mv agusta 990 r und 1090 rr

Transcription

mv agusta 990 r und 1090 rr
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TECHNIK
MV AGUSTA 990 R UND 1090 RR
1
Fahrbericht Dass eine
MV Agusta Brutale
nichts für Softies ist,
sagt schon der Name.
Die Neue ist aber
längst nicht mehr
so radikal und mit
Antischlupfregelung
einfacher zu bändigen.
Text: Tobias Kloetzli
Bilder: Milagro
2
V
or einem Jahr war bei MV
Agusta der Ofen aus. In Varese (I) wurde die Produktion
gestoppt, die italienische Traditionsmarke stand vor dem erneuten Aus
(siehe Kasten Seite 7). Doch dann kam
Harley-Davidson, kaufte die Firma,
hauchte ihr neues Leben ein, stellte
einen aussichtsreichen Fünfjahresplan
mit jährlich zwei neuen Modellen auf,
darunter der 675er-Dreizylinder. Inzwischen wollen die Amerikaner MV
jedoch bereits wieder verkaufen.
Den F4-Supersportler wie auch die
nackte Brutale positionierten die Italiener einst als extravagante, radikale
Highend-Produkte, sie wurden auf
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dem Markt auch gleich als edle Kultobjekte wahrgenommen. Ein derart
ruhmreiches Modell neu aufzulegen,
ist heikel und kann leicht in die Hose
gehen. Ducati hat dies mit der 999
einst tragisch bewiesen, mit der neuen
Monster aber auch gleich selbst gezeigt, wie eine Neuauflage funktionieren kann, wenn man der Linie treu
bleibt. Bei Harley-Davidson hat man
sowieso den Riecher, Kultobjekte sanft
und erfolgreich aufzufrischen.
Keine brutale Tour
Die fast zehnjährige MV Agusta Brutale ist das erste Modell, das in der
neuen Ära unter den Yankees einen
Relaunch erfährt. Obwohl 85 Prozent
aller Teile neu sind, ist in der als 990 R
und edlere 1090 RR erhältlichen Brutale nach wie vor auf den ersten Blick
Tamburinis Handschrift zu erkennen:
Der Rundscheinwerfer in Tropfenform,
der Gitterrohrrahmen, die DoppelrohrAuspuffanlage, die Tank- beziehungsweise Heckverkleidung oder auch die
Schwinge sind neu, aber in derselben
Formensprache gezeichnet. Mit dem
LED-Zierstreifen in der Scheinwerfereinheit, dem LED-Rücklicht, den in den
Spiegeln integrierten LED-Blinkern
oder der übersichtlichen, reichhaltigeren Infozentrale flossen aktuelle
Komponenten ins Design ein.
1 1090 RR ist die Edelversion, an der
nur die feinsten Komponenten aus der
Racing-Abteilung verbaut wurden.
2 Hoher Standard: Auch die Brutale
990 R lässt nichts vermissen.
3 Die neue, längere Einarmschwinge
wird durch ein Sturzpad geschützt.
4 Der kompakte Vierzylinder wurde
überarbeitet, an diversen Stellen
erleichtert, erhielt eine Ausgleichswelle und ein cleveres Motormanagement.
Kultivierter Motor
Der einst raue, fast ungehobelte
Sportmotor wurde kultiviert, in der
Leistungsentfaltung entschärft und in
beiden Modellen mit einer Ausgleichswelle bestückt. Die Standardversion
Brutale 990 R erfuhr gegenüber dem
Vorgängermodell 989 R eine Hubraumerweiterung um 16 auf 998 cm3,
ist mit 5 mm mehr Hub nicht mehr
ganz so kurzhubig ausgelegt, leistet
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Gebändigte
Bestie
TECHNISCHE DATEN
MV AGUSTA 990 R (1090 RR)
Motor Flüssigkeitsgekühlter Reihenvierzylinder. Zwei oben liegende, kettengetriebene Nockenwellen, Tassenstössel, je
4 radial angeordnete Ventile pro Zylinder.
Motormanagement von Magneti Marelli
mit elektronisch geregelter MehrpunktBenzineinspritzung von Mikuni. Digitale
Zündung. Nasssumpfschmierung mit
Ölkühler. 4-1-2-Auspuffanlage mit integrierter Drosselklappe und geregeltem
3-Wege-Katalysator. E-Starter.
Bohrung×Hub
76 × 55 (79 × 55) mm
Gesamthubraum
998 (1078) cm3
Drosselklappen-ø
46 mm
Verdichtungsverhältnis
13,0 : 1
Leistungsdaten laut Werk
max. Leistung 139 (144) PS; 102 (106) kW
bei
10 600/min
max. Drehm. 10,6 (11,5) mkg; 106 (115) Nm
bei
8000/min
Kraftübertragung Gerade verzahnter
Primärtrieb. Hydraulisch betätigte
Mehrscheibenkupplung im Ölbad (mit
mechanischem Anti-Hopping-System).
6-Gang-Kassettengetriebe. Links liegende
Dichtringkette.
Fahrwerk Gitterrohrrahmen aus Chrom/
Molybdän, verschraubt mit Alu-Gussteilen im Schwingenlagerungsbereich,
angeschraubtes Stahlrohr-Rahmenheck.
Vorn voll einstellbare Upside-downTelegabel von Marzocchi. Hinten AluEinarmschwinge. Über Umlenkhebel
progressiv angelenktes, in Federbasis
und Einwärtsdämpfung einstellbares (voll
einstellbares) Zentralfederbein von Sachs.
(Lenkungsdämpfer.)
Gabelinnenrohr-ø
50 mm
Federweg vorn
130 mm
hinten
120 mm
Räder
Alu-Gussräder (geschmiedete
Leichtmetallräder). Radialreifen Pirelli
Diablo Rosso (Dunlop Sportmax Qualifier
II).
Felgendimension vorn
MT 3.50 × 17"
hinten
MT 6.00 × 17"
Reifendimension vorn
120/70 ZR 17"
hinten
190/55 ZR 17"
Bremsen Brembo. Vorn zwei schwimmend
gelagerte Stahlscheiben mit (Monobloc-)
Vierkolbenzangen. Hinten fix montierte
Stahlscheibe mit Vierkolbenzange.
Bremsscheiben-ø vorn
310 (320) mm
hinten
210 mm
Abmessungen und Gewichte
Radstand
1435 mm
Lenkkopfwinkel
65°
Nachlauf
103,5 mm
Sitzhöhe
830 mm
Tankinhalt / dav. Reserve
23 l / k.A.
Gewicht ohne Benzin
190 kg
Gewicht fahrfertig vollgetankt
k.A.
Preis
Fr. 22 190.– (Fr. 27 190.—)
inkl. MwSt. und NK. in Rot oder Schwarz
(Rot/Silber oder Schwarz/Weiss) ab
November lieferbar.
CH-Import, Info
Cagiva Motor Suisse SA, Riva Paradiso 26
6900 Lugano, Tel. 091 985 11 70
➥ www.mvagusta.ch
3
mit 139 PS rund 2 PS weniger, hat
aber leicht Drehmoment zugelegt. Die
1090 RR besitzt eine 5 mm grössere
Bohrung als die 990 R, hat mit 1078
cm3 aber dasselbe Hub-BohrungsVerhältnis wie ihre Vorgängerin, die
1078 RR (Vergleich in MSS 10/2009).
Neu wurde der Vierzylinder zugunsten
besserer Laufkultur und Fahrbarkeit
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bei nahezu identischem Drehmoment
um 10 PS auf 144 Pferde eingebremst,
leistet also «nur» noch 5 PS beziehungsweise 11 Nm mehr als die 990 R.
Das aufwendige Motormanagement bietet nun ein separat anwählbares Regen-Mapping mit zahmerer
Leistungsentfaltung sowie in beiden
Versionen eine Antischlupfregelung
für unbeschwertes Abdrücken am Kurvenausgang. Anhand des eingelegten
Ganges, der Geschwindigkeit und des
Tempos des Drehzahlanstiegs erkennt
die Elektronik, wenn das Hinterrad
durchdreht, und nimmt dann über
die Verzögerung des Zündzeitpunkts
und wenn nötig über die Reduktion
der Benzineinspritzmenge die Leistung
zurück. Wie viel Schlupf sie zulassen
soll, kann bei stehendem Motorrad
über die Infozentrale gewählt werden.
Wie bei der Ducati Streetfighter – die
ebenfalls auf ein Motormanagement
von Magneti Marelli vertraut – stehen
dafür acht Stufen zur Auswahl.
Sitzposition: Neue Freiheit
Von der Kompromisslosigkeit verabschiedete man sich nicht nur beim
Motorcharakter, sondern auch beim
Fahrkomfort. Bisher positionierte
sich der Brutale-Fahrer auf der kurzen
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TECHNIK
➥ MV AGUSTA 990 R UND 1090 RR
Sitzfläche hinter dem schmalen Tank,
fand unter der breiten Tankoberkante
mit den Knien perfekten Halt und war
eingeklickt, fast wie in einer Skibindung. Bewegungsfreiheit gabs kaum.
Die extreme Sitzposition passte gut,
vorausgesetzt, man war rund 175
cm gross; ansonsten wurde es
schnell mühsam und unbequem.
Auf dem Soziusplatz wurde hohe
Leidensfähigkeit vorausgesetzt. Die
neue Brutale selektioniert
nicht mehr so gnadenlos,
bietet trotz 3 l mehr Tankvolumen ein grosszügigeres
Platzangebot, mehr Bewegungsfreiheit und richtet sich nun an Fahrer
unterschiedlichster
Statur. Selbst Passagieren wird eine fast
schon komfortable Sitzposition
mit moderatem Kniewinkel
gewährt.
Das Fahrwerk der Brutale wurde verfeinert und
auf einfache Fahrbarkeit getrimmt. Der
Lenkkopfwinkel ist
jetzt 0,5 Grad flacher,
der Radstand um 28
mm und der Nachlauf um 2 mm grösser.
Dazu wurden sowohl
die Gussräder der 990
als auch die Schmiederäder der 1090 um
insgesamt rund 1 kg erleichtert und die Einarmschwinge trotz Verlängerung
um 1 kg abgespeckt.
1 990 R: Alles neu dank sanftem Redesign, aber dennoch sofort als
Brutale zu erkennen.
2 Neues Cockpit mit grosszügiger LCD-Anzeige und analogem Drehzahlmesser mit integrierter Ganganzeige. An der oberen Gabelbrücke
der 1090 RR sitzt zentral der verstellbare Lenkungsdämpfer.
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Alles viel humaner
So ähnlich die Brutale ihrer Vorgängerin auch sieht, fällt die neue Ausrichtung bereits beim Aufsitzen auf: Man
wird nicht mehr in eine Sitzposition
gedrängt, sondern geniesst deutlich
mehr Spielraum. Das Cockpit mit analogem Drehzahlmesser und digitaler
Infozentrale verfügt über eine bei Drehmomentriesen besonders nützliche
Ganganzeige. Der Motor faucht nicht
mehr derart angriffig und ungehobelt.
Besonders im unteren Drehzahlbereich dringen dank Ausgleichswelle
und Gummilagerung vom Lenker und
den Fussrasten kaum mehr Vibrationen zum Fahrer durch.
Bereits die «kleine» Brutale geht gewaltig ab. Sie schöpft ihre Kraft auch
aus immerhin einem Liter Hubraum
und lässt Leistung nie vermissen. Sie
spricht sehr direkt und recht hart an.
Besonders bei hohen Drehzahlen ist
deshalb eine präzise Gashand gefragt.
Dank sattem Drehmoment kann die
990 aber auch sehr schaltfaul gefahren
werden. Sie glänzt mit einer ausgesprochen linearen, gut dosierbaren
Leistungsentfaltung. Das überarbeitete Getriebe ist längst nicht mehr so
knorrig zu schalten wie bisher.
Die grosse Schwester 1090 RR spielt
mit ihrer Mehrleistung zwar noch in
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derselben Liga, berauscht mit ihrem
Drehmomentplus aber gewaltig. Mit
ihrem satten Durchzug kann sie noch
schaltfauler gefahren werden, das harte
Ansprechverhalten des Motors fällt
weniger ins Gewicht.
Obwohl beide Brutale mit trocken
190 kg rund 5 kg mehr auf die Wage
bringen als ihre Vorgängerinnen und
auch die Geometrie entschärft wurde,
blieb das Handling spielerisch. Problemlos lassen sie sich abwinkeln und
reagieren auf kleinste Korrekturen. Das
Fahrwerk beider Brutale spricht fein an,
sorgt für viel Vertrauen und ein klares
Feedback. Die Kurvenlage der 990 R
ist mit weicher abgestimmtem Fahrwerk und den Pirelli-Reifen auf der
Rennstrecke eine Spur kippeliger
und in schnellen Passagen nervöser.
Die 1090 RR zieht mit ihren DunlopGummis, dem edlen Dämpfer und der
strafferen Fahrwerksabstimmung einen sauberen Strich, sorgt für satteren
Bodenkontakt und zusätzliches Vertrauen. An ihr ist ausserdem ein Lenkungsdämpfer verbaut, den wir auf der
990 R aber nie vermisst haben. Hobbyrennfahrer werden zudem die einstellbare Fussrastenanlage zu schätzen
wissen. Die radialen Brembo-Bremsen
beider Modelle verfügen über einen
AUF EINEN BLICK
MV BRUTALE 990 R / 1090 RR
In der Stadt
Auf grosser Tour
Sportlich fahren
Zu zweit unterwegs
Emotionen
2
★★★★★
★★★★★
★★★★★
★★★★★
★★★★★
Tobias Kloetzli,
PS-Junkie
Fazit
Die neue Brutale hat Manieren
angenommen, ist nicht mehr radikal,
kompromisslos und rau, lässt sich
dafür aber unbeschwerter fahren und
ist auch Personen abseits der bisherigen MV-Normgrösse zugänglich.
Die gutmütigere 990 R ist für den
Alltagsgebrauch die ideale Wahl. Die
22 000 Franken lassen sich neben
dem Kultstatus und dem einzigartigen Design auch durch die Antischlupfregelung rechtfertigen.
Die extremere, radikalere Schwester
1090 RR ist klar die Edelpackung für
Feinschmecker und Rennstreckenbegeisterte, ihr Drehmomentplus ist ein
weiteres Zückerchen.
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satten Druckpunkt, verzögern massiv und gut dosierbar. Die MonoblocZangen der 1090 verbeissen sich in den
10 mm grösseren Bremsscheiben aber
nochmals eine Spur aggressiver und
verlangen nur wenig Handkraft.
Vollgas aus der Kurve
Die Traktionskontrolle – das aktuellste Wunder der Technik –
hat auch in der MV Brutale
Eingang gefunden. Auf der
GP-Piste von Misano (I),
wo die neue MV präsentiert
wurde, konnten wir uns von
ihren Vorteilen überzeugen:
In der langgezogenen Variante
del Paco kann nun hemmungslos
früh voll am Kabel gezogen werden.
Die sanfte Gasdosierung erübrigt sich,
denn die Elektronik übernimmt diesen
Part. Ihr Eingriff ist nur durch einen
etwas raueren Motorlauf und einen
veränderten Ton zu erkennen. Die Leistungsreduktion passt hervorragend,
um unbeschwert mit dem Hinterreifen schwarze Linien zu zeichnen und
«Es war schwierig
ein noch besseres
Motorrad zu bauen!»
Claudio Castiglioni, MV Vorsitzender
mit bisher unerreicht hohem Tempo
auf die nächste Kurve zuzuschiessen
– Halleluja! Eine Reifen mordende, aber
effiziente und extrem faszinierende
Operation!
Auch auf den schmierigen Strassen
im Umfeld der Piste leistete uns die
Traktionskontrolle beim Beschleunigen beste Dienste. Einzig bei ganz langsamen Tempi zeigten sich die Grenzen
der Technik: Bei zaghaftem Beschleunigen über einen schmierigen Abschnitt
in einer Kurve konnte das Hinterrad
durch die Leistungsdrosselung alleine
auch nicht mehr eingefangen werden,
da half nur noch der Reflex des Piloten
bei der Unfallverhütung. Die Traktionskontrolle ist auf der Rennstrecke
wie auf offener Strasse eine Sensation.
Obwohl auch im Alltag ein riesiges
Sicherheitsplus, sollte man sich nicht
in falscher Sicherheit wiegen.
4
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Preiswerter Edelfighter
MV spricht mit der Neuauflage der
Brutale ein breiteres Publikum an,
ohne der bisherigen Kundschaft den
Rücken zuzukehren. Optisch setzte
man auf das bewährte Erscheinungsbild, um an den bisherigen Erfolg
anzuknüpfen. Die neue Brutale ist aber
nicht mehr Furcht einflössend, sondern vielmehr vertrauenerweckend.
Der Wohlfühlfaktor wurde klar erhöht.
Bereits die 990 R ist bestens ausgestattet und verfügt über einen begeisternden, kraftvollen, faszinierenden
Motor mit einem fantastischen Schub
ab niedrigsten Drehzahlen.
Die 1090 RR setzt punkto Drehmoment noch eins obendrauf. Auch
sie ist nicht mehr so radikal wie ihre
Vorgängerin, fürs heftigere Angasen
aber optimal vorbereitet. Kunden, die
regelmässig auf der Rennstrecke unterwegs sind oder denen ganz einfach
nur das Beste gut genug ist, erhalten
für die zusätzlichen 5000 Franken einen hohen Gegenwert. Für sie ist die
in Zweifarbenlackierung erhältliche
Edelversion der Brutale bestimmt die
richtige Wahl. Alle anderen können
sich den Aufpreis sparen und werden
mit der 990 R bestens bedient. Dank
der gutmütigeren Bremse dürften sie
im Alltag sogar noch glücklicher werden. Ein ausgereifter, edler, nackter
Italo-Fighter mit Traktionskontrolle
bereits für 22 000 Franken ist zudem
sogar ein ausgesprochen interessantes
Angebot, das MV zusätzlich wieder
auf die Sprünge helfen dürfte – eine
absolut geglückte Neuauflage.
■
Turbulenzen
Die Motorradmarke MV Agusta
(Meccanica Veghera Agusta) hatte sich
1945 vom Flugzeughersteller Agusta
abgesplittert, wurde immer erfolgreicher und fuhr in den 60er-Jahren
unter Legenden wie Mike Hailwood
oder Giacomo Agostini unzählige
Weltmeistertitel ein. 1980 musste
die Produktion aufgrund finanzieller
Probleme eingestellt werden. Die
Cagiva Group unter Claudio Castiglioni,
zu welcher bereits Ducati gehörte,
kaufte Anfang der 90er-Jahre die Namensrechte. Massimo Tamburini war
daran, für Cagiva ein VierzylinderSuperbike zu entwickeln. Doch Cagiva
geriet in finanzielle Schwierigkeiten,
musste Ducati 1996 an TPG (Texas
Pacific Group) verkaufen und stellte
Tamburinis Vierzylinder 1997 als MV
Agusta F4 Prototyp vor. 1999 kam
die F4 auf den Markt, 2001 folgte ihr
die Brutale, welche seither mehr als
15 000-mal verkauft wurde.
2008 stand MV finanziell vor dem
Abgrund, von Zulieferern gabs keine
Teile mehr, und die Produktion stand
still. Kurz vor dem Konkurs kaufte
Harley-Davidson im Sommer 2008
für 70 Millionen Euro die Marke und
damit das Werk in Varese (I), das die
Amerikaner genau 30 Jahre zuvor mit
Aermacchi an Cagiva verkauft hatten.
Pläne für neue Motorräder gibts bei
MV schon lange, doch das Geld für
ihre Verwirklichung fehlte. Nun war
zinsfrei Geld von H.-D. vorhanden,
die Zulieferer konnten bezahlt werden, der Geldfluss lief koordiniert. Die
Palette sollte massiv erweitert werden. An der Messe Mailand, so lauteten bis vor Kurzem die Pläne, sollte
eine neue F4 mit 1000er-Vierzylinder
und 2010 der 675er-Dreizylindermotor für die F3 und die kleine Brutale
vorgestellt werden, man wollte auch
wieder in die WM eingreifen.
Robert Käser, Geschäftsführer der
Cagiva Motor Suisse SA, meinte noch
vor Kurzem: «2008 hatte ich im März
über 100 Maschinen verkauft, aber
nur 28 bekommen! Insgesamt konnte
nur 50 % der Nachfrage gedeckt
werden. Mit Harley-Davidson haben
wir Motorräder, ein interessantes
Zubehörprogramm, und die Ersatzteilversorgung funktioniert.»
Doch nun der Schock: H.-D. will jetzt
MV Agusta verkaufen. Die Zukunft von
MV ist erneut ungewiss. Käser enttäuscht: «Jetzt sind wir schon wieder
gleich weit!» Mit Piaggio und Tata
laufen erste Verkaufsgespräche. tk
23.10.2009 12:53:15