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bolero style im fokus claudia müller Natürlich gestiefelt in die Zukunft Die Winterschuhe des Schweizer Herstellers Kandahar gibt es seit 76 Jahren. Mit ihrer Vintage-Kollektion «Celebrity» überzeugen sie aber nicht nur Nostalgiker. In den fünfziger und sechziger Jahren wärmten Stars wie Audrey Hepburn, Herbert von Karajan und Charlie Chaplin ihre Füsse mit den Schuhen von Kandahar. Vierzig Jahre später sind die Schuhe aus dem Schweizer Traditionshaus wieder in Mode. «Die Unzufriedenheit mit den heutigen Billigprodukten und der Wunsch nach etwas Edlem oder Extravagantem sowie die Retro-Welle in der Mode haben dazu beigetragen, dass unsere Vintage-Kollektion so gut bei den Kunden ankommt», sagt Dieter von Allmen, Patron und Unternehmer in zweiter Generation. Doch die Erfolgsgeschichte von Kandahar beginnt viel früher. Der Vater des heutigen Inhabers, Fritz von Allmen, hatte schon als Kind erkannt, was für Schuhwerk Bergbegeisterte brauchen. Als Skirennfahrer und -lehrer im Bergdorf Mürren im Berner Oberland wusste er genau, wie ein Winterschuh daherkommen sollte: bequem, wasserdicht und so ausgestattet, dass er die Füsse auch bei extrem tiefen Temperaturen warm hält. Der Gründer des Unternehmens leistete mit seinen handgemachten Lederskischuhen, später den Aprèsskischuhen , Pionierarbeit. Doch betrübt schrieb er damals in sein Tagebuch: «Diese Berglandwirtschaft mit ihrer unproduktiven Arbeitszeit». Damit meinte er die Monate zwischen Frühsommer und Herbst, in denen er kein Geschäft machte. Also begann er, seine Skischuhe in der ganzen Schweiz anzubieten. Bereits in den dreissiger Jahren konnte er die erste Serienproduktion aufnehmen. Dieter von Allmen hat die Liebe zum Handwerk von seinem Vater geerbt. Auch heute noch werden die Kandahar-Schuhe in mehr als 100 Arbeitsschritten angefertigt, damit sie den hohen Ansprüchen gerecht werden. Das Lammleder wird an den Rändern ent- 46 bolero | winter 09/10 | «Der Wunsch nach etwas Edlem»: Schuhproduzent Dieter von Allmen, Modelle aus der aktuellen Kandahar-Kollektion. haart und aufgeraut, damit der geklebte Schuh hält. Auf wasserfeste Kunststoffe wie Goretex wird verzichtet, da diese giftigen Abfall produzieren. Die Isolationsschicht in der Sohle besteht aus Kork, die Fütterung aus Lammfell. Das Oberleder – meist Wildleder, Kuh- oder Rossfell – ist wasserabweisend und sorgt für trockene Füsse. Auch Seehundfell wird für die Produktion der Schuhe eingesetzt. Das bringt laut Dieter von Allmen keine Probleme mit Tierschützern, sorge aber für Diskussionen. Zu Unrecht, so der Patron. «Wir brauchen sehr wenige Seehundfelle für die Schuhmanufaktur und diese kommen von den Inuit, welche die Seehunde jagen, um ihr Fleisch zu essen.» Vielleicht sind es diese exklusiven Rohstoffe, gepaart mit dem angesagten Design, die das Unternehmen krisenresistent gemacht haben. Im vergangenen Winter hat das Traditionshaus 25 Prozent mehr Schuhe verkauft. Das hat sicherlich auch mit dem strengen Winter zu tun. Doch vor allem die Kollektion «Celebrity» im Vintage-Stil trifft den Nerv der Zeit. Die Schnürstiefel kommen in Pink, Violett und mit Animal-Prints daher. Das Modell «Palace» mit seiner farbigen Zierpaspel nimmt den Ethno-Look auf und erinnert an peruanische Trachten. Kandahar gilt nicht nur wegen des Namens als Exot in der Schuhbranche. Während andere die Produktion ins Ausland verlegt haben, produziert das Unternehmen immer noch in der Schweiz. Verkauft werden die Produkte aber auch in Skandinavien, Russland, Frankreich, Österreich oder Deutschland. In den USA ist die Marke nicht mehr präsent – die Nachfrage ist nach dem 11. September 2001 eingebrochen. Zu oft musste sich die Firma rechtfertigen, dass sie denselben Namen wie jene Gegend trägt, die als Taliban-Hochburg gilt. Die Wirtschaftskrise kommt dem Unternehmen dafür zugute. In schlechten Zeiten setzten die Menschen wieder auf Qualität statt auf Quantität. Und so weicht für einmal < Hightech den Naturmaterialien. Woher kommt der aussergewöhnliche Name? Kandahar – ein Name, den man mit Wüsten und extremen Temperaturen assoziiert, aber nicht unbedingt mit einer Schweizer Schuhmanufaktur. Doch es gibt eine Verbindung. Der Brite Frederick Sleigh Roberts hatte 1880 am Fusse des Kandaharmassivs die afghanischen Rebellen besiegt und erhielt dafür den Titel «Earl of Kandahar». 1911 stiftete Lord Roberts in CransMontana den «Roberts of Kandahar Challenge Cup». Der englische Skiclub in Mürren wurde zu Ehren des verstorbenen Roberts auf den Namen Kandahar getauft. Dieser Club war so begeistert von Fritz von Allmens Schuhwerk, dass sie dem Gründer des Schweizer Schuhunternehmens anboten, den Namen zu übernehmen.