Schwarz und böse - Moto Sport Schweiz

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Schwarz und böse - Moto Sport Schweiz
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TECHNIK
HARLEY-DAVIDSON XR 1200 X
Schwarz und
böse
Fahrbericht Auf
der Gabel hat es
zwei Schräubchen,
beschriftet mit «Com»
und «Reb». Bald
werden sie auch an
Harley-Camps über
Druckstufe, Federbasis,
Luftpolster und
Gabelöl-Viskosität
referieren.
Text: Rolf Lüthi
Bilder: Fränzi Göggel, Lüthi
M
ist, es reicht einfach nicht! Ich
klammere mich mit Fäusten
und Knien an der Harley fest,
quetsche den Gasgriff mit unnötig viel
Kraft an seinen Anschlag, doch die
dreistellige Zahl auf dem Tacho beginnt
weiterhin mit einer 1. Der Zeitpunkt ist
nicht ideal, halb dichter Verkehr auf
der Autobahn, ich presse und presse,
doch es kommt nur noch die Zahlenfolge 194 dabei raus. Vorher schaffte
ich einmal 197, doch der Motor hat
inzwischen warm vom Dauervollgas,
ein paar Zehntel PS scheinen zu fehlen.
Die dicke Winterbekleidung hilft auch
nicht. Im Lederkombi hätte es gehen
können. Zu spät. Ich bin schon auf
dem Weg zurück, um die Testmaschine abzugeben. Ich muss abbremsen
wegen eines Ford Locus, umgerüstet
auf Erdgasbetrieb, lackiert in nach
allen Seiten sich entschuldigendem
Himmelblau.
Topspeed 200 erreicht sie also nicht
ganz oder vielleicht doch, dabei sieht
sie doch so böse aus. Und sie kann
auch richtig böse sein – mit dem Fahrer
nämlich, wenn die Einstellschräubchen in die falsche Richtung gedreht
wurden.
Nichts durcheinandergewirbelt
Topspeed? Einstellschräubchen? Harley? Keine Durcheinanderwirbelung
von Texten, das passt zusammen, zu-
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AUF EINEN BLICK
HARLEY-DAVIDSON XR 1200 X
In der Stadt
Auf grosser Tour
Sportlich fahren
Zu zweit unterwegs
Emotionen
★★★★★
★★★★★
★★★★★
★★★★★
★★★★★
Rolf Lüthi,
nie fertig mit
Ummodeln und
Abändern.
Fazit
mindest bei der XR 1200 X. Ein Modell,
optisch angelehnt an die amerikanischen Dirt-Track-Rennmaschinen,
das aber in den USA gar nicht verkauft
wird. Vielmehr hat Harley diesen Töff
für den europäischen Markt entwickelt
– und verkauft ihn auch nur in Europa,
Afrika und im Nahen Osten. Die X basiert auf der XR 1200, die seit diesem
Frühling im Modellprogramm ist. Die
Unterschiede: einstellbare Federelemente vorne und hinten (von Showa),
halb schwimmende Bremsscheiben
vorne – und dieses abgrundtief böse
Schwarz.
Compression and Rebound
Eigentlich mag ich sie mittlerweile
recht gut, die böse Schwarze. Das
war zu Beginn nicht der Fall. Da hatte
Sportliche Roadster gibt es viele, und
viele funktionieren brillant – und
sind deshalb für mich uninteressant.
Ich will mich an einem Töff reiben,
ihn anpassen und abändern, bis ich
halbwegs zufrieden bin. Die 1200er
X bietet die Ausgangslage für eine
erquickende Mensch-Maschine-Beziehung. Als Erstes würde ich einen
schmaleren Hinterreifen probieren,
man müsste abspecken und dann ...
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TECHNISCHE DATEN
HARLEY-DAVIDSON XR 1200 X
Motor Luftgekühlter 45°-V2. OHV, 2
Ventile pro Zylinder. Elektronisches Motormanagement für Benzineinspritzung
und Zündung, Nasssumpfschmierung mit
Ölkühler. E-Starter.
Bohrung × Hub
88,9 × 96,8 mm
Gesamthubraum
1202 cm3
Drosselklappen-ø
ø 50 mm
Verdichtungsverhältnis
10:1
Leistungsdaten
max. Leistung
91 PS (67 kW)
bei
7000/min
max. Drehmoment
10,2 mkg (100 Nm)
bei
3700/min
Kraftübertragung Primärkette. Mehrscheiben-Ölbadkupplung. Fünfganggetriebe. Endantrieb über Zahnriemen.
Fahrwerk Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen, USD-Teleskopgabel 43 mm,
Federbasis, Ein- und Auswärtsdämpfung einstellbar, Alugussschwinge mit 2
Federbeinen, Federbasis, Ein- und Auswärtsdämpfung einstellbar, Federweg vorn
125 mm, hinten 89 mm.
Räder Leichtmetallgussräder. Schlauchlose Radialreifen Dunlop D 209.
Reifendimension vorn
120/70-18
hinten
180/55-17
Bremsen Vorn Doppelscheibenbremse
mit Vierkolbenzangen, ø 292 mm. Hinten Scheibenbremse mit Einkolbenzange,
ø 260 mm.
Abmessungen und Gewichte Radstand
1515 mm, Lenkkopfwinkel 60,7°, Gabelwinkel 62,2°, Nachlauf 130 mm, Sitzhöhe
795 mm, Tankinhalt 13,3 l, Leergewicht
fahrfertig vollgetankt 260 kg.
Preis Fr. 16 850.–, inkl. MwSt. und NK.,
erhältlich ab sofort in Schwarz.
CH-Import, Info Harley-Davidson Switzerland, 8048 Zürich, 0844 427 539
www.harley-davidson.ch
1
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1 Black Denim nennt
Harley die Farbgebung.
2 Ob alle Harleyaner wissen, wozu das Federbein
einen Ausgleichsbehälter
braucht und was das
Schräubchen mit der Aufschrift «Comp» bewirkt?
3 Die Schwinge ist sehr
solide dimensioniert.
4 Zum Pröbeln und
drüber Fachsimpeln.
an den hinteren Federbeinen wohl
einer rumgeschraubt, der sonst eine
Starrrahmen-Harley fährt, so lange, bis
sich das für ihn vertraute Fahrgefühl
einstellte, also die hintere Federung
ihre Funktion eingestellt hatte. Ich wurde mit der gegenteiligen Einstellung
glücklicher: Druckstufendämpfung,
englisch Compression oder abgekürzt
Com oder Comp, ganz aufgedreht. Da
fuhr die Schwarze plötzlich einen einigermassen harmonischen Strich,
wurde auch auf unebenem Asphalt
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nicht dauernd aus der Kurvenlinie
geworfen, musste aber weiterhin mit
Dauerdruck am Lenker in Schräglage
gehalten werden.
Vorne ist eine Upside-downGabel eingebaut. Auf deren oberem
Abschlussdeckel finden sich zwei
Schräubchen, beschriftet mit «Com»
und «Reb». Ja, liebe Harley-Jünger, die
Zeit ist gekommen, euch mit solchen
Nebensächlichkeiten zu behelligen.
Was Com heissen könnte, haben wir
schon gesehen, Reb bedeutet Rebound
oder Auswärtsdämpfung, und beides
hat mit der Federvorspannung oder
-härte nichts zu tun. Ein paar Jahre noch, da werden weitere Harleys
mit einstellbaren Federelementen
ausgerüstet sein, dann möchte ich
Mäuschen sein am Lagerfeuer eines
Harley-Camps. Ich würde mich köstlich amüsieren ob den Erkenntnissen
über Ein- und Auswärtsdämpfung
(Compression and Rebound tönt
professioneller), Vorspannung (Preload), statischem Durchhang (Sag) und
dergleichen.
Die Bremsen bremsen sehr anständig und sind gut dosierbar, die
Gabel stemmt sich dem Druck der
Doppelscheibe würdig entgegen. Die
Bodenfreiheit reichte bei herbstlichen
Temperaturen aus.
Lärm und Vibrationen
Legt man europäische Massstäbe
an und vergleicht die XR 1200 X mit
hubraumstarken Roadstern aus Europa oder Japan, hat die Harley einen
schweren Stand. Es fehlt dann doch
an Bodenfreiheit, an Handling und
an Beschleunigungsvermögen, denn
die 260 kg Maschinengewicht fressen
einen Teil der respektablen 100 Nm
wieder auf. Dazu ist der Knieschluss
nicht optimal, und der Kontakt zum
Töff ist mit dem linken nicht der gleiche
wie mit dem rechten Fuss.
Das mit dem Tankdeckel machen die
japanischen Hersteller fast alle gleich
– und die Lösung mit dem Aufklappdeckel ist besser. Der Sportster-Fahrer
hält den sogenannten Aircraft-Deckel
in der Hand und muss ihn irgendwo
hinlegen, um zu tanken. Dafür leuchtet
der kleine Rundscheinwerfer gut.
Das Sound-Engeneering an der
XR 1200 ist entweder genial oder ein
unwahrscheinlich glücklicher Zufall.
Der V2 pulsiert, rumpelt, brabbelt und
wummert an des Fahrers Ohr bis in
höchste Geschwindigkeiten – akustische Lebenszeichen einer mechanischen Saftwurzel, die das Fahrgefühl
wesentlich aufwerten. Die Hausstrecke
mit der XR 1200 ist anders, wummernd
beschleunigt man aus den Radien,
mit grunzenden Zwischengasstössen
bremst man die Kurven an. Zügig durch
die Kurvenkombinationen wedeln
kann man mit jedem Töff, doch keiner tönt dazu so cool wie die XR1200.
Die Soundkulisse ist über den Gasgriff
schön regulierbar, bei geschlossenem
Gasgriff ist die Beschallung sehr diskret
– falls das jemanden interessiert. ■
06.11.2009 16:16:35