem, weil die staatliche Förderung schwindet. Wohnungsbaupolitik gilt als ein Teil der Familienpolitik. Was der oberste Dienstherr Paul Lücke, Bundesbauminister von 1957 bis 1965, mit dem Begriff Familie verknüpft, nimmt sich heute bizarr aus: „Sein Ideal“, so ist es dem Band „Wohnkultur in gesellschaftlicher Verantwortung“ zu entnehmen, „war das kleine Einfamilienhaus mit Garten, dem er das abschreckende Beispiel der städtischen Mietskasernen gegenüberstellte, da die Mietwohnung seiner Meinung nach den Willen zum Kind töte und zur Empfängnisverhütung, Abtreibung und Entsittlichung und damit zum ‚biologischen Volkstod‘ zwinge.“ Jenes Die Reihe der Veröffentlichungen, die Einfluss auf den öffentlichen Diskurs nicht allein unter den Fachleuten nehmen, beginnt 1961, im Jahr des Mauerbaus, mit dem Buch „Die moderne Großstadt. Soziologische Überlegungen zum Städtebau“ von Hans Paul Bahrdt. Im selben Jahr erscheint in den USA unter dem Titel „The Death and Life of Great American Cities“ eine Streitschrift, mit der die Autorin Jane Jacobs, eindringlich gegen die Flächensanierungspolitik protestierend, sich für den Erhalt der gewachsenen Strukturen einsetzt. Mit 1939 Einfamilienhaus mit Garten können sich mehr und mehr Bür- gerinnen und Bürger leisten, so dass einerseits „am Rande der Städte immer größere, höhere, und dichtere Betongebirge und zugleich breiig auseinanderfließende Einfamilienhausgebiete“ entstehen, wie Tilman Harlander in Band 5 der „Geschichte des Wohnens“ die Entwicklung zusammenfasst. Für diejenigen, denen der individuelle Entwurf zu kostspielig ist, bietet sich in nächster Zukunft das Fertighaus an. Für welches man sich entscheidet und inwieweit das Modell anzupassen wäre, dafür zieht man den Katalog zurate und besucht anschließend das Musterhaus. 1940 Anfang der sechziger Jahre verbessert sich der Wohnstandard, als Typus entstehen vorwiegend 3- bis 4-Zimmer-Wohnungen. Betrachten wir die bescheidenere Version. Den beiden Kindern der Familie Mustermann wird gewöhnlich das kleinere Zimmer zugeteilt, in das etwas geräumigere ziehen sich die Eltern zum Schlafen zurück – die Scheidungsrate spricht noch nicht von einer bedrohten Idylle. Dazu das Wohnzimmer, „die gute Stube“, dessen Nutzung in manchem Haushalt dem Sonntag vorbehalten ist, sowie eine funktionale Küche. Immerhin. Allerdings mangelt es nach wie vor nicht selten an einer Heizungsinstallation, die ohne Probleme funktioniert. Zum Ende der 60er Jahre ziehen wir ein rechnerisches Fazit, dass nämlich der Bedarf an Wohnungen fast gedeckt ist. Wohlgemerkt: rein rechnerisch. „ D a s Auto hat die S täd t e z er s t ör t u nd unbewohnbar gem a c h t , a b e r d ie Zerstörung bewirkt e d i re k t e die schwebenden und sich türmenden, gestapelten und gefrästen Radikalräume“ und vermisst, nun zu Beginn des 21. Jahrhunderts, diesen „Erfindungsgeist, diese Raumdenkerfreude, das Aufregende, Bewegende, Grundlegende, das Neugierige“, das ausnahmslos aus der Architektur und ihrer Theorie gewichen sei. Pars pro toto sei der Architekt Eckhard Schulze-Fielitz genannt, der 1954 im Wettbewerb um den Bau des niedersächsischen Landtags in Hannover einen Preis erhalten hatte. Er entwirft seine „Raumstadt“ als „Mega- struktur“ und verfasst dazu ein Manifest: „Die perfekte Planung der Stadt ist in einer freien Gesellschaft weder möglich noch wünschenswert, sie bedeutet Festlegung auf Entwicklungen, die nicht vorhersehbar sind. Raumstadt dagegen ist eine der Entwicklung folgende Agglomeration von verschiedenen Raumstrukturen, der Duktus der Struktur lenkt die unvermeidliche Wucherung in geordnete Bahnen, die Freiheit liegt in den unendlichen Möglichkeiten der Kombination“, wodurch das grundsätzliche Dilemma „zwischen der Dynamik des städtischen Lebens und der Statik des Gebauten“ gelöst werden könne. u nd indirekte Arbeitsbe s c h a ff u n g A us m a ß en. […] In der H au s ord- Die architektonische Avantgarde umkreist drei Schlagworte, ohne die heute kein Gespräch über das Wohnen geführt wird: Flexibilität, Mobilität, n ung d e s Par adieses ( un s eres Multifunktionalität. Michael Webb, ein Mitglied der Londoner Gruppe Ar- Wirtsc haftswunder s) hat der chigram, entwirft 1966 einen Wohnraum-Anzug namens „Cushicle“, aus dem er einen Nachfolger entwickelt, den „Suitaloon“. Mit dem Slogan „comfort for two“ sieht man auf den Anschauungsblättern im Ergebnis ein pneumatisches Heim für zwei. Angeschlossen an einen Motor auf Rädern, ist es sogar als Kraftwagen zu verwenden. Die Architektengruppe Coop Himmelb(l)au aus Wien, die vier Jahrzehnte später mit der spektakulären „BMW Welt“ in München einen Blickfang erschaffen wird, packt 1968 ihre „Villa Rosa“ mit eingebautem Luftmatratzenbett in einen Koffer. Ob in skizzierten Utopien oder in der Realität – der Begriff der Mobilität kann ausgesprochen Verschiedenartiges meinen, in diesem Fall Auto oder Koffer. v on ungeheuren, unübe r s e h b a re n Mensch noch nie so ein s a m , s o h ilflo s, so fr uchtlos, so n ach alle n Se iten und Kante n i di ot i s ch ge le b t.“ Go d y S u t e r, „ D i e g ro ß e n S t ädte. Was sie zer s tör t u n d w a s si e re t t e n kan n “, 1 9 6 6 Parolen aus dem Vokabular der 68er-Bewegung lauten „Unter dem Pflaster liegt der Strand“ und „Phantasie an die Macht“, Kunst und Kultur jener Zeit tummeln sich in einem alliterierenden Dreieck aus Politik, Pop und psychedelischen Projekten, indes Stanley Kubrik für Andrang in den Kinos sorgt mit dem Science Fiction-Epos „2001 – A Space Odyssey“. Schauen wir uns einige der fantastischen Visionen des Bauens und Wohnens an. In der Ausstellung „Megastructure Reloaded“ in Berlin, die sich 2008 mit jenen visionären Stadtentwürfen befasst, sieht der Journalist Niklas Maak begeistert ein „Reservoir an unrealistischen und poetischen und wahnwitzigen Ideen, 1941 In den Niederungen des Alltags gärt es indes an mehr und mehr Orten und aus mehr und mehr Anlässen oder Gründen, als vom Beginn der 1970er Jahre an gesellschaftliche Schwingungen angefacht werden von einer Vielzahl sozialer Bewegungen. An Utopien, an Ideologien herrscht kein Mangel, nicht 1942 Ko ke Klo minder aber auch an neuartigen Ansätzen und Aktionen, an praktischen und produktiven Eingriffen. Anti-Atomkraftbewegung, Friedensbewegung, Frauen-, Schwulen- und Lesbenbewegung, Bürgerinitiativbewegung, „Dritte Welt“Initiativen, Bewegung gegen Berufsverbote und Volkszählung, Jugendzentrumsbewegung, esoterische Bewegungen und so fort. Um sich dem Wohn-Alltag zu widmen, greifen wir ein anderes Zeitdokument aus dem Archiv, in diesem Fall eine 1974 publizierte Anthologie mit dem Titel: „In den Häusern, von den Häusern und um die Häuser herum. Wohnen“. Gleich in den ersten Sätzen des Vorworts möchte die Herausgeberin Gisela Stelly effektvoll die Alarmbereitschaft der Leser aufrufen: „Bauskandale, Mietskandale, Wohnen als Skandal, Architektur als Skandal – aber der Bewegung von unten – In einem Aufsatz über die 1970er Jahre trifft Skandal blieb aus, bleibt aus. Skandalös werden die Verhältnisse genannt, wie ihre Wortmelodie bleibt diese Einsicht operettenhaft folgenlos.“Eine Sichtweise auf diese „Skandale“ spricht Jens Friedemann in seinem AnthologieBeitrag „Wohnungen, die keiner will“ an: „Schockierende Tatsachen deckte kürzlich das Bonner Städtebauinstitut auf. Zwei Drittel aller Bundesbürger leben zur Zeit in unzureichenden Wohnverhältnissen. Fünf Millionen Wohnungen – fast ein Viertel des gesamten Bestandes – besitzen kein Bad, keine Sammelheizung und größtenteils noch nicht einmal Innentoilette. Was in den Nachkriegsjahren in Notprogrammen aus dem Boden gestampft wurde“ beklagt der Autor, sei „inzwischen teilweise baufällig oder sanierungsbedürftig. Ganze Stadtteile – kaum 20 Jahre alt – müssten abgerissen werden.“ Im selben Atemzug hätte man auch auf sanierungsbedürftige Alt- Hans-Reiner Müller-Raemisch die grundlegende Veränderung jener Zeit: „Als Antwort auf die rein technische und scheinbar unpolitische Zielsetzung der Stadtplanung versuchte die neue außerparlamentarische Opposition, Hintergründe von Macht und Herrschaft aufzuzeigen und die Bürger zum Protest dagegen aufzurufen.“ Gestaltungs- und Nutzungsfragen werden nunmehr nicht von politischen Fragestellungen getrennt. Protest aus guten Gründen: Gegen die Verdrängung der Wohnbevölkerung aus den Innenstädten, Protest gegen das Verschwinden billigen Wohnraums, Protest gegen die großflächige Sanierung und den weiterhin wachsenden Autoverkehr, Protest gegen die Umweltverschmutzung einer „Wegwerfgesellschaft“ wider besseren Wissens. „Der Traum von der ‚großen Form‘ muss deshalb scheitern, weil die Macht, die solche Realisationen ermöglicht, nicht mehr legitim ist“ schreibt der Architekt Josef Lehmbrock im Katalog der Ausstellung „Profitopolis oder Der Mensch braucht eine andere Stadt“, die er zusammen mit Wend Fischer 1971 für die Weltausstellung in Montreal konzipiert. „Profitopolis“ wird zu einer Wanderausstellung und an 140 Orten gezeigt. Die Ausstellung — „eloquent, visuell jedoch kaum prägnant“ — zwinge den Besucher zur „mühsamen Lektüre ziemlich klein gedruckter Belege zum Elend unserer Städte“, wie ein Artikel in der Zeit kritisiert. Wohnung: Quartier, Beh a u s u n g , Unterkunft, Bleibe, Log i s , D a c h ü b e r d e m Kopf, Zimme r f l u ch t , S uite, Appartement, Ap a r t m e n t , E inzimmerwohnung, Lo f t , F l a t , Ma nsa rdenwohnung, D ach w oh n ung , P enthouse, Domi z i l [ …] A.M . Tex tor, „ S a g e s t re ff e n der“, 1 9 9 6 bauten verweisen können: Kohleheizung, kein Bad, Klo auf halber Treppe. Was einem Studenten bis Mitte der achtziger Jahre die Chance eröffnet, als „Restnutzer“ eine 3-Zimmer-Wohnung für umgerechnet 100 Euro zu mieten. Den Bestand nur nach und nach instand zu halten und zu sanieren hat für die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen einen schlichten Grund: Es erfordert beträchtliche Summen. Von 1965 bis 1977 steigen die Kosten dafür auf etwa ein Drittel der Investitionskosten an. Aus den Protestbewegungen heraus entstehen Bürgerinitiativen, darunter auch solche mit dem Anliegen oder der Forderung – je nach Heftigkeit der Interessen –, an der Stadtplanung zu partizipieren, die häufig eine Stadtteilplanung wird, je konkreter, desto wirksamer: „Small is beautiful“. Gelinde gesagt stößt es unter den Politikern und Verwaltungsbeamten nicht durchwegs auf Begeisterung, schließlich versteht der Laie nichts davon, was den Fachmann sein Leben lang beschäftigt, sonst wäre er ja kein Laie. Dennoch, weniger ironisch formuliert: Manchen Bürgerinitiativen gelingt es, bestehende Pläne der Verwaltung zu 1943 Tre ohleheizung, „ Ic h b in d er Mein u n g , d ie Au fg a- ein Bad, ben stellt nicht der Fachmann, sond er n immer d er L aie; d er F ach - o auf halber eppe mann löst sie. Oder sagen wir stat t Laie: die Gemeinschaft aller korrigieren oder gar scheitern zu lassen. „Und es gab“, wie Hans-Reiner MüllerRaemisch hinzufügt, „auch von der Seite der Kommunen initiiert, eine große Zahl von Versuchen, die Meinungen der Bürger zu erfragen und in die Planung einzubeziehen.“ Die „Bürgerbeteiligung“ wird 1976 in das Bundesbaugesetz aufgenommen, eine Bestätigung des Wunsches nach einer effektiven Einflussnahme, die, wie sollte es anders sein, gleichwohl bisweilen aus fadenscheinigen Gründen taktisch genutzt oder gar missbraucht wird. Nicht nur in den größeren Städten, nicht nur auf Seiten der Bürgerinitiativen wächst der Wunsch, Alternativplanungen aufzustellen und durchzusetzen, um die vorhandene Bausubstanz, die „Schönheit der alten Ensembles“ zu erhalten. An vielerlei Fronten drückt sich die Besinnung auf bewahrende Maßnahmen, auf die Pflege oder Rekonstruktion historischer Strukturen aus. Das wachsende Interesse am Denkmalschutz, an der Rücknahme des Autoverkehrs wenigstens in der Innenstadt oder die Wiederkehr der Passage sind als Symptome zu werten für einen Rückgriff auf urbane Elemente des 19. Jahrhunderts, wobei es paradox anmutet, dass die alternative Szene mit der größten Sympathie die Wohnviertel aus der Kaiserzeit verteidigt, reklamiert und bevorzugt. Die Abkehr von dem, was der Architekturhistoriker Heinrich Klotz „Bauwirtschaftsfunktionalismus“ genannt hat, mag am Rande auch damit zu tun haben, dass die Zimmerhöhe ein angenehmes, „freieres“ Wohnen evoziert. Die „Verödung der Innenstädte“ und die „Stadtflucht“ sind zwei Seiten einer Medaille, ein Wechselspiel dynamischer Prozesse, bedingen einander. Viele Familien sehnen sich nach dem Eigenheim im Grünen, nicht etwa bloß, weil die Stadt „verödet“ oder sie es sich andernfalls finanziell verbieten müssen. Übersichtlichkeit schätzen sie sowie die Nähe zur Natur, wie entfremdet sie auch sein mag. In manchen Dörfern kehren obendrein sonderbare junge Menschen ein, Landkommunen und Wohngemeinschaften siedeln sich auf dem Lande an – ein Phänomen der folgenden Jahre. Zugleich wird in der Lehre und Forschung Mitte der siebziger Jahre der ländliche Raum, „Provinz“ und „Dorf“, wiederentdeckt und in einer Flut von Veröffentlichungen thematisiert: „Was man sah, schockierte und zeugte von einer weitgehend irreversiblen Entwicklung, der weite Teile der ländlichen historischen Bausubstanz und zugleich auch der traditionellen Dorfkultur zum Opfer gefallen waren.“ (Tilman Harlander) Laien, die Gesellschaft, die Polis. Daher bin ich der Meinung: Stä d teb au ist ein p o litisch es Anl i eg en . Ein An lieg en d er Po lis.“ Max F r is c h , 1 9 5 4 In den mittlerweile zahlreichen Programmkinos der größeren Städte wird 1978 „Deutschland im Herbst“ gezeigt, eine Filmcollage von elf Regisseuren; Ansichten und Interpretationen zu den eskalierenden Ereignissen, als die „Rote Armee Fraktion“ den Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer entführt und ermordet. Die auch medial aufbereitete, manchmal geschürte Atmosphäre ist angespannt, erhitzt, hysterisch. In den Massenmedien passiert es sogar, dass die Hausbesetzerszene summarisch zu „Sympathisanten“ des Terrorismus gezählt wird. Schlichte wie heimtückische Gemüter sind auf beiden Seiten zu finden. Hier und da mit ohrenbetäubendem Punk orchestriert, weitet sich Ende der 1970er Jahre die Hausbesetzerszene in Westdeutschland aus. Manche der Aktionen verstehen sich als Protestakt, gar als Widerstand gegen das „Schweinesystem“. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, sei es im Verlauf von Demonstrationen, sei es aus Anlass einer Räumung, sind nicht selten, schwellen gelegentlich zu dramatischen Straßenschlachten an: „Häuserkampf“. Warum stehen Wohnungen seit Jahren leer? In Kürze eine zugegebenermaßen schematische Antwort: Die Wohnungen sind „entmietet“ und die Eigentümer warten, bis der Einfachheit halber, mithin der Kosten wegen, der gesamte Block abgerissen werden kann. Vorwiegend Studenten suchen aber eine billige Wohnung und nehmen die Häuser in Beschlag. Manche aus Spaß, viele mit der ernsthaften Forderung, dass der preiswerte Wohnraum erhalten bleibe und sie nach ihren Vorstellungen instandsetzen können. In Berlin sind 1980/81 etwa 160 Häuser besetzt. „Selbst aussuchen – Selbst transportieren – Selbst aufbauen“: Eching bei München 1974 wird in die erste Ikea-Filiale eröffnet, das „unmögliche Möbelhaus aus Schweden“. Gut drei Jahrzehnte später gibt es im vereinigten Deutschland mehr als 40 Einrichtungshäuser dieser Kette. Einer der popu- 1944 lärsten Slogans zu Beginn des 21. Jahrhunderts lautet: „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ Schwenken wir den Scheinwerfer, die vorbildhaften Sanierungsprozesse Ostertor und Vegesack in Bremen überquerend, auf einen ehemaligen Arbeiterstadtteil in Hannover. Die Sanierung in Linden-Süd ist ein „Ergebnis der Bürgerdiskussion, die typisch ist für den Wandel der Vorstellungen von Stadt, der sich in der zweiten Hälfte der 70er Jahre vollzogen hat“, diagnostiziert Hanns Adrian, von 1975 bis 1993 Stadtbaurat in Hannover. Zu jenen Vorstellungen gehören das „Herausarbeiten der spezifischen Qualität der Stadtteile, stadtteiltypische Architektur“ und die „Bemühung um Identifikation durch die Bürger“ dadurch, dass sie sich mit der Planung befassen. Aus dieser Neuorientierung habe sich das Leitbild der Patchwork-City entwickelt, „einer Stadt, die aus verschiedenen Teilen mit verschiedener Qualität und Charakteristik besteht und die den Ehrgeiz aufgegeben hat, alles unter eine städtebauliche Vorstellung zu bringen.“ Zwei zentrale Begriffe schälen sich aus den 1970er Jahren heraus, tragen bis heute Bezugspunkte im herrschenden Diskurs bei: Die „Beteiligung der Bevölkerung“ ist genauso zu einer Selbstverständlichkeit geworden wie das Schlagwort von der „Ökologischen Stadt“. von Colin Rowe und Fred Koetter, in dem ein technikbesessener, puristischer Modernismus von dem Modernismus unterschieden wird, der das Vorhandene als Grundlage für die Weiterentwicklung empfiehlt. Stadtplanung solle die „puristische Abstraktion“ vermeiden, stattdessen sich vom „Zustrom historischer Referenzen beeinflussen“ lassen. Um das Jahr 1980 etabliert sich das geschmeidige Wort von der „Postmoderne“, das sich auch in diversen architektonischen Strömungen entfaltet. Fragen des Stils geraten in den Blick, vielmehr eine Vielfalt stilistischer Formen und deren Mischung, letztlich kommt es zu „Komplexität und Widerspruch in der Architekur“, wie ein Buch heißt, das der Architekt Robert Venturi 1966 veröffentlicht hatte. Es gilt neben dem 1977 publizierten Buch „The Language of Post-Modern Architecture“ von Charles Jencks als einflussreiches Werk. Kennzeichnend für den Paradigmenwechsel ist das ironische Spiel mit Zitaten aus der Historie, eine Gegenwart der Vergangenheit. Dies berührt vorwiegend die ästhetische Seite und wird, soziale und politische Probleme vernachlässigend, zu einer Architektursprache in ‚Erzählungen‘, in denen Kritiker überwiegend dekorative Ergebnisse lesen. Je nach Standpunkt handelt es sich um Pluralität oder um Beliebigkeit. Kurzum: Der Einzelfall entscheidet. Denn offensichtlich ist die Moderne mit ihrem Anspruch an Einheitlichkeit und Deutlichkeit für immer verflogen. Stattdessen zeigen sich widersprüchliche Konturen, wohin man auch schaut, in jeglicher Hinsicht. Mit Schlagworten agieren naturgemäß auch Parteien, das gilt ebenso für eine Partei, die sich als „Anti-Parteien-Partei“ versteht: Unter dem Slogan „sozial, ökologisch, basisdemokratisch, gewaltfrei“ gründet sich im Januar 1980 die Bundespartei Die Grünen, die bei der Wahl im Oktober antritt und von knapp 700 000 BürgerInnen angekreuzt wird, was 1,5 Prozent der abgegebenen Stimmen entspricht. Der niederländische Architekt Rem Koolhaas, der 1975 zusammen mit Kollegen das Architekturbüro Office for Metropolitan Architecture (OMA) gegründet hat, das eine wichtige Rolle in der weltweiten Architekturdiskussion spielen wird, veröffentlicht 1978 das einflussreiche Buch „Delirious New York: A Retroactive Manifesto of Manhattan“, in dem er die Widersprüchlichkeit als urbane Qualität interpretiert. Im selben Jahr erscheint das Buch „Collage City“ 1945 P „ Ve n ed ig ist n ach u n seren M Bauordnungen absolut unzulässig. Dagegen ist Wolfsburg perfekt. De nn o ch g ib t es L eu te, di e Ven ed ig lieb er mö g en .“ H ann s Ad r ia n , 1 9 9 0 Nicht nur unter dem Etikett der Postmoderne setzt ein Prozess der „Reurbanisierung“ ein, die ab Mitte der achtziger Jahre zu positiven Wanderungssalden führt. Die „klassischen“ Viertel werden wiederentdeckt und umgewidmet, Altbauten werden renoviert, die Wohnungen in großer Zahl in Eigentumswohnungen umgewandelt. Daher können sich die einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten den gestiegenen Mietzins nicht mehr leisten, ein Prozess, den die Sozialwissenschaft „Gentrification“ nennt. Das „Aufpolieren des D N Post Mo Der Ne Erscheinungsbildes der Innenstädte“ (Müller-Raemisch) erfüllt eine weitere Funktion, da die Städte mittlerweile gegeneinander konkurrieren. Eine Stadt braucht nun ein Image, Stadtplanung gerät in die Fänge des Stadtmarketing. Am 8. Februar 1982 titelt der Spiegel: „Neue Heimat – Die dunklen Geschäfte von Vietor und Genossen“ und eröffnet durch die exklusiv angekauften Enthüllungen eine Affäre, die in der Boulevard-Presse und auf Seiten der Opposition umgehend zu einem Skandal in den Dimensionen einer Großraumsiedlung ausgebaut wird. Das gewerkschaftseigene Unternehmen Neue Heimat, Europas größter Wohnungsbaukonzern, bricht zusammen, als bekannt wird, dass der Vorstandsvorsitzende Albert Vietor und weitere Manager über Strohmänner Privatfirmen betreiben, die seit Jahren millionenschwere Geschäfte mit der Neuen Heimat gemacht haben. Das Vertrauen in die gemeinnützige Wohnungswirtschaft ist schwer erschüttert. In derselben Ausgabe des Spiegel wird eine US-Studie gemeldet, die zu dem Schluss gelangt, dass „auch bei der Kommunikation über Computer, die bald keit“ werde zwar überall beklagt, aber „sie prägt das Leben in der Republik so nachhaltig wie der abrupte Wechsel von lieblos hingeklotztem Neuen und über Jahrhunderte Gewachsenem.“ Für jedermann sei die „tägliche Erfahrung, dass die Realität zerfällt in einander ausschließende, einander überschneidende, einander in Frage stellende Wirklichkeiten.“ Sehr real wird die Neue Heimat vier Jahre später zwar zerschellen. Immerhin entfalten sich daraufhin hier und da soziale und wirtschaftlich prosperierende Unternehmen, wie die Gewoba in Bremen. Dieses Unternehmen mit mehr als 40 000 Wohnungen beweist, dass soziale Verantwortung und wirtschaftlicher Erfolg in einer Gesellschaft vereinbar sind. Mit der Losung von der „geistig-moralischen Wende“ kommt im Okto- ber 1982 Helmut Kohl an die Regierung. Zunächst behält die CDU/FDP-Koalition die Gemeinnützigkeit als „Strukturprinzip der Wohnungswirtschaft“ bei, allmählich jedoch zieht sich der Staat aus der öffentlichen Förderung zurück. so verbreitet sein wird wie das Telephonieren“, „angestammte Verhaltensweisen des Menschen erhalten“ bleiben. Allerdings seien 20 Prozent der Testpersonen „geradezu süchtig nach dem Computer-Gespräch“ geworden: „Vielen liefen, weil sie sich vernachlässigt fühlten, die Frauen weg“. Einen Kommentar von Friedrich Schiller dazu kann man im Grimm‘schen Wörterbuch nachschlagen: „Fern dämmert schon in euerm Spiegel / das kommende Jahrhundert auf“. „ Parad o xerweise b au ten d ie Rebellen gegen Konvention und Restriktion auf denselben Pr ä missen au f, au f d en en d ie M a ssen ko n su mg esellsch aft be ru h t; zu min d est teilten sie die psychologischen Motive, die Obendrein erscheint in derselben Ausgabe die fünfte Folge einer umfangreichen Serie: „Die deutsche Depression“, ein Bericht über die „Stimmungs- lage der Nation“. Auf Forschungsreisen durch die Republik wie durch feine Beobachtung der Medien hat Reporter Jürgen Leinemann recherchiert: „Alltagsgespräche sind voll von Floskeln der Irritation und Ratlosigkeit über das, was geschieht – nebeneinander, durcheinander, zu schnell hintereinander“, so ein Ergebnis seiner Expedition, und er zitiert einen Reim aus der Berliner Szene: „Die Wetter schlagen um, sie werden kälter, wer vorgestern noch für Aufstand war, ist heute zwei Tage älter“. Krawalle in Berlin, die Friedensdemonstration in Bonn, die „Schlacht um Brokdorf“ kontrastiert Leinemann mit allgemeiner „Entfremdung und Desorientierung“, befördert durch eine „rigorose Stadtsanierung, Gebietsreformen, den Bau von Schlafsiedlungen“. „Teilnahmslosig- 1946 den Anbieter n von Konsumartikeln und Dienstleistungen die besten Ve r kau fsch an cen g aran tierten .“ E ri c Ho b s b a w m , 1 9 9 4 In einem knappen Satz bringt Margaret Thatcher, Premierministerin in Großbritannien von 1979 bis 1990 und Protagonistin neoliberaler Politik, eine Tendenz jener Jahre auf den Punkt: „Es gibt keine Gesellschaft, es gibt nur Individuen“. Von anderer Warte spricht der Sozialhistoriker und Marxist Eric Hobsbawm diese umwälzenden Veränderungen in seinem Werk „Das Zeitalter der Extreme“ an, ausgiebig die „kulturelle Revolution“ des späten 20. Jahrhunderts analysierend, die man „am besten als den Triumph des Individuums über die Gesellschaft betrachten“ könne: „Die Jugendkultur wurde zur Matrix der kulturellen Revolution, im weiten Sinne einer Revolution der Verhaltensweisen und Gewohnheiten, der Freizeitgestaltung und der kommerziellen Kunst, die immer mehr die Atmosphäre prägte, in der die städtischen Menschen lebten.“ Und wie wohnt das Individuum? Blättern wir im Kalender ein Vierteljahrhundert nach vorne: Im Mikrozensus 2005 errechnet das Statistische Bundesamt, dass rund 40 Prozent aller Haushalte in West- wie in Ostdeutschland Einpersonenhaushalte sind, in Städten wie Hannover liegt der Anteil sogar bei 55 Prozent. Nüchterne Zahlen allerdings sagen über die Motive und Ursachen bekanntlich nichts. Eine Etage über der siechen Rentnerin wohnt der umtriebige Student der Kommunikationswissenschaften. Dennoch, die Zahlen dienen als einer von vielen Anhaltspunkten, überdies „Individualisierung“ sich auch mit „Vereinzelung“ übersetzen ließe. In der Soziologie verliert allmählich der Begriff der Bevölkerungsschichten an Bedeutung, wird ersetzt durch Begriffe wie Gruppen, Identititäten, Profile, Milieus und Submilieus. Am 8. Dezember 1985 schauen 3,5 Millionen im Fernsehen die erste Folge der „Lindenstraße“ an, eine von nun an sonntägliche Seifenoper über das Leben unter dem Dach des Mietshauses Nummer 3 und in dessen Nachbarschaft. das Torhaus […] oder das Eckhaus neu zu interpretieren suchten“ (Tilman Harlander) finden auch organisatorisch-formale Experimente weithin Aufmerksamkeit. „Selbsthilfe, Mietermodernisierung und diverse Partizipationsmodelle, die allesamt davon ausgingen, dass nur der beteiligte Bewohner ein aktiver Bewohner ist und humane Architektur nur mit den Menschen gemeinsam entstehen könne, gewannen an Bedeutung. Die IBA Berlin bot dafür ein bis dato sowohl quantitativ wie qualitativ einzigartiges Versuchsgelände, mit allen Problemen und Schwierigkeiten, die zu einem solchen Großexperiment gehören. Aus alten Fabriken und soliden Gewerbebauten machten aktive neue Stadtbewohner schmucke Pilotprojekte, die gleichzeitig demonstrierten, wie die alte Mischung von Wohnen und Arbeiten neu interpretiert werden könne.“ (Michael Andritzky in „Geschichte des Wohnens“) Beinahe im Verborgenen, in einem Stadtteil Hannovers, lebt im Mai 1983 die Idee wieder auf, eine Baugenossenschaft zu gründen. Sie hat seit über 25 Jahren im Raum Niedersachsen und Bremen geschlummert. Die „Selbsthilfe Linden eG“ lässt sich beim Amtsgericht in das Genossenschaftsregister eintragen. Das Modell wird bundesweit als erfolgreiches Beispiel eines neuen Ansatzes aufgefasst und den Genossenschaftsgedanken neu beleben. 1986 veröffentlicht der Sozialphilosoph Jürgen Habermas den fünften Band seiner Kleinen Politischen Schriften: „Die neue Unübersichtlichkeit“, „ Architekten verdienen i n d e r Regel zwar besser als D i c h t e r, s chwelenden Hass all d e r j e n i g e n in der er die These vertritt, dass bewährte Denk- und Problemlösungsstrategien nicht mehr funktionieren. Im selben Jahr publiziert Ulrich Beck das Buch „Die v erfolgt, die gezwunge n s i n d , i n Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne“. Beide Titel i hre n Wer ken zu hausen . “ werden zu Schlagworten bis in das nächste Jahrtausend hinein. d afür werden sie aber a u c h v o m „Je bedrohter das Leben, umso Ha n s M agn u s E n z e n sb e r g e r, 1 9 8 7 1979 ist in Berlin die „Internationale Bauausstellung 1984 GmbH“ blindwütiger wird gewohnt. […] gegründet worden, die sich dem Thema „Wohnen in der Innenstadt“ widmet und 1987 abgeschlossen ist. Bald nach der Gründung werden zwei Abteilungen eingerichtet. Für den Schwerpunkt „Stadterneuerung“ ist Hardt-Waltherr Hämer zuständig, dessen Konzept Behutsamkeit anmahnt, sowie Josef Paul Kleihues für die Abteilung „Stadtreparatur“ oder – akademischer formuliert – „Kritische Rekonstruktion“. Abgesehen von den „ambitionierten Bauten, die den Typus des Baublocks und verschiedene Haustypen wie das Stadthaus, 1947 We d er ö ko n o misch e n o ch ökologische Krisen tun dem Boom ne uer ‚Wo h n ku ltu ren ‘ Ab b ru ch . Im Gegenteil – so phantasievoll, so frei, so aufwendig wie heute w urd e n o ch n ie g ewo h n t.“ Gert Se lle , „ Die e ig e n e n v ie r W ä n d e “ , 1 9 9 3 1948 Mit der Volkszählung 1987 stellt sich heraus, dass über vier Millionen Ausländer in der Bundesrepublik leben, überwiegend als Familien. Die Bundesrepublik ist ein Einwanderungsland, eine Tatsache, die von einer Mehrheit der Bevölkerung nicht akzeptiert wird. Noch im Februar 2009 wird der Soziologe Heinz Bude in einem Interview befinden: „Wir wissen noch gar nicht, wie sich das Land durch Migration gewandelt hat. Wir sind dabei, uns in einer offenen Gesellschaft jenseits der ethnischen Homogenität zurechtzufinden. Darin liegen keine Gefahren, aber doch ein paar Risiken.“ Am Abend des 9. November 1989 fällt die Berliner Mauer – live übertragen in Radio und TV. Wenig später wird die Parole der Massendemonstrationen in der DDR – „Wir sind das Volk“ – durch eine Kleinigkeit umgekrempelt: „Wir sind ein Volk“. – „Liebe Leute“, sagt Innenminister Wolfgang Schäuble während der Verhandlungen um den Einigungsvertrag 1990, „es handelt sich um einen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik […] Wir tun alles für euch. Ihr seid herzlich willkommen. […] Aber hier findet nicht die Vereinigung zweier gleicher Staaten statt.“ Gleich im Sommer des Jahres wird die Nationalmannschaft des Landes, dem die marode DDR beitritt, Fußballweltmeister unter der Regentschaft eines „Kaisers“. Euphorie allüberall. ventionsabbau“ wird das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz von 1940 aufgehoben. Vieles gerät im Bereich der Wohnungswirtschaft in Bewegung. Ein Beispiel? Die Fortress Investment Group LLC mit Sitz in New York City erwirbt im September 2004 die GAGFAH mit 81 000 Wohnungen, im Juli 2005 die NILEG Immobilien Holding mit 28 500 Mietwohnungen, im März 2006 die WOBA Dresden mit 47 000 Wohnungen. Durch eine „Sozialcharta“ sichern sich die Städte nur scheinbar Einfluss. Im Oktober 2006 geht die GAGFAH S.A. an die Börse. Angesichts der renditeorientierten Fonds macht einmal mehr das Schlagwort von den „Heuschrecken“ die Runde. Deren „Plage“ ist inzwischen durch die internationale Krise an den Finanzmärkten wohl weitgehend be-endigt. „ Da s d o p p elt verg laste F en ster ist der Tod der Eisblume, und ihr Verschwinden fügt sich nahtlos ein in die Bedürfnisgeschichte des ‚luxurierenden‘ Wesens Mensch. [ …] I m Jan u ar h ab e ich n o ch ein mal eine echte Eisblume gesehen. Sie war beeindruckend, glitzerte pr ä ch tig , als d ie So n n e sie traf, Da der Ostblock in sich zusammenfällt, der real existierende Sozialismus zugrunde geht, versteht der real existierende Kapitalismus dies als Bestätigung und nutzt die Chance, den Markt als Allheilmittel zu betrachten. Bestandteile der Therapie sind Deregulierung und Privatisierung im globalen Maßstab. und war alsbald nur noch eine Wasserlache auf der Fensterbank. Die Einfachverglasung habe ich mi r n ich t zu rü ckg ewü n sch t.“ J o a c h i m G ü n t n e r, Zuversichtlich boomt die Börse, das Telefon wird bald mobil und nicht allein die Medienwelt wird digitalisiert, die neue Kommunikationssphäre des Internet dringt in den Alltag ein – in den neunziger Jahren öffnet ein neues Zeitalter seine Pforten, zu dessen Merkmalen gehören wird, dass man gleichsam jederzeit allerorts erreichbar und von jeder Seite innerhalb einer zweidimensionalen virtuellen Welt nur ein paar Klicks entfernt ist. Schon vor den spektakulären Ereignissen nimmt eine wohnungspolitische Ära ihr Ende. Der Bundestag in Bonn hat ein Gesetz beschlossen, das am 1. Januar 1990 in Kraft tritt. Im Rahmen einer „Steuerreform“ unter dem Motto „Sub- N eue Z ü rc h e r Z e it u n g , 2 7 . M ä r z 2 0 0 3 Und was ist aus den Großsiedlungen geworden? Es ist nicht verwunderlich, dass seit den achtziger Jahren so gut wie keine Großsiedlung realisiert worden ist. Vielmehr versucht man, die offenkundigen Defizite in diesen „sozialen Brennpunkten“ – ein Begriff, den der Deutsche Städtetag 1979 geprägt hat – zu mindern, bauliche Mängel zu beseitigen. Zunächst steht im Vordergrund, zu entzerren, zu lichten, zu sanieren, die Infrastruktur zu verbessern. Dennoch und keineswegs nur jene Großsiedlungen betreffend erscheint 1994 ein „Manifest der Oberbürgermeister“, dessen Überschrift einem Notschrei gleicht: „Rettet unsere Städte jetzt!“ angesichts der „allmählich ver- 1949 Einfamilienhausplantagen und Shopping Centers. Die Betriebskosten für diese Zwischenstädte, wie Thomas Sieverts sie genannt hat, fallen umso höher aus, je tiefer sie sich ins Land hinein ausbreiten. Suburbia kommt die Gesellschaft teuer zu stehen.“ Dass Eigenheimzulage und Pendlerpauschale den Prozess befördern, muss nicht ausdrücklich erwähnt werden. Gewissermaßen parallel dazu wird seit Anfang des 21. Jahrhunderts von einer „neuen Lust auf die Stadt“ gesprochen, die gemeinhin jedoch eher einer „gefühlten“ Rückwanderung zu verdanken ist als einer zählbaren Steigerung der Einwohnerzahlen. fallenden Quartiere der desorganisierten Peripherie und citynahen Armutsnischen“, wie es Henning Voscherau, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, formuliert. Die Einsicht in die Komplexität der Problemlage, ihrerseits ein Widerhall gesellschaftlicher Dissonanzen, mündet 1999 in das umfassendere Programm „Soziale Stadt“. In den ersten acht Jahren werden Bund, Länder und Kommunen für rund 500 Gebiete über zwei Milliarden Euro bereitstellen. Mit einem „integrierten Ansatz der umfassenden Quartiersentwicklung“ reagiert das Programm in „Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf“ in den Bereichen Städtebau und Umwelt, infrastrukturelle Ausstattung, lokale Ökonomie, Soziales, Integration und nachbarschaftliches Zusammenleben sowie Imagebildung. Nun stehen „Quartiersmanager“ in enger Verbindung mit den „Akteuren“, um die Bewohner zur Selbsthilfe anzuregen statt zu betreuen. Neue Begriffe, neue Versuche, neue Taten. „ K a pitu latio n ja, Resignation nie. Optimismus unger n, Z uv ersich t immer.“ H ann s Die t e r Hü s c h Wohnungsfachleute und Architekten befassen sich indes seit den neunziger Jahren verstärkt mit den Veränderungen, die auf dem Terrain der Sozialwissenschaftler notiert werden. Antworten zu finden auf die zentrale Frage „Wer Zwei Bund-Länder-Programme jüngeren Datums, als Instrument im Baugesetzbuch verankert, heißen „Stadtumbau Ost“ (seit 2002) und „Stadtumbau West“ (seit 2004), mit denen „die Anpassung der städtebaulichen Strukturen an die Entwicklung von Bevölkerung und Wirtschaft auf der Grundlage von städtebaulichen Entwicklungskonzepten“ unterstützt werden. wohnt wo wie und warum?“ scheint stetig komplizierter zu werden. Eine Auffächerung von Beziehungsformen, lose mit der Vielfalt an Lebensstilen und Lebensformen verknüpft, die ihrerseits in einzelnen Biografien mehrmals wechseln, spiegeln sich natürlich in der Vielfalt an Wohnformen und -typen, die fallweise mit den Wohnwünschen nicht übereinstimmen, mit den Gewohnheiten schon gar nicht. Das Image an der Peripherie der Städte wird jedoch weder von Großsiedlungen oder „problematischen Quartieren“ geprägt, denn jene urbane Dichte, die sie verkörpern, ist seit langem diskreditiert. Stattdessen zersiedeln seit langem Einfamilienhäuser das Umland, sie charakterisieren, wie das Fachwort lautet, die „suburbane Entwicklung“. Im November 2005 wirft der Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt einen Rundblick in die verstädterte Landschaft der Bundesrepublik, wo „noch immer hundert Hektar Freiland in Bauland umgewidmet werden – täglich! – und die Ausstreuung der Stadt uns alle zumindest Kaum zufällig fällt die Ausstellung „Living in Motion“, 2002 vom Vitra Design Museum in Weil am Rhein eingerichtet, auf reges Interesse und wandert auf einer Tournee bis nach Boston/USA. „Flexibilität, Mobilität und Multifunktionalität waren schon immer wichtige Triebfedern für formale und technische Innovationen“ heißt es im Katalog und weiter: „Heute suchen wir mehr denn je nach Wohnmöglichkeiten, die sich von festgelegten Abläufen und auch von vorgegebenen Standorten lösen, da sich Arbeits- und Privatleben immer weiter durchdringen und eine mobile und unabhängige Lebensgestaltung an Bedeutung gewinnt.“ als Steuerzahler belastet. Denn die Infrastrukturen müssen natürlich auch für diese endlosen Gemengelagen vorgehalten werden, die sich in Gestalt von Autobahnzufahrten und Ödland ins Land fressen, von Gewerbe- und Gartencentern, Tankstellen und Disko-Schuppen, Firmenoutlets und Mülldeponien, Hochspannungsleitungen und Windrädern, Rotlicht-Etablissements und Baggerseen, 1950 Wohnen also scheint weniger denn je das Gleiche zu bedeuten wie Bleiben. Die zunehmende Differenzierung des Wohnens korrespondiert mit der extremen Beschleunigung durch die digitale Revolution, mit den tiefgreifenden Veränderungen unter ökonomischen, politischen, soziokulturellen Gesichtspunkten, während die ökologischen Probleme wie der Klimawandel und die Folgen des demografischen Wandels ebenso wenig zu übersehen sind. Umbrüche und Aufbrüche, Umwälzungen oder fließende Übergänge, Zäsuren wie die Anschläge im September 2001 oder die Wirtschaftskrise, die ab September 2008 die Schlagzeilen täglich beherrscht – alles scheint miteinander verwoben und verflochten zu sein. „ Flugverkehr und ande re F o r m e n d er Kommunikation erw e c k e n Zukunft Wohnen? Im Frühjahr 2009 wird der vergleichsweise kleine Film „Slumdog Millionär“ mit acht Oscars ausgezeichnet. Die Story des Films gleicht einem Märchen, der sensationelle Triumph – sowohl bei Kritikern als auch beim Publikum – nicht minder. Regisseur Danny Boyle „schwärmt“ in einem Interview von der „unglaublichen Magie des Ortes“ Dharavi, ein Slum im indischen Mumbai, wo die Dreharbeiten stattgefunden haben, und schließt mit einer Botschaft, wie sie banaler nicht sein könnte: „Die Dinge sind nicht so schwarz-weiß, wie es zunächst den Anschein hat.“ Die jungen Darsteller, fügt die Autorin Verena Krebs an, „ziehen nun vom Slum in schöne Wohnungen“ und ein Fonds für Kinder in Dharavi werde eingerichtet: „Wird am Ende doch alles gut?“ Wer weiß. Man beachte Zwischentöne, Widersprüche, Schattierungen, Nuancen. Auch in den nächsten hundert Jahren. h e ute häufig den fal sch en E i n d ruck, die Welt sei in W i r k l i c h k e i t n icht besonders groß. U n t e n a m Bo d e n jedoch, wo die Wi s s en - Wird s chaftler arbeiten müss e n , i s t s i e i n Wirklichkeit riesig – s o r i e s i g , d ass sie voller Überras c h u n g e n am s te c k t.“ Bi l l B r y s o n , „ E i n e k u r z e G e schichte von f as t allem “ , 2 0 0 4 Ganz einfach. Ein profaner Schluss ist zu ziehen, der lächerlich klingen mag: Man muss genau hinschauen, auf die zahllosen konkreten Projekte – gottlob nichts Spektakuläres, sondern Steinchen, die vielerorts Kreise ziehen, Impulse geben, von denen ausführlich zu erzählen wäre: Ob das Projekt „Waller Dorf“ für Jugendliche in Bremen oder das Wohnquartier Grenzstraße in Cuxhaven; ob das Gilde-Carré oder die Wohnsiedlungen „Vasati“ in Hannover; sei es das Referenzobjekt „Frauen planen und bauen für Frauen und Familien“ in Oldenburg oder die „Scharnhorst-Residenz“ in Hameln; sei es das Seniorenzentrum Tuckermannstraße und das Entwicklungskonzept Weststadt in Braunschweig oder seien es die Aktivitäten des Bauvereins in Leer an der Evenburgallee – Etliches wird von Vielen gemeinsam erarbeitet, gestaltet, zum Leben erweckt. 1951 Ende doch alles gut? Wohn erwartungen Wohn erfahrungen Te x t u n d I n t e r v i e w s : C a r s t e n E n s Fo t o s : A x e l B o r n , J o h a n n G e i l s - H e i m , B e r n d Ku s b e r . . . j e d e Z e it h a t i h r e G e s i c h t e r 1952 1953 Hans-Herman Rief Worpswede 1909 2009 1954 Seit mehr als 60 Jahren lebt Hans-Herman Rief in Worpswede. Er ist Archivar und Kunsthistoriker. Die Presse nennt ihn „Das Gedächtnis von Worpswede“. Doch das Weihnachtsfest hat er dort noch nie verbracht. Stets zieht es ihn an diesen Tagen nach Hennstedt in Schleswig-Holstein zurück. „Das ist meine Heimat“, betont Rief. Auch seinen 100. Geburtstag hat er in seinem Geburtsort gefeiert. 100 Jahre – was für eine Ära! Die Aufgabe, der er sich verschreibt, ist verlockend. Er ordnet und archiviert die Hinterlassenschaften von Heinrich Vogeler. Das Worpsweder Archiv im Barkenhoff und die Vogeler-Sammlung im Haus im Schluh sind maßgeblich Hans-Herman Rief zu verdanken. Er initiiert gemeinsam mit Friedrich Netzel die erste Max Ernst-Ausstellung nach dem Krieg in Deutschland. „Das war eine echte Sensation“, erinnert sich Rief. Mehrfach reist er nach Frankreich, vor allem nach Paris. Er begegnet Jean Cocteau, den er bewundert und dessen Bücher heute ein deckenhohes Regal in seinem Wohnzimmer füllen. Einmal bleibt er für acht Monate, um den Baedecker-Reiseführer zu überarbeiten. Er wohnt im Hotel du Dragon und freundet sich mit der Hoteliersfamilie an. Noch immer, sagt Rief, würden Worpsweder in Paris im „Dragon“ absteigen. 1909 verzichtet US-Präsident Theodore Roosevelt auf eine dritte Amtszeit. Im Deutschen Reich feiert Kaiser Wilhelm II. seinen 50. Geburtstag. In London wird für das Frauenwahlrecht protestiert. Auf einer Autorennstrecke wird mit einem „Blitzen-Benz“ erstmals die Marke von 200 Stundenkilometern übertroffen. In Berlin startet das erste Sechs-Tage-Rennen. Die Herausgeberin der „Zeit“, Marion Gräfin Dönhoff, der Historiker Golo Mann und „Tennisbaron“ Gottfried von Cramm werden geboren. Hennstedt – Worpswede – Paris: Heimat – Zuhause – Inspiration! Vielleicht kann sich der nunmehr 100-jährige Hans-Herman Rief diesem Dreiklang anschließen. In jedem Fall ist für ihn in Worpswede ein (Wohn-)Traum in Erfüllung gegangen. Inmitten von Künstlern, Kunst und Kunstliebhabern hat er den größten Teil seines Lebens verbracht. Sein Wohnzimmer ist gleichsam zu einem Museum geworden. Die Bücher, das Archiv und seine fulminante Sammlung an Flacons sind seine Welt. Ein Fußballspiel hat Rief noch nie gesehen. Fernsehen spielt für ihn keine Rolle. Im Kreis Dithmarschen kommt Hans-Herman Rief als ältester Sohn einer Bauernfamilie zur Welt. Schon bald zeigt sich, dass er an der Landwirtschaft so gar kein Interesse hat, was zum Zerwürfnis mit dem Vater führt. „Ich war dann das Kind meiner Großeltern.“ Gedichte, Bücher, Bilder: Die schönen Künste haben es dem Jungen angetan. In bewegten deutschen Zeiten ist es aber nicht immer einfach für einen feinen Geist. Kaiserreich, Erster Weltkrieg, Weimarer Republik, Wirtschaftskrise, Inflation, Massenarbeitslosigkeit, Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg – doch durch politische und gesellschaftliche Einflüsse lässt sich Rief nicht von seinem Weg abbringen. Viel lieber sieht er im Haus im Schluh nach dem Rechten. Der „Weser Kurier“ schrieb: „Er lebt dort leise, aber sehr anwesend – wenn auch im Unruhestand, noch immer der gute Geist.“ Er hat seine Zimmer im Erdgeschoss, steht sehr zeitig auf und macht sich in der Küche das Frühstück. Später kommen die Besucher aus den Gästezimmern – da will er nicht stören. Hin und wieder verkauft er noch Eintrittskarten fürs Museum. Und kürzlich gab es ihm zu Ehren eine Ausstellung mit dem Titel „Ein langes Leben für die Kunst“. Andersherum wäre es auch nicht falsch: „Die Kunst für ein langes Leben.“ Er studiert Kunstgeschichte in Kiel und begeistert sich bei einem Besuch in der Hamburger Kunsthalle für Paula Modersohn. Anlass für einen folgenreichen Ausflug mit dem Fahrrad. 1936 macht Rief sich auf den Weg nach Worpswede. Er besucht das Grab der großen Expressionistin, trifft Martha Vogeler und schließt Freundschaft mit Clara Westhoff-Rilke. Zehn Jahre lang pendelt er zwischen dem heimatlichen Bauernhof und der Künstlerkolonie, ehe er sich im Teufelsmoor niederlässt. Das Haus im Schluh von Martha Vogeler ist bis heute seine Adresse. 1955 Gerhard P. Hartmann Bremen 1919 1956 2009 „New Yorker zieht nach Bremen!“ Eine Nachricht im Schlage von „Mann beißt Hund!“ – nur verrückter. Der Mann aus Big Apple zieht nicht nach Schwachhausen in eine großzügige Altbauwohnung oder in eine Villa nach Oberneuland. Er zieht in die Neue Vahr. Zwei Zimmer, Küche, Bad, Balkon – 50 Quadratmeter. Im Gepäck: ein halbes Dutzend fast 50 Jahre alter Seekoffer und 4138 Bücher – jedes einzelne in einen Pappschuber verpackt. Zeugnisse eines langen Lebens. Gerhard P. Hartmann ist bei seinem Umzug 87 Jahre alt. Der Reihe nach: Geboren in Königsberg, folgt er gemeinsam mit seiner Zwillingsschwester den Eltern durch ganz Deutschland. Immer der Arbeit des Vaters hinterher, der Kaufmann ist: Berlin, Bayern, Sachsen. „Wir Kinder haben es genommen, wie es gerade kam.“ In Dresden überleben Mutter und Schwester die Bombennächte. Gerhard ist als Soldat irgendwo in Finnland stationiert. Es bleibt ausreichend Zeit für ein Fernstudium der Architektur in Berlin. Zurück in Dresden sammelt er Erfahrungen als Bühnenbildner unter anderem an der Semperoper. Schon als Kind liebte er die Musik. Doch die Zeit in Dresden ist nicht von Dauer. Die Familie zieht nach Westen. Grenzlager Friedland. Von dort nimmt Gerhard Hartmann den Zug nach Hamburg, bleibt aber nur wenige Tage. Wiesbaden ist die nächste Station. Er findet eine Anstellung als Grafiker und wechselt bald in die Werbung. Die Kunden sitzen überall in Westeuropa. 1955 macht er sich selbstständig. Die Schwester wandert 1956 in die USA aus. Zunächst geht es nach New Orleans, dann nach New York – sie wird Sekretärin an der berühmten „Little Church Around the Corner“. Die Mutter folgt zwei Jahre später. Hartmann bricht 1962 seine Zelte in Wiesbaden ab. Zu dritt leben sie fortan in einem Appartement im sechsten Stock mit Blick auf den Central Park. 46 Jahre danach kehrt Gerhard Hartmann nach Deutschland zurück. Seine Schwester ist ein Jahr zuvor gestorben. Wohin soll er? Bremen ist eine zufällige Entscheidung. Die Spedition, die seine 261 Bücherpakete über den Atlantik transportiert, nennt die Stadt an der Weser als Zielhafen. Das war’s. Nun wohnt er also in der Vahr. Von 1957 bis 1962 ist dieser Stadtteil mit fast 12.000 Wohnungen und weiten Gartenflächen in Rekordtempo aus dem Boden gestampft worden. Der „Spiegel“ erinnert 2001 an den Charme des sozialen Wohnungsbaus der 1960er Jahre: „Die schönen neuen Wohnanlagen waren dabei vor allem eines: praktisch und funktional. Die wenig verwöhnten Mieter freuten sich über zentrale Müllsammelsysteme, Fernheizung und komplett verkabelte Wohnungen.“ Das Viertel hat gute und schlechte Zeiten hinter sich. Im gleichen Beitrag verwendet der „Spiegel“ einen Ausspruch des früheren GEWOBA-Vorstands Eberhard Kulenkampff zum 30. Geburtstag des Stadtteils: „Die Vahr ist ein Denkmal edler Einfalt. Sie ist auf gute Weise nützlich, aber Spaß macht sie nicht.“ Mittlerweile macht die Vahr längst wieder großen Spaß. Nicht nur den eingefleischten Vahraonen, die auf ihr Quartier ohnehin nichts kommen ließen, sondern auch Neuankömmlingen wie Gerhard Hartmann. Die großflächigen Sanierungen durch die GEWOBA haben an jeder Straße, in jeder Grünzone, auf jedem Platz ihre Spuren hinterlassen. Hartmann ist schon zum Fan geworden: „Wenn ich hier aus meinem Fenster ins Grüne schaue, ist es wie der Blick in den Central Park.“ Nein, zurück in die Weltmetropole will er auf keinen Fall: „New York ist nur für Touristen interessant. In Bremen ist es ruhiger und sauberer. Die Busse sind pünktlich. Die Menschen grüßen auf der Straße.“ In New York wird Anonymität offenbar neu definiert. Nach 46 Jahren verabschiedete sich Hartmann von genau einem Nachbarn. Bei der Schlüsselübergabe erklärte der Gebäudemanager, er würde Hartmann überhaupt nicht kennen. Der 88-Jährige beginnt jeden Tag mit 30 Liegestützen: „Wenn ich in der Wohnung falle, möchte ich die Kraft haben, um wieder aufzustehen.“ Sein Bett steht im Wohnzimmer und wird tagsüber zur Couch. An allen Wänden Bücherregale. Auf einem kleinen Tisch liegen zwei kleine Ringbücher – voll mit berühmten Librettos. Hartmann spricht italienisch, die Sprache der Opern. Die Straße, in der er wohnt, wurde nach Friedrich Stampfer benannt, früher Chefredakteur des Vorwärts und SPD-Vorstandsmitglied. 1933 emigrierte Stampfer nach Prag, floh 1939 über Paris in die USA und kehrte 1948 mit 74 Jahren in seine deutsche Heimat zurück. Auch für Gerhard Hartmann ist Deutschland stets Heimat geblieben: „Ob Wiesbaden oder Bremen oder sonst wo – das spielte für mich in New York keine Rolle.“ 1957 Sieghard Seehofer Wolfsburg 1929 1958 2009 1959 Vermutlich war der „Käfer“ Schuld, dass in Westhagen nicht noch mehr gebaut wurde. Er lief eben nicht mehr. Und ein Nachfolgemodell für das Jahrhundertauto war nicht in Sicht. Dann drehten – verflixt noch mal – die Scheichs 1973 auch noch den Ölhahn zu. VW rutschte aus und ganz Wolfsburg ging am Stock. 1971 dann der erneute Umzug – diesmal nach Westhagen. „Wir waren praktisch die ersten, die hier eingezogen sind“, erinnert sich Sieghard Seehofer. Der jungen Familie bot sich plötzlich ein völlig neues Wohngefühl: 100 Quadratmeter auf zwei Etagen mit einer 30 Quadratmeter großen Dachterrasse – das war nicht nur aus damaliger Sicht nah am Luxus. Sieghard Seehofer war bereits drei Jahre zuvor in die Stadt gekommen. Damals sah die Welt in Wolfsburg anders aus: Die Stadt platzte aus allen Nähten. Die Automobilbranche brummte. Die Belegschaft bei VW wuchs praktisch stündlich. Und die neuen Arbeitskräfte waren nicht allein – viele hatten Frau und Kinder im Schlepptau. Bei manchen zog gleich die halbe Verwandtschaft mit um. Doch der gelernte Werkzeugmacher verdiente gut. In der Nähe pachtete die Familie einen Schrebergarten hinzu. Noch heute fährt der nunmehr 80-Jährige fast jeden Tag mit dem Fahrrad hinüber, um zwischen Laube und Beeten nach dem Rechten zu sehen. Am Reißbrett suchten die Planer in der noch jungen Stadt unweit der innerdeutschen Grenze händeringend nach Lösungen. Fündig wurden sie, wie auch andernorts in dieser Zeit, an den Stadträndern. Die Charta von Athen, die eine scharfe Funktionstrennung von Arbeiten, Wohnen und Erholen formuliert, galt als städtebauliche Leitlinie. Erster Baustein im zeittypischen Erschließungsmuster Wolfsburgs war Detmerode. Wenig später folgte etwas nördlich mit Westhagen eine zweite „Trabantensiedlung“, weil die Wohnungsnachfrage unerschöpflich erschien. Moderner als Detmerode sollte es dort sein, und modern hieß für die Planer „hoch und dicht“, wie Siegfried Trogisch in seinem Wolfsburg-Buch „Ansichtssache“ spitz formuliert. Ziel erreicht, möchte man hinzufügen, denn während sich in Detmerode rund 4 500 Wohneinheiten auf 950 Häuser verteilen, sind es in Westhagen 4300 Wohnungen in 420 Gebäuden. Es hätten viel mehr sein sollen, doch die VW-Krise bereitete dem Bauboom ein abruptes Ende. Von der schieren Größe des Stadtteils ziemlich unberührt, fühlt sich Sieghard Seehofer in Westhagen seit fast 40 Jahren zu Hause. Der Konstrukteur war zuvor bei den Karmann-Werken in Osnabrück beschäftigt. Für die dreimonatige Probezeit bei VW nahm er sich eine kleine Wohnung in Detmerode, in die anschließend auch seine Frau Ursula mit den drei Söhnen einzog. 1961 Die Parzelle hat Bestand, aber ihre Wohnsituation haben die Seehofers bereits Ende der achtziger Jahre ein weiteres Mal ihren persönlichen Ansprüchen angepasst. Nein, kein Haus in einem der zahlreichen Dörfer rund um Wolfsburg herum, wo vor den Doppelgaragen die Autos aus dem großen VW-Konzern stehen. Die Seehofers entschieden sich – mit Blick aufs Alter – in unmittelbarer Nähe erneut für eine Mietwohnung. 87 Quadratmeter auf einer Ebene. Ein Wohnbereich, ein Schlafbereich. Direkt vor der Küchentür die „Essecke“ – um es der Hausfrau zu erleichtern, die Familie zu bedienen. Die Architekten zeichneten nach, was die Gesellschaft vorgab. Die Seehofers haben es hübsch am Südrand von Westhagen. Der Blick vom Balkon geht ins Grüne. Unten rückt die Nachbarin ihrem Zierrasen mit dem Elektromäher zu Leibe. 20 Quadratmeter – das geht ruckzuck. „Es ist ein ruhiges Haus. So gute Leute. Man kann die Türen offen lassen, da passiert nichts.“ In der Nachbarschaft hingegen vermisst der 80-Jährige mitunter „Ordnung und Pflege“. Seine Generation ist in diesem Punkt nicht selten rigoros. Die Flucht aus Ostpreußen, die Lehre in karger Nachkriegszeit, der berufliche Erfolg, die eigene Familie – so etwas prägt. Seit mehr als 50 Jahren begleitet eine Schrankuhr Sieghard Seehofer. Verlässlich und präzise – ein Symbol. „Regelmäßig muss ich sie aufziehen bis zum Anschlag. Dann kann man sich drauf verlassen.“ 1962 Gerhard Schar ner Göttingen 1939 2009 1963 Nein, vor Verantwortung ist Gerhard Scharner nie davongelaufen. Zahlrei-che Ehrenämter hat der mittlerweile 70-Jährige immer noch inne: In Göttingen ist er Vorsitzender des Partnerschaftsvereins und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Händel-Gesellschaft. Hinzu kommen einige Aufgaben im Umfeld der Universität. Außerdem war er 16 Jahre lang Vorsitzender der Deutschen Olympischen Gesellschaft für Südniedersachsen. Und nicht zu vergessen: Den Aufsichtsrat der „Volksheimstätte eG“ führt er ebenfalls seit Jahren. Niemand wäre prädestinierter für diesen Posten bei der traditionsreichen Wohnungsgenossenschaft als Gerhard Scharner. Denn neben der Leidenschaft, sich für andere einzusetzen, und dem nötigen wirtschaftlichen Fachwissen bringt der frühere Sparkassenvorstand auch allerlei praktische Kenntnisse vom Wohnungsmarkt mit: Immerhin hat er bereits 14 Umzüge hinter sich! Am Rande notiert: Heinrich Rohde, der Großvater seiner Frau Gisela, war als Bürgermeister der Gemeinde Geismar Mitbegründer der Genossenschaft. Als einen der gesellschaftlichen „Mega-Trends“ haben Zukunftsforscher die zunehmende Mobilität identifiziert. In entsprechenden Untersuchungen heißt es dann: „Der Manager von heute weiß, dass er mobil sein muss.“ Oder: „Wer Karriere machen will, der muss umziehen.“ Gerhard Scharner, mittlerweile ein graumelierter Herr, kann darüber nur schmunzeln. Er hat diese „Zukunft“ praktisch schon erlebt. Im westpreußischen Löbau verlor seine Familie im Krieg Heimat und Eigentum. Über Berlin und Gera verschlug es ihn mit der Mutter und zwei Geschwistern nur mit Koffern in der Hand in die Nähe von Detmold. Nach dem Studium in Bonn landete er 1968 als Vorstandsassistent bei der damaligen Kreissparkasse in Göttingen. „Damals herrschte in der Stadt Wohnungsnot“, erinnert sich Scharner. Seine erste Wohnung in der Stadt war ein hübscher Neubau der „Volksheimstätte“. Zwei Jahre später, die Tochter war kurz zuvor zur Welt gekommen, kaufte sich die junge Familie in unmittelbarer Nachbarschaft ein Reihenhaus. Es sollte sich als prima Geldanlage erweisen. Mitte der 1970er Jahre mussten Scharners Göttingen wieder verlassen. Er war zum Vorstandsvorsitzenden der Sparkasse Hannoversch Münden berufen worden. Gerhard Scharner betont: „Wir sind sofort umgezogen.“ Wohnen, wo man arbeitet, lautet sein Prinzip. „Das ist auch ein Bekenntnis zur örtlichen Kultur und Nachbarschaft. Man hat kurze Wege, kennt sich besser aus und kann Vertrauen zu seinen Kunden aufbauen.“ Das eigene Reihenhaus wurde zunächst vermietet, später dann verkauft. Der Preis lag mehr als doppelt so hoch wie beim Kauf. 1988 dann die Rückkehr nach Göttingen. Erneut war der Beruf ausschlaggebend. Scharner wurde Vorstand der Kreissparkasse Göttingen. Jetzt entschied er sich, selbst zu bauen: „Ich verstehe das nicht als Statussymbol, sondern es ging darum, eigene Wünsche zu verwirklichen. Eigentum ist für mich das Wohnideal.“ Das Wohnen in einer Genossenschaft komme seinem persönlichen Ideal sehr nahe, hebt Scharner hervor: „Es ist sicher, solide, sozial und zukunftsgerichtet. Deswegen entscheiden sich die Leute für eine Genossenschaftswohnung, weniger wegen des genossenschaftlichen Gedankenguts von Solidarität und Selbstverwaltung.“ Doch auf dem positiven Image dürfe sich eine Wohnungsgenossenschaft wie die Volksheimstätte nicht ausruhen. Moderne Neubauten, die die Bedürfnisse insbesondere von älteren Menschen und Familien berücksichtigen, müssten ebenso entwickelt werden, wie abgeänderte Wohnungskonzepte im Bestand. „Bestes Beispiel ist meine erste Wohnung bei der Volksheimstätte. In dem Haus haben wir mittlerweile einen Fahrstuhl nachgerüstet, damit auch Senioren die Wohnungen in den oberen Etagen gut erreichen können“, berichtet Scharner. „Es ist doch der Wunsch von uns allen, so lange dort wohnen zu bleiben, wo man sich wohlfühlt“, meint Gerhard Scharner. Wie weit das in seinem Haus möglich ist, vermag er nicht zu sagen. Immerhin gibt es dort vier Treppen. 1964 Ber nd Hellwig Bremerhaven 1949 1965 2009 Auf Parzelle 83 ist die Welt in Ordnung. Rasenkanten sind geschnitten, Ziersteine ordentlich verlegt und Blumenkübel prall gefüllt. Hinter der Laube, die erst im vergangenen Jahr mit einem Vorbau nicht unwesentlich vergrößert wurde, wächst und gedeiht es an diesem Sommertag nach allen Regeln der Schrebergartenkunst. Im Vogelhäuschen oben im Giebel der Gartenhütte sorgt Familie Fink für regen Betrieb. Selbstverständlich, mag man meinen, ist dieses Fleckchen Erde von besonderer Pracht. Schließlich heißt der Pächter Bernd Hellwig und ist immerhin seit 1982 der 1. Vorsitzende des Kleingärtnervereins Geestemünde-Süd in Bremerhaven. „Nur noch ein Jahr, dann ist ein anderer dran.“ Kein Ehrenamtlicher, der diesen Satz nicht mindestens hundert Mal gedacht, gesagt, geschrieben und geflucht hat. Dem 60-Jährigen liegt es fern, mit seinen Beeten und Stauden, dem Goldfischteich und dem Vereinsvorsitz anderen imponieren zu wollen. Der Garten ist ein Stück Lebenselixier für ihn und ein Bekenntnis zu seiner Heimat. Das Ehrenamt: selbstverständlich. Die Gemeinschaft der Gartenfreunde: unersetzlich schön. Die meisten wohnen nur wenige Meter entfernt und sind wie Bernd Hellwig waschechte „Süder“. Geboren und aufgewachsen ist Bernd Hellwig, wie schon seine Eltern und seine Großeltern, in Geestemünde-Süd – oder kürzer: in „Süd“. Hier kennt jeder jeden – und zwar seit sechzig Jahren oder noch viel länger. Früher war es ein Paradies für Kinder, und Bernd und seine Freunde sind über die Wege und durch die Gärten getobt. Sie sind in „Süd“ gemeinsam alt geworden. Kinder gibt es hier fast keine mehr. Generationenwandel, nennen das die Soziologen. Der Stadtteil liegt in unmittelbarer Nähe zum Fischereihafen. Wer dort arbeitete und anheuerte, wohnte in „Süd“. Die Straßen heißen „Am Skagerag“ oder „Am Lister Tief“. Viele Jungenträume von der großen, weiten Welt wurden hier geträumt. Voller Sehnsucht haben sie vom Deich den Schiffen hinterhergeblickt. Auch Bernd Hellwig hatte nur einen Wunsch: Seemann wollte er werden. Raus aus der Wohnung, die er sich mit drei Geschwistern und den Eltern teilte. In der die Kinder zu zweit in einem Bett schliefen und Bernd erst als er größer wurde auf die Couch im Wohnzimmer ausweichen durfte. Schon während der Schulzeit unternahm Hellwig seine ersten Touren auf hoher See. Später lernte er Elektriker, meldete sich zwei Jahre zur Marine und blieb anschließend aus Liebe zu seiner Frau Anne auf dem Land. Auf der Werft fand er eine Anstellung. 1966 Mit 20 Jahren zog er aus der elterlichen Wohnung einige Straßen weiter in eine Mansardenwohnung besonderen Ausmaßes: „Wenn ich zur Toilette musste, habe ich immer die Dachluke aufgemacht, damit ich richtig stehen konnte.“ Vermieterin war die Wohnungsgenossenschaft Bremerhaven, der die Hellwigs bis heute treu geblieben sind und in der sie sich als Vertreter für das Wohl der Nachbarschaft engagieren. Nach zwei Jahren fand das junge Ehepaar eine neue Genossenschaftswohnung: drei Zimmer, Küche, Bad, 56 Quadratmeter. Zunächst mit Kohleofen, dann mit Ölheizung. Die Gasheizung hat Bernd Hellwig später selbst nachgerüstet. 26 Jahre hat das Paar dort gewohnt und den gemeinsamen Sohn groß gezogen. Seit mittlerweile zwölf Jahren wohnen die Hellwigs nun in einem der ältesten Genossenschaftshäuser in „Süd“. Ein Klinkerbau mit nur zwei Wohnungen und einem Vorgärtchen. „Wir wollten uns vergrößern, um Platz zu haben für die alten Möbel, die wir in den ganzen Jahren gesammelt haben.“ Außerdem gibt es einen Balkon, ein großzügigeres Badezimmer und ein Arbeitszimmer, in dem Bernd Hellwig die Geschicke des Kleingärtnervereins regelt. Kleiner Luxus auf 73 Quadratmetern. Oder einfach: „Wir können uns nicht beklagen.“ Dabei war es in den vergangenen Jahren nicht einfach für das Ehepaar. Eine schwere Krankheit warf Bernd Hellwig aus der Bahn. Die Werft ging Pleite. Für einen rekonvaleszenten Mittfünfziger findet sich plötzlich nicht mehr der richtige Platz. Hartz IV und die ARGEn-Bürokratie haben besondere Vorstellungen von Wohnen im 21. Jahrhundert. Ein neuer Balkon, ein renoviertes Badezimmer, ein Fahrradhaus, um den Älteren den Abstieg in den Keller zu ersparen – das ist ja nicht gleich ein Wolkenkuckucksheim. Doch die Bestimmungen sind unerbittlich: Übersteigt die Miete den „Höchstbetrag“ muss der Mieter, so knapp das Geld auch ist, „den Differenzbetrag zahlen“. 30 Euro im Monat, die richtig wehtun können. „Noch drei Jahre müssen wir uns einschränken, dann wird es hoffentlich besser.“ Statt Hartz IV gibt es dann Rente. Anne und Bernd Hellwig wollen dann auch mal wieder verreisen. So wie früher. Fast wäre er sogar Hotelmanager auf Rhodos geworden. Vermutlich hat es die Heimatliebe verhindert: „Ich würde nie in einen anderen Stadtteil ziehen“, sagt er. Und, mal ehrlich, Rhodos käme vermutlich nicht einmal in Frage, wenn es neben Blexen auf der anderen Seite der Weser liegen würde. Der Blick auf „Süd“ würde den Hellwigs das Herz zerreißen. 1967 Arkadij Jungnickel Lemwerder 1959 2009 1968 Als Familie Jungnickel in Lemwerder einzog, hat sie alle Mitbewohner im Haus zur Begrüßung zum Essen eingeladen. Doch die Hausgemeinschaft war verkracht. „Nur eine Frau ist gekommen“, erzählt Nicole. „Ein Schock.“ Aus Russland und Usbekistan waren sie anderes gewohnt. „Die Nachbarschaft war eine große Familie.“ Nicoles Familie lebte in einem zweistöckigen Gebäude, nicht gerade die erste Adresse. Ihre Mutter war eine geborene Hollmann. Sie selbst war im Deutschunterricht stets Klassenbeste. Nach der Schule arbeitete das muslimische Mädchen bei der Telefonvermittlung. Dabei lernte sie Arkadij kennen. In Lemwerder ist die große, weite Welt mitunter fast greifbar. Auf der nahen Weser ziehen große und kleine Frachtschiffe mit den exotischsten Flaggen vorbei. Am Ufer sind prächtige Motoryachten vertäut, die in den ansässigen Werften entwickelt werden. Könige, Showstars und Milliardäre jeglicher Herkunft gehören zu den Abnehmern. Gegenüber, auf Bremer Seite, liegt seit 1996 der Großsegler „Schulschiff Deutschland“ als maritimes Denkmal. Auf dem Weg zur Arbeit von Lemwerder nach Bremerhaven nutzt Arkadij Jungnickel täglich die Weserfähre. Er sieht die Schiffe, aber er träumt nicht von fernen Ländern. Er träumt auch nicht von Omsk, der Stadt, in der er groß geworden ist. „Heimat?“ fragt der 50-Jährige. „Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken.“ Und seine Frau, die aus Usbekistan stammt? Nicole sagt: „Heimat ist, wo es mir gut geht.“ Der junge Mann war als Soldat 1980 für einige Monate in der Nähe ihres Heimatortes stationiert. Die sowjetische Armee rückte zu der Zeit über Usbekistan nach Afghanistan vor. Geboren wurde Arkadij Jungnickel in einem Städtchen, das irgendwann einmal Reinfeld hieß und zu einem der großen deutschen Siedlungsgebiete in Sibirien gehörte, deren Orte und Bezirke längst ihre Namen verloren haben. „Meine Mutter hat immer Deutsch gesprochen.“ Ihr Mädchenname: Engel. Mit sieben Jahren zog die Familie nach Omsk. „Bis dahin konnte ich kein Wort Russisch“, erinnert sich Jungnickel. Sie bezogen am Rand der großen Stadt ein Haus mit Garten. „Es war ruhig, fast dörflich. Das Wasser mussten wir in Eimern holen.“ Jetzt ist es eine Drei-Zimmer-Wohnung in der Wesermarsch. Seit Anfang der neunziger Jahre leben sie hier. Zunächst hatten sie im Nachbarhaus eine Wohnung im Parterre. Aber Irina wollte gerne im ersten Obergeschoss wohnen. „Da fühle ich mich sicherer, und die Heizkosten sind auch geringer.“ Bei der ersten Gelegenheit griffen sie zu. Kürzlich hat das Ehepaar das Wohnzimmer umgestaltet. Die neue Schrankwand – erweiterbar – bietet Platz für Gläser und Porzellan und Matrjoschkas und den großen Flachbildschirm. „Wir dekorieren die Wohnung gemeinsam, denn wir mögen beide keinen Kitsch.“ Auf der Rückenlehne der blauen Polstergarnitur sitzt zwischen Teddys mit kariertem Hemd und Lederhose eine Sponge-Bob-Puppe. Laminat, Deckenfluter, Gardinen, Rauchglastisch – alles sehr adrett. Nicole sagt: „Wir haben uns etwas geleistet.“ Arkadij sagt: „Wir können uns das leisten.“ Aus Usbekistan rief Arkadij Jungnickel regelmäßig zu Hause an und kam mit „dem Mädchen vom Amt“ ins Plaudern. Nicole bekommt immer noch leuchtende Augen, wenn sie an diese Zeit denkt: „Ich wusste es sofort: Er war mein Traummann.“ Der Soldat konnte schon bald aus dem Krisengebiet nach Omsk zurückkehren. Sie schrieben sich Briefe, und er versprach, sie zu sich zu holen. Im Juli 1981 setzte sich Nicole in den Zug und fuhr 3000 Kilometer – das entspricht der Strecke Moskau-Barcelona. 1990 machten sie sich auf gen Westen. Die Eltern waren bereits in Deutschland. Bis Lemwerder sind es mehr als 4000 Kilometer. In Omsk waren sie seitdem nur noch ein Mal – 2004 für zwei Wochen. Der erneute Abschied ist ihr, der hinzugezogenen Usbekin, schwerer gefallen als ihm. Das Ehepaar hat zwei Töchter. Beide arbeiten in Regensburg. „Sie haben kein Heimweh nach Lemwerder“, weiß Nicole. Dabei sei es „so ein schönes Städtchen“. Am liebsten würde sie „bis zum Lebensende“ hier wohnen bleiben. Ihren Mann zieht es eigentlich in die Berge: „Aber ich passe mich an.“ Schoßhund Pebbles mit dem Schleifchen im Haar lässt sich genüsslich kraulen. 1969 Claudia Beie-Wiedemann Hannover 1969 1970 2009 Der „Spiegel“ widmete sich Ende 1966 dem Thema „Zukunft“ und zitierte dazu aus einer Modellstudie des US-amerikanischen Hudson-Instituts: „Der Normalbürger des Jahres 2000 erwacht erquickt aus einem traumlosen, medikamentengesteuerten Schlaf. Er schluckt seine 200-KalorienFrühstückspille und schlüpft in einen frischen Wegwerf-Anzug. In seinem Elektro-Auto flitzt er über unterirdische Autobahnen zur Arbeit.“ Nicht ohne Amüsement liest man im Abstand von mehr als 40 Jahren, wie sich die Futurologen-Zunft damals das Leben zur Jahrtausendwende ausgemalt hat. Die Rede ist von einer hochtechnisierten Überflussgesellschaft, von Hyperschall-Flugzeugen, verlässlichen Wettervorhersagen und Raumschiffen, von denen jedes rund 10.000 Menschen zu fernen Welteninseln befördern kann. Wohlhabende würden sich einfrieren lassen und auf bessere Zeiten hoffen. „Geschätzte Gefrierkosten: 34.000 Mark“, rechnete der „Spiegel“ vor. Doch heute? Keine Raumschiffe, keine Pillen am Morgen. Dafür gibt es das Frühstücksbrettchen noch. Welcher Futurologe 1966 hätte das für möglich gehalten? Die Zukunft im Jahr 2009 kann jedenfalls ganz schön gewöhnlich sein! Ida und Mattes Wiedemann, Kinder des 21. Jahrhunderts, essen morgens am liebsten Haferflocken mit Milch. Ihre Mutter Claudia wärmt nebenbei im Kochtopf etwas Milch auf für einen Latte Macchiato. Rund um den Esstisch Eames Armchairs im Design-Mix aus 1950er und 1970er Jahren. In der Ecke liegt ein Geweih. „Ich habe mich mit meinem Mann noch nicht einigen können, ob und wo wir es aufhängen“, sagt Claudia Beie-Wiedemann. Sie wohnen erst seit zwei Jahren hier. Ihr Haus, errichtet in Kettenbauweise 1968, ist eine Reminiszenz ans Bauhaus. Eine Treppe führt vom Eingang hinunter in den Wohnbereich mit Küche. Deckenhöhe bestimmt drei Meter. Hinter der breiten Fensterfront liegt ein wenig Garten. Oben, eine Treppe vom Eingang hinauf, sind Schlafräume und Dachterrasse. „Wohnen ist wichtig für uns“, sagt die Hausherrin. Dafür falle auch schon einmal der Urlaub etwas sparsamer aus. Die 40-Jährige ist teilzeitbeschäftigt als IT-Beraterin, ihr Mann ist selbstständig. Zuletzt haben sie in einer Eigentumswohnung über zwei Etagen im Zentrum Hannovers gewohnt. Nach der Arbeit ging es mit den Kindern auf den Spielplatz. Jetzt toben die beiden entweder im Garten oder auf der Straße, eine Sackgasse mit wenig Autoverkehr. „Das ist für sie die ideale Umgebung und eine totale Erleichterung für mich“, meint die Mutter. Sie macht kein Hehl daraus, dass die Entscheidung, das Haus zu kaufen, ihren Kindern geschuldet war. 1971 Für die Erwachsenen hingegen ist es nicht immer ideal: „Mir fehlen die Kneipen, und unser Theater-Abo haben wir auch nicht mehr.“ Also kümmert man sich ums Haus. „Als wir eingezogen sind, haben wir alles entkernt und Wände, Decken und Fußböden gedämmt.“ Für das Wohnzimmer wählten sie einen Linoleumbelag. Dieser Fehlgriff wurde wenig später korrigiert. Als die Parkettleger anrückten, zog die Familie für zwei Wochen zu ihren Eltern. Die haben ein Reihenhaus im Speckgürtel der großen Stadt. „Ich wollte immer in der Stadt wohnen. Oder wenn schon auf dem Land, dann in einem richtigen Dorf“, erzählt Claudia Beie-Wiedemann. Jetzt ist sie in der Stadt, aber nur so halb am Rande und nicht mittendrin. Irgendwo zwischen Baum und Borke. In ihrer Straße sind Wiedemanns so ziemlich die Jüngsten. Die Nachbarn sind miteinander alt geworden, seit sie dort in den 1950er und 1960er Jahren ihre Häuser gebaut haben. „Sie sagen, die Neubauten hätten ihnen die Sicht auf die Wiesen verstellt. Und damit meinen sie tatsächlich unsere drei Reihenhäuser.“ 40 Jahre alte Neubauten – wie doch die Zeit vergeht. Erstaunliches hatte der „Spiegel“ damals über die Zukunft des Wohnens zusammengetragen: „Der Trend zum gepflegten Heim wird anhalten…Man muss für drei Haushaltsgenerationen sorgen, dank längerer Lebensdauer und Vorverlegung der Heirat…Die Zeit der unproduktiven Pendelei wird vorbei sein… Die Wohnung wird immer mehr Lebens- und Geselligkeitsraum…Man wird mehr darauf sehen, wie einer wohnt, als darauf, wie viel Metall seinen Wagen schmückt…Das Heim des Menschen der Zukunft wird eine Zufluchtstätte der Geborgenheit und Ruhe sowie der inneren Besinnung sein…Man wird behaglich, bequem und schön wohnen wollen…Der gesundheitliche Gesichtspunkt wird eine große Rolle spielen…“ Klingt zwar deutlich langweiliger als Vorhersagen über Unterwasserwelten und Weltraumstationen, hat aber Hand und Fuß. Derzeit diskutiert die NASA ganz ernsthaft über eine Renaissance der Mondflüge und die Besiedelung des Mars’. Für Claudia Beie-Wiedemann, die mit einer Zeitmaschine ohnehin lieber in die Vergangenheit als in die Zukunft reisen würde, ist das eine unvorstellbare Möglichkeit. Ihr nächstes Wohnprojekt ist ganz und gar irdisch, geradezu archaisch: Im Garten wird ein Baumhaus gebaut. Nicht so ein Provisorium aus Europalette und ein paar Nägeln. Sondern richtig zum Übernachten. Ida und Mattes freuen sich schon. Susan Wald Nordstemmen 1979 2009 1972 1973 Die „Platte“ in Köthen (Sachsen-Anhalt), die Gated-Community in Atlanta (Georgia), der Altbau in Hildesheim (Niedersachsen), die Reihenhaussiedlung in Nordstemmen (Landkreis Hildesheim) – in der Wohnbiografie von Susan Wald schimmert die Lebensplanung einer modernen jungen Frau durch, die Karriere und Familie gleichermaßen im Blick hat. Jetzt lebt die 30-Jährige mit ihrem Mann Nico und den beiden Söhnen Jonas (2006 geboren) und Jannes (2008) in einem gemieteten Reihenendhaus in einer 2000-Einwohner-Gemeinde. Wohl einer dieser perfekten Kompromisse, zu dem Paare wie die Walds immer wieder bereit sein müssen, um ihre Ziele zu erreichen. mit Einbauküche und „dickem Teppichboden“ zahlen die jungen Deutschen 900 Dollar. Nico Wald arbeitet von morgens früh bis abends spät – wie seine Nachbarn auch. Wenn seine Frau tagsüber am Pool für ihre Prüfungen lernt, ist sie stets allein. Von Community keine Spur. „Wir haben uns bewusst wieder für Deutschland entschieden“, sagt Susan Wald. „Null soziale Absicherung in den USA“, wenn mal etwas schief laufen sollte, das war den Eheleuten doch zu wenig. Also Hildesheim. Dem neuen Job von Nico Wald hinterher. Die angehende Ärztin absolviert im Städtischen Krankenhaus ihr Praktisches Jahr. Nordstemmen ist buchstäblich der Mittelpunkt in ihrem privaten Kosmos. Der Ort liegt mehr oder weniger exakt zwischen den Arbeitsplätzen – dem Krankenhaus, in dem die promovierte Bio-Chemikerin Susan Wald als Neurologin tätig ist, und dem Elektronikkonzern, in dem der Ingenieur Nico Wald Navigationssysteme programmiert. Nordstemmen hat eine Kindertagesstätte ohne Warteliste, eine Grundschule und eine Kinderturngruppe. Es gibt nette Nachbarn, viele Kinder, Rutschen und Klettergeräte hinter jedem Haus. Die Walds haben zwei Autos. Dann kommt das erste Kind. Die Wohnung im dritten Obergeschoss wird zur Belastung. Nebenbei schließt die Medizinerin ihre Doktorarbeit ab. Als sich erneut Nachwuchs ankündigt, sucht die Familie im Internet nach einer neuen Bleibe. Die Kriterien sind klar umrissen: möglichst in der Nähe ein Haus zum Mieten. In Nordstemmen werden sie fündig. „Home is where I hang my hat.” Vielleicht wird Nordstemmen eine Episode in ihrer Familienchronik, an die sich bei den Walds in 50 oder 60 Jahren niemand mehr erinnert. Zumindest für Jonas und Jannes könnte der Ort aber auch so etwas wie Heimat werden. Alles ist möglich. Susan Wald wird sich vorerst nicht festlegen. Susan Wald fühlt sich wohl in diesem Ort. Aber sie sagt: „Ich spüre keine Verbundenheit mit Nordstemmen.“ Es ist zur Zeit sehr praktisch. Doch sie könne sich vorstellen, auch wieder wegzuziehen. „Auf einen Garten wollen wir dann aber nicht mehr verzichten.“ Und kleiner dürfe die neue Wohnung auch nicht sein. Sogar Nordstemmen hat also einige Maßstäbe im Orientierungsrahmen der Walds verrückt. Anderes steht felsenfest: „Nie wieder nach Köthen. Alle jungen Leute, die beruflich etwas erreichen wollten, sind fort.“ Auch sie und Nico, den sie bereits seit ihrer Schulzeit kennt. Noch ist alles auf die Kinder und die Arbeit ausrichtet. Der Tagesablauf, das Haus, der Garten. Fein austariert. Ein Auszug wäre in wenigen Stunden geschafft. Und wenig später schon stünden die Fotos von den Jungs auf dem Sideboard in einem anderen Haus in einer anderen Stadt – und alles sähe aus wie in Nordstemmen. Im Wohnzimmer gäbe es weiterhin keinen Tisch. „Meine Eltern sagen immer, ihr braucht doch einen Tisch. Aber wir brauchen keinen. Dann hätten die Kinder nicht mehr genug Platz zum Spielen.“ Jannes lacht und zeigt seine ersten Zähnchen. Gleich kommt Jonas vom Kindergarten nach Hause. Die Nachbarin bringt ihn mit. „Die guten Kontakte gibt es hier zur Miete kostenlos dazu“, sagt Susan Wald – und für einen Moment könnte man meinen, sie würde es wirklich vermissen, wenn sie mit der Familie wegzieht – dem nächsten Job hinterher. Noch während ihres Studiums in Magdeburg zieht ihr Mann nach Atlanta. Susan Wald besucht ihn in den Semesterferien. Die Wohnanlage ist nur durch ein großes Tor zu erreichen und wird von Mauer und Zäunen umgeben: Gated Community. Hier wohnt, wer auf dem Weg nach oben ist. Sogar zur Wäscherei, die zentral auf dem Gelände liegt, fährt man mit dem Auto. Man gönnt sich ja sonst nichts. Komfort und Sicherheit haben ihren Preis. Für das Appartement 1974 Cäcilia Holtgreve Braunschweig 1989 1975 2009 Der Weg zu Cäcilias Wohnung führt über den Hinterhof. Na ja, nicht gerade eine Kuschelecke. Dieses Fleckchen ist zu grau, zu steinig, zu rostig. Cäcilia Holtgreve, Design-Studentin an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig, klemmt ihr Fahrrad in den Ständer, zerrt die Post aus dem Kasten und springt die Treppen hinauf. Erst seit wenigen Wochen wohnt sie hier mit einer Kommilitonin. Cäcilia ist 20, Jenny 27 Jahre alt. Beide hatten sich kurz vorher von ihren Freunden getrennt und daraufhin ihre Sachen „zusammengeschmissen“, wie es so schön heißt. Eine völlig zufällige Konstellation also, die zu dieser ZweiFrau-WG geführt hat. Aber keineswegs untypisch. Zu zweit ist es nur halb so teuer. Und zum Kennenlernen bleibt noch genug Zeit. Braunschweig ist Cäcilias erste „Station“ außerhalb des Elternhauses. Sie stammt aus dem nordrhein-westfälischen Warburg, ziemlich genau in der Mitte zwischen Paderborn und Kassel gelegen. Ihr Vater Alfons, ein erfolgreicher Grafikdesigner und Künstler, hatte ihr nach dem Abitur vorgeschlagen: Studier doch in Kassel! Frei übersetzt heißt das wohl: Bleib bei uns! Stattdessen zog es sie davon. Nach dem Abitur zunächst für drei Monate nach Kroatien, wo ihre Mutter herstammt und ihre Schwester geboren wurde. „Kroatien und Warburg sind meine Heimat“, sagt Cäcilia. Braunschweig spielt in einer anderen Liga. Ob sie ihr Herz an diese Stadt verlieren wird? Eher wird sie ihr Herz in dieser Stadt verlieren. „Braunschweig ist okay“, meint die Studentin. Die Stadt Heinrichs des Löwen ist zehn Mal so groß wie Warburg mit all seinen Ortsteilen und vom Elternhaus fünf Mal so weit entfernt wie Kassel. Mit dem Fahrrad komme man überall hin. „Es ist der Einstieg ins Stadtleben für mich.“ Die Großstadt sei immer ihr Ziel gewesen. Nicht gerade Berlin. „Vor Berlin habe ich Respekt.“ Berlin ist Großstadt für Profis. Braunschweig ist Großstadt für Anfänger. Cäcilia nennt es „Übergangsstadt“. Neugierig entdeckt sie Tag für Tag neues Terrain. „Es gibt so viele Möglichkeiten – vor allem bei Kunst und Kultur.“ 1976 In Warburg ist Cäcilia nie umgezogen. In Braunschweig hingegen wohnt sie bereits in ihrer zweiten Wohnung – nach einem halben Jahr. Die Großstadt als Umzugsstadt. „Unsere neue Wohnung ist ein Glücksgriff. Ein Angebot aus der Zeitung, ganz altmodisch.“ Zwei Zimmer, eines mit Balkon, ein Bad und eine große Küche. Kurzum: perfekt für zwei Studentinnen. Zumal auch der Preis stimmt. Da war sogar noch ein Küchenschrank drin – weiß, günstig, passgenau. Keine Stilikone, aber er erfüllt seinen Zweck. Die Post liegt auf dem Küchentisch. Ein Brief des Vaters ist dabei. Unter der Spüle stapeln sich leere Bierflaschen. Auf dem Flur stehen noch Umzugskartons. Hier Werkzeuge, dort Pinsel. „Wohnen heißt, dass ich mich zu Hause fühle“, sagt die junge Frau. „Meine Bilder helfen mir dabei.“ Die Wände in ihrem Zimmer sind übervoll. Alfons Holtgreve hat mit seinem Brief eine kleine selbst gestaltete Karte geschickt, die ebenfalls einen Platz finden wird. In 20 Jahren sieht sich Cäcilia Holtgreve in einer großzügigen Altbauwohnung zu Hause. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Eine Altbauwohnung im Jahre 2030 ist für die Studentin „eine Altbauwohnung wie heute“ – nur eben 20 Jahre älter. Hohe Räume, große Fenster, Holzfußboden. Die Wohnung wird schlicht eingerichtet sein, und vermutlich werden an den Wänden, wie eine Art Orientierungshilfe fürs Wohlfühlen, zahllose Holtgreve-Bilder hängen. „Eine elitäre Vorstellung“, meint die 20-Jährige, die immer auch „die bescheidenen Wohnverhältnisse“ der Verwandtschaft in Kroatien vor Augen hat. Statt Wohnung ein Haus mit einem kleinen Garten und einer Familie? Diese Idee erscheint ihr derzeit „einfach spießig“. Und nach Warburg zieht es sie vorerst auch nicht zurück. „Ich bin weg und bleibe auch weg.“ Das klingt trotzig, aber keineswegs abwertend. Die angehende Designerin hat anderes im Blick. Braunschweig ist Zwischenstation. Ein Semester möchte sie in Barcelona studieren. Was danach kommt ... Fragezeichen! Ihr Vater wird seine Briefe mal hier hin, mal dort hin schicken. Seine Tochter wird ihm antworten. Ihre Briefe haben stets das gleiche Ziel: Warburg! Felix Borchers W ilhelmshaven 1999 2009 1974 1977 Wohnen kann so einfach sein. Vor allem für Felix Borchers und seine Altersgenossen. Als Zehnjähriger will man von Mieten, Krediten und Reparaturen nichts wissen. Selbst die Organisation des Haushalts wird gerne den älteren Mitbewohnern – sprich: den Eltern – überlassen. Hauptsache der Kühlschrank ist voll! Das eigene Zimmer aufzuräumen, gilt gemeinhin als Höchststrafe und wird nur erledigt, wenn sonst ein Fernsehverbot droht. Felix wohnt zeit seines Lebens in einer Bauvereinssiedlung in Wilhelmshaven. „Auf Siebethsburg“, wie es in der Jadestadt heißt, ist seine Heimat. Schon sein Vater Jochen ist hier aufgewachsen, und die Großeltern wohnen auch noch im Quartier. Die Wohnung – ursprünglich waren es zwei Wohnungen, die zu einer familientauglichen Größe zusammengelegt worden sind – teilt sich der Blondschopf nicht nur mit seinen Eltern, sondern auch mit den älteren Zwillingsschwestern Julia und Romea. Nicht ohne Stolz vermeldet das Nesthäkchen: „Ich habe das größte Zimmer!“ Allerdings ohne Internetzugang. „Den bekomme ich erst, wenn ich zwölf bin.“ Das „größte Zimmer“ wäre sicherlich unter den Top Ten, wenn man Zehnjährige fragen würde: „Was ist Dir wichtig beim Wohnen?“ Dazu kommen bei Felix – und wir nehmen einfach an, er sei repräsentativ – der Platz vor dem Fernsehgerät, ein Hochbett mit einem Sofa darunter, die Freunde in der Nachbarschaft und eine gute Gelegenheit, „um die Ecke“ Fußball zu spielen. Momentan spielen Felix und seine Kumpel Karlo und Keno auf einer kleinen Wiese direkt neben dem Hauseingang. Wohl dem, der so ein Plätzchen zur Verfügung hat. Bis vor kurzem gab es in der Nähe auch noch einen richtigen Bolzplatz. Der wird jedoch zu einem Parkplatz umgebaut. „Warum brauchen die noch einen Parkplatz, die haben doch schon drei“, fragt Felix und ist ratlos. Zur Schule fährt der Fünftklässler mit dem Fahrrad. „Das dauert weniger als fünf Minuten.“ Von dort geht es ohne Umschweife zum Fußballtraining. Das Abwehrtalent spielt für den FC Olympia in der E-Jugend. In seinem Zimmer wird schnell klar, von welchem Verein Felix träumt: Poster von Franck Ribéry und der Mannschaft von Bayern München kleben an Wänden, Schränken und Türen. „Möchtest Du gerne in München wohnen?“ „In der Allianz-Arena, das wäre cool.“ Auch andere Städte hat Felix Borchers schon ins Visier genommen. Hamburg oder Berlin. „Aber da ist alles viel teurer als hier“, meint der Junge. Sogar Schokolade würde in den großen Städten mehr als fünf Euro kosten. Dann vielleicht Bremen? Felix zieht die Nase kraus und schüttelt den Kopf. Wo sonst? „Im Weißen Haus.“ Ihm ist zwar klar, dass es als Wilhelmshavener ziemlich aussichtslos ist, Präsident der USA zu werden. Doch die Aussicht ist verlockend: „Da ist so viel Platz. Und im Garten kann man bestimmt gut Fußball spielen.“ Bis die ganz großen Wohnträume verwirklicht werden, dauert es vermutlich noch ein wenig. Aber dann muss es Schlag auf Schlag gehen. Denn Felix hat viele Ideen: Der Garten auf der Drehscheibe zum Beispiel, damit man immer in der Sonne sitzt. Große Kinderzimmer mit mindestens 30 Quadratmetern. Die Zimmer sollten nur kleine Fenster haben, um größere Schränke darunter rücken zu können. Aus Platzgründen (für noch mehr Schränke) dürften auch die Heizkörper höchstens 20 Zentimeter groß sein. Und jeder Heizkörper würde drei Räume beheizen. Keller will Felix abschaffen. Stattdessen plädiert er für mehr Abstellfläche in der Wohnung. Warum? „Ich muss jetzt immer die Getränke aus dem Keller holen. Und Mama und Papa schicken mich, wenn der Krimi im Fernsehen gerade so spannend ist.“ Na, wenn das kein Grund ist, Hausarchitektur ganz neu zu überdenken. Die Zimmer der Zukunft brauchen keine Lampen mehr. Felix plant das so: „Das Licht kommt aus den Tapeten oder aus den Wänden.“ Für den Hausmüll schlägt er einen Laserzerstörer vor. Ein Hausroboter macht sauber und räumt auf. Treppenhäuser sind überflüssig. Zwischen den Stockwerken „beamen“ sich die Menschen hin und her. „Aber wie schützt man sich dann vor Einbrechern?“ fragt sich Felix selbst. Man merkt: Er möchte Polizist werden. Aber das dauert noch. Jetzt geht es erst einmal hinaus zum Spielen. Schuhe an, Tür auf, schon ist Felix mittendrin in seiner Welt. Die Zukunft muss warten! 1978 Liam Garske Hannover 2009 2009 1979 Wie wird das Wohnen sein in 100 Jahren? Das wissen wir natürlich nicht. Viele von uns werden es auch nicht erfahren. Liam Garske aus Hannover hingegen wird alle Chancen haben, sich auf das Leben im 22. Jahrhundert vorzubereiten. Er wird Pläne schmieden und Ideen verwirklichen. Vielleicht wird er im Jahr 2109 zu einem erdähnlichen Exoplaneten in der bewohnbaren Weltallzone reisen, um sich pünktlich vor seinem 100. Geburtstag noch einmal im intergalaktischen Wellness-Zentrum aufzufrischen. Oder er blickt aus dem Fenster seines Appartement-Moduls im 400. Stockwerk eines energetisch völlig autarken Neubaus auf dem Grundstück des früheren hannoverschen Flughafens und guckt den „Rocket-Ship-Races“ auf der nahen Nordsee zu. Liam im Jahr 2009 denkt an solche Dinge nicht. Seine Welt ist in Ordnung bei seiner Mama auf dem Arm oder in seinem Bettchen mit irgendeinem Spielzeug in der Hand. Übers Wohnen können Simone Garske und ihr Lebensgefährte Thomas Sikora ihrem ersten Kind später noch einiges erzählen. Die gemeinsame Genossenschaftswohnung mit dem eigenen Kinderzimmer symbolisiert den vorläufigen Höhepunkt ihrer Beziehung. Bei ihnen war erst die Liebe, dann der Umzug. Nicht selten wird die Wohnung auch als PartnerschaftsTeststrecke genutzt. Wer hält es aus, wenn die Zahnpastatube oben ausgedrückt wird, wenn rote Socken das weiße Lieblingshemd verfärbt haben und das Essen letztlich doch nicht so schmeckt wie bei Muttern? Thomas Sikora stammt aus Kattowitz: „Wir haben mit drei Generationen in einer Wohnung gelebt. Mein Bruder und ich, unsere Eltern und die Großeltern. Sechs Personen in zwei Zimmern auf 48 Quadratmetern.“ Es gab Vorteile: „Es war immer jemand da, mit dem man reden oder spielen konnte.“ Außerdem war die Miete günstig. „So fünf bis zehn Prozent vom Monatsverdienst“, schätzt Sikora. Es gab aber auch Nachteile: „Die Privatsphäre vor allem für meine Eltern fehlte völlig.“ Schlimmer wurde es nach einem Umzug in eine Ein-Zimmer-Werkswohnung der Firma, für die sein Vater arbeitete. „Das war echt schäbig“, erinnert sich der mittlerweile 32-jährige Sikora. Zwei Jahre dauerte dieses Wohnmartyrium. Dann zog die Familie in einen Neubau. Neunter Stock. „Mein Bruder und ich hatten ein eigenes Zimmer, in dem wir sogar Fußball spielen konnten.“ 1980 1990 verabschiedeten sich Sikoras von der polnischen Heimat und zogen nach Deutschland. Wohnungsmäßig ein absolutes Déjà-vu-Erlebnis. In Hannover-Vahrenheide lebten erneut drei Generationen der Familie unter einem Dach: Oma, Tante, Eltern und die Kinder. Acht Monate lang schlief Thomas auf dem Fußboden. Im Rückspiegel betrachtet: „Eine anstrengende Zeit, aber schön und sehr familiär.“ Seine Eltern haben sich mittlerweile ihren Traum vom Wohnen erfüllt: Ein Reihenhaus am Rande Hannovers; zwei Etagen und ein kleiner Garten. Bei Simone Garske, der gebürtigen Hannoveranerin, schließt sich mit der Wohnung ihrer eigenen Familie ein Kreis. Nachdem sie mit ihren Eltern schon „zwei-, drei Mal“ innerhalb der Stadt umgezogen war, verschlug es sie zeitweise auch nach Bayern. Jetzt also mit Freund und Sohn wieder mitten in Hannover. Thomas ist nach der Reihenhauszeit regelmäßig umgezogen: Kronsberg, Kirchrode, Südstadt – auch auf diese Weise kann man eine HalbmillionenStadt wie Hannover kennenlernen. „Diese Umzüge empfinde ich wie eine Art Identitätssuche“, sagt der diplomierte Sozialwissenschaftler. Seinem Sohn wünscht er, „dass er besser Wurzeln schlagen kann.“ Ständige Ortswechsel kosten Bekanntschaften. „Wie schön muss es dagegen sein, wenn man Freunde aus dem Kindergarten ein Leben lang behalten darf.“ Was die Wohnzukunft ihrem Kind bringen wird? Simone und Thomas sind überzeugt davon, dass soziale Netzwerke („Dinge, die man greifen kann“) eher an Bedeutung gewinnen werden. Die virtuellen Internet-Verstricker von SchülerVZ, Facebook und XING seien dafür kein Ersatz. Thomas ahnt, dass es die Sehnsucht der Menschen nach persönlichen Kontakten ist, trotz oder gerade wegen der zunehmenden Anzahl von Ein-Personen-Haushalten: „Kürzlich auf dem Weg von der Bushaltestelle nach Hause habe ich eine ältere Frau bemerkt, die ein Kissen aufs Fensterbrett gelegt hatte und auf die Straße schaute. Ich habe sie freundlich gegrüßt. Und sie hat sich sehr darüber gefreut.“ Wann haben Sie zuletzt aus dem Fenster geguckt? Nicht nur mal kurz in den Garten oder auf die Straße, sondern um zu beobachten, um zu genießen und um am Leben draußen teilzunehmen. Ob Liam in 100 Jahren wirklich die Nordsee von Hannover aus sehen kann, ist jetzt nicht wichtig. Schön wäre es, wenn er Spaß daran hätte, aus dem Fenster zu sehen. Zukunft Wohnen! Experten thesen Te x t u n d I n t e r v i e w s : B e r t S t r e b e . . .v o n j e d e m e t w a s . 1981 1982 e „ Wo h n e n a u f d e m Wa s s e r h a t P o t e nz ia l! “ S a sc ha Akker mann Sc hrein er, Ol d e n b u r g Das Bedürfnis, den Elementen nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, ist so alt wie die Menschheit. Deswegen brauchen wir Häuser. Aber fast genauso groß ist das Bedürfnis, den Elementen dennoch nahe zu sein. Deswegen brauchen wir Balkone und Terrassen, Gärten und Wintergärten, Wohnhäuser am Wasser. Oder: Wohnhäuser auf dem Wasser. Sascha Akkermann ist Schreiner und Designer in Oldenburg und hat sich schon immer ein Hausboot gewünscht. Und da es keins gab, das einerseits seinen Ansprüchen genügte und andererseits bezahlbar war, hat er eben selbst eins gebaut. Der „Silberfisch“, wie Akkermann und seine Kollegen Flo Florian und Bernhard Urich ihre Kreation genannt haben, ist im Oldenburger Stadthafen zu bewundern. Und sie ist wirklich bewunderungswürdig. Akkermann hat das Tischlerhandwerk noch auf der traditionsreichen Oldenburger Brand-Werft gelernt, die Mitte der neunziger Jahre in die Insolvenz ging. Heute beheimatet das alte Werftgelände viele kleine Firmen – auch Akkermanns Schreinermeisterei. Zusammen mit der Designerin Flo Florian gründete Akkermann 2002 das Label confused direction mit dem Schwerpunkt Möbeldesign. Die beiden stellen beispielsweise edle, schmiegsame Liegen und Sofas, witzige Regale und verschrobene (aber wunderschöne) Tische her. Und nun auch Hausboote. Jedenfalls haben sie erst mal den „Silberfisch“ gebaut und bieten ihn jetzt zum Verkauf, um sich zu refinanzieren – wer 150.000 Euro übrig hat, kann ihn haben. Dann sollen weitere Hausboote folgen, und Akkermann will auf jeden Fall irgendwann auf einem wohnen. Derzeit ist das noch nicht so einfach. Sascha Akkermann ist der festen Überzeugung, dass das Wohnen auf dem Wasser ein großes Zukunftspotenzial hat. In Oldenburg, das von der Hunte durchflossen wird, sowieso, aber auch in anderen Städten wie Hamburg, Kiel, Berlin, Duisburg – Wohnraum ist knapp, Büroraum ist knapp. Das Vorbild der nahen Niederlande, wo Hausboote und Wohnschiffe zum Alltagsbild gehören, wirkt nach und nach. Aber auch in Brandenburg, wo der geflutete Braunkohleabbau Seenlandschaften entstehen ließ, oder in der Lausitz gibt es Bemühungen, das Hausbootwesen nicht nur in den Uferbereichen der Gewässer, sondern auch in den Köpfen von Planern und Behördenchefs zu verankern. 1983 Das Problem ist, dass man sein Boot nicht einfach irgendwo vertäuen kann. Man braucht eine genehmigte Infrastruktur – Steg, Versorgungsleitungen, Entsorgung. „Wenn es mehr Liegeplätze gäbe“, sagt Akkermann, „hätten wir schon ein paar Hausboote verkauft.“ So aber liegt der „Silberfisch“ immer noch als Unikat und provisorisch im Oldenburger Hafen. Akkermann hofft, dass sich das Manko mit dem geplanten Hafenumbau erledigen wird. Aber das dauert noch ein paar Jahre. Interesse am „Silberfisch“ gibt es zuhauf. Bei offiziellen Besichtigungsterminen wurde das Boot fast gestürmt, und auch außerhalb davon kommt alle naselang jemand vorbei und inspiziert das ebenso elegante wie im Sinne des Wortes schräge Objekt. „Die Leute springen einfach über den Zaun“, sagt Akkermann. Der Fisch ist etwas mehr als 14 Meter lang und vier Meter breit und wiegt 13,6 Tonnen. Er bietet eine Wohnfläche von 40 Quadratmetern (plus eine eingezogene Schlafebene von 5,5 Quadratmetern), außen stehen 33 Quadratmeter Fläche zur Verfügung, 17 davon gehören zur begrünten Dachterrasse. Bio-Toilette, Bad mit Dusche und Waschmaschine, eine komplett eingerichtete Küche und ein bulliger Holzofen komplettieren die Grundausstattung. Dass die Bücher schimmelig oder die Bettdecken klamm werden, braucht man nicht zu befürchten: Die Fassade aus silbrig schimmernden Resopalplatten ist hinterlüftet, die Balkenkonstruktion mit Hanf und Holzfasern isoliert. Im übrigen ist das Objekt mit den exquisiten Möbeln von confused direction bestückt. Man kommt sich also wie in einer Designer-Villa vor – mit dem Unterschied, dass es von unten her gluckst und das Glitzern der Sonne auf dem Wasser durch die Fenster scheint. „Ist schon was anderes, wenn der Kormoran direkt vor der Tür taucht“, sagt Sascha Akkermann. Der „Silberfisch“ sollte „ein wertiges Heim“ werden, „das eine ausgewogene Mischung aus Design und maritimer Romantik darstellt“. Ist er geworden. « X „ M e hr e r re i c he n mi t we ni ge r M i tt eln !“ M a rgi tta B uc he r t P rof es s ori n, H annov er 1984 Sportbekleidung kaufen kann, die auf die Körpertemperatur reagiert, könne es bald auch Gebäude geben, die auf unterschiedliche Faktoren reagierten, sagt Margitta Buchert. Ganz neue Gebäudequalitäten also – oder wieder ganz alte könnten in Mode kommen. Das Verständnis für so genannte alte Konzepte kann verändert werden und dazu ermutigen neue zu entwerfen. „Vergangenheit“, hat Margitta Buchert in einem Aufsatz zum Thema „Zukunft“ geschrieben, sei „nicht nur inaktives Bildungsgut im Sinne gespeicherten Wissens und nicht nur als Rückversicherung zu verstehen, um Positionen zu erhalten oder zu erhärten, die sich bewährt haben.“ Geschichtlichkeit zeige sich eher als „Möglichkeit, die Enge vertrauter Muster und individueller Subjektivität sowie des unmittelbaren Wahrnehmungs- und Erfahrungsraums zu überschreiten, als Angebot, eigene Denk- und Gestaltungsweisen in andere Relationen zu setzen“. Und weiter: „Nicht zuletzt erwächst daraus die Möglichkeit, gleichermaßen begründbare wie unerschrockene Erwartungen an die Zukunft zu richten. Wesentlich erscheint die Reflexivität als Strategie, die den Bedingungen des eigenen Deutens und Handelns Aufmerksamkeit schenkt. Erinnerung ist dafür ein Rohstoff.“ Das Wort „wohnen“, sagt Margitta Buchert, bedeute nach seinen althochdeutschen Wurzeln „sich aufhalten“, „bleiben“ oder „sein“ – auch im Sinne von „zufrieden sein“. Es bedeute, zu einem vertrauten Umfeld zugehörig zu sein und einen Rückzugsraum zu haben. Das brauche sie, sagt sie. Das Umfeld, den Rückzugsraum, Ruhe, Grün, Weite auch. Sie lebt an einem der urbansten Orte mitten in der Stadt, mitten in Hannover. Aber „mit Grünbezug“. Und die Stadt werde sie wohl weiterhin bevorzugen, sagt Margitta Buchert, die Urbanität, die Dichte, die Mischung verschiedener Menschen und Kulturen. Margitta Buchert ist Professorin an der Fakultät für Architektur und Landschaft der Leibniz Universität Hannover. Sie interessiert sich für Zukunft. Auch für die des Wohnens. Aber sie redet nicht von Virtualitätsvisionen, in denen wir uns alle nur noch in künstlichen digitalen Welten austauschen und die Kühlschränke selbsttätig die zur Neige gehende Milch nachbestellen. Denn Vergangenheit und Gegenwart seien immer auch Bestandteil der Zukunft, sagt Margitta Buchert. Und virtuelle Raumvorstellungen seien ja auch nichts Neues, die habe es schon immer gegeben, in der Mathematik, der Literatur, der Architektur. Vor 20 Jahren konnten wir uns nicht vorstellen, dass einmal nahezu jeder westliche Weltbewohner eine Box am Schreibtisch stehen haben würde, die Informationen aus aller Welt in Sekundenschnelle bereitstellt, oder dass die Menschen keine Telefonzellen mehr bräuchten, weil sie die Telefone mit sich herumtragen. „Was wir uns von der Zukunft vorstellen können“, sagt Margitta Buchert, „das sind viele verschiedene Möglichkeitsräume, die es kreativ zu entwickeln gilt“. Wichtig sei aber auch das, was in der Vergangenheit Bedeutung hatte. „Das, was bleibt: Haus und Umgebung, eine Tür, ein Fenster, eine Treppe, die Wand. Das Reservoir des `Bleibens´, des Nahen sollte neu bedacht werden. Es kann zur Betonung sinnlicher und sozialer Präsenz beitragen.“ Wir könnten uns beispielsweise an existenzielle raumbezogene Grunderfahrungen erinnern, in denen die Qualität und die Atmosphäre eines Raums, eines Hauses, einer Straßenzeile, eines Viertels noch Bedeutung hatten – und die, wie es sich Margitta Buchert wünscht, wieder Bedeutung bekommen sollten. „Einfach Lebensqualität“, sagt sie, „vermittelt durch qualitätvoll gebaute Umwelt. Der Bezug zu Dingen und zu natürlichen Elementen wird auch in Zukunft wertvoll sein.“ Bei leerstehenden Gebäuden etwa könne man ganze Geschosse rausnehmen für mehr Licht und Luft oder Begrünung und Freiraum. Der holländische Pavillon auf der Weltausstellung Expo 2000 in Hannover sei ein „Denkmodell“ in diese Richtung gewesen. Ein Haus habe nicht nur eine Schutzfunktion in technischer Hinsicht. Viel wichtiger sei die Lebensqualität. Mit offener Orientierung hin zum noch nicht Bekannten gelte es, diese zu entwickeln. Dabei entwickeln sich die Erfahrungen und Möglichkeiten. „Das Thema Ökologie wird fortgeschrieben, das Denken in Systemen der Relation von Architektur und Umwelt bedeutender“, sagt die Professorin. Wie man inzwischen Margitta Buchert ist Optimistin. Sie ist zuversichtlich, dass die Völkerverständigung, die Durchmischung der Kulturen zunehmen, dass die Gesellschaft Benachteiligte mehr einbeziehen wird. Dass Wohnensembles künftig nicht nur 1985 Wohngebäude sein werden, sondern auch Raum für Kollektivaufgaben bereithalten, Platz für Kinder und Jugendliche, für die Begegnung der Generationen, für Bildung und Kultur. Die Aufmerksamkeit für qualitätsvolle architektonische Gestaltung kann dies unterstützen. „Mehr für weniger“, sagt Margitta Buchert. „Mehr erreichen mit weniger Mitteln, weniger Verbrauch. Besser erkennen, was überflüssig ist.“ Wohnen heißt für sie, dass die Dinge und die Menschen anwesend sind und Wohn-Orte schaffen. Dies wäre für sie eine gelingende Zukunftsgestaltung. « P „ Sch afft ro b u ste G ru n d risse!“ J e ns. S. Da ngsc ha t P rof es s or, W i en 1986 „Neue Unübersichtlichkeit“ lautet das Schlagwort. Klar, sagt Jens S. Dangschat, in Wiesbaden geborener Professor für Siedlungssoziologie und Demografie und Leiter des Fachbereichs Soziologie in der Fakultät für Architektur und Raumplanung an der Technischen Universität Wien, natürlich gebe es die bekannten Trends des demografischen Wandels, der Individualisierung, der Ausdifferenzierung der Wohnformen. Aber was heiße das denn? Architekten und Wohnungswirtschaft beschäftigten sich jetzt zwar dauernd mit flexiblen Grundrissen. Doch die meisten Mieter passten sich immer noch den bestehenden Wohnungen mit dem geläufigen Schema Wohnzimmer/ Schlafzimmer/ Kinderzimer an. Und das, obwohl lediglich noch etwa ein Viertel der Haushalte in Großstädten Familienhaushalte seien. Die Architektur, meint der 61-jährige Professor, reagiere zu extrem. Alle plä dierten jetzt für Wohnungen mit zuschaltbaren Räumen oder versetzbaren Wänden oder gar keinen Wänden. Doch Dangschat wird misstrauisch, wenn sich alle einig sind. Natürlich seien solche Angebote an sich sinnvoll. Aber: Nur etwa ein Prozent der Wohnungen am Markt entstehe pro Jahr neu. Demnach werde es lange dauern, das ganze Angebot zu flexibilisieren. „Schafft lieber robuste Grundrisse“, empfiehlt Dangschat den Architekten, „mit guter Typologie.“ Wohnungen also, in die ein Paar, ob verheiratet oder nicht, ohne Kinder ein ziehen und drin bleiben kann, wenn dann doch eines kommt. Wobei es heute eine Illusion sei, wenn Architekten glaubten, jemand ziehe in eine Wohnung und bleibe da dann die nächsten 40 Jahre. Wie es Lebensabschnittspartner gebe, solle es auch Lebensabschnittswohnungen geben. Etwa zehn Prozent aller Stadtbewohner zögen jedes Jahr um. Und diese Entwicklung werde in Deutschland nur deswegen gebremst, weil die Umzugskosten so horrend seien. Ganz zu schweigen von dem Aufwand, wenn der Bewohner eine Wohnung nicht bloß gemietet, sondern gekauft hat. Notar, Grundbucheintrag, Grundsteuer, Makler – das sei hier alles überteuert. Da solle sich Deutschland mal ein Beispiel an den USA oder Großbritannien nehmen. „Katastrophal“ nennt Jens Dangschat das Marketing der Immobilienwirtschaft – sie habe halt die Erfahrung gemacht, dass jede Wohnung genommen wird, sie 1987 habe sich nur so viel wie nötig bewegt. Erst in jüngster Zeit beginne sie, sich für die Milieus ihrer Mieter zu interessieren. Diese Mieter wiederum wüssten oft gar nicht, was sie alles erreichen könnten bei den Wohnungsunternehmen – wenn sie es nur einfordern würden. Und so lebten sie denn 50 Jahre in irgendwelchen „Schuhschachteln“. Erst, wenn es ihnen doch irgendwann zuviel werde und sie auszögen und es zu Leerstand komme, erst dann reagiere auch die Wohnungswirtschaft. Der Wohlstand in den Städten nimmt zu, ebenso die Armut. Die Zahl der Migranten steigt, und Deutschland braucht sie auch. Feste Jobs werden seltener, die Zahl der Leute, die zu Hause arbeiten und sich dabei von Projekt zu Projekt hangeln, wächst. Aber, sagt Dangschat: Auch im Jahr 2020 werde sich für viele Menschen nur wenig verändert haben. Sie leben in ihrer Kleinfamilie, gehen ihrer Erwerbsarbeit nach, verfügen über ein niedriges, aber berechenbares Einkommen. Nicht immer und überall bestimmen die Trendsetter den Markt, und auch für die anderen, gewöhnlichen Kunden müsse es Angebote geben. In Manchester etwa hat sich der Soziologe Experimente mit dem „minimalen Wohnen“ angeschaut. Kleine Grundrisse, die jedoch großzügig wirken, weil es beispielsweise keine abgeschlossene Küche in der Wohnung gibt, sondern nur eine Küchenzeile. Generell, meint der Wiener Professor, müssten sich Architekten und Woh nungswirtschaft auf die Differenzierungen des Marktes oder der Märkte ein stellen und sich beispielsweise für die Mitsprache der Bewohner in neuen Quartieren, Wohngruppen oder Kleingenossenschaften beim Thema Außenund Innenraumgestaltung öffnen. Sie müssten sich stärker als Dienstleister begreifen – und wer sage, dass ein Wohnungsunternehmen nur Wohnungen anbieten darf? Warum nicht auch gleich den Pflegedienst für die älteren Kunden? Damit ließe sich ein neues Geschäftsfeld eröffnen. Apropos ältere Kunden: Die seien heute viel gesünder und agiler als die Senioren vergangener Jahrzehnte („Sie sind 60, sehen aus wie 50 und konsumieren wie 40“), und altersgerechte Wohnung heiße nicht notwendigerweise rollstuhlgerechte Wohnung. Aber man könne eine Wohnung ja von vornherein so planen, dass der Eingang auf derselben Ebene wie der Fahrstuhl liege und die Tür breit 1988 genug für den Rollstuhl oder auch für einen Kinderwagen sei, sagt Dangschat. Man müsse mit den Menschen eben reden. Wenn sie mitgestalten könnten, bei spielsweise bei Aussehen und Einrichtung von Gemeinschaftsräumen, nutzten sie sie auch. Und sorgten dafür, dass sie erhalten bleiben. Die Mehrzahl der Wohnungsunternehmen, klagt der Professor, „dumpft“ in diesen Fragen „noch vor sich hin“. Aber das werde sich irgendwann ändern, ändern müssen. In den Niederlanden beispielsweise sei man da weiter. Oder: experimentierfreudiger. Jens Dangschat selbst lebt in Wien innenstadtnah in einem Gründerzeithaus, das keinem Unternehmen, sondern einer Familie gehört. Seine Wohnung liegt im Dachgeschoss, ist mit 110 Quadratmetern großzügig und verfügt über eine große Dachterrasse mit Blick über die Stadt. Dangschat wohnt dort allein – seine Lebensgefährtin hat ihre eigene Wohnung. Auch schön groß, auch Dachgeschoss, sagt er. Aber ohne Blick über Wien. « E „ Z uk unf t Wohnungsge nosse nsc haft!“ K l a us Ha be r ma nn- Ni e ße S t adt pl aner, H annov er 1989 verwendet. Somit haben sie im Gegensatz zu privaten Wohnungsunternehmen keine nutzerfremden Kapitalinteressen. Genossenschaftliches Wohnen hat in Deutschland als dritte Wohnform zwischen individuellem Wohneigentum und dem Wohnen zur Miete eine bedeutende Position eingenommen. „Das Wohnen ist etwas Persönliches, was u. a. heißt, dass man zuhause im eigenen Wohn-Raum keine Maske aufzusetzen braucht. Die Wohnung ist der eigene Bereich, der Ort wo man bei sich und man selbst ist, wo man seine persönlichen Sachen aufbewahrt, gleichgültig ob man alleine lebt oder die Wohnung mit anderen „teilt“, ob sie einem gehört, ob man zur Miete oder zur Untermiete wohnt, - sogar in einem Hotel kann man „wohnen“, wenn auch eine bloße Übernachtung noch kein Wohnen ist. Auch Nomaden wohnen. Selbst Obdachlose, die unter freiem Himmel schlafen, können irgendwo wohnen, unter einer Brücke, auf einer Parkbank.“ (Guzzoni, 1999:20). Dennoch sieht der Genossenschaftsexperte Nachholbedarf: „Wohnungsgenossenschaften mit ihrem Versprechen auf Preisstabilität und Wohnsicherheit hatten in Zeiten normierter Arbeitsverhältnisse ihre Berechtigung. Sie werden beweisen müssen, wie sie mobilitätsangepasste und lebensabschnittsbezogene Wohnangebote schaffen. Sie haben die wirtschaftlichen Voraussetzungen hierzu, aber die soziokulturelle Anpassung steht aus.“ „Auch in diesem Jahrhundert wird das Wohnen im Sinne von Uta Guzzoni ein ‚sich Einrichten‘ sein“, erwartet der hannoversche Stadtplaner und Architekt Klaus Habermann-Nieße. Dabei scheinen sich die Vorstellungen vom Wohnen im Zeitalter der Informationsgesellschaft immer schneller zu verändern. Ebenso wie sich Familienstrukturen und Arbeitsverhältnisse stetig wandeln. Werte, Lebensvorstellungen und -modelle differenzieren sich immer stärker aus. Heute lassen sich zwei scheinbar gegensätzliche Trends beschreiben: eine hohe, oft berufsbedingte Mobilität einerseits sowie der verstärkte Wunsch danach, sich in selbst gewählten Nachbarschaften einzurichten - manchmal auch nur für eine begrenzte Zeit. In einer Gesellschaft der zunehmenden Mobilität macht sich eine Genossenschaft mit dem Angebot des dauerhaften Wohnrechts wie eine Insel aus. Die Grundfesten des genossenschaftlichen Wohnens stammen aus Zeiten der Industrialisierung. Genossenschaftlicher Wohnungsbau wurde verstanden als Antwort auf die Spekulation mit der „Ware Wohnen“. Die genossenschaftlichen Prinzipien stehen für Stabilität und Gemeinschaftlichkeit sowie für Selbsthilfe und Engagement ihrer Mitglieder. Können die Genossenschaften diese Rolle im gesellschaftlichen Wandel einnehmen und sich an neue gesellschaftliche Entwicklungen anpassen? Sind Genossenschaften darauf vorbereitet, der sich abzeichnenden Vielfalt und dem Wandel der Wohnwünsche Raum zu bieten? Habermann-Nieße vermutet, dass Wohnwünsche immer stärker von unterschiedlichen Lebensabschnitten und der Stellung im Berufsleben geprägt sein werden. Angesichts eines zunehmend entspannten Wohnungsmarktes erhöht sich die Chance zur eigenständigen Wohnstandortwahl und damit zum individuellen „sich Einrichten“. Habermann-Nieße ist vorsichtig optimistisch: „In einer Gesellschaft sich verringernder Haushaltsgrößen, steigender Mobilitätsanforderungen und zunehmender Individualisierung ist eine Gleichzeitigkeit von hoher Kommunikationsdichte und erheblicher Kontaktarmut zu beobachten. Einerseits wird es notwendig, gesellschaftliche Kontakte aufzubauen und aufrechtzuerhalten, die in traditionellen Familienstrukturen und gewachsenen Nachbarschaften eher selbstverständlich gegeben waren, andererseits führt die Intensität und die Vielfalt des urbanen Lebens zu immer stärkeren Rückzugstendenzen. Kriterien für Wohnzufriedenheit werden Abgeschiedenheit, Sicherheit und Reizarmut. Soziale Nachbarschaft und Kontakte erhöhen nicht die Lebensqualität, Die Wohnungsgenossenschaften sind nach Ansicht von Habermann-Nieße prädestiniert, genau auf diese Nachfragewünsche einzugehen. In Deutschland gibt es zurzeit rund 2000 Wohnungsgenossenschaften mit fast 2,9 Millionen Mitgliedern. Bei ca. 2,2 Millionen eigenen und für Dritte verwalteten Wohnungen umfasst ihr Bestand 10 Prozent aller Mietwohnungen in der Bundesrepublik. Das von der Wohnungsgenossenschaft erwirtschaftete Kapital wird ausschließlich für die Aufrechterhaltung des Unternehmens und für die Mitgliederförderung 1990 sondern bringen zusätzliche Anforderungen mit sich. In dieser Abgrenzung liegt zugleich eine Ursache für die erhöhte Nachfrage gesellschaftlicher Gruppen nach einer neuen, nachbarschaftlichen Orientierung. Die Nachbarschaften sind nun nicht mehr zufällig, sondern selbst gewählt und basieren auf einer gewissen sozialen Homogenität.“ Der Wunsch nach Wohnen in Nachbarschaften wird somit zu einem Entscheidungskriterium. Neben traditionellen „Wohnvorstellungen“ tritt eine Nachfrage nach nachbarschaftsorientierten und integrativen Wohnformen - sei es in gemeinschaftlichen Wohnprojekten, in Wohnungseigentümergemeinschaften, in Baugemeinschaften, in neuen Genossenschaften und in Service-Wohn-Projekten für das Wohnen im Alter. Habermann-Nieße hat festgestellt: „Gefragt sind Alternativen zwischen dem klassischen Eigenheim und dem Wohnen zur Miete. Sie sollen nachbarschaftliche Qualitäten, gemeinsame Verfügungsrechte bis zum Gemeinschaftseigentum und besondere Formen des Zusammenlebens aufweisen.“ Allen Projekten ist gemeinsam, mehr aus dem Wohnen machen zu wollen, als es bisher am Wohnungsmarkt der Fall ist. Das Wohnen in der Nachbarschaft soll dabei weniger Gemeinschaft verordnen als Möglichkeiten zur Gemeinschaft eröffnen. Damit wird das genossenschaftliche Wohnmodell zu einem starken Modell für Lebensabschnitte, die eine höhere Kommunikation und Organisation erfordern und für die die Gesellschaft zu wenige Angebote bereitstellt. „Insbesondere Familien sind bereit, in einer Genossenschaft viel Energie aufzuwenden, um ihre Wohnwünsche zu realisieren und in funktionierenden Nachbarschaften zusammenzuleben.“ „Zukunft Wohnungsgenossenschaft“ funktioniert nach Ansicht des Experten, wenn der Weg aus einem oft als verstaubt angesehenen Geschäftsmodell, durch ein sehr viel flexibleres wohnungswirtschaftliches Handlungsmodell ersetzt wird. „Genossenschaften sind in hohem Maße bestandsorientiert – meine Vision setzt auf eine besondere soziale und wirtschaftliche Verantwortung gegenüber den Nutzern. Außerdem hoffe ich auf mehr Kreativität beim Gewinnen neuer, mobilerer Nachfragegruppen. Dazu haben die Genossenschaften viele Potenziale“, meint Habermann-Nieße. « 1991 R „ Die Stad t ist im Ko mmen !“ Fr a nz- J ose f Höi ng S enat s baudi rek t or, B remen Er kommt aus einer eher kleinen Stadt. Franz-Josef Höing wurde 1965 in Gescher bei Münster geboren, da hatte der Ort nur wenig mehr als 10.000 Einwohner. Trotzdem ist Höing jetzt jemand, der für das Leben in der Großstadt wirbt. Aber es sind ja ohnehin meist die Zugezogenen, die die besseren Lokalpatrioten abgeben. „Das Thema ‚Wohnen in der Stadt‘ hat immer seine Aufs und Abs gehabt“, sagt Franz-Josef Höing. „Mal redet man hektisch darüber, weil gerade Wohnungen fehlen, dann haben wieder andere Themen Konjunktur. Ich würde mir ein bisschen mehr Kontinuität wünschen.“ Was er selbst dazu beitragen kann, trägt er bei: Höing ist seit Herbst 2008 Senatsbaudirektor der Freien Hansestadt Bremen. Und zuvor hat er in Dortmund Raumplanung studiert, hatte in Wien und Aachen Lehraufträge inne, zeichnete im Hamburger Amt für Stadtentwicklung unter anderem verantwortlich für das Projekt HafenCity und war schließlich Professor für Städtebau an der Architekturfakultät Münster. Bis ihn der Ruf nach Bremen ereilte. Dort hat er bald nach Amtsantritt untersuchen lassen, wie es mit dem Wohnungsbedarf in der Stadt bis zum Jahr 2020 aussieht. Nicht nur mengenmäßig – es ging auch darum zu erfahren, was in welcher Qualität wo gefragt ist. Welche Stadtteile kommen gut an, welche weniger. Und siehe da: Die Zahl der Haushalte, so ein Ergebnis der Studie, wird ansteigen. „Die Planer behaupten ja schon seit 15 Jahren, dass es einen Trend zurück zur Stadt gibt“, sagt Höing. „Aber das passierte nur in homöopathischen Dosen, und meist hatte man den Eindruck, dass die Leute eher wegziehen.“ Nun weiß er: In Bremen ist der Trend messbar angekommen, es gibt sogar schon so etwas wie eine „versteckte Wohnungsnot“, 7000 Wohnungen fehlen. Für wen und wo? Höing sagt, es seien vor allem die Gruppen, die man im neuen Marketingdeutsch als „Best Ager“ (also: jenseits der 50) und „Young Urbans“ (jung, aufstrebend, vielseitig interessiert) bezeichne. Die wollten in zentralen Lagen in der Stadt wohnen. Nun ist Bremen, was das Wohnen angeht, ein spezieller Fall. 35 Prozent der Wohnhäuser sind Wohneigentum, das ist ein hoher Wert für eine Stadt, und es liegt an der Art dieser Bauten: Es sind die berühmten Bremer (Reihen-) Häuser, schmal, mit kleinen Gärten hinten und zwei, drei oder auch vier Etagen, wenn 1992 man das Souterrain mitrechnet. Diese Häuser stehen meist in Gründerzeitquartieren – Höing als Neubremer bezeichnet diese Ecken der Stadt schlicht als „fantastisch“. Sie seien es, sagt er, die Bremen neben der Weser für Stadtbewohner „sehr markant“ machten. Schon jetzt sei klar: Von derartigen Häusern gebe es zu wenig in den gefragten Wohngebieten um den Bürgerpark, in der Bremer Neustadt und im so genannten „Viertel“, dem Künstler-Akademiker-AlternativenWohngebiet an der Grenze zwischen den Stadtteilen Ostertor und Steintor. Franz-Josef Höing kann sich auch eine behutsame Neuinterpretation des Bremer Hauses vorstellen – ausgebautes Souterrain, gestapelte Maisonetten. Die kleinteiligen Parzellen würden aber in jedem Fall beibehalten. Apropos Neuinterpretation: Besonderes Interesse hat Höing an der Überseestadt, einem Stadtentwicklungsprojekt zur Erschließung der ehemaligen bremischen Hafengebiete. Hochwertiges Gewerbe und Dienstleistungen sollen hier angesiedelt werden, aber auch Wohnbauten. „Neue Nachbarschaft“, nennt Höing das, und er wünscht sich dafür attraktiven Geschosswohnungsbau und zeitgenössische Bremer Häuser: „Kopenhagen, Amsterdam, Berlin – überall taucht das Stadthaus wieder auf.“ Schon in seiner Hamburger Zeit habe er gespürt, dass die Stadt wieder im Kommen sei, sagt Höing – und nicht nur bezogen auf die „üblichen Verdächtigen“, die Doppelverdiener ohne Kinder, die sich in Gebieten „mit der Patina alter Industrieanlagen“ ansiedelten. Inzwischen ziehe ein breites Spektrum an Leuten wieder aus den Vororten fort – und das sei „eine unglaubliche Chance für die Großstädte“. Aber man müsse auch was dafür tun, das passende Angebot bereithalten und „Lust auf Stadt“ machen. Und dabei sei eine Stadt gut beraten, nicht nur auf die Besserverdienenden zu setzen. Es müsse auch Wohnungen im preiswerten Segment geben. Franz-Josef Höing (der übrigens keiner Partei angehört und sagt, er sei von der „Stadt-Partei“) wohnt selbst zentral – natürlich, möchte man fast sagen. Er muss morgens oft früh raus und kommt abends oft spät zurück und möchte möglichst zu Fuß gehen. Die Wohnung ist nur eine kleine Zweizimmerwohnung, auch in Münster hat er schon so gewohnt. Er sagt, ganz Senatsbaudirektor: „Die Wohnung selbst ist für mich nicht ganz so wichtig. Sondern wo sie liegt.“ « T S ig rid Ma ie r- K n a p p - H e rb s t Prä sid e ntin d e r Kloste rka mme r, Ha nnove r icht schutzlos au xxx hutzlos au xx „S i cher fühle n i m Woh n u m f el d! “ 1993 Vor einiger Zeit hat Sigrid Maier-Knapp-Herbst mal wieder eine Tour durch den hannoverschen Stadtteil Vahrenheide unternommen. Die nach dem Krieg auf einem alten Flugplatz hochgezogenen Quartiere trugen lange das Stigma, Brennpunkte zu sein. Hochhäuser, Wohnmaschinen, karges Grün, verwechselbare Architektur – und eine gewisse Konzentration von sozial eher ausgegrenzten Bewohnern. Erst zu Beginn dieses Jahrzehnts begann man, sich mehr um die Problemlage zu kümmern. Inzwischen sind manche der unwirtlichen Bauten sogar abgerissen worden, das Umfeld hat sich verbessert. „Hannover hat da viel getan“, sagt Sigrid Maier-Knapp-Herbst anerkennend. Sie hat immer wieder erlebt, wie gravierend die Auswirkungen des Lebensumfelds auf die Psyche der Menschen sind. Sigrid Maier-Knapp-Herbst ist seit 2004 Präsidentin der Klosterkammer Hannover, die diverse Klöster in Niedersachsen verwaltet und unterhält, aber auch Baugebiete entwickelt – mit günstigen Grundstücken, denn sie werden auf dem Wege des Erbbaurechts vergeben. Zuvor war Sigrid Maier-Knapp-Herbst in Celle Stadträtin für Jugend, Soziales und Schule und sie hat noch früher auch als Lehrerin gearbeitet und außerdem etliche Semester Architektur studiert. Seit 1995 ist sie obendrein Vorsitzende des niedersächsischen Landespräventionsrates. Sie weiß also, was sie sagt, wenn sie erläutert, wodurch sich ein Mensch in seinem Wohngebiet sicher und geborgen fühlt. Scheinwerfer, Kameras, Zäune, Wachpersonal? Nichts davon: „Freundlichkeit, Helligkeit, Schönheit, Übersichtlichkeit“, sagt Sigrid Maier-Knapp-Herbst. Die sichere Stadt, das sichere Wohnumfeld sei vor allem eine „lebendige Mischung von Öffentlichem und Privatem, von Sehen und Gesehenwerden, von Neugier und Verschwiegenheit“. Nicht zu vergessen: Es muss gepflegt aussehen dort. An einem pfleglosen Ort, in einem ästhetisch verwahrlosten Raum, könne sich ein Mensch nicht angenommen, wertgeschätzt und somit heimisch und sicher fühlen. In einem gepflegten Umfeld aber übernimmt man Verantwortung für sich und den Nachbarn. „Eine sichere Stadt ist also ein liebevoll gestalteter Raum, ein unverwechselbarer Ort, den man lieben kann, wo man sich wohl und sicher fühlen kann, auf den man gerne achtet und wo sich Zerstörung verbietet“, sagt Sigrid Maier-KnappHerbst. 1994 Wie leicht es zu Problemen in schlampig geplanten oder verwalteten Wohnquartieren kommen kann, hat Sigrid Maier-Knapp-Herbst schon früh erlebt. Da arbeitete sie als Nachhilfelehrerin und kam unter anderem zu Kindern von Sozialhilfeempfängern nach Hause – hässliche Siedlungen, kleine Wohnungen, benachteiligte, traurige Menschen. „Diese Kinder“, sagt sie, „konnten nur innerlich eng aufwachsen.“ Welch ein Gegensatz zu dem Vermögen der Klosterkammer, das sie nun verwaltet: gebaute Schönheit, erhabene Ästhetik. Gerade Kinder hätten ein besonderes Gespür dafür, hat Sigrid Maier-Knapp-Herbst beobachtet: „Sie bewegen sich in diesen Mauern völlig anders als draußen. Sie merken, welche Kraft in der Schönheit liegt.“ Auf derlei zu achten, wenn man Häuser oder gar ganze Quartiere plant, das sieht die Klosterkammerpräsidentin Maier-Knapp-Herbst als gesamtgesellschaftliche Aufgabe an. Und die Präventionsratsvorsitzende Maier-Knapp-Herbst unterstreicht das noch einmal: „Nicht hinterher strafen, wenn jemand kriminell geworden ist. Vorher Bedingungen schaffen, dass er nicht kriminell wird.“ Über solche Dinge redet der Präventionsrat, in dem sich auch die Wohnungswirtschaft engagiert, schon lange. Allein: Es gibt natürlich bereits eine ganze Reihe von Wohnblocks, die vor allem kostengünstig und renditeträchtig sein sollen. Das Ergebnis ist dann aber meist kostenintensiv. Denn Jugendliche, die zwischen ununterscheidbaren Treppenaufgängen aufwachsen, bemalen oder besprayen oder beschädigen sie, um sie erkennbar zu machen. „Außerdem langweilen sie sich meist und wollen schließlich noch provozieren“, sagt Sigrid Maier-Knapp-Herbst. Das beste Rezept dagegen – außer gut gestaltetem Wohnumfeld – ist in den Augen der Präsidentin Beschäftigung. „Es wär‘ schon wunderbar, wenn die Väter mit ihren zehnjährigen Jungs mal auf einen Berg stiegen, eine Nachtwanderung machten oder irgendwo zum Zelten gingen. Dann lernen die Kinder: Ich kann was. Sie können Neugier entwickeln. Aggressivität kommt vom lateinischen ‚aggredere‘. Es heißt nicht nur ‚angreifen‘, es heißt auch ‚auf etwas zugehen‘. Die Aggressivität zu kultivieren, produktiv umzuwandeln – das ist die große Kunst.“ Und wie wird sich die Stadt in Zukunft sonst noch verändern müssen? Sigrid Maier-Knapp-Herbst schmunzelt: „Nun, zunächst brauchen wir breitere Bürgersteige. Weil wir dann wegen der demografischen Entwicklung alle da mit unseren Rollatoren herumlaufen.“ Aber das meint sie nicht bloß scherzhaft. Angesichts der zunehmenden Gebrechlichkeit der Gesellschaft stelle sich durchaus die Frage, wie begehbar historisches Kopfsteinpflaster sei. Aber am wichtigsten ist ihr immer noch die Schaffung eines Umfeldes, in dem Menschen sich aufhalten möchten: Wasser, Plätze, Bäume, Qualität. Die Kammer entwickelt gerade ein paar Baugebiete, die so aussehen sollen, mit Hilfe eines städtebaulichen Wettbewerbs. Ziel ist eine gestalterische Aufwertung, ohne dass die einzelnen Häuser teurer werden. In aller Regel nämlich zahlt sich so etwas sogar aus, auch für Wohnungsunternehmen. Wenn das Umfeld stimmt, sind die Bewohner zufrieden, es gibt wenig Fluktuation, kaum Zerstörung, höheres Prestige – und dann auch höhere Mieten. „Wir brauchen Städte, die es möglich machen, dass jeder seinen Platz findet“, sagt Sigrid Maier-Knapp-Herbst, und sie schließt die Punks und die Bettler da durchaus mit ein. Sie selbst hat ihren Platz gefunden. Sie lebt mit ihrem Mann in Celle in einem Reihenhaus. Sie ist dort bei sich und trotzdem mittendrin. Und, betont sie: Sie kann da alles zu Fuß erledigen. Nur ins Büro muss sie fahren. Zu Fuß nach Hannover – das wäre dann doch ein bisschen weit. « 1995 e icht schutzlos au xxx Fragen wir doch jemanden, der sich damit auskennt. Wie bewältigen wir die wohnungswirtschaftlichen Herausforderungen der Zukunft? Welche Herausforderungen sind das überhaupt? Welche verlässlichen Prognosen gibt es? hutzlos au xx Friederike Müller-Friemauth lacht. Prognosen? Noch dazu verlässliche? Dafür ist sie nicht zu haben. Prognosen, das sind Berechnungen aus der Vergangenheit, die in die Zukunft projiziert werden. „Zukunft im Rückspiegel“, nennt sie das. Nein, mit so was befasst sie sich nicht. Friederike Müller-Friemauth leitet die Abteilung Trendforschung bei der Sinus Sociovision GmbH in Heidelberg, einer Unternehmensberatung, die – nun ja: die Zukunft vorhersagt. Eine mögliche Zukunft jedenfalls. Oder mehrere mögliche Zukünfte. Wobei der Begriff Trendforschung etwas missverständlich ist. „Ob die Handtaschen in der nächsten Saison lila oder gelb sind, erfahren Sie bei mir nicht“, sagt die Forscherin. „ D ie K und e n w e rd e n s e lb s t b e w u s s t e r! “ F rie d e rik e Mül l er-Fr i em au th U n ter n eh me n s b e r a t e r i n , H e i d el berg Sinus Sociovision erkundet, was Menschen umtreibt. Milieuforschung nennt man das, und es umfasst nicht nur Konsumverhalten und Lebensstil, sondern auch Werte, Träume, Sehnsüchte. Eine Riesenmenge empirischer Daten wird zusammengetragen, „Ethnologie des Alltags“ heißt das in der Firma, und daraus destilliert Friederike Müller-Friemauth Strömungen. „Wir konstruieren Zukünfte“, erläutert sie. „Und wir sagen ehrlich dazu: Keiner weiß, ob es so kommt. Aber es könnte so oder so ähnlich kommen. ‚Denken auf Vorrat‘ nenne ich das immer.“ Vor einiger Zeit hat Sinus Sociovision drei Szenarien zu der Frage entworfen, welche Wertorientierungen, die heute schon existieren, künftig – im Deutschland des Jahres 2020 – die Gesellschaft bestimmen könnten. Drei Hauptströmungen haben sich aus den Daten herausgeschält. Die erste nennt sich „Free is fair“ und entspricht einem Paradies für Wirtschaftsliberale: Dominanz der freien Märkte, Leistung, Erfolgsstreben, Globalisierung. Nur Resultate zählen. Das zweite Szenario namens „Shared Destiny“ klingt eher nach rot-grüner Kuschelecke: Die infolge der Globalisierung größer werdende Kluft zwischen 1996 Wie bei der arbeitenden Bevölkerung auch. Es werde vermutlich normal werden, dass man alle vier, fünf Jahre für den Job das Bundesland wechselt, sagt Friederike Müller-Friemauth. Junge Leute bewerteten solche lockerer werdenden Bindungen an Besitz, Heimat und Umfeld nicht unbedingt negativ: Man könne doch ein Haus nur für ein paar Jahre kaufen. Oder bloß ein Zimmer. Oder einen Wohnungstausch organisieren. Auch die Qualität der Gebäude werde sich wandeln: High-Tech-Häuser, bewachte Wohnkomplexe. Ein Modell mit Zukunft ist die Alten-WG. Aber die passt nicht in eine gängige Dreizimmerküchebadwohnung. Wohnbürohotels – warum, fragt die Trendforscherin, gebe es dergleichen hier noch nicht? Arm und Reich führt zu Protesten und zu einer politischen Umorientierung in Deutschland. Es herrschen fortan Harmonie, Gleichgewicht, Gerechtigkeit und soziale Verantwortung. Schließlich Szenario Nummer drei: „Metamorphosis“. Die Stichworte dazu sind Informations- und Wissensgesellschaft. Jedes Individuum begreift sich als solches und ist für sich selbst verantwortlich. Jeder sucht sich seinen Weg, muss sich ständig anpassen, neu orientieren, neu erfinden. Und alle sind selbstredend weitläufig miteinander vernetzt. Man versteht sich als Bewohner einer digitalen Welt. Dieses dritte Szenario hält Friederike Müller-Friemauth persönlich für das wahrscheinlichste. Und natürlich, sagt sie, habe eine solche Gesellschaft von lauter „Digital Natives“ ein anderes Verhältnis zu Konsum, Arbeit, Leben und Wohnen, als wir es heute noch vielfach kennen. Eigenheim, gebaut für die Ewigkeit? Warum? Besitz, erläutert Müller-Friemauth, könne sich zu etwas wandeln, das eine Art zeitweiliger Zugang zu einem Gut sei. Kunden würden lästig, denn sie seien extrem selbstbewusst. Darauf müsse sich die Wirtschaft, auch die Wohnungswirtschaft, einstellen. Ein Wohnbürohotel – das wäre auch für Friederike Müller-Friemauth ganz passend. Ihr Mann arbeitet in Köln, die beiden wohnen im Bergischen Land, Friederike Müller-Friemauth pendelt nach Heidelberg. Jetzt suchen sie aber ein Haus im Heidelberger Speckgürtel. Mitten in der Stadt wohnen möchten sie nicht: Es soll ruhig sein, grün. Friederike Müller-Friemauth schmunzelt: „Mit 22 hätte mich keiner da hingekriegt.“ Aber Stadtnähe ist schon wichtig: „Ich finde es beruhigend, wenn die nächste Cocktailbar nur acht Minuten entfernt liegt.“ « Ein weiterer Punkt dabei: Sinus Sociovision hat herausgearbeitet, dass die soziale Mitte als die bislang stabilste Säule der Wohnungswirtschaft bei weitem nicht mehr so stabil wie früher ist. Es ist eine schrumpfende, sich ausdifferenzierende Schicht geworden, in der nicht mehr das alte Prinzip „Ordnung ist das halbe Leben“ zählt, sondern Individualisierung, Genuss und Selbstverwirklichung eine Rolle spielen, mitunter gar Experimentierlust. Die traditionelle bürgerliche Mittelschicht ist verunsichert, durch die Finanzkrise hat sich das noch mal verstärkt. Da halte man Manager nicht nur für raffgierig, sondern auch für inkompetent, sagt Friederike Müller-Friemauth, glaube, alle wollten einem nur ans Geld, und ziehe sich auf sich selbst zurück: 48 Prozent der Mittelschichtler meinen, sie hätten genug eigene Sorgen und könnten sich nicht auch noch um andere kümmern. Sicherheit im Wohnviertel rangiert ganz oben, und wenn die soziale Mitte das Gefühl hat, nicht mehr in eben dieser sozialen Mitte zu leben – wenn es Anzeichen von Verwahrlosung gibt, steigende Kriminalität –, dann zieht sie weg. Entwicklungen, auf die die Wohnungswirtschaft reagieren muss. Flexibilität ist gefragt. 1997 N „Von A l t bau t en le r ne n ! “ Wolfg a ng S chnei der Prä s i d e n t de r A rc h i t e k t e n k a mmer Ni ed er s achse n , H a n n o v e r icht schutzlos au xxx Wie wir künftig wohnen werden? Wolfgang Schneider ist sich ganz sicher: So, wie er jetzt wohnt. Urban, flexibel, umweltschonend. „Ich wage die These“, sagt Schneider, „dass die Zukunft nicht mehr in den Vorstädten liegt. Dort zu leben ist aufwändig und kostet Zeit.“ hutzlos au xx 1998 Wolfgang Schneider weiß das aus eigener Erfahrung. Der Mitinhaber des hannoverschen Architekturbüros ASP Schneider Meyer Partner und Präsident der Architektenkammer Niedersachsen hat lange Jahre außerhalb von Hannover auf dem Lande gelebt: „Morgens 30 Kilometer hin, abends 30 Kilometer zurück.“ Er hat das Landleben durchaus genossen. Aber dann waren die Kinder groß, das Haus wurde leer. 2008 sind Wolfgang Schneider und seine Frau Christiane in die Stadt zurückgekehrt, in eine Altbauwohnung in Hannover-Kleefeld. Die Stadt ist wieder im Kommen, Wohnungsbau ist wieder Thema. Das zeigt auch die Fülle der Bauprojekte, die derzeit ausgeschrieben werden und an denen sich Schneiders Büro beteiligt. Er greift eines heraus, das beweist: Die Investoren rechnen mit Zulauf. Und mit gehobenen Ansprüchen der Bewohner. Vier Stilrichtungen sollten die zu bauenden Wohnungen in Schneiders Beispiel erfüllen. Erstens: Extravaganz, Lifestyle. Zweitens: Nachhaltig, ökologisch, gesund. Drittens: Komfortabel. Viertens: Entspannung, Wellnesswohnen. Genaue Zielgruppenvorstellungen haben die Bauherren auch – sie wenden sich an betuchte Singels, gesettelte Berufstätige, Familien oder pensionierte 55-plusStadtbewohner. Interessanterweise ist die teuerste Wohnung die aus der Abteilung Lifestyle, die billigste die mit der Bezeichnung Komfort. Vor dreißig Jahren waren die Komfortwohnungen noch die teuersten. Jedenfalls: Da entsteht die Zukunft. Denn in den Gebäuden, die jetzt ausgeschrieben, geplant und hochgezogen werden, wohnen wir in 50 Jahren noch. „Die moderne Wohnung“, sagt Schneider, „muss originell, funktional und flexibel sein, die Flächen frei bespielbar und zusammenschaltbar.“ Was bedeutet das genau? Es bedeute, erläutert Schneider, dass die Funktionen eines Raums nicht festgelegt sind, wie das beispielsweise in vielen Komplexen des sozialen Wohnungsbaus der Fall war. Da konnte man das Wohnzimmer nur als Wohnzimmer nutzen, das Schlafzimmer nur als Schlafzimmer – Flächen, Zuschnitt, sogar die Verteilung der Steckdosen ließ kaum etwas anderes zu. „Solche Spezifikationen gibt es bei den Gründerzeitwohnungen nicht“, sagt Schneider. „Da kann ich ein Zimmer zum Schlafen oder zum Arbeiten oder zu beidem nutzen. Die Räume sind neutral.“ Er lächelt: „Das Wohnen muss also nicht neu erfunden werden. Es ist alles schon mal ausprobiert worden. Aber was wir brauchen, sind intelligente Grundrisse. Und da können wir von den Altbauten viel lernen. Betrachtet man die alten Haustypen weniger retrospektiv, sondern analytisch, dann empfiehlt sich eine Transformation. Das Erkennen struktureller Eigenarten und Eigenschaften und ihre prinzipielle Übertragung auf heutige Standards.“ Was das konkret bedeutet, kann man sich beispielsweise bei den Neubauten am Warmbüchenkamp in Hannover für die Versicherungsgruppe VGH ansehen – ein Gebäudeensemble mit einer Komposition aus drei Solitärbaukörpern auf einem Natursteinplateau – die Schneider gemeinsam mit seinem Partner Wilhelm Meyer entworfen und realisiert hat. Ein großzügiger, tageslichtdurchfluteter Komplex mit Büroarbeitsplätzen, Tagungs- und Schulungsräumen und auch hochwertigen Wohnungen mit Loggien und Terrassen, teilweise als Maisonetten ausgebildet. Die Wohnungen sind zwischen 120 und 180 Quadratmeter groß, die Treppenhäuser sind farbig gestaltet, die Aufzüge führen direkt in die Wohnungen. „Entstanden ist ein sozialer Kosmos mit ausreichend Raum und Freiraum für komfortables Arbeiten, Lernen und Wohnen in innerstädtischer Verdichtung in bester Lage“, sagt Schneider, „mit spannenden Raumfolgen und vielfältigen Blickbeziehungen, sowohl außen als auch im inneren Gefüge“. Ohnehin ändere sich gerade manches im urbanen Leben. Die Verbindung von Wohnen und Arbeiten werde wichtiger, prognostiziert der Architekt, künftig werde in Wohnungen mehr für den Job als für den Haushalt gearbeitet werden. Und: Die Städte würden sich zu Dienstleistungszentren entwickeln. In New York könne man heute schon rund um die Uhr alles bestellen, was man wolle, und bekomme es auch prompt geliefert, und sei es mitten in der Nacht. Das werde es bald auch hier geben. Die Stadt, meint Wolfgang Schneider, sei der ideale Ort für die zweite Lebenshälfte. Aber auch für junge Familien könnten die Innenstädte attraktiv sein. Dass gerade diese Kundschaft noch in die Vororte strebe, werde sich schlagartig ändern, wenn immer mehr neue, hochwertige Wohnquartiere entstünden. Und sie entstünden in jedem Fall – denn die Nachfrage nach Wohnraum steige, auch bei sinkender Bevölkerungszahl. „Und schließlich ist die Stadt viel kommunikativer“, sagt Schneider. Jetzt geht er, wenn er nach Feierabend aus dem Büro gekommen ist, auch mal wieder zurück in die Innenstadt, ins Kino, ins Theater. „Die Vielfalt der Stadt“, sagt er, „erlaubt auch eine Vielfalt an Lebensmöglichkeiten, ein Stück mehr Lebensqualität.“ « Dass mittlerweile das Thema Ökologie zum Standard gehört, muss Schneider nicht eigens erwähnen. Umwelt- und gesundheitsverträgliche, recyclebare Baustoffe, energieschonende Bauweise, natürliche Belüftung, Tageslicht, Wärmeschutz – ohne dergleichen ist heute kein Neubau mehr denkbar. Zu einem gelungenen Wohnhaus gehört für ihn auch eine qualitätvolle Freiraumplanung, eine klare Abgrenzung der öffentlichen und der privaten Flächen, ein Vermeiden jener Fehler, die in den sechziger und siebziger Jahren gern gemacht wurden: „Keine anonymen, unpersönlichen Bauten mit dunklen Winkeln“, sagt er. „Der Erschließung kommt eine besondere Bedeutung zu. Treppenhäuser und Fahrstühle sollten hell und freundlich sein. Wir brauchen Großzügigkeit.“ 1999 2000 T K la us S e lle Profe ssor, Aa c he n „D ie Entwicklungen s i n d w i der s pr ü ch l i ch ! “ Alles neu? Hochtechnisierte Wohnungen mit flexiblen Grundrissen, in jedem Raum alle Funktionen verfügbar, denkende Häuser? Werden wir so in Zukunft wohnen? Klaus Selle überlegt einen kurzen Moment, dann sagt er, er habe eine eher ernüchternde Botschaft. Sie lautet: „So viel wird sich nicht ändern.“ Klaus Selle ist vor ein paar Jahren beruflich wieder da angelangt, wo er angefangen hat. 1969 nahm er das Studium der Architektur mit Schwerpunkt Städtebau an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen auf. Dann war er lange in Dortmund tätig, von 1987 bis 2000 lehrte er in Hannover. Seit April 2001 ist Selle wieder an der RWTH Aachen – nun aber als Professor für Planungstheorie und Stadtentwicklung. Als solcher beobachtet Klaus Selle derzeit zwei gegenläufige Entwicklungen. Ja, es gebe den Trend zur Individualisierung, der mit der Industrialisierung begann und auch nach 150 Jahren noch nicht abgeschlossen sei. Auf der anderen Seite steige seit einiger Zeit das Interesse an traditionellen wie neuen Formen sozialer Zusammenschlüsse. Was er damit meint, ist: Junge Leute heiraten heutzutage wieder eher, es gibt eine Art Rückkehr des Leitbilds Familie, und außerdem ist ein gewisser Trend zu selbst gewählten Nachbarschaften erkennbar. Das kann die Alten-WG sein, muss aber nicht. Eine Wohnanlage mit Treffpunkten und Räumen für Geselligkeit tut’s auch. „Die Entwicklungen“, sagt Klaus Selle, „sind ein bisschen widersprüchlich.“ Das gelte auch für die so genannte Reurbanisierung: Junge Menschen zieht es wie eh und je in die Städte. Neuerdings seien auch wohlhabende Ältere hinzugekommen. Aber der Drang an den Stadtrand bleibe, etwa bei Familien mit kleinen Kindern, ungebrochen. Von einem Ende der Suburbanisierung, wie in den Medien bereits lautstark verkündet, könne also keine Rede sein. Vielleicht, überlegt Selle, hänge die Wahrnehmung, dass der Trend zurück zur Stadt gehe, auch mit der oft zu beobachtenden Orientierung der Stadtpolitik an Besserverdienenden zusammen. Während früher zum Beispiel soziale Wohnungsversorgung ein wichtiges Thema gewesen sei, rede darüber heute kaum 2001 jemand. Dabei entstünden gerade im Teilmarkt preiswerten Wohnraums neue Probleme. Private Vermieter mit vergleichsweise geringen Wohnungsbeständen stellen mehr als 60 Prozent der Mietwohnungen. Sie müssen investieren, um ihre Gebäude zu erhalten oder um sie energetisch auf den Stand zu bringen. Aber dazu fehlt es ihnen oft an Kapital, und die Mieten können sie in den meisten deutschen Regionen auch nicht erhöhen, weil ihre Kunden das nicht bezahlen können. „Bis zu 40 Prozent der kleineren Hauseigentümer haben schon jetzt mit einer Unterdeckung zu kämpfen“, sagt der Professor. „Und es stellt sich die Frage, wie es mit diesen Wohnungen weitergehen soll.“ Von großartigen Modernisierungen mit Mieterbeteiligung und dergleichen muss man da gar nicht mehr anfangen. Klaus Selle ist Spezialist für solche Fragen der Beteiligung – unterscheidet aber erst einmal zwischen Bürger- und Kundenbeteiligung. Bürgerbeteiligung, das ist das, was die Politiker in Sonntagsreden verkünden – im Alltag dann aber gern wieder vergessen. Wenn es um politisch und wirtschaftlich brisante Themen gehe, etwa die Ansiedlung von Unternehmen, dann werde das meist immer noch im kleinen Kreis ausgekungelt. Selle zitiert in seinen Vorträgen gern einen ironischen Zeitungsartikel, in dem es hieß: „Wenn alles entschieden ist, werden alle beteiligt.“ „Aber es gibt natürlich auch positive Beispiele“, betont Selle. „Gerade in den Quartieren, bei den Menschen vor Ort, finden oft gute Beteiligungsprozesse statt.“ Ein Zukunftspotenzial sieht der Professor in so genannten Wohngruppen oder Baugemeinschaften. Genossenschaftlich organisiert oder auf der Grundlage von Wohneigentum finden sich dort Haushalte zusammen, um ihre Siedlungen gemeinsam zu planen und in den selbst gewählten Nachbarschaften zu wohnen. Inzwischen hätten viele Städte dieses Modell entdeckt und unterstützen es – ergänzend zu den üblichen Einfamilienhausförderungen. Er selbst lebt auch in so einer Gemeinschaft. Allerdings ist sie nicht durch Planung, sondern durch Zufall entstanden, und genießen kann er sie auch nur am Wochenende. Die Woche über wohnt Klaus Selle in einer „kleinen, praktischen Wohnung“ in Aachen, nur ein paar Minuten von der Universität entfernt. Am Wochenende aber zieht er sich dann auf einen Bauernhof bei Schwerte zurück. In dem Herrenhaus von 1807 leben inzwischen acht Parteien und können abends über die Ruhrauen schauen. „Allerdings“, sagt Selle, „gehören die Bewohner fast alle zu den üblichen Verdächtigen.“ Wieso verdächtig? Selle lacht: „Nun: Architekten, Planer, Lehrer, Professoren.“ Aber das muss ja nicht von Schaden sein. Kundenbeteiligung dagegen ist nach Selles Beobachtung ein Thema für die „klügeren“ Unternehmen der Wohnungswirtschaft. Da habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass man mehr wissen müsse über die eigenen Mieter, über ihre Wünsche und Bedürfnisse, etwa durch regelmäßige Befragungen. Und wenn die Firmen darauf eingingen, sei es bei den Service-Angeboten oder in der Freiraumplanung, dann könnten sie auch eine höhere Zufriedenheit ihrer Kunden feststellen. Das hebt das Image. Und kann man dann auch die Mieten raufsetzen? „Vielleicht in München oder Hamburg“, sagt Selle, in vielen anderen Orten sei allein die Mieterbindung schon ein ökonomischer Erfolg. 2002 « H icht schutzlos au xxx hutzlos au xx L oth ar Sch öpe In f o rm ati ker, D o rtm u nd „Kom f o rt s t e ig e ru n g d u rc h Te c hnik ! “ 2003 Das Thema wird gerade wie verrückt gehypet, wie man neudeutsch sagt. „Ambient Assisted Living“ heißt es dementsprechend auf Englisch. Und meint nichts anderes, als dass man nach Konzepten, Ideen und (technischen) Lösungen sucht, um das Leben vor allem älterer Menschen in ihren eigenen vier Wänden komfortabler und sicherer zu machen. Ein vorrangiges Forschungsthema in der Bundesrepublik und europaweit. Kein Wunder in einer alternden Gesellschaft. Lothar Schöpe hat seinen Arbeitsschwerpunkt in diesem Bereich. Nicht erst neuerdings, und als der Diplominformatiker am Dortmunder Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik (ISST) damit anfing, hieß es auch noch nicht „Ambient Assisted Living“, sondern „Smart Living“. Aber es geht in dieselbe Richtung: Computerbasierte Technik soll helfen, dass sich ältere Menschen besser zurechtfinden, nicht den Herd anlassen und ohne größeren Aufwand auch mal eine Pizza bestellen können, wenn die Schwiegertochter krank wird und sie nicht bekochen kann. Wobei Schöpe nicht die älteren Leute berät. Sondern die Wohnungsunternehmen, deren Kunden diese Menschen sind. Es gebe zwei Strömungen, erläutert Lothar Schöpe. Die eine sei die rein haustechnische: Da kann man beispielsweise dafür sorgen, dass sich der Herd automatisch abschaltet, wenn der Bewohner die Wohnungstür hinter sich zuzieht. Oder am Ausgang ein Display installieren, das anzeigt, welche Fenster noch offen stehen. Oder das Radio so vernetzen, dass es in jedem Raum zu hören ist. Das alles dient dem Komfort und der Sicherheit. Und ist vor allem eines: teuer. Wohnungsbaugesellschaften, die standardisierte Wohnungen anbieten, können sich das nicht leisten. Etwas anderes ist es beispielsweise bei einem Träger, der eine Wohngruppe mit Demenzkranken betreibt. Da kann es unter Umständen sogar kostengünstiger sein, verschiedene Sensoren in der Wohnung unterzubringen, die melden, wenn jemand die Klospülung vergessen hat, wenn sich ein Patient der Haustür nähert, ob alle genügend trinken und sich nicht die Finger verbrannt haben. „Aber bei hundert Wohneinheiten läuft das aus dem Preisrahmen“, sagt Lothar Schöpe. „Da muss man sich andere Gedanken machen.“ Und die macht sich das Fraunhofer-ISST. Beispiel Hannover-Vahrenwald. Der Spar- und Bauverein hat für seine Wohnungen dort eine Concierge-Lösung entwickelt, um die Mieter in ihren Bedürfnissen zu unterstützen. Jemand braucht eine begleitete Fahrt zum Arzt? Oder ein Mittagessen für den nächsten Tag? Oder Kontakt zu einer Schuldnerberatung? Bitte schön: Einfach anrufen. Von 10 bis 14 Uhr ist das Büro besetzt und hilft. Nur: Was ist außerhalb dieser Zeiten und am Wochenende? Hier kommt das ISST ins Spiel. In praktisch jeder Wohnung steht heute ein Fernseher. Und das Institut kann diese Apparate mit dem Internet verbinden. Mittels einer simplen Taste auf der Fernbedienung – die können auch Menschen bedienen, die sich an Computer nicht mehr herantrauen – wird ein Service-Portal geöffnet. Und dieses Service-Portal bietet, das ist der Clou, nicht die Überfülle an Informationen aus dem World Wide Web. Sondern alles aus der direkten Umgebung. Das örtliche Veranstaltungsprogramm, Notrufnummern, Müllkalender, Fahrpläne. Pizzabringdienst, Frisör, Blumenstrauß-Lieferant. Außerdem ermöglicht es die Technik, dass die Mieter auch untereinander kommunizieren können. „In den dreißiger Jahren war es das fließende Kaltwasser, das in die Wohnungen einzog“, sagt Schöpe. „Dann Warmwasser, Zentralheizung, Antennenanschluss. Heute ist es das Internet. Die Wohnungen erfahren eine Komfortsteigerung durch Technik.“ Das Institut hat diese Ideen in einem Projekt etwa vier Jahre lang in Hattingen bei Dortmund getestet und arbeitet damit jetzt bereits in Mettmann (NordrheinWestfalen) und Hennigsdorf (Brandenburg). Nun soll der „Smart Living Manager“ auch – neben anderen Orten – nach Hannover kommen. Es werden jeweils 50 bis 100 Wohnungen ausgerüstet, und es wird dann auch überprüft, wie oft und wie überhaupt das System genutzt wird und ob es beispielsweise dazu beiträgt, dass so ausgestattete Wohnungen schneller zu vermieten sind. Wobei der Internet-Zugang zu den Angeboten des Quartiers nicht nur was für ältere Bewohner ist. „Man muss das Portfolio der Umgebung anpassen“, sagt Lothar Schöpe. In manchen Gebieten ist es eben wichtig, Krankenfahrten zum Arzt und zurück anzubieten. Anderswo vielleicht Feng-Shui-Beratung, Fitness- 2004 studiokurse und Jeanspartys. Die Technik als solche gibt das alles her. „Ich sage immer: Es ist für jeden. Aber auch für Ältere.“ Und dann erzählt Schöpe, was ein großer Drogeriediscounter über seinen Lieferservice am häufigsten in die Wohnungen karrt – nämlich keine Kukidentpackungen, sondern Babywindelkartons. Technisch ist in puncto Komfort und Sicherheit und Alter natürlich noch viel mehr möglich. Ein Badezimmerspiegel, der einblendet, dass jetzt das Zähneputzen dran ist, Sensoren am Körper, die dem Pflegedienst melden, ob jemand gerade eine Treppe hinauf- oder hinabsteigt und was das mit dem Blutdruck anstellt. „Im Mietwohnungsbau ist das derzeit aber nicht tragbar“, sagt Schöpe. In hundert Jahren vielleicht? „In hundert Jahren wird es in dieser Richtung viel mehr geben, quer durch die Bank“, prognostiziert der Informatiker. Licht, das automatisch angeht, wenn man die Tür öffnet. Oder noch besser: Die Tür öffnet sich von selbst, wenn man mit zwei Einkaufstüten davor steht, und es schaltet sich auch das Licht wie von Geisterhand ein. Aber das ist Zukunftsmusik. Lothar Schöpe selbst hat all diese Technik trotz seines Berufs noch nicht zu Hause installiert. Er lebt mit seiner Familie in einer Eigentumswohnung, und im Zuge einer Modernisierung hat er Internetanschlüsse in jeden Raum gelegt. Und elektrisch betriebene Rolläden an die Fenster angebaut. „Es muss immer bezahlbar bleiben“, sagt er. Kurz hat er erwogen, auch die Lichtschalter auszutauschen, gegen Exemplare, die man nicht mal mehr berühren muss. Sie hätten aber pro Stück 150 Euro gekostet. „Ich hab‘ das dann gelassen“, sagt Schöpe trocken. « e icht schutzlos au xxx hutzlos au xx „ Wir ü b e rs t ra p a z ie re n d a s K lim a ! “ K l a us T ö pfer Bun d es m ini st e r a . D . , H ö xt e r 2005 Man merkt sofort: Der Mann kennt sich aus. Wie wir in Zukunft wohnen werden? Die Antwort kommt ohne langes Nachdenken, präzise und druckreif formuliert: „Wir werden weniger, wir werden älter, wir werden bunter. Die Verstädterung nimmt zu, die Familiengröße nimmt ab, und wir überstrapazieren das Klima. Die Städte müssen sich verändern, wir müssen uns verändern.“ Der das sagt, kennt sich mit all dem aus wie kein Zweiter. Klaus Töpfer, 1938 in Schlesien geboren, war Bundesumweltminister und Bundesminister für Städtebau, er hat auf verschiedenen Posten für die Vereinten Nationen gearbeitet, unter anderem als Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms UNEP. Vor kurzem erst ist er Gründungsdirektor des Instituts für Klimawandel, Erdsystem und Nachhaltigkeit in Potsdam geworden. Wenn es um das Thema Wohnen geht, denkt Klaus Töpfer nicht in erster Linie an Ohrensessel, Designersofas oder Kaminabende. Auch mit mehr als 70 Jahren hat der CDU-Politiker und Professor (er war Direktor des Instituts für Landesplanung und Raumforschung an der Universität Hannover und in seiner Vita häufen sich die Ehrenprofessuren und Ehrendoktorwürden eher das große Ganze und die Verantwortung dafür im Blick. Die Stadtbilder, sagt Töpfer, müssten konzentrierter werden. All die Einkaufsmalls auf der grünen Wiese, die nur mit dem Auto erreichbar sind und somit Energie verschleudern, seien nicht mehr zeitgemäß, mehr noch: nicht mehr tragbar. „Wir werden einen Re-Import der Dienstleistungen in die Städte bekommen“, prognostiziert er. Nach Beispielen für gelungene Stadtsanierungen gefragt, geht sein Blick nach Osten: Wismar nennt er, Greifswald. Dort seien die Städte als Städte wieder attraktiv. Attraktiv heißt auch: kurze Wege. Eine Stadtplanung, die das Fahrradfahren, das Zufußgehen mit einbezieht. Bauliche Verdichtung. Und: soziale Vermischung. Ein Land wie Deutschland mit seiner hohen Zahl an Einwanderern, meint der ehemalige Bundesminister, könne es sich nicht leisten, „ghettoartige Strukturen“ entstehen zu lassen, denn die stellten irgendwann den gesellschaftlichen Frieden in Frage. Also müssten die Planer sich gerade bei Siedlungen 2006 S Ur sul a v on de r Le ye n B undes mi ni s t eri n, B erl i n mit vielen Migrantenfamilien sehr genau um die Gestaltung des Wohnumfelds kümmern. Im Übrigen ist sich Klaus Töpfer sicher, dass die Wohnungen in Zukunft flexibler in Bezug auf die Nutzung (Wohnen, Arbeiten, Freizeit) sein, dass die Häuser keine Energie mehr verbrauchen, sondern produzieren werden. Die außerordentlich hohe Identifikation gerade der Deutschen mit dem eigenen Haus, das lebenslang oder gar über Generationen genutzt werden soll und deswegen für die Ewigkeit gebaut ist, sieht der Professor im Übrigen schwinden – bei Jüngeren, sagt er, gebe es diese „Vorstadtatmosphäre“ kaum noch. Töpfer und seine Frau – sie sind seit 40 Jahren verheiratet und haben drei Kinder – verfügen selbst sowohl über ein großstädtisches als auch ein kleinstädtisches Zuhause, eine Wohnung in Berlin und ein Haus im westfälischen Höxter. Sie kennen also die Hauptstadt- ebenso wie die Vorstadtatmosphäre, wobei das Haus in Höxter der Mittelpunkt der Familie ist, „immer noch die Heimat der Kinder“, sagt Töpfer. Aber auch dieses Haus, noch von Töpfers Schwiegervater gebaut, geht mit der Zeit, passt sich der Zukunft an. Seit kurzem trägt es Solarpaneelen auf dem Dach, derzeit plant die Familie Töpfer eine „Optimierung des Heizsystems“. Und der umtriebige Nochlangenichtpensionär, ständig unterwegs von Berlin bis Saarbrücken bis New York und zurück, schätzt neben den Annehmlichkeiten des Heims die Tatsache, dass direkt vor seiner Tür jede Stunde ein Bus verkehrt. „Und zwar nicht, weil der Töpfer da wohnt“, schmunzelt Töpfer, sondern weil die Leute den Bus brauchen. Wann immer es geht, lässt auch er selbst den Wagen stehen und nimmt den Nahverkehr. Nicht demonstrativ, wie das Politiker manchmal tun, nicht aus kokettem Understatement. Sondern einfach aus Überzeugung. « 2007 „ Al l e si nd ge f orde r t!“ 2008 Vom Wohnen im Alter zum Wohnen für alle „Das Haus ist eine Maschine zum Wohnen.“ Dieses Zitat stammt zwar nicht von Ursula von der Leyen, sondern vom berühmten Architekt der Moderne, Le Corbusier. Dennoch ist dieser provozierende Gedanke ein Orientierungspunkt für die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, wenn sie sich mit dem Thema Wohnen befasst: „Leider sehen viele Häuser heute auch wie Wohnmaschinen aus. Ein Zuhause ist jedoch viel mehr. Die vier Wände, in denen uns alles vertraut ist, in denen wir uns sicher und geborgen fühlen, sind Räume zum Erholen und Krafttanken. Wohnen ist Lebensqualität und Anker. Im Wohnen spiegelt sich unser Leben, Erinnerungen ebenso wie die Dinge, die uns etwas bedeuten. Und natürlich die Menschen: Die Wohnung und ihr Umfeld ist gelebte Beziehung mit anderen – mit Familienangehörigen, Nachbarn und Freunden. Wenn man alt wird, nimmt die Bedeutung des Wohnens eher noch zu. Vielleicht verbringt man mehr Zeit in der eigenen Wohnung; in jedem Fall hängt man an der vertrauten Umgebung, wenn die Kräfte nachlassen. Was mindestens genau so wichtig ist: In einer Wohnung hinterlässt das ganze Leben seine Spuren. Wir erinnern uns an Etappen, Stationen und Ereignisse. In Möbeln, Bildern, Einrichtungsgegenständen spiegeln sich unsere Lebenserfahrung und unsere Persönlichkeit – in einem langen Leben sammelt sich einiges an! Vor diesem Hintergrund ist der Wunsch der Menschen, möglichst lange – selbst wenn sie pflegebedürftig sind – in der vertrauten Wohnumgebung zu leben, nur zu verständlich. Dieses Bedürfnis müssen wir im Blick haben, wenn wir heute darüber sprechen, was Wohnen bedeutet. Im Zuge des demografischen Wandels wird es immer mehr ältere Menschen in Deutschland geben. Schon heute leben rund 16 Millionen Menschen in unserem Land, die 65 Jahre oder älter sind. Im Jahr 2040 werden 24 Millionen Menschen zu dieser Altersgruppe gehören – das ist dann jeder Dritte. Die Zahl der 80-Jährigen und älteren wird sich in diesem Zeitraum sogar auf etwa zehn Millionen mehr als verdoppeln. Diese Entwicklung wird auch die Entwicklung des Wohnens prägen. Aufgabe und Verpflichtung der Politik für ältere Menschen ist es daher, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Menschen Teilhabe, Zufriedenheit und Eigenständigkeit auch beim Wohnen ermöglichen.“ Mit ihrem Ministerium setzt sich von der Leyen für die Entwicklung einer durch Qualität gekennzeichneten, auf Mitwirkung und Teilhabe der Menschen basierenden Wohnkultur ein. Dazu zählen der Einsatz von mobilen Wohnberatungsteams, die Gründung einer Informationsplattform mit Hinweisen rund um neue und gemeinschaftliche Wohnformen, die Zertifizierung von Gesundheitsdienstleistern im Handwerk zur Unterstützung älterer Menschen, die nach einem Klinikaufenthalt in die Wohnung zurückziehen und das Projekt „Wohnen Plus“ mit einem Versorgungsverbund für ältere Menschen, Alleinerziehende und Kinder. Ob eine Küchen- und Sanitärausstattung, die Verletzungen vorbeugt, oder eine Energie sparende Gebäudetechnik: „Viele technische Innovationen sind nicht nur etwas für ältere Menschen, sondern können Vorbild für alle Wohnungen sein“, meint die Ministerin. Zum Wohnen gehört ihrer Ansicht nach auch das Wohnumfeld, die Nachbarschaft, die lokale Umgebung. „Wenn man im Alter einmal nicht mehr so beweglich ist, wird es umso wichtiger, Angebote, Kontakte und Treffpunkte ganz in der Nähe zu haben. In den 500 Mehrgenerationenhäusern, die es überall in Deutschland gibt, wohnt man nicht. Sie sind Orte der Begegnung, des Engagements und der gegenseitigen Hilfe, die in ihre Umgebung ausstrahlen.“ Es gibt genügend Ansätze und Potenziale, um aus den Herausforderungen, die mit einer älter werdenden Gesellschaft verbunden sind, eine Chance zu machen. „Alle sind gefordert: Sozial- und Stadtplanung, Nachbarschaftsinitiativen, Architektur, Städtebau, Wohnungswirtschaft und Politik. Arbeiten wir gemeinsam weiter daran, eine Lebensumwelt zu schaffen, die allen Generationen zugute kommt!“ « 2009 e icht schutzlos au xxx Grenzenlose Mobilität. Ist das nicht das, was die Wirtschaft immer fordert? Nun, es gibt sie. Allerdings oft eine Spur außerhalb des Berufslebens. Die Rede ist von „der großen Freiheit auf Rädern“, wie Stefan Weidenfeld das nennt. Von den Leuten, die, wenn sie sich auf den Weg sonstwohin machen, ihr Bett, ihr halbes Zuhause mitnehmen. „Und wenn sie morgens die Tür öffnen, stehen sie im Idealfall in der freien Natur“, sagt Weidenfeld. hutzlos au xx Stefan Weidenfeld ist Chefredakteur der Zeitschrift „Caravaning“, die ihren Redaktionssitz in Leonberg bei Stuttgart hat. Das Heft richtet sich an Menschen, die im Urlaub ihren Wohnwagen an den Haken hängen – wobei man heutzutage nicht mehr Wohnwagen sagt, sondern Caravan. „Wohnwagen klingt etwas muffig“, sagt Stefan Weidenfeld. Und die rollenden Behausungen, die keine extra Zugmaschine brauchen, heißen auch nicht Wohnmobil, sondern Reisemobil. Obwohl man drin wohnen kann. Aber eben auch – und zwar vornehmlich – reisen. „ D ie g ro ß e Fre ih e it a uf R ä d e r n! “ S t e fa n Weidenfeld Ch efred ak te u r, L e o n b e r g Stefan Weidenfeld blättert in ein paar Fachberichten und sagt dann, in Deutschland gebe es nach der letzten Erhebung durch das Kraftfahrtbundesamt 326.374 Reisemobile. Die Branche schätze die tatsächliche Zahl aber wesentlich höher, denn man muss sein Reisemobil nicht als Reisemobil zulassen. Möglich ist auch eine Registrierung als Pkw, als Lkw oder als Büromobil. Deswegen seien es wohl eher 445.000. Und dazu kommen dann noch mal 950.000 Wohnwagen – pardon: Caravans. Was treibt Leute dazu, ihren Hausstand auf Reisen mitzunehmen? Ebendies, sagt Weidenfeld: „Es hat einen gewissen Charme, in die Fremde zu fahren und das Eigene trotzdem immer dabei zu haben. Sie liegen jeden Abend in Ihrem Bett.“ Obendrein verspricht Caravaning, dass man nach Lust und Laune einsteigen und losfahren und anhalten und bleiben kann – dort, wo die Gegend schön ist oder das Wetter, wo Freunde sind. Freie Natur ringsum, Ruhe, aber abends steht man am eigenen Herd. Theoretisch zumindest. „Man muss schon ein wenig zwischen Traum und Realität unterscheiden“, sagt Weidenfeld: Verhältnisse wie im Westen der USA, wo auf dem Campingplatz der nächste Nachbar sein Lagerfeuer allenfalls in Ruf2010 Aber irgendwann wird sich das wieder einpendeln. Denn der Zielgruppe geht es im Grunde nicht schlecht – und sie wird weiter wachsen. Der durchschnittliche Leser von Weidenfelds Zeitschrift und damit der durchschnittliche Reisemobiloder Caravan-Kunde ist um die 50 Jahre alt, hat ein bisschen Geld auf der hohen Kante und nicht die Absicht, es dort zu lassen. Wie er ja auch nicht dort bleiben will, wo er ist, sondern in die Welt hinaus. Typische Kunden sind auch frischgebackene Pensionäre, bei denen die Lebensversicherung fällig geworden ist. weite angezündet hat, sind in Europa kaum anzutreffen. Und einfach irgendwo anzuhalten und sein mobiles Zuhause am Waldrand auszupacken, das ist weder in den USA noch in Europa erlaubt. In Deutschland darf man mit WohnwagenGespann oder Reisemobil überall dort parken, wo Parken erlaubt ist, und da auch übernachten – aber nur, wenn es „der Wiederherstellung der Fahrtüchtigkeit“ dient. Grill, Campingstühle und Sonnenliege müssen im Stauraum bleiben. Ansonsten gibt es in Europa rund 25.000 Campingplätze; hinzu kommen mehr als 10.000 speziell ausgewiesene Reisemobil-Stellplätze – da findet man überall eine angenehme und legale Übernachtungsmöglichkeit. Auf den Campingplätzen geht der Trend auf jeden Fall hin zu mehr Luxus. „Immer ausgebucht sind die richtig teuren Plätze“, weiß Stefan Weidenfeld. Da gibt es erlesene Sanitäranlagen, Schwimmbad und Wellness, Kabelfernsehen und drahtloses Computernetzwerk. Wobei man sich da nicht ansiedelt, sondern eine Weile bleibt und dann mit dem fahrbaren Haus weiterzieht. Die Dauercamper mit Vorgarten und Gartenzwerg und Gelsenkirchener Barock im Innern des eigentlich unverrückbaren Wohnwagens haben mit Reisemobilisten und aktiven Caravanern wenig gemein. Sie werden ohnehin seltener. Die inzwischen überall durchgestylten, mitunter sogar edlen Interieurs der modernen mobilen Heime sind einfach nicht nach ihrem Geschmack. Die Reisemobil- und Caravanbranche hat einen unglaublichen Boom hinter sich, entsprechend hat sich deutschlandweit auch das Angebot an speziellen Caravaning-Stellplätzen verbessert, mitunter sogar mit der kompletten Infrastruktur für Frischwasserver- und Abwasserentsorgung. Der Trend geht ohnehin zu mehr Komfort, und das, sagt Weidenfeld, trage schon ein wenig Widersprüchliches in sich: Einerseits geht man auf große Fahrt und will sich nicht mit allzuviel belasten. Andererseits werden die Fahrzeuge immer größer und teurer. Caravans bewegen sich in der Preisklasse zwischen 10.000 und 30.000 Euro, bei Reisemobilen beginnen die Preise bei etwas unter 30.000 Euro; Neuwagenkäufer geben durchschnittlich um die 50.000 Euro aus, doch nach oben gibt es keine Grenzen: „Sie können da ohne weiteres eine Million ausgeben. Sie können Reisemobile mit einer Talsperre an Bord – sprich: mit einem 1000-Liter-Frischwassertank kaufen, Sie können auch Modelle mit integrierter Garage für einen kleinen Porsche erstehen.“ Das sind natürlich seltene Exoten. Allerdings beoachtet Weidenfeld derzeit wieder etwas bescheidenere Ansätze, kompaktere und preisgünstigere Fahrzeuge werden mehr nachgefragt. Das kann aber auch an der derzeitigen wirtschaftlichen Situation liegen. Wenn die Krise überwunden ist, werde der Markt weiter wachsen. Da ist sich Stefan Weidenfeld sicher. Allerdings vor allem der Markt für Reisemobile. Denn die Autos werden leichter, sollen Sprit sparen und kleinere Motoren haben. Da ist das Ziehen eines schweren Caravans dann nicht mehr so angesagt. Spannend wird es, ob die Branche es schafft, bezahlbare Leichtbaulösungen auf die Räder zu stellen. Vielleicht gibt es genau deswegen seit einiger Zeit auf immer mehr Campingplätzen so genannte „Mobile Homes“. Das sind Häuschen, die eher pro forma (weil an den Standorten von Campingplätzen häufig keine Genehmigungen für feste Bauten zu erlangen sind) noch Räder haben und die man mieten kann. Wobei man dann doch nicht mehr im eigenen Bett schläft. Krise eben. Und es passt zur Krise der Branche. Denn die Reisemobil- und Caravanhersteller haben zwar einen Boom erlebt, aber der wiederum erlebt derzeit eine empfindliche Delle. Nicht wegen der schwankenden Banken. Die Krise sei „eher hausgemacht“, sagt Weidenfeld. Zehn Jahre lang ging es immer bergauf, die Zuwachsraten waren teilweise zweistellig, und das hat die Firmen übermütig gemacht: Hohe Stückzahlen, gewaltige Kapazitäten. Und jetzt stehen die Händlerhöfe voll. Stefan Weidenfeld selbst probiert im Urlaub gern man dies und gern mal jenes aus und ist manchmal auch nur mit dem Zelt unterwegs. Und wie wohnt er sonst? „Ganz normal“, sagt er. Er und seine Frau haben eine Wohnung. Allerdings mit Terrasse und Garten. „Ein bisschen Natur brauche ich um mich herum. Auch im Alltag.“ « 2011 N „Was i s t das den n , S t a d t ? “ M ic ha e l Zobel I nselv ogt, S t e i n h u d e icht schutzlos au xxx hutzlos au xx 2012 Soso, die Stadt erlebt eine Renaissance? Soll sie, sagt Michael Zobel. Aber bitte ohne ihn. „Was ist das denn, Stadt?“, sagt er. „Lärm und Stress.“ Vor etwas mehr als fünf Jahren saß Michael Zobel gerade mit seiner Frau Heidrun am Frühstückstisch, als sie aus der Zeitung aufschaute und fragte, ob er sich mit ihr ein Leben auf einer einsamen Insel vorstellen könne. Sie hatte eine Stellenausschreibung der Fürstlichen Hofkammer zu Bückeburg gefunden, gesucht wurde ein Verwalterehepaar für die Inselfestung Wilhelmstein im Steinhuder Meer. Michael und Heidrun Zobel – er Handwerker und Kommunikationsorganisator, sie mit einer kaufmännischen Ausbildung – bewarben sich. Und wurden aus 140 Mitbewerberpaaren ausgewählt. Die Festung Wilhelmstein war im 18. Jahrhundert vom Grafen Wilhelm zu Schaumburg-Lippe auf einer künstlichen Insel im Steinhuder Meer errichtet worden. Das wurde damals ein bisschen belächelt – bis 1787 die Hessen die Grafschaft besetzten, aber den Wilhelmstein nicht einnehmen konnten. Heute ist die Festung ein beliebtes Ausflugsziel. 60.000 Besucher kommen während der Saison, besichtigen die alten Gemäuer, stärken sich im Restaurant, können auf der Insel inzwischen auch übernachten, Seminare abhalten, die Ehe schließen. Sieben Monate lang, vom 1. April bis zum 31. Oktober, haben Heidrun und Michael Zobel fast rund um die Uhr alle Hände voll zu tun. Dann wird es still. Vom 1. November bis zum 31. März besteht auf dem Steinhuder Meer ein Winterfahrverbot. Die Zobels haben natürlich eine Ausnahmegenehmigung. Aber auch im Winter müssen die technischen Anlagen, die Heizung, die Wasserleitungen beaufsichtigt werden. Ein bisschen Urlaub ist schon drin, doch meistens sind Heidrun und Michael Zobel auf ihrer Insel. Woanders spricht man davon, dass Wohnen und Arbeiten wieder mehr zusammenwachsen. Bei den Zobels ist das schon seit fünf Jahren so, „das geht nahtlos ineinander über“. Eines der historischen Gebäude auf der Insel dient den Verwaltern als Wohnhaus. Knapp 90 Quadratmeter, kleine, niedrige Räume, mehr als einen halben Meter dicke Backsteinwände. Es ist gemütlich bei ihnen, die Küche ist im Landhausstil eingerichtet, das Bad ist modern, im Wohnzimmer dominiert das blaue Ledersofa. Aber es gibt auch kalte Ecken im Haus. Doch es habe seinen eigenen Reiz, in so einem Gemäuer zu wohnen, sagt Zobel. Und er kennt keinen Stau, kein U-Bahn-Gedränge, keinen hastigen Coffee-to-go. Er muss nur vor die Tür treten, dann ist er schon an seinem Arbeitsplatz. Von neun bis fünf im Büro – das war sowieso nie sein Ding. Die Zahl der Freunde der Zobels hat sich reduziert. Wenn nicht mehr jeder eben mal so vorbeikommen kann, zeigt sich, welche Beziehung Bestand hat. Neue Freunde gibt es aber auch, etwa die Segler, die die Verwalter abends zum Grillen einladen. Und dann, wenn die Saison vorbei ist, werden Heidrun und Michael Zobel auf sich selbst zurückgeworfen. Alles ist grau, der Himmel, die Bäume, das Wasser. Die Natur zeigt, dass sie hart sein kann. Manchmal wird Michael Zobel gefragt, ob ihm das nicht doch zu einsam sei auf der Insel. Er sagt dann: „Leute, die Einsamkeit als unangenehme Auseinandersetzung mit der eigenen Person empfinden, sind hier fehl am Platz.“ Nach einer Weile trug das Eis, Heidrun Zobel konnte ihren Mann besuchen – aber sie ließen es dabei, dass die Frau noch ein paar Wochen bei der Tochter blieb und Michael Zobel allein auf der Insel arbeitete. „Man sieht Dinge, die man sonst nicht sieht“, sagte Zobel. „In der Natur, in sich.“ Er sagt: „Wenn man aus der Stadt zu einem Spaziergang in den Wald fährt, kennt man den Wald nicht. Den kennt man nur, wenn man drin lebt. Mit der Stadt ist es andersherum. Da kann man aus der Abgeschiedenheit hinfahren und dann auch wieder weg, weil man das ja kennt. Den Lärm. Den Stress.“ Wie lange die Zobels auf dem Wilhelmstein bleiben, wissen sie nicht. Wenn sie bis zur Rente bleiben, brechen sie den Rekord der Verwalterpaare. Wenn nicht: In die Stadt will Michael Zobel nicht zurück. Erst hat er in Hannover gelebt, dann in dem Dorf am Deister, nun auf der Insel. „Wenn wieder was anderes ansteht“, sagt er, „tendiere ich zur Almhütte.“ « Im Winter 2008/2009 hatte Michael Zobel besonders viel Gelegenheit, sich mit der eigenen Person auseinanderzusetzen. Seine Frau besuchte gerade die Tochter, die das Haus der Zobels in einem Dorf am Deister bewohnt. Michael Zobel wollte nachkommen, aber er wartete eine Nacht zu lang. Das Steinhuder Meer war am nächsten Morgen zugefroren. Die Eisschicht betrug nur zwei, drei Zentimeter. Aber das ist zuviel, um noch mit dem Boot fahren zu können, und zuwenig, um das Eis zu betreten. Zobel dachte: Wird ein paar Tage dauern. Es wurden neun Wochen. „Da kann man dann schon mal einen Inselkoller bekommen“, sagt Michael Zobel – aber richtig ernst ist es bei ihm damit nie geworden. „Man kann seine Grenzen erforschen: Eines Tages habe ich ausprobiert, wie es ist, wenn man allein ist und dann auch den Fernseher und das Radio auslässt. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mich mit den Dingen unterhalte. Dass ich die Schippkarre frage, wieso sie da immer noch rumsteht, dass ich der Abendbrotscheibe sage, wie schön sie aussieht. Da habe ich diesen Teil des Experiments dann doch abgebrochen.“ 2013 2014 So wohnen die im Film Fo t o s : d e s i g n a g e n t e n ... Stück für Stück. 2015 Lichter der Vorstadt, 2006 Regie: Aki Kaurismäki Text: Mar tina Jung Wo die Schwermut wohnt Ein Paar sitzt auf dem Sofa, der Tisch ist sorgfältig gedeckt, rührend altmodisch wie bei einer alten Dame, mit bestickter Tischdecke und Likör (hier vermutlich eher Wodka), einer Schale mit Gebäck und sogar einer Vase (d.h. einer zur Vase umfunktionierten leeren Flasche) mit Blumen. Doch bei näherem Hinsehen wirkt das Interieur beklemmend und klaustrophobisch mit seinem Polstersofa in trübem Blau und seinen gestrichenen Ziegelwänden mit dem roten Wandbehang. Die Farben sind ohne Leuchtkraft, stattdessen stumpf und bedrückend. Elektrisches Licht erhellt die Szene, Tageslicht dringt nur spärlich hinein, denn bei der Wohnung handelt es sich euphemistisch ausgedrückt um eine Souterrainwohnung, genau genommen um einen zur Wohnung ausgebauten Kellerraum. In einer Szene sind die durchlaufenden Installationsrohre deutlich zu erkennen. Licht Luft Sonne – Fremdwörter in dieser Innenraumwelt, die der Finne Kaurismäki ausmalt. Ein trauriges Paar. Die Protagonisten scheinen in der gezeigten Einstellung mit ihrer Umgebung zu verschmelzen. Bluse und strenge Jacke der weiblichen Darstellerin wiederholen die Farben der Ausstattung und unterstreichen das Gefühl der Aussichtslosigkeit, das die Szenerie vermittelt. Diese Wohnung ist eine Höhle, aus der es kein Entrinnen gibt, so wie es für den männlichen „Helden“ des Films keinen Ausweg aus der sozialen Abwärtsspirale gibt, in die er durch Verrat hineingerät. Die Wohnung hält ihre Insassen gefangen in Fremdheit und herzzerreißender Tristesse. Die roten Nelken auf dem Tisch erscheinen als matte Reverenz an ein Tête-à-tête, das die Situation wohl sein will, als matte Reverenz auch an das traute Heim, das Glück allein verheißt. Zukunftsforscher sagen voraus, dass der Trend zum Singlewohnen deutlich zunehmen wird. Aki Kaurismäki entwirft ein Szenario von Einsamkeit, sozialer Desintegration und Kälte, das einen frösteln lässt. Wo, bitte, geht es hier zur Tür? 2016 Blade Runner, 1982 Regie: Ridley Scott Text: Mar tina Scheitenberger Erinnerung an die Zukunft der Küche Der Kopfgeldjäger Blade Runner Deckard bereitet der Replikantin Rachael in der Küche einen Drink. Wie in dem apokalyptischen Endzeit-Film mit seiner finsteren Stadtlandschaft zu erwarten, ist die Küche eng, ohne Tageslicht, wirkt angesichts der Spuren auf den Oberflächen der Schränke abgenutzt, irgendwie anders als bei uns real existierenden Wesen im Jahr 2009. Schließlich spielt der Film im Jahr 2019, also in der Zukunft, und verheißt nichts Gutes, mag man dem Film Glauben schenken! Von Licht, Luft, Sonne und Hygiene keine Spur. Diese Art von Bilderbuchküchen aus Innenarchitekturzeitschriften, mit überdimensionierten Glasfronten, Inselküchen mit glänzenden Edelstahloberflächen sind eher in neueren zukunftsvisionären Filmen zu finden, so etwa in „Die Insel“ mit Scarlett Johansson (Regie: Michael Bay). Wie Blade Runner Deckard sich so über die Spüle neigt, erscheint doch der Griff zum Wasserhahn auch sehr vertraut. Beim Standbild wird offenbar, was bei laufenden Bildern nicht fassbar ist und eher unterbewusst gespeichert wird. In der Küche stehen nämlich die uns so vertrauten Dinge wie Toaster, Kaffeemaschine, Abtropfsieb und Safter auf der Küchenplatte. Selbst ein kleiner spießig anmutender Blumentopf mit einem nicht zu entzifferndem Kraut ist auf einem Oberschrank zu entdecken. Der Safter ist übrigens ziemlich praktisch, - ich habe ihn auch, genau das gleiche Modell. Die Küchenblenden sind aus reliefartigen Platten, die stark an antike Muster erinnern, also auch auf den zweiten Blick nicht futuristisch anmuten. Alles ist also nicht neu, nur die Kombination der Details ist es und macht die Interieurs so interessant und spannend. Der Blick in die Wohnung von Sebastian, der in einer klassizistisch anmutenden Wohnung quasi wie in einem Museum kleine selbst konstruierte künstliche Gnome sammelt, erhärtet den Verdacht, dass hier Stile zitiert und keine neuen erfunden werden. War nicht in den 1980er Jahren gerade die Postmoderne ganz en vogue, neue Kombinationen von historischen Stilelementen, ein wilder Mix aus Säulen, geometrischen Formen? Aber die Kücheninszenierung nur als Zeitdokument zu sehen, die Stilmoden der 1980er Jahre aufnimmt, ist doch zu kurz gegriffen. Also anders: Man könnte auch sagen, hier geht’s um Versatzstücke, aus lauter Dingen, mit denen wir etwas verbinden, an die wir uns erinnern. Und da steckt vermutlich mehr dahinter. Indem der Film in die Welt der Zukunft führt und uns gleichzeitig erinnern lässt, hält er uns den Spiegel vor: Menschen sind von Maschinen und Maschinen von Menschen kaum noch zu unterscheiden. Ein sich selbst vergewissern, die Erinnerung und die Sehnsucht sind die Merkmale, die uns noch von den künstlichen Wesen unterscheiden, oder nicht? Es ist eine Frage der Zeit, bis die Grenzen vollends aufgelöst sind. Das klingt nach moralischem Zeigefinger und ist wahrscheinlich auch so gemeint. Und was tragen der Toaster, die Kaffeemaschine und der Safter zu allem bei? Es wird alles anders und doch bleibt es wie es ist, wenn man genauer hinsieht. In die Zukunft schauen, heißt erinnern? 2017 Help, 1965 Regie: Richard Lester Text: Mar tina Gr ünwa ld Eine typische Vorortidylle. Alles ist in bester Ordnung. Die Häuser sind gepflegt, die Vorgärten gehegt. Und da kommen auch schon die Nachbarn. Vier junge Herren in gebügelten Anzügen, geputzten Schuhen und mit ordentlichen Haarschnitten Offensichtlich ist man sich sympathisch und grüßt freundlich in die Runde. Draußen bleibt alles gleich. Innen wird gelebt und ausgelebt. Was vor Jahren als Wohnform nur für jüngere Leute vorstellbar war, hat längst die Generationengrenzen übersprungen. Es lebe die WG – heute wie morgen. Dann verschwinden die vier in ihren jeweiligen Häusern. Vier Treppen, vier Türen, vier Schlösser – auf und wieder zu. Schon sind sie verschwunden in – man staune – eine große gemeinsame Wohnung, die sich hinter den Mauern verborgen hatte. Was sich hinter der Backsteinfassade abspielt – nicht nur die Hausmusik aus der Hammondorgel begleitet von Flötentönen des Gärtners – macht Lust. Lust auf Austausch, auf Auseinandersetzung, auf Verwirklichung gemeinsamer Ideen, aber auch Lust nach Andersartigkeit. Kurz: Die Bilder machen Lust auf gemeinsames Leben und Wohnen. Hier verschmelzen nicht nur die einzelnen Vorlieben und Lebensstile, sondern auch das Drinnen und das Draußen. Hier wächst der Rasen unter Jacobsens Egg-Chair, da bieten Wandautomaten kalte Getränke und Snacks, selbst die frischen Orangen kommen wie fliegende Tennisbälle aus einem Automatenspender. Das im Boden versenkte Bett vermittelt Geborgenheit und Individualität. Keine Küche, kein Schlafraum, kein Flur. 2018 2019 Das fünfte Element, 1997 Regie: Luc Besson Text: A xel Born Von unten nach oben und um die Ecke! Ich habe eine Verabredung bei McDonald’s an der Ecke Lancaster Avenue/Garibaldi Graben. In drei Minuten. Eigentlich kein Problem, denn die Lancaster Avenue ist gleich vor mir. Allerdings: Ich lenke meinen Straßengleiter auf der vierten Ebene durch die Häuserschluchten – doch das „Fly through“ liegt in der 26. Luc Besson öffnet in seiner Science-Fiction-Persiflage einen spannenden Blick auf die Stadt der Zukunft. Die schräge Weltrettungs-Geschichte spielt im Jahr 2259, also exakt in einem Vierteljahrhundert. Das Wohnen hat sich zu dem Zeitpunkt sehr gewandelt. Und der innerstädtische Verkehr ist in die dritte Dimension vorgedrungen. Links, rechts, geradeaus – das ist heute. Oben und unten – das ist Zukunft. Doch eigentlich würde ich mein Gefährt gerne wieder einmal selbst lenken. So wie anfangs des 21. Jahrhunderts, als ich mein Auto – ein zugegeben lächerlich langsames, sperriges, unbequemes und dreckiges Blechding – an einem Drehrad horizontal über asphaltierte Straßen lenkte. Abends kam das Automobil in ein eigenes Häuschen. Von dort musste man dann zu Fuß bis in die Wohnung gehen. Zu Fuß, ich fasse es nicht, wenn ich daran zurückdenke. Hey, Zukunft ist gar nicht so schlecht. Wer überwindet dieses Chaos? Wie komme ich heile in einem solchen Schwarm rasender Flugmobile verdammt noch mal von der vierten auf die 26. Ebene? Habe ich einen sechsten Sinn wie Fische oder Fledermäuse? Oder gibt es so etwas wie ein „Superintelligentes Navigationssystem (SiNs)“, in das sich alle Verkehrsteilnehmer vor dem Start einloggen müssen. Die vollständige Kontrolle über den dreidimensionalen Verkehrsfluss übernimmt danach der Hochleistungscomputer. Stress? Unfallgefahr? Nichts davon. 2020 007 – Der Spion, der mich liebte, 1977 Regie: Lewis Gilbert Text: Carsten Ens Verrückt, aber absolut cool! Ja, wo sind sie denn, die ganzen Unterwasserstädte, die uns seit Jahrzehnten in Aussicht gestellt werden? Es war doch eigentlich alles sonnenklar: Spätestens seit den 1950er Jahren waren Zukunftsforscher stets zu dem Schluss gekommen, die Menschen würden sehr, sehr bald auf dem Meeresgrund und natürlich auch auf Mond und Mars wohnen. Vielleicht haben sie einfach zu viel Jules Verne gelesen oder die tollen Filme gesehen über Kapitän Nemo, der mit seinem atemberaubenden Unterseeboot Nautilus „20.000 Meilen unter dem Meer“ gefahren ist. Grauer Alltag, der im Strombergschen Unterwasserpalast nichts zu suchen hat: prunkvoller Speisesaal, eine Art Luxus-Wohnzimmer über zwei Etagen, Fenster, durch die man die exotischsten Fische beobachten kann, dazu eine unvorstellbare Technik, die alles wie einen Eishauch umweht. Strombergs Krakenhaus „Atlantis“ ist einfach ungeschlagen cool! Wie gerne hätten wir einen Blick ins Schlafzimmer geworfen. Und in die Kinderzimmer. Und in den Wellnessbereich. Und in die Bibliothek. Und in die Küche. Und in den Keller. Einer hat sich den Traum von Wohnen im Wasser in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre erfüllt. Er ist zwar ein Schurke und sicherlich ein Verrückter. Und vor unseren Augen ist er schon Dutzende Filmtode gestorben. Aber rein wohnungsmäßig gesehen, gibt es niemanden, der es so weit – ach, so tief gebracht hat wie Carl Stromberg. Nicht einmal der japanische Geschäftsmann Hidekatzu Tanaka, kein Schurke, sondern ein guter Freund des deutschen Meeresforschers Hans Hass. Ihm zur Freude gab Tanaka 1975 – am Rande der „Meeresweltausstellung“ in Osaka – ein Fest in seiner weltweit einzigartigen Unterwasser-Villa südlich von Tokyo. 16 Männer und Frauen aßen, tanzten und schliefen unter Wasser. Fasziniert stellte Hass fest: „Unter dem erhöhten Druck schäumt das Bier nicht, und eine gewisse Bewusstseinsveränderung findet statt.“ Und wie ging die Party zu Ende? „Das Geschirr wurde abgewaschen, die Möbel geputzt und die Unterwasser-Reinemachfrau säuberte mit einem Staubsauger die Spannteppiche.“ Selbst James Bond hat so etwas in seiner Karriere noch nicht gesehen. Dabei ist der weltgewandte Tausendsassa wahrlich weit herum gekommen. Beim Besuch der Tiefseebehausung versucht 007 sichtlich beeindruckt, dieser Art des Wohnens auf den Grund zu gehen. Wir hören und staunen: Stromberg kommt gleich zur Sache: „Warum versuchen wir den Weltraum zu erobern, wenn sieben Zehntel unseres Planeten noch unerforscht sind? Die Welt des Meeres.“ „Sie scheinen in der Lage zu sein, diese Zahlen zu korrigieren. Sie leben hier völlig unabhängig von der Außenwelt.“ „Ja, ich bin so etwas wie ein Einsiedler. Ich bin immer bestrebt, mein Leben auf meine Weise zu leben und in einer Umgebung, mit der ich mich identifizieren kann. Das ist ein Privileg des Reichtums.“ „Vermissen Sie nicht die Außenwelt?“ „Für mich ist das hier die ganze Welt.“ Wie schon gesagt: Ein bisschen verrückt! Aber ziemlich cool! 2021 Soylent Green, USA 1973 Regie: Richard Fleischer Gemäß einer Prophezeiung aus Hollywood von 1973 werden im Jahre 2022 rund 40 Millionen Menschen in New York leben, die Hälfte von ihnen ohne Job. Leben? Abgesehen von ein paar Führungskräften sowie deren Schurken und Schergen vegetiert die Menschheit in der neblig-trüben Metropole elendiglich dahin. Jahreszeiten? Unentwegt brütende Hitze. Aufs Land flüchten? Verboten. Die Farmen gleichen Festungen. Und ein Glas Erdbeermarmelade kostet 150 Dollar. An Essbarem verteilt die Obrigkeit lediglich ein knappes Erzeugnis, die Soylent-Kekse in Rot oder Gelb, neuerdings manchmal die nahrhafteren in Grün – „geruchloser Mist ohne Geschmack“, wie der greise Edward G. Robinson wutentbrannt schimpft, hausend in einem düsteren Loch zusammen mit Charlton Heston, der einen sarkastischen Polizisten mimt. Spärliches Wackellicht erkurbelt man sich mit dem Stehfahrrad. Ohnehin haben die beiden Glück, sind geradezu privilegiert. Die Wehklagenden, denen keine Bleibe zusteht, bevölkern das Treppenhaus, greinen, sobald man zwischen ihren Leibern die Stufen entlang klettert. Als es eines Tages gänzlich an Keksen mangelt, bricht auf den Straßen ein Tumult aus. Protestierende werden wahllos mittels Schaufelbaggern auf LKW geladen und abtransportiert. Heston muss einen ominösen Mordfall untersuchen. Einem Vorstandsmitglied der Soylent Corporation, dem Nahrungsmittel-Monopolisten, wurde in seiner Luxus-Suite der Schädel eingeschlagen. Der coole Bulle inspiziert das prachtvolle Badezimmer und reagiert wie ein Kind vor dem Gabentisch. „Seife! Richtiges Papier!!“ Die hauseigene Konkubine schlägt vor, ein Bad zu nehmen, solange er Lust habe. „Was? Es gibt warmes Wasser hier? Sogar heißes??“ Unterdessen enthüllt Robinson gemeinsam mit anderen Senioren, dass „Soylent Green“ keineswegs wie propagiert aus Plankton gewonnen wird. Verzagt, vollends niedergeschmettert entscheidet er sich dafür, sich in einem der Euthanasie-Zentren einschläfern zu lassen, begleitet von symphonischen Klängen und Landschaftsbildern nach Wahl. Heston, dem väterlichen Freund nachschleichend, verfolgt niedergeschlagen, doch zäh den Transport der Leichen vom Sterbeort in eine Fabrik. Das Grauen raubt einem schier den Verstand: „Soylent Green ist Menschenfleisch!“ In verfinsterten Augenblicken beschleicht den heutigen Betrachter dieses frühen Öko-Thrillers die Befürchtung, das atmosphärische Szenario wäre, die Schlusspointe ausgenommen!, mitnichten so futuristisch-phantastisch, zumindest für Gebiete außerhalb der raren Wohlstandsinseln auf diesem Globus. Gleichwohl, wider derlei Schreckensvisionen wäre mit einer Strophe des Chansonniers Funny van Dannen zu schließen: „Manche meinen, man solle leben, als wär‘s der letzte Tag / Das klingt nach Intensivstation, na ja, wer so was mag / Dabei würde ich mich nicht mal einen Optimisten nennen / Aber Pessimismus, Baby, muss man sich leisten können“. 2022 beam me up! Fo t o s : C l a u s U h l e n d o r f ...auf und davon . 2023 „Wenn’s mal wieder länger dauert: einfach beamen“ Über die Zeit gebeamt, im Raum und mit Ideen gelandet. Eine Erwartungsreise A Der Autor Mathias Schönhoff beschäftigte sich unter dem gleichlautenden Titel mit dem Phänomen der sogenannten Teleportation, die eben nicht immer reibungslos vonstatten ging, wenn man sich einige Szenen von Raumschiff Enterprise und anderen berühmten Raumschiff-Krimis vor Augen führt. Ein weithin bekannter Informationsdienst im Internet hat sich des Phänomens angenommen und es folgendermaßen definiert: „Teleportation bezeichnet den Transport einer Person oder eines Gegenstandes von einem Ort zu einem anderen, ohne dass das Objekt dabei physisch den dazwischen liegenden Raum durchquert.“ Das klingt so real, als sei Beamen gängige Praxis. Schon im 19. Jahrhundert kursierten in der Literatur Phantasien über spektakuläre Materieübertragungen. Tatsächlich ist es australischen Forschern kürzlich gelungen, Atome über eine Glasfaserleitung zu teleportieren. Der Leiter des Experiments, Dr. Murray Olsen, verglich sein geglücktes Experiment mit dem „Beamen“. Allerdings, so schränkt Murray Olsen ein, kann er nicht dafür garantieren, dass auch Menschen mit der neu entwickelten Methode lautlos und spurlos von einem zum anderen Ort gebeamt werden können. Warten wir’s ab, ob diese umweltschonende Transportweise Zukunft hat. Kasimir, Annefei u n d Emilia (mit grünem Schal) 2024 2025 „In 100 Jahren wird es auf den Straßen keine Autos mehr geben. Alle fahren mit dem Skateboard zur Arbeit.“ Wann und wie haben Sie in Ihrer ersten eigenen Wohnung gelebt? 1 9 6 3 i n ei n e r 2 9 m 2 g r o ß e n J u n g g e s e l l e n w o h n u n g . In welcher Etage würden Sie im höchsten Hochhaus der Welt am liebsten wohnen? I n d e r 1 00 s t e n . J W a s v e r m is s e n S i e s e h r i n I h r e r W o h n u n g ? Phillip (mit Skateboard), Meine Frau, wenn sie zur Arbeit ist. Thomas Gerh ard, 7 2 , Ga rb se n a . d . Horst I h r L i e b li n g s p l a t z i n d e r W o h n u n g ? Die Stube. A n w a s e ri n n e r n S i e s i c h i n d e r W o h n u n g I h r e r E ltern? An die Enge mit sechs Kindern. Gretch en , 7 6 , L üne b urg W a s w e r d en S i e s e h e n , w e n n S i e i m J a h r e 2 1 0 9 a u s d e m Fe n s t e r s c h a u e n ? A u s d e m Hi m m e l f e n s t e r h o f f e n t l i c h d e n b l a u en P l a n e t e n E r d e . D a s W o h n en i m J a h r 2 1 0 9 . . . s o l l t e a u c h f ü r s o z i a l S c h w ä c h e r e e i n V e r g n ü g e n sein. Jo ach i m , 5 7 , Celle 2026 Tsung Mei, „In 100 Jahren: Zurück zur Natur. Die Familie lebt im Garten und baut ihr eigenes Gemüse an. Für eine schönere Welt und für ein besseres Achten aller Lebewesen sind alle Vegetarier.“ Tim, Katja (in karierter Bluse), T h o m m i ( im grasgrünem Hemd), Stina D Ihr „Traum“-Wohnort: Gartenlaube. W a n n u n d w i e h a b e n S i e i n I h r e r e r s t e n W o h n u n g g elebt? I m W i n t e r 1 9 6 3 . I c h e r i n n e r e m i c h a n d i e E i s b l u men i m F e n s t e r , u n d d a s G l a s W a s s e r i m S c h l a f z i m m e r war ü b e r N a c ht e i n g e f r o r e n . Lydi a, 6 8 , L ü n eb urg I h r „ T r a um “ - W o h n o r t : Hausboot. W a s v e r m is s e n S i e s e h r i n I h r e r W o h n u n g ? Multimediaraum, Staubsaugerroboter. A n dreas , 4 4 , Wolfsb urg 2027 Ihr Lieblingshaus aus einem Film? Die Ponderosa-Ranch mit Hop Sing als Koch. Was vermissen Sie sehr in Ihrer Wohnung? O r dn u n g u n d e i n e g r o ß e C o u c h . Ch ri stof, Fre d e b urg Vielleicht sprechen wir alle die gleiche Sprache, kreuzen auf fliegenden Teppichen durch die großen Städte und erfreuen uns weiter des Lebens. Alles zu seiner Zeit. Ihr Lieblingsplatz in der Wohnung? Die Badewanne. Alexander mit Was vermissen Sie sehr in Ihrer Wohnung? J u l e ( m ac ht Mä nn ch e n ) D Einen fliegenden Teppich. F ranz, 59, Göttinge n An was erinnern Sie sich in der Wohnung I h re r E l t e r n o d e r G r o ß e l t e r n ? Kuckucksuhr aus dem Schwarzwald. W a s m u s s f ü r d a s W o h n e n n o c h e r f u n d e n w e r den? Die Kultur des Wohnens. Hei ke , 45, Göttinge n- Frie d la nd 2028 Wir haben gerade ein Haus gebaut und die Fragen des Zusammenlebens für heute zunächst geklärt. Doch wie sieht Wohnen in 100 Jahren aus? Wo wird man sich dann treffen? In der Küche? Auf dem Sofa? Bestimmt wird es andere Möglichkeiten geben. Wir blicken jedenfalls gespannt in die Zukunft. Fritzi, Ferdinand, Dagi, Alex mit Pauline auf dem Arm und Lilly D I n welchem M o m e n t f ü h l e n S i e s ic h w i r k l i c h z u H a u s e ? 20:00 Uhr Na c h r i c h t e n . D as Wohnen i m J a h r 2 1 0 9 . . . w ird zu 100% c o m p u t e r g e s t e u e r t s e i n . R e n a t e , 5 5 , B re m e n W as in Ihrer W o h n u n g i s t u n v e r z i c h t b a r ? A bstellkamm e r ! D a s t e h t d i e T i ef k ü h l t r u h e d r i n u n d d i e Kammer hat P l a t z f ü r a l l d i e S a c h e n , m i t d e n e n m a n s o n s t nicht weiß, w o m a n s i e h i n t u n s o l l . W as vermisse n S i e s e h r i n I h r e r W o h n u n g ? E ine Bar auf d e m B a l k o n . Ka t h a r i n a , 2 3 , R o sen g arten I ch würde ge r n e a u f d e m M o n d l e b e n . D as Wohnen i m J a h r 2 1 0 9 . . . i s t u n v o r s t e l l b a r . F in j a , 2 4 , L ü n e b u r g 2029 2030 Der Klimawandel wird das Leben verändern. Der Wasserspiegel der Ozeane und See wird kräftig ansteigen. Darauf müssen sich die Menschen vorbereiten. Natürlich baden und tauchen wir gerne. Aber xx xxx Skifahren in den Alpen wird wohl nicht mehr möglich sein. Schade! xx xxx G o t t f ri ed , A nk e, C i a r a , F lo re nt in , L i l l y (m it Ta uc he r f l o s s e n ) D W a s werden Sie s e h e n , w e n n S i e i m J a h r e 2 1 0 9 a u s dem Fenster s c h a u e n ? Hochhäuser, fli e g e n d e F a h r z e u g e , F u ß g änger mit Ta u c h e r g l o c k e . W a s in Ihrer Woh n u n g i s t u n v e r z i c h t b a r ? M e i n grüner Sess e l . Dan iela, 3 7 , L e e r I c h würde gerne. . . a u f dem Meeresgr u n d l e b e n ! J ür gen , 4 5 , S c h w a n e w e d e I h r Lieblingshau s ? D i e „Neverland-R a n c h “ v o n M i c h a e l J a c k s o n . D i e Wohnung im J a h r 2 1 0 9 . . . s o l l te billiger w e r d e n . Dan iela, 3 4 , L ü n e b u r g 2031 von Wärmflaschen und Esstischen Fo t o s : C l a u s Uh l e n d o r f . . . d a s k o m m t m it i n d i e T ü t e . 2032 Was muss für das Wohnen noch erfunden werden? Das Dach zum Aufschieben. I v o, 45, H amburg Das ungewöhnlichste Detail in Ihrer Wohnung? Meine Frau. Was vermissen Sie sehr in Ihrer Wohnung? Einen Tresor mit mehreren Millionen Euro. Was muss für das Wohnen noch erfunden werden? Ein Arbeitsbett. B er nd, 47, Twenge Wann und wie haben Sie in Ihrer ersten eigenen Wohnung gelebt? Mit Ofenheizung und ohne Bad. In welchem Moment fühlen Sie sich wirklich zu Hause? Morgens, wenn die Vögel vor dem Balkon zwitschern! Gabri el e, 52, H annov er J Joachim „Die Welt wird nur schön und gesund sein, wenn viele Pflanzen auf ihr wachsen. Deshalb nehme ich meinen Garten Eden mit, um in der Zukunft weiter Blumen zu züchten und viele Menschen glücklich zu machen.“ 2034 An was erinnern Sie sich in der Wohnung I h r e r E l t er n ? An meinen kleinen, manchmal nervigen Bruder. D an i el , 2 3 , Han n ove r I h r L i e b l in g s p l a t z i n d e r W o h n u n g ? Auf dem Sofa vor dem Ofen. Iri s , 4 6 , Ei n beck H e n ni ng D „1972 hab ich den Seelöwen im Andenkenladen der Uno in NY gekauft. Seitdem begleitet er mich, steht oft auf dem Bücherregal oder ich trage ihn mit mir rum. Ich würde ihn mit auf meine Zeitreise nehmen, weil ich nicht weiß, was mich erwartet. Er wirkt ungemein beruhigend und ist so ausgeglichen. Mein Handschmeichler eben.“ 2035 2036 J Johanna (im Blumenkleid), Imke, Henriette xx xxx xx xxx „...wir nehmen unseren großen Küchentisch mit. Alle unsere Feiern, Entscheidungen, Planungen und Familiengeschichten wurden hier geschrieben. Und da wir dies auch in 100 Jahren genauso machen wollen, muß einfach genau dieser Tisch mit.“ W a s muss für da s W o h n e n n o c h erfunden w e r d e n ? Nette, aufgesc h l o s s e n e Nachbarn. D i e schönste W G - E rfahrung? Spontane Feier n ! R enate, 4 9 , H a m b u r g 2037 I h r L i e b l in g s p l a t z i n d e r W o h n u n g ? Im Bad, unter der Dusche mit Blick ins Grüne. Ich würde gerne... a u f d e m M on d l e b e n ! D i e W o h n u ng i m J a h r 2 1 0 9 . . . J Henry, J Oskar, J Victor (mit Kaulquappe) wird immer noch 4 Wände haben. Peter, 4 9 , Ham burg An was erinnern Sie sich i n d e r W o hn u n g I h r e r E l t e r n ? 3 Zimmer mit 54m2 für 6 Personen – 3 Generationen Jo n as , 6 8 , Han n ove r „Traum“-Wohnort: Venedig. Was werden Sie sehen, wenn Sie im Jahre 2109 a u s d e m F en s t e r s c h a u e n ? „...wir packen unseren Koffer mit dem Fußball, der Püppi und einer Kaulquappe. Die brauchen wir unbedingt in 100 Jahren – macht ja keinen Spaß sonst!“ D e n M a r k u sp l a t z . Haral d, 5 4 , Ham burg „Traum“-Wohnort: Las Vegas und Paris. An was erinnern Sie sich in der Wohnung I h r e r E l t er n ? An Mutters Kochkunst! To bi as , 2 3 , Wo l f s b urg 2038 xx xxx xx xxx Wie haben Sie in Ihrer ersten eigenen Wohnung gelebt? Mit einer Apfelsinenkiste als Nachttisch. Was vermissen Sie in Ihrer Wohnung? Den selbstauffüllenden Kühlschrank. N i col e, 30, N i enburg Das ungewöhnlichste Detail in Ihrer Wohnung? Ein Spaten von einem Happening im Teufelsmoor. Was muss für das Wohnen noch erfunden werden? Tucholskys „Ideal“ – ein Gedicht. Wendel i n, 65, B onn J Dieter „Ich nehme auf jeden Fall meinen Stuhl mit. Denn darauf sitze ich am liebsten, wenn ich über die Zukunft nachdenke. Er ist einer der wenigen Gegenstände, der bei allen Umzügen mitgewandert ist. So soll es auch in die Zukunft sein.“ 2039 xx „ T r xxx aum“-Wohnort: Mongolei. An was erinnern Sie sich in der Wohnung I h r e r E l t er n ? A n d e n i m me r v o l l g e f ü l l t e n K ü h l s c h r a n k . xx xxx Jen n i f er, 2 1 , Han nove r K at ja D „Seit 15 Jahren gehe ich jeden Abend mit dieser Wärmeflasche ins Bett. Sicherlich wird es in 100 Jahren auf der Erde viel kälter werden, da brauch ich natürlich meine warme Flasche. Und mit kalten Füßen kann ich nun wirklich nicht einschlafen.“ D a s u n g e w öh n l i c h s t e D e t a i l i n I h r e r W o h n u n g ? Viele Treppen, 3 Balkone. Das Wohnen im Jahr 2109... i s t ö k o l o gi s c h v e r a n t w o r t b a r , g e n e r a t i o n e n f l e x i b el. D ag m ar, 5 1 , Gö ttinge n „Traum“-Wohnort: New York. W a s v e r m i ss e n S i e i n I h r e r W o h n u n g ? E i n e n B a l ko n . Kath ri n , 2 7 , Han nove r 2040 Was muss für das Wohnen noch erfunden werden? xx xxx Abschaltbare Nachbarn. An was erinnern Sie sich in der Wohnung Ihrer Großeltern? Bei meinen Großeltern hat es immer nach „alt“ gerochen! xx xxx K ari n, 46, B ars i nghaus en Was vermissen Sie in Ihrer Wohnung? Platz, da wir zu fünft wohnen. H ol ger, 41, H i l des hei m In welchem Moment fühlen Sie sich wirklich zu Hause? Wenn die Tür in das Schloss fällt. D i rk , 42, Wuns t orf /H el ms t edt J Nicolaus, 20 „...meinen Hockerschläger. Er hat mir seit vielen Spielzeiten viel Glück und Spaß gebracht und ist mir so richtig an Herz gewachsen.“ 2041 2042 An was erin n e r n S i e sxx i c hxxx in der Wohnung I hrer Großel t e r n ? A n die Toile t t e ü b e r d e n H o f . D as ungewöhn l i c h s t e D e t a i l i n Ih r e r W o h n u n g ? D ie Dachpfan n e n v o n 1xx 8 8 8xxx . W as muss für d a s W o h n e n n o c h e r f u n d e n w e r d e n ? Der geräusch l o s e , u n s i c h t b a r e u n d p e r m a n e n t z u m A r b e i t e n b ereite Bode n r e i n i g e r . Ulr i c h , 7 2 , H a n n o v e r M i ke un d T an ja D „Ohne unsere Kameras würden wir nicht auf Zeitreise gehen. Zum einen, um uns ein Bild von „dort“ mitzunehmen, aber auch um dort ein Bild vom „hier“ zu zeigen. Früher waren das die Abzüge oder Polaroids, heute sind es die Displays an den Kameras. Unsere Form der Verständigung eben.“ W as werden S i e s e h e n , w e n n S i e i m J a h r e 2 1 0 9 a us dem Fens t e r s c h a u e n ? V iel Wasser, w e n i g M e n s c h e n . W as muss für d a s W o h n e n n o c h e r f u n d e n w e r d e n ? D ie Wohnung m ü s s t e s i c h v o n s e l b s t s a u b e r m a c h e n , a uf Knopfdru c k ! Ralf, 40, Hamburg 2043 Ein Rückblick aus 2109 Te x t : D i e t r i c h z u r N e d d e n , Fo t o s : A x e l B o r n Man nehme... 2044 Bruchstücke, die zu Bausteinen wurden Grabungen aus der Zukunft des Wohnens vor einhundert Jahren Die Tatsache, dass Billionen von spektralen Tönen, Bildern, Klängen, Worten, Farben Tag für Tag in den Äther ausgestrahlt werden und nicht etwa spurlos dahinschwinden; die Tatsache, dass sie strömen wie das Licht; dass auch das menschliche Gehirn elektrische Impulse ausstrahlt, sogar bis in die ent-legendsten und schwärzesten der schwarzen Löcher; die Tatsache, dass die Gehirnwellen früher oder später auf interstellaren Raumzeitkrümmungen zur Erde zurückfinden, dass also all die Gedanken und Ideen, all die Taten, Träume und Erinnerungen mittels der kosmischen elektromagnetischen Welle irgendwann wiederkehren, voller Sehnsucht nach dem Planeten, von dem sich die Menschen, ihre Träger, selbst verjagt haben – all diese Tatsachen waren fast wörtlich, jedoch halbwegs maskiert als fantasiereich-fiktive Konsequenz einer Theorie, dem Epilog eines Bestsellers zu entnehmen, Alan Weismans Buch „Die Welt ohne uns – Reise über eine unbevölkerte Erde“ aus dem Jahre 2007. Nun stellen wir Notizen einer Rückkehr vor. Der Anlass, um diese Retrospektive zum Status Quo im Jahre 2009 interstellar zu teleportieren, ist die Feier zum 200. Geburtstag des Verbandes der Wohnungswirtschaft NiedersachsenBremen, der, wie galaxienweit wohlbekannt, gleich einem Generalbass weiterhin existiert inmitten der sphärischen Melodien. Erstaunliches zeichnete sich bei der Vorbereitung ab: Außerordentlich viele Menschen aus den unterschiedlichsten Disziplinen und vorwiegend aus dem damals zum prekären Freilichtmuseum sich wandelnden Europa richteten ihr Augenmerk auf das, was sie Zukunft nannten. Verbunden in Überschneidungen und Verzweigungen veröffentlichen wir nun Schlüsselthemen, Szenarien, Lesarten, Markierungen, Prognosen und Prophezeiungen des Wohnens; lassen Trendforscher, Zukunftsforscher, Freizeitforscher, Stadtplaner, Architekten, Marketingexperten, Soziologen und nicht zuletzt einige nomadische Eremiten in einem seismografisch hochkomplexen Gebilde zu Wort kommen. Der Einfachheit halber schildern wir diese Fragmente in einer lediglich vierdimensionalen Auswahl von zehn der inzwischen 999 Kapitel, um den Hauch einer leisen Ahnung zu gewinnen, welche Vorstellungen die Menschen mit dem Begriff Wohnen verknüpften, welche Modelle sie umzusetzen anstrebten und welche sie umsetzten. 2045 001 Digitalisierung des Wohnens der Computer raum 2046 2047 Eine Epoche der schieren Intelligenz schien anzubrechen eingangs des 21. Jahrhunderts: Intelligente Technik, intelligente Raum- und Gebäudesysteme, intelligente Häuser, intelligentes Wohnen lauteten zentrale Begriffe, hoch im Kurs auf Modellinseln, Experimentierfeldern und in Zukunftsszenarien. Gemeint war damit der Umstand, dass das „Paradigma des Einzelgeräts, das ein Jahrhundert lang die Haushaltstechnisierung bestimmt hatte“, endete und abgelöst wurde „vom Leitbild des ‚intelligent home‘“. So heißt es in einem Buch aus dem Jahr 2001, dessen Titel „wohn:wandel“ überdies typografisch die Sache auf den Punktbrachte, auf zwei sogar. Die Digitalisierung berührte, vielmehr: erfasste den Alltag, machte natürlich vor der Wohnung nicht halt. Längst hatte sie die Maschinerie im Haushalt verändert, doch nun setzte der nächste logische Schritt ein, den die Digitalisierung ermöglichte. Wenn nämlich so gut wie jedes Gerät digital arbeitete, das heißt also, jedes Gerät in der gleichen Sprache aus den Ziffern Eins und Null agierte und reagierte, lag es nahe, sie miteinander zu verbinden, oder, wie man zu sagen pflegte: zu vernetzen. Eine erste Technisierung hatte die privaten Haushalte in den Industrieländern des 20. Jahrhunderts geprägt. Nachdem es sich im ersten Viertel in wohlhabenden Kreisen bereits abgezeichnet hatte, war es für breite Schichten dann nach dem Zweiten Weltkrieg spürbar geworden, und dehnte sich aus: Staubsauger, Waschmaschine, Kühlschrank zunächst, später TV und Telefon, Geschirrspülmaschine, elektrischer Herd, Trockner. Zum Ende des Jahrhunderts zogen der Computer und das Internet ein und mit ihnen das ganz und gar neuartige Bezugssystem, eben jene digitale Vernetzung. Das „Leitbild“, das damit einherging, bestand darin, „alle Geräte und Systeme einer Wohnung […] zentral oder dezentral von technischer Intelligenz“ steuern zu lassen. In Aussicht gestellt, ja versprochen wurde etwas, das manche Skeptiker an eine „eierlegende Wollmilchsau“ erinnerte, ein derweil unbekanntes Tier, das damals aber als Metapher diente für etwas, das die Erfüllung zahlreicher Bedürfnisse verheißt: Mit dem „intelligent home“ sollte „die Leistungsfähigkeit in den Dimensionen Ökonomie, Ökologie, Sicherheit und Komfort gesteigert werden.“ Wo sonst als in der Hauptstadt des 20. Jahrhunderts, nämlich in New York, hatte Bill Gates, damals einer der reichsten Menschen auf Erden, ein Haus eingerichtet, das zeigte, wie „die Wohnzukunft des Normalbürgers aussehen könnte“: das Microsoft Home. Reichtum hatte Gates erworben, indem er eine von ihm und seinem Kollegen Paul Allen entwickelte Software zum Marktführer in der Computertechnologie durchsetzte. Bevor Gates in der New Yorker 159th Avenue das Microsoft Home schuf, hatte er ein privates Anwesen am Lake Washington in Seattle bauen lassen. Darüber lässt sich in Ursula Muschelers Buch „Haus ohne Augenbrauen. Architekturgeschichten aus dem 20. Jahrhundert“ nachlesen. In Gates‘ Domizil nahmen Sensoren die Ortsveränderungen der Anwesenden wahr. Deren Vorlieben und Neigungen speicherte ein Chip, mit dem sie ausgerüstet waren.: „Beim Betreten eines Zimmers ändern sich Raumtemperatur, Licht, die eingespielte Musik und die digitalen Wandkunstwerke: Flachbildschirme mit aus dem Netz geholten digitalen Abbildungen berühmter Gemälde.“ Die Fernbedienung, deren Archetyp seit den 1980er Jahren die Mühsal des Fußmarschs zum täglich notwendigeren Fernsehgerät linderte, wurde zum Zauberstab: Auf „dem Weg nach Hause kann er sich sein Badewasser per Fernsteuerung selbst einlaufen lassen, mit gewünschter Füllhöhe und Temperatur.“ Wer der Begierde nach Zeitersparnis verfallen war, dürfte selig geworden sein. In der Metropole nun benötigte man zum Betreten des Microsoft Home keinen Schlüssel, sondern ein Iris-Scanner identifizierte den Berechtigten und im selben Augenblick „weiß das Haus, Sie sind da“, im „Haus der Zukunft“, das ein „von innen wie außen steuerbares, elektronisch und mechanisch geschütztes Haus“ war, „dessen Intelligenz auf lernender Software beruht.“ Ein Knopfdruck mobilisierte das Hauswesen in jeglicher Richtung: „Herde verhindern das Anbrennen von Speisen, Tischdecken halten das Essen warm. Rasenmäher mähen auf Wunsch den Rasen, Messgeräte überwachen die Körperfunktionen und benachrichtigen im Bedarfsfall den Arzt. Glasscheiben bewegen sich wie Segel im Wind und wechseln von opak zu klar. Außenwände verdicken sich selbsttätig, sobald ungewöhnliche Windlasten dies erfordern.“ Der haptische Sinn, das Er- 2048 fühlen wurde weitestgehend verschmäht, „Greifen, Drücken, Ziehen und Schieben“ wurden ersetzt durch die Fernbedienung und die Stimme der Benutzer, „der neuen Herren über das häusliche Geschehen und den Maschinenpark“. Gleichwohl assoziierten kritische Köpfe mit dieser Digitalisierung dämonische Bilder, Beklemmendes, Gespensterhaftes, wie der Philosoph Paul Virilio, auf den die Autorin verwies. Der Titel eines seiner Bücher war nachgerade zu einem geflügelten Wort geworden: „Rasender Stillstand“. Darin schrieb er von der „Leichenstarre einer interaktiven Wohnung“, ein Raum, „der einer Pilotenkanzel gleicht“, ein Cockpit, „das mit umfangreichen Instrumententafeln und Steuerungstools bestückt ist“. Der Pilot werde das Cockpit niemals mehr verlassen: „Der Raum des auf Dauer Sesshaften schrumpft, da er sich immer weniger in der physischen Welt und immer mehr in der virtuellen Welt bewegt.“ Begeben wir uns nun zu einem stählernen Kubus in der Schweiz, auf den Campus der Hochschule Luzern, wo das iHomeLab beheimatet war, „Denkfabrik und Forschungslabor für Intelligentes Wohnen und Gebäudeautomation“. Auch hier waren „Energieeffizienz, Komfort und Sicherheit“ die „Schlüsselthemen“. Ein Artikel in Applica, dazumal die Fachzeitschrift des schweizerischen Maler- und Gipsergewerbes, skizzierte im Jahr 2009 die Projektziele so: „Unserer heutigen Mobilität und dem modernen Kommunikationsverhalten kommt es entgegen, wenn wir unterwegs per SMS oder E-Mail informiert werden, sobald der Briefkasten voll ist oder die Kühlschranktür offen steht.“ Einem Nachgeborenen schießt die Frage durch den Kopf, wie häufig der Briefkasten wohl überfüllt gewesen war und ob nicht ein Nachbar hätte behilflich sein können. Oder wie hoch die Wahrscheinlichkeit, dass das Schließen der Kühlschranktür versäumt wurde. Statt um Antworten zu ringen, lesen wir ein wenig weiter: „Die neuen Technologien können auch die Phase der Selbstständigkeit älterer Menschen verlängern: Spezielle Funksensoren informieren beispielsweise, wenn ein Bewohner gestürzt ist, oder warnen, wenn Geräte ausfallen beziehungsweise unbeaufsichtigt in Betrieb sind.“ Die Fraunhofer-Gesellschaft, seinerzeit die größte Organisation für angewandte Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen in Europa, hatte in Duisburg das inHaus-Zentrum eingerichtet. Um den Ansatz und das Ziel zu verdeutlichen, sprach die dafür eingerichtete Internetseite für sich selbst: „Im Fraunhofer inHaus-Zentrum bündelt die Fraunhofer-Gesellschaft die Potenziale von neun Fraunhofer-Instituten und über 80 Wirtschaftspartnern für neue Technologie-, Produkt- und Anwendungslösungen in Wohn- und Nutzimmobilien. Hauptziele sind neue Marktchancen für die Wirtschaftspartner, Mehrwerte für Investoren und Anwender und übergreifender Nutzen wie Energieeffizienz, Sicherheit und Umweltschutz.“ Das Zentrum bestand zum einen aus dem im Jahre 2001 eröffneten inHaus1, wo „neue Technologie- und Anwendungslösungen für private Wohnhäuser aller Art und für unterschiedliche Immobilien der Wohnungswirtschaft“ erforscht und umgesetzt wurden. Es ging darum, die Betriebskosten und den Energieverbrauch zu senken, die Umwelt zu schonen, die „Sicherheit zu erhöhen“, Senioren länger ein eigenständiges Leben zu ermöglichen, aber auch den „Komfort zu steigern“. Im Jahre 2009 warb die Gesellschaft mit dem Erfolg, binnen sechs Jahren „über 100 Lösungen im Markt realisiert“ zu haben: „Darunter befinden sich neben hochwertigen Privathäusern auch Seniorenwohnanlagen und mittelwertige Objekte der Wohnungswirtschaft.“ Das inHaus2 war als „Innovationswerkstatt für Nutzimmobilien“ eingerichtet worden: „Die Grundidee ist, dass ein Partnernetzwerk aus Forschung und Wirtschaft gemeinsam an der ganzheitlichen Entwicklung und Optimierung von Komponenten und Systemen für Räume und Gebäude der nächsten Generation arbeitet.“ „Anwendungslabore“ waren realisiert: Das nextHotelLab für den Hotel- und Veranstaltungsbereich; das nextHealth&CareLab für den Hospitalund Pflegeheimbereich; das nextOfficeLab für den Büro- und Servicebereich. Der Ausgangspunkt eines Fragenkatalogs für das Gesamtwerk war die Feststellung, dass „trotz grenzenloser Datenkommunikation über das Internet (…) alle Informationswege meist spätestens im Heimcomputer oder im Telefon (enden). Es ist durchaus normal, sich die Wetterdaten aus Honolulu mal eben auf den Bildschirm zu holen, während es meist keine Möglichkeit gibt, sich die Ver- 2049 brauchsdaten der eigenen Heizung auf dem Bildschirm des Fernsehers oder des PCs zu vergegenwärtigen.“ Was wäre, so eine Frage, die sich daraus ergab, wenn das Internet sich im eigenen Wohnhaus fortsetzen würde als Intranet? „Wenn gar Komponenten und Geräte wie Heizung, Wettersensoren, Anwesenheitssensoren und Geschirrspüler Informationen miteinander und auch mit dem Internet austauschen könnten, um Energie zu sparen, den Komfort zu erhöhen oder auch die Sicherheit zu erhöhen? Ist das überhaupt machbar, sinnvoll, bezahlbar und bedienbar?“ Der „überragende Vorteil“ des inHaus-Projektes gegenüber anderen Projekten sei „der umfassende Ansatz, der Wohnen und Arbeiten integriert, in Haus, Garten, Büro, Werkstatt, Fahrzeug, die hierzu adäquate hochflexible inHausAnlage, aber ganz besonders das weltweit einmalige Partnerkonsortium.“ Für andere Projekte bleibt leider wenig Raum. Immerhin erwähnt sei ein „Leitprojekt“ in der „Übermorgenstadt“ Oldenburg, eine mittlere Großstadt im Niedersächsischen. Ein „Schlaues Haus“ stand 2009 am Schlossplatz in der Gestalt einer „Wissenschaftsbox“, in der eine Auswahl technischer Visionen im Bereich Energie und Wohnen vorgestellt wurden: „Von den Ideen aus dem ‚Schlauen Haus‘ könnte vor allem die ältere Generation profitieren.“ Ein Exponat nannte sich „Hearing at Home“, mit dem „der Besucher eindrucksvoll am eigenen Leib“ erlebte, wie sich „Schwerhörigkeit auf Knopfdruck mit einem ‚intelligenten Fernseher‘ deutlich mindern“ ließ. Der „Fokus“ des Leitprojekts liege „neben der Unterstützung des Menschen im täglichen Leben auf der Optimierung des Energieverbrauches. Wie können wir über raffinierte Steuerungen Energie effizient nutzen und CO2 einsparen?“ Im Rückblick werden wir gewahr: Entscheidende Fragen wurden gleichzeitig und zumeist in Netzwerken und Kooperationen an vielen Orten gestellt, und häufig waren die Akteure darauf angewiesen, das knapper werdende Gut Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. 2050 Das Übermorgen aus der Vergangenheit ist ja wenigstens das Gestern von heute aus betrachtet, nicht etwa das Vorgestern. Und überhaupt streute sich unmerklich Einsteins Erkenntnis aus, in welch relativen Geschwindigkeiten die Zeit verstreicht. Oldenburg existiert ja nach wie vor. Denn gewissermaßen, das ist mittlerweile kein Geheimnis, gilt Hier und Jetzt für immer. 002 Mobiles und temporäres Wohnen das Wohn Mobil 2051 Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts war es offenkundig, dass viele Menschen das Wohnen, mithin: das Domizil, die Bleibe verknüpften mit dem Anliegen oder der Notwendigkeit, regelmäßig weite Strecken zurückzulegen oder zu pendeln, unterwegs oder auf dem Sprung zu sein. In einem Buch von 2006 mit dem kurios-treffenden Titel „Baracken, Pavillons, Container“ wurde an eine Ausstellung im Jahre 1932 erinnert, die „Das wachsende Haus“ hieß und Häuser vorstellte, die an einem Tag aufgestellt und in derselben Zeit auch wieder demontiert werden konnten. „Der Wunsch, Wohnen und Mobilität zu kombinieren“ zöge sich „wie ein roter Faden durch die Architekturmoderne“, so der Kommentar, und weiter: Inzwischen torpediere „der Imperativ der Flexibilität jede langfristige Perspektive.“ Das Leben mancher Zeitgenossen sei ein „Leben auf Abruf also, für das ein Laptop bereits ein Büro und ein Handy eine feste Adresse bedeutet“ und vor allem verbunden sei mit „widersprüchlichen Anforderungen und zunehmenden Ungewissheiten und Unsicherheitszuständen“. Der Container sei zu einem „Fetisch der Moderne“ geworden, heißt es an anderer Stelle, wo der Kultur- und Literaturwissenschaftler Hartmut Böhme zitiert wird: „Dauer hat allein die auf Dauer gestellte Umwälzung, Mobilität, Veränderung“. In einer Tageszeitung namens tageszeitung war wenige Jahre zuvor über einen Kongress zu lesen, der sich mit einem „Emblem der Globalisierung“ befasst hatte, mit dem „Kasten, der die Welt bewegt“: „Er ist überall. Und alles Mögliche war und ist in ihm drin. Im Container. Elektronik, Klamotten, Jürgen und Zlatko, Südfrüchte, pakistanische Kleinwaffen, pakistanische Flüchtlinge, der Bauleiter vom Potsdamer Platz, sein Auto – in Teilen, am Stück, der Schrott wird selbst Container. In kaum einem Objekt ist die globalisierte Welt, dieser gigantische Terminal für verschobene Ware, verlagerte Arbeitsplätze und entsprechend zwangsmobiles Personal, so eingespannt wie in den 8 Fuß breiten und 20 oder auch 40 Fuß langen ISO-Container.“ 2052 2053 Wenn man den Dokumenten im Archiv Glauben schenken darf – nichts spricht dagegen –, prägten Unsicherheiten, Widersprüche, Ungewissheiten im Gefolge der allenthalben tonangebenden Gebote der Flexibilität und Eigenverantwortung den Hintergrund vieler Debatten, Diskussionen und der Konversation. Kein Wunder, dass dieses Phänomen in eine Vielzahl an Projekten mündete, zwischen Vision und Praxis interdisziplinär vorangetrieben von Wissenschaft und Forschung. Um den Wandel möglichst treffend zu beschreiben, suchte man zudem nach Fachbegriffen, um nicht zu sagen: zauberte sie aus dem Hut. Greifen wir ein Beispiel heraus: So riefen Fakultäten in Zürich, Wien und Chemnitz im Oktober 2007 zu einer Tagung unter dem Titel „Multilokales Wohnen – Multilokale Haushalte“. Dem Programm ist zu entnehmen, dass zwar des öfteren „die multilokalen Arrangements erwerbsbedingt“ seien, dies „jedoch nicht zwingend für ein umfassendes Konzept des multilokalen Wohnens“ sei: „Die mobilen Menschen verbinden in ihrer Multilokalität die Möglichkeiten und Eignungen unterschiedlicher Orte für ihren Lebensalltag und arrangieren ihr eigenes, möglichst glückliches Leben“ und „transferieren unterschiedliche Ressourcen zwischen den Räumen und schaffen damit Verbindungen und Ausgleich.“ Beweglich, flexibel, geschmeidig – so lebten viele. Zu jener Zeit gehörte Tokio zu den Megastädten auf der Erdkugel. Demzufolge gab es dort bereits seit längerem zahlreiche Wohnformen, die einem multilokalen Leben Rechnung zollten. In dem Sammelband „Kursbuch Stadt. Stadtleben und Stadtkultur an der Jahrtausendwende“ von 1999 meinte der Autor Wilhelm Klausner, das „nomadische Verhalten“ sei „Merkmal jeder Großstadt geworden“. In Tokio habe es dazu geführt, dass „sich Gebäudetypen entwickelt haben, die auf die Bedürfnisse des Nomaden zugeschnitten sind. Es sind Rastplätze auf dem Weg durch die Stadt, die eine Vielfalt von Reizen abdecken müssen, die ein Leben in ständiger Bewegung abhanden kommen läßt.“ So seien Gebäudetypen entstanden „wie Restaurant-Turm, Indoor-Skipiste, mechanisches Pferderennen, Lovehotel, Ressortoffice und Karaoke-Bar. Sie bezeichnen Orte sozialen Zusammenkommens, die gegen die Vereinzelung der Bewegung errichtet wurden.“ Wie der Nomade fortwährend in Bewegung war, so veränderbar, so abseits von der in Europa zugrundeliegenden „Idee der Endgültigkeit“ sah der Autor auch eine Fülle von Gebäuden, „die neu erfunden wurden. Sie entstehen über Nacht und verschwinden genauso schnell. Sie sind Modeströmungen und Jahreszeiten unterworfen, wie ein Stück Kleidung. Das Material ist billig, das Ereignis eine Sensation.“ Wir nehmen uns nun konkrete Projekte zur Hand, gebaute Wirklichkeit der damaligen Gegenwart, vorausschickend, dass die sogenannten Visionen von mobilem Wohnen teils auch angetrieben wurden von dem Wunsch, „Ballast abzuwerfen“, sich auf „Wesentliches“ zu konzentrieren statt auf „Konsum“ und Besitz, sozusagen aus prekären Situationen Besseres, womöglich das Beste zu machen. Oder von dem Ansinnen, der Enge der Stadt zu entfliehen, der „Natur“ näher zu sein. Als Vorbild oder Prototyp des mobilen Wohnens diente der Wohnwagen beziehungsweise das Wohnmobil – verschnaufend auf einem Campingplatz oder anderswo. Wörtlich sprachen diese „Tradition“ junge Architekten an in einer Ausstellungsbroschüre „Wie wir wohnen werden“ im Jahre 2005: „Wer würde nicht gerne in seiner Lieblingslandschaft leben? Die städtische Strategie des Campingplatzes wird zur Strategie für Wohngebiete. Wohnen wird in Zukunft zur bewussten persönlichen Aneignung von Landschaft.“ Wir wechseln die Landschaft und scrollen zunächst in ein beschauliches Städtchen zwischen Ulm und Friedrichshafen. Ein Projekt mit dem Titel Raum.27 realisierten Studierende der Architektur an der Hochschule Biberach an der Ritz. Sie entwickelten Wohnwürfel mit einem maximalen Außenmaß von drei mal drei mal drei Metern, gleichsam „Studentenbuden“ mit Toilette und Kochgelegenheit. Die drei Prototypen sollten zeigen, „wie intelligente und überraschende Konstruktionsideen aus dem vorwiegenden Baumaterial Holz das Leben auf engstem Raum ermöglichen, ohne dabei auf den gewohnten Lebensstandard zu verzichten.“ Und sie zeigten es. Dank einer Landesgartenschau in Neu-Ulm – ja, so etwas fand regelmäßig statt – wurden die „Minimalräume“ ausgestellt. Wäh- 2054 rend der Schau überprüften verschiedene Bewohner im Alter zwischen 17 und 60 Jahren die Boxen jeweils vier Wochen lang auf ihre „Gebrauchstauglichkeit“. Abschließend wurden die Erkenntnisse und Erfahrungen der Nutzer unter dem Titel „können wir auf 7qm leben“ dokumentiert. mostatgeregelte Warmluftheizung, Klimaanlage und Warmwasserbereitung, Rauchmelder und Feueralarm. Man sieht, an alles war gedacht. Der Richtpreis lag zwischen 25.000 bis 34.000 Euro, worin allerdings nicht enthalten waren Lieferung, Aufbau und Anschluss an das öffentliche Strom- und Wassernetz sowie Beratungskosten und Steuern. In summa betrug der Richt-Komplettpreis um die 50.000 Euro. Eines Tages im Jahre 2008 stand ein eigentümlicher Kasten vor dem Museum of Modern Art in New York: ein Exemplar des micro compact home, kurz m-ch, dessen Slogan lautete: „Smart living for a short stay“. Ein anderes Projekt, das in Serie ging, hieß Nomadhome, dessen Name vielleicht nicht nur mit dem englischen Wort nomad, sondern auch mit dem Wort mad spielte, ein Projekt, das unmissverständlich aber das „neue Zuhause für innovative Weltenbummler“ verkörpern wollte, wie der Einstieg auf der Internetseite warb: „Eine Lebensphilosophie im Wandel der Zeiten. Oder ein Ort, an dem Design durch Raum, Zeit und Emotion definiert wird.“ Die Botschaft beziehungsweise „Story“ rief ebenfalls die typischen Schlagwörter auf, die dazumal dem Diskurs über das Wohnen Ausdruck verliehen: „Das Heute ist geprägt von Veränderung. Flexibilität steht in allen Lebensbereichen an oberster Stelle und Sesshaftmachen verlangt gegenwärtig oft nach temporären Lösungen. Menschen entwickeln sich zu modernen Nomaden.“ Wohnen bedeute „nicht einfach nur Leben, sondern ist vielmehr der Ausdruck einer individuellen Lebensphilosophie“. Die Vorgeschichte reichte zurück bis ins Jahr 2001, als Richard Horden, Architekturprofessor an der Technischen Universität München, mit einem Team aus Studenten und Assistenten das i-home entwickelte, einen 2 Meter 60 großen Kubus. Bald bewies das Modell die Tauglichkeit für den praktischen Einsatz, als 2005 ein erstes „Studentendorf“ in München entstand. Architekt Horden verwies auf die tiefe Befriedigung, hervorgerufen durch die reduzierten Ausmaße, die zugleich einen reduzierten Konsum bedeuteten. Er hob die bereichernde Erfahrung hervor, sich von allem herkömmlichen Gerümpel zu trennen: „Express yourself with the least material you can use ... The m-ch contains everything you need.“ Erfunden hatte „das Heim für moderne Nomaden“ der österreichische Architekt Gerold Peham, der selbst in einem solchen lebte, wie man aus einer Ausgabe des Wirtschaftsmagazin brandeins filtern kann, die für den Leitgedanken „Die Zukunft kommt näher“ reserviert war. Darin stand, dass ein Nomadhome in der Basisversion, angelegt auf 40 bis 50 Jahre Nutzung, „mit einem Quadratmeterpreis von zirka 1800 Euro nicht teurer als der Durchschnittspreis im sozialen Wohnungsbau“ war. Tatsächlich war das Mikrohaus zu kaufen, wurde gekauft, europaweit angeliefert und binnen nicht mehr als zwei Stunden installiert. Zudem ließ sich das m-ch in kleinen Gruppen zusammenfügen, stapeln, um eine Achse mit Aufzug gruppieren und vieles mehr an möglichen Kompositionen. Um darzustellen, wie der Handel betrieben wurde, zitieren wir aus der Datei mit häufig gestellten Fragen: „Aufgrund seines geringen Gewichtes kann das m-ch via Kran bis zu 40 Meter weit vom Lastwagen über Bäume oder anderes Gelände hinweg transportiert werden. In besonderen Fällen ist auch eine Lieferung per Hubschrauber möglich.“ Eine Version des Nomadhome – gefertigt aus „ökologisch hochwertigen Baumaterialien der neuesten Generation“ –, war zusammengefügt aus mindestens zwei 11 Quadratmeter großen Modulen und ausgestattet mit Bad, WC, Küche sowie Wohn- und Schlafbereich. Die Module wurden mit einem üblichen LKW transportiert, für den Auf- und Abbau benötigte man wenige Tage. Zur Innenausstattung gehörten zwei Doppelbetten, ein Stauraum, ein Schiebetisch, an dem bis zu fünf Personen Platz fanden, ein Flachbildschirm-Fernseher, eine Dusch- und Toilettenkabine, eine Küchenzeile mit Stromanschlüssen, ther- 2055 Baracken oder Pavillons, Container oder Module und Mikrohäuser, Lebensphilosophie oder schlichte Notwendigkeit – der Bedarf wuchs allerorten. Denn die damalige „Flüchtige Moderne“, um den Titel eines Essaybandes des Soziologen Zygmunt Bauman zu bemühen, schien laufend flüchtiger zu werden. Oder war das Ungewisse essentiell als ein Moment der Freiheit zu verstehen? Mit leichtem Gepäck komme man schneller voran, hieß es in jenem Buch. Daran besteht kein Zweifel, doch der strittige Punkt mochte sich anhören wie: „Voran? Wohin?“ 2056 003 Individualisierte Massenfertigung des Wohnens die Sonnen TerRasse 2057 2058 Gemeinhin wähnte man damals, Massenfertigung sei ausnahmslos gleichbedeutend mit Standardisierung, ihre Vorzüge wären mit dem individuellen Empfinden nicht zu vereinbaren. Es gelang, diesen vermeintlichen Widerspruch unter dem Begriffskonstrukt „mass customization“ aufzulösen, gewissermaßen eine Synthese zu bilden, die ins Deutsche übertragen „individualisierte Massenfertigung“ genannt wurde. Ja, es stellte sich heraus, dass die technischen Innovationen sogar wachsende Chancen eröffneten, zumindest solange man die Frage beiseite schob, wie Individualität zu definieren wäre oder ob der Begriff des Individuums, wie er noch im postbürgerlichen Zeitalter vorherrschte, weiterhin tauglich wäre. Stöbern wir in den wenigen erhaltenen Digitaldateien des ersten Jahrzehnts, glücklicherweise auf Papier gedruckt, stoßen wir auf Anhaltspunkte für seinerzeit aktuelle Fragestellungen. Das Grazer Architektur Magazin widmete 2009 eine Ausgabe dem Thema „Nonstandard Structures“. Vorab sprach man von jenen zwei „scheinbar“ gegensätzlichen Tendenzen der Entwicklung, „die wir gemeinhin als Globalisierung bezeichnen.“ Zum einen sei da „die Tendenz zur intensivierten Konkurrenz auf wachsenden Märkten durch vereinheitlichte, weltweit gültige Standards und Kundenerwartungen.“ Die andere, nicht weniger intensive Tendenz sei die der fortschreitenden Individualisierung. „Im immer größer werdenden Markt finden sich auch immer größere Nischen: kein Problem ist zu speziell, kein Interesse zu ausgefallen, als dass sich im globalen Dorf nicht eine eigene Gemeinschaft von Freaks finden würde, die sich genau damit beschäftigen.“ So gehe die „Dampfwalze der globalen Nivellierung durch gleiche Standards paradoxerweise einher mit der Förderung des Exzentrischen und Randständigen.“ Bislang, so heißt es dann, wurden computergestützte Planungsverfahren vor allem für so genannte „Leuchtturmprojekte“ wie das Guggenheim-Museum in Bilbao angewandt. Nun sei „der Bilbao Effekt nicht mehr der letzte Schrei und die Nonstandard Bauten und die technikfaszinierte Rhetorik, die in seinem Fahrwasser entstanden, sind nachgerade selbst zum Standard geworden.“ Gerade das gebe der Frage nach der Relevanz von „Nonstandard Structures“ neuen Auftrieb und führe zu der Fragestellung: „Inwieweit können ‚Nonstandard Structures‘ in der Architektur wieder zum Normalfall werden?“ Man erinnerte an die Zeiten vor der Industriellen Revolution, als „jedes Gebäude ein handwerklich hergestelltes Unikat“ gewesen war: „Kein Säulenkapitell und kein Türbeschlag glich dem anderen. Natürlich war deren Produktion auch ohne Fabriken im handwerklichen Sinne standardisiert. Aber jene handwerklichen Standards waren weit elastischer und anpassungsfähiger als die der industriellen Fertigung: lokale Ausnahmen waren jederzeit möglich.“ Die Bauaufgaben des 20. Jahrhunderts, die Rasterfassaden, die nur mit industriell gefertigten Elementen erstellt werden konnten, hätten mit diesem Denken dann aufgeräumt. Neben dem Zeitgeist sei der Kostendruck hierfür der Auslöser gewesen. Mit diesem Ansatz schlug die Redaktion eine Brücke ins 21. Jahrhundert, als „die wegweisenden Bauten […] nicht mehr der Logik der industriellen, sondern der informationsgesteuerten Herstellung“ folgten. „Diese bringt das (bisher nicht eingelöste) Versprechen der Mass Customization mit sich: für eine digital gesteuerte Maschine sind 1000 ungleiche Teile nicht teurer zu fertigen als 1000 gleiche.“ Schließlich Fragen, die daraus folgten: „Sind wir in der Tat an der Schwelle zu einer Zeit, wo ‚Nonstandard Structures‘ zur Norm werden, wo eine neue, digitale Handwerklichkeit zu einer variantenreicheren, raffinierteren, komplexeren und ressourceneffizienteren Architektur führen wird?“ Um die Aussicht zu variieren, beamt uns der Selektionsmodus nach Zürich, in die Schweiz, der einzige Staat weltweit, der bis heute in derselben Gestalt wie vor hundert Jahren existiert. Dort hatte die HIG Immobilien Anlage Stiftung im Jahre 2005 eine Studie zu dem Thema „Anderes Wohnen“ in Gang gebracht, aus der ein Buch entstand. Die Autoren Marc Gilg und Werner Schaeppi zogen ein Fazit dieser „Suche nach zeitgemäßem Wohnen“, nämlich „dass es die ‚ideale Wohnform‘ als allgemeingültiges Rezept und perfekte Lösung nicht gibt. Die Erwartungen und Vorstellungen an das Wohnen sind so vielfältig wie die Menschen selbst.“ 2059 Das scheint eine verblüffende Feststellung gewesen zu sein, aus der gefolgert wurde: „Architektur kann – im günstigsten Fall – gewünschte Entwicklungen fördern oder sie wenigstens nicht behindern. Sie aber wirklich herzustellen, ist Sache der Menschen, die in einem Haus, einer Siedlung oder einem Quartier leben.“ Nachdrücklich betonend, dass „besonders Genossenschaften in einem viel größeren Maß bereit sind, in innovative und bewohnerfreundliche Lösungen zu investieren als die Privatwirtschaft“, wiesen die Autoren auf einen Trend hin, der zum Greifen nah lag: „Es ist denkbar“, heißt es dort, „dass das Angebot an traditionellen Wohnungstypen sein Marktpotential de facto ausgereizt hat. […] Was fehlt, sind ungewöhnliche Lösungen am Rande des Spektrums.“ Ungewöhnliche Lösungen realisierte offenkundig das Büro Delugan Meissl Associated Architects in Wien, wie im September 2008 der Wochenzeitung Die Zeit unter der Überschrift „Häuser, die zum Himmel fliegen“ zu entnehmen war: „Vor allem die fortschreitende Individualisierung der Gesellschaft ist für Delugan Meissl ein wichtiger Gestaltungsimpuls. Sie haben den Ehrgeiz, selbst im engen Rahmen des geförderten Wohnungsbaus zahlreiche Raumvarianten für die verschiedenen Lebensgewohnheiten der Bewohner zu schaffen. Simple Additionen von immer gleichen Räumen sind ihnen zuwider.“ Als Beispiel wird das „City Loft“ in Wien genannt, eine Stadt, wie ein Bonmot es pointierte, deren Einwohnern nichts so verdächtig sei wie eine Sache, die sich selbst ernst nimmt. Die Südseite des Wohnriegels dominierte ein schwarzes Glasband, das über neun Geschosse mit einer Raumhöhe von 3,38 Meter rhythmisch mäanderte. Im Norden hingegen zählte man elf Geschosse für die Schlafräume mit einer Raumhöhe von 2 Meter 38 und Fenstern „wie Tetris-Spielbausteine“: Durch die unterschiedliche Höhe und Breite entstand eine Vielzahl ineinander geschachtelter unterschiedlicher Wohnungs-Varianten, insgesamt 47 Typen: „Offenheit und Weite in den repräsentativeren Bereichen, Geschlossenheit in den privaten Zonen“. Unterschiedliche Wohn-Strukturen anzubieten – die eine Möglichkeit. Eine andere fußte auf Entwürfen „nutzungsoffener Räume“, die der Bewohner sich aneignete. „Idealerweise können Grundrisse zukünftig mit sich wandelnden Be- dürfnissen der BewohnerInnen wachsen oder schrumpfen“, heißt es in einem Aktenvermerk einer Ausstellungsagentur aus jener Zeit. Wohnungen sollten als „Gestaltungsspielräume“ verstanden werden, schrieb der Garten- und Landschaftsarchitekt Reiner Schmidt, da der Bedeutung des Wohnungsumfeldes „gerade in Zeiten des Wohnwandels besondere Aufmerksamkeit zuteil“ geworden sei als „privater Ruhepol, Ort der Identifikation, Entfaltungsraum und ‚Experimentierfeld‘“. Schmidt verwendete „Grundmuster aus dem Bereich des Einfamilienhauses“ für seine Vorschläge. Da böte sich die Metapher von der „Bank vor der Haustür“ an, die den öffentlichen mit dem privaten Raum verschränkt; und auf der anderen Seite das „Zimmer im Grünen“, also einen Rückzugsraum, „bei dem die Öffentlichkeit ausgesperrt bleibt.“ Aus einer anderen Quelle, der Broschüre mit dem Titel „Wie wir wohnen werden“ aus dem Jahr 2005, fischen wir in dieser Hinsicht zweierlei. Zum einen prophezeite Juan Pablo Molestina von der Peter Behrens School of Architecture Düsseldorf, der „Gestaltungsschwerpunkt in Sachen Wohnqualität“ werde „sich von der Schaffung perfekter, visionärer und bereits fertiger Räume auf die Schaffung des größtmöglichen Raums verlagern“, der „so neutral wie möglich gehalten“ werde. Es handele sich „um preiswerte, praktische ‚Roh-Räume‘ (mit Glück in guter Lage), die man sich persönlich aneignen kann. Der in seiner Funktion fest gelegte Raum verschwindet.“ Analog dazu wollten auch Uli Seher und Nicolas Tixier sich mit dem Wohnen befassen, indem sie nicht mehr die Funktion, sondern die Nutzung und den Nutzer zur Orientierung nahmen, ein Konzept, das „die Interpretation des Raumes den Bewohnern überlässt“. Aufs Neue geraten wir in Kontakt mit der Schweiz. In der Architekturzeitschrift Archithese war 2002 in einer Ausgabe unter dem Titel „Vorfabrikation“ ein Beitrag über „Bauen mit Computern“ zu lesen und darin von dem niederländischen Architekten Kas Oosterhuis. Er hatte sich ein IT-Serienproduktionssystem für Häuser ausgedacht: Über ein Internetportal hatten potenzielle Käufer die Möglichkeit, sich in das fertige Projekt einzuklicken und darin Änderungen vorzu- 2060 nehmen, anders gesagt, „ein bestimmtes Haus innerhalb einer bereits geplanten Siedlungsstruktur zu konfigurieren. […] Durch dieses Vorgehen wird eine für den Architekten kalkulierbare Beeinflussung durch den Bauherrn initiiert und das Ergebnis trägt die spezifische Handschrift von Kas Oosterhuis.“ Abschließend ein Sprung auf einen anderen Kontinent, genauer: in die vor etlichen Jahrhunderten vom „Abendland“ Europa aus entdeckte „Neue Welt“ Amerika, noch genauer: nach New Orleans. Einige Stadtviertel waren 2005 einem Hurricane namens Katrina zum Opfer gefallen. Ein Jahr zuvor hatte ein Team vom Massachusetts Institute of Technology unter der Leitung von Lawrence Sass das „Instant House“ entwickelt. Ausgangspunkt des Projekts war die Absicht, Schnelligkeit und Präzision von Laserschneidern für den Wohnungsbau zu nutzen. Die Computerdaten für die Bauten wurden an einen Laserschneider weitergeleitet und ermöglichten dadurch eine sehr günstige Produktion der einzelnen Bauteile, die mit geringem Aufwand zu Bauten zusammengefügt wurden. Nach jener Sturmkatastrophe erhielt die Idee „aktuelle Brisanz“. Sass und sein Team pixelten Prototypen für historische Viertel in New Orleans, die typische Merkmale des dortigen Baustils trugen. Auch diese wurden vollständig am Laserschneider erzeugt. Das Beispiel demonstrierte, wie anpassungsfähig dieses „digitally fabricated housing“ war, mitnichten konzipiert, um architektonische Positionen zu artikulieren, sondern um auf das grundlegende menschliche Bedürfnis nach Schutz zu reagieren: „For Sass, a house at its most elemental level is shelter.“ Mehr war, mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen. 2061 004 Energetisch optimiertes Wohnen das Dach 2062 Einem Parforce-Ritt gleicht allein der Versuch, eine skizzierende Auswahl aus den unzähligen Projekten zu treffen, die sich konkret mit der Nachhaltigkeit beschäftigten; damit, den Energieverbrauch zu drosseln, Vergeudung zu mindern, Verschwendung zu tilgen, nicht nur der klimatisch bedrohlichen Probleme wegen. Allerdings begannen die Polkappen bereits abzuschmelzen, woraus ein einziger Schluss zu ziehen war: Es müsse gehandelt werden. „Rettet die Welt!“ war am 18. September 2008 ein Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit überschrieben: „Jedes Haus ist ein Stück Umweltverschmutzung. Damit der Mensch nicht zugrunde geht, muss er anders bauen.“ Der ganzseitige Artikel stellte die Architektur-Biennale in Venedig vor, gewidmet der „Architektur jenseits des Bauens“. In einem Vortrag erkannte der Ökonom Jeremy Rifkin als Hauptverursacher des Klimawandels „Gebäude, Gebäude und noch mal Gebäude“. Häuser verbrauchten – vor der Fleischproduktion an zweiter und dem Transport an dritter Stelle – die meiste Energie und seien für 30 bis 40 Prozent des weltweiten Kohlendioxidausstoßes verantwortlich. In seinem Plädoyer für die „Dritte Industrielle Revolution“ verlangte Rifkin, jedes Haus „solle in Zukunft als kleines Kraftwerk funktionieren und mit Hilfe von Sonne, Wind oder Abfall Energie gewinnen.“ Die Energie werde also „demokratisiert, ihre Verteilung dezentralisiert und ihr Verbrauch besser kontrolliert.“ Denn der Strom, so Rifkin, werde in Zukunft nicht mehr mechanisch, sondern digital verteilt: Jeder Kühlschrank bekomme nur noch so viel, wie er gerade brauche. Den Biennale-Beitrag im deutschen Pavillon – wir werden dort des Öfteren eintreten – hatten als sogenannte „Generalkommissare“ die Architekten Matthias Böttger und Friedrich von Borries unter dem Titel „Updating Germany – Projekte für eine bessere Zukunft“ geschaffen. Sie zeigten 20 der insgesamt 100 ausgewählten Projekte von Architekten, Designern, Ingenieuren und Künstlern: „Architektur und Städtebau können die Welt nicht retten – aber einen Beitrag leisten und tun es auch“, so die Kuratoren. Es werde zwar gespart, gedämmt und optimiert, doch damit seien die Möglichkeiten des Entwerfens und räumlichen Intervenierens noch lange nicht erschöpft. „Uns interessiert das, was über den neuesten Stand der Technik hinausgeht.“ Nicht etwa gebaute Architektur, son- 2063 dern „Forschungsarbeiten, Gestaltungsexperimente und Pilotvorhaben“ stünden „im Fokus […] neue Konzepte, Denkweisen, Strategien: Updates unserer Welt.“ Was sie unter dem Wort Update verstanden? „Updates kennen wir von Computerprogrammen: Bestehendes wird schrittweise weiterentwickelt, soweit sinnvoll, verbessert, Nichtfunktionales durch Neues ersetzt. Manchmal schleichen sich auch neue Fehler ein. Ein Update ist ein verzweigter Entwicklungspfad mit Sackgassen und Umwegen, der aber zu großen Veränderungen führen kann. Folglich verstanden die Kuratoren ihren Beitrag als „Suchbewegung“: „‘Wie wollen wir leben?‘, ‚Was können wir tun?‘“ Zwei der Projekte seien hier angerissen. Hinter der Updating-Ordnungsnummer 083 steckte ein verblüffend simples Verfahren, mit dem die Eidgenössisch Technische Hochschule Zürich wie auf Kommando den von Rifkin gewünschten Kühlschrank angeliefert zu haben schien. Die Forscher hatten einen integrierten Hochvoltchip entwickelt, mit dem sich elektrische Geräte über die hauseigenen Leitungen vernetzen ließen. Mit dem digitalSTROM-Chip konnten über herkömmliche Steckdosen bis zu 200 Stromabnehmer unabhängig voneinander gesteuert werden und miteinander kommunizieren, „und agieren so nicht mehr als Einzelinstrumente, sondern als Orchester“, wie es auf der Internetseite der Non-Profit-Organisation hieß. Der Chip senkte den Standby-Verbrauch von herkömmlichen 3 bis 5 auf unter 0,3 Watt. Geräte verbrauchten nur dann Strom, wenn es wirklich notwendig war. Gleichzeitig wurde der Stromverbrauch der einzelnen Geräte sichtbar vermerkt, ein rotes Lämpchen wies auf unerwünschten Betrieb oder auf defekte Geräte hin. Eine abgenutzte Kühlschrankdichtung wurde damit so rasch erkannt wie sich bislang ein tropfender Wasserhahn bemerkbar gemacht hatte. Man versicherte, dass der volle Datenschutz des Kunden gewährleistet war. Unter Index-Nummer 001 hinterließ ein „Energiebunker“ mächtigen Eindruck. Im Rahmen und in Vorbereitung der Internationalen Bauausstellung in Hamburg 2013 wurde ein 40 Meter hoher ehemaliger Flakbunker in eine regenerative Energiequelle umgewandelt. Durch die Installation von 4.000 Quadratmetern 2064 Sonnenkollektoren und eines Heizsystems mit Gas und Holzhackschnitzeln würde das umgebende Stadtgebiet mit Energie versorgt werden, erklärten die Kuratoren. Für kulturelle Veranstaltungen waren weitere 48.000 Kubikmeter Raum vorgesehen. Und weiter: „Das Projekt markiert eine Verlagerung von der Nutzung soziokultureller Programme als alleinige Instrumente der Stadtsanierung zu Konzepten, bei denen eine Mischung von Kultur und ökologischer Technologie angestrebt wird.“ Nicht ganz in der Mitte zwischen Hamburg und Venedig lag Darmstadt samt einer Technischen Universität. Eine Arbeitsgruppe vom Fachgebiet „Entwerfen und Energieeffizientes Bauen“ hatte auf Einladung ihren Beitrag zu einem speziellen Zehnkampf, zum Solar Decathlon 2007 eingereicht, ein von der USRegierung ausgelobter Wettbewerb, der den Prototypen eines ausschließlich mit Sonnenenergie versorgten Gebäudes verlangte. Das Team aus Deutschland gewann den Wettbewerb unter 20 Universitäten, und damit nicht genug: im Jahr darauf erhielt es den Bauweltpreis 2009 in der Kategorie „Prototypen“ sowie den Detailpreis 2009 in der Kategorie „Sonderpreis Studenten“ als „das weltweit beste Solarhaus“. die Decke, darin integriert das Beleuchtungssystem, war als Kühldecke ausgeführt. Dank der Rahmenbauweise war das Haus stabil und doch so leicht, dass es auch für mobiles Wohnen geeignet war, mithin auch in Abschnitt 002 Platz finden würde. Gleichfalls ausgezeichnet, nämlich mit dem österreichischen Staatspreis für Nachhaltigkeit und Architektur, wurde im Jahre 2007 ein 1957 erbautes Mietshaus in Linz, das zum Passivhaus umgerüstet worden war. Das Gebäude mit 50 Wohnungen hatte eine Gapsolarfassade erhalten. Kernstück dieses Fassadensystems, nachzuschlagen in der Anthologie „Standards der Zukunft“, war „eine spezielle Zellulose-Wabe, welche als verglastes Paneel an der Außenwand montiert wird.“ Der Energieverbrauch wurde von 180 Kilowattstunden je Quadratmeter auf 14,4 reduziert, die Energiekosteneinsparung betrug 89 Prozent im Jahr. Die anderen teilnehmenden Universitäten hatten sich darum bemüht, tunlichst so viel Energie zu produzieren, wie benötigt werden würde. Der Entwurf aus Darmstadt vollzog die Umkehr, reduzierte den Energiebedarf, ohne an Komfort einzubüßen. In Freiburg, der südlichsten Großstadt in Deutschland, hatte den verbliebenen Unterlagen nach der Architekt Rolf Disch sein Plusenergiehaus mitsamt geschütztem Warenzeichen geschaffen, ein Haus, das mehr Energie erzeugte als es verbrauchte: „Das Plusenergiehaus® ist ein Gebäude mit positiver Energiebilanz – weltweit zum ersten Mal.“ Es generierte Solarenergie und verwendete sie „mit höchster Effizienz“, aktiv zur Gewinnung von Strom und Wärme, passiv durch Ausrichtung des Gebäudes und durch seine großflächige und hochgradig lichtdurchlässige Fassade. Schauen wir uns das Projekt ein wenig näher an und nutzen dazu Auszüge aus der Leitidee des Konzepts für das als Passivhaus klassifizierte Gebäude. Es war in drei Schichten aufgebaut. Eichenholzlamellen als äußerste Schicht waren, ebenso wie das Dach, mit Photovoltaik bestückt und dienten sowohl der Stromgewinnung als auch dem Schutz vor Überhitzung, Einblick und Einbruch. Die zweite Schicht – hocheffizientes Glas und Vakuumisolationspaneele – diente der thermischen Trennung zwischen Innen und Außen. Die dritte Schicht mit Plexiglaswänden bildete das Zentrum, das Bad, Küche und einen Teil der Haustechnik aufnahm. Alle Gebäudeteile leisteten weitaus mehr: Im doppelten Boden befanden sich Sitzkuhle, Bett und Technik; die Wände speicherten Wärme und boten zudem Stauraum und integrierte Unterhaltungselektronik; Neben dem Heliotrop in Freiburg-Merzhausen wurde unter Dischs Leitung eine Solarsiedlung am Schlierberg errichtet: „Das Haus der Zukunft ist keine Utopie mehr, sondern jetzt realisierbar.“ Sowohl im Baukonzept, in der Auswahl der Baumaterialien als auch in Wasser- und Energiesystemen würden die natürlichen Ressourcen berücksichtigt: „Gestaltung und Ästhetik fördern die Kreativität der Bewohner, die reduzierten Nebenkosten und Aufwendungen schonen deren Geldbeutel, während die gute Anbindung an das öffentliche Verkehrs-, wie auch Fuß- und Radwegenetz umweltfreundliche Mobilität gewährleistet.“ Mit insgesamt 58 Plusenergiehäusern und einem Wohn- und Geschäftshaus, dem „Sonnenschiff“, galt die Solarsiedlung nach eigener Einschätzung „als modernstes solares Wohnbauprojekt Europas.“ 2065 An Superlativen mangelte es ebensowenig, wenn über das gigantische Projekt in den der Vereinigten Arabischen Emiraten gesprochen wurde. Vor den Toren Abu Dhabis schickten sich seit 2007 die dortigen Öl-Scheichs an, Masdar City zu errichten, eine Öko-Kapitale für rund 50.000 Bewohner, zu denen sich tagsüber „Bei solchen Problemen stellt sich schnell die Frage: Macht Masdar City tatsächlich Sinn? Eine Stadt, entworfen auf dem Reißbrett, mit Ideen, die kaum auf schon bestehende Städte übertragbar sind?“ Wie erwähnt, rechneten die kühnen Planer mit allein 40.000 Pendlern, die regelmäßig in Abu Dhabi ihre Geschäfte tätigen und wieder verschwinden: „Praktisch, dass der Flughafen gleich ums Eck liegt.“ Und der Stadtplaner Seelig ergänzte zukunftsszenarisch: „Wohlhabende Westler werden einfliegen und mit dem Taxi nach Masdar fahren – das alles führt die CO2-Ziele natürlich ad absurdum.“ Doch gänzlich „verteufeln“ wolle er das Projekt nicht. Bei Masdar gehe es um Hochtechnologie, „solche innovativen Projekte braucht man, um die Entwicklung voranzubringen.“ 40.000 Pendler gesellen würden. Prädikate in höchsten Graden überbringen verschiedene Archiv-Quellen: Die erste kohlendioxid- und abfallfreie Stadt der Erde sei hiermit gegründet, die Hauptstadt der Energierevolution, das künftige Weltzentrum für Nachhaltigkeit, das Silicon Valley für grüne Technologien: „Kein geringerer als der Londoner Stararchitekt Norman Foster durfte sie entwickeln“, schrieb Marlis Uken im April 2009 unter der Überschrift „Öko-Traum Masdar im Praxistest“ in der Wochenzeitung Die Zeit, bald nach Ausbruch einer fundamentalen Wirtschaftskrise, wie sie seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht zu vermelden gewesen war. Unter umgekehrten Vorzeichen erinnert das Projekt heute an die Bestrebungen der 1960er und 1970er Jahre in Europa, wo der unumstößliche Glauben an die technische Lösung, das Vertrauen in die wissenschaftliche Forschung alles für machbar hielt, unterschwellig oder explizit einen Fortschritt suggerierte, dessen Schubkräfte schier unbegrenzt sein würden. Jetzt war Nachhaltigkeit die Basis, ein chronisch verwendetes, unvermeidliches, oft missbrauchtes Wort in sämtlichen Diskursen. Manchmal klang der massenhafte Gebrauch wie das Resultat eines magischen Wunschdenkens. Manchmal aber bezog man sich darauf um der Vernunft willen: „Vernunft für die Welt“ nannte sich ein „Manifest der Architekten, Ingenieure und Stadtplaner für eine zukunftsfähige Architektur und Ingenieurbaukunst“ in Deutschland, das, als es im März 2009 erschien, auf außergewöhnliche Resonanz stieß. Die Reporterin geht auf die Stadtstruktur ein: „Die Grundfläche von Masdar wird von einer Mauer umschlossen und gerade einmal sechs Quadratkilometer groß sein. Enge Gassen und die kompakte Ansiedlung verhindern Energieverschwendung und garantieren kurze Wege. Dazu kommt ein ehrgeiziges Transportsystem mit Elektrofahrzeugen, die Bus und Auto überflüssig machen sollen.“ Bis jetzt sei alles jedoch „nur eine Großbaustelle in der Wüste.“ Zurzeit werde „wild gerechnet: Wie viel Solarstrom braucht Masdar tatsächlich? Schwer zu sagen, das merken die Macher inzwischen.“ Es hatte sich herausgestellt, dass man noch mehr Fläche für die Solarzellen brauchen würde als bislang eingeplant, kommentierte der Stadt- und Regionalplaner Sebastian Seelig, der sich mit der Entwicklung von Ökostädten beschäftigte. Zurzeit werde sogar darüber nachgedacht, außerhalb der Stadtfläche weitere Solaranlagen aufzustellen. Andere Umschichtungen dieser Art wurden erwähnt, woraufhin die Autorin schlussfolgerte: 2066 005 Innovative Materialien die Fassade 2067 Packt man in ein Wort zwei oder mehr Bedeutungen aus Wortstücken ein, entspringt daraus ein „Portemanteau“, ein Kofferwort – ein Begriff, den Lewis Carroll, der Schöpfer von „Alice im Wunderland“, in seinem Handkoffer entdeckt hatte. Aus seltsam und Samstag beispielsweise wird ein Seltsamstag, Demokratie und Diktatur werden zur Demokratur geflochten oder – und dies betrifft nun unser Thema – Biologie und Technik zu der Kreation Bionik, ein Begriff, der seit den 1960er Jahren kursierte für eine interdisziplinäre Wissenschaft, die Konstruktionsprinzipien der Natur für die Technik zunutze machte. In der Architektur gewann die Bionik an Bedeutung, zumal dank technischer Innovationen die natürlichen Vorbilder nachzuahmen oftmals in winzigsten Komponenten möglich war. Um die Vorgänge ein wenig zu beleuchten, graben wir aus dem Baulinks-Archiv einen Artikel: „Bionik-Gebäude kommen in Bewegung“ sagte die Überschrift. Zunächst jedoch bewegte sich die Bestandsaufnahme um die Fassade herum. Die Fassadentechnik machte sich einen Effekt zunutze, der der Lotusblüte abgeschaut ist. „Deren raue Oberfläche ist von einer Schicht feinster, dicht stehender Härchen überzogen, die die Blüte vor Schmutz schützt. Wassertropfen perlen rasch von den Blütenblättern ab und reißen dabei Schmutzpartikel mit.“ Die Oberfläche reinigte sich demnach selbst und das Prinzip wirkte an so manchen Fassaden, Dächern, Glasflächen und auch an Zeltkonstruktionen, gehörte gleichwohl in der Baubranche noch nicht zum Standard. Doch das würde sich bald ändern, verkündete Stefan Schäfer, Professor im Institut für Massivbau an der TU Darmstadt. Der Gedanke der Nachhaltigkeit gewänne immer mehr an Bedeutung und damit auch die Einbeziehung der Kosten, die ein Gebäude „im Laufe seines gesamten Lebenszyklus“ verursache. Da „bionische Oberflächen deutlich seltener gereinigt und gepflegt werden“ müssten, amortisierten sich die Kosten schon nach kurzer Zeit: „In den nächsten Jahren wird sich diese Einsicht zunehmend verbreiten.“ Von der Lotusblüte zu den Blättern der Riesen-Seerose und zu einem Prinzip, Leichtes zu bauen. Die Blätter der Victoria amazonica können Gewichte bis zu 60 Kilogramm tragen. Ihre „Verzweigungsstrukturen sind ein sehr gutes Beispiel dafür, wie Versteifungsmaterialien nur dort eingesetzt werden, wo sie zwingend notwendig sind“, so der Professor. An Eleganz gewönnen die Gebäude, dagegen würden die Baukosten, Energie und Baumaterial eingespart. 2068 2069 Weltweit Anerkennung für den Leichtbau hatte sich die Universität in Stuttgart erworben, wo zu Beginn des 21. Jahrhunderts Werner Sobek als Nachfolger von Frei Otto und Jörg Schlaich das punktgenau so genannte „Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren“ (ILEK) leitete. Nicht nur das. Sobek, der, wie seiner Internetseite zu entnehmen war, „weltweit für Engineering, Design und Nachhaltigkeit“ stand, führte eine Firmengruppe mit Niederlassungen in Stuttgart, Dubai, Frankfurt, Kairo, Khartum, Moskau und New York an. Das Institut befasste sich im Rahmen einer Forschungsarbeit mit den Grundlagen und der Entwicklung multifunktionaler Systeme. Das Ziel war es, „Gebäudehüllen mit adaptiven physikalischen Eigenschaften zu entwickeln, die in neue Bereiche der energetischen Optimierung und des verbesserten Nutzerkomforts vorstoßen.“ Ein wesentlicher Aspekt der Arbeit bestand in der „zu erwartenden neuen Architektursprache“ und die Aufgabe der selbsttätigen oder gesteuerten Komponenten darin, „neben dem Raumabschluss und der Schutzfunktion Einfluss zu nehmen auf die Lichtdurchlässigkeit, den Energiehaushalt (Absorption, Reflexion, Speicherung), das Innenraumklima, die Lüftungs-, Akustik- und auch Farbeigenschaften, um so ein veränderbares und anpassungsfähiges Ganzes zu bilden.“ Ein weiteres Mal wenden wir uns nach Venedig zu Updating Germany, denn das dortige Projekt-Nr. 060 – „Tissue Engineering“ – kam ans Licht ebenfalls aus dem ILEK, in Kooperation mit dem Tübinger Zentrum für Regenerationsbiologie und regenerative Medizin ZRM. Gemeinsam generierte man mit der – ins Deutsche übersetzt – „Gewebetechnik“ dreidimensionale statisch und mechanisch wirksame Zellgewebe. Sie konnten die Heilung von beschädigtem organischem Zellmaterial unterstützen oder es sogar ersetzen. „Durchgeführt werden die Projektversuche mit einem neuartigen Bioreaktor, in dem ein Ultraschallzerstäuber dreidimensionale Gewebe auf einer Matrix aus Rinderkollagen aufbaut.“ Anwendungen in größerem Maßstab, hieß es, könnten in Zukunft für Leichtbaustrukturen durch die Nutzung von Bakterien, Pilzkulturen oder pflanzlichen Zellgeweben wertvolle Ansätze liefern. Wir könnten nun ein weiteres Projekt im deutschen Pavillon vorstellen, nämlich das Fotokatalytische Modulsystem für umweltverschmutzte Stadträume, entwickelt von Elegant Embellishments. Es vermochte die von Verbrennungsmotoren erzeugten Schadstoffe aus der Luft herauszufiltern und damit einen Beitrag zur Luftqualität in stark befahrenen Innenstadtquartieren zu leisten. Die Module besaßen eine Beschichtung aus Titanoxid, das unter Sonneneinstrahlung als Katalysator für die Umwandlung von Stickoxiden in Kohlendioxid und Wasser wirkte. Das System wurde schon unter dem Namen Prosolve 370 E vermarktet. Oder wir könnten von Venedig aus die paar Kilometer nach Salzburg reisen, zu dem Wohnbaukomplex Oasis. Die Decken und Wände zwischen den einzelnen Wohnungen bestanden hier aus Stahlbetonfertigteilen – so die Darstellung in jenem Buch über die „Standards der Zukunft“ – die nicht tragenden Fassaden wiederum aus vorgefertigten, mit Glaswolle gedämmten Holztafelelementen, über die zum Schutz vor Feuchtigkeit eine Haut aus Kunststoff gezogen war. „Die über Rundanker gespannten und PVC-beschichteten Membrane aus PES“ weckten „Assoziationen mit großbürgerlicher Behaglichkeit, dem ‚grand comfort‘, den Polstermöbel bieten.“ Grand Comfort in einer Oase – Innovationen, wie man sie sich verlockender nicht wünschen kann. 2070 006 Global Cities, Megacities, Edge Cities das Gäste zimmer 2071 Je nach geografischer Lage, abhängig von demografischen und ökonomischen Entwicklungslinien schrumpften Städte zu jener Zeit, wir werden darauf nochmals zu sprechen kommen. Andere Städte wuchsen, manche „explosionsartig“. Um den Hintergrund zu verstehen, warum man vielerorts von Explosionen sprach, genügt vorläufig ein lapidarer Blick auf die nüchternen Zahlen. Dafür klicken wir die im digitalen Archiv eingefrorene Datenbank der „Stiftung Weltbevölkerung“ eines schönen Apriltages im Jahre 2009 an: Pro Monat, heißt es dort, kamen 6.828.167 Menschen hinzu, so dass man für das Jahr 2050 gut 9.000.000.000 auf der Welt erwartete. Gleichgültig, ob eine Stadt sich in diese oder jene Richtung entwickelte, neigten viele Menschen dazu, es als Bedrohung, als Gefahr oder Schlimmeres zu betrachten. Umwälzungen – ob auszurechnen oder nicht und egal in welchem Terrain – hysterische, alarmierende oder skandalisierende Aufmerksamkeit zu widmen und somit dramatische wie zugleich lähmende Effekte anzustiften, gehörte mutmaßlich wohl zum Einmaleins der Massenmedien. Doch in diesem Fall war eine Siedlungstendenz nicht zu übersehen. Hatte es im Jahre 1950 auf der Welt zwei Städte mit mehr als 10 Millionen EinwohnerInnen gegeben, Tokio und New York, und hatte sich erst 1975 eine weitere Megastadt – Mexiko-City – dazugesellt, kam es danach zu einem „wahren Boom an Megastädten – fast ausschließlich in sich entwickelnden Regionen“, entnehmen wir der Einführung in ein Dossier, das 2007 die Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn herausgab. Der Autor Rüdiger Korff vom Lehrstuhl für Südostasienkunde (Festland) an der Universität Passau fügte hinzu: „2005 zählten die Vereinten Nationen erstmals 20 Megastädte, 15 davon in Schwellen- und Entwicklungsländern“. Ein Grund für das rapide Wachstum seien zum einen „globale Dynamiken“ wie in den sich rasant entwickelnden Regionen in China und Indien gewesen. Andernteils wuchsen Megastädte, weil das Leben auf dem Land unerträglich geworden war – zunehmende Überbevölkerung und Landknappheit, Bürgerkrieg, 2072 Dürre oder Überflutung. Für viele Megastädte Afrikas galt dies als Ursache der Verstädterung. So oder so, die Infrastruktur in den Städten war natürlich vollends überfordert: Wohnen, Wasser, Energie, Lebensmittel, Abwasser – wie sollte das zur Verfügung gestellt, wie geregelt oder ermöglicht werden, da selbst bei einem allmählichen Wachstum von 1 bis 3 Prozent zu einer Megastadt jährlich weitere 100.000 bis 300.000 Menschen stießen? „Mit anderen Worten: Jährlich wird eine weitere Großstadt zur Megastadt hinzugefügt. […] Wer einen Platz im Slum findet, ist schon privilegiert.“ Im Anschluss erwähnt Korff den Autor Mike Davis, weithin bekannt geworden durch sein 1990 veröffentlichtes Buch „City of Quartz. Ausgrabungen der Zukunft in Los Angeles“. Es galt rasch als „Klassiker der Stadtsoziologie“, ja, wurde zum einflussreichen „Kultbuch“ des Genres. Sechs Jahre später erschien Davis‘ Buch „Planet of Slums“ und erregte ebenfalls große Aufmerksamkeit und lebhafte Diskussionen. Korff dazu: „Die teils apokalyptische und leider auch gut begründete Sichtweise von Davis, nach der das ‚kommende Zeitalter‘ keine Realisierung der Utopien menschlicher Zivilisationen sein wird, findet sich in vielen anderen Arbeiten zur Urbanisierung wieder.“ Dabei werde zu leicht vergessen, „dass die Städte – auch gerade die Megastädte – zentrale Probleme der Menschheit in der Gegenwart lösen bzw. abmildern. Wie sähe die Umwelt aus, wenn der Bevölkerungsdruck nicht durch Konzentration abgemildert würde?“ Gegen jene apokalyptischen Szenarien plädierte Korff im Sinne eines Arrangements „des Alltagslebens in einer höchst komplexen und heterogenen Umwelt“, zu dessen Merkmalen die „soziale Kreativität der Stadtbewohnerinnen und -bewohner“ gehöre, „neue Formen von Lokalität und Kooperation zu entwickeln und neue Formen wirtschaftlicher Beziehungen aufzubauen, die vom informellen Sektor, über selbstorganisierte Unternehmen bis hin zur Entstehung immer neuer Subkulturen reicht.“ Wühlen wir weiter in dem Wust aus Artikeln, die insbesondere anlässlich des Jahres 2006 erschienen, als auf der Erde erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land lebten – wobei dahingestellt sei, auf welcher Definition die Zählung basierte. Mike Davis hatte diesen Moment als „Wasserscheide der Menschheitsgeschichte“ bezeichnet, vergleichbar der industriellen Revolution, wie der Autor Jochen Becker in der tageszeitung vom 24. Dezember 2006 zitierte: „Die Leute vom Land müssen nicht mehr in die Stadt wandern, vielmehr wandert diese ihnen entgegen.“ Nicht mehr „Glas und Stahl“, so referierte Becker, werde das Bild von Stadt prägen, sondern „Plastikplanen, Holzlatten, rohe Ziegel und Wellblech.“ Die Slums bildeten sich „entlang von Verkehrsschneisen und Abfallhalden, auf Friedhöfen, Sümpfen, von Ungeziefer befallenen Arealen oder kontaminierten Industriebrachen, auf Fußgängerwegen oder Dächern anderer Häuser, in Parks oder an errosionsgefährdeten Hängen – Orten also, die eigentlich nicht vermietbar sind.“ Im Slum zu wohnen hieß jedoch nicht, kostenlos zu wohnen: „Meist muss eine Nutzungsgebühr gezahlt oder es müssen Polizisten und Politiker geschmiert werden. Das Besetzen von Land kommt letztlich nicht billiger als der Landkauf.“ Und eine „Hilfe zur Selbsthilfe“, die nun statt der klassischen Fürsorge das Programm der Vereinten Nationen charakterisierte, bleibe zudem ein „Eingeständnis des Scheiterns.“ Die Offensive von Seiten großer Nichtregierungsorganisationen hätte sich umgewandelt „in Projekt-Abwicklung“ und „einen neuen Klientelismus“ etabliert. Auch Becker erhob Einwände gegen Davis‘ Sichtweise, aus der sich zwar eine „globale Perspektive der Faktenlage“ ergebe, doch: „War er denn dort überall? Wie lässt sich das Material vergleichen?“ Seine Leseerfahrung fasste Becker so zusammen: „Hier ist‘s schlimm, dort ganz übel, aber woanders noch katastrophaler.“ Dabei male Davis „nur zu gerne ein ‚danteskes‘ Szenario aus und zementiert so den Opferdiskurs.“ Demgegenüber setzte Becker den Hinweis auf Untersuchungen zu Brazzaville und Kinshasa, publiziert von der Jan-van-EyckAkademie unter dem Titel „Brakin“, die sich innerhalb des städtischen Terrains bewegten und staunenswerte Lebensmodelle aus dem Alltag versammelt hätten. Dies als Andeutung für das gewichtige Argument, genauer hinzuschauen. Auf andere aufschlussreiche Darstellungen stoßen wir in dem Sammelband „Kursbuch Stadt“, in dem Phänomene damaliger Stadtentwicklung diskutiert 2073 und am Beispiel von Städten auf verschiedenen Kontinenten vorgestellt wurden. Eingangs ein schmuckloser, umso treffenderer Satz, einem Motto gleich: „Die globale Stadt ist kein Ort, sondern ein Prozess.“ In der Rubrik „Die vernetzte Stadt“ beschrieb Karl Schlögel „Berlin und das Städtenetz im neuen Europa“ und wie sich der Mensch darin bewegte: „Wer abends nach Hause fährt, kommt an turmhohen Silos und an Container-Städten vorbei, die am Vormittag noch nicht montiert waren. Man gewöhnt sich an die Veränderung in Permanenz, so dass man sie schon nicht mehr zur Kenntnis nimmt, bis man nach kürzerer Abwesenheit feststellt: wir kommen nie mehr dort an, wo wir losgefahren sind.“ Wenige Seiten weiter stellte Schlögel einen Vergleich unterschiedlicher Auffassungen an, gleichsam unseren Abschnitt 002 widerspiegelnd: „Das ganze östliche Europa hat etwas bewältigt, was dem Westen noch bevorsteht: […] im Provisorium leben zu können, ohne dass dies als Weltuntergang empfunden würde.“ In dem Beitrag „Space Flow – der Raum der Ströme“ verwies der Soziologe Manuel Castells unter anderem auf das „metropolitane Regionalsystem“ Hongkong – Shenzhen – Kanton – Perlfluß-Delta – Macao – Zhuhai, das mit seinen dazumal 40 bis 50 Millionen Einwohnern „eines der bestimmenden industriellen, kulturellen und Geschäftszentren des 21. Jahrhunderts“ sein werde. Die zwar erst im Entstehen begriffene südchinesische „Metropolis“ repräsentiere eine „neue räumliche Form“. Es herrschten beträchtliche räumliche Diskontinuitäten, da unterentwickelte Landstriche und ländliche Siedlungen fortbestehen. „Die interne Zusammenschaltung der einzelnen Gebiete und die unumgängliche Anbindung an das gesamte System der globalen Ökonomie mittels vielfältiger Kommunikationsverbindungen bilden das eigentliche Rückgrat dieser neuen räumlichen Entität. […] Innerhalb jeder Stadt, innerhalb jeder Gegend finden Segregations- und Segmentierungsprozesse statt, die unendlich vielen unterschiedlichen Mustern gehorchen. Aber eine derart segmentierte Vielfalt hängt von einer funktionalen Einheit ab, die sich durch gigantische, technologieintensive Infrastrukturen auszeichnet“. 2074 Wenige Ausschnitte aus den „Stadtbesichtigungen“ – so ist der zweite Teil des Buches überschrieben – seien hier angetippt. Zunächst betrachten wir Los Angeles, eine „Hauptstadt des Vergessens“ und „ein Frontalangriff auf das Gedächtnis“, wie sie der Dichter Durs Grünbein nennt, der eingangs eine kalifornische Redensart zum besten gibt – „History is five years old“ – , was bei uns ein leicht überhebliches Schmunzeln heraufbeschwören mag. In der Tat ist Geschichte, story oder history, manchmal fünf Jahre alt, manchmal jedoch nicht mehr als fünf Sekunden oder Stunden, manchmal fünf Jahrtausende. Grünbein fährt fort: „Es gibt hier sowenig Straßenzüge, wie es im Album einer Modelagentur Gesichtszüge gibt. Die Stadt besteht hauptsächlich aus Bungalows, die manchmal Geräteschuppen, manchmal den Häuschen von Badeanstalten ähneln. Gleitet man nachts mit dem Auto ziellos an diesen windigen Flachbaracken vorbei, die irgendein Witzbold houses oder buildings genannt hat, dann kommt man sich leicht wie ein Geisterfahrer in einer rauschenden Nekropole vor.“ Von der nordamerikanischen Pazifikküste an die südamerikanische Atlantikküste, nach Sao Paulo, das der Autor Armin Medosch ausdeutete als ein „Laboratorium für einen neuen Typ von Gesellschaft, deren Schicksal beinahe ausschließlich von der Ökonomie bestimmt wird. Ihr dynamisches Wachstum im 20. Jahrhundert übersteigt alle für Europäer vorstellbaren Dimensionen und lässt die Stadt in gewissem Sinn als geschichtslos erscheinen.“ Das Faszinierende an der Stadt sei „nicht die Stadt an sich, das unüberblickbare Häusermeer manchmal graziler, oft plumper Hochhäuser, zerfurcht von holprigen Stadtautobahnen, über die sich der Verkehr in ewigem Stau quält, sondern die Tatsache, dass es in dieser Stadt überhaupt möglich ist, zu leben und dabei auch noch Spaß zu haben, was den Paulistas offensichtlich gelingt. Wenn mit Leben eine bestimmte vitale Qualität bezeichnet wird, dann leben die Leute nicht in, sondern gegen die Stadt. Es ist faszinierend, hier zu sein, weil es so absurd ist. Selbst erfahrene Paulistas erleben ihre Stadt als eine groteske Unmöglichkeit, mit der man sich irgendwie abzufinden habe.“ 2075 Kurz vor Schluss kam Medosch auf das „ausgesprochen komplexe“ soziale Leben zu sprechen, wofür er ein sehr anmutiges Beispiel anfügte: „Angeblich existieren 200 verschiedene Arten, sich zu umarmen, und jede davon signalisiert den Umstehenden, welches besondere Verhältnis die Umarmenden zueinander haben.“ Ein Fazit: „Das soziale Leben ist sehr schnell und kennt viel mehr Übergänge zwischen Härte und Herzlichkeit, als sich Bewohner der alten Welt vorstellen können.“ Nach Shanghai hatte sich Thomas Medicus aufgemacht und rang zunächst, wie er selbst es nennt, „um Erklärungsversuche“, die „Hilfskonstruktionen“ glichen. Hier eine: „Inmitten der Shanghaier Menschenmassen kann der westliche Besucher in einer Art Zeitsturz noch einmal am eigenen Leib überprüfen, wie die Physiologie des Großstädters nach Meinung berühmter Stadtsoziologen vor hundert Jahren entstanden ist: durch ein von urbaner Dynamik entfesseltes Dauerfeuer an Schocks, gegen die als Distanzierungsmittel nur kalte Verstandestätigkeit hilft.“ Bemerkenswertes aus dem Untergrund New Yorks und anderer historisch gewachsener Megastädte erfahren wir aus der Süddeutschen Zeitung vom 20. Juli 2007. „Die Zukunft verfault“ heißt der Artikel, in dem die Autoren Andrian Kreye und Petra Steinberger darüber berichteten, wie die technische Infrastruktur in diesen Megastädten zunehmend in die Jahre gekommen war und den Kommunen Investitionen in Milliardenhöhe bevorstanden, um diese zu sanieren. Da die Wasser- und Stromleitungen, U-Bahn-Linien und vieles mehr seit Jahrzehnten, teils bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts unter die Erde gelegt wurden, war eine umfassende Modernisierung mit zahlreichen Hürden und enormen Kosten verbunden: „Über unseren Köpfen, im Untergrund, in den Wänden eines jeden Gebäudes: Millionen Kilometer Leitungen und Kabel und Rohre schlängeln sich durch jeden Quadratmeter der Städte. Für jedes moderne Glasfaserkabel gibt es hunderte andere unsichtbare Drähte und Leitungen, die brüchig sind und rosten. Dieses Versorgungssystem ist weder sexy noch spektakulär, wir bemerken es meist nicht einmal. Aber wir erwarten selbstverständlich, dass es funktioniert. Doch dieses System ist hochkomplex und macht es erst möglich, die Wäsche in der Maschine zu waschen und nicht im nächsten Fluss; dieses System erlaubt es, dass virtuelle Nachrichten, Informationen und Bilder in Nanosekunden von einer Seite der Erde auf die andere geschickt werden können – und dass die Toiletten nicht überlaufen.“ Gänzlich ohne einen Besuch in universitären Gefilden abzustatten kann auch dieser Abschnitt nicht dem provisorischen Ende entgegenstreifen. Navigieren wir also – Zeitziel April 2009 – für einen Moment zum Forschungsverbund urban land scape des Instituts für Entwerfen Stadt und Landschaft in der Architekturfakultät der Technischen Universität München, die dafür mit etlichen Partnern kooperierte. Auf der Internetseite wurde Umberto Eco zitiert, ein bedeutender Semiotiker, Philosoph, Medienwissenschaftler und Schriftsteller: „Architektur ist die Kunst Räume zu artikulieren“. Schlagartig war Eco berühmt geworden mit seinem historischen Roman „Der Name der Rose“, einer Kriminalgeschichte, die – deshalb auch sei es erwähnt – in einer Benediktinerabtei des Spätmittelalters spielte, eine Epoche, die den übernächsten Abschnitt eröffnen wird. Die Ausgangslage für den Forschungsgegenstand „urban land scape“ war wie folgt zusammengefasst: „Weltweit wandeln sich die Gegensätze von Stadt und Land in hybride Kontinua aus Siedlung und Landschaft. Was in den USA ‚urban sprawl‘ und ‚Edge City‘ genannt wird, lässt sich in Europa treffender als ‚Zwischenstadt‘, ‚Metropolregion‘ oder ‚urbane Landschaft‘ bezeichnen – für die asiatischen, afrikanischen und arabischen städtischen Kulturen deuten sich passende Begriffe erst an.“ Allerhand deutete sich an, brodelte im Ungewissen, als sei die Welt aus den Fugen geraten. Um es feinsinniger auszudrücken: etliche heterogene Umwälzungsprozesse nahm man wahr. Und dennoch und gerade deshalb sei angemerkt, was der Kultur- und Literaturwissenschafter Hartmut Böhme 1999 schrieb: „Die Geschwindigkeit der gesellschaftlichen Wandlungen nimmt in fast allen Sektoren der Gesellschaft zu; das ist eine Trivialität. Vermutlich aber sind Umbrüche schon immer als Akzeleration erfahren worden. Wenn Reiche kollabieren, Revolutionen das Alte niederreißen und die Gesellschaft in ein unbekanntes Neues stürzt, wenn große Kriege ausbrechen oder dramatische Krisen herrschen, dann läuft die Zeit, für alle Beteiligten, schneller.“ 2076 007 Die Stadt als Themenpark und Marke© die Adresse 2077 Eine betagte Metapher für die Großstadt war der Dschungel , was ein undurchdringliches Dickicht meinte. Die Einführung zu einer Anthologie von 2002 mit dem Titel „Boulevard Ecke Dschungel. StadtProtokolle“ entwarf die These, Stadt heiße „heute Event City: dynamisch und profitabel, Show und Shopping rund um die Uhr, Urbanität als Nonstop-Theater. Auf den Bühnen, im Parkett, auf den Rängen und Logen Kunden, Klienten, Konsumenten.“ Sicher solle die Stadt sein. Vor jenen insbesondere, denen „das Geld zum Mitspielen“ fehle. Ohne Widersprüche aber sei eine Stadt nicht zu haben, doch dieses „Lebensprinzip“ sehe sich bedroht. Inszeniert und gefeiert werde der Boulevard. „Die Abgehängten und Verlorenen – Gelegenheitsarbeiter, illegal Beschäftigte, Langzeitarbeitslose, Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus, diejenigen also, denen der Markt signalisiert, daß er sie je länger je weniger braucht – versuchen im Dschungel der Stadt zu überleben.“ Inzwischen grassierte die Absicht, die Stadt zu inszenieren, sie mittels eines branding – wörtlich übersetzt: Brandmarke – auf dem Markt zu etablieren. Dazu erläutert ein Forschungsprojekt der Fakultät für Architektur an der Technischen Universität München: „Branding heißt, einen Kontext zu produzieren, herstellen, erfinden.“ Stadtmarketing und Regionalmarketing könne jedoch nicht eine Aura erfinden, „die nur noch lose mit dem Gebrauchswert verknüpft“ sei und in dem diese „virtuelle Aura das eigentlich zu vermarktende Produkt wird. Braucht das branding von Räumen tatsächliche räumliche Qualitäten oder wird hier die story, die darüber liegt, zum entscheidenden Faktor?“ Alljährlich fanden in Luzern „Architekturgespräche“ statt, im Mai 2008 mit dem Titel „Architektur und Branding – oder auf der Suche nach dem Garten Eden“. In einem Referat veranschaulichte Kerstin Höger vom Institut für Städtebau in Zürich unter der Überschrift „Marken bauen Städte – eine urbane Perspektive?“ am Beispiel so genannter Brandhubs – die Autostadt Wolfsburg, die Sony World in Berlin –, ob durch diese „Verräumlichung von Markenwerten“ revitalisierende Impulse für Städte zu erwarten seien. Die Frage gab laut dem Schlussbericht aus Luzern „Anlass zu Kontroversen“. Hiermit schalten wir um zu einem Abschnitt diesseits und jenseits des Zauns. 2078 008 Gated Cities, gated Communities, Dörfer in der Stadt der Zaun 2079 2080 Umgürtet von einer Mauer war die Stadt des Mittelalters und der frühen Neuzeit gewappnet – Schutz vor äußeren Gefahren, Sicherung gegen Angreifer, Kontrolle der Ankömmlinge. Inmitten der Stadtmauern lebte man vergleichsweise autonom, ungeachtet der Standesunterschiede und Zunftzwänge: „Stadtluft macht frei“. Ein Rechtsgrundsatz, der letztlich die Vielfalt und Unterschiedlichkeit als Prinzip des Urbanen durchsetzte. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts brach sich eine gewissermaßen neue Form der Angst Bahn. Das Bedürfnis nach Schutz vor realer oder imaginierter Bedrohung, vor Einbruch, Raub und Gewalt, wirkte sich – akademisch formuliert – auf die stadträumlichen Strukturen aus. „Die Verhältnisse kehren sich um“, schrieb der Politikwissenschaftler Eike Hennig in seinem Aufsatz „Einmauern. Die Zitadellengesellschaft und ihre ‚gated communities‘“ von 2001: „Unsicherheit und Unübersichtlichkeit, Ängste um die Sicherheit etc. kommen nun nicht mehr von außen und branden an die Stadtmauern an, sondern solche Gefahren kommen aus dem Inneren der Stadt selbst, erwachsen der Produktion [sic] sozialer Räume und Interaktionen.“ Hier und da wurden geschlossene Wohnkomplexe errichtet, überwacht von privaten Sicherheitsdiensten und Videokameras, zugänglich durch ein Tor, das mit einer Codekarte zu bedienen war. Trotz des Ursprungs in den Vereinigten Staaten – das entnehmen wir einer Ausgabe der tageszeitung im März 2002 – waren gated communities „längst ein globales Phänomen: Nicht nur in Großbritannien und Südafrika. Im Großraum Buenos Aires leben beispielsweise Schätzungen zufolge 20.000 Menschen in 300 geschlossenen Wohnsiedlungen. In Ägypten gibt es 200 geschlossene Siedlungen mit jeweils bis zu 2.000 Wohneinheiten“. In Deutschland hatte ein Bauunternehmen 1998 in Potsdam die geschlossene und bewachte Apartmentanlage „Arkadien“ fertiggestellt, entworfen von einem kalifornischen Büro. Nach Kalifornien also. Um dorthin zu gelangen, greifen wir abermals zum Sammelband „Kursbuch Stadt“ von 1999. Darin findet sich der Beitrag „Los Angeles: Ökologie der Angst“, verfasst von dem bereits erwähnten Soziologen Mike Davis, der eine vielgepriesene „Renaissance von Downtown L.A.“ mit der Zunahme an sicherheitstechnischen Vorkehrungen in der Stadt in Verbindung brachte. Hochhäuser würden mit Sensoren und „tödlicher Schusskraft vollgestopft.“ Das sensorische System eines durchschnittlichen Bürogebäudes umfasse bereits „panoptische Sicht, Geruchs-, Temperatur- und Feuchtigkeitssensoren, Bewegungsdetektoren und in manchen Fällen ein ‚Gehör‘.“ Manche Architekten, so Davis, kündigten den Tag an, an dem „das mit Künstlicher Intelligenz ausgestattete Computersystem eines Gebäudes imstande sein wird, automatisch dessen menschliche Bevölkerung über Bildschirm zu erfassen und zu identifizieren sowie auf ihre emotionalen Zustände (Angst, Panik etc.) zu reagieren.“ Tatsächlich erreichte die Kontrollgesellschaft technologisch einst ungeahnte Höhen, dennoch sei am Rande der irreführende, befremdlich anmutende Begriff von der Künstlichen Intelligenz erläutert: Von ihr war seit den späten 1950er Jahren im Glücksversprechen eines technokratischen Furors die Rede gewesen. Die visionäre Vorstellung, einen Rechner wie ein Gehirn modulieren zu können, hegte geradezu irrsinnige Visionen. Doch wuchs allmählich die Einsicht, dass die komplexen, recht eigentlich nicht nachvollziehbaren Eigentümlichkeiten des menschlichen Gehirns und dessen neuronale Netze weder auf einen regelbasierten Intelligenz-Begriff noch auf irgendetwas anderes reduzierbar sind. Auf den Buchhändlertagen 1996 sprach der Kybernetiker Oswald Wiener in seinem Vortrag von dem „angesichts der investierten Mittel grotesken Mißerfolg der bisherigen Künstlichen Intelligenz.“ Die Groteske setzte sich fort. Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA, denen sich weitere Untaten anschlossen, griff die Angst um sich, wurde mehr oder minder absichtlich zu einer Hysterie umgebildet, zu einem permanenten Gefühl von Bedrohung. „Architektur der Angst“ war am 10. April 2007 ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung betitelt, der sich mit „unterirdischen Häusern und unsichtbaren Städten“ befasste. Der Autor Benedict Sarreiter verwies auf das Heimatschutzministerium der USA, das unter dem Motte „Don‘t be afraid ... be ready!“ die Bevölkerung „in eine ständige Hab-Acht-Haltung drängen“ wolle. „‘Ein Terroranschlag kann immer und überall geschehen‘, lautete die Botschaft des Ministeriums für Angstvermittlung. Auch deshalb werden in Beverly Hills und Bel Air Villen mit Panic Rooms bestückt […] Doch kann man sich angemessen auf eine Bedrohung vorbereiten, die diffus ist, die kein Schlachtfeld mehr kennt und deren berechenbarste Eigenschaft die Unberechenbarkeit ist?“ 2081 Zweifellos eine rhetorische Frage, aus der der Autor Schlüsse zieht: „So werden immer mehr Gebäude als moderne Festungen errichtet. Eigentlich sollen sie uns die Angst nehmen – aber sie bewirken das Gegenteil. Die verstärkten, schmuck- und fensterlosen Stahlbetonwände sowie die Überwachungskameras in den Städten erinnern uns ständig an die Gefahr. Ob real oder nicht.“ Einige Male haben wir schon auf „Updating Germany“ hingewiesen, den Beitrag zur Architekturbiennale 2009 in Venedig. Anlässlich der Ausstellung publizierten die deutschen Kuratoren einen Gesprächsband mit dem Titel „Bessere Zukunft? Auf der Suche nach den Räumen von Morgen“. Darin ein Gespräch mit dem Philosophen und Kulturwissenschaftler Peter Sloterdijk, der für diesen Abschnitt einen beachtlichen Bogen schlägt. Im Lauf des 20. Jahrhunderts, meinte er, habe man sich „an Mikrokapseln wie z.B. die Einraumwohnung gewöhnt. Wir haben die zellulare Bauweise der Einraumwohnung, des Appartements, als die Anthropologie des architektonischen Individualismus so sehr verinnerlicht, dass wir sie inzwischen für eine Naturkonstante halten: ein Mensch, ein Raum, eine Zentralverriegelung. Mit diesen Mikroisolationen haben wir keine Schwierigkeiten. Unsere Schwierigkeiten beginnen erst, wenn wir z.B. das Phänomen der Gated Communities diskutieren, denn hier wird der moralische Skandal der Makro-Einkapselung auch in seiner sozialen Obszönität sichtbar.“ Indes ließe sich der Umgang mit Rahmen, Grenzen, Zäunen und Mauern auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Unter der Überschrift „Villagizing the City“ schilderte Christa Reicher in dem Buch „StadtPerspektiven“ wie „das Dorf in der Stadt Einzug hält“. Am Beispiel des erfolgreichen Townhouse-Quartiers „Prenzlauer Garten“ in Berlin diskutierte die Autorin die Möglichkeiten innerstädtischen Wohnens, das an dörflichen Strukturen orientiert war, die – wie ideologisch verklärt es auch sein mochte – sowohl in ihrem sozialen Gefüge (‚jeder kennt jeden‘) als auch in ihren räumlichen Merkmalen wie dem engen Bezug von Innenraum und Freiraum als erstrebenswert galten. Da nun ein Trend zurück in die Stadt unverkennbar geworden war, reagierten die Kommunen in dem Bestreben, innerstädtisches Wohnen aufzuwerten und entsprechende Bauvorhaben zu unterstützen. Dabei sei zu beobachten, so die Autorin, dass sich Haushalte in den Städten „zunehmend einerseits nach ähnlichen Normen, Werten, Habitus und Geschmäckern und andererseits nach Raumtypen“ verteilten: „Stadtstruktur wird sich mehr und mehr zu einem Patchwork kleiner ‚Welten‘ wandeln.“ Betrachtete man „noch größere Einheiten“, dann habe man „den Fluchtpunkt einer solchen makrosphärischen Interieurskonstruktion“ konkret vor Augen: „Ich bin davon überzeugt, dass eine Tendenz im Realen darauf hinausläuft, solche geschützten Sphären zu erzeugen. Wenn man Europa als latent architektonisches Projekt ansieht, so besteht sein makro-architektonisches Verhalten darin, einen Kristallpalast im kontinentalen Ausmaß zu errichten.“ Gemeint war eine Abschottung der Wohlstandsländer gegen die arbeitssuchenden Menschen vorwiegend aus Afrika, die per Seelenverkäufer über das Mittelmeer Europa zu erreichen suchten. Das Modell „Dorf in der Stadt“ wurde geschätzt und eingeschätzt „als Gegenmittel zur so genannten ‚Brasilianisierung‘ ganzer Stadtteile“. Eine Wortschöpfung für eine Entwicklung, wo Teile der Gesellschaft immer weiter auseinanderdrifteten und der Zerfall extreme Formen annahm. (…) Die Strategie der ‚überschaubaren Siedlungsräume‘ oder auch der ‚verinselten Räume‘ hat in der Stadtentwicklung Hochkonjunktur.“ Das Märkische Viertel in Berlin, über Jahre hinweg als soziales Problemquartier thematisiert, sei „inzwischen mit großem Erfolg in kleine Siedlungsräume ‚zerschlagen‘ worden. Kleine Ökosiedlungen liegen nun neben Genossenschaftssiedlungen, alternative Wohnprojekte neben autofreien Stadträumen.“ Der Ansatz der „Verdorfung“ sei demnach mehr als eine Art Stadtreparatur. Der menschliche Maßstab im Stadtraum und in der Architektur erführe wieder Beachtung. Ob denn der europäische Kontinent seine Grenzen baulich, mit architektonischen Mitteln sichern werde, wurde der Philosoph gefragt. „Sicher nicht in allernächster Zeit. Die Mittel der Grenzsicherung sind Zoll, Polizei, juristische Grenzwachen und dergleichen. Politik wird dabei zum Außenhautmanagement des virtuellen und realen Kristallpalastes.“ Andere verwendeten für die Vorgänge das kritische Schlagwort von der „Festung Europa“, gewollt oder ungewollt anspielend auf ein militärisches Konzept aus der NS-Zeit. Wie dem auch sei, wir haben über global passende Umwege den Kreis geschlossen, zurück in das Mittelalter. 2082 009 Umnutzung, Konversion, „Upgrading“ Der Balkon 2083 Von den überwiegend in Afrika, Asien und Südamerika aufgespürten Mega Cities oder Megacities haben wir erzählt, deren Einwohnerzahlen stetig nach oben kletterten. In den Gebieten, wo die Städte schrumpften, in den Shrinking Cities – diese Wendung wurde bevorzugt – setzte man sich allmählich mit den Effekten für die stetig dünner besiedelten Kommunen auseinander, mit dem Brachfallen ganzer Stadtquartiere und Industriegebiete. Eine interdisziplinäre Herangehensweise war ratsam, ja erforderlich und – gefragt. Ob in Großbritannien, Deutschland oder Belgien, in Finnland, Italien, Russland, Kasachstan oder China: überall schrumpften Städte. Während in urbanistischen Debatten das Augenmerk meist auf das Wachstum der Megalopolen gerichtet gewesen war, bildeten sich „parallel dazu Zonen der Schrumpfung“, gekennzeichnet von Bevölkerungsverlusten und hoher Arbeitslosigkeit. Die Globalisierung hatte diesen Prozess, der in den Industrieländern mit der Suburbanisierung bereits früher eingesetzt hatte, noch beschleunigt. Das entnehmen wir einem 736 Seiten dicken Buch aus dem Jahre 2004, ein Ausstellungskatalog herausgegeben im Auftrag der Kulturstiftung des Bundes, das den Titel trägt: „Schrumpfende Städte: Städtischer Wandel im Zeichen von Postfordismus und Globalisierung“. Greifen wir zu der 896 Seiten dicken Fortsetzung von 2005 – „Schrumpfende Städte 2: Handlungskonzepte“ –, erfahren wir, dass „klassische Stadtplanung und Städtebau an ihre Grenzen“ geraten seien. Angesichts der Herausforderungen würden nun neue Wege beschritten: „Neben die hard tools baulicher Interventionen treten soft tools kultureller, sozialer, politischer und kommunikativer Interventionen.“ Das Buch gewährte einen Überblick über „experimentelle Handlungskonzepte“ aus den Bereichen Architektur, Landschaftsarchitektur, Städtebau, Medien, Performance und Kunst. Diese Shrinking Cities legen wir für einen Moment behutsam frei, um einige Konzepte für die Umnutzung, die Konversion, das „Upgrading“ anzuschneiden. Ein Beispiel entstammt französischen Gefilden, wo im Jahre 2008 Anne Lacaton und Jean Philippe Vassal mit dem „Grand Prix national de l’Architecture“ 2084 ausgezeichnet wurden. In einer Studie namens „plus“ befassten sie sich mit der Revitalisierung und Modernisierung im Sozialen Wohnungsbau. Anhand der Wohntürme aus den 1960er und 1970er Jahren erarbeiteten sie eine Strategie ohne radikalen Abriss der Gebäude. Durch Anbau von umgreifenden Loggien werteten sie mit geringem Materialeinsatz die Grundrisse auf, schafften insgesamt Transparenz und räumliche Großzügigkeit der Wohnungen wie des öffentlichen Raums, um die Unzulänglichkeiten der ursprünglichen Planung zu korrigieren. In der typischen Architektensprache war es so erläutert: „Im respektvollen Umgang mit dem Erbe der Moderne nutzen die Architekten das Potential der Türme, anstatt sie zu stigmatisieren – Transformation statt Sprengung ist die Prämisse, mit der sie die Moderne weiterbauen.“ Vor allem aber, so das Konzept, entstand die Belebung ‚von innen aus‘, in Gesprächen mit den BewohnerInnen, um herauszufinden, womit diese sich identifizierten. Vom entlegenen Standpunkt aus, sagte Vassal in einem Gespräch, würde man von den Quartieren lediglich sehen, sie seien hässlich, und man meine deshalb, sie würden die sozialen Probleme schaffen. Deren Wurzeln jedoch wolle man nicht wahrnehmen. Ein weiterer Aspekt betraf die Umnutzung. In der Bankenmetropole Frankfurt am Main zum Beispiel standen im Jahre 2007 über zwei Millionen Quadratmeter Büronutzflächen leer. Es blieb umstritten, wie wir aus dem Band „Standards der Zukunft“ erfahren, ob es sich dabei um den „Ausdruck einer zyklisch auftretenden, konjunkturell bedingten Nachfrageschwäche“ handelte oder um die „Folge einer strukturellen Krise“. So oder so, es handelte sich um Phänomene des globalen Kapitalismus, darum, dass auch Architektur und Städtebau, um es in der Sprache des historischen Materialismus zu formulieren, als Ergebnis der ökonomischen Strukturen begriffen werden können. Zunehmend erkannten Architekten und Stadtplaner, dass es nachhaltiger sein könnte, Gebäude und Quartiere zu planen, die nicht nur für eine einzige Nutzung taugen. Ein detaillierter Beitrag in jenem Band zog die Bilanz, dass die Umnutzung eine städtebauliche Chance sei, ein neues Leben entfalten könne, und in vielen Fällen eine wirtschaftliche Notwendigkeit, indes die Realisierung vielen Hemmnissen begegne. Aus anderer Warte werden wir in der „010 Experimentierküche“ das Thema verhandeln. 2085 Ein geradewegs spektakuläres Projekt aus der Hansestadt Hamburg etwa 2009. Nah, sehr nah am Wasser war Einblick zu nehmen in die „größte innenstädtische Baustelle Europas“, genannt HafenCity, ermöglicht durch die rasante Entwicklung der Containertechnologie, die die Schifffahrt vollkommen gewandelt hatte. (Über die Container als „Fetisch der Moderne“ und „Emblem der Globalisierung“ sprachen wir eingangs im Abschnitt 002.) Wo einst die Hafenarbeiter malochten, entstand ein „Modell für die Entwicklung der europäischen Stadt des 21. Jahrhunderts“, die es städtebaulich und architektonisch zu definieren gelte, hieß es in einer Broschüre. Auf 157 Hektar würden zwei Millionen Quadratmeter Bruttogeschossfläche bebaut und dadurch 5 500 Wohnungen für 12.000 Einwohner entstehen sowie Dienstleistungsflächen mit mehr als 40.000 Arbeitsplätzen. Nebst Gastronomie, Kultur- und Freizeitangeboten, Einzelhandelsflächen, Parks, Plätzen und Promenaden ergebe sich ein „lebendiger innenstädtischer Raum mit einer feinkörnigen Nutzungsmischung“. Weiteres mithilfe einer Collage aus etlichen Presseberichten: Denn die Namen der Planer lasen sich wie das „Who is Who“ der prominentesten Architekten. „Stars“ wie Jacques Herzog und Pierre de Meuron oder Rem Koolhaas realisierten „ihre kühnen Ideen“. Und als „Leuchtturm“ und „neues Wahrzeichen“ der Hafencity bauten die „Superstars der Architektur“, Jacques Herzog und Pierre de Meuron, den gegenüber dem Sandtorkai liegenden Kakaospeicher in ein Konzerthaus, die Elbphilharmonie, um. Andere schrieben von einem „babylonischen Formengewirr an international gebräuchlichen Entwurfsideen“ oder von einer „High-Price-Version des üblichen Fußgängerzonenelends“, die ersten Eigentümer und Mieter wiederum waren „berauscht von Elbblick und Edelwohnung“. Tendenziöse, wohlfeile Ansichten? Eine Kaltmiete von 9,50 Euro pro Quadratmeter entrichtete jedenfalls laut eines Artikels im Journal des Hamburger Mietervereins im Februar 2007 das Rentnerehepaar F., und zwar von Herzen: „Wäre ich weiter im lauenburgischen Büchen geblieben,“, wurde Herr F. zitiert, „hätte ich nichts mehr erlebt. Wenn hier alles fertig ist, werde ich in einem Paradies leben.“ Die hätten ein Schnäppchen gemacht, kommentierte ein Vorstandsmitglied der Hamburger Architektenkammer, der Architekt Joachim Reinig: „Im Angebot sind 140 Quadratmeter große Genossenschaftswohnungen, die bis zu 3000 Euro Miete kosten. Das ist doch absurd.“ Es entstünde „tatsächlich Urbanität. Auch wenn alles sehr stark kommerzialisiert sein wird.“ Auf die Frage, wie man in 50 Jahren über die HafenCity reden werde, erwiderte Reinig, man könne „einen großen Fehler bemängeln, nämlich den katastrophalen energetischen Standard, und sagen: ‚Die haben wie im Mittelalter gebaut. Wie konnte das nur passieren?‘“ – „Ist es so schlimm?“ lautete die ängstliche Nachfrage: „Ja. Heute werden, auf den Ölverbrauch umgerechnet, schon Zwei-Liter-Häuser gebaut. In der HafenCity liegen viele Gebäude zwischen 100 und 300 Liter. Da wird unheimlich viel Energie verplempert fürs Heizen im Winter und Kühlen im Sommer – das ist der Preis für die riesigen Glasfassaden.“ Außerdem seien die Raum-Akustiker „schon heute gut damit beschäftigt, die verglasten Besprechungsräume zu sanieren. In vielen Büros sei eine normale Kommunikation kaum möglich. „Was das Problem verstärkt: Zur Wasserseite stört der Industrielärm und die oft heftigen Winde und auf der anderen Seite rauscht der Verkehr, der noch zunehmen wird.“ Der Wind, der Wind, das himmlische Kind ... Eine Assoziation wie diese mochte den Interviewer Volker Stahl auf die abschließende Bemerkung gebracht haben: „An vielen Stellen ist es ja auch sehr zugig“. – „So ist es“, bestätigte Reinig: „Wenn Eltern in der HafenCity wohnen, dann heißt der Spruch zu ihren Kindern: Setz’ die Mütze auf und fall’ nicht ins Wasser!“ Sich mit Rettungsringen zu versorgen, dieses Bedürfnis beschlich Menschen seinerzeit, vorwiegend gleichnishaft gemeint – nicht allein in jener Örtlichkeit. 2086 010 Stadt neu denken – Zwischenstadt, hybride Räume die experimentier küche 2087 Auf Zwischenstädte stießen wir schon im „Gästezimmer“. Sofern man nämlich an Stadtgrenzen glaubte fern der juristischen Ebene, führte eine Addition der Einwohnerzahlen, um Megacities kenntlich zu machen, in die Irre. Die zunehmende Verstädterung, dieser „Triumph des Urbanen“ richtete die Urbanität zu Grunde, das jedenfalls, was man bislang im Allgemeinen darunter verstand. Ein Paradox, das, wie der Architekt Rem Koolhaas 1999 meinte, einen „neuen Urbanismus“ verlangte, der sich „nicht auf die Zwillingsphantasien von Ordnung und Omnipotenz stützen“ würde. Der Architekturkritiker Martin Pawley hatte 1996 ausführlicher seine radikale Ansicht über die „Auflösung der Stadt“ vertreten. Seit den späten 1970er Jahren, schrieb er – wohlgemerkt – in Vergangenheitsform, „begann sich das ganze ländliche Europa in einem großen Band von London im Norden bis zum südlichen Italien in eine neue ökonomische Landschaft zu verwandeln. Anstatt von städtischen und innerstädtischen Geschäften wurden Millionen Quadratmeter an Bodenfläche für Warenlager und Distributionszentren mit einer halsbrecherischen Geschwindigkeit überbaut. Außerhalb der alten Städte und Großstädte schossen an Tausenden von Autobahnabfahrten und -kreuzungen, entlang einer Straßenstrecke von über 50.000 Kilometern, eine Million neuer Geschäftskomplexe ohne jeden Bezug auf einen urbanen Kontext oder die Vorherrschaft der Kunstgeschichte hervor.“ Es würden nun „hektische Anstrengungen unternommen, um diesen Trend umzukehren. Doch das führt zu nichts, denn das sind keine ‚intelligenten‘, sondern schnelle Bauwerke.“ Sie seien Bestandteil des „unsentimentalen, computergenerierten Gesichts der elektronischen Entstädterung, eine Erscheinung der abstrakten digitalen Kommunikation“, welche die Staaten in einem „grenzenlosen Netz von Konsumfilialen verbindet, die durch Häfen und Flugplätze, automatisierte Gefrierlager, klimatisierte Warenhäuser, riesige Fuhrparks und vorübergehende Schlafplätze in beweglichen Heimen versorgt werden. Das ist die Architektur der neuen Medien: der Urbanismus des nicht-urbanen Netzwerks des Konsums, das die Welt einhüllt.“ 2088 Um dies auf einen Begriff zu bringen, wählte Pawley den Terminus des „abstrakten Urbanismus“, der von Architekten, Stadtplanern, Historikern und Kritikern nicht beachtet werde, obwohl er in ökonomischer Hinsicht bereits wichtiger sei „als all die kunstgeschichtliche Architektur, die jemals gebaut wurde.“ Nachdem Pawley zahllose Erwerbstätige in zahllosen unterschiedlichen Tätigkeiten an diesen Unorten Revue passieren lässt und die Frage stellt, ob dies die „prototypischen, nicht-städtischen Menschen der Zukunft“ seien: „Wenn sie es sind, dann wird in unserer Zukunft Zentralität ein unbekannter Begriff sein. Die Architektur und der Urbanismus von heute werden als Abkömmlinge der alten Städte der Vergangenheit vergessen sein. Das Vergessen hat bereits begonnen.“ Kurios genug, dass der Schriftsteller Italo Calvino bereits 1972 in dem Buch „Le città invisibili“, auf Deutsch „Die unsichtbaren Städte“, davon erzählte, und zwar von der „fortdauernden Stadt“ Trude: „Es war das erste Mal, dass ich nach Trude kam, aber schon kannte ich das Hotel, in das ich geriet; meine Gespräche mit Käufern und Verkäufern von Schrott hatte ich bereits gehört und gesagt; schon andere ganz gleiche Tage waren mit Blick durch die gleichen Trinkgläser auf die gleichen wabbelnden Bäuche zu Ende gegangen. Warum überhaupt nach Trude kommen? Fragte ich mich. Und wollte schon wieder abreisen. ‚Du kannst abfliegen, wann du willst‘, wurde mir gesagt, ‚aber du wirst zu einem anderen Trude kommen, das Punkt für Punkt gleich ist, die Welt ist überdeckt von einem einzigen Trude, das nicht anfängt und nicht aufhört, nur am Flughafen seinen Namen wechselt.‘“ Gesammelte Reflexionen, Vorschläge und Trends, die sich implizit auch mit diesem urbanen Phänomen befassten, veröffentlichte im Jahre 2006 das bundesrepublikanische Amt für Bauwesen und Raumordnung: „Future Landscapes – Perspektiven der Kulturlandschaft“. Das Projekt war als eine Reaktion zu verstehen auf den „Nutzungswandel industrieller und landwirtschaftlicher Räume einerseits und die fortschreitende Zersiedelung andererseits“. Damit nicht genug. Hinzu komme, dass die Globalisierung „in zunehmendem Maße eine Nivellierung von Kulturlandschaftsnutzungen“ bewirkte. Nicht nur „konzeptionelle Bilder“ wollte man in der Broschüre vorstellen, sondern ebenso „widersprüchliche Bilder“. Voraussetzung für die anstehende Diskussion sei ein „integratives und vernetztes Denken“, Zukunftsbilder, Szenarien und Handlungsspielräume erkundend für „das Morgen im Jahre 2030“. An der Jahrtausendwende entspross dem interdisziplinären Wohn- und StadtDiskurs der Begriff der „hybriden Räume“, Räume im Spannungsfeld sich überlagernder Nutzungen und Funktionen, unabhängig von den Eigentumsstrukturen; Räume, in denen sich die allgemeine Ungewissheit und Komplexität widerspiegelten, wie der Landschaftsarchitekt Klaus Overmeyer auf einer Werkstatttagung im Mai 2005 skizzierte: „Ob Stadtstrände an Industriekanälen, Raves in Hafengebieten, Ponyhaltung auf Grundstücken mit ungeklärten Eigentumsverhältnissen oder temporäre Sportevents auf dem Stadtring, gerade der undefinierte, nicht eindeutig mit Nutzungen belegte Raum rückt in den Fokus einer neuen urbanen Spezies, die den Stadtraum als möglichst ungezähmtes Territorium entdecken, erobern, bezwingen und ausprobieren will.“ mit den medialen Netzwerken und Systemen zu entwickeln.“ Medialisierung modifizierte die „Raum-Hierarchien“, gleichzeitig verringerte sie den „Bedarf an gebautem Raum.“ In schrumpfenden Regionen könnten mediale Dienste, flexibel und mobil konzipiert, bestimmte öffentliche Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen gewährleisten. Als Beispiele wurden Rufbusse, Videounterricht und mediale Expertenunterstützung bei schwierigen Operationen in abgelegenen Regionen genannt. Schließlich stellten die Autoren eine Reihe von weiteren Projekten vor, mit denen sie ihre Ideen zu vermarkten suchten. Nach „Raum für soziale Experimente – zum Angehen gesellschaftlicher Probleme“ suchte im Jahre 2008 die Schader-Stiftung. Genauer gesagt: Sie forderte Studenten unterschiedlicher Fachdisziplinen auf, an einem Wettbewerb zu diesem Thema teilzunehmen. Zwei der fünf ausgezeichneten Arbeiten seien hier, destilliert aus den Begründungen, vorgestellt. Eine Akzentverschiebung in der Bezeichnung „hybride Räume“ war der Anthologie „StadtPerspektiven“ zu entnehmen, etwa dem Beitrag „Soft Urbanism. Erfahrungen aus Deutschland“ der Autoren Elisabeth Sikiardi und Frans Vogelaar. Sie verstanden darunter „das Zusammenspiel von medialen und physischen Räumen.“ Beispiele solcher hybriden Räume seien überall im Alltag zu finden, „in den Kommunikationsräumen der Mobiltelephonie, die private Inseln im öffentlichen Raum schafft, in dem städtischen Raum, der mit Hilfe von Monitoren kontrolliert wird, oder bei der Immobilie, die ähnlich dem Auto (connected car) zur Schnittstelle zwischen realem Raum und virtuellen Netzen wird.“ Das Projekt „Urbane Spielfelder“ befasste sich mit einem 24 Hektar großen, weithin brachliegenden Gebiet in Cottbus, das durch Baulücken, unzureichend genutzte Gebäude, Leerstände und vernachlässigte Freiräume „negativ“ auf die Stadt „ausstrahlte“. Die VerfasserInnen teilten das Gebiet in elf „Spielfelder“ auf, durch Bauzäune abgegrenzt und gekennzeichnet. Diese „Spielfelder“ sollten nicht fest vergeben werden, sondern der gesamten Stadtbürgerschaft mit ihren Gruppen, Vereinen, Verbänden, Institutionen und Initiativen zur Verfügung stehen. Gedacht war an temporäre oder dauernde Nutzungen jeglicher Art – Ausstellungen, Obdachlosennotunterkünfte, experimentelles Wohnen, Künstlerwerkstätten, Universitätsversuchsgelände, Camping, Sport, Kleingewerbe, Handel, Gastronomie und so fort. Eine grobe Vorsortierung sollte allzu gegensätzliche Nutzungen ausschließen. Die Freiflächen zwischen den „Spielfeldern“ wurden durch 15 Meter breite „Baumpakete“ gegliedert. Nicht zum ersten Mal vernehmen wir den Befund, dass „Medialisierung und somit auch Globalisierung […] gravierende Auswirkungen auf die zeitgenössischen urban-architektonischen Entwicklungen“ hatten. „Mit Hilfe einer ganzheitlichen Betrachtung – die des hybriden Raumes – ist es möglich, physische Objekte und urban-architektonische Räume im Kontext und im Zusammenspiel In Anbetracht des seit unvordenklichen Zeiten formelhaft verwendeten Ausdrucks von den „leeren Kassen der Kommunen“ dürften Studenten aus Hamburg einen Volltreffer gelandet haben: Unter der Überschrift „Null Euro Urbanismus“ hatten sie einen Katalog von „Good Practice-Beispielen“ komponiert, gemeint einerseits als Anstoß zum Wissenstransfer von Ideen, Projekten und Dass die Besitzer eines Tages womöglich eingriffen, oder die polizeilichen Ordnungskräfte zum Einsatz alarmiert wurden, ergänzen wir nur am Rande. 2089 Verfahren, andererseits aber auch als Beitrag zu einer „zivilgesellschaftlich flankierten Flexibilisierung und Modernisierung des Verwaltungshandelns“. Dabei wurden die „jeweiligen Akteurskonstellationen präzise beschrieben und Rückschlüsse auf die Übertragbarkeit gezogen.“ Erfolgreiche Projekte, so die Verfasser, nutzten neue Konstellationen, entwickelten eine gute „Balance zwischen Verbindlichkeit und Freiheit“ und fanden einen pragmatischen, „ergebnisorientierten Planungsansatz“, der den besonderen Bedingungen und planerischen Kontexten Rechnung trüge. und Kommentare. In Anbetracht der Fülle an Schwingungen und Sphären, Strömungen und Umbrüchen mag es genügen. Die beinahe zufällige Auswahl zu treffen, hat seine Vorteile, wie wir wissen, besser jedenfalls, gleichwohl nicht besserwisserisch wissen als die Menschheit vor hundert Jahren. Das Zeit-Raum-Gefüge mahnt uns, die Tür zur Experimentierküche hinter uns zu schließen. Gern würden wir ausführlicher vom Projekt Sproutbau in Bremen-Tenever erzählen, das einen Monat des Jahres 2007 lang ein Abrisshochhaus zum „Schauplatz eines lebendigen, bunten, ungewöhnlichen Wohn- und Kooperationsexperiments“ verwandelte: „Künstler, Kreative und Querdenker nutzten den unbegrenzten Spielraum der Großwohnsiedlung für die freie Umsetzung ihrer Träume und Utopien.“ Dazu erschien später eine Dokumentation, darin diese Pressestimme: „Fast fühlte man sich an den Expo-Pavillon der Niederlande erinnert, einer der eindrucksvollsten Bauten der Weltausstellung in Hannover. […] Doch hier […] war eine ungleich größere Vielfalt und Verdichtung von Kunst und Lebenswelten zu bestaunen.“ Genauso gern würden wir weitschweifiger den Ansatz der Ausstellung „Instant Urbanism“ erläutern, die „Spuren der Situationistischen Internationale in zeitgenössischer Architektur und Urbanismus“ eingerichtet hatte. Die Situationisten hätten in den 1950er und 1960er Jahren demonstriert, wie durch konstruierte Situationen Städte „als Orte des Spiels, der Sportification und der Approbiation“ umdefiniert werden könnten, basierend auf einer „Strategie des Umherschweifens“ in der Stadt, um mittels Desorientierung und Intuition die zunehmend „fragmentierte Landschaft des urbanen Raumes“ zu erkunden. Apropos Intuition und Fragment – Gelegenheit, unsere Ausgrabungen aus der damaligen Zukunft vorläufig abzuschließen, im Ergebnis wenig mehr als eine Unzahl an Fragmenten, miteinander verwoben, doch keineswegs in Einklang gebracht, wenig mehr als eine vielstimmige Kollektion heterogener Befunde 2090 2091 Ansichts Sachen Fo t o s : A x e l B o r n , M a r t i n a G r ü nw a l d , B e r n d Ku s b e r, R a l f O r l ow s k i , C l a u s Uh l e n d o r f . . .v o n a l l e n S e it e n . 2092 v o n R a l f O r l ow s k i 2093 2094 2095 von Johann Geils-Heim 2096 2097 Stil ikonen von Clau s Uhlendor f 2098 v o n d e n d e s i g n a g e n t e n A x e l B o r n , L u i s B o r n u n d M a r t i n a G r ü nw a l d 2099 2096 2100 2101 2102 2103 anhang . . . z u m S c h lu s s u n d o b e n d r a u f. 2104 2105 we wa we ges Literatur Rückblick Wohnen 1909 bis 2009 – Gerd Alb e r s , A l e x a n d e r Pap ag eo rg io u- Venetas , – Inge borg Fla gge (Hrsg.), Ge sc hic hte d e s Wohne ns, B d . 5: – E lfie Miklau tz, Her ber t L ach m eyer, R ein h ard E isen dle – R olf S pille, M i e t e r p l a n e n m i t . 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Jah rh u n dert, M ü n ch en 2 0 0 7 s. www.inha b ita t.c om/2007/ 2108 E nt werf en adapt i v er S y s t e m e Impressum – He ra usge be r: Verband der Wohnungswirtschaft in Nie d e rsa c hse n und Bre me n e . V. Le ib nizufe r 19 31069 Ha nnove r www.vd w- online .d e – K onz e ption und Ge sta ltung d e sign a ge nte n, Ha nnove r – R e c he rc he n und Le k tora t: Carsten Ens, Martina Jung, Martina Scheitenberger – Fotogra fie : Axe l Bor n, Joha nn Ge ils- He im, Ma rtina Grünwa l, Ra lf Orlowski, p hotoc a se , Cla us Uhle ndorf – Druc k : gute nb e rg b e uys, Ha nnove r ge d ruc kt a uf: FSC- PAPI ER W ir bedanken uns bei allen, die bei der Erstellung dieses B u c h e s mitge wirkt ha b e n. I nsb e sond e re d a nke n wir d e n „ Wohne xpert en“, den „Jubilaren“, den „Fotomodellen“ und denjenigen, die den F r a g e b o g e n zur „ Z ukunft Wohne n“ a usge füllt ha b e n. Ke in Te il d ie se s We rke s d a rf ohne sc hriftlic he Einwilligung des H eraus geb e rs in irge nd e ine r Form re p rod uzie rt, ve rvie lfä ltigt od e r ve rbrei t et werden. Die se s Buc h (a lle Se ite n ne b e ne ina nd e r a usge le gt) sind 17 , 32 m 2. Pla tz für e in B e tt, zwe i Stühle , e ine n T isc h und e ine n Sc hra nk . 1. Aufla ge Se p te mb e r 2009 I SBN 978- 3- 87292- 330- 1 2109