Schwarz und böse - Moto Sport Schweiz
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Schwarz und böse - Moto Sport Schweiz
14 TECHNIK HARLEY-DAVIDSON XR 1200 X Schwarz und böse Fahrbericht Auf der Gabel hat es zwei Schräubchen, beschriftet mit «Com» und «Reb». Bald werden sie auch an Harley-Camps über Druckstufe, Federbasis, Luftpolster und Gabelöl-Viskosität referieren. Text: Rolf Lüthi Bilder: Fränzi Göggel, Lüthi M ist, es reicht einfach nicht! Ich klammere mich mit Fäusten und Knien an der Harley fest, quetsche den Gasgriff mit unnötig viel Kraft an seinen Anschlag, doch die dreistellige Zahl auf dem Tacho beginnt weiterhin mit einer 1. Der Zeitpunkt ist nicht ideal, halb dichter Verkehr auf der Autobahn, ich presse und presse, doch es kommt nur noch die Zahlenfolge 194 dabei raus. Vorher schaffte ich einmal 197, doch der Motor hat inzwischen warm vom Dauervollgas, ein paar Zehntel PS scheinen zu fehlen. Die dicke Winterbekleidung hilft auch nicht. Im Lederkombi hätte es gehen können. Zu spät. Ich bin schon auf dem Weg zurück, um die Testmaschine abzugeben. Ich muss abbremsen wegen eines Ford Locus, umgerüstet auf Erdgasbetrieb, lackiert in nach allen Seiten sich entschuldigendem Himmelblau. Topspeed 200 erreicht sie also nicht ganz oder vielleicht doch, dabei sieht sie doch so böse aus. Und sie kann auch richtig böse sein – mit dem Fahrer nämlich, wenn die Einstellschräubchen in die falsche Richtung gedreht wurden. Nichts durcheinandergewirbelt Topspeed? Einstellschräubchen? Harley? Keine Durcheinanderwirbelung von Texten, das passt zusammen, zu- 23_MSSD_014_Techn 14 3 AUF EINEN BLICK HARLEY-DAVIDSON XR 1200 X In der Stadt Auf grosser Tour Sportlich fahren Zu zweit unterwegs Emotionen ★★★★★ ★★★★★ ★★★★★ ★★★★★ ★★★★★ Rolf Lüthi, nie fertig mit Ummodeln und Abändern. Fazit mindest bei der XR 1200 X. Ein Modell, optisch angelehnt an die amerikanischen Dirt-Track-Rennmaschinen, das aber in den USA gar nicht verkauft wird. Vielmehr hat Harley diesen Töff für den europäischen Markt entwickelt – und verkauft ihn auch nur in Europa, Afrika und im Nahen Osten. Die X basiert auf der XR 1200, die seit diesem Frühling im Modellprogramm ist. Die Unterschiede: einstellbare Federelemente vorne und hinten (von Showa), halb schwimmende Bremsscheiben vorne – und dieses abgrundtief böse Schwarz. Compression and Rebound Eigentlich mag ich sie mittlerweile recht gut, die böse Schwarze. Das war zu Beginn nicht der Fall. Da hatte Sportliche Roadster gibt es viele, und viele funktionieren brillant – und sind deshalb für mich uninteressant. Ich will mich an einem Töff reiben, ihn anpassen und abändern, bis ich halbwegs zufrieden bin. Die 1200er X bietet die Ausgangslage für eine erquickende Mensch-Maschine-Beziehung. Als Erstes würde ich einen schmaleren Hinterreifen probieren, man müsste abspecken und dann ... 06.11.2009 16:16:29 23/2009 MOTO SPORT SCHWEIZ WWW.MOTOSPORT.CH 15 2 TECHNISCHE DATEN HARLEY-DAVIDSON XR 1200 X Motor Luftgekühlter 45°-V2. OHV, 2 Ventile pro Zylinder. Elektronisches Motormanagement für Benzineinspritzung und Zündung, Nasssumpfschmierung mit Ölkühler. E-Starter. Bohrung × Hub 88,9 × 96,8 mm Gesamthubraum 1202 cm3 Drosselklappen-ø ø 50 mm Verdichtungsverhältnis 10:1 Leistungsdaten max. Leistung 91 PS (67 kW) bei 7000/min max. Drehmoment 10,2 mkg (100 Nm) bei 3700/min Kraftübertragung Primärkette. Mehrscheiben-Ölbadkupplung. Fünfganggetriebe. Endantrieb über Zahnriemen. Fahrwerk Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen, USD-Teleskopgabel 43 mm, Federbasis, Ein- und Auswärtsdämpfung einstellbar, Alugussschwinge mit 2 Federbeinen, Federbasis, Ein- und Auswärtsdämpfung einstellbar, Federweg vorn 125 mm, hinten 89 mm. Räder Leichtmetallgussräder. Schlauchlose Radialreifen Dunlop D 209. Reifendimension vorn 120/70-18 hinten 180/55-17 Bremsen Vorn Doppelscheibenbremse mit Vierkolbenzangen, ø 292 mm. Hinten Scheibenbremse mit Einkolbenzange, ø 260 mm. Abmessungen und Gewichte Radstand 1515 mm, Lenkkopfwinkel 60,7°, Gabelwinkel 62,2°, Nachlauf 130 mm, Sitzhöhe 795 mm, Tankinhalt 13,3 l, Leergewicht fahrfertig vollgetankt 260 kg. Preis Fr. 16 850.–, inkl. MwSt. und NK., erhältlich ab sofort in Schwarz. CH-Import, Info Harley-Davidson Switzerland, 8048 Zürich, 0844 427 539 www.harley-davidson.ch 1 4 1 Black Denim nennt Harley die Farbgebung. 2 Ob alle Harleyaner wissen, wozu das Federbein einen Ausgleichsbehälter braucht und was das Schräubchen mit der Aufschrift «Comp» bewirkt? 3 Die Schwinge ist sehr solide dimensioniert. 4 Zum Pröbeln und drüber Fachsimpeln. an den hinteren Federbeinen wohl einer rumgeschraubt, der sonst eine Starrrahmen-Harley fährt, so lange, bis sich das für ihn vertraute Fahrgefühl einstellte, also die hintere Federung ihre Funktion eingestellt hatte. Ich wurde mit der gegenteiligen Einstellung glücklicher: Druckstufendämpfung, englisch Compression oder abgekürzt Com oder Comp, ganz aufgedreht. Da fuhr die Schwarze plötzlich einen einigermassen harmonischen Strich, wurde auch auf unebenem Asphalt 23_MSSD_015_Techn 15 nicht dauernd aus der Kurvenlinie geworfen, musste aber weiterhin mit Dauerdruck am Lenker in Schräglage gehalten werden. Vorne ist eine Upside-downGabel eingebaut. Auf deren oberem Abschlussdeckel finden sich zwei Schräubchen, beschriftet mit «Com» und «Reb». Ja, liebe Harley-Jünger, die Zeit ist gekommen, euch mit solchen Nebensächlichkeiten zu behelligen. Was Com heissen könnte, haben wir schon gesehen, Reb bedeutet Rebound oder Auswärtsdämpfung, und beides hat mit der Federvorspannung oder -härte nichts zu tun. Ein paar Jahre noch, da werden weitere Harleys mit einstellbaren Federelementen ausgerüstet sein, dann möchte ich Mäuschen sein am Lagerfeuer eines Harley-Camps. Ich würde mich köstlich amüsieren ob den Erkenntnissen über Ein- und Auswärtsdämpfung (Compression and Rebound tönt professioneller), Vorspannung (Preload), statischem Durchhang (Sag) und dergleichen. Die Bremsen bremsen sehr anständig und sind gut dosierbar, die Gabel stemmt sich dem Druck der Doppelscheibe würdig entgegen. Die Bodenfreiheit reichte bei herbstlichen Temperaturen aus. Lärm und Vibrationen Legt man europäische Massstäbe an und vergleicht die XR 1200 X mit hubraumstarken Roadstern aus Europa oder Japan, hat die Harley einen schweren Stand. Es fehlt dann doch an Bodenfreiheit, an Handling und an Beschleunigungsvermögen, denn die 260 kg Maschinengewicht fressen einen Teil der respektablen 100 Nm wieder auf. Dazu ist der Knieschluss nicht optimal, und der Kontakt zum Töff ist mit dem linken nicht der gleiche wie mit dem rechten Fuss. Das mit dem Tankdeckel machen die japanischen Hersteller fast alle gleich – und die Lösung mit dem Aufklappdeckel ist besser. Der Sportster-Fahrer hält den sogenannten Aircraft-Deckel in der Hand und muss ihn irgendwo hinlegen, um zu tanken. Dafür leuchtet der kleine Rundscheinwerfer gut. Das Sound-Engeneering an der XR 1200 ist entweder genial oder ein unwahrscheinlich glücklicher Zufall. Der V2 pulsiert, rumpelt, brabbelt und wummert an des Fahrers Ohr bis in höchste Geschwindigkeiten – akustische Lebenszeichen einer mechanischen Saftwurzel, die das Fahrgefühl wesentlich aufwerten. Die Hausstrecke mit der XR 1200 ist anders, wummernd beschleunigt man aus den Radien, mit grunzenden Zwischengasstössen bremst man die Kurven an. Zügig durch die Kurvenkombinationen wedeln kann man mit jedem Töff, doch keiner tönt dazu so cool wie die XR1200. Die Soundkulisse ist über den Gasgriff schön regulierbar, bei geschlossenem Gasgriff ist die Beschallung sehr diskret – falls das jemanden interessiert. ■ 06.11.2009 16:16:35