Akute Notfälle: Ertrinken
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Akute Notfälle: Ertrinken
Klinische Umweltmedizin „WASSER/KÄLTE“: Ertrinken, Unterkühlung, Erfrierungen Mairie de Paris 1740: „Décret concernant les personnes noyées, et qui, ne l‘étant pas peuvent recevoir des sécours pour être rappelés à la vie.“ Lernziele: Ertrinken • Begriffsbestimmung: (Beinahe)-Ertrinken • Epidemiologie des (Beinahe)-Ertrinkens • Pathophysiologische Grundlagen: Aspiration, Hypoxie, Hypothermie • Therapeutische Grundsätze: Sauerstoff, Beatmung, Hirndrucksenkung • Bedeutung der Prävention Definitionen Ertrinken / Beinahe-Ertrinken Immersion Submersion Eintauchen des Körpers ohne Kopf Eintauchen des Körpers und des Kopfes Ertrinken Submersion mit Todesfolge BeinaheErtrinken mindestens 24-Stunden Überleben nach Submersion Nasses Ertrinken Ertrinken mit Nachweis einer Flüssigkeitsaspiration Trockenes Ertrinken Ertrinken ohne Nachweis einer stattgehabten Aspiration Nasses Ertrinken ohne Immersion! Ertrinken 2001 - 2003 / Vergleichszahlen 644 598 520 2001 2002 2003 Wann? (Jahres)zeitliche Verteilung Ertrinken 2003 - Monate 133 107 96 62 48 39 33 28 r ua n Ja ar ru b Fe il pr A 26 M ai ni Ju li Ju t us g u A r be m e pt e S 25 O er ob t k 23 r be m e ov N 24 r be m e ez D Süd-West Presse Ulm M n H B re m en er lin ra nd en bu rg B ay er am bu ec rg kl en H bu es rg se -V n or po m m N er ie n de N r s or ac dr hs he en in -W es tfa R le he n in la nd -P fa lz Sa ar la nd Sa ch Sa se ch n se nSc An hl es ha w lt ig -H ol st ei n B B Wo? Ertrinken 2003 - Bundesländer 122 109 73 71 37 45 2 43 39 23 26 13 15 7 2 17 an al /H af en ar te nt e 12 an de re en /P oo l /be ck ic h ee r 26 K G M Se en Wo? Ertrinken 2003 - Orte 252 231 53 23 36 11 Wer? Geschlechts- und Altersverteilung Ertrinken 2003 - Geschlecht 3 140 501 männlich weiblich unbekannt Wer? Geschlechts- und Altersverteilung Ertrinken 2003 - Geschlecht Ertrinken 2003 - Alter 55 3 52 140 46 männlich 501 44 43 42 42 weiblich 40 38 42 unbekannt 34 35 34 32 18 15 11 11 8 2 5 0- 10 6- 5 -1 1 1 0 -2 6 1 5 -2 1 2 0 -3 6 2 5 -3 1 3 0 -4 6 3 5 -4 1 4 0 -5 6 4 5 -5 1 5 0 -6 6 5 5 -6 1 6 0 -7 6 6 5 -7 1 7 0 -8 6 7 5 -8 1 8 r t 0 eh -9 nn 6 a m 8 k end u b 91 un Warum? Personenbedingte Faktoren Sonstiges 13,5 % Überanstrengung, Entkräftung 13,5 % Angst, Panik 11,5 % Alkohol 17,3 % Herz-, Kreislaufschwäche 44,2 % Beinahe-Ertrinken: Ablauf Modell, NEJM 1993;328:253 Beinahe-Ertrinken: Ablauf • zunächst: Untertauchen in Flüssigkeit • bewußtes Atemanhalten, dadurch: • CO2-Anstieg, O2-Mangel, • maximaler Atemreiz ⇒ • unwillkürliche Atemversuche, dabei: • Aspiration kleiner Flüssigkeitsmengen Modell, NEJM 1993;328:253 • reflektorisches Atemanhalten und Laryngospasmus • fortschreitende Hypoxie und Hypercapnie • Bewußtseinsverlust , unwillkürliche Inspiration • Aspiration von Flüssigkeit (in ca. 15 % der Fälle keine Aspiration: ‘trockenes Ertrinken’) • schwerste Hypoxie, Entgleisung des Stoffwechsels • Kreislaufzusammenbruch, Herzstillstand Alkan ML et. al. (7 cases) Near drowning in the dead sea. Israel J Med Sci 1977;13:290-294 Yagil Y, et. Al. (8 cases) Near drowning in the dead sea. Electrolyte imbalances and therapeutic Implications. Arch Intern Med 1985:145:50-53 Ertrinken - Süßwasser Süßwasser (hypoton zum Blut) Hypoxie durch verminderte Gasaustauschfläche: Alveole Lungenkapillare Nach: Ruiz BC, et al. Anesth Analg 1973;52:570 • Einstrom von Flüssigkeit aus der Alveole nach intravasal • Verlust von Gasaustauschfläche durch Alveolarkollaps und Surfactant-Auswaschung • Atelektasenbildung, erhöhter rechts-links-Shunt • maximaler Sauerstoffmangel • Kammerflimmern, Tod Ertrinken - Salzwasser Salzwasser Alveole (hyperton zum Blut) Hypoxie durch verminderte Gasaustauschfläche: • Ausbildung eines intra-alveolären Lungenödem Lungenödems • zunehmend Verlust von Blu Gasaustauschfläche tplasma • Rechts-links-Shunt ↑↑ • maximaler Lungenkapillare Sauerstoffmangel Nach: Modell JH, et al. Anesthesiology. 1974;40:376 • Kammerflimmern, Tod Beinahe-Ertrinken - klinischer Widerspruch Bei Eintreffen in der Klinik werden Elektrolytentgleisungen und nennenswerte Hämolyse so gut wie nie beobachtet, eine Hypoxie jedoch regelhaft, häufig in extremer Ausprägung. Grund: klassischer tierexperimenteller Ansatz und reales Unfallgeschehen stimmen nicht überein! Beinahe-Ertrinken - klinischer Widerspruch - Klassisches Tierexperiment: Tierlungen wurden maximal mit Süß- bzw. Salzwasser befüllt, dann die entstehenden Veränderungen beobachtet (Swann et al 1947 und 1951) Reales Unfallgeschehen: aspirierte Flüssigkeitsmengen sind meist relativ gering, daher nicht alle Alveolarabschnitte betroffen. Sauerstoff Beatmungsbeutel Ideal: mit PEEP – Ventil! Beinahe-Ertrinken - Therapie - Beinahe-Ertrinken - Mythen Aber: Unwahr: Absaugen der Atemwege Wasser kann / muss aus der Lunge entfernt werden kann notwendig sein (Schaumpilz, Aspiration, Sekret, etc.) Beinahe-Ertrinken nach Sprung oder Sturz ins Wasser? An Wirbelsäulenverletzungen (insbesondere HWS) denken! Stiff-Neck, Vakuummatratze, vorsichtiges Reklinieren des Kopfes, etc. Beinahe-Ertrinken - Therapie • • • • • • • Schnellstmöglich Retten Überprüfen der Vitalfunktionen Sauerstoffgabe (möglichst FiO2 1,0) großzügige Intubationsindikation Beatmung mit PEEP (5 – 10 cm H2O) wenn nötig: CPR / ACL sobald möglich: venöser Zugang, SaO2- und EKG-Monitoring, evtl. Magensonde • tympanale Temperatur, weitere Auskühlung verhindern • HWS-Protektion bei traumatischem Unfallhergang • Ggf. Hirndruck-Sonde Beinahe-Ertrinken Cave! In jedem Fall Transport ins Krankenhaus, Intensivüberwachung für mind. 24 h / ggf. Intensivtherapie, auch dann, wenn Situation initial unkritisch wirkt, bzw. subjektiv Wohlbefinden geäußert wird! Beinahe-Ertrinken Kriterien für eine gute Prognose bei Aufnahme • • • • Kein Bewusstseinsverlust Unterwasserliegedauer < 5 Minuten Alter > 3 Jahre und < 40 Jahre Spontankreislauf (ROSC) nach < 10-minütiger Reanimation • pH > 7.1 • fehlende Hyperkaliämie (K+ < 7,5 mmol/l) Schlußfolgerungen: Ertrinken ist .... • ein notfallmedizinisches Problem " 3.-häufigste nicht-natürliche Todesursache " Opfer sind „jung und gesund“ oder Kinder • Prävention ist der wichtigste Schutz Algorithmus Beinaheertrinken Initiale Einschätzung der Situation aus:Bartmann / Muth Notfallmanager Tauchunfall Ecomed 2000 Patient bei Bewußtsein? Nein Ja unauffällige Atmung, adäquate Ventilation? Intubation, Beatmung, FiO2 möglichst hoch Nein Ja Verdacht auf Aspiration? Ja Ja Nein Nein Einweisung ins Krankenhaus zur weiteren Überwachung Kreislaufinstabil? Kreislaufstillstand? Einweisung Intensivstation zur Intensivüberwachung/ -therapie Einweisung Intensivstation zur Intensivüberwachung/ -therapie erweiterte ReanimationsMaßnahmen, Intensivtherapie, ggf. Maßnahmen zur Wiedererwärmung John Hunter 1776: „ Cold weakens the living principle and only warmth is able to put these powers into action.“ Robert Falcon Scott 1912: „Oates is feeling the cold and fatigue more than most of us.“ Lernziele: Hypothermie • Begriffsbestimmung: Hypothermie vs. Erfrierung • Pathophysologische Grundlagen: Kern-, Indifferenztemperatur, Strahlung, Verdunstung, Konvektion, Konduktion, Hypothermiestadien • Therapeutische Grundsätze: Externe, interne Erwärmug, Afterfall, Afterdrop • Leitsatz: „No one is dead until warm and dead“ Unterkühlung, Wasser, Ertrinken 56/120 16/120 Pathophysiologie Pathophysiologie Pathophysiologie Körperindifferenztemperaturen Pathophysiologie 33 41 Pathophysiologie 27 20 43 Hypothermie: Ursachen Hypothermie Unterkühlung: Pathophysiologie Verdunstung Strahlung Konvektion Konduktion Unterkühlung: Pathophysiologie Verdunstung Strahlung Konvektion Konduktion Cooling rates for different protective systems at constant water temperature Prognostische Faktoren bei hypothermen Patienten • Positive Prognose – Intakter Kreislauf/Kammerflimmern – Schnelles Abkühlen – Externe Erwärmung – Narkotisierende Subst./Alkohol während des Abkühlens • Negative Prognose – – – – Asphyxie (K>mmol/l; pH<7) Hohes Alter Langsames Abkühlen Asystolie Stadien der Hypothermie 35°C Milde Hypothermie 35-33°C Abwehr- oder Erregungsstadium Kältezittern, Hyperventilation Tachykardie, Desorientiertheit 32°C Moderate Hypothermie 32-27°C Erschöpfungsstadium Kein Kältezittern, Apathie, Stupor, Hypoventilation, Bradykardie, Mydriasis, Reflexverminderung, Hypoglykämie 27°C Schwere Hypothermie <27°C 13°C Lähmungsstadium Tiefe Bewusstlosigkeit Fehlen der Schutzreflexe, Hypotension Kammerflimmern, EMD, Asystolie Keine Vitalfunktionen Zeit Besonderheiten der Reanimation bei Hypothermie • Reanimationsmaßnahmen fortsetzen bis Kerntemperatur > 35 °C, d.h. bis Eintreffen in der Klinik • Bei Kerntemperatur < 32- 34 °C max. 3 Defibrillationsversuche • Adrenalin, Atropin zurückhaltend verwenden Tympanic membrane: - Close to ICA - good reflection of core temp - minimal lag time - easy access Rectal: - Prolonged lag time - stool - No direct access Caution ! Not reliable in drowning victims! Achtung! Bei BeinaheErtrinken und/oder Unterkühlung im Wasser kann es beim Retten in Abhängigkeit von der gewählten Technik zum Kreislaufversagen kommen: „Bergetod“ Rescue (shock) Unterkühlung: Komplikationen der Therapie Körpereigene Isolation, solange Schalenblut nicht mit Kernblut durch große Bewegungen vermischt wird (Afterdrop) Warmer Kern Kalte Schale ⇒ Behandeln wie ein rohes Ei Wiedererwärmung: heisses Bad Erstmaßnahmen in kalter Umgebung Intubation ¾ 0° Grad – Tubus unhandlich steif ¾ -5° Grad – Metallspatel frieren an der Zunge fest, Einstellen des Kehlkopfeinganges unmöglich! ¾ Helligkeitsunterschiede zwischen Gelände und Rachen (Schneereflektion!) Infusionslösungen ¾ Infusionslösungen gefrieren am schnellsten am Venülenansatz oder im Schlauch ¾ Gelatine gefriert bei +5 bis +6°C, Ringer-Lactat oder NaCl 0,9% bei –2 bis 3°C, HAES 200 10% bei –8 bis -10°C Keine Venenpunktion möglich – V.jugularis ext. – 2 Hub Nitro auf die Punktionsstelle, 1 min warm halten und dann punktieren ¾ Unterkühlung: Wiedererwärmung • Externe Verfahren: warme Tücher Heizmatten William Broodie 1811, 1000 Patienten: Strahler Warmwasserbäder „... The blowing of warm tobacco smoke from a pipe into the large intestines is • Interne Verfahren: very efficient to resuscitate...“ Beatmung mit warmen Gasen warme Infusionen und Magenspülungen Hämofiltration, Dialyse, Peritonealdialyse Extrakorporale Zirkulation Warmer und befeuchteter Sauerstoff + = Veno-venöse Erwärmung Extrakorporale ZirKulation Unterkühlung: Wiedererwärmung Algorithmus Hypothermiebehandlung (nach AHA1998) bei allen Patienten: •nasse Kleidung vorsichtig entfernen •heftige Bewegungen und Manipulationen vermeiden •Patient vor weiteren Wärmeverlusten und Zugluft schützen (Decken, isolierende Materialien) •Patient in der Waagerechten lagern •Überwachung der Körper(kern)temperatur •EKG Überwachung wenn möglich(möglicherweise Nadelelektronen erforderlich) Überprüfung von Vigilanz, Ansprechbarkeit, Atmung und Puls Puls und Atmung vorhanden Wie ist die Körperkerntemperatur? 34°C - 36°C (milde Hypothermie) •passive Wiedererwärmung •aktive externe Wiedererwärmung 30°C-34°C (mäßige Hypothermie): •passive Wiedererwärmung •aktive externe Wiedererwärmung nur im Körperstamm-Bereich < 30°C (schwere Hypothermie): aktive invasive Wiedererwärmungsmaßnahmen (s.u.) Aktive invasive Wiedererwärmungsmaßnahmen: •warme Infusionslösungen (43°C) •Sauerstoffgabe mit Gaserwärmung und Anfeuchtung (42°C-46°C) •Peritoneallavage mit warmen KCl-freien Lösungen •Erwärmung über extrakorporalem Bypaß •Erwärmungssonden für den Ösophagus Puls und Atmung nicht vorhanden •umgehend mit CPR beginnen •bei Kammerflimmern/-flattern bis 3 Defibrillatiensversuchen (mit 200 J, 300 J, 360 J) •Intubation und Beatmung mit erwärmten, angefeuchtetem Sauerstoff •Infusionstherapie mit erwärmten Infusionslösungen Wie ist die Körperkerntemperatur? <30°C •Mit CPR fortfahren •zunächst keine weitere Gabe von Notfallmedikamenten •Defibrillationsversuche auf insges. 3 begrenzen •Transport zur Klinik >30°C •Mit CPR fortfahren •weitere Gabe von Notfallmedikamenten in verlängerten Intervallen •Defibrillation mit steigender Körpertemperatur erneut versuchen •Transport in Klinik Fortführung der Maßnahmen bis: •Kerntemperatur >35°C, oder •Einsetzen von Spontanatmung und Kreislauferholung, oder •Versagen der CPR mit Einstellung aller Maßnahmen Protektion durch Hypothermie: • Auskühlung im Wasser 32 mal schneller als in Luft gleicher Temperatur • Grad und Geschwindigkeit hängen ab von: Wassertempemperatur, Verweildauer, Verhältnis von KOF zu Körpermasse, Menge des verschluckten Wassers • Kerntemp. < 32°C: Vasokonstriktion, extreme Bradykardie, O2 Verbrauch sinkt ⇒ Hypoxientoleranz des ZNS erhöht! Protektion durch Hypothermie: • Auskühlung im Wasser 32 mal schneller als in Luft gleicher Temperatur • Grad und Geschwindigkeit hängen ab von: Wassertempemperatur, Verweildauer, Verhältnis von KOF zu Körpermasse, Menge des verschluckten Wassers • Kerntemp. < 32°C: Vasokonstriktion, extreme Bradykardie, O2 Verbrauch sinkt ⇒ Hypoxientoleranz des ZNS erhöht! • Definition: Erfrierungen sind örtliche Schädigungen des Gewebes. Pathophysiologisch kommt es infolge der Kälteeinwirkung zur Minderdurchblutung der peripheren Körperteile (Akren) und in der Folge zu einer länger bestehenden Minderperfusion der Gewebe und Minderversorgung mit Sauerstoff 50% „Chill-factor“ Erfrierungen: SYMPTOME: • Gefühlslosigkeit und Blässe • Prickelnder Schmerz und blaurote Verfärbung • Blasenbildung • Bewegungseinschränkung und Empfindungslosigkeit bei Berührung • Starke Schmerzen • Nach > 24Stunden Demarkierung und Nekrose (schwarz) Erste Hilfe bei Erfrierungen: Am Unfallort durch den Kameraden: • Warme, gezuckerte Gertänke; kein Alkohol • Entfernen nasser Kleidungsstücke • KEIN Einreiben mit Schnee, KEIN Massieren • Wärmen am Körperstamm (Achselhöhle, Kameraden) • Steriler, trockener Verband; keine Salben, Puder... 2. In der Schutzhütte: • Warme Gertänke; evtl auch Alkohol • Warmes Wasserbad (was gerade noch ertragen wird) und heißes Wasser nachschütten (1/2h Æ 38°C) • Orale Schmerzmittel • Extremität hochlagern; Blasen steril verbinden und nicht aufstechen (Infektion) 3. Bergrettungsarzt: • Bekämpfung der Hypothermie • I.v. Schmerztherapie • Verbesserung der Mikrozirkulation (Heparin....) • Abtransport