ROLF BAHL

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ROLF BAHL
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BLICK
ZURÜCK
Autobiographie
von
Rolf Bahl
Teil 1
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Meinen Eltern und Geschwistern
gewidmet:
Vater: Ernst 21.04.1899 – 02.10.1964
Mutter: Ida 03.10.1906 – 06.05.1988
Hans Theodor: 04.11.1929 -17.12.1979
Klara: 10.08.1945 – 21.06.1958
Ernst: 07.01.1947 – 24.08.1999
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Kapitelübersicht:
Erster Teil: Buch 1
0 bis 10 Jahre
01.09.1938 bis 31.08.1948
1. Am Anfang war das Bewusstsein (7)
2. Der Waggis (10)
3. Eine Kuh für die Besatzer (11)
4. Das „gebrannte“ Kind (12)
5. Die Schmach des „Architekten“(13)
6. Der Halbbruder (15)
7. Der Krieg im Südwesten (17)
8. Das stille Tal (19)
9. Die Resistance (22)
10. Das Schloss (24)
11. Die Schrecksekunde (28)
12. 1944 (29)
13. Die armen Schweine (30)
14. Wir produzieren Wein (32)
15. Die fetten Gänse (34)
16. Eine Kalberei (35)
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17. Der Dreschtag (37)
18. Blanca (39)
19. Lucien Flacha (41)
20. Die Familie Steiner (38)
21. Furcht vor Uniformen (45)
22. Soso Bitchi (46)
23. „Le Petit Suisse (47)
24. Der tote Spion (49)
25. Gefährlicher Auftrag (51)
26. Bomber und Bomben (53)
27. Der 6.Juni 1944 (54)
28. Die Deutschen kommen (55)
29. Gefechte am Vormittag (58)
30. US-Pilot in Nöten (60)
31. Unmöglich ? (62)
32. Der Albtraum (64)
33. Im grossen Wald (65)
34. Das Feuer (66)
35. Ein Loch im Kopf (68)
36. Die rettende Stimme (69)
37. Banditen (71)
38. Das Brot (73)
39. Der Schock (74)
40. Die Kriegsgefangenen (76)
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41. Ich muss in die Schule (78)
42. Die Läuse (79)
43. Indochina (81)
44. Spiele unter dem Pult (83)
45. Der Kopf steigt in den Himmel (45)
46. Ich kriege eine Ohrfeige (86)
47. Der 14. Juli (88)
48. Die blutende Nase (89)
49. Wir dürfen ins Kino (90)
50. Klara, die Schwester (92)
51. Schulweihnacht 1945 (94)
52. Salto im Kinderwagen (96)
53. Ich muss die Jesusfigur grüssen (97)
54. Mussolini (99)
55. Lucien klärt auf (88)
56. Lehrer Luca schlägt zu (101)
57. Der Vetter aus Bordeaux (103)
58. Luciens Schwester (104)
59. Der Besuch von Onkel Otto (105)
60. Ernst Junior wird geboren (108)
61. Petrus der Feind (110)
62. Monique Garigue (111)
63. Ich soll in die Schweiz (113)
64. Taufe (115)
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65. Die Tour de France (116)
66. Die Besucher aus Winterthur (118)
67. Zurück ins „Paradies“ (120)
68. Ich verlasse die Schule (121)
69. Die Verschwörung (122)
70. Die längste Nacht (124)
71. Lyon (126)
72. Das erste Problem (127)
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Kapitel 1
Am Anfang war das
Bewusstsein
Der Säugling wälzt sich in seinen nassen
Windeln im dunklen Zimmer und schreit.
Doch niemand kommt und so geht das
Schreien weiter. Die hölzernen Fensterläden
lassen auf der linken Seite den Sonnenschein
ins Zimmer einfliessen. Seit Tagen immer die
gleiche Situation, der Säugling will sich
rächen, raft sich im Kinderbettchen auf und
bemalt die Wand mit Kot soweit seine kleinen
Arme reichen! Er rechnet sogar mit einer
Schelte, aber er tut es trotzdem aus Wut!
Die Eltern kommen zurück, sie sehen sich die
Bescherung an und lachen!
Also war das keine Lektion, denkt der Säugling
und lässt es fortan bleiben. Er weiss, dass die
Leute jeden Tag zurück kommen, also muss er
nicht mehr in Panik geraten.
Etwa 4 Wochen später, Vater trägt den
Säugling auf seinen Schultern zum
Schulhausplatz, es ist bereits dunkel, auf dem
Pausenplatz ist ein grosses, weisses Zelt
aufgestellt, als wir hereingehen, sehe ich
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rechts oben ein bewegendes Bild, ein
Rennauto rast durchs Zelt,
Vater und Mutter setzen sich auf die Bank, ich
sitze auf den Knien des Vaters, oben diese
vielen Bilder, dann ein Hahn, dem wird ein Glas
Rotwein gereicht, der Hahn trinkt und fällt um!
Ja, da war noch viel mehr, aber das konnte ich
nicht erfassen, jedoch, dass ich andauern von
den Knien runter rutschte, und gerade einmal
über die Knie des Vater hinausragen mochte.
Nochmals etwa vier Wochen später, auf dem
Schulhausplatz steht eine Riesenmaschine, ein
wahres Ungeheuer, dieses presst den ganzen
Tag Heuballen. Dann kommen Soldaten der
französischen Kavalerie, sie werden bei uns
einquartiert, sie tragen flache Helme auf den
Köpfen. Ich sitze am Abend auf der Haustreppe
und sage jedem der rund 100 Soldaten, „bonnuit“, vermutlich habe ich das von ihnen
gehört? Damit war mein Wortschatz alle!
Die Soldaten gingen und es kamen andere
Leute, welche kurze Zeit im hinteren Teil des
1749 erbauten Bauernhauses wohnten.
Erklärung: Obiges spielte sich im Dorf
„Montagnac-La-Crempse“ in der Dordogne ab.
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Anfang März 1940, ich war damals genau
1 ½ jährig, das allererste bewusste Erlebnis
war
im dunklen Zimmer, dann folgte das Kino,
schliesslich die Mobilmachung der
französischen Armee im Mai 1940.
Die fremden Leute im Haus waren geflüchtete
Elssässer, welche im Juni 1940 in den
Südwesten zogen. Am 5. Juni 1940, erfolgte
der deutsche Angriff auf Frankreich, und am
18. Juni war der Feldzug bereits zu Gunsten
von Deutschland entschieden! Der grösste Teil
der mobilisierten Truppen Frankreichs, kam
gar nicht erst zum Einsatz!
Nachtrag zu Kapitel
eins:
Es wird sehr oft behauptet, ein Kind könne sich
unmöglich in die Zeit vor dem zweiten
Altersjahr zurück erinnern!
Das trifft in meinem Fall sicher nicht zu, dafür
steht der Zweite Weltkrieg als Zeuge da! Meine
Eltern konnten sich später nicht mehr an diese
Einzelheiten erinnern, ich dafür umso genauer.
Und als allererste Erinnerung bleibt
unumstösslich die Zeit vom März 1940 , die
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Strahlen der Märzsonne drangen durch die
Spalten des Fenterladens, meine Eltern waren
neu auf der Farm und mussten die Felder
bearbeiten. Dieser „Racheakt“ blieb aber als
Einzelfall im Gedächtnis, dann ist wieder alles
Dunkel bis zum Wanderkino, ich bin überzeugt,
der kam im April 1940! Danach war schluss mit
solchen Vergnügungen, weil anfangs Mai die
Mobilmachung der französischen Armee
erfolgte, zumindest was unsere Gegend
anbetraf. Die Stroh- und Heuballenpressen
wurden vermutlich schon im April auf dem
Schulhausplatz hergestellt, sicher aber nicht
nach Mai 40! Danach kamen anfangs Mai die
Soldaten der Kavalerie! Sie waren etwa zwei
Wochen bei uns einquartiert, danach mussten
sie an die Nordfront, soviel verstand ich
damals, mehr aber nicht. Am 17. Mai konnte
die Panzerdivision von General De Gaulle, die
Deutschen
zurück drängen, das war damit der einzige
Siegeszug der Franzosen in diesem Krieg!
Bereits am 5. Juni begannen die Deutschen mit
der Schlacht um Frankreich, und am 17. Juni
kapitulierte Frankreich bereits. Ob unsere
Kavalerie noch im Einsatz war, das vernahmen
wir nie!
Nun sind mir aber aus genau dieser Zeit
diverse Vorfälle immer noch präsent, und es ist
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geschichtlich erwiesen, dass sie alle vor dem
17. Juni 1940 stattfinden mussten!
Somit kann man ausrechnen, dass ich damals,
also zwischen März und Mitte Juni 1940,
zwischen einem Jahr und 7 Monaten bis zu
einem Jahr und 9 Monaten zählte. Zur gleichen
Zeit kamen auch die elsässischen Flüchtlinge,
und ich wurde dann von einem Frl. Rudolf und
dem Herrn Hofer, jeweils auf den Feldern
gehütet, während meine Eltern das Land
beackerten. Ich war damals zwischen
eineinhalb und zwei Jahre alt, trug Windeln und
konnte noch kaum gegen, denn ich kroch nur
immerzu auf dem Boden herum! Vater konnte
mir bestätigen, dass die Soldaten damals
mobilisiert wurden um dann gegen
Deutschland eingesetzt zu werden, was
Beweis genug ist, dass sich diese Episode vor
dem Juni 1940 ereignete. Auch das
Wanderkino war noch vor dem Krieg. Somit
sind etwelche Zweifel an den Daten praktisch
ausgeschlossen.
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Kapitel 2
Der Waggis
Sommerliche Hitze, ich liege in Windeln verpackt auf einer
weissen Grundlage, vermutlich ein Leinentuch? Auf meinem
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Kopf ein weisses Stoffhütchen, welches mich vor der Sonne
schützen sollte.
Um mich herum etwa 3 Menschen, ein schlankes junges
Mädchen, das sich Frl. Rudolf nennt, ca. 18 bis 20, es
wechselt ab und zu meine Windeln.
Dann ein alter Mann, der es sich zum Spass macht, mich
auf den mit Windeln verstärkten Hinterteil zu klopfen.
Dabei ruft er jedes Mal: „So du Waggis“. Dabei falle ich
dann flach hin und alle finde das anscheinend lustig.
Der Mann heisst Herr Hofer, läuft an einem
Spazierstock. Das wiederholt sich täglich während
Stunden.
Erläuterungen: Die Elsässer, welche anfänglich bei uns
hausten, zogen nach kurzer Zeit ins „Font Franc“
hinunter. Weil sie aber arbeitslos waren, kamen sie zu
meinen Eltern um nach mir zu schauen, sie wurden dafür
mit Naturalien entlöhnt. Der Zeitpunkt ist auch gut
nachprüfbar, Sommer 1940. Die Zeit zwischen 1 ½ und 2.
Altersjahr, weil ich danach keine Windeln mehr trug!
Eine Familie stammte aus Mühlhausen (Mulhouse) die
andere aus Strassburg. Nach einem guten Jahr wurden
die Elsässer wieder ins Elsass zurück beordert. Jetzt zu
Grossdeutschland gehörend. Während den kurzen
Wintermonaten, gab es nur wenig Farmarbeit zu
verrichten, und Mutter hatte dadurch wieder genug Zeit
um nach mir zu schauen.
Wir lebten unter der Vichy-Regierung von Marschall
Petains Gnaden. Die südliche Hälfte von Frankreich blieb
bis ins Jahr 1943 unbesetzt. Das heisst, ein etwa 50
Kilometer breiter Landstreifen dem Atlantik entlang bis
ins Baskenland war auch von deutschen Truppen besetzt.
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Kapitel 3
Eine Kuh für die
Besatzer
Ich sitze flach auf dem Boden der „Charrette“, diese wird
von zwei Arbeitskühen gezogen, hinten ist die Kuh
angebunden, welche wir in Villamblard abliefern müssen.
Es ist ein heisser Tag, wir fahren die Abkürzung durch
einen Buschwald, der Waldweg ist oft kaum erkennbar.
Vater sitzt vorne und treibt die Kühe an, in Villamblard
angekommen, werden wir auf einen grossen Platz gewiesen.
Dort sind bereits viele Kühe und Rinder in Warteposition,
die Bauern schauen nicht glücklich drein, es ist ein Befehl
der Deutschen, je nach Viebestand muss ein Teil abgegeben
werden, mehr kriege ich nicht mit.
Erläuterung: Ich vermute sehr, dass dies bereits im Jahr
1940, stattfand! Begründung: Ich wurde auf die „Charrette“
gesetzt und blieb so bis nach Villamblard sitzen, die Beine
flach am Boden gestreckt, wie das eigentlich nur die ganz
kleinen Kinder tun. Ich fragte einmal meinen Vater wann
das war, aber er wusste nur noch von der Kuh, aber nicht
mehr das Jahr, meinte aber, es wäre zu Beginn des Krieges
gewesen. Wir besassen damals fünf Kühe, vier Arbeitskühe
und eine Milchkuh. Eine Arbeitskuh mussten wir den
Deutschen „schenken“, so verblieben nur noch deren vier.
Während den 9 Jahren in Montagnac, arbeitete Vater
hauptsächlich mit der „Rouge“ und der „Blanco“, mit
diesen beiden entwickelten wir im Lauf der Jahre eine
beinahe familiäre Freundschaft. Im ersten Jahr, 1938 bis
1939, war Vater Pächter in Gardonne bei Bergerac. An diese
Zeit erinnere ich mich logischerweise nicht. Ich vermute
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heute aber, dass dieser Akt im Sommer 1941 stattfand,
Begründung: Deutsche Truppen griffen die Sowjetunion an
und benötigten sehr viel Fleisch für die Verpflegung der
Truppen an der Ostfront. Die Zeit von Herbst bis Frühjahr
1940 bis 41 ist hingegen nicht mehr präsent.
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Kapitel 4
Das „gebrannte“
Kind
Wir bewohnten zwei Räume, die Wohnküche und ein kleines
Zimmer, welches als Schlafraum diente.
Nur das Schlafzimmer wies ein kleines Fenster auf, das war
auf die seltsamen Steuergesetze aus der vornapoleonischen
Königszeit zurück zu führen!
Damals mussten die Leute eine besondere „Fenster und
Türensteuer“ für die Häuser entrichten. Mit dem
Kaminfeuer im Wohnraum, wurde im Winter geheizt, die
Temperaturen konnten oft den Gefrierpunkt erreichen.
Es war vermutlich der Winter 1940, aber so ganz sicher bin
ich mir da nicht mehr, weil ich doch noch sehr klein sein
musste.
Wie sonst hätte ich mich mit gerade gestreckten Beinchen
im kleinen Blechbecken aufhalten können? Mutter füllte das
ovale Becken mit Wasser und stellte es direkt an das
Kaminfeuer, damit das Wasser heiss wurde.
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Sie setzte mich ins Becken, allerdings auf die kalte Seite, ich
weiss nicht mehr was mich damals bewog, die Seite zu
wechseln, aber vermutlich war die Hitze an den Beinen zu
stark. In diesem Alter ist logisches Denken noch nicht die
Regel, sonst hätte ich realisieren müssen, dass ein
Seitenwechsel keine Lösung war!
Aber es war schon zu spät, ich spürte einen Riesenschmerz
am Popo, schrieb auf wie ein Schwein, wenn es geschlachtet
wurde.
Mutter rannte herbei und liftete mich aus dem Becken, der
ganze Po war rot und die Haut fühlte sich an wie das Fleisch
aus dem Suppentopf. Mutter rieb Mehl und Oel ein, das
machte die Schmerzen etwas erträglicher, ich wollte nie
mehr ins Becken am Kamin steigen. Erst nach Wochen
erholte sich die Haut wieder und ich hatte meine erste
Erfahrung mit der Hitzekraft hinter mir.
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Kapitel 5
Die Schmach des
„Architekten“
Ich war fast immer „Selbstunterhalter“, oder spielte mit den
Tieren. Nach dem 2. Altersjahr war ich „Stubenrein“, das
heisst, ich benötigte keine Windeln und dergleichen Zeug
mehr, war stolz, dass ich wie die Erwachsenen in die Toilette
gehen konnte. Allerdings hatte ich mir eine eigene Toilette in
den leeren Hühnergehegen zugelegt. Das Plumpsklo der
Erwachsenen war mir zu stinkig, zudem sah man dort
tausende von ekelhaften Maden in der Brühe. Die Eltern
hatten nichts gegen meinen Alleingang einzuwenden, oder
sie bemerkten es nicht einmal?
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Ich baute täglich kleine Häuser aus irgend einem Gemisch
aus Erde und Lehm, ohne irgend eine Vorlage, frei nach
meinem gutdünken. Dabei verpasste ich den Bauten auch
genügend Fenster, vermutlich aus Protest gegen die
Bauweise von früher. Die Eltern waren begeistert, sie sahen
in mir bereits einen Architekten aufkommen, ich schätze, ich
war damals etwa 2 ½ bis 3 ½ jährig, nicht weniger und
auch nicht mehr. Vater zimmerte mir einen Schubkarren,
darauf lud ich jeweils das Baumaterial. Es war ein ruhiger
Vormittag, Vater war auf den Feldern, Mutter in der Küche,
und ich war emsig am Häusle bauen.
Ich lud den Karren tüchtig mit Steinen und anderen
Materialien, ohne mir Gedanken zu machen, ob ich das
Ganze schieben konnte oder nicht.
Nun ja, ich umfasste die beiden Griffe und stemmte die
Karre hoch zum weiterschieben, aber oha, mit der
Kraftanstrengung waren auch meine Hosen voll!!!!!!!!!!!!!
Ich schämte mich wie noch nie zuvor, weinend rannte ich zu
Mutter und gestand ihr den „Unfall“. Sie lachte nur und
meinte, dass könne sogar viel grösseren Kindern geschehen.
Und viele in meinem Alter würden sogar noch täglich in die
Hosen machen!
Das war keine Entschuldigung für mich, schliesslich kam ich
ja von einem anderen Planeten und war nicht wie die andern
Kinder. Und nun sah ich mich auf einer ähnlichen Stufe wie
die dummen Hühner und die stinkenden Schweine, welche
ihren Dreck überall liegen lassen.
Eine ekelhafte Vorstellung, nur konnte ich das der Mutter
nicht erklären. Der Vergleich mit den Hühnern war für
mich natürlich ein Schock, ich begann ernsthaft daran zu
zweifeln, ob ich wirklich anders war?
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Kapitel 6
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Der Halbbruder
Da war anfänglich ein ewiger Streit zwischen Vater und dem
Halbbruder Hans Theodor Bodenman, welcher den ledigen
Namen meiner Mutter trug. Er war wohl nicht der Krösus
meines Vaters, irgendwie schwebte das scheussliche Wort
„unehelich“ über ihn, von einem andern gezeugt und mit in
die Ehe gebracht! Hans, geboren am 4. November 1929, war
9 Jahre älter als ich, und solange wir uns kannten, mochten
wir uns gut leiden. Nur mit seinem Stiefvater, da vertrug er
sich nicht. Also verliess er uns und ging zur befreundeten
Schweizer Familie Gyr. Ja, es kam sogar zu einem
Austausch der Knaben mit Gyrs, aber auch der andere
Knabe war dem Vater nicht genehm!Etwa ab dem 11./12.
Altersjahr, lebte Hans bei fremden Leuten.
Er besuchte uns aber oft und für mich war das stets
ein wichtiges Erreignis.
Die Jahre 1941 bis 42, brachten nur wenig Abwechslung,
ich begleitete meine Mutter beim hüten der Kühe, wenn die
Eltern die Felder bestellten, legten sie mich meistens unter
einen Nussbaum auf eine Matte, das verursachte oft
Kopfschmerzen, aber ich wusste nicht wovon die waren und
sagte nichts. Weil ja Bruder Hans nicht bei uns weilte,
wuchs ich sozusagen als Einzelkind auf.
Etwa 1942, Hans war zu Besuch, aus irgend einem Grund
sollte er nach „Lacudal“ gehen, ein kleines Dorf, hin und
zurück etwa 8 bis10 Kilometer. Und ich wollte mitgehen!
Einfach so!
„Nein, kommt nicht in Frage“, sagten Vater, Hans und
Mutter unisono!
Das sei für mich zuviel und ich könnte diese Strecke niemals
zurücklegen. Ich schätze, ich war etwa 3 ½ jährig, ich weiss
heute noch nicht, was damals in mich gefahren war.
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Ultimativ sagte ich: “Ich will mit, ihr könnt mich daran
nicht hindern!“
Nun begann ein richtiger Kampf, ich wollte davonrennen,
aber sie versperrten die Ausgänge des Hofes, was dann
folgte begriff ich nie, ich rannte kopfvoran in die
Holzschranken, in der Annahme, diese würden nachgeben,
aber das nicht nur kurze Zeit, sondern beim Hinterausgang
und auch am Haupttor. Ich hatte bereits einen blutigen
Kopf, und wurde immer rasender!
Sie dachten wohl, ich hätte den Verstand verloren, es blieb
ihnen nichts anderes übrig als mich gewähren zu lassen.
Mutter wischte Schweiss und Blut von meinem Gesicht und
ich trottete zufrieden mit Hans davon.
Wir liefen über Felder und Feldwege, vor „Lacudal“ sah ich
endlich die Schienen der längst stillgelegten Eisenbahn. Was
sonst noch war, das habe ich vergessen, es gab aber keine
zusätzlichen Zwischenfälle und soweit mir bekannt, schaffte
ich den Rückweg auch problemlos. Ich fragte mich später
oftmals, was mich damals eigentlich zu diesem Amoklauf
veranlasste? Und ich konnte auch nicht eruieren, weshalb
ich gerade in diesem einen Fall derart agressiv war.
Weil ich während dem Krieg keine Schuhe trug, die letzten
Sandalen gingen etwa auf das Jahr 1942 zurück, hatte ich
stets eine Menge Würmer in den Därmen, und diese
verursachten die Agressivität. Ja, ich erinnere mich sogar,
dass ich völlig grundlos plötzlich laut schrie! Wir konnten
dann die Wurmplage mit Knoblauchkuren bekämpfen und
meine Situation verbesserte sich zusehends. Es ist zu
erwähnen, dass wir während dem Krieg nie einen Arzt
benötigten, und danach nur einmal bei der Geburt von
Bruder Ernst. Bis 1945 war ich nie krank, erst als ich mit
andern Kindern in Kontakt kam, änderte sich das schnell.
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7. Kapitel
Der Krieg im
Südwesten
Bis ins Jahr 1943 blieben wir vom Kriegsgeschehen
verschont, hin und wieder kreisten deutsche Flugzeuge über
das Dorf hinweg, besonders die Messerschmidt-Maschinen
imponierten mir mit ihrem Motorengeräusch, ich gab ihnen
den Namen „Bremsen“. Die „Garde-Mobile“ war eine Art
Militärpolizei der Franzosen, diese hatten dunkle Uniformen
und Helme wie Suppenkocher. Sie fuhren mit SeitenwagenMororräder durchs Dorf, jeweils von Perigueux kommend
nach Bergerac. Sämtliche Lebensmitteln waren rationiert,
wir aber waren Selbstversorger, jedoch wurde etwas
einseitig gegessen. Ich hatte nur noch ein Paar Sandalen, als
diese dann ausgetragen waren, lief ich ohne Schuhe in der
Landschaft umher. Das hatte zur Folge, dass ich bald einmal
voller Parasiten war, mit Würmern in den Därmen,
Geschwüren an Beinen und Füssen. Es gab keine
medizinische Versorgung mehr, zudem waren meine Eltern
nicht gewohnt, ohne triftigen Grund einen Arzt
aufzusuchen, eine Eigenschaft, die auch mir bis heute blieb.
Der Ungang mit meinen Eltern beschränkte sich auf das
Wesentliche, sie hatten zu tun, andere Kinder gab es keine in
meinem Alter.
Das hatte zur Folge, dass ich schon bald die Tiere zu
meinen Freunden hatte. Aber nicht etwa der Hund,
oder die Kühe, nein, es waren die Ameisen, welche
mir weitaus am meisten imponierten. Mit den Hühnern
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konnte ich auch nichts anfangen, diese und auch die
Schweine fand ich zu dumm!
An der Hausmauer und auf den Feldern wimmelte es von
Ameisen aller Farben und Grössen. Vom 2. bis zum 4.
Altersjahr verbrachte ich unzählige Stunden mit ihnen.
Anfänglich beobachtete ich sie nur mit der nötigen
Vorsicht, ich versuchte, ihre Organisationssysteme zu
verstehen, wie sie einen Riesenkäfer
wegtransportierten, irgend eine Kotkugel verschoben,
Laub und kleine Aeste in die Wohnungen schoben,
tote Ameisen in den Friedhof brachten. Die kleinen
roten Ameisen vor dem Haus waren meine
Spezialfreunde, mit ihnen teilte ich jeden Sonntag
meinen Kuchenanteil, den die Mutter buck. Genau war
es so, dass ich ihnen praktisch den ganzen Kuchen
überliess, und selber nichts nahm! Sie waren so
glücklich und ich freute mich jedes Mal, wenn ich sah,
wie sie die Kuchenbrosmen wegtransportieren.
Nicht nur die Ameisen wurden bevorzugt, nie im Leben
mochte ich Süssigkeiten, aber ich hatte als Kind ein
monatliches Anrecht auf 50 Gramm Schokolade!
Vielleicht ein oder zweimal nahm ich die Hälfte davon, dann
stellte ich fest, dass meine Mutter grosse Lust auf
Schokolade hatte, aber keine kaufen durfte, also überliess
ich ihr jeden Monat meine Ration!
Der Einfluss der Ameisen auf mich war gross, und ich hatte
grossen Respekt vor ihnen, ich wurde fast übertrieben
ordnungsliebend, bei Regen und Winterwetter, fragte ich die
Mutter:“ Hast Du nichts zum aufräumen, ich muss Ordnung
machen!“
Sie zog dann ein paar Schubladen aus und meinte, ich
könnte ja das Ganze wieder schön ordentlich einräumen,
was ich immer auch tat.
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Kapitel 8
Das stille Tal
Zum Landgut gehörte auch ein grosses Tal mit vielen
Naturhecken, einer Quelle und einem Sumpfgebiet.
Aber markant war die Tatsache, dass man in diesem Tal
keinerlei Zivilisation antraf, weder Menschen noch irgend
welche Bauten etc., nur in der Talebene nutzte Vater zwei
grosse Parzellen für den Anbau von Mais, Getreide, sowie
anfänglich noch Tabakpflanzen. Der Rest blieb
unangetastet, weil keine Leute da waren, welche all das
hätten bearbeiten können, (Vater und Mutter waren allein)
darum blieb die Natur beinahe unangetastet, mit allen
erdenklichen Lebewesen bewohnt. Es herrschte eine Fauna
und Flora, wie man sich das kaum noch vorstellen kann.
Vom 3. bis zum 10. Altersjahr, wurde das stille Tal zu
meiner „zweiten Heimat“, bis etwa 4 ½ , war meistens noch
meine Mutter mit beim hüten der Kühe dabei, wenn sie
guter Laune war, sang sie Volkslieder aus der Heimat, ich
mochte besonders das Lied: „Vo Luzern gäge Wäggis zue“.
Ich war somit die meiste Zeit allein mit den Rindviechern im
Tal, aber nicht nur mit ihnen, die Natur bot mir eine
unglaubliche Palette von Atraktionen!
Hohe Gräser mit den vielfältigsten Blumen bespickt, die
Büsche und Zäune blüten im Frühjahr meistens in einer
bezaubernden, schneeweissen Blütenpracht, so als stünden
sie alle unter einem Wettbewerb. Im spätsommer reiften
zentnerweise Brombeeren, die niemand pflückte.
Wilde Weinreben und mir bis heute unbekannte
Pflaumen, reiften an den steinigen Hängen, ich
schaute erst auf die Tiere, wenn diese die Früchte
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verspeisten, dann versuchte ich es für mich in
vorsichtigen Abständen, weil Vater der Meinung war,
diese könnten giftig sein. Sie waren es nicht, aber
sehr schmackhaft, so, dass ich sogar die Eltern
überzeugen konnte.
Aber das war erst der Anfang, die Fauna war noch viel
überwältigender, vermutlich Hunderttausende von Käfern,
Libellen, Heuschrecken, Schmetterlingen aller erdenklichen
Farben und Grössen, Raupen, Ameisen, Würmer, Zirpen,
und viele andere Kriechtiere belebten die Flora und den
Boden. Und jeden Abend bei Einbruch der Dunkelheit
boten diese ein Sinfoniekonzert ganz besonderer Art.
An den Feldwegen entlang leuchteten beidseitig die
Glühkäfer wie Strassenlaternen, oft mischten sich auch noch
die Vögel ins Orchester.
Ich hatte immer den Eindruck, dass jede Spezie sich
besonders anstrenge um beim Konzert gut abzuschneiden.
In dieser friedlichen und heilen Welt gab es aber einen
bösen Feind!
Die Schlangen!
Von ihnen waren viel zu viele vorhanden, dazu war ein Teil
von ihnen hochgiftig. Mit meinen kurzen Hosen und ohne
Schuhe, war ich ihnen besonders exponiert. Und es gab
während dem Krieg keinerlei medizinische Hilfe, wenn man
von einem solchen Reptil gebissen wurde.
Beinahe jeden Monat, starb irgendwo in der Gegend ein
Mensch an Schlangenbissen, auch Erwachsene.
Ich hörte schon sehr früh von einer Methode, wie man das
Gift selber aus der Bisswunde entfernen und so überleben
konnte. Mann musste mit einem spitzen Gegenstand, Messer
etc, sofort in die Wunde stechen, so, dass das Blut
hinauspritzen konnte, zudem rund um die Wunde fest
pressen. Doch ich musste nie soweit gehen, trat nie auf eine
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Schlange, das war gefährlich, und diese wichen den
Menschen nach Möglichkeit aus.
Von der Farm ins Tal hinunter, waren es etwa 800 Meter,
beiseitig des Feldweges waren rund 1 bis 1 ½ Meter hohe
Steinmauern, ich nannte den Weg später die „hohle Gasse“.
Wenn wir an Nachmittagen ins Tal gingen,
lagen oft bis 20 grosse Schlangen auf diesen Mauern und
genossen die pralle Sonne. Oft verschwanden sie im
Gebüsch, wenn wir uns ihnen näherten.
Mutter gestand mir später einmal, dass sie zwei
Horrorvorstellungen hatte, eine betraf den Sodbrunnen,
dieser war etwa 8 Meter tief, jedes Kind das reinfiel,
ertrank! Die andere Schreckensvorstellung betraf die
Schlangen, als sie mich noch als Säugling, jeweils unter die
Nussbäume legte, bestand die Gefahr, dass sich Schlangen
in den Mund des Säuglings schlichen und diesen dann
erstickten! Als ich dies vernahm, schauderte es mich schon
etwas, aber man muss auch etwas Glück haben!
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Kapitel 9
Die Resistance
Im Frühjahr 1943, begann sich in unserer Region der
Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht zu
formieren. Die französischen Partisanen nannten sich auch
„Maquisards“ oder „Maquis“, so wird auch ein Buschwald
in Südfrankreich genannt.
Der legendäre General De Gaulle, wirkte ab 1940 von
England aus, er baute dort eine neue reguläre Armee auf,
unterstützte aber –zusammen mit England und den USA –
auch aktiv die
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Resistance in Frankreich.
Der Anführer der Maquis im Dorf, war ausgerechnet unser
Nachbar, der Baumeister Blondy, das war vermutlich ein
Vorteil.
Vater war eher Sympathisant des Adolf Hitler, er trug die
Haare ähnlich und hatte auch einen verräterischen
Schnurrbart.
Zudem hatte er oft Besuch eines Dr. Kübler aus dem
Elsass,
wenn dieser Mann aufkreuzte, verschwand ich immer bis er
wieder ging, oft einen halben Tag lang. Ich empfand vor ihm
instinktiv Angst. Er praktizierte nicht als Arzt, aber mir war
er nicht geheuer. Die Antwort darauf erhielt ich 1945.
Die Resistance soll angeblich geplant haben, meine Eltern
als deutsche Spione zu liquidieren, (1996 erfuhr ich vom
inzwischen 83jährigen M. Blondy, dass er sich gegen seine
Mitchefs habe wehren und durchsetzen müssen, damit Vater
und Mutter nicht erschossen wurden!)
Es blieb aber bereits damals kein Geheimnis, ein Chef aus
einer anderen Region, hielt Vater auf der Strasse auf, und
erklärte ihm offen und direkt:“Wir wollten euch
erschiessen, aber dein Nachbar will das nicht, darum geben
wir euch eine Chance, ab sofort dürft ihr Haus und
Farmland nicht mehr verlassen, sonst ist es aus!“
Das war klar und deutlich!
Vater dachte, dass kann doch nicht sein, an einem
Spätnachmittag sagte er mir: „ich gehe Grass mähen“.
Ich spielte im Hof und sagte etwas wie:“Ja,ja“.
Er war kaum zwei Minuten weg, als ich eine Serie aus
einem
Maschinengewehr vernahm, es mochten etwa 12 bis 18
Schuss sein. Ich spielte weiter, dachte lediglich, die Schüsse
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wären sehr nah gewesen. Da rannte Vater daher, die Sense
auf der Schulter, völlig atemlos!
Ich lachte und fragte: „haben die auf dich
geschossen?“
Er meinte aufgeregt:“Ja, ja, stell dir vor, alle Schüsse nur
wenige Zentimeter vor meinen Füssen, dann die
Mahnung:“das ist die letzte Warnung“, dabei musste ich
doch den Gemeindeweg nehmen, um auf die Wiese zu
gelangen!“
Es wurde „Kriegsrat“ gehalten, was tun? Mutter oder Vater
pflegten einmal die Woche mit dem Fahrrad nach
Villamblard zu fahren, um dort Brot, Hefe, und andere
Produkte einzukaufen. Damit war nun schluss.
Ich weiss nicht mehr ob der Vorschlag von mir kam, auf
jeden Fall war bald klar, dass nur ich nach Villamblard
fahren konnte, weil ich nicht auf der Abschussliste stand.
Ich war etwas über 4 ½ jährig, dabei gab es aber ein
Problem, meine Beine waren zu kurz um mit dem
Damenvelo zu radeln!
Ich fand eine eigene Lösung dafür, wenn ich nicht ganz rund
drehen konnte, dann halt hälftig!
Und es ging gut, immer halb vor und halb zurück.
Sieben Kilometer hin und sieben zurück, wie ich jeweils die
Sachen eingekauft habe, ist mir seltsamerweise nicht mehr
bekannt, ich denke aber, die Eltern gaben mir einen
Zettel und das Geld mit?
Immerhin musste ich diese Fahrten bis zum Frühjahr
1945
durchführen, und es gab nie etwelche Schwierigkeiten, auch
nicht unterwegs. Nach dem Krieg wurde die Strasse
asphaltiert. Und gegen Ende 1944 oder Anfang 45, wars
endlich soweit, dass ich eines Tages rund treten konnte.
25
26
Damit legte ich die Strecke viel schneller zurück.
Bruder Hans kam oft zu uns übers Wochenende, stolz zeigte
er mir eine Pistole und verriet mir, dass er Mitglied einer
lokalen Gruppe der Resistance sei. Ich wäre am liebsten
gleich mitgegangen, aber er meinte, mit meinen 5 Jahren
würde man mich auslachen, er war damals 14.
Ich erkannte damals die Zusammenhänge nicht, mir war
jedoch bereits bewusst, dass Hans und ich eine andere
politische Linie verfolgten, als zum Beispiel der Vater!
Die Maquis besuchten auch uns fast wöchentlich, sie
verlangten Naturalien, Hühner, Eier, Kartoffeln, Wein,
Mais, Früchte und Gemüse,
etc., natürlich ohne Zahlung.
Ich hatte mich bereits an diese wilden Gesellen gewöhnt, sie
trugen Zivilkleidung, oft auch Bärte und waren schwer
bewaffnet.
Nachtrag: Wenn ich heute viereinhaljährige Kinder sehe,
dann muss ich mich selber fragen, ob das damals wirklich so
war?Ich habe dabei einen festen Anhaltspunkt, und das ist,
wie schon zuvor, der geschichtliche Ablauf von damals. Im
Juni 44, als es sehr brenzlich wurde, konnte ich bereits auf
ein gutes Jahr Velofahrt zurückblicken! Es dauerte etwa 1
bis 2 Jahre, bis ich endlich rundum trampeln konnte, und
das war so gegen Ende 1944, kurz vor dem Kriegsende.
Und als ich damit begann, war Frühsommer, aber nicht 44
sondern eben 43! Somit war ich etwas über
viereinhalbjährig, daran lässt sich nichts ändern! An sich
war die Fahrt nicht gefährlich, denn es gab kaum
Strassenverkehr, nur Fuhrwerke mit Kühen. Aber
Schlangen auf der Strasse waren schon eher eine Gefahr!
10. Kapitel
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27
Das Schloss
Das von uns gepachtete Landgut gehörte einem Monsieur
Chassot, dieser lebte in Saint Astier bei Mussidan, war
Oberst im Ruhestand, ein baumlanger Mann mit Humor,
wenn er sprach, überschlug sich seine Stotterstimme.
Seine uralte Mutter lebte neben uns in der Villa oder dem
Schloss, sie mochte weit über 80 sein, hatte eine alte Zofe die
Mademoiselle Denise hiess. Im Dorf lebten viele alte Frauen,
die meisten waren Witwen aus dem Ersten Weltkrieg.
Madame Angeli, Madame Cecille, Camille etc., im Dorf
stand ein Denkmal, darauf alle Namen der in diesem
brutalen Krieg gefallenen Soldaten aus der Gegend. Und es
waren mehr Namen, als männliche Einwohner im Dorf!
Diese alten Frauen mochte ich gut, sie hatten Humor, ich
sprach oft mit ihnen und von ihnen konnte ich den alten
Dialekt erlernen, eine katalanische Sprache, die früher im
Südwesten gesprochen wurde. Die jüngere Generation
sprach nur noch Französisch. Das Schloss war sehr gross
und hatte unzählige Zimmer, ich durfte die Zimmer und
Räume betreten, es war mir sogar erlaubt, auf den Pianos
herum zu hämmern, es gab verschiedene sehr grosse
Zimmer, welche alle mit riesengrossen Gemälden bestückt
waren. Es herrschte ein modriger Geruch, eigentlich fehlten
nur noch die Geister. Ich hielt mich oft stundenlang im
Schloss auf, stöberte dabei allerlei Dinge auf, die ich
vielleicht besser gar nicht sehen sollte. Da waren ganze
Bibliotheken mit Büchern aus dem Mittelalter, ich schaute
mir nur die Bilder und Zeichnungen an, da ich noch nicht
lesen konnte. Dabei stiess ich auf richtige Monsterwerke,
vermutlich aus der Medizin von damals, ich schaute
gespannt auf die Zeichnungen, begriff aber kaum etwas,
verständlich, den ich fand z.B. nie heraus, was diese vielen
Zeichnungen aussagen wollten, auf welchen Menschen mit
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grossen, meterlangen Schläuchen von After zu After
verbunden waren?
Chirurgische Eingriffe, die an Brutalität nichts zu wünschen
übrig liessen. Aber nicht nur Bücher waren in Mengen
vorhanden, in einem Abstellraum fand ich grosse Kisten mit
Gold- und Silbermünzen aus der vornapoleonischen
Zeit!
Angesichts der Menge, füllte ich meine Hosentaschen damit
und wollte sie für mich aufbewahren. Auch Polospielgeräte,
Murmeln und andere Dinger sicherte ich mir. Ich erninnere
mich nicht mehr, ob mit oder ohne die Zustimmung der
Zofe. Die Münzen jedoch, die nahm ich einfach mit, getraute
mich aber nicht, sie dem Vater auszuhändigen, darum
schmiss ich sie einfach weg und zwar auf einen Feldweg.
Als dann Vater und ich zufällig dort vorbei gingen, war ich
der glückliche Finder der Münzen!
Gefunden habe ich etwa die Hälfte meiner Sammlung,
Vater
behielt diese für sich, erzählte aber stolz den Leuten, dass
ich diese gefunden hätte! Die andere Hälfte hatten
vermutlich die Elstern und andere Vögel geholt?
Seltsamerweise habe ich ihm das wahre Geheimnis nie
verraten, er sollte an das Wunder glauben!
Zusammen mit dem stillen, magischen Tal, bildete die antike
Schlossanlage das andere mysteriöse Gebilde in meiner
Kindheit.
11. Kapitel
Die Schrecksekunde
Bis Frühjahr 1943, waren meine nützlichen Arbeitsbeiträge
noc eher recht
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bescheiden, immerhin war ich bereits als Kurrier nach
Villamblard aktiv und stolz auf diesen exklusiven Dienst.
Ohne, dass die Eltern dies von mir verlangten, versuchte ich
mich im Kuhstall und auf den Feldern nützlich zu machen.
Etwa beim morgentlichen Ausmisten, oder beim
zusammenrechen des Getreides und der Heuernte, aber
auch die lästigen Bremsen an den Arbeitskühen musste
jemand entfernen. Vermehrt musste ich im stillen Tal die
Kühe alleine hüten. Das Farmland war nicht an einem
Stück, sondern in verschiedene Zonen aufgeteilt. Die
Simonette, eine riesige Wiese, war rund 2 Kilometer
entfernt, beidseitig von kleinen Flüssen umringt, einer hiess
„Crempse“. Die Wiesen waren mit vielen Laubhecken
unterteilt, in diesen Gestrüppen wimmelte es von Schlangen
und anderen Kleintieren. Und nur auf dieser Wiese geschah
es, dass mir eine mehr als 2 Meter lange Schlange plötzlich
über meine nackten Füsse kroch, ich blieb unbeweglich
stehen, sie zog weiter!
Aber nicht das war die Schrecksekunde, sondern etwas ganz
anderes. Wenn ich keine Lust verspürte, mit den Eltern aufs
Feld zu gehen, blieb ich einfach alleine zu Hause.
Es war mit grösster Sicherheit im Herbst 1943, Vater war
vermutlich in den Weinreben, Mutter ging hinter den
Friedhof, dort hatten wir eine grosse Gemüsepflanzung.
Ich blieb zu Hause und spielte einmal mehr mit meinen
Freunden, den rotbraunen Ameisen.
Es war sehr ruhig im Dorf, kein Lärm, keine Motoren,
nichts.
Plötzlich, hinter mir ein Geräusch, ich schaue mich
um,
es trifft mich wie der Blitz, zwei bärtige, wilde Gestalten
kommen auf mich zu, sie sind etwa 20 Meter entfernt, tragen
Waffen auf sich, ich erkenne Maschinenpistolen. Sie rufen
mir etwas zu, aber ich schrack derart zusammen, dass ich
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wie ein Berserker durch den Hof davonlaufe, hinten den
Feldweg hinauf und von dort wie von Tausend Teufeln
verfolgt bis zur Mutter hetzte! Eine Strecke von etwa einem
Kilometer.
Dort angekommen, bin ich unfähig, ein einizes Wort auszusprechen, ich liege am Boden und keuche.
Als ich endlich wieder normal reden kann, erkläre ich der Mutter
den Vorfall, sie lacht und meint etwas sarkastisch,
dass das doch nur Rebellen sind, und die doch immer wieder
kommen, um Lebensmittel zu holen. Ich schämte mich
etwas, wunderte mich aber selber auch, weshalb ich diese
Panikreaktion verzeichnete? Später verglich ich das mit
dem Erschrecken der Pferde. Wenn ich tüchtig mithalf,
belohnte Vater dies am Sonntag mit etwas Geldscheinen, das
wurde dann zugleich mein Taschengeld.
***********************
12. Kapitel
1944
War eines der bewegtesten Jahre für mich, voller
Erreignisse und Turbulenzen.
Ab diesem Jahr verzeichnete ich keine Gedächtnislücken
mehr, genauer, was mich beeindruckte, das blieb im
Gedächtnis haften, das Unwichtige vergass ich.
Zudem war es das allerletzte Jahr in gänzlicher Freiheit, das
heisst, noch ohne die Schule.
Im Prinzip war ich nach französischen Schulgesetzen bereits
schulpflichtig, aber niemand kümmerte sich darum.
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31
Manche Kinder wurden bereits mit 4 Jahren
eingeschult, doch meine Eltern hielten wohl wenig
von Anpassung, sie vertraten die Ansicht, dass ich in
der Schweiz im Frühjahr 1945, in die erste
Primaklasse eintreten müsste.
Ich hätte jedoch schon gehen können, wenn ich das gewollt
hätte, ich fand jedoch, ich benötigte die Schule nicht.
Nicht etwa, weil nicht nicht lernen wollte, nein, der Grund
lag ganz woanders, ich suchte keinen Kontakt mit anderen
Kindern. Ich hatte doch meine vielen Freunde, die Ameisen,
und die vielen andern Lebewesen, die sich auf dem
Farmland herumtrieben. Mit Ausnahme der Kühe, hatte ich
mit diesen nie Streit, nein, es herrschte totaler Friede
zwischen ihnen und mir. Wobei ich einen nahezu göttlichen
Status einnahm, ich konnte ihnen das Leben erschweren, sie
töten und stören, wenn ich das gewollt hätte, aber das tat ich
natürlich nicht. Und wenn ich einmal irrtümlich so ein
Kriechtier zertrat, dann war meine Anteilnahme und
Trauer echt. Und wenn die Ameisen sich bei einer Riesenlast
mit dem Transport abquälten, dann konnten sie auf meine
Hilfe zählen. Sogar mit den bösen Schlangen, gab es so etwas
wie einen Waffenstillstand, ob sie sich absichtlich oder
zufällig daran hielten, das bleibe dahingestellt.
Nur für die dummen Hühner hatte ich kein grosses
Verständnis. Beim Eierlegen, stiess ich ihnen manchmal das
Ei wieder zurück, sie reklamierten dabei nicht einmal und
legten einfach nochmals. Dabei wunderte mich, dass solch
kleine Wesen derart grosse Eier produzieren konnten. Den
Hühnern verpasste ich auch Namen, jeweils nach den
Tönen, die sie von sich gaben.
Auch sonst waren diese keine Vorbilder für mich, während
die Ameisen ihre Behausungen sehr gepflegt und sauber
hielten, liessen die Hühner ihren Dreck auf dem ganzen Hof
herumliegen. Ich hatte deshalb auch keine grossen
Hemmungen, ihr Fleisch zu essen.
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13.Kapitel
Die armen Schweine
Mit den Schweinen hatte ich wenig Kontakt, diese wurden
praktisch nur von Mutter gefüttert. Sie waren meiner
Ansicht nach eher dumm, beinahe wie die Hühner, darum
durfte man sie schlachten und essen. (Bitte beachten, bei
diesen Ansichten handelt es sich um das Verständnis eine
Kindes im Alter von fünf Jahren).
Einmal im Jahr, kurz vor Weihnachten, war Schlachttag,
ein richtiger Metzger kam und stiess dem Schwein ein langes
Messer in den Hals. Dabei hatte ich da eine seltsame
Aufgabe erhalten, etwa ab dem 4. Altersjahr, musste ich mit
einem Blechbehälter das Blut auffangen. Das dumme
Schwein schrie wie am Spiess, zwei Männer, welche für
diesen Tag mithalfen, hielten das Biest fest. Wenn die
Schüssel nahezu voll war, war auch das Schwein hin,
röchelte noch leicht und blieb dann für immer ruhig.
Das Blut wurde für die Herstellung von Blutwürsten
und die beliebten „Boudins“ verwendet, auch hier
waren etwa drei Frauen zur Hilfeleistung gekommen.
Diese kannten auch das Rezept für die „Sembura“,
eine Suppe aus Schweinefleisch und Gemüsen, dazu
noch viele Gewürze beigemischt. Eine der vielen
Spezialitäten aus der Dordogne
oder dem Perigord, wie die Franzosen es nennen. Von hier
kennt man eine der besten Küchen weltweit, mit Einflüssen
aus der baskischen und katalanischen Kochwelt. Die
Boudingwurst wurde mit Blut und Speck gemacht, dazu die
Gewürze und Zutaten, welche nur die Einheimischen
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kannten. Eine weitere Spezialität ist das „Chabrol“, man
lässt von der Suppe noch etwas im Teller, danach giesst man
Rotwein dazu, auch das mundet ausgezeichnet.
Die Helfer wurden meistens mit Naturalien entlöhnt und
nach getaner Arbeit wurde stundenlang gespiesen und
geplaudert! Man kannte damals keine Hast, selbst in der
Hochsaison der Sommertage, leisteten sich die Bauern eine
zwei bis dreistündige Mittagsmahlzeit, mit hervorragenden
Salaten, vermutlich die besten der Welt!
Die Esskultur bildete den absoluten Mittelpunkt, dazu die
ausgezeichneten Weine aus der Gegend. Weil man viel
davon konsumierte, wurde der Wein in der Regel um 50%
mit Wasser verdünnt. Das nennt man „Piquet“ oder ähnlich.
Später erfuhr ich, dass diese Art von Schweineschlachten
„schächten“ genannt wird, damit soll das Fleisch besonders
zart bleiben?! Jedoch gilt sowas als Tierquälerei, was ich
damals nicht wissen konnte. Für mich war das eine
gottgegebene Sache, wer als Schwein lebte, musste eben
diesen Tod erleiden. Ich erinnere mich nicht, ob ich für das
Schwein etwelche Gefühle empfand. Ich denke aber, dass ich
mir da eine „Maske“ überstreifte, damit mir das Ganze
nicht zu sehr zu schaffen machte. Solche Sitten und Bräuche
werden den Kindern weltweit als Selbstverständlichkeit
eingegeben, sie kommen deshalb nie auf die Idee, daran
etwelche Fragen oder Zweifel zu knüpfen.
Ich musste auch Schweinefleisch essen, als dann aber eines
Tages der Vater einen Riesenschinken vom Lager holte,
diesen auspackte, war der doch von hunderten von weissen
Maden bedeckt. Das war derart eckelhaft, dass ich mich
später nur noch mit grosser Überwindung an dieses Fleisch
heranmachte.
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14.Kapitel
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Wir produzieren Wein
Auch die besten Weine weltweit kommen aus der Dordogne, im
Ausland wird aber alles unter „Bordeaux“ Weine gehandelt.
Verständlich, dass wir in diesem Weinparadies auch unseren
eigenen Wein erzeugten. Zum Gut gehörten zwei
Rebenparzellen, weit oben an einem Hang zwischen zwei
Wäldern versteckt. Die linke Parzelle wurde von uns bebaut
und gepflegt, für die rechte Seite fehlte uns die Zeit, deshalb
blieb diese verwildert, hatte aber auch gute und süsse
Trauben, die nur den Vögeln dienten. Zudem lauerte dort
fast hinter jedem Rebstock eine Giftschlange! Vater
überliess mir einige Rebstöcke am Rande des Gutes, zudem
eignete ich mir noch diverse Trauben am Waldrand an. Mir
war nie klar, ob der Wald noch zu unserem Gut gehörte.
Diese waren wild, meistens weisse mit einem
ausgezeichneten Aroma. Die Weinlese, „Vendange“ war eine
spezielle Zeit im Herbst, dabei war mir stets eine
Spezialaufgabe zugeteilt, ,ich musste barfuss in das Fass
steigen, das auf der Charette
aufgebaut war, und dann die Trauben mit den nackten
Füssen stampfen! Oft kam auch Hans zur Aushilfe, oder
Leute aus der Nachbarschaft.
Obwohl wir auch weisse Trauben ernteten, hatten wir
immer nur Rotwein im Keller, die rote Farbe dominierte!
Nach der Gärzeit wurde der Wein in die Fässer
abgefüllt, danach Wasser ins grosse Weinfass
nachgegossen, und es entwickelte sich eine zweite
Gärperiode, welche dann einen besonders guten
„Piquet“ versprach. Milch war nie mein bevorzugtes
Getränk, ich war bereits sehr früh an diesen „Piquet“
gewöhnt, der sehr wenig Alkohol aufwies, aber ich
entwickelte noch eine andere Methode, um auch
echten Wein zu kosten. Ich wurde jeweils beautragt,
eine Flasche Wein ab Fass abzufüllen, das tat ich
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gerne und oft, wenn die Flasche voll war, dann lag ich
einfach unters Fass und drehte den Hahn auf,
natürlich blieb es bei wenigen Schlucken, sonst wäre
ich ja betrunken gewesen, aber so merkten die Eltern
nie etwas von meinem Hobby.
Hiess es doch, Alkohol töte die Gehirnzellen, als ich dann
später vernahm, dass der Mensch nur einen Bruchteil seines
Gehirns aktiviert, war mir auch klar geworden, weshalb ich
noch gesunde Hirnzellen hatte.
Wir produzierten mehr Wein, als wir für uns benötigten,
deshalb zahlten wir oft mit Wein statt Geld, oder wir
mussten einen Teil der Resistance (Rebellen) abliefern,
natürlich gegen Gottes Lohn. Dafür befreiten diese uns ja
von den Deutschen.
15.Kapitel
Die fetten Gänse
In der Dordogne waren die Wintermonate sehr mild, in all
den Jahren, erinnere ich mich nur an zwei Winter, bei denen
wir am frühen Morgen einen leichten Flaum an Schnee
vorfanden, oder gefrorenes Wasser in der Kühetränke.
Gegen Mittag schmolz aber Schnee und Eis jeweils dahin. Es
genügte vollkommen, die kleine Wohnung von der
Wohnküche her mit dem Kaminfeuer zu heizen.
Hingegen erlebten wir jeden Winter starke
Atlantikstürme vom Meer kommend, kleine Schäden
an Häusern und
Obstbäumen waren unvermeidlich.
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Aber generell fühlte ich mich in diesem Klima sehr
wohl.
Im Sonner konnte das Thermometer bis auf 40 Grad
ansteigen, die zahlreichen Gewitter sorgten dann für
Abkühlung, mit Ausnahme des Jahres 1947, damals blieben
wir länger als 3 Monate ohne einen Regentropfen. Die
Gewitter waren sehr intensiv, ich erinnere mich an einen
Gewittersturm beim hüten der Kühe hinter dem Friedhof.
Die Wolken reichten bis zum Boden, die Blitze schlugen
rund um mich ein, es roch nach Pulverdampf und Schwefel,
und ich fühlte mich grossartig, die Luft war mit einer
unglaublichen Energie geladen. Aber es traf keine der Kühe
und mich auch nicht, ich konnte aber den Luftdruck fühlen,
derart nahe schlugen die Blitze ein!
Und nach einem solchen Gewitter konnten wir auf den
Wiesen riesengrosse Schneepilze (Schneekugeln) ernten. Es
gab soviele, man hätte das ganze Dorf versorgen können.
Der Perigord ist bekannt für seine hervorragenden „foies
gras“, Gänseleber. Leider ist deren Herstellung mit
Tierquälerei verbunden, etwas, das ich als Kind nicht
realisierte. Im Herbst begannen die alten Frauen mit dem
„Gänsewürgen“, den armen Geschöpfen wurde eine
lange Sonde in den Hals gestossen, eine Art von
Trichter mit Mahlwerk im Handantrieb.
Die Körner wurden in den Trichter geleert, dann drehten
die Frauen das Rad durch und die Nahrung drang den
Gänsen zerkleinert in den Magen. Diese wehrten sich stets
gegen diese Tortur, aber sie waren zu schwach und mussten
nachgeben, ihre langen Hälse waren stets zwischen den
Oberschenkeln der Frauen eingeklemmt. Jeden Abend
wiederholten sie diese Zwangsfresserei, bis dann kurz vor
Weihnachten, die Gänse ihr Soll erreicht hatten, die Leber
übermässig gross war, sie geschlachtet wurden und damit
den lieben Menschen eine Weihnachtsfreude bescherten.
Auch dieser brutale Akt war für mich eine gottgegebene
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Sache, an der es nichts zu rütteln gab. Ich dachte, das sind
wohl auch dumme Tiere und darum verdienen sie diese
Behandlung! Noch eine Bemerkung zu den alten Frauen,
diese sprachen noch einen alten französischen Dialekt, der
sehr dem Katalanischen ähnlich war. Als ich noch nicht die
Schule besuchte, kannte ich verschiedene Worte und war
sehr stolz, dass ich mit den alten Weibern in dieser Sprache
reden konnte. Es sei noch zu vermerken, dass es im Dorf
kaum alte Männer gab, fast alle starben im Ersten
Weltkrieg!
16.Kapitel
Eine „Kalberei“
Wenn eine Kuh ein Kalb warf, war ich meistens als
neutraler Zuschauer dabei. Ich war damals der festen
Überzeugung, dass nur Tiere so auf die Welt kommen,
Menschen jedoch, besonders ich, wäre mit einem
Raumschiff angekommen, sicher nicht auf diesem
primitiven Weg, wie zum Beispiel ein Kalb!
Dieser Vorgang war immer gleich, erst platzte eine Blase,
dann erschienen Haut und Knochen des Kalbes und nach
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einem grossen Kraftakt, bei dem Vater seine ganze
Körperstärke einsetzen musste, war dann das Kalb da.
Wie alle anderen Vorkommnisse, gehörte auch das
„Kalben“zum Alltag.
Es war im Frühsommer, vom Alter her, könnte es sich im
Jahr 1943 abgespielt haben, die Eltern arbeiteten auf dem
nahen Acker mitten im Dorf. Es waren nur etwa 300 Meter,
bis zum Kuhstall. Eine Kuh war kurz vor dem „Kalben“,
darum musste ich, etwa jede Viertelstunde nachsehen, ob
der Geburtsvorgang eingesetzt habe, damit Vater der Kuh
Hilfe leisten konnte.
Ich rannte viele Male hin und her, schaute dabei immer nur
auf den Geschlechtsteil der Kuh, dorthin, wo ja das Kalb
rauskommen musste. Da war aber nichts zu sehen, also
nichts wie zurück und Fehlalarm melden.
Vater wurde nach einiger Zeit misstrauisch: „Hast Du
wirklich gut geschaut?“ fragte er mehrmals. Ich konnte ihm
versichern, dass dort, wo das Kalb kommen musste, rein
nichts war!
Nach rund 2 Stunden ging er selber nachsehen, ich ging mit
und war „siegessicher“, dass ich recht hatte.
Aber was für eine Schlappe, Vater lachte und zeigte in die
hinterste Ecke des Stalls:“Siehst Du dort hinten das
Kälblein, das ist von dieser Kuh hier, Du musst noch viel
dazulernen!“
Ich schämte mich und wäre am liebstem vom Erdboden
verschwunden, so eine Blamage hatte ich noch nie
eingefangen.
Ich konnte mir das Ganze nicht erklären, vermutlich warf
die Kuh bereits vor meinem ersten Besuch und das Kalb war
bereits weggelaufen? Oder der Vorgang ging derart schnell
vor sich, dass es sich zwischen zwei Kontrollen abspielte, ich
unterliess es aber, in die dunkle Ecke zu schauen, fixierte
meinen Blick nur auf den Kuhhintern.
Bald einmal wusste das ganze Dorf von meiner Geschichte,
die sich wie ein Witz herumsprach!
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17. Kapitel
Der Dreschtag
Dieser Tag wurde jedes Jahr wiederholt, die Landwirte der
weiteren Umgebung mieteten sich von einer Zentrale eine
Dreschereimachine welche von einem Dampf-Lokomobil
angetrieben wurde. Der Inhaber dieser Monsterfahrzeuge
hiess Martin Beau, er war zugleich Heizer und Leiter,
zuständig für die Einhaltung der Dreschpläne. Jeder
Landwirt wusste im voraus, wann sein Dreschtag war.
Für mich war das immer ein Höhepunkt, das begann schon
am Vorabend, wenn die Maschine und das Lokomobil vom
Fontfranc unten ins Dorf gekarrt wurden. Die Naturstrasse
war sehr steil, es bedurfte etwa 6 bis 8 Ochsen oder
Kuhgespanne, um die Riesendinger endlich hochzukriegen.
Dieser „Krampf“ nahm oft bis 2 Stunden in Anspruch, die
Tiere wurden bis zum Letzten gefordert. Sie mochten etwa 2
Meter ziehen, dann wurden Bremsklötze untergeschoben,
wenn die Tiere sich erholt hatten, kam der nächste Schub!
Am nächsten Morgen kam der Martin Beau immer als
Erster um aufzuheizen, dann, etwa um 9 Uhr waren die
meisten Helfer eingetroffen, auch Bruder Hans musste
jeweils kommen. Vom Lokomobil bis zur Maschine waren es
rund 12 bis 20 Meter Distanz. Ein langer Treibriemen
wurde vom grossen Rad des Lokomobils auf das kleine Rad
der Dreschmaschine gespannt. Dann wurde den ganzen Tag
gedroschen und Wein gesoffen, mehrere Frauen kamen zur
Mithilfe in Mutters Küche. Ein Fass Wein genügte nicht für
diesen Tag. Am Abend verzogen sich die Helfer nach Hause,
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meistens zu Fuss, die andern mit dem Fahrrad.
Ab dem 5. Altersjahr wurde ich als vollwertiger Mithelfer
eingestuft, darauf war ich sehr stolz, sei es, dass ich die
Garben dem Drescher reichen musste, oder aber diese mit
der Gabel hinschmiss, und das den langen Tag lang.
Dafür durfte ich dann mit den Erwachsenen am langen
Tisch speisen und Wein trinken wie die Grossen.
Vater musste natürlich allen anderen Landwirten ebenso
Hilfe leisten, das hatte zur Folge, dass er jedes Mal stock
besoffen nach Hause kam. Dann begann er jeweils eine
Porzellanschlacht gegen die Mutter. Diese schmiss zurück
und ich rief laut „Treffer“, wenn sie traf. Am andern
Morgen war die Wohnküche weiss mit Scherben bedeckt.
Da ich keine andere Ablenkungsmöglichkeiten kannte,
bildeten diese Schlachten für mich eine spannende
Abwechslung.
Diese Anlässe waren eigentlich die einzigen Momente, bei
denen ich den Vater betrunken sah.
18. Kapitel
Blanca
Vom 4. bis zum 10. Altersjahr, war das Kühehüten eine
meiner Hauptaufgaben. Mit wenigen Ausnahmen, fand dies
im stillen Tal statt. Meistens waren es 5 bis 6 Kühe, alle
führten einen Namen, aber die beiden Hauptarbeitskühe
waren die Rouge und die Blanca, richtige Persönlichkeiten.
Die Namen der anderen habe ich vergessen, sie waren auch
weniger interessant. Die Rouge war die duldsame,ruhige, die
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Blanca die freche, muntere Kuh. Ich hatte grosse Probleme
mit ihnen, eine Ausnahme machte nur die Blanca.
Weit oben im Tal hatte Vater ein Maisfeld, ebenso ganz
unten, nahe der Quelle, und ich hatte den Auftrag, dass
keine Kuh ins Maisfeld gehen durfte, das hätte mir eine
Einbusse beim Zahltag eingebracht, weil die Kühe es liebten,
sich im grünen Feld breit zu machen und die Stauden nieder
zu trampeln. Sämtliche Kühe hielten sich an meine
Weisungen, sie blieben den Maisfeldern fern. Mit einer
Ausnahme, die freche Blanca, sie machte es sich zum Spass,
mich zum Narren zu halten.
Sie konnte schneller rennen als ich, also ging sie erst zum
unteren Maisfeld, frass einige Blätter und wartete mit
frechem Blick auf mich, sobald ich etwa drei Meter nah war,
warf sie ihren Schwanz in die Luft und machte einen grossen
Satz davonlaufend, dabei schaute sie mich derart verächtlich
an, dass ich fast heulen musste, sie rannte schnurstrackts
durchs ganze Tal, wohl wissend, dass ich ihr nicht folgen
konnte, dann, kaum beim oberen Maisfeld angelangt,
begann sie wieder dort zu fressen, immer mit diesem
verächtlichen Blick ihrer weissen Kuhaugen. Sie schien
dreckig zu lachen, und wenn ich mit dem Stock nahe genug
war, wieder dieser Salto und weg war sie!
Ich weiss nicht mehr wie oft wir hin und her liefen, aber ich
war völlig am Ende, hatte eine Riesenwut auf Blanca, tat sie
das doch absichtlich, nur um mich zu ärgern, oder wollte sie
nur mit mir spielen? Diese Überlegung kam mir erst viel
später, ich war sicher, sie war eine teuflische Kuh, sie wollte
nur mein Leben erschweren, wusste sie doch sehr genau,
dass sie im Maisfeld nichts zu suchen hatte!
Den andern Kühen war ich sehr dankbar, dass sie sich an
der Verschwörung nicht beteiligten. Am nächsten Tag
versuchte sie das Spiel erneut, aber ich machte ganz einfach
nicht mehr mit, das war die Lösung, sie gab auf!
Sie versuchte es dann oft auf dem Heimweg, aber da war
Vater dabei und ich war wenigstens nicht schuldig. Sie
scherte einfach aus, rannte zu einer Kleewiese oder einer
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Anpflanzung und frass demonstrativ davon. Ich hatte jedoch
immer den Eindruck, dass sie es besonders auf mich
abgesehen hatte, deshalb blieb sie mein Feindbild.
Die Rouge hingegen war fast ein mütterlicher Typ, nie gab
sie mir Probleme auf. Hingegen verpasste ich ihr ungewollt
eine kleine Verletzung. Wenn die Kühe die hohle Gasse
hinaufeilten, mochte ich ihnen kaum folgen, also liess ich
mich wie an einem Schneelift hinaufziehen. Und das am
Schwanz der Rouge, die hatte nichts dagegen, wenn ich mich
von ihr ziehen liess. Einmal machte ich mich besonders
schwerfällig, war wohl müde, ja, und plötzlich hielt ich nur
noch ein Stück Schwanz in meinen Händen, fiel fast auf den
Rücken! Ich war völlig überrascht, warf den Schwanz ins
Gebüsch und sagte dem Vater nichts. Aber statt mich zu
fragen, was passiert sei, sagte er mir, die Ratten hätten den
Schwanz der Rouge angenagt, ich machte nur ein erstauntes
Gesicht, gut, sollen doch die Ratten schuld sein! Der
Schwanz, welcher etwa am drittletzten Wirbel brach, wuchs
wieder nach und ich hielt mich fortan von dieser
Erleichterung zurück, war auch älter und konnte besser
folgen.
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19.Kapitel
Lucien Flacha
Ich erwähnte bereits, dass ich keine Spielkameraden hatte,
das stimmt nur teilweise, die Nachbarn, Familie Blondi,
hatten einen Knaben, der war aber etwa 2 bis 3 Jahre
jünger, deshalb für mich uninteressant. Das heisst, ab und
zu kam der Kleine zu mir, und einmal geschah es, ich
bediente den Schleifaparat, mit dem man Messer etc. zu
schleifen pflegte, das Antriebsrad war mit einem Zahnrad
zur wagrechten Welle verbunden. Plötzlich, als ich das Rad
drehte, rammte der Yve, wie er hiess, seinen Zeigefinger
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zwischen die beiden Zahnräder, ein Aufschrei und sein
Finger war gequetscht, das verpasste mir eine Schelte von
beiden Seiten, ich mochte 5 sein, er etwa 2 ½ , deshalb wurde
nur ich getadelt. Er hielt sich fortan von mir fern, das war
mir auch recht, denn ich wollte nicht immer an seinen
verkrüpelten Finger erinnert werden.
Durch das stille Tal führte ein Weg quer in der Mitte durch,
auf die andere Hügelseite, dort oben wohnten zwei oder drei
Familien. Eine hiess Flacha, die andere Metranchard oder
so, der Weiler hatte einen Namen, an den ich mich nicht
erinnere, (Labertini?) die Flacha hatten zwei Kinder, ein
Mädchen von etwa 11 und ein Knabe in meinem Alter, den
Lucien, also etwa 4 jährig. Manchmal, wenn ich noch mit
Mutter beim hüten der Kühe im Tal war, zogen diese
Kinder mit ihrer Mutter an uns vorbei, und meine Mutter
stellte mich ihnen vor. Ich sprach damals, mangels Kontakt,
kaum Französisch, ich war aber auch im schweizerischen
Dialekt nicht sehr bewandert, meine Konversationen
beschränkten sich auf den Umgang mit den vielen Tiere.
Anfänglich war ich nicht interessiert, mich mit menschlichen
Wesen abzugeben, die Tiere waren viel interessanter.
Bis zum Schulbeginn hatte ich deshalb kaum Kontakt mit
dem Lucien, er ging jedoch bereits vor mir zur Schule, er
hatte auch Jahrgang 1938.
Lucien sollte mein einziger Kollege werden, er war etwas
einseitig für die Sexualität interessiert. Ich werde später
noch speziell auf ihn eingehen, als wir zusammen die
Schulbank drückten. Er war, wie ich, praktisch alleine, seine
Schwester war mit 14 (als wir 7 Jahre zählten),bereits eine
richtige Frau, sie verursachte mir oft lange
Einschlafperioden, doch darüber
später. Ich denke, das Verhältnis zu Lucien, war wohl
ähnlich, wie jenes zwischen zwei Brüdern, die sich gut
zusammen vertragen.
Aber das war erst ab dem Frühjahr 1945, nach Kriegsende
und meinem Schuleintritt der Fall.
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Bis dann sah ich ihn nur jeweils aus der Ferne, meistens mit
seiner grossen Schwester, durchs stille Tal laufen und
winken. Ich hatte erwähnt, dass man im Tal keinerlei
menschliche Zivilisation sehen konnte, das ist richtig, denn
der Weiler war von dort unsichtbar, weil weit oben auf einer
Ebene gebaut, zudem noch mit Wald und Busch getarnt.
Bis Lucien und ich Freunde wurden, sollten wir noch den
Krieg aus nächster Nähe und in seiner vollen Brutalität
erleben, das Jahr 1944!
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20. Kapitel
Die Familie
Steiner und
Co.
Ich habe bereits andere Schweizer Familien im Umkreis von
rund 40 Kilometern erwähnt.
Zwei davon blieben mir besonders in Erinnerung, einmal die
Steiners, dann die Wäflers.
Die Wäflers lebten nur unweit von der Simonette entfernt
auf einer Anhöhe, ein romantischer Weg führte zu deren
Landgut hinauf. Sie lebten in einer Art von Schloss, und sie
benahmen sich auch wie Schlossherren. Sie stammten aus
Laterbach im Simmenthal, besassen aber in Stresa/Italien,
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eine Villa am Lago Magiore. Herr Wäfler war ein mächtiger
Mann, er überragte meinen Vater um nahezu zwei
Kopflängen, (Vater war 172 Zentimeter gross), hatte einen
mächtigen Bauchumfang, eine Silberkette seiner
Taschenuhr hing über seinen Bauch herunter, und mit
seinem ruhigen, aristokratischen Oberländerdialekt wirkte
er für mich echt sonderbar. Vater wirkte neben ihm eher ein
Knabe. An Frau Wäfler erinnere ich mich kaum, sie war
gross und stets schwarz gekleidet, sprach selten ein Wort.
Eines war mir schon damals klar, die Wäflers waren sehr
reich!
Sie hatten 2 Söhne, (Irrtum vorbehalten) beide zwischen 20
und 30 jährig, und sie waren wohl auch um die 2 Meter
gross, aber sehr schlank.
Etwa im Sommer 1943, starb einer von ihnen an einer
Bluterkrankung, meine Eltern gingen an die Beerdigung, ich
war allein auf der Simonette, an diesem Nachmittag flogen
verschiedene deutsche Flugzeuge über mich hinweg,
hauptsächlich diese Messerschmidtmaschinen, die wie eine
Hornisse brummten. Dabei brachte ich das in Verbindung
mit der Beerdigung. Natürlich bestand kein
Zusammenhang. Weil die Deutschen im Sommer 44, kaum
noch Flugzeuge besassen, kann ich mit Sicherheit auf den
Sommer 43 tippen. Selbst meine Eltern konnten mir später
nicht mehr genau sagen, wann diese Dinge passierten,
darum halte ich mich besser an die historischen
Vorkommnisse.
Danach sah ich die Wäflers nie mehr, ich glaube, sie hatten
das Gut verkauft und zogen nach dem Krieg wieder nach
Stresa.
Die Familie Steiner war da anders, ähnlich wie wir, arm
ausgewandert und arm geblieben, weil der Krieg allen einen
Strich durch die Rechnung machte.
Sie waren nur etwa vier Kilometer von uns entfernt, mit
vielleicht 6 Kindern, alle älter als ich, die jüngste Tochter
traf ich noch in der Schule an, davon später.
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Und die Steiners besuchten uns wohl am meisten, sie waren
einfache, hart arbeitende Leute, ohne falschen Stolz.
Ihre Kinder blieben alle in Frankreich und waren
hundertprozentige Franzosen geworden. Auch die Eltern
zogen es vor, dort zu verbleiben.
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Nachtrag: Im Jahr 1972, besuchte ich die Steiners in Saint
Astier, beide Eltern gegen 80 und krank, die jungen Steiners
lebten, mit Ausnahme von zwei Brüdern auf dem Landgut,
in den Städten von Frankreich (Bordeaux, Lyon, etc,).
Kurze Zeit später traf ich im Thurgau auf Verwandte von
ihnen, dabei vernahm ich auch, dass beide Eltern verstorben
waren.
21. Kapitel
Furcht vor
Uniformen
Vor Ärzten hatte ich eine angeborene Angst, aber auch vor
fremden Menschen generell, selten traute ich mich ins Haus,
wenn unbekannter Besuch da war. Wenn der Dr. Kübler
erschien, dann blieb ich oft den ganzen Tag fern, spielte mit
den Tieren etc., gegen Abend schlich ich dann ums Haus
herum, um festzustellen, ob der Gast gegangen war.
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Die Eltern kannten meine Abneigung und liessen mich
gewähren, Mutter war auch nicht besorgt, wenn ich einen
halben oder ganzen Tag fern blieb. Sie wusste, wo ich mich
aufhielt, meistens bei den Ameisen hinter der Pflanzung ob
der Farm.
Aber auch vor Uniformen hatte ich eine grosse Furcht, nur
der Briefträger, Monsieur Robert, diesen kannte ich als
gutmütigen Mann in Uniform, und vor ihm rannte ich nie
davon.
An einem ruhigen nachmittag, lief ich am Friedhof vorbei,
auf einer Naturstrasse, welche bis nach Bergerac führte.
Ich war wohl etwas Gedanken abwesend, denn plötzlich
stand ich vor zwei uniformierten Gendarmen, sie mochten
noch ca. 50 Meter von mir entfernt sein, wie immer in
solchen Situationen, rannte ich panikartig davon um mich in
den nahen Reben zu verkriechen. Doch die Gendarmen
riefen mich zurück, ja, sie rannten mir nach wie einem
Verbrecher!
Ich gab auf, schliesslich hatte ich ja nichts auf dem Kerbholz
und war ein kleines Kind. Zitternd wartete ich am
Strassenrand, bis die beiden vor mir standen, ich bestaunte
ängstlich die Uniformen.
Weshalb ich davonrenne? Fragte einer, ich wusste es ja
selber nicht und konnte nicht antworten, dann fragte der
andere, wo ich wohne, ich konnte auf die Farm zeigen.
Als sie bemerkten, dass ich praktisch auf dem eigenen Land
weilte, liessen sie mich gehen. Für mich aber, war das ein
Horrorerlebnis, das mich noch lange beunruhigte, oder
beschäftigte.
In der Tat wunderte ich mich manchmal selber, woher diese
angeborene Furcht herkam? Als ich mich dann später mit
der Parapsychologie beschäftigte, erhielt ich teilweise eine
Antwort auf diese Frage, wobei diese Schlussfolgerung aber
nicht wissenschaftlich abgesichert war.
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22.Kapitel
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Soso Bitschi
Es war eine meiner Spezialitäten, sowohl den Menschen wie
auch den Tieren meine eigenen Namen zu verpassen.
Bei den Menschen beschränkte ich das auf die Frauen, im
Dorf hatte fast jede zweite Frau einen Namen von mir
erhalten. Die Namen entstanden auf sehr einfache Art, wenn
sie drauflos redeten, gab es oft Wiederholungen, und darin
fand ich dann ihren Namen.
Aber auch das Aussehen konnte mitspielen, so erinnere mich
an eine Frau „Pulgerie“, diese glich einer Karikatur mit
grossem Hinterteil aus der Zeitung. Vater hatte die
„Republique Francaise“ abonniert.
Diese Zeitung wurde in Bordeaux gedruckt und war vom 5.
bis zum 10. Altersjahr, praktisch meine einzige Lektüre.
Die Familie Steiner wohnte im „Maison Basse“, einem
Weiler unweit von uns, ihre Nachbarn waren Polen.
Es gab sogar zwei Polenfamilien, auch sie besuchten uns ab
und zu. An die Ehemänner erinnere ich mich nicht, jedoch
an die beiden Frauen. Sie waren kugelrund und sprachen
gebrochen Deutsch. Besonders imponierend waren ihre
Hinterteile, derartige Kaliber sah ich sonst nirgends.
Besonders eine von ihnen, jene mit dem grösseren Po,
sprach stets drauflos, jeder zweite Satz war:“ soso, bitzeli“.
Klar, dass sie von mir „Soso Bischi“ getauft wurde, meine
Eltern fanden diesen namen besonders lustig. Und wenn die
Polinnen nahten, rannte ich zu Mutter und meldete:“Soso
Bitschi kommt!“ Die andere Frau sprach kaum und hatte
darum auch keinen Namen erhalten.
Ein Huhn erhielt den Namen „Petateli“, weil es immer einen
ähnlichen Laut von sich gab. Die Kühe hingegen, die wurden
von Vater getauft, da konnte ich nicht mitreden. Diese
hatten ihre Namen bereits erhalten, als ich noch nicht
sprechen konnte.
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Bis zum Schulbeginn blieb mein Sprachschatz sehr
rudimentär, ein paar Worte Schweizerdeutsch (Elsässisch)
und Französisch. Die Eltern hatten kaum Zeit für mich, und
mit den Tieren konnte ich meinen Wortschatz auch nicht
gross erweitern. Als ich später besser Französisch
beherrschte, führte ich im stillen Tal oft Selbstgespräche,
einmal kam Vater hinzu und wollte wissen, mit wem ich
spreche, da antwortete ich einfach: „Mit den Kühen“.
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23.Kapitel
„Le Petit Suisse“
Ich war anders, das wurde mir allmählich bewusst gemacht,
im Dorf wurde ich „Le petit Suisse“ genannt, der kleine
Schweizer.
Ich war somit kein Franzose, wie alle andern, konnte mir
aber den Unterschied nicht so richtig vorstellen. Gemäss
meinen Eltern, war die Schweiz ein nahezu paradiesisches
Land, wo es all die guten Sachen gab, die uns hier in
Frankreich damals mangelten. Etwa Käse, Schokolade,
Waffeln und andere Süsswaren, die ich nicht kannte. Ich
machte mir bekanntlich nichts aus Süssigkeiten, darum
träumte ich auch nicht speziell von diesen Produkten.
Vater war aber der Ansicht, dass in der Schweiz auch das
Bier viel besser munde, zudem gebe es dort viele Marken
davon, nicht nur eine, wie damals in Frankreich.
Ich aber fühlte mich mehr und mehr als Franzose, nach
Schulbeginn erst recht. An den Namen gewöhnte ich mich,
fand den aber nicht diskriminierend, eher als etwas
Besonderes.
Dazu halfen natürlich meine Eltern, mit ihrer Schwärmerei
und dem Patriotismus zur Schweiz.
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Wenn ich also zu diesem Superland gehörte, dann durfte ich
ja auch etwas stolz darauf sein!
Aber besonders viele Gedanken darüber machte mir
deshalb nicht.
Meistens hörte ich diese Bezeichnung im positiven Sinne,
abgesehen von einigen Fällen, bei denen ich mich negativ
ins Zeug legte, und dabei wenig ruhmreich abschnitt.
Mein frühes Bekenntnis zu Frankreich, aber auch zu den
Befreiern, den AMIS, führte schon sehr bald zu
Meinungsverschiedenheiten mit meinem Vater. Halbruder
Hans war dabei auch mitschuldig, er bekannte sich schon zu
Frankreich, als ich noch nicht einmal gehen konnte.
Irgendwie bildeten wir zwei eine Front gegen die
deutschfreundliche Einstellung des Vaters. Mutter war
neutral und hatte, wie damals die meisten Frauen, keine
eigene Meinung dazu. Leider war Hans nur selten zu
Besuch, und ich blieb dann alleine mit meiner frankophonen
Gesinnung, dies wurde aber von mir und ihm erst nach der
1. Klasse richtig bewusst wahrgenommen.
Dabei waren die geschichtlichen Ereignisse besonders
ausschlaggebend, der deutsche Terrorkrieg im Jahr 1944,
die Bomben der AMIS, die Befreiung von Frankreich und
die darauf folgende Aufbruchstimmung.
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24. Kapitel
Der tote Spion
Es war im April oder Mai 1944, die Resistance schlug
überall zu, Strassen wurden mit gefällten Bäumen gesperrt,
damit deutschen Aufklärungsfahrzeuge nicht passieren
konnten. Diese wurden dann aus dem Hinterhalt beschossen,
das hatte wiederum zur Folge, dass die Deutschen sich mit
brutalen Morden an der Zivilbevölkerung rächten. Die
Rebellen trugen keine Uniformen, sie waren deshalb
gewöhnliche Banditen nach deutscher Rechtsschreibung.
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Die Resistance hatte es aber besonders auf Verräter
abgesehen, meistens Franzosen, welche sich zum
Gedankengut der Nazis bekannten.
Aber auch mein Vater galt als möglicher Spion, deshalb
wurde ihm und seiner Frau verboten, das Landgut zu
verlassen, wie bereits zuvor erwähnt, führte dieser Umstand
dazu, dass ich ab Frühjahr oder Sommer 1943, jede Woche
einmal nach Villamblard radeln musste. Im Frühjahr 1944,
war das für mich bereits zur Routine geworden. Ob sich die
Eltern ängstigten oder nicht, es gab keine Alternative.
Von den Partisanen war keine Gefahr, und von deutscher
Seite vermutlich auch nicht, ganz ausgeschlossen war das
jedoch nicht, denn die konnten ja im kleinen Knaben einen
üblen Kurier des Feindes vermuten!
Auf der sieben Kilometer langen Naturstrasse begegnete ich
selten einem Menschen, in der Regel aber auch auf einem
Fahrrad. Nach dem Krieg wurde die Strasse asphaltiert und
dadurch besser nutzbar.
Im Dorf machte eine Nachricht die Runde, wonach an der
Kreuzung von Maison Basse nach Villamblard, ein Spion
erschossen worden ist. Der Leichnam sei in der Wiese links
der Strasse begraben worden, jedoch ragten die Arme noch
aus der Erde!
Ja, und am nächsten Vormittag war ich dran, dort vorbei zu
fahren!
Ich konnte nicht begreifen, weshalb der Mann erschossen
wurde, unter dem Wort Spion konnte ich mir nichts
vorstellen.
Also nahm ich an, auch ich würde dort beschossen werden,
sagte aber meinen Eltern nichts über meine Bedenken.
Eigentlich war ich neugierig, wollte die Arme des Toten
sehen, welche angeblich aus der Erde ragten.
Als aber die Kreuzung nahte, bekam ich es plötzlich mit der
Angst zu tun! Ich trampelte wie wild in die Pedale, schaute
weder nach links und nach rechts, wartete ab, ob wohl
Schüsse fielen, doch es geschah rein nichts, als ich die
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Kreuzung hinter mir hatte, atmete ich auf, weit und breit
kein Mensch!
Auf der Rückfahrt schaute ich sogar nach dem angeblichen
Grab, konnte aber nichts sehen und getraute mich auch
nicht danach zu suchen. Zu Hause meldete ich nur, dass ich
den Spion nicht gesehen hätte. Der Name des Spions war
unbekannt, seltsam aber war, dass der Dr. Kübler seither
nie mehr vorbei kam und auch für immer verschwunden
blieb!(Er war Elsässer).
Später vernahm ich, dass er ein deutscher Spion war, er
brachte mit seinen steten Besuchen auch meinen Vater in
Schwierigkeiten!
Ob er aber jener Tote war oder nicht, dass vernahmen wir
nie.
25. Kapitel
Gefährlicher
Auftrag
Die „Säuberungsaktionen“ der deutschen Wehrmacht
näherte sich täglich mehr und mehr in unsere Richtung.
Horrormeldungen machten die Runde, etwa von
Massenhinrichtungen und Morden an Zivilpersonen,
der Fall von Oradour-sur-Glane,(ca. 90 Kilometer von uns
entfernt), war in aller Mund.
Die Leute waren geschockt, ich verstand nicht so recht,
weshalb man eine solche Angst haben sollte. Ich hatte keine,
war aber sehr neugierig, was da noch auf uns zukommen
mochte? Und ich sollte schon bald Gelegenheit erhalten, den
Krieg selber zu erleben. Es war ein schöner Abend, kurz vor
dem Einnachten, da erscheint ein Chef der Resistance, den
wir nicht weiter kannten, er war vermutlich höher im Rang
als Monsieur Blondi. Er befahl meinem Vater fast ultimativ,
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er solle oben bei der Labertini, an einem Waldrand,
amerikanische Güter abholen und diese in unserer Scheune
lagern, bis die Resistance diese abholen werde!
Vater spannte die beiden Arbeitskühe ein und wir fuhren
davon, ich sass hinten auf der Ladebrücke.
Der Ort mochte um die 2 bis 3 Kilometer entfernt liegen.
Aber noch nie erlebte ich einen Sonnenuntergang wie an
diesem Abend! Die Sonne war blutrot und bedeckte den
halben Abendhimmel. Ich war damals 5 jährig und 9
Monate alt, erinnere mich aber gut, dass ich diese
Naturerscheinung mit unserem Abenteuer in
Zusammenhang brachte, natürlich behielt ich das für mich,
Vater hatte andere Sorgen. Ich erzählte den Eltern selten
etwas über meine Gedankengänge, erstens, weil sie keine
Zeit dafür hatten und zweitens, weil ich ja doch nie eine
verständliche Antwort erhielt. Eine meiner Fragen lautete
etwa:“Warum gibt es Krieg?“ Doch darauf erhielt ich
einfach nie eine plausible Erklärung, nur, dass ich für solche
Fragen zu klein sei. Woher die Kinder kommen war für
mich klar, die wurden mit einem Raumschiff gebracht,
deshalb erübrigte sich diese Fragerei. Es lag aber auch eine
seltsame Atmosphäre in der Luft, fast wie bei den Blitzen
und Gewittern, wenn ich mich so leicht und geladen fühlte.
Endlich konnte ich Material von den AMIS sehen, die
kamen ja auch vom Himmel her.
Wir erreichten den Waldrand und sahen den Haufen, den
wir verladen mussten, es war bereits halbdunkel.
Da waren wollene Decken fürs Militär, ganze Bündel von
Gummistiefeln, grosse Karnister mit Konfitüren oder
Marmeladen, sowie grosse Blöcke von Margarinen, etwas,
was wir damals in Frankreich nocht nicht kannten. Ich war
ganz benommen, was für Leute mussten die AMIS sein,
wenn sie solche Mengen an Material einfach vom Himmel
runter werden konnten?
Es gab noch mehr zum verladen, aber ich erinnere mich nur
an diese Artikel. Mit der vollbeladenen Charette fuhren wir
zurück, ich sass glücklich auf den Decken. Dabei realisierte
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ich nicht, auf was für einem Pulverfass ich sass, wäre eine
Deutsche Einheit aufgekreuzt, wir wären sofort exekutiert
worden, möglich, dass die Kühe überlebt hätten.
Der blutrote Himmel wäre dann nur eine Vorwarnung
gewesen. Wir befanden uns rund 200 Meter von unserem
Haus entfernt, als ein anderer Chef auftauchte und uns
beschuldigte, wir hätten die Ware gestohlen!
Vater wurde nun wütend und er tat das einzig Richtige, er
spannte die Kühe aus und kippte das Zeug rückwärts den
Hang hinunter: „Da habt ihr euren Scheiss“, so etwa seine
Antwort. Wir fuhren leer nach Hause. Am nächsten Morgen
war die Ware weggeräumt. Das war auch gut so, denn die
Lage wurde nun sehr kritisch! Die Nervosität der
Rebellenführer verbreitete Spannung im Dorf.
Nachtrag: Erst viel später wurde mir bewusst, in welche
Gefahr uns diese Mission damals hätte bringen können.
Zum Glück stiessen wir auf keine deutschen Suchtrupps, die
Tatsache, dass wir feindliches Material mitführten wäre für
uns zwei unter den damaligen Bedingungen tödlich
verlaufen! Das blieb auch meine einzige aktive Mitwirkung
im ganzen Zweiten Weltkrieg.
26. Kapitel
Bomber und
Bomben
Über den Verlauf des Krieges vernehme ich nur wenig, da
ich die Zeitung noch nicht zu lesen vermochte, war ich auf
die Aussagen der Erwachsenen angewiesen. Immer öfters
fiel das Wort „AMI“ oder „Les AMI“, was mit den
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Amerikanern identisch war. Alle erwarteten ihre Ankunft
und den Frieden. Es zirkulierten Gerüchte, wonach sie bald
an den Küsten landen werden und dann die Deutschen sich
zurückziehen müssten.
Soviel konnte ich verstehen, aber vorher noch, besuchten
uns die AMI nur mit ihren Bomberflugzeugen.
Und rund drei Wochen lang, jeden Abend nach
Eindunkelung, nein, sie hatten es nicht auf unser Dorf
abgesehen, sondern auf deutsche Munitions und
Waffenfabriken rund 5 Kilometer entfernt, bei Bergerac.
Die Bombardierungen dauerten nur etwa eine halbe Stunde,
dafür aber sehr intensiv. Der Luftdruck war derart stark,
dass sich unsere Stubentüre von selbst öffnete!
Ich machte mir bereits einen Spass daraus, zu wetten, dass
an diesem Abend die Türe wieder aufgesprengt würde.
Die Eltern fanden mein Spiel eher lustig. Der Himmel wurde
dann rötlich erleuchtet, man sah auch Scheinwerfer,
vermutlich von der Deutschen Luftabwehr. Ob jemals ein
Flugzeug abgeschossen wurde, das entging meinen
Kenntnissen. Wir hatten aber absolute
Verdunkelungspflicht.
Die Lage war buchstäblich explosiv, allen war bewusst, wir
standen vor grossen Ereignissen.
Die Resistance wurde plötzlich sehr mutig, täglich wurden
deutsche Konvois überfallen und meistens alle Soldaten
getötet. Die Folgen davon mussten die Zivilpersonen
erleiden.
Wer als „Maquis“ in einem der grossen Wälder versteckt
war, musste am wenigsten um sein Leben fürchten.
Auch von einer grossen Invasion war die Rede, aber
niemand wusste wo. Eine Variante war, von Algerien und
Tunesien aus nach Südfrankreich. Eine andere von England
in den Nordwesten von Frankreich.
Den Leuten konnte es egal sein, die Hauptsache war, es
wurde endlich Frieden im Land!
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Aber vorher schlugen die deutschen Divisionen nochmals
richtig zu und hinterliessen eine Blutspur durch den ganzen
Südwesten.
27. Kapitel
Der 6. Juni 1944
Am 6. Juni 1944, begann die Befreiung von Europa durch
die Allierten Streitkräfte. Darüber muss ich nicht berichten,
denn ich bekam davon nur sehr wenig mit, selbst die Leute
im Dorf, wussten nur, sie sind im Nordwesten gelandet,
„Normandie“, mehr war nicht bekannt.
Ich kenne den Wochentag der Landung nicht, aber ich
weiss, dass an diesem Tag oder einer/zwei danach, an einem
Sonntagmorgen, über uns der Himmel dunkel wurde, weil
sich ein Geschwader von 54 US-Bombern von Süden nach
Norden bewegten. Es war eine Sensation, noch nie sah ich
mehr als ein bis zwei Flugzeuge zusammen am Himmel
fliegen, und jetzt gleich 54!
Weshalb 54? Weil ich sie zweimal zählte, und, obwohl ich
nocht nicht in die Schule ging, konnte ich zählen und bereits
leichte französische Texte lesen. Allerdings kamen die Eltern
nur auf 52 oder 53, aber die zählten nur einmal!
Ich hätte sie sogar dreimal zählen können, derart langsam
flogen sie! Im Zeitalter der Überschallflieger kaum noch
vorstellbar. Es folgten noch kleinere Geschwader die mir
aber schon weniger imponierten. Ich freute mich auf die
Befreiung, es lag eine optimistische Stimmung im Volk.
Diese AMIS mussten übermächtig sein, mit ihnen durfte
man sich nicht anlegen. Bereits kamen da meine ersten
Träumereien über dieses Wunderland auf, die Eltern waren
da zwar anderer Ansicht, für sie war die Schweiz das Land
ihrer Träume. Und Vater war immer der Ansicht, wir
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gehörten auch der deutschen Rasse an, nur Deutschland
könne Europa führen! Doch davon verstand ich nichts, für
mich waren sie die Feinde.
Das sagte der Hans und der war mein Halbbruder, also
musste er recht behalten, Vater hasste ihn nur, weil er für
die Franzosen kämpfte, so empfand ich das aus meiner
Sicht!
Ich wusste allmählich, welche die Guten und welche die
Bösen waren. Diejenigen, welche Leute ermordeten, waren
die Bösen, die, welche Güter vom Himmel abwarfen und im
Norden landeten, das waren die Guten.
In den Monaten Juni bis August 1944, wurden anlässlich
von Säuberungsaktionen im Südwesten von Frankreich,
viele unschuldige Menschen von den deutschen Divisionen
ermordet. Dabei wurde Paris bereits am 26.August 1944,
befreit, zwei Tage nach meinem 6. Geburtstag!
28. Kapitel
Die Deutschen kommen!
Einmal mussten sie ja kommen, und sie kamen anfangs Juli
1944! Ich lege diesen Zeitpunkt wie folgt fest, es war ganz
bestimmt nach dem 6. Juni, aber sicher vor Mitte Juli. Ende
Juni wurde in der Regel die Weizenernte eingebracht und in
der Tenne lagerte bereits die Ernte. In Westfrankreich
erfolgt das nahezu einen Monat früher als in der Schweiz.
Ich war mit meinen Eltern an einem heissen sonnigen
Nachmittag hinter der Farm, dort, wo wir eine grössere
Gemüsepflanzung unterhielten. Plötzlich explodierten in der
Luft eine oder zwei Raketen, Vater sagte dazu:“Es sind
vermutlich Knaben“.
Doch schon nach etwa 5 Minuten rannte Monsieur Blondi
mit ein paar seiner Männer an uns vorüber und rief:“Rettet
euch, die Deutschen kommen!“
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Vater sagte ruhig: “was sollen wir uns flüchten, wir sind
doch Schweizer, wir gehen nach Hause“. Dabei leerte er die
beiden Wassereimer aus und wir liefen die kurze Strecke ins
Haus zurück. Für mich war Spannung angesagt, ich hatte
bislang nur deutsche Fahrzeuge gesehen, welche durchs
Dorf fuhren, aber besucht hatten sie uns noch nie, sie fuhren
meistens nach Bergerac weiter. Allerdings wurde dies in den
vergangenen zwei Monaten immer schwieriger, weil die
Resistance die Strassen mit gefällten Bäumen versperrten,
oft noch Minen dazu legten und sogar aus dem Hinterhalt
schossen. Und einer von ihnen war Bruder Hans, damals
knapp 15, ich war mächtig stolz auf ihn.
Er sagte mir, er habe sogar mit seiner Pistole auf einen
„Bosch“ geschossen.
Vater wollte sich umsehen und ging in den Stall, dort konnte
er ins Dorf runter schauen ohne gesehen zu werden.
Mutter und ich blieben in der Küche. Als er zurückkam
meldete er, die Deutschen hätten das Haus von Blondi in
Beschlag genommen, nun sei eine Dreierpatrouille zu uns
unterwegs. Jetzt kam die Realität, ich setzte mich auf eine
Stufe der Hauseingangstreppe und schaute in die Richtung
woher sie kommen mussten. Erst erblickte ich zwei
Seitengewehre (Bajonette) im Sonnenlicht reflektierend,
dahinter folgten die Gewehre und dann die imposanten
Wehrmachtshelme. Die Soldaten kamen sehr langsam
voran, den Finger am Abzug, die Gewehre in etwa gegen
mich gerichtet, es war ein seltsames Bild. Als sie etwa 2
Meter vor mir waren, stand ich auf und machte mich dünn,
damit sie passieren konnten. Einer zeigte auf die toten
Hühner im Hof, und sagte: „Kaputt“! Wir hatten eine
Hühnerseuche, gegen 100 Hühner fielen einfach um und
waren tot. An diesem Nachmittag lagen gut 30 tote Hühner
im Hof. Ohne mich weiter zu beachten schritten sie in die
Küche, hinter ihnen folgte ein baumlanger Kerl, in
schmucker Uniform, auch für ihn war ich kaum vorhanden.
Er salutierte Vater, welcher gleich seine positiven Gedanken
zum deutschen Reich äusserte, und nach seinen Wünschen
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fragte. Erst musste der Oberleutnant, um diesen Rang
handelte es sich, die Ausweise prüfen: „Sie sind
Deutschschweizer, gut so!“ sagte er stramm.
Dann wurden Schlafraum und Estrich sorgfälltig
kontrolliert, mit einer Taschenlampe leuchtete der
Oberleutnant unter die Betten. Dann gings in die Scheune,
dort wo bereits ein Teil der Ernte lagerte, mit ihren
Bajonetten stiessen die Soldaten ins Heu und Stroh.
Das war wohl der gefährlichste Teil, denn hätte sich ein
Franzose darin versteckt gehabt, wären wir sogleich von
unserem Dasein erlöst worden!
Verstecken von Rebellen oder Banditen, wie es die
Deutschen nannten, wurde meistens mit sofortiger
Erschiessung bestraft. Aus der weiteren Umgebung wurden
damals täglich ähnliche Vorkommnisse gemeldet. Dabei war
es durchaus möglich, dass sich Aufständische in den
Getreidescheunen versteckt hielten, ohne, dass man das
wusste!
Das Glück war auf unserer Seite, niemand war versteckt.
Der Oberleutnant bedankte sich und kehrte mit seinen
Leuten zurück zum Sammelplatz.
Vater ging wieder auf seinen Aussichtpunkt, kam bald
wieder zurück und meldete, dass sich die Deutschen unter
die Weinfässer von Blondi legten und den Wein direkt in die
Mäuler laufen liessen. Ausser dem Dorforiginal, dem
Lacoste, habe er keine Dorfbewohner sehen können, der
Lacoste aber, der informiere die Deutschen laufend, wohin
die Maquis geflohen sind. Die Richtung stimme aber gar
nicht, er halte sie zum Narren!
Dann wäre da wieder eine Patrouille unterwegs zu uns.
Diesmal war sie von einem höheren Unteroffizier geführt,
er begnügte sich mit der Beantwortung von ein paar Fragen,
dachdem Vater ihm meldete, der Oberleutnant habe bereits
alles durchsucht. Dieser erklärte dann auch, dass die
Soldaten keine Deutschen sind, sondern alles Weissrussen,
nur die Offiziere und höheren Unteroffiziere wären
Deutsche.
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Sie zogen bald wieder weg, meine Neugier war teilweise
befriedigt, nun hatte ich Deutsche Soldaten aus nächster
Nähe gesehen. Vater war aber noch nicht beruhigt, als er
sah, wie sich die Weissrussen vollsaufen liessen, befürchtete
er, die Offiziere könnten die Kontrolle verlieren und die
Soldaten sich als Amokläufer betätigen.
Aber es kamen keine mehr zu uns, gegen Abend konnten wir
aufatmen. Doch abgezogen waren sie noch nicht, noch
konnte allerhand geschehen!
29. Kapitel
Gefechte am
Vormittag
Nach der Grossrazzia der Wehrmacht, wurde ich am
nächsten Morgen durch ein seltsames Rattern geweckt, das
unweit hinter dem Haus abgehalten wurde. Ich fragte die
Mutter, was das sei?
Sie sagte, es handle sich um Maschinengewehrfeuer der
Deutschen, mehr konnte sie auch nicht informieren. Ich
blieb im Bett liegen und lauschte dem Gefechtslärm, Vater
war draussen, vermutlich wieder auf der Lauer als stiller
Beobachter. Ich dachte gar nicht daran aufzustehen um
selber nachzuschauen, vielmehr faszinierte mich dieses
Maschinengewehrrattern, das sich immer mehr von uns
entfernte. Ich konnte mir die Wirkung des MGs nicht richtig
vorstellen, aber irgend etwas dabei faszinierte und liess mir
keine Ruhe!
(Noch konnte ich nicht ahnen, dass ich später in der Armee,
just zum MG Schützen ausgebildet würde. Am MG 51,
welches eine verbesserte Kopie des deutschen MG 42 war.
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Das MG 42 war eine der schlimmsten Waffen im Zweiten
Weltkrieg, anlässlich der Landung in der Normandie durch
die Allierten, starben alleine dort Tausende im MG-Feuer
der Deutschen. An der Ostfront waren es Hunderttausende
von Sowjets!)
Gegen 10 oder 11 Uhr verzogen sich die Deutschen in
Richtung St. Julien de Crempse, ein Dorf hinter dem Wald,
man hörte nur noch sporadisch MG Salven.
Wir konnten aufatmen, aber noch war der Spuk nicht
vorbei, sollten die Rebellen plötzlich von hinten angreifen,
was sie ja auch oft taten, dann waren wir wieder dran.
Um die Mittagszeit wurde es unheimlich ruhig, kein
Gefechtslärm mehr, totenstille. Und das ganz wörtlich!
Die Schreckensnachricht kam schon am gleichen Tag zu
uns, St. Julien-La-Crempse, war nur etwa 3-4 Kilometer
entfernt. Was war dort vorgefallen?
Die Maquis, welche am frühen Morgen die Deutschen bei
uns im Dorf angriffen, flüchteten oder zogen sich in den
Wald zurück, vermutlich liessen sie ihre Heckenschützen
zurück. Deshalb diese ständigen MG-Salven, ich nehme an,
sie garnierten mit den MGs die Waldränder ab,
nur so lässt sich erklären, wie mit derart viel Munition ein
paar Rebellen bekämpft wurden. Die Rebellen, unter ihnen
unser Nachbar Blondi als Chef, liefen in Richtung St.-Julien,
dann von dort in den grossen Wald nach links. Dieser Wald
war dermassen gross, dass sich oft Menschen darin verirrten
und infolge Erschöpfung und Hunger starben. Aber die
Maquis hatten dort ihre geheimen Unterkünfte und Lager.
Die Deutschen hatten nicht ausreichend Soldaten, um die
Wälder zu durchkämmen, zudem waren die Rebellen mit
ihren leichten Waffen ihnen dort ebenbürtig.
Die Deutschen erreichten St.Julien und suchten die
„Banditen“, nur wollte keiner gestehen, sie waren alle für
den Angriff am frühen Morgen unschuldig!
Der Kommandant liess sämtliche männlichen Einwohner ab
14 Jahren auf dem Dorfplatz versammeln. Dann ratterten
wieder die MGs, das war vermutlich die letzte Salve, die ich
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hörte, dann waren die Leute tot! Soweit ich mich erinnere
gab es 16 Opfer. Wenig, im Vergleich, was dann noch in
Mussidan folgte, eine grössere Ortschaft, nur etwa 4
Kilometer von St.Julien entfernt. Die Umstände, welche zu
diesem Massaker von 250 Menschen führte, ist mir nicht
bekannt geworden. Es waren aber Einheiten von der
gleichen Division, welche auch bei uns aktiv war. Die
Vorgänge waren in der Regel dieselben, die Maquis
beschossen die Deutschen, diese verfolgten die Rebellen, und
wenn sie ihnen nicht habhaft wurden, dann musste eben das
Dorf büssen, indem sie sich gerade befanden!
Somit hatte unser Nachbar Blondi, uns nochmals vor dem
Erschiessungskommando bewahrt, er hätte die Deutschen
ja nicht nach St.Julien lotzen müssen. Ob er sich darüber je
Gedanken gemacht hat, das habe ich ihn nie gefragt.
30. Kapitel
US-Pilot in Nöten
Wie bereits erwähnt, habe ich nie davon gehört, dass die
schwache deutsche Luftabwehr im Südwesten einen
amerikanischen Bomber abschoss. Diese Feststellung bezieht
sich aber lediglich auf unsere nähere Umgebung.
Vermutlich an einem Morgen im August 1944, hörten wir
den Motorenlärm eines startenden Flugzeuges, etwa 2
Kilometer hinter dem kleinen Waldstreifen, der unsere
Weinreben von einer kleinen Fläche trennte. Ich kannte
diese Wiese nur schlecht, sie gehörte nicht mehr zu unserem
Landgut. Es hatte geregnet und ein US-Pilot musste dort
eine Notlandung vornehmen, den Grund dafür habe ich
vergessen, war aber damals den Leuten bekannt. Ich glaube
mich zu erinnern, dass er keinen Brennsprit mehr hatte.
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Es gab immer noch deutsche Truppen in der Gegend, und
alle Leute hofften und fieberten, dass der AMI doch bald
aufsteigen möge. Aber es ging einfach nicht, vermutlich
versank er zu sehr im Morast und die Wiese war zu wenig
lang!
Wir hörten zu, denn hingehen war sehr gefährlich, die
Deutschen kannten damals keine Gnade, wer dem AMI
zuschaute, war ein Verräter!
Das Spiel dauerte bis gegen Mittag, wir wunderten uns
bereits, dass die Deutschen noch nicht aufgetaucht waren,
es war aber der Zeitpunkt der totalen Niederlage in
Frankreich gekommen, möglich, dass einige Kommandanten
den Unsinn einsahen und nicht mehr jedem Rebellen
nacheilten.
Wir, die Leute vom Dorf wussten aber davon wenig und ich
rein nichts. Also fieberten wir mit dem AMI und hofften, er
möge endlich einen gelungenen Start produzieren.
Und der gelang ihm endlich kurz vor Mittag!
Wir konnten es kaum glauben, der muss auch Humor
gehabt haben, denn er machte noch eine Abschiedsschleife
über unser Dorf. Alle Leute winkten mit Tüchern und waren
erleichtert! Es war ein AMI, aber an diesem Morgen war er
einer aus unserem Dorf! Ich freute mich riesig, dass er nicht
von den Nazis erschossen wurde. Die SS-Division „Das
Reich“, befand sich in unserer Gegend. Aber auch die
gewöhnlichen Wehrmachtsdivisionen waren mit SS-Leuten
durchmischt. Das jedoch vernahm ich erst 60 Jahre später
aus dem Internet. Die Informationen waren damals auch für
die Eltern sehr dürftig, sie hielten sich kein Radio, die
Zeitung war zensuriert, man lebte nur von den „Mund-zuMund“ Nachrichten. Und ich stand immer neben den
Erwachsenenen um zu lauschen.
31. Kapitel
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Unmöglich!?
Oft höre ich, es wäre unmöglich, dass ich mich bis auf das
Alter von 1 ½ Jahren zurück erinnern könne!
Ja, mir ist bekannt, dass viele bereits sehr stolz sind, wenn
sie sich auf 3 oder 4 Jahre zurück erinnern können.
Die meisten nennen das 5. Altersjahr.
Nun ja, wenn da nicht die historischen Gegebenheiten
wären, würde selbst ich daran zweifeln. Doch das Mosaik,
das ich bereits schon in jungen Jahren zusammengestellt
habe, ist hieb und stichfest. Selber versuchte ich mehrmals,
Licht noch weiter zurück zu senden, umsonst, was ich
feststellen konnte, war, dass das erste Ereignis, die Rache
des Säuglings, bereits etwa 10 Tage zuvor begann. In
Frankreich begann man mit dem bestellen der Felder
anfangs März, die Eltern pflanzten damals noch Takab an.
Am 24.Februar 1940 war ich genau 1 ½ jährig, eine Woche
später liess mich meine Mutter am Nachmittag alleine im
Kinderbett im dunklen Zimmer zurück. Das mochte anfangs
März begonnen haben, ich regte mich unglaublich auf, weil
sich trotz lautem Schreien, niemand meldete!
Allerdings war mir bekannt, dass gegen Abend jemand kam
und mich trocknete, etc, aber Säuglinge sind eben schlau,
darum wollte ich mich rächen, denen eine Lektion erteilen!
In den Monaten März bis August 1940, folgten dann die
Ereignisse, wie der Wanderkino, die Mobilmachung, die
Kavalerie, die Elssässer. Frankreich kapitulierte mitte Juni
40, deshalb ist es geschichtlich erwiesen, dass alles vor dem
Juli 40 stattfand! Als Vater noch lebte, fragte ich ihn einmal
nach diesen Vorkommnissen, aber er erinnerte sich nur
noch an die Soldaten der Kavalerie, welche er auf Mai 40,
ansetzte. Hingegen war er der Ansicht, die Abgabe der Kuh
datiere auch auf Sommer/Herbst 40.
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Gemäss meiner Mutter, war ich schon sehr früh
„stubenrein“. Das heisst, ab dem 2. Altersjahr benötigte ich
die Windeln nicht mehr. Als die Elsässer mich umsorgten,
trug ich aber noch welche. Wobei ich mich an keinen
einzigen Windelwechselvorgang erinnerte! Bis etwa zum 5.
Altersjahr, gibt es nur Auszüge, keine durchgehenden
Erinnerungen, etwa so, als würde ich mit einer Lampe in die
Dunkelheit leuchten, dort Ausschnitte erkennen und diese
dann niederschreiben. Was mich aber oft erstaunte, sind die
präzisen Details, etwa der Spazierstock von Herrn Hofer,
mit einem handlichen Griff und dunkelbraun. Oder der
weisse Hut, den ich auf dem Kopf trug. Die besonders helle
Haut von Fräulein Rudolf.
Vom Film, der mir nur im ersten Augenblick imponierte,
konnte ich sonst rein nichts aufnehmen.
Ich dichte oder füge darum auch nichts hinzu, was ich
vergessen habe, kann ich nicht aufzeichnen. Ein Grund für
das Erinnerungsvermögen dürfte aber auch die damalige
Zeit ausmachen, es gab keinerlei Ablenkungsmöglichkeiten
und dergleichen.
32. Kapitel
Der
Albtraum
Wir hatten weder Berge noch hohe Hügel, ich blickte somit
nie von einer grossen Höhe hinunter, die tiefste Strecke war
vom Schlafraum auf den Weg hinter dem Haus. Trotzdem
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träumte ich oft von einem Fall aus grosser Höhe, erwachte
dann deswegen, manchmal lag ich tatsächlich am Boden.
Aber konnten diese 50 Zentimeter wirklich einen solchen
tiefen Fall vortäuschen? Ich nahm diese Träume einfach hin,
ohne mir Gedanken zu machen, wie sie entstehen konnten.
Immerhin erlebte ich dabei eine Felsenlandschaft, wie ich sie
in der Realität noch nie sah. Wie konnte diese in meinen
Kopf gelangen, wo ich doch nie Berge sah, auch keine Bilder
davon?
Und weshalb fand dieser Fall immer wieder statt?
Als ich später mit 10 Jahren in die Schweiz kam, war ich
plötzlich von Hügeln und Bergen umgeben, was mich aber
noch mehr aufregte, war die Tatsache, dass ich nicht wie
andere Kinder in die Tiefe schauen konnte. Erstmals wurde
mir das bei der „Grassburg“ an der Sense bewusst, wir
waren oben auf der Burg und schauten hinunter in die
Sense. Mir wurde nahezu übel und ich musste mich flach auf
den Boden legen, damit ich nicht runter sprang, irgend eine
Kraft wollte, dass ich runter springe. Ich schloss die Augen
und wollte mir nichts anmerken lassen. Also wieder so ein
Faktor, der mich von den anderen Kindern unterschied.
Natürlich behielt ich das für mich, fortan achtete ich darauf,
mich von solchen Tiefen fernzuhalten. Später erfuhr ich,
dass es noch andere Leute mit diesem Syndrom gibt, es wird
als „Höhenkrankheit“ oder „Höhenangst“ bezeichnet.
Besonders ärgerlich war das in der Armee, ich verschwieg
für die UO-Schule mein Handycap, als ich dann den
Rekruten das Abseilen an einer Felswand zeigen musste, da
musste ich mich ganz auf mein Problem konzentrieren,
immerhin, es gelang ohne grosse Probleme. Niemand
bemerkte etwas und ich war heilfroh!
Den Eiffelturm schaffte ich bis zur ersten Stufe, dann war
Feierabend. Und ich musste auf all die hohen Türme auf der
ganzen Welt verzichten, oft wollten die Leute das nicht
verstehen. Auch da kenne ich niemanden in der ganzen
Verwandschaft mit diesem Problem. Interessant ist es im
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Flugzeug, dort nehme ich meistens Fensterplätze ein, in den
ersten Jahre war der „Sog“ sehr offensichtlich bemerkbar.
Wenn ich hinunter schaute, kam dieser „Sog“ auf, mein
Kopf näherte sich immer mehr zum kleinen Fenster hin, bis
ich plötzlich am Glas aufschlug! Angst vor dem Fliegen
hatte ich aber dadurch nie verspürt. Im März 1958 reiste ich
nach Spanien, da glaubte ich, die Felsenlandschaft meiner
Albträume wieder zu erkennen, aber davon später!
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33. Kapitel
Im grossen Wald
Dieser Vorfall hätte leicht tragisch ausgehen können,
glücklicherweise war ich bereits unabhängig genug, um das
Richtige zu tun.
Vermutlich im September 1944, der Krieg war bei uns
vorbei und die Eltern durften sich wieder frei bewegen. Der
Job nach Villamblard blieb jedoch für mich gesichert.
Es war ein gewöhnlicher Vormittag, Vater und Mutter
wollten im Wald Farnkraut beladen, das wurde als Streugut
im Stall verwendet, ich wollte nicht mit, sondern zu Hause
verbleiben.
Doch gegen Mittag änderte ich meine Meinung und wollte
zu ihnen im kleinen Wald stossen. Doch ich fand sie nicht,
also wagte ich es in den grossen Wald, ein Wald, von dem
bekannt war, dass sich erwachsene Leute totlaufen konnten.
Als ich die Grenze von unserem Landgut erreichte, bog ich
nach links in den Wald ein, diesen Weg kannte ich von
früheren Zeiten, ich begann nach den Eltern zu rufen, aber
ausser von den Tieren, war kein Echo zu hören!
Also ging ich tiefer hinein, erreichte leere Hütten, welche
zuvor von den Rebellen benutzt wurden. Keinerlei
menschliche Lebewesen weit und breit. Also wagte ich es
noch weiter hinein, rief wieder aus voller Kehle, aber
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umsonst. Ich war schon längst in einem Gebiet, das nicht
mehr zu uns gehörte. Jetzt erinnerte ich mich an die Gefahr!
Noch weiter und ich lief im Kreis herum!
Sogar Vater verirrte sich bereits einmal tüchtig in diesem
Wald. Ich realisierte, dass ich nur zurück finden würde,
wenn ich den genau gleichen Weg zurück lief, den ich
herkam. Es gab aber schon lange keinen Weg mehr, also
ging ich instinktmässig vor, als ich bei den verlassenen
Hütten ankam, da wusste ich, ich hatte es geschafft. Von
dort war ich sehr schnell auf der Feldstrasse, von welcher
ich abgezweigt war. Dann lief ich direkt nach Hause, die
Eltern waren schon längst da und fragten sich schon, wo ich
geblieben war? Ich schilderte ihnen meine Suche, sagte aber
nicht, dass ich mich im grossen Wald beinahe verlief.
Ich war ja da, also hatte ich mich nicht verirrt!
Wir waren uns nur unklar, dass wir uns im kleinen Wald
nicht treffen konnten, denn sie waren tatsächlich dort.
Im Herbst gab es in den Wäldern viele wilde Früchte, ich
hätte wohl schon ein paar Tage durchhalten können.
34. Kapitel
Das Feuer
Dieser Vorfall hinterliess bei mir, vom zeitlichen Ablauf her
gesehen, fast am meisten Fragen offen.
Er könnte 1943, 44 oder sogar auf Anfang 45, datieren!
Mutter war irgendwo auf einer Pflanzung, Vater ging mit
der Sense aus, wohin, das wusste ich nicht. Ich wollte auf
dem Hof bleiben, ich befand mich im langen Hühnerstall
und hantierte mit Streichhölzern herum.
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Ich erinnere mich nicht mehr weshalb, setzte Zeitungen in
Brand, plötzlich stand der halbe Stall in Flammen. Ich
schaffte es, diesen umgehend zu löschen, wie, das weiss ich
nicht mehr. Kämpfte aber sehr verbissen gegen die
Flammen, ich denke, ich nahm Sand zu Hilfe? Schliesslich
hatte ich alles unter Kontrolle, dann begann ich die
Brandspuren zu tarnen, das hätte sicher Prügel abgegeben!
Die Brandspuren zu beseitigen, war eine viel grössere Arbeit
als das Feuerlöschen.
Selber sah ich aus wie ein Schornsteinreiniger, also musste
ich auch diese Spuren noch beseitigen.
Kaum war die Arbeit getan, kam Vater mit der Sense daher,
auch er sah aus wie ein Kohlensack, das Gesicht schwarz
bemalt. Er war noch müder als ich und sagte:“Beinahe hätte
ich den Wald in Brand gesteckt, ich wollte den Waldrand
abbrennen, da breitete sich das Feuer plötzlich derart aus,
dass ich nur noch mit grösster Anstrengung den Waldbrand
verhindern konnte.“
Ich hörte ihm erstaunt zu, sagte kaum etwas und dachte,
„seltsam, zur gleichen Zeit, geschieht beiden dasselbe
Missgeschick“.
Trotzdem behielt ich mein Abenteuer für mich, da er ja den
gleichen Fehler gemacht hatte, wäre ich wohl mit einem
Verweis davongekommen. Aber er hätte mir eine lange
Geschichte erzählt, dass man nie mit dem Feuer spielen
dürfe, und darauf verzichtete ich gerne, denn das wusste ich
inzwischen aus eigener Erfahrung. Soweit ich mich erinnere,
habe ich ihm dieses Geheimnis nie verraten. Die Spuren
waren kaum sichtbar und da er ja vom Feuer nichts wusste,
wurde der Vorfall nie erkannt oder bekannt.
Natürlich konnte ich das nicht vergessen, und ich fragte
mich später, wie es ausgegangen wäre, wenn ich das Haus
und Vater den Wald niedergebrannt hätten?
Eine Art Feuerwehr gab es damals nicht, ein Haus in
Flammen brannte einfach nieder. Das heisst, Dach und
Inhalt, die Mauern blieben als Ruinen zurück!
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35.Kapitel
Ein Loch im Kopf
Ich war die dritte Kraft auf dem Hof, ab dem 5. Altersjahr
galt es, auf dem Landgut nach bestem Können mit zu
arbeiten.
Ich musste das nicht umsonst tun, sondern erhielt jeden
Sonntag beim Mittagessen meinen Zahltag. Je nach Einsatz
mehr oder weniger. Oft stieg ich am frühen Morgen aus dem
Bett und ging in den Stall, um die Kühe sauber zu machen,
Futter abzugeben, und den Kot zu entfernen und neue
Streue zu verteilen. Danach wischte ich den Gang sauber,
das war für einen kleinen Knirps schon ein Aufwand.
Wenn Vater kam, war schon fast alles gemacht!
Auch auf den Feldern wurde ich immer nützlicher, konnte
die Weizengarben beladen helfen, etc.
Diese Aktivität verpasste mir an einem ruhigen Abend einen
bösen Schlag.
Ich wollte eine Ladung Gras in die Tenne fahren, dafür
musste ich das grosse Tennentor öffnen.
Dieses war von innen mit einer dicken runden Eisenstange
gesichert. Um aufzuschliessen, musste ich die Stange aus der
Halterung liften und dann liess sich das Doppeltor
aufmachen. Die Eltern nahmen dafür stets eine Gabel. Ich
weiss nicht mehr, ob ich das auch schon gemacht hatte, oder
ob es ein erster Versuch war?
Auf jeden Fall hängte sich die Stange aus und sie fiel mit der
Spitze direkt auf meinen Vorkopf. Blut spritze hoch und ich
war halb betäubt, so lief ich in die Küche zu Mutter, die bei
meinem Anblick richtig erschreckte. Ich musste nicht viel
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erklären, der Fall war sofort klar. Sie legte einen breiten
Verband über die Wunde, diesen befestigte sie unten am
Hals, ich sah aus wie ein Kriegsverletzter, zum Glück
musste ich damals noch nicht in die Schule.
Die Wunde heilte schnell aus, es blieb eine kleine
Einbuchtung, die mich später an den Vorfall erinnerte.
Während dem Krieg war weit und breit nirgends ein Arzt
vorhanden, ab 1945 hatten wir dann den Dr. Dupuis in
Villamblard. Bis zum Schuleintritt war ich nie krank,
danach jedoch genoss ich praktisch alle Kinderkrankheiten.
Ein Arzt war nicht nötig, man wurde eines Tages wieder
gesund, und damit war das Problem überwunden!
Vom 6. bis zum 14. Altersjahr, war ich jedes Jahr einen
Monat lang in der Schule krank gemeldet. Allein dadurch
verlor ich rund ein ganzes Schuljahr! Die Masern, die man
angeblich nur einmal kriegt, hatte ich gleich dreimal
36. Kapitel
Die rettende
Stimme
Im Herbst gärten die gepressten Weintrauben im grossen
Fass. Dieses mochte zwei oder zweieinhalb Meter hoch sein,
selbst Vater benötigte eine Leiter um einzusteigen. Erst
wurde der reine Wein eingebracht, danach wurde Wasser
ins Fass geleert, um eine erneute Gärung zu veranlassen,
daraus ergab sich dann der süffige „Piket“. In der Regel
geschah das gegen Ende des Jahres. Im vorliegenden Fall im
Jahr 1944. Wir hatten den leichten Wein bereits bezogen,
danach musste man noch eine Weile zuwarten, bis das Gas
im Fass entschwunden war, dieses hatte tödliche Wirkung,
ähnlich wie jenes im „Güllenloch“. Vater war der Ansicht,
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das Gas wäre weg und ich könnte das „Träsch“ hinaus
werfen. Er musste aber noch einmal ins Wohnhaus hinüber
etwas erledigen. Also tat ich, was ich immer schon tat, ich
begann mit der Arbeit.
Ich warf die Gabel ins Fass, stieg die Leiter hinauf und liess
mich ins Fass runter fallen.
Da stieg eine schwindel verursachende Welle von unten auf
mich zu, sie erreichte bereits meine Nase, ich spürte, wie ich
benebelt wurde, da hörte ich eine klare Stimme die mir
ultimativ den Befehl gab:“Spring!“
Ich sprang mit aller Kraft hoch und konnte den Rand des
Fasses ergreifen, ich schob mich mit letzter Energie über
den Fassrand an die Aussenwand zur Leiter. Ich war
gerettet!
Das Ganze war eine Angelegenheit von weniger als einer
Sekunde, das Gas begann schon in meiner Nase wie eine Art
von Schwefel zu wirken. Nur eine weitere Sekunde und ich
wäre bewusstlos im Fass gelegen!
Als Vater zurück kam, sagte ich nur: „Das Gas ist noch
nicht weg“. Er fragte gar nicht, weshalb ich das wusste,
schaute aber selber noch nach und meinte:“Ja, es stimmt,
und dazu noch sehr viel!“
Wir verschoben die Leerung auf ein paar Wochen.
Selbst erwachsene Leute starben oft in solchen Situationen,
weil diese Gase sehr schnell wirken, Kinder ohne Begleitung
hatten in der Regel keine Chance, ja, selbst dann, wenn
Vater draussen herumhantiert hätte, wäre ihm der ganze
Vorgang zu spät bewusst geworden, weil ich in zwei oder
drei Sekunden das Bewusstsein verloren hätte.
Ich hatte aber eine „fremde Hilfe“, der Befehl war derart
klar und zwingend, dass ich ruckartig reagierte und
dadurch rauskam.
Später versuchte ich rauszukriegen, in welcher Sprache
dieser „Befehl“ erfolgte? Ich wurde nie klug daraus, es war
weder Deutsch noch Französisch, eher eine „universale
Sprache“!
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37. Kapitel
Banditen
Im Herbst 1944 war für uns der Krieg vorbei, die Mitglieder
der Resistance sollten ihre Waffen abgeben und ins zivile
Leben zurück gehen.
Eine kleine Minderheit aber, die tat das nicht, behielt
Waffen und Munition, lebte weiterhin in den Wäldern
versteckt. Statt Deutsche zu überfallen, waren es nun die
eigenen Landsleute, welche sie um ihr Geld brachten.
Die Methoden waren dabei unzimperlich, oft erschossen sie
die Leute, wenn kein Geld vorhanden war..
Im Dorf waren wir einigermassen sicher, sie bevorzugten die
Weiler und Höfe ausserhalb. Da war der Fall von der
Familie Lestang, an einem Abend drangen Banditen in ihr
Haus ein, sie verlangten Geld und erhielten nicht was sie
wollten. Danach fesselten sie das Paar und hängten beide an
der Decke mit Kopf nach unten auf, dabei verpassten sie
ihnen Schläge bis in den frühen Morgen, aber Geld kam
nicht hervor!
Erst dann liessen sie von ihnen ab und verzogen sich, das
Ehepaar wurde am Vormittag bewusstlos von Nachbarn
entdeckt. Sie überlebten, ich erinnere mich noch gut an den
grossen Verband, den Monsieur Lestang lange um den Kopf
trug. Er war ein harter Kerl, ein Erster Weltkrieg Veteran.
Vater zog daraus die Konsequenzen und kaufte sich ein
Kleinkalibergewehr. Jetzt, da der Krieg aus war, mussten
wir uns verteidigen. Es kamen keine ungebetene Besucher,
erst zwei Jahre danach, doch davon später.
Die Zeitung war täglich voll mit Nachrichten von Überfällen
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im Südwesten. Ich lernte so lesen, bevor ich in die Schule
ging. Wir legten uns damals auch erneut einen Hund zu, ich
denke, wir hatten bereits 1943 einen grossen braunen Hund,
den wir „Mira“ nannten. 1944, als die Soldaten kamen, war
der besonders aggressiv und sie zielten sogar auf den Hund.
Aus irgendwelchen Gründen musste wir diesen wieder
weggeben, ich glaube, weil er stets kläfte, egal ob ein Huhn
an ihm vorbei lief oder sonst irgend ein Geräusch zu
vernehmen war. Der zweite Hund blieb länger, aber er war
nicht mein Freund, stets an der Kette, zeigte er laufend seine
vielen Zähne, knurrte und blieb immer aggressiv. Zudem
wurden Leute mit Hunden trotzdem überfallen, die Hunde
wurden mit Fleisch geködert.
Auch Bruder Hans hatte sich wieder ins Zivilleben zurück
gezogen. Ich fuhr mit dem Fahrrad oft zu ihm nach „La
Veiciere“, dort wurden die herrlichen „Montbasilac-Weine“
produziert. Ich war ganz süchtig nach diesem süsslichen
Wein mit dem Spezialaroma, darum brachte ich immer
einige Flaschen mit nach Hause. Und wenn Hans zu uns
kam, musste er auch mindestens drei Flaschen mitbringen.
38. Kapitel
Das Brot
Die Jahre 1943 und 44, waren in Sachen
Lebensmittelbeschaffung, wohl die allerschlimmsten.
Die Gemeinde gab zwar munter Lebensmittelmarken aus,
aber es gab kaum etwas zum kaufen damit
Einzig Brot war praktisch immer erhältlich, dieses musste
ich jede Woche einmal in Villamblard holen. Als es an
Weizen fehlte, weil die Deutschen alles für sich
beanspruchten, wurde Maisbrot produziert. Das war derart
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hart, dass wir kaum reinbeissen konnten. Im Sommer 44,
war dann das Brot überhaupt nicht mehr geniessbar, es war
voll von Abfällen, Ratten- und Mäusekot, und dergleichen
Zeugs. Als jemand vorbei kam, leistete sich Vater den Spass,
den Brotlaib wie einen Fussball in hohem Bogen in den Hof
hinaus zu katapultieren. Nicht einmal die Schweine mochten
dieses Brot fressen. Ich musste fortan nur noch Hefe
einkaufen, damit Mutter selber ihr Brot backen konnte.
Andere Leute im Dorf folgten ihrem Beispiel. In diesem Jahr
waren wir praktisch zu hundert Prozent Selbstversorger.
Auch mit Kleidung und Schuhwerk wurde es prekär,
anfangs 43, waren meine Sandalen hin, ich lief während fast
zwei Jahren barfuss umher. Anfangs 45, begann sich das
Leben wieder zu normalisieren, aber die Kriegsfolgen
blieben noch lange spürbar.
Immerhin konnte ich wieder Schuhe tragen und auch neue
kurze Hosen, Leibwäsche kannte ich erst viel später.
Es gab wieder Bier und Limonade im Angebot, wenn auch
nur eine Marke, war das doch schon ein grosser Erfolg.
Die Männer stellten sich ihre Zigaretten selber her, mit einer
einfachen Vorrichtung, ohne Filter.
Praktisch alle Jugendlichen rauchten, seltsamerweise
interessierte mich das nicht, ich probierte auch nie eine
Zigarette aus.
Auch das Kino im Dorf wurde wieder aktiviert, aber davon
später.
Noch eine Bemerkung zum Fahrrad, Gummischläuche gab
es keine, deshalb fuhren sämtliche Fahrräder mit
Vollgummireifen. Das hatte den Vorteil, dass man nie einen
Platten einfuhr!
Die wenigen Autos, welche sich in unsere Gegend verirrten,
wurden mit Holzvergasern angetrieben. Oft Lastwagen mit
Holz beladen, aber noch öfters deutsche Militärfahrzeuge.
Nur sie hatten Sprit und durften diesen sinnlos verpuffen.
39. Kapitel
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Der Schock
Bis in den Frühsommer 1945, war ich immer noch der
Ansicht, Menschen gehörten höheren Lebewesen an und
wären auf keinen Fall mit Tieren identisch!
Das bezog sich auf die Aufzucht, nachts sah ich die
Sternschnuppen vom Himmel her runterkommen, ich war
sicher, dass da Menschennachwuchs gebracht wurde. Auf
mich bezogen, war ich immer noch überzeugt, dass ich in
einer Raumkapsel abgeliefert wurde. Aber je mehr ich mich
umsah, wurde mir bewusst, dass ich mich wohl getäuscht
hatte, seit anfangs 45, verkündeten meine Eltern, ich würde
schon bald eine kleine Schwester erhalten. Ich war wütend,
sagte, ich wolle keine Schwester und keinen Bruder, sie
sollten den Auftrag rückgängig machen. Danach versteckte
ich alle meine Sachen aus der Säuglingszeit im Schafstall,
den nannten wir so, obwohl wir nie Schafe hatten. Mein
Protest brachte nichts ein, wie wir später sehen werden.
Weil gleichzeitig auch die Frau des Monsieur Blondi
schwanger war, kam mir ein übler Gedanke auf, ja es war
mehr als ein Schock für mich, wurden die Menschen gleich
gezeugt wie die Kälber, Schweine, Schafe etc.?
Tiere waren doch anders, sie konnten nicht sprechen, waren
dümmer!
Langsam wurde mir bewusst, weshalb Frauen einen Busen
hatten, angeblich sollte da auch Milch hervorgebracht
werden!
Und dass sie lange Haare und Röcke trugen, hatte
vermutlich auch seine guten Gründe.
Der Schock war gross, noch immer konnte ich es nicht
begreifen, wenn wir mit einer Kuh zum Bullen gingen, kam
dieser mit heraushängender Zunge aus dem Stall, bestieg die
Kuh und steckte seinen langen Stab irgenwo hinein, dann
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sank er müde auf die Seite und verschwand mit dem Bauern
wieder im Stall. War das bei den Menschen auch so?
Natürlich getraute ich mich nicht danach zu fragen. Es hiess
doch immerzu: „dafür bist Du noch zu jung“.
Mein Respekt vor der menschlichen Kreatur sank auf den
Nullpunkt. Aber noch blieb ein letzter Funke Hoffnung, dass
ich mich möglicherweise getäuscht hatte.
Bis zum zweiten Schock, der sich im Frühjahr 45, kurz vor
Schulbeginn erreignete. Ich schlenderte in Richtung stilles
Tal, ohne aber ein Ziel zu haben, schaute einem Arbeiter zu,
wie er den Laubhag entlang dem Weg schnitt, ich denke,
Vater hatte ihn dafür angestellt.
Ich verspürte plötzlich das Bedürfnis, pinkeln zu müssen,
machte das Ding frei und erlitt einen Schock, dieser
Winzling war böse angschwollen und hart!
In nackter Panik packte ich ihn ein und rannte ins Haus
zurück. Ich dachte, da hat mich wieder so eine Krankheit
erwischt. Bei Mutter angelangt packte ich wieder aus und
sagte ganz aufgerecgt:“ alles ist geschwollen, vermutlich
haben mich die Hornissen erwischt?“
Mutter lachte nur und sagte, das bilde ich mir nur ein, es
gäbe doch gar keine Geschwulst!
Jetzt erst schaute ich selber hin und schämte mich, ja, da
war absolut nichts, ich packte ein und verzog mich den
ganzen Tag. Einige Monate später, sah ich dieses Phänomen
aus einem anderen Blickwinkel. Ich hoffte natürlich sehr,
dass Mutter diesen Zwischenfall wieder vergessen hatte.
40. Kapitel
Die
Kriegsgefangenen
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In Frankreich war der Krieg bereits gegen Ende 1944
vorbei, die deutschen Kriegsgefangenen wurden zu
Landdiensten eingesetzt.
Jeder französische Bauer durfte Gefangene beantragen, wir
jedoch nicht, Ausländer waren dazu nicht berechtigt.
Unser halbadliger Nachbar „Fougret“ erhielt zwei
Gefangene zugesprochen. Diese wurden in einem etwas
abgelegenen Hühnerstall untergebracht. Ausser
Verpflegung erhielten sie keinerlei Entschädigungen.
Viele Gefangene wurden aber misshandelt, weil sie für die
Morde in der Gegend büssen mussten. Die Fougrets liessen
ihre Männer in Ruhe, verwöhnten sie aber auch nicht, eher
verachteten sie diese.
Es wurde ihnen erlaubt, an den langen Abenden zu uns
hinüber zu kommen, sie hatten sonst keinerlei
Möglichkeiten, mit jemandem Deutsch zu sprechen. Der
ältere hiess Vinzenz, er war schon um die 45 bis 50, der
jüngere war der Fritz aus Leipzip. Fritz mochte etwa 25
Jahre zählen, war gross und blond, während der Vinzenz
eher kleinwüchsig war, soviel ich mich erinnere, kam er aus
dem Rheinland.
Und sie wussten viel zu erzählen, Fritz erlebte die Ostfront,
während Vinzenz das Glück hatte, immer im Westen zu
kämpfen. Anfänglich verstand ich nur wenig, doch
allmählich gewöhnte ich mich an ihre Sprache. Ich hörte
ihren Erzählungen zu, manchmal bis weit über Mittenacht
hinaus. Wenn ich ins Bett gehen sollte, verkroch ich mich
unter den Tisch, die Eltern dachten dann, ich wäre im Bett.
Seltsamerweise habe ich sämtliche Erzählungen vergessen.
Die beiden Lanzer jedoch nicht, wer denkt, die hätten ein
miserables Leben geführt, irrt sich, sie verstanden es, sich
im Hühnerstall bequem einzurichten, sie erhielten genug
Essen, auch Wein.
Und sie waren sehr glücklich, dass der Krieg vorbei war und
sie ohne grossen Schaden überlebt haben. Sie trugen nach
wie vor Wehrmachtskleider, oft nur die Hose, oder aber die
Jacken, die Rangabzeichen wurden ihnen abgetrennt. Kann
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mich aber nicht erinnern, dass sie auf dem Rücken die
Markierung „POW.“ oder ähnlich aufwiesen.
Nach rund zwei Jahren durften sie nach Hause zurück.
Noch einige Jahre erhielten wir später ihre
Neujahrswünsche und sie bedankten sich stets für die
damalige Zeit. Etwa um 1951/52, erhielten wir die
Nachricht, dass Vinzenz verstorben war. Der Fritz lebte in
der damaligen DDR, (Ostzone) nach 1953, kamen keine
Briefe mehr.
41. Kapitel
Ich muss in die Schule!
Das musste ja einmal kommen, die Eltern machten ab und
zu Bemerkungen, ich hätte nach französischem Gesetz,
bereits im Herbst 44, eingeschult werden müssen. Aber ich
wollte nicht, mochte mich nicht von meiner paradiesischen
Welt trennen, besonders scheute ich mich vor dem Kontakt
mit anderen Kindern. Eigentlich war ich sehr lernbegierig,
das war ein Punkt, der dafür sprach.
Doch bis zum Frühjahr 1945 lebte ich fast wie ein Einsiedler
mit den Tieren, die Eltern sah ich oft nur anlässlich der
Mahlzeiten, unsere Konversation beschränkte sich aufs
Minimum, zu sehr waren sie mit dem Landgut beschäftigt,
das sie kaum zur Hälfte bearbeiten konnten.
Ich sprach wenig Französisch und kannte auch nur ein paar
Wörter auf Schweizerdeutsch.
Im April 1945 schlugen die Eltern zu, es war eine
Überraschung für mich, am Morgen sagte Vater:“So, heute
gehst Du in die Schule, in der Schweiz müsstest Du jetzt
auch einschulen!“ Sie wussten genau, hätten sie mir das am
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Tag zuvor gesagt, ich wäre den ganzen Tag verschwunden
geblieben. Ich protestierte, aber umsonst, Mutter nahm
meine linke Hand und wir liefen in Richtung Dorfschule.
Anfänglich musste sie mich mehr schleppen und ziehen, sie
redete laufend auf mich ein, dass ich gar keine Wahl hätte,
jedes Kind müsse in die Schule. Irgendwie begann sie die
grossen Vorteile aufzuzählen, weil ich mich erinnere, dass
ich den zweiten Teil des nur etwa 300 Meter langen
Schulweges schon fast ohne Widerstand mitging.
Was danach an diesem Tag in der Schule war, das habe ich
ganz vergessen, ich wurde zu den anderen kleinen Kindern
im hinteren Teil des grossen Schulzimmers plaziert.
Dieser Vorgang vollzog sich ohne nennenswerte Probleme.
Ich stellte fest, dass der Lucien Flasha, der schon seit bald
einem Jahr die Schulbank drückte, bereits vorne in der
Mitte sass. Ich denke, der war bereits in der zweiten
Primarklasse. Mich störte dies überhaupt nicht. Um mich
sassen fast nur kleine Mädchen, alle jünger als ich.
Noch kannte ich den Unterschied zwischen männlich und
weiblich nicht so genau.
Für mich war eine Epoche vorbei, die mich wohl für immer
geprägt hatte. Das faszinierende Leben mit der Natur und
allen ihren Lebewesen, natürlich weilte ich auch weiterhin
im stillen Tal und hütete die Kühe. Aber ich war nun in
Kontakt mit anderen Menschen, hatte einen Kollegen, den
Lucien. Dieser wuchs weniger einsam auf und wusste Dinge,
die ich erst noch lernen musste!
42. Kapitel
Die Läuse
Offenbar verlief die Umstellung auf die Schule relativ ohne
grössere Schwierigkeiten, sonst könnte ich mich daran
besser erinnern. Dafür gab es einige Sachverhalte, die sich
mir auf ewige Zeiten eingeprägt haben.
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Madame Luca, die Lehrerin, überliess uns hinten im Raum
unserem Schicksal. Wir trieben allerlei Spiele und Unfug,
vor mir sass eines der vielen Martinez Mädchen, auf ihren
blonden Haaren konnte ich die Läuse tanzen sehen. Schon
nach drei Tagen waren auch meine Kopfhaare voller Läuse.
Mutter griff zur Radikalkur, schnitt meine Haare Milimeter
kurz und dann wusch sie mich mit Seife, bis die letzte Laus
weg war.
Meine Läuse waren weg, nun machte auch die Lehrerin
Läusekontrollen, auch sie war der Ansicht, die Martinez
Schüler wären daran schuld. Und in jeder Klasse sass ein
Martinez, das war eine besondere Familie, die sich nicht um
Gesetze kümmerte. Ich weiss nicht mehr, ob die Martinez
von der Schule gewiesen wurden oder aber diese die Schule
boykottierten? Auf jeden Fall herrschte zwischen den
Martinez und Frankreich ein offener Krieg. Und 1947 oder
48, kam es zu einer offenen Schlacht am Berg der Martinez,
ich erfuhr nur bruckstückhaft davon, eine grössere Einheit
der Polizei griff den Hof an, die Martinez waren gut
bewaffnet und schossen zurück. Die Polizei musste sich
zurück ziehen und ich denke, es gab auch Tote, genau weiss
ich es nicht. Man durfte sich dem Berg nicht nähern, sie
schossen auf alle, die es versuchten. Als wir im Herbst 1948
in die Schweiz zurück kehrten, war der Krieg noch nicht
beendet.
Die Martinez zeugten viele Kinder, darunter waren auch
zahlreiche Mädchen, einmal, auf der Simonette, erwischte
ich eins von ihnen, als es sich daran machte, an einen
Heuhaufen zu pinkeln. Ich konnte das erfolgreich
verhindern, indem ich sie laufend störte.
Die ersten Monate mussten wir auch nichts lernen, dafür
amüsierte ich mich mit den Ratten, welche oben an der
Decke durch ein faustgrosses Loch hinunter schauten,
besonders lustig wars, wenn sie ihre langen Schwänze
frech hinunter hängen liessen. Und oft fielen sie selber
beinahe hinunter, krallten sich emsig an der Kannte um sich
nach oben zu liften. Das was gute Unterhaltung und ich fand
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die Schule richtig lässig. Und einmal fiel tatsächlich eine
Riesenratte hinunter, sie rannte wild umher und
verschwand in einem Loch, das hinten in den Untergrund
führte. Das war der Höhepunkt der Spannungen, ich
wartete jeden Tag auf die nächste Ratte, aber es fiel keine
mehr hinunter. Obwohl wir im Schulzimmer neben
Mädchen sassen, war es strengstens verboten, in der Pause
in die Mädchenabteilung zu gehen.
43. Kapitel
Indochina
Die lange Wand im Schulzimmer rechts von mir, wies ein
viele Meter langes Wandgemälde auf. Oben stand in grossen
Buchstaben „Indochine“ geschrieben, ferner war ein
Reisfeld und eine Zuckerrohrplantage zu sehen, darin
arbeiteten schlanke Frauen in langen Gewändern, auf den
Köpfen trugen sie konische Hüte. Ihre Gesichter waren
anders als die der Frauen in Frankreich, feiner, hübscher,
mit kleinen braunen Augen. Und aus dem Schilf schaute
noch eine Riesenschlange, diese war mir weniger
sympatisch. Ich hatte viel Zeit, diese Bilder zu studieren,
und ich prägte mir fast jedes Detail ein. Tief im
Unterbewusstsein regte sich bereits ein Drang, einmal in
diese wundersame Gebiete zu reisen. Noch hatte ich keine
Ahnung, wo sich „Indochine“ befand. Im Laufe des
Unterrichts, vernahm ich bruchstückhaft, dass Frankreich
zu den grossen, hochzivilisierten Nationen der Erde gehörte,
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dass „Indochine“ nur eine Kolonie von vielen war, und sich
in Laos, Kambodscha und Vietnam unterteilen liess.
Dass fast die Hälfte von Afrika zu Frankreich gehörte, und
auch Länder in Südamerika und Ozeanien. Was noch mehr
zählte, dass die Franzosen, als absolutes Herrenvolk, alle
diese Länder kontrollierten und ausbeuteten. Allerdings
bringe Frankreich diesen auch neue Werte bei, wie die
Schriftsprache, sowie Kultur und Bildung.
Mich faszinierte diese fremdartige Umgebung, sie übte einen
beinahe magischen Einfluss auf mich aus. Was ich damals
nicht wissen konnte, etwa zur selben Zeit, (1945) rief der
legendäre Führer der Vietnamesen, Ho-Chi-Minh,(Onkel
Ho) in Hanoi, Nordvietnam, die Unabhängigkeit von
Frankreich aus.
Das gefiel den Franzosen nicht, sie entsandten Truppen und
ein jahrelanger langer Krieg begann.
Die Franzosen wurden am 7. Mai 1954, in Dien Bien Phu,
vernichtend geschlagen und mussten schliesslich doch
abziehen. Das Land wurde in Nord- und Südvietnam geteilt.
Der Süden wurde zum Protektorat der USA, ein neuer, noch
viel brutalerer Krieg begann 1963, diesmal gegen die USA
und vielen ihrer verbündeten Staaten in Ost und West. Nach
Millionen von Toten, endete der Krieg am 30. April 1975 mit
dem totalen Sieg der Nordvietnamesen und des Vietcongs.
Für mich kam noch hinzu, dass Hans von 1950 bis 1961 in
der französischen Fremdenlegion diente, er geriet noch vor
Dien Bien Phu auf einem Vorposten in Gefangenschaft.
Konnte fliehen und überleben! Er weilte von 1951 bis 1955
in Vietnam, Laos und Kambodscha, oder „Indochina“ wie es
die Franzosen damals noch nannten.
Anfänglich amüsierte mich der Krieg in Vietnam, als im
Radio gemeldet wurde, der Vietminh transportiere Schwere
Artilerie mit den Elephanten auf die Hügel von Dien Bien
Phu, konnte ich vor Aufregung kaum noch schlafen, das war
im April 1954. Dass möglicherweise Hans dort in der Falle
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sass, war mir gleichgültig, meine Sympathie galt nur den
Viets.
Die brutale und gewaltige Materialschlacht der USA gegen
das Volk von Vietnam, setzte meiner Lebensqualität sehr zu,
die schnell ergrauten Kopfhaare waren wohl weitere Folgen
des passiven Leidens. Ich war schon 1964 gegen diesen
Krieg, aber die Welt nahm erst viel später davon Kenntnis,
etwa ab 1968. Ich nahm jede Gelegenheit wahr, um gegen
diesen ungerechten (gerechte Kriege gibt es nicht) Krieg zu
protestieren. Bei Abstimmungen, wenn da der Name eines
Kanditaten aufzuschreiben war, schrieb ich:“Ho-ChiMinh“.
Ich wollte so die Leute wachrütteln, und schliesslich hat der
weltweite, zivile Protest, diesen Massenmorden ein Ende
gesetzt. Leider ist der Geist von damals verloren gegangen!
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44. Kapitel
Spiele unter dem Pult
Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich einen, zwei oder drei
Monate untätig hinten im Schulzimmer sass?
Ein Vorfall, der bereits in den ersten Wochen stattfand,
überstieg damals mein Verständnisvermögen, ich begriff
erst später den Zusammenhang, wobei mir aber gewisse
Fakten unbeantwortet blieben.
Links von mir sass ein kleines Mädchen, das wohl erst
vierjährig sein mochte, ihren Namen habe ich vergessen, sie
trug eine Kombination von Hosenrock, die Hinterseite liess
sich mittels zwei Knöpfen öffnen und der nackte Popo
wurde sichtbar. Ich fand das sehr lustig und unterhaltsam,
indem ich öfters die beiden Knöpfe öffnete.
Rechts von mir war die Elise Vergang, eine Jugoslawin,
deren Clan oben in einem Weiler „Labertini“genannt, ein
Gut bewirtschafteten. Die Elise war etwa gleich alt wie ich,
zwischen 6 ½ und 7 Jahren. An einem ruhigen Nachmittag
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forderte sie mich auf, zu ihr unter das Pult zu kommen.
Ich folgte der Aufforderung und hockte mich ihr gegenüber.
Da zog sie ihr Höschen aus und spreitzte die Haut, welche
sich an jener Stelle befand, wo bei mir das Pinkelding war.
Gebannt starrte ich auf ihre Hände, welche einen breiten,
roten Streifen freilegten, ich konnte kaum etwas erkennen,
auch keinen Penis. Ich dachte, es handle sich da um eine
Fehlentwicklung, sah ich doch noch nie zuvor ein Mädchen.
Jetzt forderte sie mich auf, meinerseits auch etwas
freizumachen, ohne zu zögern folgte ich ihrem Auftrag.
Mein Ding war natürlich winzig klein und weich.
Dann sagte sie laut:“il faut quiqueueter, aller quiqueueter
avec moi!“Ich begriff rein nichts und verstand auch nicht,
was sie wollte, sie schob dann ihren Unterkörper nahe an
mich, aber ich blieb wie angewurzelt in der Hocke. Nach
einer Weile ging ich wieder nach oben, spielte lieber mit dem
Hosenrock der anderen Nachbarin. Die Elise war sehr
sauer, sie sprach nie mehr mit mir, ich wusste nicht weshalb.
Was hatte ich falsch gemacht? Es dauerte nicht mehr lange,
bis ich diese Geschichte verstehen konnte, irgendwie
schämte ich mich über meine Naivität. Ich sinnierte dem
Wort „quiqueueter“ nach, ja, „queue“ hiess Schwanz, und
den Rest konnte man als „Schwanzdrücken“ oder so,
definieren. Ich machte mir später schon Gedanken über
dieses Abenteuer, weshalb wusste die Elise soviel, und
warum war sie dort relativ gross entwickelt. Da mussten
doch irgendwelche Personen aktiv mitgewirkt haben!
Ab dem 9. Altersjahr kam sie nicht mehr zur Schule,
entweder wurde sie im Clan der Jugos verheiratet, war
schwanger oder sonstwie verhindert? Die Zeitung, „La
Republique Francaise“, meine einzige Lektüre ab 1945/46,
meldete damals oft Geburten von Mädchen unter 11 Jahren,
ich begann diese Meldungen zu sammeln, unter vielen
anderen, wie zum Beispiel Raubüberfälle.
Einmal war ein Fall einer Neunjährigen aus unserer Gegend
in der Zeitung, leider wurden aber die Namen nie
veröffentlicht. Ich dachte aber an die Elise Vergang.
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Dieses Erreignis gehört zu den wohl ausgefallensten und
seltsamsten in der ganzen Biographie.
45. Kapitel
Der Kopf steigt in den
Himmel auf.
Mit dem Schulbeginn verliess ich auch meine kleine Welt,
musste Dinge wahrnehmen, die mir völlig neu waren und
mich oft richtig schockierten. Aber die Aussenwelt war die
Realität, meine Welt nur eine Illusion!
Wir feierten Weihnachten und Ostern, weshalb, das wusste
ich nicht, denn wir praktizierten keinerlei Religion, Gebete,
Rituale und dergleichen. An Weihnachten erhielt ich ein
kleines Geschenk und wir stellten einen kleinen
Weihnachtsbaum auf, an Ostern versteckte der Osterhase,
ein schönes Nestlein mit gelben Strohblumen und gefärbten
Eiern irgendwo im Hof. Natürlich wusste ich, dass Vater der
Osterhase war, aber ich sagte nie etwas dazu, wenn ich das
Nest nicht finden konnte, fragte ich ihn ob die Suche „heiss“
oder „kalt“ verlief? Er musste wissen, dass ich Bescheid
wusste, wir sprachen jedoch nie darüber. Vielmehr fand ich
grossen Spass daran und ernannte meinerseits das grösste
Kaninchen im Stall zum Osterhasen.
In der Schule waren alle Schüler katholisch, ausser meine
Person natürlich, ich war ja anders. Einmal die Woche war
Religionsunterricht in der nahen Kirche, ich durfte jeweils
nach Hause gehen. In Frankreich gilt seit anfangs des
zwanzigsten Jahrhunderts der Laizismus, was völlige
Trennung von Kirche und Staat bedeutet. Daher gab es in
der Schule keinen religiösen Unterricht. Die Zeit der
Gesetzlosigkeit und Spielerei hinten im Schulzimmer war
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vorbei, die Lehrerin liess mich weit vorne neben der Cecille
Camille sitzen, eine ruhige, etwas schüchterne Schülerin,
keinerlei Vergleich mit der Elise Vergan. Sie liess mich in
Ruhe und ich konnte mich besser auf das Lehrmaterial
konzentrieren.
Sie klärte mich aber auf einem gänzlich anderen Gebiet auf,
anlässlich einer Beerdigungszeremonie in der Kirche
nebenan, erklärte sie mir, nachdem die Glocken verklungen
waren, jetzt solle ich gut hinschauen, in diesem Augenblick
steige nämlich der Kopf des Toten in den Himmel hinauf.
Ich schaute angestrengt in den blauen Himmel, konnte aber
beim besten Willen keinen aufsteigenden Kopf erkennen,
nicht einmal eine kleine Rauchwolke, wie sie zu sehen
vorgab. Sie bemerkte, man müsse eben schon sehr genau
hinsehen, weil der Kopf fast unsichtbar geworden sei!
Zudem wäre ich ja ein „Ungläubiger“ und schon daher nicht
fähig, den „Aufstieg“ zu erkennen. Ich lauschte ihr etwas
skeptisch zu, einerseits wäre dieser „Aufstieg“ ja mit meinen
Theorien vereinbar gewesen, wenn der Mensch in einer
Raumkapsel auf die Erde kam, weshalb sollte er nicht auch
wieder in den Himmel verschwinden?
Ich musste wieder viel über dieses Gespräch nachsinnen,
einerseits dachte ich, diese Theorie der Katholiken müsse ein
Riesenschwindel sein, wenn die Toten doch in den Friedhof
gebracht wurden, konnten sie ja nicht gleichzeitig in den
Himmel fahren! Wie zuvor schon Uniformen und Ärzte,
wurde nun auch die Kirche zu einem unheimlichen Monster
für mich! Insgeheim interessierte es mich schon, was die
Leute in diese Rituale trieb? Und einmal konnte ich gar
einen Blick in die Kirche werfen, das war derart komisch,
dass ich mir diese Stätte gut als Wohnort für die Teufeln
und Engeln vorstellen konnte. Und es roch nach
Katakomben und Müllhalde. Eine Geisterbahn hätte nicht
gruseliger sein können!
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46. Kapitel
Ich kriege eine Ohrfeige
An die einzelnen Schulfächer erinnere ich mich kaum noch.
Ausser lesen, schreiben, rechnen sowie Geschichte und
Geographie, waren noch weitere Gebiete, aber ich erinnere
mich nur an ein Fach, das heute kaum noch existiert und
doch vordringlich nötig wäre.
Es hiess „Moral“, jeden Morgen waren die ersten 45
Minuten dafür reserviert. Da wurde Anstand, richtiges
Benehmen den Erwachsenen gegenüber, Sauberkeit,
Hygiene und vieles mehr doziert. Dieses Fach umfasste alle
Lebensumstände und war auch als Ersatz bei jenen Kindern
gedacht, welche zu Hause nicht ausreichend erzogen
wurden. Wenn Seuchen ausbrachen, was nach dem Krieg oft
geschah, wurden Verhaltensmassregeln ausgegeben.
Der Unterricht ging nun zügig voran, fast täglich war auch
ein kurzes Diktat fällig. Und ich war da immer der
Klassenbeste, allerding mit einem kleinen Trick.
Wir hatten damals keine Schiefertafeln, nur welche aus
Kartonmaterial. Vor dem Diktat durften wir die Sätze auf
der Kartontafel niederschreiben, dann musste das Ganze
ausgewischt werden, wir mussten mit dem Rücken zur
Wandtafel sitzen und das Diktat begann.
Die Lehrerin diktierte langsam und wir schrieben die Sätze
auf die Kartontafel.
Ich hatte eine eigene Methode entwickelt, ich „gravierte“ die
Sätze in den Karton, anlässlich des Diktats musste ich nur
den fast unsichtbaren Rillen entlangfahren.
Und das Unheil kam mit Riesenschritten auf mich zu, ich
konzentrierte mich ganz auf die Rillen im Karton. Plötzlich
klatschte die Hand der Lehrerin auf meine rechte Wange.
„Du weisst schon warum“, sagte sie nur beiläufig und ging
nicht weiter auf den Vorfall ein. Was war geschehen, sie
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stand hinter mir und beobachtete mich, dabei stellte sie fest,
dass ich etwas mogelte.
Mir war durchaus klar, dass ich im Fehler war, empfand
den Klaps als berechtigt. Dabei nahm ich mir vor, dass dies
die erste und letzte Körperstrafe sein solle, fortan wollte ich
keinen Anlass mehr dazu bieten, und sollte ich trotzdem zu
unrecht bestraft werden, würde ich mich dafür rächen.
Ich konnte mein Vorhaben in allen Situationen durchziehen
und einhalten, womit bewiesen ist, dass man auch mit sieben
Jahren bereits klare und realistische Ziele setzen kann.
Ich blieb auch ohne die Anwendung meines Tricks bei den
Klassenbesten, musste einfach etwas intensiver lernen.
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47.Kapitel
Der 14. Juli
In der Schule wurde ich allmählich zum Franzosen erzogen,
zu Hause war das nicht der Fall. Die Eltern schwärmten oft
von der paradiesischen Schweiz, die Ordnung und
Sauberkeit, die vielen guten Nahrungsmittel, wie
Schokolade, Gebäcke, Käse, Wurstwaren und dergleichen
Spezialitäten, von denen ich nichts wusste.
Die Schule war während den Sommermonaten Juni, Juli
und August geschlossen. Im September begann jeweils das
neue Schuljahr. Die Sommer waren sehr heiss und trocken,
nur von wenigen sehr heftigen Gewittern unterbrochen. Im
Jahr 1947, war es aber extrem trocken, nahezu 5 Monate
ohne Regen, der trockenste Sommer des Jahrhunderts.
Die Felder waren gelb-braun, wiesen grosse Risse auf,
man konnte durchaus mit einem Fuss darin stecken bleiben.
Die Weizenernte war entsprechend klein, auch die anderen
Erzeugnisse blieben weit unter den Erwartungen. Dafür
waren die Trauben süss wie noch nie zuvor.
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Der 14. Juli ist bekanntlich der Nationalfeiertag in
Frankreich. Bis 1944 wurde dieser aber kaum gefeiert, das
Land stand unter der deutschen Besatzungsmacht.
Ab 1945, wurde dann umso intensiver gefeiert, ich deckte
mich in Villamblard mit Knallfröschen und Petarden ein.
Am Abend wurde auf dem Areal der Fougrets, ein grosses
Feuer entfacht. Dazu gesellten sich stets viele Leute, mehr
als das Dorf Einwohner zählte. Auch grössere Knaben aus
der Umgebung waren dabei, sie pflegten über das Feuer zu
springen. Das war für mich und den Lucien Flacha eine
Herausforderung, was die grossen Buben konnten, das
konnten wir auch!
Erst sprang der Lucien, er war ja mein Vorbild, dann ich,
ich nahm viel Anlauf, es musste gelingen!
Und ich schaffte es, allerdings mit angesengten Haaren und
die Haut roch auch wie nach Grill. Ich realisierte, dass ich
noch schneller übers Feuer springen musste, um die Haare
nicht ansengen zu lassen.
Es ging jedes Mal besser und wir boten alle Jahre einen
kleinen Wettkampf zur Unterhaltung der Leute. Ich blieb
der Sache treu bis 1948, dem Jahr, in dem wir in die Schweiz
zurück reisten. Bis etwa zum 8. Lebensjahr hatte ich
hellblonde Kopfhaare, vom 9. bis 16. Jahr wurden sie
dunkelblond. In Villamblard konnte man das ganze Jahr
hindurch Knallkörper kaufen, ich verbrauchte einen Teil
meines Taschengeldes für dieses Räucherwerk.
Es knallte daher ab und zu im Hof, doch niemand
beschwerte sich, weil die nächsten Nachbarn zu weit
entfernt waren.
48. Kapitel
Die blutende Nase
Madame Chasot starb kurz nach der Razzia durch die
Deutschen. Ihre alte Zofe verschwand danach auch bald und
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das Schloss blieb unbewohnt. Irgendwie gelang es mir, in die
Räumlichkeiten zu gelangen, wie, das habe ich vergessen.
In einem Abstellraum fand ich eine Menge Spielwaren,
darunter auch farbige Glaskugeln, konische Spulen, die man
mit einer Schnur auf den Boden schleudern konnte, wo sie
sich je nach Technik mehr oder weniger lang um die eigene
Achse drehten. Es war in den ersten Schulwochen, meine
Französischkenntnisse waren noch sehr beschränkt, als ich
eine Anzahl dieser Dinger mit in die Schule brachte.
Schon bald war ich auf dem Pausenplatz von einer Anzahl
grösserer Knaben umringt, sie wollten vernehmen, woher
ich all diese schönen Sachen hatte?
In meinem naiven Stolz verkündete ich, ich wüsste ein
grosses Geheimlager, aber ich dürfe den Ort nicht
preisgeben.
Das war wohl für einen der grossen Buben zuviel, er schlug
mir seine Faust mit ganzer Kraft ins Gesicht. Blut spritzte
aus meiner Nase. In diesem Augenblick erschien der Lehrer
und befahl mir:“Spreize die Beine auseinander!“aber ich
verstand das nicht, erst als er es selber vorzeigte, begriff ich
was er meinte. Ich musste zudem das Gesicht nach oben
richten, dadurch ging die Nasenblutung zurück.
Meine Kleider blieben mit nur wenigen Flecken noch relativ
sauber.
Der Lehrer wies den Knaben zurecht und meinerseits nahm
ich mir vor, inskünftig meine Geheimnisse für mich zu
behalten. Es war eine böse Lektion, die mir zur Kenntnis
brachte, dass sich Grosszügigkeit nicht auszahlt.
Das Schloss blieb, bis zur unserer Rückkehr in die Schweiz,
unbewohnt. In Frankreich gibt es unzählige Schlösser und
ähnliche Bauten, besonders im Südwesten sind viele
verkümmert, deren Unterhalt ist sehr aufwändig und kann
oft von den Erben nicht finanziert werden. In praktisch
jedem Bauerndorf findet man einige schlossähnliche
Gebäude, in denen früher die Herrschaften wohnten, etwa
wie bei uns die Fougrets und die Chasots. Der Unterschied
zu den Bauernhäusern ist markant, wenn ich im Schloss
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war, fühlte ich mich in einer anderen Welt. Unsere
Wohnräume hingegen, unterschieden sich kaum von den
Viehgehegen. Kein fliessendes Wasser, keine Toiletten,
Minifenster, zum Teil Naturböden, usw.
49. Kapitel
Wir dürfen ins Kino
Nach dem Krieg gings aufwärts, wenn auch anfäglich nur
langsam, dafür stetig und unaufhaltsam.
Vater kaufte uns ein Radio, ein Mittelwellenempfänger, für
mich war das ein Wunderding, ein Vorgeschmack, was noch
alles neu kommen mochte!
Ich hatte auch schon meinen Lieblingssender geortet,
nämlich „Radio Andora“. Die Ansagerin war voller Humor
und Lebensfreude, ihre sonore Stimme beeindruckte mich
ungemein, ich stellte sie mir schwarzhaarig mit weisser Haut
vor. Einmal sprach sie Französisch dann wieder Spanisch,
sie war wohl meine erste platonische „Fernliebe“?
Neben dem Radio hatten wir noch die Lokalzeitung aus
Bordeaux, auch diese war für mich eine tägliche Lektüre
wert. Dann erschien etwa einmal im Jahr der Zirkus
„Bouglione“, kann mich aber nicht erinnern, dass ich da
einmal dabei war. Dafür organisierte unser Lehrer
zweiwöchentliche Kinovorführungen im Schulhaus. Die
Filme, meistens französische und amerikanische, wurden
dabei in grossen Postern angekündigt, Liebesfilme und
Krimis, auch historische Erreignisse fehlten nicht.
Die Kinoabende waren für die Erwachsenen bestimmt, aber
der Lehrer meinte es gut mit uns, wer sich bereit erklärte,
bei der Erwachsenenbestuhlung mitzuwirken, durfte
umsonst ins Kino.
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Das war Musik für Lucien und mich, wir waren von
anbeginn dabei und verpassten keinen Film!
Und es waren keine Kinderfilme, solche zeigte uns der
Lehrer einmal in der Schulstunde. Eine Art von Trickfilm,
wir schauten kaum hin, kein Vergleich mit den
echten Kinofilmen!
Da war einmal sogar eine Vergewaltigungs-Szene dabei,
zumindest nahmen Lucien und ich das an. Nach
Kinoschluss, mussten wir wieder Kinderbestuhlung
herstellen, wir gingen dadurch oft erst gegen Mitternacht
schlafen, auch das war kein Problem, begannen doch die
Schulstunden nie vor 9 Uhr. Lucien hatte aber einen
wesentlich längeren Weg nach Hause, wenn er etwas später
erschien, war er dafür entschuldigt. Die Lehrerschaft wusste
seine Dienste zu würdigen!
Dieser Nebenjob war ganz nach unserem Gusto, weil wir
sonst als Kinder keinen Eintritt gehabt hätten und auch das
Geld dazu nicht hätten aufbringen können.
An sich habe ich praktisch alle Filmszenen vergessen, ein
Fall blieb mit aber noch, da wurden in einem Krimi zwei
oder drei Leute lebendig zwischen zwei Mauern eingesperrt
und zugemauert, Jahre später, als die Mauern abgebrochen
wurden, fielen die Skelette herunter! Dieser Vorgang war
derart brutal, dass er sich wie ein Horrorerlebnis
nachempfinden liess.
An sich hatten wir damals als Kinder sehr viel Freiheiten,
durften Weine und Biere konsumieren, manche rauchten
sogar Zigaretten, durften ins Kino, Knallkörper zünden,
uvm., mir wurde das aber erst viel später bewusst, als ich
diese Freiheiten nicht mehr hatte. Ob mir all das geschadet
hat?
Das weiss ich nicht, ich erinnere mich aber, dass ich am
meisten kriminelle Ideen ausgerechnet aus der Zeitung
entnahm, also nicht etwa vom Kino befruchtet wurde!
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50. Kapitel
Klara, die Schwester
Alle meine Proteste nützten nichts, ich sollte eine Schwester
oder einen Bruder erhalten, nicht von den Sternen, sondern
aus dem Bauch meiner Mutter! Aus mit den schönen
Illusionen, die Menschen kämen in Raumschiffen auf diese
Erde, nein, sie wurden wie die Tiere geboren, für mich ein
ordentlicher Schock!
Der Schock kam nicht abrupt, sondern Stufe um Stufe, ich
musste mich mit der Realität abfinden, doch etwas blieb
zurück, ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass es doch welche
geben müsste, die von weit her kamen und ein viel höheres
Niveau aufwiesen! Auf jeden Fall machte ich mich später
auf die Suche nach diesen Supermenschen, ich fand aber
keine, nur tierische Wesen, welche zwar lesen und schreiben
konnten, aber sich im übrigen nicht wesentlich von den
andern Säugetieren unterschieden, vielleicht doch, denn die
Spezie Mensch war noch viel brutaler als es jedes Tier sein
konnte, besonders aber mit seiner eigenen Art!
Nun also sollte ich nicht mehr alleine sein, Bruder Hans war
ja stets abwesend, ich aber wollte allein bleiben, das liess ich
die Eltern wissen, doch es hiess dann, die Bestellung sei
unterwegs und sie könnten die nicht einfach rückgängig
machen. Und weil ich inzwischen auch wusste, dass Mutter
seit Januar 45, täglich dicker wurde, und am Schluss
kugelrund war. Sah ich ein, dass dies nicht so weiter gehen
konnte, sie wurde nach Bergerac gebracht, angeblich um das
neue Kind heraus zu nehmen.
Schon bald kehrte sie mit einem kleinen Bündel in den
Armen zurück: „das ist Klärli oder Klara“, du hast jetzt
eine Schwester“. Ich schaute teilnahmslos auf das winzige
Ding, fühlte fast sowas wie bedauern mit ihm, aber mehr
nicht. Dann hörte ich noch eine Konversation, die nicht für
mich bestimmt war, die mir aber keine Ruhe liess, der Arzt
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habe erklärt, das Kind werde nicht sehr alt, weil es mit
Albumin (Eiweiss) überdosiert sei!
Und meine Beunruhigung war nicht unbegründet, denn mit
diesem Tag begann ein vieljähriges Familiendrama.
Meine generelle Abneigung sowohl für eine Schwester, wie
auch später den Bruder, konnte ich eigentlich nur mit dem
„Alleinseinwollen“ begründen, erst später, als alles schief
lief, überlegte ich, ob ich da möglicherweise Informationen
aus einer anderen Dimension hatte, die mir das Unheil
vorankündigten?
Aber noch eine andere Frage stellte sich, Vater wollte noch
zwei Kinder haben, damit er vom Sozialstaat Frankreich,
viel Kindergeld beziehen konnte, da Hans bereits gegen 16
Jahre zählte, musste Vater für mich eine Art von Strafsteuer
entrichten, ein Kind galt als ungenügend, Frankreich
benötigte Soldaten für die Kolonien und ihre Kriege!
Das Motiv war somit Geld, man darf sich somit auch die
Frage stellen, war es nicht unmoralisch?
Auf all das erhielt ich nie eine Antwort, wer könnte sie auch
abgeben?
Noch lebten wir in einer harmonischen Welt, Vater war
höchstens ein oder zweimal im Jahr stock betrunken, das
war problemlos. Wenn er mit dem Fahrrad nach Bergerac
fuhr, brachte er regelmässig eine Ladung Meermuscheln
nach Hause, er sagte mir, diese vermittelten Kraft, also
begann ich auch Muscheln zu schlürfen, später erfuhr ich,
dass sie besonders potenzfördernd sein sollten.
51. Kapitel
Schulweihnacht 1945
Lehrer Luca war in jeder Beziehung ein aussergewöhnlicher
Pädagoge, das muss man ihm anhand einiger Beispiele
zugestehen.
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Zuerst aber zu jenem Erreignis, das ich nie mehr vergessen
sollte.
Luca liess einen grossen Weihnachtsbaum im Schulzimmer
der unteren Klassen aufstellen, er war nicht unser Lehrer,
sondern seine Frau, er selber hatte die oberen Klassen unter
sich, welche getrennt von uns feierten. Unter dem Baum
lagen zahlreiche Geschenkpakete, nebenan auf dem Tisch
lagen Türme von Omeletten und schliesslich ein Fass
Weisswein vom allerbesten, weisser, leicht süsslicher
Bombasilac, mein Lieblingswein. Es herrschte eine
sonderbare Stimmung voller Erwartungen, was da wohl in
den Paketen war?
Ich erhielt ein „Monorail“ geschenkt, einen solchen „Luxus“
konnte ich nie zuvor verbuchen. Aber die Feier sollte noch
mehr bieten, da waren diese mit Marmelade gefüllten
Omeletten, und dazu ein Glas Wein!
Ich leerte Glas um Glas, und wenn ich mein Glas erneut
unter den Fasshahnen hielt, drehte Lehrer Luca jeweils
auf. Er machte dabei Sprüche, die ich aber vergessen habe,
animierte für noch mehr Wein und Omeletten.
Ich weiss nicht, wieviele Gläser ich leerte, aber auf dem nach
Hause weg, fühlte ich mich so leicht, als hätte ich Flügel.
Ich schwankte in die Wohnung und fühlte plötzlich eine
aufkommende Übelkeit: „ich will schlafen“, sagte ich nur
und verzog mich ins Schlafzimmer. Ich hörte Vater
sagen:“der ist ja stock besoffen“.
Am nächsten Morgen wollte Vater wissen, weshalb ich
derart betrunken nach Hause kam?
Ich schilderte ihm die lustige Feier, lobte den guten Wein
und die Omeletten.
Er wurde zornig und sagte: „ein Kind in der 1. Klasse mit
Wein abfüllen, das akzeptiere ich nicht, in der Schweiz
würde ein solcher Lehrer eingesperrt, dem Kerl werde ich es
Schon deutlich sagen!“
Zumindest wurde ich nicht getadelt, und er suchte
tatsächlich den Lehrer auf. Aber seine Bemühungen waren
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umsonst, vielmehr erhielt er eine Abfuhr:“Sie sind
Ausländer hier, wenn es sie stört, dann reisen sie doch in ihr
Land zurück!“ Vater war sehr ungehalten und teilte mir die
Antwort mit, ich verhielt mich neutral, triumphierte aber
innerlich, weil ich den Anlass richtig toll fand und ich diesen
Traubensaft nun auch problemlos trinken durfte.
Und schliesslich leistete sich Vater auch ab und zu einen
Vollrausch, ich sagte ihm das nicht, denn die Antwort war
mir bekannt:“du bist ein saufrecher Kerl, ich bin doch
erwachsen und kann tun was mir beliebt“.
Von den Weihnachtsfeiern 1946 und 47, habe ich keinen
blassen Dunst mehr, wenn sie überhaupt stattfanden, dann
sicher in einem ganz anderen Rahmen.
Ich weiss auch nicht mehr, ob die Lucas bereits 1946 oder
erst 47, verschwanden? (Mehr darüber später). Seit die
Kriegsjahre vorüber waren, hatte ich keine sicheren
Anhaltspunkte mehr. Die vielen neuen Einflüsse, wie die
Schule, das Kino, die Zeitung, das Radio, etc. sind
vermutlich mitschuldig, dass ich ab dem 6. Altersjahr viel
weniger präzise Erinnerungen habe, zudem auch viel mehr
vergass, ab dem 30. Altersjahr wird dies noch viel
deutlicher.
***************************************************
52. Kapitel
Salto im Kinderwagen
Ich muss beschämend gestehen, dass ich von August 1945 bis
und mit dem Datum unserer Rückkehr in die Schweiz,
anfangs September 1948, nur ein einziges Erlebnis mit Klara
verzeichnen kann!
Einerseits war sie wohl ein sehr ruhiges Kind, andererseits
kümmerte ich mich kaum um sie, ich war ja nicht glücklich
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über den Zuwachs. Dafür war der Vorfall entsprechend
dramatisch. Ich ging mit dem Kinderwagen spazieren, Klara
mochte ein paar Monate alt sein, ich schlug gerne den Weg
ins Tal hinunter ein, da konnte ich den Wagen frei laufen
lassen, dann ihn wieder einfangen. Das gelang meistens, bis
auf den Tag, an dem ich zu spät los spurtete, der Wagen
wurde immer schneller und ich mochte ihm nicht mehr zu
folgen. Das heisst, befor ich ihn einholen konnte, war er
schon auf den linken seitlichen Hang aufgefahren und
überschlug sich! Kissen und Decken zusammen mit der
Klara wurden hinausgeschleudert, der Säugling begann zu
schreien, panikartig schmiss ich alles in den Kinderwagen
zurück und ging nach Hause. Mutter sah die Unordnung
und fragte, was los gewesen sei, ich denke, ich sagte, der
Wagen sei umgekipt, wegen den vielen Steinen. Da Klara
nicht mehr schrie, nahm sie mir die Geschichte ab, es war ja
die Wahrheit. Es hätte aber sehr leicht schief gehen können,
deshalb wurde ich vorsichtiger und vermied diese Spiele.
Weil ich mich irgendwie schuldig fühlte, begab ich mich in
den Schafstall, dort hatte ich die Säuglingskleider versteckt,
diskret, wie ich sie ein Jahr zuvor verschwinden liess, legte
ich sie wieder in die Schubladen zurück. Ob es nur ein Teil
davon war, oder aber alle Artikel, das weiss ich nicht mehr.
Schlimmer war, dass Mutter bereits erneut wieder
schwanger war. Es ging mit Riesenschritten dem Chaos
entgegen. Ich war darüber nicht glücklich, aber woher sollte
ich wissen, dass meine Vorahnungen sich leider
bewahrheiten werden?
53. Kapitel
Ich muss die Jesusfigur
grüssen!
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Auf dem Weg zum Schulhaus stand etwa in der Mitte, noch
auf unserem Land gelegen, auf der rechten Seite eine grosse
Jesus Cristusgestalt an einem Kreuz hängend. Ich schaute
diese komische Figur oft an, auf dem Kopf war eine
Dornenkrone, Hände und Füsse waren mit Nägeln
festgemacht. Vorne trug er einen dünnen Lendenschurz,
und hinten war ein grosses Loch, darin nisteten seit Jahren
die Vögel. Ich interessierte mich eigentlich mehr um das
Wohl der Vögel, diese schienen sich im Innern des Jesus
richtig wohl zu fühlen!
Vater sagte mir, das wäre ein Kultobjekt der Katholiken,
immer, wenn diese einen heiligen Feiertag veranstalteten,
sah ich aus der Ferne zu, wie sie vor diesem Kreuz
niederknieten und Blumen und Dampfwasser ausstreuten.
Die Anführer trugen seltsame Kleider, die Leute hinten
sangen Lieder.
Eines Tages, ich war auf dem Weg in die Schule, hatte
soeben den Jesus hinter mir, da kam der Monsieur le Cure
dahergelaufen, der Dorfpfarrer in seinem langen schwarzen
Rock und der komischen schwarzen Mütze auf dem Kopf,
dieser Kerl war mir nicht geheuer, ich stufte ihn bei den
unheimlichen Zeitgenossen ein, denen ich lieber ausweichen
wollte. Aber ich erblickte ihn zu spät, also nahm ich meine
Baskenmütze (Beret) vom Haupt und sagte: „Bonjour
Monsieur le Cure“. Das hatten wir in der Schule so gelernt.
Doch der Monsieur Cure hielt mich auf und stellte fest, dass
ich den Jesus nicht gegrüst hätte.
In der Schule hatte man uns beigebracht, nur Menschen zu
grüssen, nicht Gegenstände. Ich entgegnete:“ Ich bin nicht
katholisch und muss den nicht grüssen“. Aber das fruchtete
rein nichts, er beharrte darauf, dass auch ein „Ungläubiger“
den Jesus zu grüssen habe!
Ich war natürlich nicht einverstanden, aber als kleiner
Knirps war ich am kürzeren Ende.
Er nötigte mich, nochmals zurück zu laufen, dann das Beret
(Baskenmütze) abzunehmen und etwas wie:“Bonjour
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Jesus“, zu sagen, dabei müsse ich den Kopf demütig nach
unten halten.
Widerwillig grüsste ich den Götzen, das heisst, ich nahm
einfach die Baskenmütze vom Kopf und murmelte irgend
etwas. Er liess mich gehen, aber er konnte es nicht
unterlassen, meinem Vater noch einen Besuch abzustatten.
Dort war er aber an der falschen Adresse, Vater liess ihn
wissen, dass ich frei aufwachse und keinen religiösen
Zwängen ausgesetzt sei, es sei mir daher freigestellt, den
Jesus zu grüssen oder auch nicht.
Fortan eilte ich immer am Kreuz vorbei und schaute in die
andere Richtung, aber der Monsieur le Cure, tauchte nie
mehr auf!
54. Kapitel
Mussolini
Der Krieg war bei uns schon längst vorbei, aber in andern
Ländern tobte er immer noch weiter.
Dabei prägte sich mir ein Foto ein, das ich während Stunden
fragend anschaute. Auf der Frontseite der „Republique
Francaise“, war gegen Ende April 1945 ein grosses Bild zu
bestaunen. An einer Art von Reckturngerät hing ein grosser
fetter Kerl, mit Kopf nach unten, das Gesicht war
aufgedungsen wie eine Wassermelone, daneben hing eine
Frau, weiss nicht mehr wie die bekleidet war, aber sie
musste viel jünger gewesen sein als der Mann.
Darunter stand geschrieben:“Como/Italien, der italienische
Diktator Benito Mussolini und seine Freundin Clara
Petachi, auf der Flucht in die Schweiz, bei Como von
Partisanen erschossen“.
Das war am 28. April 1945, wie ich später erfahren konnte.
Ich denke, ich habe nie zuvor und danach jemals ein Foto
solange angeschaut. Ich stellte mir Fragen, wie der Mann
und die Frau wohl normal ausgesehen hätten, und weshalb
man die wie geschossene Wildtiere aufhängen liess?
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Ob die danach gekocht und gegessen würden? All das waren
offene Fragen für mich.
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55. Kapitel
Lucien klärt auf
Lucien und ich wurden gute Kollegen, in der Schule sassen
wir nun auf der gleichen Bank. Wir trafen uns immer öfters
im Tal, dort hütete ich die Kühe. Dabei kannte Lucien nur
ein Thema: Frauen und Sex! Er wusste ausserordentlich viel
zu erzählen und fand in mir einen aufmerksamen Zuhörer.
Für mich war das alles Neuland, obwohl gleich alt, war ich
etwa ein Kopf grösser als er, dafür schlug er mich aber mit
seinem erigierten Penis, den er gerne in der freien Natur
herumschwenkte. Ich lernte dazu und wir entwickelten
einen richtigen Phalluskult, und statt beim Abschied die
Hand zu reichen, wurde der Phallus des anderen mit der
Hand verabschiedet. Bei diesem Ritual liessen wir es jedoch
bewenden, wir waren aber der Ansicht, man könnte doch
unseren Brauch im Alltag einführen. Thema war aber stets
das weibliche Wesen, wobei wir uns seltsamerweise
mehrheitlich nur für die erwachsenen Frauen interessierten.
Luciens Schwester war für mich bereits erwachsen, aber der
Lucien hielt sich bei ihr zurück. Dafür kannte er einen
Vetter in Bordeaux, der war 14 und konnte bereits jenen
Saft erzeugen, mit dem man die Kinder zeugen könne. Wenn
dieser das nächste Mal zu Besuch komme, wolle er ihn ins
Tal mitnehmen, damit er mir vorzeigen könne, wie das gehe.
Ich war sehr neugierig und konnte es kaum erwarten, bis
der Vetter endlich kam.
Lucien klärte mich auf, dass wir beide noch zu klein sind,
um dieses Serum zu erzeugen. Ich war aber skeptisch und
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erwiderte, das sei doch das gleiche Wasser, das wir täglich
dort ausscheiden!
Lucien lachte mich aus und vertröstete mich auf den Vetter.
Die Lehrerin machte es sich zur Gewohnheit, oft für eine
Weile aus dem Schulzimmer zu verschwinden. Das war
jeweils die Stunde des Lucien, er packte seinen erigierten
Penis aus uns zeigte ihn stolz den Mädchen, ich sass eher
verlegen und mäuschenstill neben ihm, er wollte, dass auch
ich mitmache, aber ich konnte und wollte das nicht und
hatte auch nicht den Mut dazu.
Ich vermutete auch, dass früher oder später eines der
Mädchen zu Hause davon sprach, und dann der Lucien ein
Problem hätte. Ich weiss nicht mehr, wie oft er seine
Vorführungen machen konnte, das Unheil nahte aber mit
Riesenschritten. Nicht von den Mädchen, ich denke, keines
hat ihn verraten!?
Aber von Lehrer Luca höchst persönlich, dieser stellte
draussen eine Leiter an die Wand und schlich die Stufen
hinauf, dann lauerte er in einer Fensterecke um dem
Treiben im Schulzimmer zuzusehen.
56. Kapitel
Lehrer Luca schlägt zu!
Es war ein friedlicher Morgen, wir wurden statt von Frau
Luca, von Monsieur Luca begrüsst, ich ahnte schon ein
Unheil auf uns zukommen.
Und ich hatte richtig vermutet, erst hielt er uns einen
moralischen Vortrag an den ich mich nur bruchstückhaft
erinnere. Es war bald klar, dass er den Lucien im Visier
hatte, dieser hätte sich Dinge erlaubt, die nur ein
erwachsener Mensch tun dürfe, niemals aber ein kleiner
Kerl wie der Lucien, und dieses Vergehen müsse schwer
bestraft werden. Lucien musste vortraben, erst
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zerschmetterte er einen Stock auf seinem Hintern, dann
aber wurde der Lehrer fast hysterisch vor Wut, er fasste
Lucien an seinen Haaren und wirbelte ihn im Kreis herum!
Ich konnte kaum zusehen und fürchtete schon, der werde
das nicht überleben! Erst als dieser halb bewusstlos schien,
liess er von ihm ab und verzog sich ohne weiteren
Kommentar. Madame Luca übernahm wieder den
Schulbetrieb und der Lucien sass wie ein geschlachtestes
Schaf neben mir, er war aber ein humorvoller Kerl und fand
sich schnell wieder zurecht. Ich denke, mich hat dieser
Prügelakt mehr beeindruckt als ihn. Es war aber klar, dass
Lucien fortan seinen Phallus nicht mehr an die frische Luft
setzte, zumindest nicht im Schulzimmer. Und ich war dem
Lehrer dankbar, dass er genau hingeschaut hatte, denn
sonst hätte ich irrtümlich auch noch daran glauben müssen.
Nachtrag:
Was wir Schüler damals nicht wissen konnten, Lehrer Luca,
trieb es selber mit kleinen Mädchen, vermutlich mit Hilfe
der Frau Luca? Mir gingen später einige Lichter auf, wie
war es möglich, dass die Lehrerin das Spiel der Elise
Vergang unter dem Pult nicht sehen konnte?
Weshalb durfte die Elise nicht mehr mit mir reden, jemand
muss es ihr doch eingeflösst haben!
Weshalb kümmerte es die Elise nicht, dass die Lehrerin im
Zimmer war?
Das Lehrerpaar Luca verschwand plötzlich sang und
klanglos ohne Vorinformation. Seltsamerweise tauchte etwa
gleichzeitig auch die Elise Vergang unter.
Eines Tages hiess das neue Lehrerehepaar: Segnaud.
Erst nach und nach vernahm ich aus den Diskussionen der
Erwachsenen, dass sich die Lucas angeblich mit
Schulmädchen eingelassen hatten, erst nahm ich diese
Information sehr neutral auf. Viel später wurde mir
klar, weshalb der Luca den Lucien fast umbrachte, der kam
ihm doch so richig in die Quere!
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50 Jahre später
Im August 1996, traf ich den Lucien wieder auf seinem
Bauernhof, er diente als Fallschirmspringer im
Algerienkrieg, heiratete eine“Pied Noir“ Frau, arbeitete
dann jahrelang in Südfrankreich in einer Wäscherei.
Wir sprachen von früher, unter anderem erwähnte ich den
Fall mit dem Lehrer Luca, seltsamerweise, wollte er sich
nicht mehr daran erinnern, was mich sehr erstaunte, aber
dafür wusste er Ereignisse, die ich meinerseits vergessen
hatte. *****************************************
56. Kapitel
Der Vetter aus Bordeaux
Nach den schweren Prügelstrafen, die Lucien einstecken
musste, hielt er sich fortan in der Schule zurück, und
verzichtete auf seine exibitionistischen Tätigkeiten.
Unten im stillen Tal, da war er jedoch frei, allerdings fehlten
die Frauen und Mädchen, und die Kühe interessierten sich
nicht um seine Wenigkeit.
Dann endlich kam er, der lang erwartete Besuch des Vetters
aus Bordeaux, es war, als erscheine ein grosser Zauberer,
einer, der viel mehr wusste und konnte als wir kleinen
Knirpse. Aber die Schwester von Lucien war nicht dabei,
somit konnte die Vorstellung, wie man Kinder macht, nicht
erfolgen, doch Lucien war nicht verlegen, er sagte, der
Vetter könne jedoch vorzeigen, wie das gehe und den
geheimnisvollen Saft, den er der Schwester einspritzen
wollte, werde er einfach auf die Wiese leiten.
Ich begriff von allem dem nichts, schaute einfach zu und
wunderte mich.
Der Vetter war mit 14 Jahren, fast doppelt so alt wie wir.
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Und Luciens Schwester war auch etwas älter als der Vetter.
Kurz vor Sonnenuntergang konnte die Vorstellung
beginnen, der Vetter packte seinen „Prinzen“ aus, und
begann daran hin und her zu reiben, ich stellte fest, dass der
nicht viel grösser war als der Lucien, aber dicker.
Lucien teilte mir mit, ich müsse etwas warten, so eine
lebenswichtige Flüssigkeit, könne man nicht einfach wie
Urin abgeben. Ich aber zweifelte sehr daran, nahm an, es
könne sich wohl nur um diesen Urin handeln!
Inzwischen waren fast alle Kühe im Maisfeld, das musste ich
eiligst korrigieren, aber Lucien war der Ansicht, der
Zaubersaft komme gleich und ich solle noch etwas warten.
Doch ich konnte nicht warten, rannte weg und als ich
zurück kam, war die Vorstellung gelaufen, der Vetter
presste noch ein paar dicke weisse Tropfen aus, immerhin
konnte ich nun sehen, dass es sich nicht ganz um die gleiche
Farbe wie beim Urin handelte!
Lucien schwärmte, ich hätte den grossen Springbrunnen
verpasst, was ganz meine Schuld sei, nun könne der Vetter
das Spiel nicht wiederholen, weil der Behälter leer sei.
Ich schämte mich schon etwas, doch der Vetter tröstete
mich, dass, wenn ich einmal 13 oder 14 Jahre zählen würde,
ich auch solche Fähigkeiten haben werde. Doch Lucien
wollte nicht solange warten, er versuchte es jeden Tag,
wurde aber nicht fündig.
Bei mir erwachte das Interesse an dieser Fakultät nur
langsam, ich gab mich damit zufrieden, dass man mit 14
Jahren soweit sein werde!
58. Kapitel
Luciens Schwester
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Der permanente Sexualuntericht von Lucien blieb nicht
ohne Auswirkungen auf mich. Einerseits durch die Filme
und die Zeitung animiert, andererseits motiviert von Lucien,
begann ich mich immer mehr für diese Wissenschaft zu
interessieren.
Wenn es um Frauen ging, hatte Lucien es viel einfacher, er
konnte sich an seiner grossen Schwester orientieren.
Und ich lauschte ihm gespannt zu, wenn er über sie
berichtete, allerdings habe ich fast alle Details vergessen.
Sie wirkte für uns wie eine erwachsene Person, daraus
entwickelten sich bei mir erotische Fantasien.
Vor dem Einschlafen war sie nun während zwei oder mehr
Jahren mein Fetisch für realistische und unrealistische
Spiele.
Mein Hauptproblem war meine kindliche Körpergrösse,
wie konnte ich es anstellen, diese grosse Frau zu
überwältigen? Monatelang plante ich, mich mit blauen
Überkleidern einzudecken, einem Hut, eine Gesichtsmaske,
sowie Seile zum fesseln. Damit wollte ich mich von einem
Nussbaum runter fallen lassen, wenn die Schwester unten
durch lief, erst die Arme, dann die Beine
zusammenbinden, aber da war wieder die Frage, wie konnte
sie die Beine spreitzen, wenn sie zusammengebunden waren?
Es blieb ein Dauerthema, während vielen Monaten,
natürlich durfte auch der Lucien nichts davon erfahren.
Je länger ich nachdachte, umso mehr Fragen tauchten auf,
zum Beispiel, dass die Schwester doch viel stärker war und
mich wie einen Käfer auf die Wiese schleudern könnte, dass
sie mir die Maske vom Gesicht riss und mich erkennen
könnte, dann hätte ich ein neues Problem gehabt. Ich kam
zu keinem befriedigenden Schluss, je länger ich daran
herumbastelte, desto mehr wurde der Plan zum Wunschund Sextraum, der nicht realisierbar war!
59. Kapitel
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Der Besuch von Onkel
Otto
Vater schrieb ihm oft dem Onkel Otto, mehr als allen
andern zusammen, da waren noch Onkel Rudolf undTante
Marie. Otto war mit Jahrgang 1906 das jüngste von 7
Kindern, obwohl verheiratet, hatte er keine eigenen Kinder,
er wurde auch der „reiche Onkel“ genannt, weil er Land
und Wald, sowie zwei Zweifamilienhäuser besass. Aber
damals, im Herbst 1946, kannte ich nur seinen Vornamen,
mehr nicht. Immerhin war er nun der allererste Verwandte,
den ich zu sehen bekam. Und er kam direkt aus diesem
Wunderland Schweiz, von dem Vater soviel hielt.
Vater machte sich auf, um die beiden Besucher, der andere
war ein Nachbar von Otto, etwas mehr als 20 jährig und
nannte sich Walter Schuhmacher, in „Pont Saint Mammet“
abzuholen. Wenn Vater spät nach Hause kam, pflegte ich
ihm entgegen zu laufen. Es gab keine
Strassenbeleuchtungen, und wenns noch dazu bewölkt war,
dann wars derart finster, dass man nicht einmal die eigene
Hand vor dem Gesicht erkennen konnte. Ich zündete jeweils
eine Sturmlaterne mit Kerosinbetrieb, machte mich dann
auf den Weg in Richtung „Maison Basse“. Nach dem
Dorfende, waren es noch gut ein Kilometer bis dorthin.
Aber ich musste nie bis ganz hinunter laufen, irgendwo
unterwegs trafen wir uns immer.
Am fraglichen Abend mochte es gegen 22 bis 23 Uhr gehen,
ich hatte das Gefühl, nun aufbrechen zu müssen.
Die Laterne in der Hand, lief ich nach dem Dorfende auf der
Naturstrasse in die dunkle Nacht hinaus, plötzlich hörte ich
Stimmen die nicht Französisch klangen. Die mussten es sein,
Onkel Otto war derart begeistert, dass er mich sporadisch
umarmte und immerzu „Ruedeli“ sagte. Er war besonders
beeindruckt, dass ich als 8jähriger Knirps, alleine in der
dunklen nacht unterwegs war, aber Vater beruhigte ihn,
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indem er sagte, das tue ich seit Jahren schon. Schliesslich
war ich während den Kriegsjahren allein berechtigt, den
Hof und das Land zu verlassen, da staunte aber der Otto.
Das machte mich wohl ein gutes Stück selbstständiger, als
man das von einem Kleinkind sonst erwarten könnte!
Viel ist mir von diesem Besuch nicht in Erinnerung
geblieben, sehr beeindruckt war ich von den Lebensmitteln,
Würste, Käse, Schokolade mit Nüssen, das hatte ich noch nie
zuvor gesehen, Waffeln und allerlei Gebäck, nichts davon
war mir zuvor in dieser Ausführung bekannt.
Meine Sprachenkenntnisse in Schweizerdeutsch waren
damals sehr bescheiden, weil ich seit dem Schuleintritt
praktisch nur noch Französisch sprach.
Die Besucher unterhielten sich zudem meistens nur mit den
Eltern, ich verstand dann nur einen Teil davon.
Zwei Vorkommnisse sind mir aber geblieben, an einem
Vormittag ging ich mit den beiden auf Pilzsammlung in den
kleinen Wald. Vater sagte ihnen, ich wäre bestens im Bild
und könne sie gut beraten. Ich war recht stolz auf meinen
Job und wir gingen erst ins grosse Tal.
Was für mich normal war, empfanden sie als
Wunderlandschaft, kilometerlange Naturgehege voller
Früchte, besonders die reifen Brombeeren hatten es ihnen
angetan, die stopften sich ganze Hände voll in den Mund,
führten einen richtigen Amoklauf im Schlaraffenland auf.
Sie fanden es eine Sünde, dass all die reifen Früchte einfach
nur von den Vögeln gefressen wurden. Ich war da anderer
Meinung, ob Vögel oder Menschen, das machte doch keinen
Unterschied!
Dann zogen wir zum Waldrand, dort, wo ich die Steinpilze
verstekt wusste. In wenigen Minuten war mein Korb voller
Steinpilze, soweit ich mich erinnere, fanden sie keinen
einzigen Pilz, sie staunten über meine natürlichen Instinkte,
es war aber nicht besonders schwer, ich hatte Erfahrung mit
den Steinpilzen, manchmal waren sie von Laub und
Farnkraut richtig getarnt. Ich hatte stets den Eindruck, sie
würden mich anlachen!
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Ich hatte mir bei Onkel Otto viel Goodwill eingeholt, dessen
war ich mir bewusst, besonders war er von meiner
Selbstständigkeit unten im Tal und im Wald begeistert.
Er konnte auch feststellen, dass ich durch und durch ein
Kind der Natur war. Das faszinierte ihn irgendwie.
Ich mochte ihn auch gut und wir blieben bis zu seinem Tod
(2001), befreundet, er war später für mich so etwas wie ein
Ersatzvater geworden. Trotz einem Schatten, der von
Anfang an zwischen ihm und mir existierte!
Nachtrag: Erst Jahre später erfuhr ich von Mutter, dass der
Otto mir anfänglich überhaupt nicht gut gesinnt war.
Er soll die Patenschaft verweigert haben, weil er der Ansicht
war, Vater hätte keine Kinder zeugen dürfen, da diese ja
doch nur in Alkoholiker und Krüppel ausarteten!
Als ich diese Nachricht erfuhr, war ich dem Otto in keiner
weise böse oder gar rachsüchtig, sondern zeigte Verständnis,
schliesslich konnte er ja damals nicht wissen, was aus mir
wurde. Und im Hinblick auf meine Geschwister, hatte er gar
nicht so viel Unrecht.
Ich habe nie mit ihm darüber diskutiert, aber in einigen
Fällen machte er Bemerkungen, die irgendwie nach
Bedauern klangen, ohne, dass er sich dabei klar
auszudrücken brauchte.
***************************************************
60. Kapitel
Ernst Junior wird geboren
Mutter war seit einiger Zeit wieder kugelrund, mir war nun
durchaus bewusst, was das bedeutete, nämlich nochmals
Nachwuchs. Dass ich damit nicht einverstanden war, blieb
einzig mein Problem, irgendwie kapselte ich mich von dieser
Entwicklung ab und versuchte darüber hinweg zu kommen.
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Diesmal sollte die Geburt zu Hause erfolgen, gegen
Mitternacht kam Dr. Dupuis aus Villamblard, er vertrieb
Vater und mich aus dem Schlafzimmer.
Während ich Mutter im Schlafzimmer schreien hörte, als
wäre sie am Marterpfahl, verspeiste ich in der Wohnküche
genüsslich ein Stück Brot mit einem ebenso grossen Stück
„Roquefort“ Käse, dazu ein Glas guten Rotwein.
Vater lief aufgeregt umher und hatte keinen Appetit.
Als Mutter nicht mehr schrie, begann ein anderer zu
schreien. Dr. Dupuis kam aus dem Schlafraum und meldete:
„Es ist ein Knabe von 4 Kilo!“ und gratulierte dem Vater.
Nachdem er noch mit einem Kübel heissem Wasser
gerumhantiert hatte, verabschiedete er sich mit der
Bemerkung: „Bis zum nächten Mal“.
Also, das bohrte sich wie ein Pfeil in meinen Kopf,
sollte diese elende Kinderproduktion noch weiter gehen, wo
doch bereits zwei zuviel da waren?
Der neue Bruder hiess „Ernst“ wie sein Vater. Wenn die
Leute im Dorf fragten, ob ich stolz auf meinen Bruder sei,
antwortete ich stets gleich:“das ist nicht mein Bruder, das ist
der Bruder meiner Schwester“. Im Dorf machte man sich
lustig über meine Definitionen, ich meinte es jedoch ernst
damit. Ich machte mir folgende Überlegung, wenn wir Hand
in Hand einen Reigen bilden, dann ist nur der nächste mein
direkter Nachbar, der Übernächste aber nicht mehr, somit
ist er der Nachbar meines Nachbarn. Aber die Leute wollten
meine Theorien einfach nicht verstehen können, also gab ich
deprimiert auf.
Erinnerungen an die beiden Geschwister habe ich bis 1948
praktisch keine, einzig dann, als Ernst etwa 10 Monate alt
war, es war ein Sonntagmorgen, ich trainierte ihn zum
selber gehen, und an diesem Vormittag waren meine
Bemühungen erfolgreich. Ich verbuchte das als einen
persönlichen Erfolg. Ansonsten ging ich meinen eigenen
Weg, mit den beiden Säuglingen konnte ich nichts anfangen,
zudem blieb ich auch das ganze Leben lang an Kindern
desinteressiert. Ich schaute lieber den Kühen im Tal, sowie
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den Ameisen, oder unterhielt mich mit dem Lucien über
erotische Fragen.
Zudem war ich vielmehr daran interessiert, mit Hans zu
diskutieren, wir waren uns immer mehr einig, dass Vater,
mit seinen Sympathien zu den Deutschen, auch unser
potentieller Widersacher war.
61. Kapitel
Petrus der Feind
Im Dorf war ein Restaurant, dieses wurde von einem älteren
Ehepaar mit Namen „Petrus“ geführt. Der Petrus war ein
ausgesprochener Feind für uns, er mochte meinen Vater
nicht leiden, einmal, weil er Ausländer war, dann aber auch
wegen seinen Sympathien zu Nazideutschland!
Aber Bier und Limonade konnte man im Dorf nur bei den
Petrus kaufen. Und weil Vater den Kontakt zu diesen mied,
schickte er mich zum Bier holen. Aber freundlich waren die
beiden Wirtsleute auch zu mir nicht, Frau Petrus schaute
mich mit grossen Kuhaugen an, der Herr Petrus grüsste
mich nicht einmal, das entfachte bei mir eine seltsame Idee,
ich wollte mich dafür rächen.
Da beide sehr langsam gingen, benötigten sie ziemlich lange
Zeit, um im Keller das Bier zu holen, in der Zwischenzeit
entnahm ich in der Schublade ein paar kleine Geldscheine,
einfach so, um sie zu schädigen, es war ein Teil von dem
Geld, das ich zuvor gebracht hatte.
Der Wert war sehr gering, weil eine gewaltige Inflation
herrschte. Das geschah etwa dreimal Mal, dann bemerkte
der Petrus den Trick und meldete seinen Verdacht prompt
meinem Vater. Aber statt sich darüber zu freuen, war Vater
sehr wütend über mich, dass ich ausgerechnet seinem
grössten Feind ein Argument zum reklamieren geliefert
hätte, ich dachte, er wüsste meine Hilfe zu schätzen. Doch er
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sah es ganz anders, das sei Entwendung von fremden Geld,
ich aber war der Ansicht, das Geld habe ich ja zuvor
gebracht und es wäre auch unser Geld. Vater gab dem
Petrus recht und blamierte mich, später sah ich den
Kardinalfehler auch ein. Fortan ging ich nie mehr zum
Petrus einkaufen, weil ich dachte, der bringe mich um.
Ich musste das Bier mit dem Fahrrad in Villamblard
einkaufen gehen.
Der Petrus blieb ein unangenehmer Zeitgenosse, unterliess
nichts, um uns irgendwie schädigen zu können, sogar bis
zum allerletzten Tag vor unserer Abreise in die Schweiz.
Doch darüber später.
62. Kapitel
Monique Garigue
Ich war in der zweiten oder dritten Primarklasse, so genau
wusste ich das auch nicht, weil der Unterricht
klassenübergreifend war.
Die neue Lehrerin, Frau Segnaud, führte einen wesentlich
strafferen Schulbetrieb ein, jeden Monat erstellte sie ein
Klassement vom besten bis zum schlechtesten Schüler!
Alle wurden rücksichtslos namentlich aufglistet bis zum
letzten Rang!
Mir war nie klar, weshalb ich plötzlich zu den Klassenbesten
gehörte, hatte ich doch kaum Hausaufgaben zu lösen und
auch sonst keinen grossen Schulstress zu verzeichnen,
zumindest ist mir nichts in Erinnerung geblieben.
Einmal war ich an erster Stelle, dann am folgenden Monat
wieder die Monique Garigue. Es war ein stetiger Zweikampf
zwischen uns beiden, ich kann mich nur an einen Monat
erinnern, an dem ich den 3. Rang einnehmen musste.
Da hatte sich ein anderes Mädchen auf den zweiten Rang
vorgeschoben, ihren Namen habe ich vergessen. Bei den
Knaben war ich aber immer an erster Stelle, der Lucien war
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diesbezüglich kein Konkurrent für mich, weil das Fach
„SEX“ nicht zählte!
Die Monique nahm ich zuvor gar nicht wahr, sie war ein
stilles, unaufälliges Mädchen mit schönen schwarzen
Haaren, stets hübsch und sauber gekleidet, kein Vergleich
zu den Martinez Kindern.
Ich wurde erst durch unseren Zweikampf auf sie
aufmerksam, sie war die Tochter eines Sägereibesitzers.
Die Firma lag links an der Strasse nach Villamblard,
Mir imponierten dabei mehr die zwei riesen Gorillas aus
Stein, die dort bei der Einfahrt standen. Ich vermute, dass
die Monique nach meiner Abreise keine ernsthafte
Konkurrenz mehr kannte, und ich vermisste diesen
Wettbewerb mit ihr, denn irgendwie begannen wir uns
gegenseitig zu achten oder gar abzuheben. Es war ein gutes
Gefühl, aber wir sprachen kaum jemals miteinander, das
hätte sich aber noch ändern können, wenn nicht höhere
Gewalt dazwischen gekommen wäre, nämlich mein
Abschied von Montagnac.
Nachtrag: Im Jahr 1967, also 20 Jahre später, fuhr ich mit
meinem „Opel Record“ nach Montagnac-la-Crempse, dabei
kam auch die Monique in meinen Erinnerungen wieder
hoch.
Ich dachte aber zuvor nie daran, ihr einen Brief zu
schreiben, aber jetzt wollte ich nachschauen, ob sie noch
dort lebte?
Die beiden Gorillas waren immer noch am Eingang,
allerdings voller Moos und dergleichen Unkraut.
Ich glaube, die Sägerei war stillgelegt, aber jemand wohnte
noch im Haus links nebenan, man konnte mir mitteilen, dass
die Monique seit vielen Jahren in einer französischen
Grossstadt lebt und dort verheiratet ist. Das wars dann,
kurz und gut, ich fuhr weiter. Die guten Menschen sind eben
immer schon vergeben oder verstorben!
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63. Kapitel
Ich soll in die Schweiz
Zu diesem Anlass kann ich auch nicht mit Sicherheit sagen,
ob das im Jahre 46 oder 47, propagiert wurde?
In der Schweiz erbarmte man sich der kriegsgeschädigten
Kinder, man wollte sie in ein Ferienlager in die Schweiz
einladen. Dort sollten wir uns von den mageren
Kriegsjahren erholen und gut genährt wieder zurück kehren
können.
Zu diesen privilegierten Kindern gehörte auch ich, doch
meine Begeisterung hielt sich sehr in Grenzen.
Erst lehnte ich ab, doch meine Eltern sprachen mir
tagtäglich gut zu und lobten alles in den höchsten Tönen.
Am allermeisten störte mich der obligate Arztbesuch, bis
anhin war ich noch nie bewusst bei einem Arzt, allein das
bedeutete mir einen wahren Horror, denn einem Arzt traute
ich schon gar nicht.
Schliesslich stimmte ich zu, nachdem die Eltern mir
versprochen hatten, der Arzt würde mich nicht umbringen
und keine Folterungen vornehmen oder Organe entfernen!
An einem schönen, sonnigen Nachmittag ging ich mit Mutter
nach Villamblard zu Dr. Dupuis. Ich schaute mich wie ein
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wildes Tier in der Praxis um, prüfte die Fenster, bei denen
ich im Fall eines Übergriffs heraushechten konnte. Trotz
den Zusicherungen meiner Eltern, traute ich diesem Kerl im
weissen Kittel nicht über den Weg.
Langsam entblöste ich meinen Oberkörper, immer noch
misstrauisch, der Arzt tastete mit einem Gerät meine Brust
ab, schaute in den Hals und auf die Zunge, welche ich weit
hinaushängen musste. All das war schmerzfrei, trotzdem
schaute ich gespannt auf den Tisch, um festzustellen, dass
kein Messer dort lag. Aber nichts geschah, er versuchte auch
nicht, mir diese Nadeln in die Arme zu rammen.
Ich konnte mich wieder ankleiden und verliess schnellstens
die Praxis. Auf dem Nachhauseweg, war ich fast etwas stolz,
dass ich den Gang in die Höhle des Löwen gewagt hatte.
Jetzt konnten die Reisevorbereitungen beginnen und schon
bald würde ich endlich das Paradies kennen lernen, von dem
meine Eltern soviel schwärmten.
Vater erhielt ein Aufgebot, wonach er mich in „Agen“ an
einen Betreuer übergeben sollte, das Datum ist mir nicht
mehr präsent. Ich kannte aber damals den Tag, die Uhrzeit
und sogar die Nummer des Eisenbahnwagens.
Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
Die Eltern erhielten eine neue Weisung, danach sei ich noch
auf Viren und Seuchen zu untersuchen, was einen erneuten
Besuch beim Dupuis bedeutete! Man wollte vermeiden, dass
die Seuchen, welche in den kriegsgeschädigten Ländern
wüteten, in die Schweiz gebracht wurden.
Bei mir wuchs das Misstrauen, also wollten die wohl doch
ein Organ oder etwas herausnehmen? Nein, und nochmals
nein, um keinen Preis wollte ich nochmals hingehen. Alle
schönen Worte halfen nicht weiter und blieben wirkungslos,
ich verharrte bei meinem Entschluss.
Zudem wollte ich gar nicht in dieses Paradies reisen, zog
das Leben mit den Tieren im stillen Tal vor, das war meine
wahre Heimat. Ich war damals schon soweit informiert, dass
mir bewusst war, dass ich mit dem Lebewesen „Mensch“ am
allermeisten Ärger einfangen werde!
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116
Ich suchte deshalb den Kontakt zum Menschen nicht, die
Tiere waren viel berechenbarer und zuverlässiger. Es mag
seltsam erscheinen, aber ich erinnere mich, wie ich den
Eltern sagte, ich wolle keinen Kontakt zu noch mehr
Kindern, diejenigen in der Schule wären für mich schon
zuviel.
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64. Kapitel
Taufe
Wie schon andernorts ausgeführt, wurde ich nicht religiös
erzogen. Ich wusste lediglich, dass ich zur Spezie der
„Protestanten“ gehörte, konnte mir aber darunter wenig
vorstellen.
Ich war christlich getauft worden, jedoch ohne Taufzeugen
oder Paten. Weil meine Eltern bereits 10 Tage nach meiner
Ankunft in Bern, nach Frankreich auswanderten, wurde ich
in einer Art von „Schnellverfahren“ getauft.
Die beiden Geschwister, sollten nach dem Willen meiner
Eltern, nun ebenfalls christlich getauft werden.
Das Vorhaben erwies sich aber als umständlicher, als in
einem reformierten Land, in Frankreich gibt es nur wenige
Prostestanten. Es gelang ihnen, im Raum BordeauxPerigeuex, einen reformierten Pfarrer zu finden. Dieser
Mann bestellte uns an einem Nachmittag ins Dorf
Villamblard. In einem grossen Gebäude wurden wir in einen
Raum geführt, dort waren verschiedene bequeme Sofas in
einem Halbkreis aufgestellt. Vermutlich ein Treffpunkt der
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Gläubigen in der Gegend? Der Taufvorgang interessierte
mich nicht, erst langweilte ich mich auf einem grossen Sofa,
auf dem ich allein sass.
Vom Taufgeschehen ist mir rein nichts in Erinnerung
geblieben, irgendwie waren da aber noch Taufpaten dabei,
möglicherweise von den Steiners?
Weshalb die beiden nochmals mit den gleichen Namen
bedacht wurden, verstand ich auch nicht.
Also begann ich mit meinen Händen hinten in der Sofaspalte
zu forschen. Schon bald einmal wurde ich fündig, ich stiess
auf silberne Broschen, Abzeichen, Devotionalien, Münzen
aus Silber. Ich stopfte alle meine Hosentaschen voll damit, es
waren verschiedene leere Sofas abzutasten, alle wiesen
geheimnisvolle Schätze auf.
Niemand kümmerte sich um mich, ich arbeitete hart an der
Schatzsuche. Schliesslich waren alle Taschen voll und ich
befürchtete schon, dass ein Teil herausfallen könnte!
Der Taufakt war auch recht schnell vorüber, wir konnten
wieder nach Hause fahren, irgendwoher hatte Vater ein
Auto organisiert.
Zu Hause angekommen, zeigte ich den Eltern stolz meine
Ausbeute von der Taufe, erst dachten sie, ich hätte soviel
Schmuck aus einer Kiste geklaut!
Aber ihnen war auch klar geworden, dass ich die ganze Zeit
bei ihnen weilte, nur eben, ständig im Hintergrund nach
etwas suchte. Die schönsten Exemplare behielten sie für sich,
den Rest durfte ich für mich behalten. Ich wusste auch nicht
so recht, was damit anfangen, als wir dann das Land
verliessen, musste ich mich auch von meinem „Schatz“
verabschieden. Ich durfte nur die allerwichtigsten
Gegenstände mitnehmen.
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65. Kapitel
Die „Tour de France“
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Trotz Kino, Radio und einer Zeitung, gab es noch relativ
wenig Abwechslung.
Ab 1947 wurde die „Tour de France“ der Radrennfahrer
wieder regelmässig durchgeführt. Erstmals 1903
veranstaltet, wurde der Anlass während dem Ersten und
Zweiten Weltkrieg unterbrochen.
1939 wurde die Tour von Gino Bartali gewonnen, dann bis
1945 keine mehr ausgetragen. Im Jahr 1946 wurde eine
„Mini“ Tour mit nur 6 Etappen gewagt, damals gewonnen
von einem Jean Lazaridez, aus Bergerac. Ich muss jedoch
bemerken, dass ich von diesem Anlass rein nichts mehr
weiss. Und in der offiziellen Statistik figuriert diese Tour
erst gar nicht.
Im Jahr 1947 wurde aber zur neuen Tour de France
geblasen, so, wie wir sie heute noch kennen.
Und ich war während drei Wochen völlig in diese Tour
vernarrt, am nächsten Tag posierte der Etappensieger auf
der ersten Seite der Zeitung. Die Rangliste wurde täglich bis
zum letzten Platz durchgegeben.
Ich konnte nicht warten, bis der Pöstler, Monsieur Robert,
die Zeitung brachte, also eilte ich ihm entgegen um sie etwas
früher lesen zu können. Und ich verfolgte die Rangliste bis
auf den letzen Platz, es herrschte höchste Spannung
Der „Leader“ im gelben Trikot war seit Tagen der kleine
Franzose Jean Robic, von ihm hiess es, er habe nur einen
funktionierenden Lungenflügel, was mich sehr
beeindruckte. Und er gewann schliesslich die Tour souverän.
Ich kann noch hinzufügen, dass ich damals die Tageszeitung
gründlicher las, als später im Erwachsenenalter.
Auch Fortsetzungen gehörten dazu, ein Krimi hiess „Pierro
le Fou“, also dieser hatte nicht gerade einen positiven
Einfluss auf mich. Weil ich es aber selber wahrnahm, blieb
die Gefahr gering.
Im Juli 1948 führte anfänglich der Schweizer Ferdinand
Kübler das Gesamtklassement an, ich war mächtig stolz auf
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meinen Landsmann. Dann aber, in den Bergen, musste
Kübler die Tour aufgeben, er erlitt eine Magenvergiftung,
angeblich von den bösen Italienern angezettelt. Und
schliesslich gewann dann der Italiener Bartali, und im Jahr
darauf sein Landsmann Fausto Copi, aber dann schlugen
die K. und K. zu.
1950 Ferdi Kübler, 1951 der schönfahrer Hugo Koblet!
Wie „Indochina“ blieb auch die „Tour de France“ für mich
lebenslänglich eine epochale und monumentale
Angelegenheit. Etwas, mit dem man ein ganzes Leben lang
verbunden bleibt.
66. Kapitel
Die Besucher aus
Winterthur
Während die wenigen Verwandten auf Vaters Seite im
Kanton Bern lebten, waren die Geschwister meiner Mutter
alle in der Ostschweiz zu Hause. Tante Emma in St. Gallen,
Tante Olga in Gossau SG, und Tante Alice in Winterthur.
Für mich war das alles abstrakt und einerlei, ich konnte mir
kein klares Bild von diesen Leuten machen. Mutter pflegte
Briefe zu schreiben, doch das beschränkte sie auf etwa einen
Brief im Jahr oder noch weniger. Von der Olga und der
Alice erhielten wir Fotos, als sie erneut heirateten.
Von der zweiten Hochzeit der Alice kam ein seltsames Foto,
sie stand wie eine alte Nonne mit einer grossen Handtasche
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da, neben ihr der neue Ehemann, Adolf Weiler, fast einen
Kopf kürzer, ein Bein nach hinten geschlungen und eine
Flasche Bier an seinen Lippen!
Ich schaute das Foto lange an, wurde aber nicht klug
daraus.
Dann, im Jahr 1947. erwarteten wir deren Besuch, wie
üblich, spielte sich das Ganze zwischen den Erwachsenen ab,
ich bekam kaum etwas in Erfahrung. Ich realisierte aber
auch, dass sie am fraglichen Tag nicht erschienen und wir
wussten nicht, wo sie blieben, Unfall, Panne?
Das Rätsel wurde lange nach Mitternacht gelöst, als
plötzlich ein neues Auto in unseren Hof fuhr, begleitet von
Dorfbewohnern, welche die Fremden zu uns brachten. Es
waren zwei Ehepaare, Tante Alice und Ehemann, sowie ein
Ehepaar Hintermüller aus Winterhur. Den Hintermüllers
gehörte auch der brandneue Peugeotwagen, denn der Dölf
konnte weder autofahren noch hatte er das Geld um ein
Auto kaufen zu können!
Da alle vier kein Wort Französisch sprachen, hatten sie
grosse Mühe, sich zu orientieren. Sie fragten nach einer
Ortschaft „Montignac“oder ähnlich, und wurden prompt
nach „Montignac“, rund 140 Kilometer nördlich ,
umgeleitet!
Also Geschenke, wie der Onkel Otto, brachten sie meines
Wissens keine mit, sie beachteten mich kaum, widmeten sich
aber ausgiebig dem Wein und dem guten Essen!
Besonders der Dölf, der von der Tante oft getadelt wurde,
ertrank seinen Frust in Bier und Wein. Und als er dann
noch einen Salto in die Ernteabfälle wagte, hatte auch ich
endlich etwas zum lachen. Wenn die Alice mekerte, rief er:
„MACH A SCHNUURE“ .
Er war die meiste Zeit betrunken und wiederholte diesen
Spruch andauernd, so, dass ich ihn bald einmal nachahmte.
Bereits in der ersten Nacht, als der Hintermüller zum WC
hinüber musste, realisierte er einige Gestalten, die sich vom
Auto davon machten! Noch war alles da, aber Vater hielt es
für angebrachter, fortan mit dem Kleinkalibergewehr auf
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Wache zu gehen. Die Diebe kamen aber nicht mehr und er
musste auch nicht schiessen. Die Besucher interessierten sich
nicht für die berauschende Natur, so war es eher eine
Erleichterung für mich, als sie uns nach etwa 4 Tagen
verliessen.
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67. Kapitel
Zurück ins „Paradies“
Im Vergleich zu den Jahren bis 1946, verlief die Zeit von
1946 bis Herbst 1948, relativ ereignislos. Wie ersichtlich,
blieben mir aus dieser Epoche nur sehr wenige Dinge
präsent. Wirtschaftlich war Frankreich immer noch auf
dem Nullpunkt, es herrschte eine galopierende
Inflation.Vater pflegte seine Ersparnisse in einer Metalldose
auf dem Estrich zu verstecken. Täglich war das Geld
weniger wert, die zehnjährige Schufterei machte ihn nur
noch ärmer! Doch, er war sehr stolz auf einen Brief vom
Schweizer Generalkonsulat in Bordeaux, das ihm
gratulierte, weil er als allereinziger Auslandschweizer in
Frankreich, den zinslosen Kredit der Eidgenossenschaft bis
auf den letzten Rappen zurück gezahlt hatte!
Dafür war er nun genau gleich arm, wie damals vor dem
Krieg, als er den Kredit zugesprochen erhielt!
Dieser Suizididealismus scheint bei uns in den Genen zu
stecken!
Die andern Auslandschweizer in Frankreich waren zum Teil
viel besser situiert, dachten aber nie daran, diesen Kredit
jemals zurück zu zahlen! In ihren Augen war er schlichtweg
ein Dummkopf, bestenfalls ein hoffnungsloser Idealist!
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Vater führte seit Monaten einen regen Schriftverkehr mit
Onkel Otto. Dieser versprach ihm das „Blaue vom Himmel“,
Arbeit in Hülle und Fülle, soziale Sicherheit, sowie eine
günstige Zweizimmerwohnung in seinem Haus, das sich in
Schlatt bei Gasel, Gemeinde Köniz bei Bern, befand.
Vater sprach nur noch von diesem Angebot, träumte bereits
vom grossen Zahltag und den kurzen Arbeitszeiten.
Er sah keine Zukunft mehr in Südwestfrankreich, was bis
vor kurzem noch gut war, zählte auch nicht mehr.
Ich hörte seinen Ausführungen eher mit gemischten
Gefühlen zu, einerseits wollte ich dieses vermeintliche
Paradies kennen lernen, andererseits mochte ich meine
gewohnte Umgebung nicht aufgeben.
Es kam der Tag der Entscheidung, im Frühjahr 1948, wurde
mir klar erläutert, dass meine Tage in Montagnac gezählt
waren. Anfangs September gehe die Reise zurück in die
Schweiz! Ich musste mich damit abfinden, ein kleiner Trost
war aber, dass auch Bruder Hans mit uns kam!
Eine sechsköpfige Familie ohne Geldmittel, ohne Vermögen,
nur mit zwei grossen Koffern. Noch war die Zeit zur
Abfahrt nicht gekommen, es fehlten noch etwa 5 Monate, ich
hatte genug Zeit, um mich auf den Abschied geistig
vorzubereiten.
68. Kapitel
Ich verlasse die Schule
Vater und Mutter verfügten lediglich über eine
Grundschulausbildung. Vater wurde bereits im Alter von
knapp sechs Jahren, einem Landwirt im Raum
Oberscherli/BE, verdingt. Wie er manchmal ausführte,
gehörten Prügel zum täglichen Erziehungsmodus, er musste
schwerste Arbeit verrichten und dabei auch noch die Schule
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besuchen. Diese Sklavenarbeit konnte bis auf 16 Stunden
täglich ausgedehnt werden. Mutter hatte es nicht viel
leichter, als Vollwaise musste sie im Waisenhaus von
Urnäsch/AR, ausharren, angeblich ein Kinderheim, doch
laut ihren Berichten eher ein Konzentrationslager übelster
Gattung! Auch alle ihre Geschwister erlebten ihre Kindheit
in diesem „Heim“.
Ich musste darum oft hören, dass ich ein Riesenglück hätte,
somit auch keine Ahnung von dieser Hölle auf Erden habe.
In der Tat, wuchs ich in Frankreich mit den
grösstmöglichen Freiheiten auf, hatte auch stets genug Essen
auf dem Tisch, durfte alkoholische Getränke konsumieren,
am Abend ins Kino gehen und auch sonst tun und lassen was
ich mochte.
Als dann im Frühjahr 1948, klar war, dass wir im Herbst in
die paradiesische Schweiz zurück fuhren, quittierte ich die
Dorfschule unverzüglich, begründete meinen Entschluss
damit, dass ich ja doch in der Schweiz wieder von ganz
vorne beginnen müsste. Die Eltern nahmen meine Mitteilung
ohne Argument zur Kenntnis, ich wurde anscheinend in der
Schule auch nicht vermisst.
Die Eltern machten sich nicht viel aus Schule und Bildung,
anständige Menschen mussten ihr Geld mit harter,
manueller Arbeit verdienen. Ich wurde entsprechend zu
Bescheidenheit motiviert und erzogen.
Die nationalsozialistischen Parolen wurden bei uns gut
befolgt und praktisch umgesetzt.
Später kam ich jedoch selber zur Überzeugung, dass ich
damals doch besser hätte in der Schule bleiben sollen. Ich
verpasste eine ordentliche Portion an Lehrstoff. Von April
1945 bis Juni 48, waren es nahezu 3 ½ Jahre, das erste halbe
Jahr verlor ich bei den Spielereien hinten im Schulzimmer,
dann war ich jedes Jahr für gut einen ganzen Monat krank
gemeldet,(Masern, Röteln, etc.) und schliesslich verpasste
ich nochmals 3 Monate durch meinen vorzeitigen Abgang.
Damit besuchte ich die Schule effektiv nur während 2 ½
Jahren.
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69. Kapitel
Die Verschwörung
Der langersehnte Abreisetag war endlich gekommen.
Tags zuvor verabschiedete sich Vater von den beiden
Arbeitskühen, der ROUGE und der BLANCO, dabei erlebte
er eine rührende Geschichte. Er stand im Stall und sprach
laut zu den beiden noch verbliebenen Kühen, die andern
waren bereits weggeschafft worden, wie leid es ihm täte, sie,
die langjährigen treuen Helfer verlassen zu müssen. Dabei
sollen ihm die Tränen gekommen sein, weil die ROUGE ihn
mit ihren grossen Kuhaugen seltsam anschaute. Und als er
auch in ihren Augen Tränen herunter kullern sah, habe er
sie mit beiden Armen am Hals umarmt, gestreichelt und
geküsst. Als er uns dieses Erlebnis danach erzählte, war
auch ich tief betroffen davon! Und ich war sehr entäuscht,
dass die beiden Schwerarbeiterinnen in ein Schlachthaus
gebracht wurden, statt in ein Seniorenheim!
Die BLANCO hingegen, die war schon immer „cool“ und
weinte natürlich nicht, sicherheitshalber fragte ich den
Vater aber noch desswegen. Mit ihr stand ich bekanntlich
stets auf Kriegsfuss, dass sie aber jetzt sterben musste, war
auch für mich zuviel.
Es gab sehr viel zu tun, Hans war auch eingetroffen, dazu
heuerte Vater noch zwei Männer an. Am Vormittag wurden
Stall und Scheune gereinigt.
Am Mittag meldete einer der Helfer, jemand habe ihm Geld
aus der Tasche gestohlen, kein grosser Betrag, aber er
machte eine Szene daraus. Ohne lange zu zögern
beschuldigte er mich dafür, ich hatte keine Ahnung wovon
er sprach und verblieb auch so. Vater wollte das Problem
schnell lösen und ihm den angeblich entwendeten Betrag
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vergüten, doch das wollte der nicht. Er machte ein grosses
Theater und drohte gar mit der Polizei!
Dann befreite mich der Zufall vom Verdacht, ich war den
ganzen Vormittag woanders, weg vom Hof, wo, weiss ich
nicht mehr. Jetzt war es eben Hans, der nun im Verdacht
stand, er war in den Stallungen tätig, und dort soll einem
der Männer das Geld aus der Jacke geklaut worden sein.
Im Lauf der Streitereien wurde uns klar, weshalb wir diesen
Kerl auf dem Buckel hatten. Es war ein Verwandter von
„Petrus“, unserem „Freund“, der es nicht unterlassen
konnte, uns noch bis zum letzten Tag etwas unter zu
schieben!
Mir wurde bewusst, wie gemein Menschen sein konnten.
Wir fuhren nach „Pont Saint Mammet“ um dort den Bus
nach Perigueux zu besteigen. Wir waren kaum
angekommen, als auch schon zwei Polizisten auf ihren
Fahrrädern daherkamen. Sie unterzogen uns einem
Verhöhr, das rein nichts brachte. Der Agent von Petrus war
dabei und begann wieder auf mich zu zeigen. Ich sagte
ihnen, dass ich niemals etwas gestehen werde, was ich nicht
begangen hätte, dazu müssten sie mich umbringen. Da
wurde Hans aber zornig und klärte die Sachlage auf, dass
ich als einziger der Anwesenden nicht auf dem Hof war, und
somit ausser Verdacht sei!
Damit hatte der Agent wohl nicht gerechnet, er konnte nicht
wissen, dass ich nicht anwesend sein würde. Und ich war das
geeignete Opfer für den „Petrus“, denn er mochte mich auch
nicht. Ich machte mir aber Gedanken, weshalb Hans derart
forsch auftrat, ob er wohl etwas genommen hatte? Ich
denke aber nicht, weil das Ganze eine geplante
Verschwörung war, nur um uns den Weggang noch zu
erschweren. Getraute mich aber nie, ihn später danach zu
fragen.
Die Gendarmen zogen sich zurück und wir konnten endlich
unbehelligt den Bus nach Perigueux besteigen. Die Sonne
verschwand blutig am Horizont, der Petrus hatte sein Ziel
erreicht, uns bis zur letzten Minute zu schickanieren.
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70. Kapitel
Die längste Nacht
Ich trat die Reise ziemlich ahnungslos an, es war ja auch
meine erste Exkursion weiter als 15 Kilometer von
Montagnac, die Hinfahrt von 1938, konnte ich im Alter von
12 Tagen noch nicht bewusst erleben.
Wir erreichten den Bahnhof von Perigueux bereits bei
Dunkelheit. Es war in der ersten Septemberwoche des
Jahres 1948, genau 10 Jahre zuvor, ging die Reise in die
umgekehrte Richtung.
Noch nie zuvor sah ich eine Dampflokomotive eines
Eisenbahnzuges. Zum aller ersten Mal bestaunte ich eine
Eisenbahn mit der mächtigen Lokomotive. Es standen etwa
fünf dieser Ungeheuer auf den Schienen, ich war völlig
benommen, die Riesenräder, die Männer mit den
geschwärzten Gesichtern, welche andauernd Kohle in diesen
Feuerschlund warfen. Der Riesentank und der Rauch- und
Dampfstrahl aus den Röhren, dann die lauten Pfiffe. Es war
einfach umwerfend, noch mussten wir nicht einsteigen,
unser Zug kam aus Bordeaux und war verspätet.
Wir waren seit dem frühen Morgen auf den Füssen und
froh, als endlich der Zug aus Bordeaux eintraf. Aber oha,
der war über und über voll mit Leuten aus den Städten,
welche ihre Ferien beendeten, besonders aber mit vielen
Studenten aus Lyon, Paris, etc. welche sich auf der
Rückreise in ihren Campus befanden.
Wir zwängten uns in einen der überfüllten Wagen, Vater
und Hans schoben die beiden schweren Koffer vor sich her,
ich hatte nur eine Tasche.
Der Traum von einem Sitz blieb Wunschdenken, wir
standen wie gepresste Rollmopse im Gang und mit uns viele
andere Passagiere. Mutter setzte sich auf einen Koffer und
nahm die beiden Kleinkinder zu sich. Die Toiletten waren
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unbrauchbar, weil sie bis zur Decke mit Koffern belegt
waren. Es war eine unglaubliche Situation, ich stand die
ganze lange Nacht im Gang dem Fenster zugewandt und
schaute hinaus in die dunkle Nacht. An Schlaf war nicht zu
denken, obwohl das stehend durchaus möglich gewesen
wäre, weil ich rundum von Leuten eingepfercht war.
Im Schneckentempo bewegte sich die Bahn in Richtung
Lyon, oft wurde angehalten, damit sich die Leute entleeren
konnten, die Toiletten waren ja nicht zu gebrauchen.
Die jungen Studenten aus Bordeaux sassen auf den Bänken
und schliefen, niemand hätte den Kleinkindern oder alten
Leuten einen Sitz angeboten!
Aber ich wollte durchhalten und stramm stehen bis zum
nächsten Tag.
Mich störte dabei die Menschenmasse am meisten, ich war
nicht gewohnt, mit so vielen Leuten auf derart engem Raum
zu sein. Irgendwann am Vormittag schnaufte die Bahn in
Lyon ein. Wir hatten die Hälfte der Strecke bis Bern
geschafft. Vater beschloss, angesichts der Tatsache, dass wir
die ganze lange Nacht stehen mussten, wohl besser in ein
Hotel gingen um dort bis zum nächsten Tag auszuruhen.
71. Kapitel
LYON
Mutter und die beiden Kleinkinder schliefen am Nachmittag
im Hotelzimmer. Vater, Hans und ich machten uns auf einen
Stadtbummel auf. Ob wir zuvor noch schliefen oder nicht,
daran erinnere ich mich nicht mehr, generell sind mir nur
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sehr wenige Eindrücke geblieben, obwohl es sich um die
allererste Grosstadt handelte, die ich zu sehen bekam.
Häuser, Strassen, Menschen, was soll man da behalten
können? Bereits vom Hotelzimmer aus, konnten wir die
„Rhone“ sehen, der Fluss, der seinen Ursprung in der
Schweiz hat. Wir gingen entlang des Flusses, die Ufer waren
mit Büschen und Bäumen gesäumt. In einem Restaurant
genehmigten wir uns ein Bier, mehr blieb nicht
in meinem Gedächtnis haften. Hans und Vater redeten wie
erwachsene Männer miteinnander, während ich, das Kind,
lediglich zuhören konnte. Hans war nun bereits 19, etwa
gleich gross gewachsen wie Vater.
Lyon wurde für mich so etwas wie eine Kultstätte, in der
ersten Septemberwoche 1938, verbrachten wir ebenfalls
eine Nacht in dieser Stadt. Jetzt, die erste Woche im
September 1948, bereits zum zweiten Mal, und ich blieb
dieser Tradition treu bis ins Jahr 1978! Nämlich im März
1958, als ich unterwegs nach Nordafrika war, sowie 1968, als
ich mein Spanienjahr verbrachte. Dann 1978, anlässlich
einer Kreuzfahrt auf die Kanaren, als wir mit dem
Talgoexpress wieder Lyon passierten.
Aber damals, 1938, waren die Umstände noch dramatischer,
Wir, meine Eltern und ich, kamen direkt aus einem
französischen Gefängnis nahe der Grenze zur Schweiz.
Vater wurde mit einem intensiv gesuchten Spion aus Italien
verwechselt, die Franzosen waren sicher, den Kerl endlich
geschnappt zu haben!
Sie sperrten gleich die ganze Familie in eine Zelle. Nach drei
Tagen erhielten sie die Meldung aus Bern, der Mann, den sie
verhaftet haben, sei ein harmloser Auswanderer aus der
Gemeinde Köniz bei Bern, nicht der gesuchte Spion!
So verbrachte ich damals von meinen 12 Tagen auf der
Welt, deren zwei oder drei im Gefängnis bei Anemasse.
Später, wenn ich beteuerte, nicht vorbetraft zu sein, hielt
mir Vater dies entgegen, immerhin blieb es dann dabei!
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Lyon ist keine schöne Stadt, wurde aber wegen den
damaligen Vorkommnissen zu einer besonderen
Nostalgiestätte für mich.
72. Kapitel
Das erste Problem
Es handelt sich hier um eine Autobiographie, welche nur
Informationen aufzählt, an die ich mich genau erinnern
kann. Deshalb kann ich nicht beschreiben, wie ich die Fahrt
von Lyon bis Genf erlebte, weil absolut nichts haften blieb.
Dabei machte ich mir schon seit langer Zeit Gedanken
darüber, wie wohl eine Grenze aussehen möge?
War das eine hohe Mauer, über die man klettern musste?
Oder ein tiefer Graben, eine Wand aus Brettern, durch
welche man hindurch kriechen konnte?
Mit Spannung erwartete ich die Grenze, aber seltsamerweise
muss sich das problemlos abgespielt haben. Ich kann
nachsinnen wie ich will, es kommen keine Informationen!
Hingegen hat sich ein Vorkommnis am Bahnhof von Genf
tief in meine Erinnerungen eingegraben.
Der Unterschied zu Frankreich war kaum bemerkbar, auch
hier war alles auf Französisch angeschrieben.
Wir begaben uns ins Bahnhofbufett und setzten uns an einen
grossen Tisch draussen auf der Terasse. Vater und Hans
bestellten ein grosses Bier. Auch ich fordere ein grosses Bier,
da schaut mich die Servierfrau entsetzt an und sagt: „Aber
der ist ja noch ein Kind, der kriegt kein Bier!“ Ich will aber
ein Bier und beginne laut zu werden. Die Frau läuft weg und
bringt nur dem Vater und Hans je ein grosses Glas Bier.
Ich erhalte nichts und werde richtig zornig, ich glaube, ich
benutzte ein Wort, das wie Diskriminierung lautete.
Als Vater sah, dass ich nicht klein beigeben werde und kurz
vor einem Amoklauf war, bestellte er ein zweites Bier für
sich, als er es erhielt, gab er das Glas mir weiter. Die
Servierfrau protestierte laut, während ich durstig das Glas
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leerte. Vater erklärte ihr, dass wir aus Südwestfrankreich
kommen und ich dort seit vielen Jahren Wein und Bier
trinken durfte. Die Frau sagte etwas, das mich inskünftig
noch oft tangieren sollte: „Wir sind hier in der Schweiz,
nicht in Frankreich!“
Damit machte ich meine erste Erfahrung mit dem
„Paradies“ Schweiz, meine Erwartungen platzten wie
Seifenblasen an der Sonne.
Ende erstes Buch
***************************************************
Buch 2: 01.09.48 bis
31.08.58
Buch 3: 01.09.58 bis
31.12.68
Buch 4: 01.01.69 bis
31.12.98
Anhang:
130
131
Am Anfang war der
Affe........
Meine Herkunft kann als echt bescheidene Schweizer Art
umschrieben werden.
Im Jahr 1525 wurden im Kanton Bern auch die Landleute
namentlich registriert, und seit diesem Jahr ist auch unser
Stammbaum eingetragen. Es ist aber bekannt, dass diese
Leute zuvor schon seit vielen hundert Jahren den Raum
Thun-Oberland bewohnten. Es waren keine Leibeigenen,
sondern eher bescheidene freie Bürger, aber auch keine
Adligen, obwohl in der Familienchronik einige Fachvoegte
hervorgehen.
Soviel aus der Geschichte bekannt ist, wanderten Teile
dieser Bevölkerung vor rund 2000 Jahren aus dem Norden
Europas ein, sie mischten sich dann mit den Helvetier oder
Kelten. So war etwa mein Grossvater allemannischer
Abstammnung und die Grossmutter keltischer Herkunft.
Die Kelten sollen grüne und blaue Agen haben, so hatte zum
Beispiel Onkel Otto blaue Augen!
Der helvetische Teil unserer Herkunft war zugleich der
sanfte, weiche Menschenschlag, das galt zu allen Lebewesen,
so soll etwa der Grossonkel gegen hundert Katzen gehabt
haben, weil er nie eine töten konnte. Dieser Stamm hatte nie
Geld, weil alles verschenkt wurde, sie lebten die humane
Seite des Lebens wie es eigentlich die Bibel vorsieht. Die
meisten waren schon Hippies, bevor es diese gab, und fast
alle starben arm. Anders der Stamm meines Vaters, auch
die kannten nur anständige Lebensformen, Geld raffen galt
als Frechheit und höchst unanständig! Nur lebenslang
arbeiten und Steuern zahlen, dann war man ein Guter
Bürger! Und so starb Vater eben ohne einen Rappen
Schulden oder Vermögen!
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Meine Mutter war walsischer Herkunft, vor 400 Jahren
mussten die protestantischen Walser aus dem Wallis nach
Appenzell flüchten, Walser waren schon immer ein eigenes
Volk, aber auch sehr bodenständig und bescheiden.
Zudem war Mutter noch Vollwaise, weil die Eltern
frühzeitig starben. Sie war eigentlich die harte Seite in der
Familie, Vater tendierte eher in Richtung der Grossmutter.
Die Nachkommen konnten somit aus drei Varianten wählen,
das heisst erben. Nur so lässt sich erklären, weshalb
zwischen Bruder Ernst und mir ein derart grosser
Unterschied bestand. Wir hatten praktisch rein nichts
gemeinsam! Dafür verstand ich mich mit dem Halbruder
Hans viel besser!
§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§
Rolf Bahl, Blick zurück.
Autobiographie:
Zweiter Teil: 10. bis
20.Altersjahr
1.09.1948 bis 31.08.1958
Kapitelübersicht:
1. In der neuen Heimat
2. Reise in die Ostschweiz
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3.Die Magie des Waldes
4.Winterhölle
5.Das Diktat
6.Onkel Hans
7.Der Unfall
8.Der Beinbruch
9.Intermezzo am Brunnentrog
10.Annelis Tod
11.Der Pfeilschuss
12.Ich erlerne das Alphabet
13.Die grossen Schuhe
14.Bubenstreiche
15.Füsilier Hans B.
16.Von Karl May zu Rolf Torring
17.Mönch und Einsiedler
18.Kanonier Piggerling
19.Ein Genie
20.Die Wahrsagerin
21.Der Unhold
22.Der Aufseher
23.Die Pistole
24.Lehrer Schmied
25.Der Korea Krieg
26.Deubelbeiss und Schürmann
27.Esther Williams
28.Mutters Vorschlag
29.Abschied
30.Das Leben ist anders
31.Endlich in der 9. Klasse
32.Der schockierende Brief
133
134
33.Die Rache des „Jöggu“
34.Schrecksekunde
35.Angriff im Munistall
36.Der Amerika Traum
37.Streit mit dem Melch
38.Beim Berufsberater
39.Ich will Missionar werden
40.Gefahr am Abend
41.Roter Pfeil
42.Drohung
43.Die Konfirmation
44.Wieder im Schlatt
45.Die Lehre
46.Eine Bieridee
47.Besuch bei Mutter
48.Die Landesbibliothek
49.Dien Bien Phu
50.Auf dem Bau
51.O Cangaceiro
52.Fünf Sekunden im Jenseits
53.Die Halbstarken
54.Bei der Post
55.Lehrstelle in Weinfelden
56.Der Reinfall
57.Unter dem Nullpunkt
58.Elvis
59.Der Tyrann
60.Die Familie ist komplett
61.Der Postlehrgang
62.Das Ferngymnasium
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63.Ich werde Kommunist
64.Neuorientierung
65.Tränengaseinsatz
66.Seen
67.Eilbote in Zürich
68.Eva
69.Fabrikarbeiter
70.Diensttauglich
71.Und wieder bei der Post
72.Lehrer als Sadist
73.Die Rekrutenschule
74.Der Waffenerwerbschein
75.Auf nach Afrika
76.An die Weltausstellung
77.Abschied von Klara
78.Erste Hürde Geschafft
Kapitel 1
In der neuen Heimat
Bei Sonnenuntergang erreichten wir unser Reiseziel, wir
verliessen den SBB-Wagen dritter Klasse in Gasel. Der
Stationsvorsteher, ein gewisser Herr Anken, begrüsste uns
wie seltene Gäste. Neben ihm stand Onkel Otto, den ich
natürlich sofort wieder erkannte. Bis zur Siedlung Schlatt,
galt es noch rund 2 Kilometer zu Fuss zurück zu legen.
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Otto hatte ein vierräderiges „Leiterwägelchen“ mitgebracht.
Von der Bahnfahrt Genf-Bern-Gasel, blieben mir keinerlei
Erinnerungen, ich war vermutlich zu sehr mit meiner
Zukunft beschäftigt, ich kam mir vor wie ein Haustier, das
man in der Fremde ausgesetzt hat. Fern der gewohnten
Umgebung und hoffend, bald wieder zurück zu sein.
Der Weiler Schlatt, liegt hinten in einem Talkessel, dieser ist
rundum von Hügeln umgeben. Im unteren Teil des kleinen
Dorfes standen nur 4 Häuser. Das erste ein Bauernhaus der
Familie Hofer, dann eine Gärtnerei der Suters, das
Zweifamilienhaus von Otto, und schliesslich ein Holzhaus
der Grossfamilie Schuhmacher. Im oberen Teil standen etwa
sieben Häuser, die Milchsammelstelle der Geschwister
Schenkel, die Schreinerei der Familie Thommet, ein
Bauernhaus und daneben ein Kolonialwarenladen, danach
Malermeister Otto Locher, dann das Bauernhaus von Herrn
Spycher, das von der Familie Schmutz gepachtet war, unten
noch ein grosses Bauernhaus der Familie Zahnd. Letzteres
war einmal Eigentum meiner Vorfahren, Vater wurde im
Jahr 1899 dort geboren.
Im Schlatt gab es nur wenige schulpflichtige Kinder, die
meisten davon Mädchen, 2 Hofer, 2 Suter, 1 Schuhmacher, 2
Thommet. Der Suter Kurt war etwa fünf oder mehr Jahre
älter als ich, auch der Thommer Edy, nur der Ruedy von
den Schmutzes, war mit einem Jahr mehr, in meinem Alter.
Alle diese Informationen hatte ich in wenigen Wochen
gesammelt, noch galt ich als fremder, exotischer Vogel im
Dorf. Besonders auf meine Baskenmütze hatten es die Buben
abgesehen, deshalb zog ich es vor, diese lieber nicht mehr zu
tragen und mich den neuen Sitten anzupassen.
Selbstverständlich wussten alle im Dörfchen, wer ich bin
und woher wir kamen. Ich denke, die Leute waren besser
über uns informiert, als wir selber!
Noch waren die langen Schulferien bis Ende September
nicht vorüber, dann begann für mich der endgültig neue
Lebensabschnitt in einem anderen Land.
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Kapitel 2
Reise in die Ostschweiz
Wir lebten zusammengepfercht in der kleinen
Zweizimmerwohnung im ersten Stock des alten Riegelhauses
von Onkel Otto (Otto). Vater, Mutter, ich und die beiden
Kleinkinder, Hans arbeitete in Winterthur bei der Firma
Rieter, er erhielt dort eine Anstellung als Hilfsdreher.
Zimmer und Verpflegung erhielt er bei der Tante Alice.
Wegen der restriktiven Devisenvorschriften, welche damals
in Frankreich galten, durften wir gerade einmal 500.Schweizer Franken in die Schweiz ausführen. Der Rest der
Ersparnisse blieb in Frankreich blockiert und verlor täglich
an wert. Und mit den goldenen Arbeitsangeboten für Vater,
wars auch nur ein Traum, er war schon fast 50 und für eine
gute Anstellung bereits zu alt. Otto war Disponent und
Betriebsleiter bei den „Vereinigte Mineralwasserwerke“ in
Bern, aber ich verstand nie richtig, weshalb er für Vater
keine Stelle anbieten konnte? Er hatte ihn doch mit
Lockrufen in die Schweiz zurück geholt, jetzt, da er zurück
war, liess er ihn fallen.
Schliesslich konnte Vater eine Anstellung als
Kohlenausträger bei der Firma „Schneider-Rindlisbacher“
in Weissenbühl bei Bern, antreten. Eine schwere, schmutzige
Arbeit mit schlechter Entlöhnung, bei welcher auch viel
getrunken wurde. Der Weg zum Alkoholiker war damit
bereits vorprogrammiert!
Schon nach wenigen Wochen standen wir vor einem
Scherbenhaufen, eine fünfköpfige Familie ohne Geld und
Vermögen und ein Familienoberhaupt, das fast täglich
betrunken nach Hause kam. Mit zwei Kleinkindern konnte
Mutter auch keiner Arbeit nachgehen, zudem war weit und
breit auch keine Arbeit in sicht.
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Kurz nach unserer Ankunft im Schlatt, ging Mutter mit uns
auf Reisen, sie wollte ihre lieben Geschwister in der
Ostschweiz besuchen. Mit der SBB fuhren wir bis
Winterthur. Ab dem Hauptbahnhof Winterthur fuhren wir
mit einer Strassenbahn bis nach Töss, dort lebte Tante Alice
mit ihrem Mann Dölf, sowie der Hans, an der Klosterstrasse
10.
Es war bereits sehr dunkel, beidseits der Strasse waren
Fabriken von Sulzer, Lokomotivfabrik und Rieter, alles
grosse Namen. Imponierend war deren 24-Stundenbetrieb in
drei Schichten zu je 8 Stunden. Von der Strasse aus konnte
man die hell erleuchteten Fabrikräume sehen und die
Arbeiter an den Anlagen herumhantieren. Auch Hans
musste im Schichtbetrieb arbeiten und schien glücklich über
sein Salär zu sein.
In Winterthur herrschte damals eine industrielle
Aufbruchstimmung, wie kaum jemals zuvor und erst nicht
mehr in den späteren Jahren.
Danach ging die Fahrt weiter nach St. Gallen Winkel, zur
Tante Emma, diese lebte mit ihren sechs Kindern (Arthur,
Heidi, Elisabeth, Therese, Vreni und Erika) und Mann
„Gusti“ in einem alten Haus, das eher an eine Scheune
erinnerte. Die Wohnverhältnisse waren sehr prekär, die
hälfte der Kinder hatte eine triefende Nase, und Tante
Emma klagte bitterlich über das kleine Einkommen, das ihr
„Gusti“ mit dem Verkauf des „Das Gelbe Heft“
erwirtschaftete.
Gegen Mittag tauchte der „Gusti“ auf, er war äusserst
schleimig-scharmant, so, als wollte er uns ein Abonnement
aufschwatzen. Ich glaube mich zu erinnern, dass er meiner
Mutter ein Abo aufschwatzte?
Am grossen Familientisch musste er dann noch ein paar KO
Tiefschläge seiner Gemahlin einstecken. Der arme Gusti
erinnerte mich eher an einen Zirkusclown, und für Vater
war er nur ein arbeitsscheues Element.
Mir war schon damals klar, dass das Familienleben hier nur
noch einem Grabenkrieg entsprach.
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Und schon bald sollte auch bei uns eine ähnliche Situation
entstehen.
Kapitel 3
Die Magie des Waldes
Noch hatte ich wenig Kontakt mit gleichaltrigen Knaben, es
gab nur wenige in der weiteren Umgebung. Einer war der
Paul Hofer aus einem abgelegenen Weiler weit hinten in
einem Tal, welcher halbwegs zwischen Schlatt und
Oberscherli, als Käsereibube oder Verdingbub, diente. Er
hütete in der Nähe die Kühe und ab und zu gesellte ich mich
zu ihm, Er mochte um die 12 Jahre zählen, kannte nur ein
Thema, Sex und Frauen, immer, wenn ich bei ihm war,
erzählte er von sadistischen Handlungen an Frauen. Das
hörte sich oft derart brutal an, dass ich es vorzog, ihm lieber
aus dem Weg zu gehen. Ich fand eine neue, faszinierende
Beschäftigung, die Wälder.
Alleine schlenderte ich stundenlang durch die nahen
Wälder, folgte den zahlreichen Vogelstimmen, manchmal
begegnete ich auch einem Reh oder Hasen. Otto nahm mich
an Samstagen auch in seinen Wald mit, dort half ich Bäume
fällen, Stämme durchsägen und Pilze sammeln, weil auch
noch ein wilder Bach durch den Wald floss, fand ich dieses
Waldstück besonders romantisch!
Am liebsten verbrachte ich die Zeit jedoch alleine in den
Wäldern, ich fühlte mich dort wie zu Hause und konnte so
einen Teil meiner alten Heimat, das stille Tal, wieder finden.
Es kam der Schulbeginn in Oberscherli, die Lehrerschaft
wusste nicht so richtig, soll man den Knirps in die 3. oder 4.
Klasse stecken?
Vom Jahrgang her, wäre die 4. Klasse zutreffend gewesen,
weil ich aber kaum Deutsch konnte, musste ich dann in der
3. Primarklasse sitzen.
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Und ich wurde wiederum ganz hinten auf eine Bank
beordert, von dort sollte ich vorerst einmal dem Unterricht
zuhören.
Ich war nun der „Franzose“, obwohl bereits mein Vater am
gleichen Ort die Schule besuchte. Mit meinem starken
französischen Akzent, blieb ich vorläufig ein Exot.
Anfänglich hatte jemand die Idee, die Lehrerin sollte mich
weiterhin auf Französisch unterrichten!
Das führte dann zu einem unnötigen Zweikampf, indem die
Lehrerin behauptete, mein Französisch wäre falsch und ich
bei ihr die gleiche Behauptung aufstellte. In der Tat, sprach
sie nur Schulfranzösisch, ich aber das Französisch des
Südwestens.
Auch in anderen Fächern sträubte ich mich mitzumachen,
so wollte sie uns zu Balett-Tänzen motivieren, ich war derart
verkrampft, dass sie es bald aufgab, zudem beharrte ich
darauf, nicht singen zu können, weil wir in Frankreich
dieses Fach nicht kannten.
Seltsamerweise blieb während der gesamten Schulzeit die
Gesangsnote in meinem Zeugnis einfach weg. Ich führte
einen Kampf gegen viele Drachenköpfe, selbst in der
Schulkantine konnte ich mich nicht überwinden, diesen
scheusslichen Milchreis zu essen. Im Übrigen aber, war die
Schule stressfrei und bequem, keine Hausaufgaben, keine
aktive Beteiligung, ich musste nur ruhig zuhören!
Kapitel 4
Winterhölle
Ich besass damals kaum mehr als die Kleider, welche ich auf
mir trug. Keine Leibwäsche, kurze Hosen, abgelaufene
Halbschuhe, auch keine Winterkleider wie Wolljacken und
dergleichen. Geld war schlichtweg nicht vorhanden, Vater
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versoff einen Teil seines kleinen Gehaltes. Einmal die Woche
gabs Fleisch, meistens „Kümmelwürste“ oder „Servelats“,
manchmal auch eine Fleischsuppe, oder ein altes Huhn im
Topf. Vater betonte oft, dass erst er als Schwerarbeiter
Fleisch benötige, und wir als nutzlose Fresser mit etwas
weniger zufrieden sein sollten. Er führte wieder die
Porzellanschlachten ein, doch hielten sie nicht lange an, weil
schon bald kein Geschirr mehr vorhanden war. Vater erhob
sich zum absoluten Despoten, wir mussten ihn „formal“ mit
„Ihr“ ansprechen, eine bernische Version von „Sie“, das
Wort „Du“ war verboten!
Wenn er an Sonntagen guter Laune war, ging die ganze
Familie spazieren, dabei durften wir Kinder nicht
vorauseilen, sondern mussten brav und züchtig hinter den
Eltern her gehen! Als einmal die beiden Kleinen lustig
voraneilten, gabs eine grobe Schelte und Prügel.
Vom Auslandschweizerwerk in Bern, erhielten wir
getragene Kleider und Schuhe, ich erinnere mich, dass
meine Sachen fast immer viel zu gross waren. Auch Onkel
Rudolf, der andere Onkel, brachte uns manchmal nützliche
Gegenstände, oder gab mir ein Trinkgeld, er sagte mir, er
wolle mein Ersatzpate sein, weil ich keinen hatte. Rudolf
war Quellenaufseher der Stadt Bern, er lebte mit seiner
Familie in Gartenstadt bei Liebefeld. Tochter Marlene war
Jahrgang 37 und die jüngere Anneli, mit einem grossen
Wasserkopf, etwa Jahrgang 40, sie starb daran recht jung.
Trotz allen Kleiderspenden fror ich bei Wintereinbruch
fürcherlich, es fehlten die warmen Kleidungsstücke.
Zudem hatte ich kein eigenes Bett, musste auf dem kalten
und harten Holzboden schlafen, das Schlafzimmer hatte
keine Heizung! Es war der reinste Horror, ich fühlte mich
wie in einem sibirischen Straflager. Dann am frühen
Morgen mit halbschuhen, kurzen Hosen, ohne Mantel,
durch den hohen Schnee stampfend in die Schule nach
Oberscherli!
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Einzig im Schulzimmer wurde gut geheizt und es herrschte
eine angenehme Wärme. Am liebsten wäre ich die ganze Zeit
einfach dort geblieben, aber das ging natürlich nicht.
Logischerweise entwickelte ich einen ewigen Hass auf die
kalte Jahreszeit, den ich nie mehr ändern konnte.
Damals pflegte man beim Schlitteln kopfvoran zu fahren,
ich fuhr einen steilen Waldweg hinunter, als plötzlich zwei
erwachsene Leute auf der Piste standen, ich wollte
ausweichen, doch ich beherrschte die Lenktechnik noch
nicht richtig und landete in einem Baumstrunk.
Resultat, die linke Hand war während Monaten verstaucht
oder gar ein Knochen gespalten. Natürlich meldete ich den
Unfall nicht, das hätte nur Aerger eingetragen, ich hielt die
Schmerzen oft kaum noch aus, erst nach einem halben Jahr
konnte ich die linke Hand wieder gebrauchen.
Kapitel 5
Das Diktat
Irgendwie überlebte ich den Winter im Schlatt, es war die
Hölle, kein Bett zum schlafen, keine warme Winterkleidung,
kein Geld und eine fremde Umgebung. Mir war bewusst,
dass ich von meiner Herkunft her zu schliessen, zu diesem
Volk gehörte, fühlte mich aber keineswegs mit diesen Leuten
identisch. Die berndeutsche Sprache lernte ich sehr schnell
und fast perfekt, wer gut hinhörte, konnte aber meinen
französischen Akzent feststellen.
Im Frühjahr 1949, ging es dann in die vierte Primarklasse
zu Lehrer Hans Tanner.
Dieser war ein junger, dynamischer Mann, Oberleutnannt
in der Milizarmee. In der Knabenschule mussten wir das
Marschieren im Gleichschritt üben, wer versagte, konnte
mit einer Ohrfeige rechnen. Am Anfang rannte er einmal
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auf mich zu, weil ich nicht im Takt war, er hatte seine Hand
schon erhoben, ich sah bereits ein Problem auf mich
zukommen, weil ich mich unschuldig fühlte und das nicht
akzeptieren würde. Aber seltsamerweise, hielt er im letzten
Augenblick inne, und verschonte mich!
Ob er wohl intuitiv fühlte, dass er sich möglicherweise das
Leben damit verkürzen könnte? Ich war damals fest
entschlossen, eine solche Tat auf meine Art zu rächen!
Fortan hatten wir fast sowas wie eine spirituelle
Vereinbarung, er schlug mich in all den drei Jahren nie,
und ich war mir fast sicher, dass er mich nicht anfassen
wird.
Woher ich dieses Wissen hatte, das wunderte mich ein
Leben lang.
Man darf dabei nicht vergessen, dass er die Verdingbuben,
wie den Hofer Paul und den Krähenbühl, fast jede Woche
vor versammelter Klasse mit der dicken Haselrute
verprügelte, solange, bis dieser Stab in Stücke zerbrach.
Lehrer Tanner liess mich weiterhin gewähren, ich musste
nur zuhören und ruhig sein.
Doch eines Tages war es aus mit dieser Gemütlichkeit, ein
Diktat von etwa vier Sätzen war angesagt.
Tanner sagte zu mir: „So Ruedi, jetzt musst Du auch
mitmachen, nimm ein Blatt Papier und schreibe das Diktat
auch mit!“
Ich tat wie befohlen, gab mein Blatt zur Korrektur ab, dann
erhielt ich es zurück, und jeder Schüler musste laut die
Anzahl der gemachten Fehler melden!
Die besten Schüler hatten keine Fehler, die schlechteren
meldeten zwischen 2 bis 6 Fehler. Dann war ich an der
Reihe, ich sagte laut: „86 Fehler“.
Im Klassenzimmer ein riesen Gelächter, ich errötete und
lachte selber aus Verlegenheit mit.
Da tat Lehrer Tanner etwas, was ich nie vergessen konnte,
er sagte zu den Klassen:“Ihr sollt gar nicht so dumm lachen,
der Ruedi kommt aus einer anderen Sprachregion, und
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wenn ihr an seiner Stelle stehen würdet, dann wären eure
Ergebnisse vielleicht noch schlechter“.
Mir war diese Intervention sehr gelegen, ich sah fortan den
Lehrer auf meiner Seite und wollte ihn auch nicht
entäuschen. Ich hatte nämlich keine Helfer, weder zu Hause
noch sonstwo.
Dieses Diktat war zugleich der Anfang meiner schulischen
Ausbildung in der Schweiz. Die 86 Fehler waren nur
möglich gewesen, weil ich in jedem einzelnen Wort mehrere
Fehler zu verzeichnen hatte. Die deutsche Sprache habe ich
nie erlernt, ich schaffte es mit viel lesen, und in der 5. und 6.
Klasse, erhielt ich bereits mehrere Preise von Lehrer
Tanner, man würde es kaum glauben: „für fehlerfreies lesen
aus dem Schulbuch“.
Das Fach rechnen mochte ich nicht, war aber recht stark
dabei.
Kapitel 6
Onkel Hans
Im Haus war noch ein Dachzimmer, dieses wurde von Onkel
Hans bewohnt. Er war wenig älter als Vater, seit einer
Kinderlähmung in der Kindheit schwer behindert. Er lebte
von den Almosen seines Bruders, Onkel Otto, verdiente
etwas Geld mit dem Mäusefang. Wie ich im Lauf der Jahre
erfahren konnte, hatte Vater sechs Geschwister zu
verzeichnen. Einmal zwei Brüder, welche sehr jung starben,
einer soll Karl, der andere Fritz gewesen sein, dann der
Hans, Vater, Rudolf, Marie, und als jüngster Onkel Otto.
Nur der Otto durfte seine Jugendzeit zu Hause verbringen,
alle andern wurden irgendwie verdingt.
Der Hans war kein Aufsteller für uns, er sass den ganzen
Tag auf der Bank vor dem Haus und reklamierte andauernd
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über den Kinderlärm. Obwohl erst wenig über 50, empfand
ich ihn wie einen uralten Greis. Machte ich einmal Spass,
sagte er aufgeregt:“ Hau ab du frecher Saubub!“
Im Erdgeschoss war Otto mit Frau Marie, und im
„Telephonstübli“ so genannt, weil dort ein Telephon war,
schlief der Zbinden Walter, ein Pflegekind aus der
Verwandschaft von Marie. Der Walter war damals etwa 19
und Hilfsarbeiter in der Firma von Otto.
Obwohl das Ehepaar nie eigene Kinder hatte, wollte Otto
den Knaben nicht adoptieren und gewährte ihm
anscheinend auch keine berufliche Ausbildung? Ein
Verhalten, das ich nie verstehen konnte.
Den Walter mochte ich gut, er war fast immer bestens
aufgelegt, fröhlich und mit Humor ausgestattet.
Ich beneidete ihn um seine positive Lebenseinstellung.
Als dann der mürrische Hans plötzlich verstarb, war das
eher eine Erlösung für alle.
Obwohl mittellos, hinterliess Hans doch etwas für mich,
einmal rund 100 Mausefallen, dann eine ganze Garnitur
von Nacktfotos mit Frauen. Hans gehörte zu jenen
Zeitgenossen, welche nie eine Frau ehelichen konnten, ich
nehme daher an, dass er sich in Bordellen herumtrieb, wo er
vermutlich auch die Aufnahmen her hatte?
Aber meine Freude an den Fotos, die ich nur heimlich
bestaunen konnte, dauerte nur kurz, sie waren plötzlich
spurlos verschwunden!
Ich vermutete Mutter als „Täterin“ getraute mich natürlich
nicht danach zu fragen.
Ich musste mich mit den Mausefallen begnügen, in den drei
folgenden Jahren verdiente ich ganz gut Geld mit dem
Mäusefang und den Spatzen. Der Beauftragte der Gemeinde
warf sie bei ihm auf den Misthaufen, gab mir das Geld und
ich war zufrieden.
Ab dem 11. Altersjahr wurde ich praktisch zum
Selbstversorger, aus der Familienkasse kam nur noch die
Verpflegung, wobei ich oft anderweitig zu essen pflegte. Zu
Hause war meistens Streit am Tisch, wenn eines der
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Kleinkinder laut war, war der Teufel los, es herrschte die
absolute Nulltoleranz. Mir war das wirklich zu dumm, ich
ass später oder früher, sagte dann, ich hätte bereits bei den
Nachbarn verpflegt.
Bei der Gärtnerei Suter, konnte ich die Kränze austragen,
im Garten arbeiten, Erde sterilisieren, Setzlinge
verpflanzen,
Blumen pflücken und binden, ich kannte fast alle
lateinischen Namen, war stolz, mehr zu wissen, als etwa der
Lehrling im dritten Lehrjahr. Ich wurde für damalige
Verhältnisse meistens gut entlöhnt, nur einmal, bei einem
Bauern namens Kohli, erhielt ich für zwei Wochen schuften
während den Heuferien nur 5.- Franken.
Ich hielt mir auch Kaninchen hinter dem Haus, wenn sie
fett genug schienen, brachte ich sie dem Michel, ein Händler
zwischen Schlatt und Niederscherli. Damit sie etwas mehr
wogen, gab ich ihnen zuvor noch eine gute Henkersmahlzeit.
Ich hatte stets den Eindruck, dass der Michel meine Taktik
durchschaut hatte?
Doch er zahlte immer nach Gewicht, ich, hingegen, ass nie
im Leben Kaninchenfleisch!
Auch die Vermehrung hatte eine echt romantische Seite,
den Kaninchen gab ich die Namen meiner
Klassenkameraden/innen. So erinnere ich mich, dass ich an
einem schönen Morgen das Dorly und den Fritz
zusammenbrachte, der Fritz sollte das Dorly besteigen und
tat dies auch gründlich. Und an einem schönen Morgen
hatte das Dorly Junge geworfen, und ich rief laut in die
Natur hinaus:“Juhu, das Dorly hat Junge geboren“!
Natürlich behielt ich solche Intimitäten immer für mich!
Im Klassenzimmer sah ich dann nach dem Dorly, die
natürlich keine Ahnung davon hatte, für mich aber, war das
alles Realität.
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Kapitel 7
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Der Unfall
In der Schule schlug ich mich verhältnismässig gut durch,
Lehrer Tanner konnte sehen, dass ich mich anstrenge und
auch gut vorankam, die Hausaufgaben erledigte ich immer
ohne jede fremde Hilfe und ohne Beaufsichtigung. Einzig
das Zeugnis mussten die Eltern zweimal jährlich
unterschreiben. Die Noten schauten sie kaum an, und so
erhielt ich auch nie negative Bemerkungen. Für Fleiss,
Ordnung und Benehmen erhielt ich praktisch nur die beste
Note. Ich hatte zu Hause keinen Rückhalt, somit musste ich
mich in der Schule umso mehr anstrengen. Und ich ging
sehr gerne in die Schule, trotz dem grossen Rückstand im
Schulstoff, den Hänseleien wegen dem „Franzosen“, oder
gar den kritischen Zuständen zu Hause!
Ich nutzte jede freie Minute, um Geld zu machen, sammelte
Weizen- und Kornreste auf den Getreidefeldern, das gab
eine ganze Menge Mehl. In den Wäldern holte ich
Holzabfälle, Tannenzapfen, und andere Brennmaterialien.
Ich kann mich nicht erinnern, dass wir jemals Brennholz
eingekauft hätten. Viel Geld konnte ich mit einsammeln von
Mesinghülsen erzielen, das Militär liess etwa bis 1951, die
Hülsen einfach im Gelände liegen, später mussten die
Soldaten diese selber zurücknehmen und wir Knaben hatten
eine Einahmequelle weniger. Zwischen Gasel und Köniz war
die Station „Moos“, hinten ein grosses Tal, das mit dem
Abfall der Stadt Bern aufgefüllt werden sollte. Ich streifte
stundenlang durch den Abfall um nach Dingen zu suchen,
die ich noch irgendwie verwerten konnte. Metall verkaufte
ich dem „Lumpensammler“ wie man diese Leute damals
nannte. Einmal fand ich eine komplete Fahrradpumpe, ich
überstrich diese mit schwarzer Farbe und verkaufte sie für
Fr. 2.- einem Velohändler in Schliern. Dabei freute mich am
meisten, dass ich sie einem „Profi“ absetzen konnte. Es sei
an dieser Stelle zu bemerken, dass man im Jahr 1950, mit 2.Franken noch recht viel kaufen konnte.
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Wir schrieben noch immer das Jahr 1949, ich weilte wieder
einmal während vielen Stunden im tiefen Wald. Als ich nach
Hause kam, teilte mir Mutter mit, dass Vater schwer
verunfallt ist, er liege in der Notfallstation im Inselspital von
Bern! Was war geschehen? Vater, und ein anderer Arbeiter
mit dem Namen „Sterchy“, standen in voller grösse auf dem
Heck des Lastwagens, Gesichter nach hinten, darum
konnten sie nicht erkennen, dass bei „Fischermätteli“ vor
Bern, eine niedrige Überführung kam. Der Laster raste
unten durch und die beiden Männer wurden auf die
Ladebrücke hinunter geschleudert. Erst hiess es vom Spital,
Vater werde kaum überleben, er habe verschiedene
Nackenwirbel gebrochen und habe eine fürchterliche
Hirnerschütterung!
Das hatte gerade noch gefehlt, aber ich meine, ich war gar
nicht mehr in der Lage, noch tiefer zu fallen, wir waren
schon lange am Ende. Wer nichts hat, kann bekanntlich
auch nichts verlieren, ich hatte noch meinen Körper und
damit musste es einmal wieder aufwärts gehen.
Aber Vater überlebte, musste jedoch etwa einen Monat im
Spital bleiben. Wir besuchten ihn, dabei erinnere ich mich
an den ersten Besuch im Inselspital.
Im ganzen Haus diese weissen Gestalten mit ernsten
Gesichtern, ein fürcherlicher Gestank von Chloroform, der
mich beinahe betäubte. Dann endlich, ein Massenlager mit
50 der auch 80 Patienten, alle Betten besetzt!
Etwa in der Mitte finden wir Vater, ernst wie immer,
begrüsst er uns, Hals und Kopf in einem grossen
Gipsverband gehüllt. Er kann sich nicht bewegen, die
Halswirbel müssen erst wieder zusammenwachsen.
Er schildert uns das Leben im grossen Raum, ganz am Ende
soll der „Trampatient“ liegen, ein Mann, der unter das
Tram geriet und fast alle Knochen gebrochen hat, er soll oft
die halbe Nacht lang wie ein angeschossenes Tier schreien.
Auch andere Insassen liessen ihre Schmerzen gerne den
andern mitteilen. Hier gebe es zwei Möglichkeiten
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rauszukommen, gesund entlassen oder im weissen Sack zum
Friedhof!
Alle meine Vorurteile gegen Ärzte, Spitäler und dergleichen,
wurden mir hier real bestätigt, ja, ich möchte fast behaupten
noch zusätzlich bestärkt.
Wir verfügten über keinerlei Krankenversicherung, weil
Vater auch kein Geld hatte, habe ich nie herausgekriegt, wer
schliesslich diesen langen Spitalaufenthalt bezahlt hat?
Vater kam nach einem Monat wieder nach Hause, er
arbeitete reduziert, bis die Halswirbel wieder in Ordnung
waren. Und er stand nie wieder auf einem fahrenden Laster!
Kapitel 8
Der Beinbruch
Lehrer Tanner wollte uns Knaben militärische Härte, Mut
und Ausdauer beibringen. Jede Woche, anlässlich der
„Knabenschule“, die Mädchen hatten Haushaltunterricht,
rannten wir in einer zweier Kolonne zur Mühle hinunter
und dort über die Holzbrücke in den steilen Wald hinein. In
einer stillen Lichtung war eine Felswand, etwa 4 bis 5 Meter
weiter unten eine Steinplatte welche mit Sand überdeckt
war. Es brauchte etwas Überwindung um dort runter zu
springen, Tanner zwang alle von uns zu springen, auch jene,
die sich fürchteten. Die Furcht war durchaus begründet, wir
stellten fest, dass die Sandschicht nach jedem Regenfall
dünner wurde!
Der obere Teil war sogar bereits ohne Sand und man musste
weiter springen, um noch sanft zu landen. Einige der
Schüler machten den Lehrer auf diesen Umstand
aufmerksam, aber der wollte keine Gefahr erkennen.
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Einer von uns, der Walter H. wurde jedes Mal
kreidenbleich, er sprang jeweils als letzter weil ihm Tanner
keine andere Wahl liess.
Ich war mir sicher, dass es eines Tages zu einem Unfall
kommen musste. Ich hoffte sogar insgeheim, dass es den
Lehrer selber treffen sollte!
An einem schönen Nachmittag wars wieder einmal an der
Zeit, wir waren einmal mehr unterwegs in den Wald, ich lief
am Schluss, neben mir, der E.P. ich sagte zu ihm:“heute
wirds gefährlich, es hat stark geregnet und viel Sand runter
gespült.“ Der E.P. stimmte mir zu, ich denke, ich habe noch
erwähnt, diesmal nicht springen zu wollen, sicher bin ich
aber nicht.
Wir erreichten den fraglichen Platz, wie immer, standen wir
oben und schauten hinunter, noch nie schien mir der Boden
so weit unten zu sein, der Regen hatte viel Sand
weggeschwemmt!
Wie üblich, war Tanner der erste Springer, er fungierte ja
schliesslich als Vorbild.
Er sprang und dann hörten wir einen Krach, so, als würde
ein Ast zerbrechen, Tanner wälzte sich stöhnend am Boden!
Er hatte ein Bein gebrochen, eiligst rannten zwei Schüler
zum nahen Bauernhof der Familie Probst, um den
Sanitätsdienst zu informieren.
Tanner wurde ins Inselspital von Bern transportiert, wir
Schüler entliessen uns selbständig nach Hause.
Natürlich besuchten wir ihn im Spital und brachten auch
Blumen, ein bischen Schadenfreude gab es schon, doch
wollte keiner direkt dazu stehen.
Tanner wurde einsichtig, er entschuldigte sich, dass er uns
zu diesen gefährlichen Sprüngen zwang, er erwähnte aber
auch, dass es den Richtigen erwischt habe, denn sonst würde
ihn das noch viel mehr belasten. Während den Wochen
seiner Abwesenheit, wurden zwei Lehrerinnen für die
Klassen 4 bis 6 aus Bern delegiert. Beide hatten einen sehr
schweren Stand mit uns, wir waren gewohnt, dass die
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Prügelstrafe die Ordnung sicherte, beide kannten diese
nicht, in der Stadt wurde diese kaum noch praktiziert.
Ich sass damals neben dem Krähenbühl, welcher bei Tanner
ein Abonnement für Prügel besass. Mitten im Unterricht
sagte er mir:“Jetzt zeichne ich eine F.... an die Wandtafel“.
Stand auf und lief nach vorne, neugierig schaute ihm die
junge Lehrerin nach, er nahm eine weisse Kreide und
zeichnete einen riesigen, weiblichen Geschlechtsteil an die
Tafel.
Blöde grinsend, wie man ihn kannte, kam er an seinen Platz
zurück.
Die Lehrerin ging mit feuerrotem Kopf zur Wandtafel und
wischte das Kunstwerk weg!
„Das werde ich dem Lehrer Tanner melden“ sagte sie nur
und der Unterricht ging weiter.
Es gab aber noch viele andere Punkte, welche die
Lehrerinnen zur Verzweiflung brachten, etwa unsere
Pistolen, sogenannte „Knallfixpistolen“, fast jeder Knabe
hatte eine in der Tasche, ich auch. Es knallte ab und zu in
den Pausen, das wollten sie abschaffen, als alle Worte nichts
nützten, sammelte die Lehrerin eines Nachmittags alle
Pistolen einfach ein. Sie versprach uns, dass wir diese an
ihrem letzten Arbeitstag zurück erhalten werden, wir
willigten ein und sie hielt ihr Wort!
Jede Lehrerin blieb nur 2 bis 3 Wochen, dann waren sie am
Ende mit den Nerven. Obwohl nur etwa 10 Kilometer von
der Stadt Bern entfernt, herrschte auf dem Lande eine viel
rohere Kultur, die Knaben trugen lange „Trilchhosen“
welche oft noch mit Kuhmist verziert waren.
Als Tanner zurück kam, lobte er uns für die Standhaftigkeit
gegenüber den Städterinnen!
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Kapitel 9
151
152
Intermezzo am
Brunnentrog
Ich weilte nun des öftern bei der Familie Schmutz im oberen
Schlatt. Sie hatten einen Sohn, Rudolf, Jahrgang 37, sowie
eine Tochter Lisabeth, etwa Jahrgang 41.
Wir, die beiden „Ruedy“ verstanden uns sehr gut, wobei der
andere einen Altersvorteil hatte, den ich respektierte. Er
war so etwas wie mein älterer Bruder, nur selten waren wir
nicht gleicher Ansicht. Ich mochte aber auch seine Eltern,
welche für mich alle Voraussetzungen für vorbildliche
Erzieher aufwiesen. Ruhig und ausgeglichen, grosszügig,
tolerant, souverän, intelligent und echte Vorbilder. Nicht
was ich zu Hause erleben musste, Dauerkriegszustand,
ein Vater, der bereits zuschlagen wollte, wenn er der Ansicht
war, man habe ihn nicht respekt- und würdevoll gegrüsst!
Ich erhielt nie Prügel, obwohl er mir X-Mal damit drohte,
ich rannte ganz einfach davon. Das tat ich etwa bis zum 13.
Altersjahr, dann aber, war ich gleich gross oder grösser als
er, und es kam der Tag, an dem ich nicht mehr davonrannte,
sondern stehen blieb und mich zum Kampf stellte!
Ich habe nie vergessen, wie erschrocken er mich anstarrte,
als ich ihm sagte:“ Komm nur, ich bin stärker als du!“.
Er verzichtete auf einen Angriff und liess mich fortan in
Ruhe.
Zur Familie Schmutz gehörte auch noch ein alter Knecht,
der „Wäber Chrigu“ wie er genannt wurde. Er verbrachte
die meiste Zeit auf der Schattenseite des Lebens. Für mich
bedeutete aber der Aufenthalt bei den „Schmutzes“oder in
der Gärtnerei Suter, eine allegmeine Bereicherung.
Mit meinen kleineren Geschwistern hatte ich wenig Kontakt,
sie sorgten aber manchmal für etwas Stimmung.
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So etwa über die Mittagszeit, wenn Otto seine Ruhepause
einschalten wollte.
Die beiden hämmerten oben derart laut herum, dass Otto
die Nerven verlor, er schrie nach oben um Ruhe.
Das rief die Mutter aufs Tapet, sie mochte den Kerl nicht
leiden, sie beschuldigte ihn, er habe ihren Mann, (meinen
Vater) um die rechtliche Erbschaft betrogen.
Zudem lasse er uns in grosser Armut dahinvegetieren, habe
noch nie Hilfe geleistet und sei ein mieser Zeitgenosse!
Unten im Brunnentrog lagen die schmutzigen Überkleider
von Vater, Mutter eilte hinunter und nahm die nassen
Kleidungsstücke aus dem Wasser und schmiss sie dem Otto
ums Gesicht!
Otto schaute aus wie ein Neger mit blauen Augen, er
verfluchte meine Mutter bis in alle Zeiten und verschwand
in seiner Wohnung. Ich hielt mich aus diesem Streit heraus
und blieb dem Otto weiterhin freundlich gesinnt. Wie später
ersichtlich, war das der Anfang einer langen
Auseinandersetzung, die dann mit dem endgültigen Wegzug
von Mutter endete!
Kapitel 10
Annelis Tod
Wie schon erwähnt, wurde die jüngere Tochter von Onkel
Rudolf mit einem „Wasserkopf“ geboren. Anneli war die
Lieblingstochter von Rudolf, vermutlich wegen ihrer
Behinderung. Ich machte mir keine grossen Gedanken
darüber, dachte, sie habe eben einen Wassertank im Kopf.
Das Schicksal schlug zu, als ich etwa 11 Jahre alt war,
Anneli starb an den Folgen ihrer Behinderung.
Als wir für die Beerdigung oben in der Gartenstadt
eintrafen, öffnete uns Rudolf und weinte bitterlich, so, dass
ich ihn nur wortlos anstarrte. Er heulte und lief
tränenüberströmt die Wohnung auf und ab. Er war nur
noch ein Häufchen Elend, ich dachte, er sollte doch froh
sein, dass sie nun erlöst ist, aber er empfand das wohl
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anders? Er war mein „Lieblingsonkel“ darum enthielt ich
mich lieber von irgendwelchen Kommentaren, um ihn nicht
noch zusätzlich zu verletzen.
Von der Abdankung sind mir keinerlei Erinnerungen
geblieben. Noch ahnte ich nicht, dass unserer Familie schon
bald noch viel schlimmere Schicksalsschläge zustossen
werden!
Drei Jahre später starb auch Rudolf im Alter von nur 53 ½
Jahren, auch bei dieser Beerdigung war ich anwesend.
Es hiess, er sei an den Folgen eines Unfalls, er fiel in einen
Brunnenschacht, gestorben, dann aber hörte ich eine andere
Version, danach starb er an Lungenkrebs, er war ein
starker Zigarrenraucher. In der Schule machte ich gute
Fortschritte, nur im Fach „Singen“ machte ich nicht mit,
dafür interessierten mich die Gebiete wie Geschichte,
Geographie und Religion umsomehr. Auch die Politik
gehörte dazu, eigentlich Gegenwartsgeschichte, und auf dem
Schulweg diskutierten wir, die beiden Rudolf, fast nur über
Politik, der Koreakrieg war voll ausgebrochen und wir
besprachen täglich die strategischen Aussichten der beiden
Parteien. Leider war aber die Politik kein Schulfach. Was
ich sehr bedauerte. Dafür freute ich mich unbändig auf die
Lektionen in Geschichte und Geographie.
Jeden Winter lag ich rund einen Monat im Bett mit irgend
einer Jugendkrankheit oder einer schlimmen
Grippeerkältung. Wir verfügten über keinerlei
Krankenversicherung, deshalb wurde der Arzt aus
Niederscherli nur in dringenden Fällen geholt. Zum Beispiel,
als ich 42 Fieber hatte und genau auf dem Rückenmark eine
tiefgehende Entzündung verzeichnete.
Aber ich konnte das Versäumnis der Schule immer wieder
aufholen.
Die Gemeinde Köniz gehört zu den grössten der Schweiz,
gegründet 949, feierte man im Jahre 1949 die Tausend
Jahre. In Köniz wurde damals ein für diese Zeit grandioser
Umzug veranstaltet. Er wurde gleich zweimal abgehalten,
darum konnten wir ihn zweimal bestaunen.
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Die einzige Sekundarschule befand sich in Köniz, seit vielen
Jahren versuchte aber kein einziger Schüler aus
Oberscherli, in die Sek. von Köniz einzutreten. Für mich
war das ein Vorteil, weil man in Bern bereits aus der vierten
Primarklasse übertreten musste, also für mich noch viel zu
früh. Zudem war das gar kein Thema, obwohl ich heimlich
daran dachte, aber ich wusste genau, dass es hiesse: was will
den dieser Franzose, der soll erst einmal die Sprache
erlernen!“
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Kapitel 11
Der Pfeilschuss
Zu Hause herrschte stets ein Dauerkriegszustand, waren
einmal die Wogen etwas geglättet, gab es einen
Familienausflug. Einmal führte dieser ins Appenzellerland,
auf den „Hohen Kasten“. Auf der Hinfahrt mit der
Eisenbahn mochte der Hausfrieden gerade noch hinhalten,
aber bereits auf der „Ebenalp“ war bereits wieder der
Teufel los, weshalb, das weiss ich nicht mehr, es handelte
sich ja oft um reine Lapalien.
Die Rückfahrt traten wir dann getrennt an.
Mir machte das wenig aus, ich machte mir aber Sorgen um
die beiden Kinder, meine Bedenken sollten mir später
bestätigt werden.
Ich war in einem Alter, in dem ich meinen eigenen Weg
einschlagen konnte, ich hatte genug eigenes Geld, um Dinge
zu beschaffen, die andere Knaben noch nicht hatten, etwa
eine Uhr. Ich gab aber nicht alles Geld aus, sondern konnte
noch ein Sparheft bei der „Berner Hypothekarkasse“ an der
Schwanengasse in Bern, eröffnen. Bis zum 14. Altersjahr
ersparte ich immerhin um die 500.- Franken, damals etwa
zwei Monatsgehälter eines Arbeiters.
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Ich verprasste aber auch ordentlich Geld mit dem Kauf von
Feuerwerkskörpern um den 1. August herum, wobei die
Knallerei bereits den ganzen Juli hindurch anhielt. Jemand
verpfiff mich bei der Lehrerschaft, weil ich mir den Luxus
leistete, gleich einen grossen Bund von „Krachern“ zu
kaufen. Lehrer Schmied war der Ansicht, dass da
ausgerechnet ein Arbeiterkind über die Schnur gehauen
habe!
Er nannte aber keinen Namen, es war aber voll auf mich
bezogen, weil sich die andern gar nicht soviel auf einmal
leisten konnten!
Wir standen damals am Anfang des „Kalten Krieges“, die
Schweiz benötigte harte Soldaten für die
Landesverteidigung. Deshalb wurde fast alles toleriert, was
zur Ertüchtigung der jungen Burschen beitragen konnte.
Kriegsspiele aller Art, herumknallen mit
Schreckschusspistolen, Karbidkanonen, schiessen auf
Spatzen und Krähen mit Kleinlalibergewehren, sportliche
Zweikämpfe, wie „Schwingen“, und dergleichen waren hoch
angesehen.
Wir arbeiteten nicht immer auf dem Hof, manchmal
erinnerten wir uns, dass wir Knaben waren und spielten
irgend ein Kriegsspiel.
Beim Indianerspiel schossen wir mit echten Pfeilen, diese
fingen wir mit Schutzschildern auf. Beinahe wurde mir
meine Pedanterie zum Verhängnis, ich rückte mit einem
Leiterwägelchen vor, dabei löste sich plötzlich ein Knopf von
meiner Hose, ich schaute dem Knopf nach, damit ich ihn
wieder finden konnte. Das hätte ich besser unterlassen, in
diesem Moment schoss mein Gegner, der andere Rudolf,
einen Pfeil auf mich los und traf mich knapp zwei
Zentimeter unter dem rechten Auge! Nur Dank der
Tatsache, dass ich nach unten schaute, traf mich der Pfeil
nicht direkt ins Auge!
Der Pfeil bohrte sich tief in den Backenknochen hinein, das
Auge wäre wohl ganz zerstört worden. Der Mutter meldete
ich, ich hätte das Gesicht auf dem Leiterwagen
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aufgeschlagen. In der Schule hingegen gestand ich den
wahren Ablauf. Der Warnvortrag von Lehrer Tanner war
eindrücklich und ein Lehrstück für die Zukunft. Irgendwie
zirkulierte die Geschichte in der Gegend herum, und
jemand sagte zu Mutter:“Ihr Sohn hatte aber Glück mit
dem Auge!“ Mutter bejate einfach, den genauen Ablauf
kannte sie aber nicht.
Nachtrag: 43 Jahre später, verlor ich in Malaysia, infolge
einer Thrombose, das linke Auge!
Ich erlerne das Alphabet
In Frankreich erlernten wir die einzelnen Buchstaben,
jedoch nicht von A bis Z. In der Schweiz wurde dies in der
Unterstufe geübt. Weil ich bekanntlich diese Stufe nicht
durchlief und sich zudem kein Schwein darum kümmerte,
mir Privatlektionen zu erteilen, konnte ich im Alter von 12
Jahren das Alphabet nicht auswendig aufsagen.
Dass ich beim lesen sehr schnell vorankam, war nicht
zufällig, ich wurde zum eifrigsten Kunden der
Schulbibliothek, verschlang alle Bücher, die irgendwie mit
Weltgeschichte und Reisen zu tun hatten. Einmal fragte
mich Lehrer Schmied, was ich lesen möchte, ich sagte, es
müsse einfach spannend sein!
Da schlug er mir den „Schatz im Silbersee“ von Karl May
vor. Ich aber fand diesen Titel echt langweilig, etwas
unsicher argumentierte ich, das könne doch gar nicht
spannend sein!
Schmied war ein totaler Deutschlandfan, darum waren auch
Karl May Bücher gut. Er bemühte sich nun, mir klar zu
machen, dass es sich da um ein sehr spannendes Buch
handle! Ich glaubte ihm nicht, wollte aber nicht
argumentieren und nahm es. Es sollte eines der spannensten
Bücher bleiben, das ich jemals las. Ich lehnte mir dann
sämtliche Karl May Bücher aus!
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Trotz den prekären Verhältnissen zu Hause, schlug ich mich
recht gut durchs Leben. Langsam gewann ich die verlorenen
Privilegien wieder zurück, in Bern war der Kinobesuch auf
das 16. Altersjahr beschränkt, ab dem 12. Altersjahr ging
ich regelmässig ins Kino, dabei wurde ich nicht ein einziges
Mal abgewiesen. Ich sah um Jahre älter aus und für einmal
war das ein Vorteil!
Ich fuhr an den Sonntagnachmittagen nach Bern, der
Mutter sagte ich, ich ginge ins Kino.
So sah ich u.a. den Film: „Die missbrauchten Liebesbriefe“,
• mit Emil Hegetschweiler als Lehrer in einer der
Hauptrollen. In diesem Film erlernten die Kinder das
Alphabet singend, und als ich aus dem Kino kam,
kannte auch ich endlich das Alphabet!
Einmal wurde ich wieder von so einem lieben Zeitgenossen
bei der Lehrerschaft verpfiffen, ich schaute mir damals den
harmlosen Film „Es ist Mitternacht Dr. Schweitzer“an. Ich
fand den Streifen so gut, dass ich sogar der Mutter davon
berichtete. Als sie vor der Lehrerschaft vorsprechen musste,
fragte man sie:“Wissen sie, dass ihr Sohn verbotenerweise
ins Kino geht?“ Mutter verstand die Frage wohl falsch und
sagte:“Ja natürlich, er hat mir davon berichtet und er
wurde auch zugelassen“.
Die Lehrer waren sprachlos und liessen sie gehen. Ich
schmunzelte heimlich, weil Mutter ihnen klarmachte, dass es
sich um einen Jugendfilm gehandelt habe. Ich hatte noch
Kollegen aus der Umgebung von Gasel, die beiden Zaugg
Brüder, sowie der Studenmann, wir besuchten an den
Sonntagen gemeinsam die Kinos. Sie waren etwa ein Jahr
älter oder gleich alt wie ich, aber eben, sie hatten noch
Kindergesichter. So mischten wir uns jeweils unter die
richtigen Erwachsenen, ich war meistens als Erster im Kino,
dann wartete ich gespannt, wieviele von den andern es
schaffen werden. Am besten waren die Chancen in der
Revolverküche, dort kamen meistens alle vier hinein.
Im Forum und anderen Filmtheatern, blieb ich oft alleine.
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Das setzte die andern in Rage, war ich doch jünger als sie!
Identitätskarten existierten damals noch keine, es war rein
die äussere Erscheinung, die für den Eintritt zählte.
Natürlich antworteten wir auf die Frage: „schon 16“,
immer positiv,
ich wurde aber gar nie gefragt, das heisst doch, ein einziges
Mal, damals in Zürich, wo das Alter bei 18, angesetzt war.
Zwei Wochen vor meinem 18. Altersjahr, fragte mich die
Kassiererin in einem Kino an der Langstrasse: „Sind Sie
18?“ Ich war dermassen perplex, dass ich laut lachte. Die
Frau lief rot an und gab mir die Karte ohne weitere Fragen!
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Kapitel 13
Die grossen Schuhe
Jeden Sonntag besuchte ich schön brav die Sonntagsschule,
ein Lokal im Gebäude von Ernst Locher, geleitet wurde die
Schule von Leuten der „Evangelischen Gemeinschaft“, die
sich aus der weiteren Umgebung rekrutierten, aus dem Dorf
war nur die Familie Thommet bei dieser Organisation. Alles
fromme Menschen, ich erkannte in ihren Gesichtern
manchmal so etwas wie eine Erleuchtung, aber vielleicht
bildete ich mir das auch nur ein?
Und wenn am Schluss der Veranstaltung, das „Negerlein“
herumgereicht wurde, da erhielt es von mir einen schönen
Knopf geschenkt. Die frommen Leute bauten dann eine
eigene Kirche, gleich neben dem Haus der Schuhmacher,
oder knapp 50 Meter von uns entfernt. Es war beruhigend,
die Vertretung der Allmacht so nahe zu wissen. Das
Kirchlein wurde in reiner Fronarbeit gebaut, auch ich
wirkte tüchtig mit, erst beim Fundament, dann beim Dach.
Und ich war sicher, dass ich mir damit einen guten Platz im
Jenseits gesichert hatte. Mit dem Gotteslohn konnte ich mir
allerdings keine Kleider kaufen, aber was tut man nicht alles
für das Himmelreich.
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Noch frommer als die übernächsten Nachbarn, war Tante
Marie aus Bolligen, die Schwester meines Vaters. Wenn sie
vorbeikam, dann nur, um uns den nahen Weltuntergang
anzukündigen.
Sie war Anhängerin der „Neu-Apostolengesellschaft“, ihre
Prognosen waren derart deprimierend, dass wir alle froh
waren, wenn sie wieder nach Bolligen verreiste. Sie sandte
aber auch Briefe, und diese waren nicht weniger
niederschmetternd.
Das Bernbiet war schon seit jeher ein Eldorado der
Sektenbewegungen.
Es war auch dem Lehrer Tanner nicht entgangen, dass ich
meine Kleider aus eigenen Mitteln beschaffte, so etwas
spricht sich eben herum, ich denke, die Leute wussten besser
Bescheid über mich, als ich selber!
Es kümmerte mich wenig und ich schämte mich auch nicht,
weil ich in der Lage war, praktisch für mich selber
aufzukommen. Ich war in der 6. Klasse, als Lehrer Tanner
mich nach vorne rief, er sagte mir, er habe ein Paar Schuhe
gekauft, No. 43, welche ihm aber zu gross wären, da ich
vermutlich diese Schuhnummer führte, schenke er mir die
Schuhe. Natürlich ein Riesengelächter im Klassenzimmer!
Obwohl ich damals No. 43 hatte, sagte ich ab, indem ich ihm
mitteilte, ich hätte ebenfalls die No. 42!
Er erkannte wohl das Problem und insistierte nicht weiter
darauf. Später pendelte sich meine Schuhgrösse zwischen
45 und 47 ein. Als einziger in der ganzen Verwandschaft,
verzeichnete ich grosse Füsse, es kann somit nicht
Vererbung sein. Ich führe das auf meine Barfusszeit
während dem Zweiten Weltkrieg zurück.
Kapitel 14
Bubenstreiche
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Neben der Arbeit auf dem Bauernhof gab es nur wenig
Freizeit, die wir Knaben für Spielereien und Unfug zur
Verfügung hatten.
Ein dankbares Opfer war der „Wäber Chrigu“, der Knecht,
er pflegte zu „schicken“, das heisst, er kaute einen billigen
Tabak.
Vor dem Mittagessen nahm er seinen „Schick“ aus dem
Maul und legte ihn auf die Fenstersims vor der Essküche.
Nach der Mahlzeit griff er nach seinem „Schick“ und schob
ihn genüsslich wieder ins Maul.
Da heckten wir einen Plan aus, wir mischten etwas
Hühnerkot in den „Schick“ und legten diesen wieder schön
sorgfälltig auf die Fenstersims zurück. Danach gingen wir
auf die Lauer um zu beobachten, wie er den Zusatzschick
geniessen wird?
Und es dauerte nicht lange, bis er ihn wieder zornig aus dem
Mund entfernte und mit ein paar Flüchen auf die
Lausebuben, diesen mit grossem Schwung auf den
Misthaufen schmiss! Sinnigerweise befinden sich im
„Bernbiet“ die Misthaufen oft vor dem Haus, gleich beim
Eingang zur Wohnung!
Er beschwerte sich beim Vater Schmutz und dieser hielt uns
an, doch lieber keine solche Streiche mehr durchzuziehen.
Wir hatten aber noch eine andere Methode ausgedacht, der
„Chrigu“ war Alkoholiker und sein Vormund, der Ernst
Locher, verbot ihm alkoholische Getränke.
Aber der „Chrigu“ umging dieses Verbot, indem er in der
Dunkelheit durch die Baumfarm schlich und dann im
Kolonialwarenladen eine Flasche „Sauren Most“, einkaufte.
Die Flasche versteckte er im Futtergras in der Tenne.
Als dann der Vormund einmal sagte, man müsse ihm das
„Saufen“ abgewöhnen, da traten wir sofort in Aktion.
Erst urinierten wir nur ein kleinwenig in die Flasche, aus
den Verstecken beobachteten wir dann, ob unsere Methode
Wirkung zeigte?
Er schien schon etwas bemerkt zu haben, trank jedoch
munter weiter, also vergrösserten wir die Dosis, und wir
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füllten die Flasche gleich voll auf. Das aber war nun
eindeutig zuviel, er warf die volle Flasche weg und begann
wieder über die bösen Buben zu fluchen.
In seiner Verzweiflung klagte er das Unheil der Frau
(Bigler) im Geschäft bei welcher er die Flüssigkeit erwarb.
Diese hatte Mitleid mit ihm und meldete den Fall dem
Vormund.
Der Locher Ernst hielt uns dann einen kleinen Vortrag, dass
der „Chrigu“ durchaus etwas „Most“ trinken dürfe, nur
eben nicht in grossen Mengen. Wir sollten daher unsere
Strafaktionen unterbinden, da diese in ihrer Anwendung
und Ausführung doch etwas zu radikal wären!
Wir hielten uns an die Weisungen, und der „Chrigu“
schätzte unsere Einsicht.
Kapitel 15
Füsilier Hans B.
Im Herbst 1949 besuchte uns Bruder Hans, er hatte den
grossen Urlaub in der Rekrutenschule Herisau. Als FüsilierRekrut war er der dritten Kompanie zugeteilt. Die
Rekrutenschulen St.Gallen und Herisau, sind unter dem
gleichen Kommando. Noch konnte ich nicht ahnen, dass ich
nur wenige Jahre später ebenfalls dort dienen werde.
Damals waren Soldaten noch geachtete Männer, nur wer
eine Rekrutenschule hinter sich brachte, war ein richtiger
Mann! Wenn die Rekruten auf Urlaub waren, lauschten wir
Halbwüchsigen ihnen gespannt und mit grösster
Bewunderung zu. Auch in meiner damaligen
Vorstellungswelt, konnte es kaum etwas würdevolleres
geben, als einmal Milizsoldat zu werden. Dabei zog ich die
Möglichkeit, etwa dienstuntauglich zu sein, schon gar nicht
erst in Erwägung!
Dass meine Idealisierung der Militärwelt, in einem krassen
Widerspruch zu meiner humanitären Lebensanschauung
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war, das realisierte ich damals nicht, es gehörte wohl zum
pubertären Lebensabschnitt?
Hans erzählte vom Drill und den Ausdauerübungen, aber
am meisten fiel mir auf, dass er andauernd fluchte, er hatte
sich wohl sämtliche Flüche der Ostschweiz angeeignet.
Weil er keine abgeschlossene Berufsausbildung nachweisen
konnte, zudem nur während drei Jahren die Primarschule
in der Schweiz besuchte, wurde er nicht für die
Weiterausbildung zum Unteroffizier zugelassen!
Das war vermutlich der Grund dafür, dass er nach der
Rekrutenschule verschwand, und wir erst wieder im Jahr
1950 oder 51, ein Zeichen von ihm erhielten, als er sich in
„Sidi-Bel-Abes“ (Algerien), in der Fremdenlegion befand.
Ich war natürlich mächtig stolz auf meinen Bruder in
Uniform, als er nach zwei Tagen wieder in die Kaserne
Herisau zurück fuhr, konnte ich nicht ahnen, dass wir uns
erst wieder im Jahr 1963 sehen würden.
Obwohl nur Halbbruder, verstand ich mich mit Hans viel
besser als mit Ernst, Hans war 9 Jahre älter und Ernst
nahezu 9 Jahre jünger.
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Kapitel 16
Von Karl May zu Rolf
Torring
Man kann ruhig behaupten, dass ich mich ab dem 11.
Altersjahr zu einer richtigen „Leseratte“ entwickelte.
Weil ich die gramatischen Grundregeln der deutschen
Sprache nie erlernte, blieb mir nur noch der Lesestoff
als Weiterbildungsmöglichkeit offen.
Lehrer Schmied, Oberstufenlehrer, war auch zuständig für
die Schulbibliothek. Wie bereits erwähnt, lobte er besonders
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die Bücher von Karl May, aber auch andere Autoren
deutscher Herkunft lagen gross im Kurs, etwa der A.E.
Johann, Richard Katz und Rene Gardi, um nur einige
namentlich zu erwähnen. Er nannte das gute
Jugendliteratur. Als ich aber begann, die in der Stadt Bern
erworbenen Hefte von „Rolf Torrings Abenteuer“ zu
verbreiten, da war es aus mit der guten Literatur. Meine
Kollegen „verschlangen“ diese sogar während den
Unterrichtsstunden, was der Schmied auch gleich realisierte.
Kurzerhand konfiszierte er sämtliche Heftchen, welchen er
habhaft werden konnte. Es waren alle meine Schriften,
welche ich bei einer alten Frau im „Ryfligäschen“ in Bern,
jeweils umtauschte. Für 30 von mir, erhielt ich deren 15
andere, gegen einen kleinen Aufpreis, die neuen Ausgaben
kosteten nur 0.85 Franken das Stück, konnte ich so lange
Zeit sehr günstig einkaufen.
Ich erinnere mich nicht mehr, ob Schmied mir 20 oder 40
Hefte geklaut hat? Immerhin wurden diese 50 Jahre später
in den Antiquarien der Stadt Zürich, zu Preisen von Fr. 10.bis 20.- das Heft angeboten!
Anfangs der Fünfzigerjahre, wurde in den Medien zum
Verbot dieser Hefte aufgerufen, schon bald verschwanden
sie auch von den Kiosken.
Diese, nun als „Schundliteratur“ bezeichneten Romane
galten auch als rassistisch! Ich erinnere mich an Sätze
wie:“die hinterhältigen Malayen, die schmierigen Chinesen,
die listigen Tamilen, etc., mag schon sein, dass diese
Aussagen gewisse Vorurteile auslösen konnten. Was mich
selber anbetraf, war dies jedoch nicht der Fall.
Hingegen war da noch ein anderer seltsamer Hinweis, der
ständige Begleiter der beiden weissen Männer, war der
„Pongo“, welcher angeblich eine afrikanische Mutter und
einen Affen zum Vater hatte!
Dieser Hinweis, den ich nur in einem einzigen Heft las,
beschäftigte mich viel intensiver, umsomehr, als der „Wäber
Chrigu“, noch erzählte, auch Frauen und Hunde könnte
sowas produzieren!
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Das habe ihm ein Gynänokologe aus einem Berner Spital
ganz vertraulich gesagt! Nun hatte aber der „Chrigu“
immer eine blühende Fantasie und ich glaubte auch ihm
durchaus nicht alle Geschichten. Dass er einmal den
Ackergaul bestieg, das nahm ich schon eher als real an, weil
er mir die ganze Technik im Detail erklärte, ich war aber
der Meinung, er hätte doch viel einfacher nur onaniert, denn
das andere erinnerte eher an eine Bergbesteigung.
Seine Abenteuer in den Bordellen der Metzergasse, hörten
sich schon viel besser an, und angeblich liess er sich auch
einmal vom legendären „Dällenbach Kari“ rasieren.
Diese idiotischen Erzählungen hatten natürlich
Auswirkungen, wenn ich einen Mann sah, der ein
Affengesicht hatte, dann war für mich der Fall klar!
Erst viel später, erfuhr ich, dass der „wissenschaftliche“
Wert solcher Horrorgeschichten gleich Null war.
Affen und Menschen sollen rund 2% im Genaufbau
unterscheiden, darum können sie sich gemeinsam nicht
fortpflanzen. Da hatte sich auch der Autor von Rolf Torring
in einer biologische Sackgasse verirrt!
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Kapitel
Mönch und Einsiedler
Die Pflege der Kultur und musische Fächer, hatten damals
einen sehr hohen Stellenwert. Besonders in Oberscherli
wurde eine langjährige Examentradition eisern aufrecht
erhalten. Jede Klasse musste sich bereits ein halbes Jahr im
voraus auf das Examentheater vorbereiten, die Rollen
wurden von den Lehrkräften verteilt, wobei man schon
gewisse Vorschläge unterbreiten durfte. Mir wurden
praktisch immer nur Rollen von Heiligen, Mönchen und
Einsiedlern zugeteilt. Mir sagte diese Figurendarstellung zu,
und ich wundere mich heute noch, wie die Lehrer es ahnten,
welche Rollen für mich geeignet waren? Ich musste mich gar
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nicht gross anstrengen und verstellen, weil ich mit wenigen
Ausnahmen, auch im Alltag so zu leben pflegte. Meine
Kinobesuche sah ich nie als einen Verstoss gegen die
Gesetze, weil ich ja bereits in viel jüngeren Jahren ins Kino
durfte!
Mehr noch als die Theaterrollen, störte mich das Aufsagen
des „Vater Unser“, jeweils am Ende des Schultages.
Ich konnte diesen Text einfach nie auswendig lernen, erst
etwa in der 5. Klasse schaffte ich es endlich!
Das Ganze erschien mir sowieso suspekt, erinnerte mich an
eine Holzfigur, welche versucht zu onanieren.
Ich musste meine Meinung für mich behalten, selbst meinem
Kollegen Rudolf, sagte ich nie etwas über meine Zweifel an
diesem Glauben. Religion war eines meiner Lieblingsfächer,
zudem galt ich ja als Mönch und Missionar, also spielte ich
diese Rolle auch im Alltag!
Und wenn bei anderen Leuten am Mittagstisch gebetet
wurde, fand ich das immer noch angenehmer, als etwa zu
Hause dieser ewige Krieg bei den Mahlzeiten!
Der Examentag verlief immer nach dem gleichen Muster,
am Vormittag musste gezeigt werden, was wir erlernt
hatten, dabei waren auch Eltern und die Schulkommission.
Ob auch meine Eltern einmal anwesend waren, daran
erinnere ich mich nicht.
Um 10 Uhr war die begehrte Pause, der Dorfbeck verteilte
die „Examenweggen“. Dann am Nachmittag der gemütliche
2.Teil, erst der Umzug nach Scherli-Au, vorne die Fahnen,
dann die Musik von Oberbalm, dahinter die Herren der
Schulaufsicht, die Lehrer, dann wir Schüler nach Klassen
abgestuft, das Schlusslicht bildeten die Elternschaften.
Ein Bauernknecht und Dorforiginal, mit dem Namen „Bill“
schoss emsig aus einem grossen Vorderlader in die Luft.
Es muss noch erwähnt werden, dass alles mit grosser
Disziplin durchgeführt wurde, erst nach den
Theateraufführungen, welche oft ein beachtliches Niveau
aufwiesen, war Tanz angesagt. Eine Ländlerkapelle spielte
auf und die Schüler durften auf die Bühne.
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Trotz meinen grossen Hemmungen, versuchte ich mit dem
Dorli zu tanzen,(jene, deren Namen ich einem weiblichen
Kaninchen verpasst hatte) ich trat aber mehr nur auf ihre
Füsse, darum verzog ich mich verschämt zurück, fortan
hatte ich ein wahres Tanztrauma. Ich war aber froh, wenn
der Anlass endlich vorüber war und wir anschliessend zwei
Wochen Frühjahresferien beziehen konnten. Schon damals
fühlte ich mich im Gedränge und bei Massen von Leuten
um mich, sehr unwohl.
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Kapitel 18
Kanonier Piggerling
Im hinteren Schlatt war der Bauernhof der Familie Stähli,
auch sie beschäftigten einen Knecht. Bauernknechte standen
auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie, oft waren
sie während ihrer Jugendzeit sogenannte „Verdingbuben“.
Auch in der Schule kümmerte sich niemand um ihre
Ausbildung, gemeinsam mit den geistig weniger
entwickelten Kindern, wurden sie einfach in einer Klasse
sitzen gelassen. Ich traf einmal an einem Sporttag in
Niederscheli, auf einen etwas mongoloiden Schüler aus
Oberbalm, einer der Burschen aus dieser Schule sagte mir
lachend: „Siehst du diesen Halbaffen dort, der ist 16 und
sollte in der 9. Klasse sein, aber er ist erst in der ersten
Klasse!“ In der Schule Oberscherli war die Situation
ähnlich, weil niemand in die Sekundarschule oder ins
Gymnasium abwanderte, blieb das
Niveau relativ hoch, indem die schwachen Schüler einfach
zurückversetzt wurden.
Der Bauer Stähli beschäftigte auch einen Mann, wir nannten
ihn „Piggerling“, „Pigger“ ist ein bernischer
Vulgärausdruck für das männliche Glied. Diesen
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Übernamen verpassten ihm die Knaben, weil er nur dieses
eine Thema kannte.
Das heisst, er hatte noch ein anderes Hobby, wir bauten auf
Zweiradachsen mit Rädern, Ofenrohre ein, das sah aus wie
Artilleriekanonen. Und wir konnten damit auch
Schiessübungen machen, allerdings nicht mit Schiesspulver,
sondern mit Karbid, das wir kiloweise beim Hufschmied
Rohrbach in Oberscherli kaufen konnten. An den
Sonntagnachmittagen zogen wir oft los, um danach am
nahen Waldrand unsere Kanonen zu testen.
Da gesellte sich auch oft der kleine Piggerling zu uns, er
hatte sich ebenfalls eine Kanone gebastelt. Der Mann
mochte etwa 35 Jahre zählen, war sehr klein gewachsen, um
die 150 Zentimeter gross. Zudem hatte er noch eine
„Hasenscharte“ die ihn beim sprechen hinderte.
Wir waren nicht durchwegs begeistert, dass er mit uns
spielen wollte, aber wir liessen ihn gewähren.
Es war wieder ein schöner Sonntagnachmittag in Sicht, und
wir hatten für diesen Tag grosse „Militärübungen“
angesagt. Aus der Umgebung kamen einige Knaben und mit
dem Ruedy Schmutz und mir, waren wir um die sieben
„Soldaten“. Natürlich wollte auch der „Piggerling“ dabei
sein, er freute sich mehr als wir alle zusammen, war völlig
durchgedreht, er montierte vorne statt eine Blechdose,
welche abgeschossen wurde, gleich einen Holzrugel von
einer Telephonstange! Das konnte nicht gut gehen, wir
Knaben machten ihn darauf aufmerksam, aber er wusste es
besser, also liessen wir ihn gewähren. In einer langen
Kolonne zogen wir in Richtung Waldrand, es musste ein
sonderbarer Anblick sein, jeder hatte irgend ein Stück
Militäruniform angezogen, dann diese Kanonen mit den
Riesenrohren. Ich trug einen Militärmantel aus dem 1.
Weltkrieg, einen Helm, den ich aus einem Kochtopf
geschlagen hatte, alte Militärhosen, einen alten Vorderlader
und ein Seitengewehr. Solche Dinge fand ich entweder im
Dachstock oben oder auf den Müllhalden.
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Wir freuten uns auf die grosse Knallerei, die da kommen
musste, und der Piggerling war ausser sich vor Übermut,
er redete andauernd vom grossen Knall!
Natürlich wollte er als erster zeigen, was er drauf hatte und
lud seine Kanone mit einer dreifachen Ladung an Karbid,
dann rammte er die Stange vorne ins Rohr. Wir gingen alle
in Deckung hinter die Bäume, jeder wusste, das konnte nicht
gut gehen, nur der Piggerling, der wollte es nicht einsehen!
Er setzte sich dazu noch provozierend aufs Rohr, dann
zündete er mit einem Streichholz.
Eine gewaltige Explosion erfolgte, der Piggerling flog in
hohem Bogen ein paar Meter weit weg, dort krümmte er
sich und stöhnte wie ein angeschossenes Wildschwein.
Wir spürten nur den starken Windstoss, der an uns vorüber
zog.
Der Piggerling lebte noch, aber wir mussten ihn ins Dorf
zurückbringen, unser Nachmittag war dahin!
Ausser den verschiedenen Wunden am Körper, verlor er
etwa drei Finger an einer Hand.
„Nümme schüsse“ sagte er uns später. Und auch wir
mussten diese Spiele einstellen, obwohl wir bekanntgaben,
dass wir vorsichtig wären und nie einen solchen Scheiss
machen würden, hatte der Unfall höchste Priorität bei der
Lehrerschaft. Der Rohrbach durfte uns keinen Karbid mehr
verkaufen!
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Kapitel 19
Ein Genie
Von den beiden jüngeren Geschwistern sind mir relativ
wenige Eindrücke geblieben. Ab 1952, besuchte auch Klara
die Primarschule in Oberscherli. Sie galt als ruhig und sehr
fleissig, gut durchschnittlich begabt, wie es so schön hiess.
Ernst war mit seinen erst 4-5 Jahren die Dorfsensation, er
konnte lange Gedichte frei und fehlerlos aufsagen. Mutter
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las sie ihm ein paar Mal vor, dann beherrschte er die ganzen
Texte lückenlos. Da war zum Beispiel das
„Traummännlein“, gut 20 Seiten lang, kein Problem, er
leierte alles fehlerlos daher. Die Leute staunten, was der
kleine Knirps so alles von sich geben konnte. Er erntete
dafür sowohl Geld wie auch viel Lob!
Sogar von ausserhalb des Dorfes kamen die Leute um ihm
zuzuhören, es hiess, man habe es hier mit einem Genie zu
tun, einer wie der Einstein oder ähnlich. Auch ich war etwas
stolz auf meinen kleinen Bruder, das tat auch dem
angeschlagenen Ruf unserer Familie gut, weil er alle
anderen Kinder in seinem Alter weit in den Hintergrund
stellte. Unter einer solchen Begabung brachte ich ihm auch
das Lesen und Schreiben bei, sogar noch Rechenaufgaben
meisterte er. Und dann geschah das Unglaubliche, obwohl er
es spielend mit den Schülern aus der dritten Klasse
aufnehmen konnte, durfte er wegen fehlenden 7 Tagen, nicht
in die Schule eintreten!
Ich intervenierte bei den Eltern, unbedingt ein Gesuch
einzureichen, aber wie üblich, war das kein Thema. Ich
ärgerte mich einmal mehr, keinerlei Befugnisse ausüben zu
dürfen, verfluchte die Tatsache, dass ich erst mit 20 Jahren
ein vollwertiger Bürger sein durfte. Ernst vertrieb sich die
Zeit zu Hause mit der Lektüre meiner Bücher. Dann
endlich, mit nahezu 7 ½ Jahren, durfte er endlich in die erste
Klasse eintreten.
Mit dem angeschlagenen Familienproblem, wurde dann
seine weitere Laufbahn zu einem ständigen Fiasko.
Natürlich war er während gut drei Jahren in der Schule
völlig unterfordert, langweilte sich am Pult, machte weder
Aufgaben noch sonst welche Übungen mit, er wusste ja
schon alles besser!
Und so sollte es die ganzen 9 Schuljahre bleiben, er war
träge und faul geworden, konnte plötzlich dem Unterricht
kaum mehr folgen, musste froh sein, dass er nicht eine
Klasse wiederholen musste.
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So wurde er vom Genie zum Schulversager, ja, noch mehr,
aber davon später.
Kapitel 20
Die Wahrsagerin
Onkel Otto machte andauernd grosse Pläne und Vorschläge,
wie er meinem Vater aus der Misere helfen könnte. An den
freien Sonntagvormittagen erschien er regelmässig mit
Unterlagen, Fotos und dergleichen Zeug, dabei handelte es
sich um Bauernhöfe in Österreich, vorab Kärten und
Steiermark, aber auch im Tirol und Voralberg. Das Land
war damals noch von den vier Mächten besetzt und galt als
„Billigland“. Otto nannte die Preise einen Pappenstiel, kein
Problem für ihn, und Vater könne dann wieder das freie
Leben eines Bauern geniessen. Er schwärmte dermassen
intensiv, dass selbst ich noch auf den Geschmack kam,
jedoch war ich vom Land nicht besonders begeistert, dann
schon lieber wieder zurück nach Frankreich. Und Mutter
wollte unter keinen Umständen nach Österreich
auswandern. Otto war ein grosser Bewunderer der
deutschen Kultur und Geschichte, wie Vater, war auch er
der Ansicht, der braune Virus hätte der Menschheit das Heil
gebracht, weil ja die andern Völker nicht fähig waren, die
anstehenden Probleme zu lösen, daher wäre die Welt unter
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der Führung des deutschen Herrenvolkes viel besser dran
gewesen.
Alles blieb beim grauen Alltag, ich sah für mich nur noch
eine Lösung, nämlich mich möglichst unabhängig zu
machen.
Ich war selten zu Hause, die meiste Zeit auf dem Bauernhof
der Familie Schmutz. Ohne jede Einschränkung durfte auch
ich praktisch alle anfallenden Arbeiten verrichten, nur Kühe
melken musste ich nicht. Dafür machte das Grasmähen mit
dem Rapidmotormäher Freude, der war zugleich die einzige
Maschine auf dem Hof, sonst wurde alles von Hand erledigt.
An einem schönen Samstagnamittag, war ich mit dem
zusammenrechen von Gras beschäftigt, da sah ich Vater auf
dem alten Fahrrad daherschwanken. Ich schaute ihm
amüsiert zu, wie er versuchte, die Einfahrt zum schmalen
Schlattweg zu meistern. Ich hätte wetten können, dass er es
nicht schaffte, er bremste noch etwas ab und versuchte es
mutig.
Er überdrehte das Lenkrad und landete weit draussen auf
der Wiese!
Eigentlich wars zum Heulen, aber ich musste laut lachen,
er kroch auf der Wiese umher und fluchte laut, mir
versprach er eine Tracht Prügel, wegen meiner
Respektlosigkeit. Aber erst musste er mich erwischen, und
gewöhnlich hatte er das innert kurzer Zeit wieder vergessen.
Vater war kein Esoteriker, aber er pflegte öfters
Wahrsagerinnen in Bern aufzusuchen, von diesen wollte er
vernehmen, dass es wieder aufwärts ging, dass er bald in der
Landeslotterie gewinnen könne, dass das Leben wieder
besser würde.
Es war wieder einmal eine solche Besuchsstunde vorüber,
Vater kam spät am Abend aus der Stadt zurück, ich war
bereits im Bett. Ich hörte ihn die neuesten Prognosen der
Mutter preisgeben, plötzlich traf es mich wie einen
Blitzschlag, als er ausführte:“ Sie hat gesagt, dass mein
älterer Sohn mit 14 Jahren den Blinddarm operieren
müsse“. Ich konnte mich nicht mehr zurück halten und rief
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in voller Lautstärke:“Das ist Unsinn, ich werde den
Blinddarm mit 14 nicht operieren lassen, die erzählt doch
dummes Zeug und ihr glaubt das auch noch, ich glaube es
nicht und werde recht haben!!“ Vater war erstaunt über
meine Reaktion, ihm war bewusst, dass ein Spital für mich
die Hölle bedeutete!
Er sagte kein Wort mehr und wir sprachen nie darüber,
vergessen konnte ich es jedoch nicht. Hingegen, begann ich
mit einer „Gegenoffensive“, indem ich mir einsuggerierte,
ich hätte die besseren Abwehrkräfte, und könne das
Prognostizierte einfach ignorieren. Als ich das 14. Altersjahr
hinter mir hatte, wusste ich, dass ich gewonnen hatte,
machte aber keinen Gebrauch davon und behielt das für
mich. Der Blinddarm war nie mehr ein Thema!
Wer nun denkt, die Wahrsagerei wäre für mich auch
abgeschrieben gewesen, irrt sich, im Gegenteil, wie die
Religion, wurde auch sie zu einem von vielen Fakultäten
der Paraspychologie, für die ich mich ab dem 13. Altersjahr
zu interessieren begann. An sich ganz normal, wenn man in
einem Gebiet den Durchblick nicht hat, muss man sich
intensiver damit beschäftigen.
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Kapitel 21
Der Unhold
Der Alltag war von vielen unwichtigen Vorkommnissen
belebt, doch daran erinnert man sich später kaum noch.
Ein Vorfall aber, der ist mir geblieben, ein etwas seltsamer,
wie wir gleich sehen werden.
Nachdem der „Piggerling“ seinen Meister verlassen hatte,
stellte der Bauer einen jungen Knecht als Ersatzmann ein.
Er führte den sinnigen Namen „Dällenbach“, deshalb
nannten wir ihn den „Kari“, obwohl er einen anderen
Vornamen hatte. Der „Kari“, rund 20 Jahre alt, fühlte sich
vermutlich etwas einsam, er versuchte mit den Schulkindern
Kontakte zu pflegen. Und weil die Höfe der Familien
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Schmutz und Stähli angrenzend waren, traf auch ich ihn oft
auf den Feldern. Vermutlich waren aber unsere Gespräche
nicht besonders interessant, denn ich kann mich nicht an sie
erinnern.
Eines Tages orientierte uns der Locher Ernst über einen
Vorfall, in dem der „Kari“ die Hauptrolle spielte.
Irgendwo in einer Scheune soll der „Kari“ einer Gruppe
Mädchen sein Glied vorgezeigt haben, er habe dabei erzählt,
was man alles damit anstellen könne. Erschrocken
berichteten die beiden Mädchen von Locher zu Hause
darüber, Erika war in der ersten Klasse, ihre Schwester
etwas jünger.
Entsetzt sahen sie das erigierte Glied und sprachen von
einem riesengrossen „Seiker“. Ein Wort, das ich zuvor noch
nie gehört hatte.
Der Ernst tat das einzig Richtige, statt viel Staub
aufzuwirbeln, sprach er unter vier Augen mit dem „Kari“,
klar und deutlich liess er ihn wissen, dass er nichts
unternehme, sofern sich solche Vorfälle nicht wiederholen.
Uns ersuchte er, die Geschichte nicht an die grosse Glocke
zu hängen, das taten wir auch nicht, aber wir machten uns
beim Zuckerrübenernten einen Spass daraus, die Mädchen
zu fragen, welche der Rüben dem „Kari“ am meisten
ähnlich waren?
Weil die Mädchen dabei aber sehr verlegen wurden,
unterliessen wir fortan diese Fragereien.
Irgendwie hatte aber dieser Fall für mich noch ein seltsames
Nachspiel. Der „Kari“ war auch oft in Kontakt mit der
Bigler Susi, (beim Vornamen bin ich mir nicht mehr ganz
sicher?) ihre Eltern führten neben dem Hof von Stähli ein
„Lädeli“, Susi war rund 2 Jahre jünger als ich. Als sie mich
im Gespräch mit dem „Kari“ erblickte, wurde sie
urplötzlich unglaublich grob und frech zu mir. Sie
beschimpfte mich mit allen erdenklichen Flüchen, welche die
berndeutsche Sprache damals hergeben konnte, und das
waren nicht wenige. Ich fragte den „Kari“ ob er wisse, was
in die gefahren sei, ich hätte mit ihr noch nie irgendwelche
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Meinungsverschiedenheiten gehabt und nun bombardiere
sie mich aufs übelste mit Schimpfwörtern. Der „Kari“ tat,
als wisse er nichts, machte aber eine dumme Bemerkung, die
mir geblieben ist:“Das ist doch die Liebe, jetzt verflucht sie
dich, später werdet ihr dann heiraten!“
Mir war aber damit nicht gedient, ich hätte dringend gerne
vernommen, was ich ihr gegenüber „verbrochen“ hatte?
Der „Kari“ arbeitete noch ein paar Monate beim Bauer,
dann verschwand er, und damit hörten auch die
Schimpftiraden der Susi auf.
Ich habe lange an diesem Fall herummeditiert, eigentlich
wollte ich die Susi einmal danach fragen, aber es ergab sich
nie eine Gelegenheit dazu. Ich denke, sie vermutete wohl,
dass der „Kari“ mir Informationen zu ihrer Person
zukommen liess, das war aber nicht der Fall. So blieb diese
Geschichte für immer ein Geheimnis mit vielen
unbeantworteten Fragen!
Kapitel 22
Der Aufseher
Die Zeit vom 11. bis zum 18. Altersjahr, waren für mich
insofern schwierig, weil ich als Knabe keinerlei Rechte hatte,
ich musste die verworrene Situation zu Hause einfach
hinnehmen, ohne dabei etwas ändern zu können. Die Schule
bildete dabei für mich absolut kein Problem, obwohl ich
auch da viel nachholen musste und kaum Aussicht auf den
Besuch einer höheren Schule bestand. Ich wurde deshalb
auch nicht stark gefordert, konnte mich langsam dem
Wissensstand der anderen Schüler angleichen, indem ich
intensiver an die Fächer heranging und den Stoff besser
behalten konnte.
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Zu Hause aber war das totale Chaos, meine kleinen
Geschwister taten mir leid, das war keine sorglose
Jugendzeit, weder für mich noch für sie!
Der Druck, der da auf mir lastete, war aber zu gross, darum
spinnte ich eine Art von Schutzhülle um mich, und fühlte
mich trotz dieser Belastungen recht gut und versuchte,
soweit möglich, das Leben auf meine Weise zu geniessen.
Obwohl ich in der Freizeit immer arbeitete, fand ich noch
genug Zeit um Bücher zu lesen, ins Kino zu gehen, in die
Museen der Stadt Bern, ja, sogar ins Theater, um dort das
„Tell Spiel“ zu anzuschauen. Ganz besonders hatten es mir
die Kulturfilme an den Sonntagvormittagen angetan, diese
schwarz-weiss Filme zeigten praktisch nur „Wilde“ aus
Afrika, Neuguinea, Amazonien, etc., und die wilden Frauen
waren splitternackt!
Es war die einzige Möglichkeit, nackte Frauenkörper zu
bewundern, in den Nudistenheftchen gab es zwar noch
weisse Frauen zu bestaunen, aber diese Filme waren eben
doch viel interessanter. Irgendwie wurde bekannt, dass
besonders viele Jugendliche und auch Knaben wie ich,
sich für diese Kulturen interessierten, die schönen Filme
wurden nicht mehr gezeigt!
So musste ich mich wieder mit den Nudistenschriften
begnügen, nun ja, ich war zwischen 12 und 14, und die alte
nette Frau im Ryfligässli, fragte mich jedes Mal:“Aber
gäälet, Sie sind 18 gsi?“ Und ich antwortete immer:“Ja , ja,
ich muss nächstes Jahr in die RS“(Rekrutenschule). Es
gingen dort eben viele Halbwüchsige ein und aus, und
deshalb hatte sie vermutlich meine Rekrutenschule jeweils
wieder vergessen!
Wie wichtig diese Nacktfotos damals für mich waren, zeigt
die folgende Geschichte, ich hatte wieder einmal so ein
farbiges Heftchen gekauft, nach dem Schloss Köniz, zweigt
eine Strasse Richtung Schliern ab und die andere Richtung
Gasel, beide waren distanzmässig gleichweit bis ins Schlatt,
nur war jene über Gasel besser mit dem Velo zu fahren.
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Ich zweigte somit Richtung Gasel ab, da sah ich die grosse
Kiesgrube links von mir, etwa 80 Meter danach, ich fahre
direkt in die Grube und greife zum Nudistenheft, konnte es
einfach nicht ertragen, noch bis nach Hause warten zu
müssen um die Fotos zu bewundern!
In all den Jahrzehnten, wenn ich dort vorbei kam, war es
diese Episode, die in mir auftauchte, und ich konnte ein
leichtes Lachen einfach nicht unterdrücken. Im Postauto
dachten die Leute wohl, ich hätte einen lustigen Tag, wenn
ich mit dem eigenen Auto daran vorbei fuhr, erlaubte ich
mir sogar ein lautes Lachen! Und wenn ich als Mitfahrer
dabei war, gab es Momente, da musste ich mein Kichern
sogar erklären!
Tante Marie, die Schwester von Vater, war in Bolligen BE,
zu Hause, wo sie mit einem E. Trachsel verheiratet lebte,
drei Knaben, den Ueli, den Ruedy und den Nachzügler
Peterli, aufzog. Trachsel war Aufseher in der „Irrenanstalt
Waldau“. Ich denke, ich hatte ihn noch gar nie getroffen,
also fuhr ich an einem Sonntagnachmittag nach Bolligen.
Der Ueli und Ruedy waren auch im Haus, beide älter als ich,
für sie war ich ein Knabe, aber ich unterhielt mich am Tisch
mit dem Vater Trachsel. Erinnern kann ich mich aber nur
noch an einen Satz von ihm:“Weiss Du, wenn man immer
um Irre herum ist, spinnt man plötzlich auch!“
Diese Aussage beeindruckte mich stark, auf dem Weg nach
Hause sinnte ich darüber nach, war auch erfreut, wie er sich
mit mir, einem Knaben unterhielt. Nur wenige Wochen
später, erhängte er sich, nun war mir klar geworden, was er
mir damals wirklich sagen wollte! (Ruedy starb bereits im
Alter von 32 Jahren an den Folgen einer Bluterkrankung,
sein älterer Bruder Ueli starb am 4. August 2007 im Alter
von 75 Jahren an einem Herzschlag!)
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Kapitel 23
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Die Pistole
Wie bereits erwähnt, gab es für mich diverse
Erwerbsmöglichkeiten, einmal als Ausläufer für die
Gärtnerei Suter, dann als Sammler von Altmetallen und
Patronenhülsen, als Kaninchenzüchter, Mäuse und
Spatzenjäger, sowie meine Arbeiten auf den Bauernhöfen in
der näheren Umgebung. Vom 10. bis 12. Altersjahr, war ich
auch mit allerlei Arbeiten in der Gärtnerei beschäftigt.
Die Entschädigungen entsprachen mit einer Ausnahme
immer meinen Erwartungen. Das war während zweier
Wochen „Heuferien“ im Juni, als mich Kleinlandwirt Kohli
auf dem „Busenhügel“ fragte, ob ich gewillt wäre, zwei
Wochen bei ihnen mitzuhelfen. Ich sagte zu, wobei die
Entschädigung nie zum voraus vereinbart wurde, diese
richtete sich nach meinem Arbeitseinsatz. Und ich schuftete
zwei Wochen vom frühen Morgen bis zum späten Abend.
Das Essen war schlecht, so präparierte Frau Kohli den Salat
mit Zucker statt Salz, das schmeckte scheusslich!
Ich rechnete mir aus, dass ich als Lohn mit etwa Fr. 40.- bis
50.- rechnen konnte, dieser Betrag zahlten die meisten
anderen Leute für zwei Wochen Arbeit. Und am Schluss
reichte mir Herr Kohli ganze 5.- Franken für diese Zeit!
Am liebsten hätte ich ihm den Hals umgedreht, aber er
musste nur meinen Blick erkennen. Klar, dass ich allen
erzählte, was für ein schäbiger Geizhals der Kohli sei.
Nicht selten bestellte ich meine Kleider und Schuhe über
Postversandgeschäfte, etwa beim „Gilli“ oder „Voegele“.
Schon seit längerer Zeit wollte ich aber eine Pistole kaufen,
damit ich Krähen und Spatzen schiessen konnte. Vom
Versandhaus „Ichy Freres“ in Yverdon erhielt ich einen
grossen Katalog, und unter den vielen Waffen fand ich eine
Kleinkaliberpistole, welche ich auch zahlen konnte. Damals
war es möglich, sämtliche Schusswaffen ohne Waffenschein
zu erwerben. Ich sandte am Samstag meine Bestellung an
die Fa. Ischy. Weil die Ware aber als Nachnahme
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versandt wurde, musste ich zumindest Mutter informieren,
weil ich vermutlich bei der Auslieferung in der Schule
steckte.
Am Sonntagmittag war wieder einmal Familienwanderung
angesagt, das ging immer mit dem gleichen Ritual vor sich,
vorne liefen Vater und Mutter, meistens zankten sie sich
über irgend ein Bagatell, neben oder hinter ihnen durften
wir drei Kinder laufen, aber nie voraus eilen, das gab eine
laute Schelte von Vater ab. Was für ein ungezogener
„Saugoof“ man doch sei, ohne Respekt vor den Eltern!
Ich hatte mit dieser Auffassung immer Probleme, konnte
einfach den Sinn darin nicht erkennen.
Ich informierte Mutter über die Sendung, die ich da
erwarte, Vater wollte wissen, was ich denn bei Ichy bestellt
habe? Ich sagte die Wahrheit, aber dann donnerte er
los:“was fällt dir eigentlich ein, ein „Schulgoof“
mit einer Pistole, willst du mich damit erschiessen?“
Der Nachmittag war hin, wir kehrten nach Hause zurück,
ich dachte vorher gar nicht an diese Variante, das war auch
kein Thema, dafür hatte ich Fäuste und war bereits grösser
als Vater. Ich erklärte sogleich, dass ich die Bestellung
stornieren werde und ohne Pistole Spatzen einfangen werde.
Ich schrieb eine Postkarte und erklärte, weil ich erst 13
Jahre zähle, habe man mir den Kauf verboten.
Es kam weder eine Bestätigung noch eine Sendung. Bis zu
meiner Volljährigkeit hatte ich verschiedene Momente, dass
ich Verträge zeichnete und dann stornierte, natürlich immer
unter Hinweis, dass ich noch nicht handlungsfähig
wäre. Diese Tatsache wurde immer anerkannt, und ich hatte
nie Probleme mit Stornierungsgebühren und dergleichen.
Kapitel 24
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Lehrer Schmied
Gottfried Schmied (Godi) war nicht einfach ein Lehrer, er
war so etwas wie eine Ikone! Hände und Füsse waren bei
Geburt verkrüppelt, das hinderte ihn nicht daran, ein
besonderer Schullehrer zu werden. Seine Lebenseinstellung
war deutscher als Deutsch, nur was aus Deutschland kam,
war generell gut, die deutsche Kultur und Sprache stand bei
ihm über allem. Soweit möglich, bezog die Schule damals
das meiste Schulmaterial aus Deutschland. Und im 9.
Schuljahr wurde Plattdeutsch und die Keilschrift gelehrt.
Und interessant auch, dass bereits mein Vater bei Godi
Schmied Schüler war und damals auch tüchtig verprügelt
wurde!
Im Frühjahr 1952, beim Eintritt in die 7. Klasse, war es für
mich soweit, mein Lehrer war nun Godi Schmied, gut 43
Jahre nach meinem Vater! Und Schmied begrüsste mich
entsprechend: “Du bist wohl der gleiche Lausbub wie schon
dein Vater, dem habe ich die Flausen aber gründlich
ausgetrieben, also gib gut Acht!“
Mich traf diese Begrüssung wie ein Schock, galt ich doch als
Musterschüler in Sachen Fleiss und gutem Benehmen, ich
war etwas aufgebracht und nahm mir fest vor, ihm keinerlei
Anlass für Beanstandungen zu geben.
Ich informierte meinen Vater und dieser lachte nur und
sagte: „Ja, dieser Godi, der verpasste mir schon am ersten
Tag eine Tracht Prügel“. Er wollte aber nicht damit
herausrücken, ob die Strafen gerecht waren oder nicht, das
vernahm ich dann vom Weber Chrigu und dem Hoferhausi.
Beide wussten, dass er die Prügel durchaus verdient
verabreicht bekam.
Nach ein paar Monaten, anlässlich einer Unterrichtslektion,
entschuldigte sich Schmied bei mir direkt und diskret für
das Vorurteil! Ich war wieder überrascht, fand aber seine
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Geste grossartig, er, der um die 67 Jahre zählte, war sich
nicht zu wenig, sein Fehlurteil zu revidieren!
Es war klar, dass er fortan für mich ein Superlehrer war,
dem ich nie Schwierigkeiten bereiten wollte. Seine
Ratschläge nahm ich auf wie ein Evangelium, lebte danach
und stellte sie auch nicht in Frage.
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Kapitel 25
Der Korea Krieg
Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.
Geschichte und Politik gehörte damals zu meinen
Lieblingsfächern, ich verfolgte die Aussenpolitik im Radio
und in der Presse. Da auch Ruedi Schmutz sich dafür sehr
interessierte, war unser Schwerpunkt auf dem Schulweg die
Politik und der Korea Krieg, welcher von 1950 bis 53 tobte.
Wir hatten damals noch Naturstrassen, ich erinnere mich,
dass wir den jeweiligen Frontverlauf am Strassenrand in
Sand und Kies einzeichneten, dieser Krieg war so etwas wie
ein Spiel, als die Amerikaner nahezu alles verloren hatten,
machten wir uns schon Gedanken, wie die sich von der
Halbinsel absetzen werden?
Es kam aber anders, die Amis und ihre Nato-Verbündeten,
landeten in der Mitte der Halbinsel und schnitten die
Nordkoreaner im Süden ab. Plötzlich hatte sich das Blatt
völlig gewendet, das brachte jeden Tag neue Spannung.
Dann sandte MAO eine Million „Freiwillige“ nach
Nordkorea, wir befürchteten wieder das Schlimmste für die
Nato Truppen. Aber die Chinesen waren nur zahlenmässig
hoch überlegen, als Soldaten schlecht bewaffnet und deshalb
für die AMIS leicht bezwingbar.
Schliesslich ergab sich am 38. Breitengrad eine
Pattsituation, es wurde ein Waffenstillstand geschlossen, der
heute noch Gültigkeit hat.
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Für uns war es mehr als nur Krieg und Geschichte, es war
eher wie ein Sport oder ein Spiel mit allen seinen
Spannungen und Überraschungen, ich nehme an, dass
heutzutage die Schüler keine derartigen Gespräche auf dem
Schulweg pflegen?
Kapitel 26
Deubelbeiss und
Schürmann
Mit etwa 11 Jahren kaufte ich mir meine erste Armbanduhr,
eine der Marke „Türler“, die ich beim Flühmann an der
Berner Marktgasse erwerben konnte. Ich war mächtig stolz
auf meine schöne Uhr, sie war für mich wie ein Amulett,
etwas Besonderes!
Aber nicht alle Leute waren der Ansicht, ich dürfte über
eine Uhr verfügen, in der Schule waren wir nur etwa zwei
oder drei Schüler, welche eine Armbanduhr hatten, und die
Lehrerschaft diskutierte sogar, ob man so was nicht
verbieten sollte? Dass aber ausgerechnet einer der aller
ärmsten Schulkinder über eine Uhr verfügte, das wollten
manche nicht verstehen. Und Mutter wurde sogar
diesbezüglich ausgefragt, sie sagte nur die Wahrheit, dass
ich eben hart arbeite und über eigenes Geld verfügen könne!
Und ich hatte auch eine Lösung, sollte das Uhrtragen
verboten werden, ab in die Hosentasche damit. Aber es kam
nicht soweit.
Man schrieb ungefähr das Jahr 1950 oder 51, als in der
Schweiz plötzlich amerikanische Zustände Einzug hielten,
zumindest in einem Fall. Zwei Gangster, Deubelbeiss und
Schürmann, bewegten die ganze Schweiz. Sie schossen sich
ihre Fluchtwege frei, verfügten über selbst umgebaute
Maschinenpistolen, im Kanton Aargau lieferten sie der
Polizei eine grosse Schiesserei!
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Während Tagen kannten wir nur noch ein Thema, die
beiden Gangster und wann sie eingefangen werden?
Mit grösster Spannung wartete ich auf die Nachrichten im
Radio Beromünster. Und die Verfolgung der beiden war
während einer ganzen Woche im Mittelpunkt. Ich war sehr
aufgeregt, hoffte, dass man sie möglichst lange nicht
einfangen konnte, doch dann wurden sie wegen einer
Baskenmütze überführt.
Aus der Traum vom grossen Geld, ihre Taten wirkten
damals eher als Abschreckung, sie waren zwar äusserst
brutal durchgeführt worden, aber sehr stümperhaft
organisiert, nachträglich wusste jeder von uns, wie sie es
besser hätten machen können.
Kapitel 27
Esther Williams
Seit dem 6. Altersjahr, also seit ich lesen konnte, las ich
regelmässig die Zeitungen. In Frankreich begann ich mit der
Sammlung einer Bildgeschichte, welche „Colombia“ hiess.
Colombia war eine sehr hübsche Frau mit langen schwarzen
Haaren und schneeweisser Gesichtshaut, dunklen Augen
und sehr weiblich!
Die Serie wurde während Jahren gedruckt und ich nahm
nur sehr ungern Abschied von ihr, als ich in die Schweiz
zurück wanderte. Die Columbia war mein Traumbild, sie
blieb tief in meinem Unterbewusstsein zurück, vermutlich
das ganze Leben.
Auch noch mit 60 Jahren und danach, fragte ich mich oft,
weshalb mich Frauen mit diesen Eigenschaften derart
faszinierten? Die Antwort ging bis in die frühesten
Jugendjahre zurück, anders konnte ich mir das nie erklären.
Aber kaum in der Schweiz eingelebt, begann ich erneut mit
dem Sammeln von Zeitungsausschnitten, hauptsächlich über
Reisen in ferne Länder und historische Sachen. Ich
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abonnierte ein Monatsmagazin, den „Kriminalspiegel“,
darin wurden besonders interessante Kriminalfälle
beschrieben, aber auch viel über neue Filme und deren
Darsteller. Und einmal sah ich im Kino den schönen
Film;“Eine Nacht in der Südsee“, mit Gary Cooper und
Esther Williams, ein sehr schöner und vor allem
romantischer Film aus der Südsee. Natürlich hätte ich auch
diesen Film nicht sehen dürfen! Aber ich verliebte mich
dabei „platonisch“ in die Esther Williams. Und da der
Kriminalspiegel auch einen Leserdienst anbot, mit dem man
sich über Filmsterne orientieren konnte, schrieb ich um
Informationen zu Esther Williams zu kriegen. Und ich
erhielt einen Lebenslauf von ihr, und dazu ein Farbfoto!
Ich war total begeistert, trug das Bild stets auf mir und
zeigte es den Kollegen, denen ich sagte, das wäre nun meine
Freundin. Schliesslich trugen einige Mädchen auch ein Bild
von Hugo Koblet auf sich!
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Kapitel 28
Mutters Vorschlag
Im August 1952 wurde ich 14, es begann mit dem
Stimmbruch, mit Pickeln im Gesicht, ein Leiden, das mir
während Jahren Probleme bereitete und nie ganz beseitigt
wurde.
Meine Körpergrösse entsprach meinen Zielen, ich hatte mir
mit 10 Jahren zum Ziel gesetzt, die Körperlänge von 180
Zentimeter zu erreichen, das war etwas hochgesteckt, in der
Verwandtschaft war niemand über 172 cm, ich war jedoch
fest davon überzeugt, auch da aus der Reihe zu tanzen. Mit
14 hatte ich 176/77 erreicht, ich wuchs dann noch runde 3
Zentimeter und war mit 16 fast auf den Millimeter genau
180 ! Ab 15 ½ war keinerlei Wachstum mehr zu
verzeichnen, das hatte zur Folge, dass mich gleichaltrige
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Kollegen, die noch bis 18 wachsen konnten, an Grösse
überholten. Ich hatte mein Ziel erreicht, darum ist es auch
möglich, dass ich selber die Schuld an diesem frühen Stopp
trage?
Ich machte mir keinerlei Gedanken über eine Berufslehre,
hatte absolut kein Handwerk in Aussicht, das mich hätte
begeistern können, heimlich hoffte ich, ich könnte noch
lange die Schule besuchen. Tief im Unterbewusstsein, steckte
mein Interesse an einem Geschichtsstudium, daran war aber
in der Realität nicht zu denken, nicht einmal eine
kaufmännische Lehre lag im möglichen Bereich!
Schliesslich konnte ich mich bisher auch durchschlagen und
es würde sich schon ergeben, also weshalb sich jetzt schon
darüber Sorgen machen? Damals war es üblich, nach
Schulende ein Jahr ins Welschland zu gehen, und erst
danach eine Lehre anzutreten. Nun war aber mein Fall
anders gelagert, ich hatte bereits genug lange Französisch
Unterricht gehabt, also erübrigte sich für mich dieses
Welschlandjahr.
Mutter hatte einen Vorschlag, den ich gar nicht so abwegig
fand, obwohl ich damals nicht ahnen konnte, dass sie dabei
einen Hintergedanken hatte.
Im „Das Gelbe Heft“, war eine Anzeige aus dem Emmental,
ein Landwirt suchte einen etwa vierzehnjährigen Burschen
als „Käsereibuben“, welcher dabei seine
Konfirmandenkleidung abverdienen könne.
Ein solcher Massanzug konnte mehr als 500.- Franken
kosten!
Für mich also ein kleines Vermögen.
Ich stimmte zu und so fuhr uns Onkel Otto an einem
Sonntag nach Konolfingen Dorf, zum Landwirt Christian
Buri.
Wir kamen überein, dass ich nach Ostern 53, eintrete, und
bis zur Konfirmation und Schulende im Frühjahr 1954
bleibe. Zur Bedingung wurde gemacht, dass ich an den
Abenden nicht ausgehe, für mich kein Problem, da ich lieber
Bücher las.
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Ich war begeistert, endlich weg vom Familienkrieg, und ich
konnte meinen Horizont erweitern, die Schule wechseln,
wobei ich plante, endlich das fehlende Schuljahr zu
überspringen. Ich schaute mit viel Optimismus meinem
neuen Lebensweg entgegen. Statt ins Welschland ins
Emmental, sagte ich den Leuten im Schlatt.
„Noch lieber würde ich aber nach Kalifornien auswandern“,
äusserte ich zu Onkel Otto.
Kapitel 29
Abschied
Erstmals in meinem Leben verliess ich meine Familie, ich
war 14 ½ jährig, ganz im pubertären Alter, eine innerliche
Kraft und Wut macht sich in mir bewusst breit, ich hätte am
liebsten die ganze Erde umklammert, einmal bewunderte ich
Adolf Hitler, dann wieder sah ich im Kommunismus den
rettenden Ausweg, verfluchte alles in meiner Umgebung,
machte ernsthafte Pläne, um bei einem auftauchenden
Problem sogleich in die französische Fremdenlegion
einzutreten. Es war mir bekannt, dass man dort aus einem
Vierzehnjährigen gleich einen Achtzehnjährigen machte.
Konstanz war für die Schweizer am einfachsten, gleich nach
der Grenzkontrolle wurde man von einem grossen
Werbeplakat für die Legion begrüsst.
1955 konnte ich es dann selber bestaunen, als ich erstmals
nach Konstanz fuhr.
Es war eine gute Lösung, bei all diesen Frustrationen, nach
Konolfingen, „auszuwandern“.
Meine Anreise durfte ich telefonisch bei der Familie Buri
anmelden, das Besondere daran war, dass ich zum ersten
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Mal im Leben telefonieren konnte! Otto hatte bekanntlich
ein Telefon, aufgeregt drehte ich die Zahlen an der Scheibe
durch, dann das Klingelzeichen und ich wunderte mich, ob
das Gespräch zustande kommen konnte. Es funktionierte
und ich fühlte mich wie ein Pilot, der zum ersten Mal ein
Flugzeug steuern durfte. Meine Kleider packte ich in einen
Rucksack, den ich auf den Gepäckträger festmachte.
Dann verabschiedete ich mich und fuhr los, Richtung Köniz,
dann das Köniz-Tal entlang bis nach Kehrsatz, Belp,
Münsingen, Rubigen, dann folgte eine leichte Steigung bis
Konolfingen Kreuzstrasse, von dort die Strasse hinauf in
Richtung Grosshöchstetten, bis Konolfingen-Dorf.
Die Ankunft habe ich vergessen, war vermutlich nicht
besonders emotional.
Ich erhielt ein grosses Zimmer, welches über dem
Wohnzimmer lag, neben mir war die alte Elsa, eine etwas
mongoloide Person von ca. 80 Jahren. Weiter hinten hatte
die Haushaltlehrtochter ihr Zimmer, sie war ein Jahr älter
als ich mit einer Art von Wasserkopf. Ich mochte sie von
Anfang an nicht richtig leiden, das beruhte auf
Gegenseitigkeit. Die Familie hatte vier Kleinkinder, einen
alten Melker, sowie einen sardinischen Hilfsarbeiter, mit
Namen Ignacio. Die Eltern wohnten im Stöckli nebenan,
dort wohnte auch noch die Familie Hofer, und die junge
Frau Hofer war ein besonderer Fall für mich, sie lebte zuvor
mit ihrem Mann mehrere Jahre in den USA!
Am Abend zog ich mich in mein Zimmer zurück, aus einem
Schrank suchte ich mir ein Buch aus, versuchte zu lesen,
aber plötzlich überkam mich eine grosse Leere und Frust,
ich fühlte mich völlig einsam und verlassen!
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Kapitel 30
Das Leben ist anders
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Die Bücher, die mir als Lesestoff zur Auswahl standen,
entsprachen nicht unbedingt meinen Interessen und
Vorstellungen.
Aber ich durfte ja auch einmal etwas anderes als Abenteuer
und Wildwestromane konsumieren. So begann ich mit dem
Buch „Hinter Pflug und Schraubstock, von John Bull.
Und weil ein Buch nur ganz selten völlig inhalts- und sinnlos
sein kann, konnte ich auch aus diesem viele gute Gedanken
und Ideen schöpfen.
Ich wurde über meinen Aufgabenkreis instruiert, morgens
um 05.30 Tagwache, dann Kühe füttern und im Kuhstall
ausmisten, gegen 06.30 das Pferd „Jöggu“ „tschierren“
und an den Käsereikarren festmachen. Danach mit den
Milchkesseln ins Dorf hinauf fahren, die Milch abliefern und
zurück zum Frühstück. Um 07.40 ab in die Schule, die sich
ebenfalls oben im Dorf befand. Über die Mittagszeit war
„Schweinehüten“ Trumpf, der Ignacio trieb die Schweine
hinaus und ich sollte zu ihnen schauen, während dieser Zeit,
musste er den Schweinestall reinigen.
Danach wieder Schule bis etwa 16 Uhr, nach dem „Zvieri“
hatte ich Zeit für die Hausaufgaben. Danach war wieder
Stalldienst bis etwa 18.30, wobei ich abends auch gegen drei
Kühe melken durfte oder sollte. Um 18.30 wieder
Käsereifahrt, dann Nachtessen, Kühe zur Tränke führen
und den Stall reinigen. Gegen 20 Uhr war in der Regel
Feierabend.
An einem Nachmittag in der Woche war noch
Konfirmandenunterricht in Konolfingen-Stalden. Während
den Schulferien hiess es natürlich auf dem Hof arbeiten,
statt in der Schule ausruhen.
Mein Vorgänger war ein Hans Mosimann, er wohnte in der
Nähe bei den Eltern. Stolz zeigte er mir den Job, er schien
den Umgang mit dem Pferd zu geniessen und bedauerte
etwas, dass er nun sein Welschlandjahr in Cudrefin,
antreten werde.
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Kapitel 31
Endlich in der 9. Klasse!
Die Osterschulferien waren vorbei, für mich kam der erste
Schultag in Konolfingen. Ich hatte meine Schulbücher aus
Oberscherli in einen Rucksack gepackt und nun stand ich
mit diesem auf dem Rücken vor der ganzen Klasse.
Wartete auf die Ankunft des Lehrers, dieser kam und
fragte, in welcher Klasse ich wäre, ich nannte die 8. Klasse
in welche ich nun kommen sollte, er verstand das aber
anders: „Dann bist du jetzt in der 9. Klasse, du kannst dort
hinten sitzen, wo noch Platz frei ist“.
Ich übergab ihm das Zeugnis, dann erkannte er das
Problem, er schien meine Gedanken lesen zu können, denn
er sagte sogleich:“Wir versuchen es in der 9. Klasse!“
Das schlug bei mir wie ein Blitz ein, endlich sass ich in der,
nun meinem Alter entsprechenden Klasse. Ja, ich war nun
sogar einer der jüngsten Schüler.
Der Lehrer, Hans Röthlisberger, war als Sekundarlehrer
Qualifiziert, er war eine herausragende Persönlichkeit, ein
grosses Vorbild auch für mich!
Damals, als die Körperstrafe noch überall praktiziert
wurde, konnte er mit seiner Art darauf verzichten, er
verstand es, Disziplin und Ordnung ohne Gewallt
durchzusetzen. In den Pausen blieb ich oft im Schulzimmer
und zeichnete Bilder oder büffelte Mathematik,
Röthlisberger erteilte mir in den Fächern, in denen ich noch
einen Rückstand aufwies, nach Schulschluss bei ihm zu
Hause Nachhilfeunterricht, er war damals bereits über 65,
ich glaube, er arbeitete bis 70. Seine ebenfalls bereits betagte
Frau servierte uns jeweils einen Tee, und all das ohne einen
Rappen zu zahlen, und ich nahm das als
Selbstverständlichkeit entgegen, weil ich dachte, ich müsse
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doch mehr lernen und erbringe einen zusätzlichen Aufwand,
oder sogar, ich würde ihm damit einen Gefallen erweisen.
Erst später wurde mir bewusst, was dieser Lehrer
unentgeltlich leistete, nur weil er sah, dass ich gut mitmachte
und lernen wollte. Einmal mehr wurde ich zum
Musterschüler, im Unterricht war ich immer 100% dabei,
gewöhnte mich an, auf jede Frage immer die Hand hoch zu
strecken. Das hatte zur Folge, dass er mich fast nie fragte,
beim Geschichtsunterricht pflegte er zu sagen:“Gut, wenn es
niemand weiss, fragen wir den Geschichtsforscher“. Dabei
fühlte ich mich immer hoch gelobt, schliesslich wollte ich ja
ein Geschichtsforscher werden, Lehrer Röthlisberger hätte
mir dabei sicher sehr geholfen, aber so ein Studium lag nun
einmal nicht im Bereich des Möglichen! Nur in einem Fach
blieb ich stur und passiv, singen, das war einfach für mich
damals nicht aktuell. Später bedauerte ich, dass ich dem
nicht mehr Aufmerksamkeit schenkte. Röthlisberger war
für mich eine Art von Übervater, ein wahrer Humanist.
Er beherrschte auch die gotische Schrift hervorragend, und
später, als er bereits im Ruhestand war, ersuchte ich ihn,
mir das Alphabet in dieser Schrift zuzustellen. Er tat das
natürlich prompt und kostenlos, während mehreren Jahren
schickte ich ihm an Neujahr eine Grusskarte die er immer
sehr freundlich erwiderte, er konnte so auch meine
Dankbarkeit erkennen, wie hoch ich ihn einschätzte und wie
vorbildlich er sich zeigte. So verdankte ich ihm auch mein
späteres Interesse an der Parapsychologie, er pflegte
während dem Unterricht mit Suggestion und Hypnose zu
arbeiten, das liess er uns auch wissen, nur war ich wohl der
einzige Schüler, der sich näher dafür interessierte.
Ich kaufte am Kiosk ein Lehrbuch über Suggestion und
Hypnose, damit begann für mich das langjährige Studium
der Parapsychologie! Ich behielt das aber für mich, getraute
mich nicht, dem Lehrer meinen Bucherwerb mitzuteilen.
Ich denke aber, er hätte sehr positiv darauf reagiert,
trotzdem vernahm er nichts von mir.
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Kapitel 32
Der schockierende Brief
Einmal im Monat hatte ich einen freien Sonntag. Das hiess,
am frühen Morgen Stalldienst und Käserei, danach
Frühstück und ich konnte meinen freien Tag beginnen, am
Abend um 18.00 Uhr musste ich aber wieder zurück sein,
um in die Käserei zu fahren. Diesen Urlaub wollte ich
ausschliesslich für den Besuch meiner Familienangehörigen
reservieren. Die Reise erfolgte immer mit dem Fahrrad und
auf der gleichen Strecke. Ich war erst wenige Wochen in
Konolfingen, arbeitete mit zwei Pferden auf einem Acker,
den ich „eggen“ musste, um 9.30 brachte die Lehrtochter
den Znünikorb, meistens ein grosses Dunkelbrot, ein
ebenso imponierendes Stück Emmentalerkäse mit saurem
Most. Als Milchlieferant, konnte der Bauer den Käse stark
verbilligt von der Genossenschaft einkaufen. Ich freute
mich jeweils auf dieses „Holzfäller-Znüni“, aber an diesem
Morgen brachte mir die Lehrtochter noch einen Brief.
Absender war Mutter, aber nicht im Schlatt, sondern
irgendwo im Kanton Thurgau!
Ich ahnte was geschah, las aber den Brief etwa dreimal
durch, ja, es war klar und brutal, Mutter verliess mit den
beiden Kleinkindern die Wohnung im Schlatt. Erstens
wegen der ständigen Trunkenheit von Vater, zweitens wegen
ihrem Kleinkrieg mit Onkel Otto. Sie werde niemals mehr
ins Schlatt zurück kommen! Ja, der Scherbenhaufen war
vollständig! Ich machte mir besonders grosse Sorgen über
das Schicksal der beiden Geschwister, ich konnte und wollte
diese Trennung nicht akzeptieren. Vorerst schrieb ich der
Mutter, dass sie eine Kompromisslösung finden solle, weil
dieser Zustand für alle nur Nachteile bringen, besonders
solle sie aber an die zwei Kleinkinder denken.
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Zählte auf, wie Kinder in solchen Situationen enden und
dass dies bei uns nicht auch so sein müsse.
Ich hatte nun noch ein zusätzliches Problem, das ich allein
nicht lösen konnte. Mutter arbeitete als Hausangestellte bei
einem Bauern (Leo Michel) in Lustdorf, TG. Klara besuchte
dort die Schule, als dann Ernst schulpflichtig wurde, brachte
ihn Mutter ins Schlatt zurück. Vater trank keinen Alkohol
mehr, er hoffte damit, dass Mutter wieder zurück finde.
Aber sie blieb stur im Thurgau. Ernst wurde von Tante
Marie, die Frau von Onkel Otto, betreut, für diese Arbeit
erhielt sie meines Wissens nie eine Entschädigung?
Während den neun verbleibenden Monaten radelte ich nach
Hause, informierte Vater über meinen Job, machte
Vorschläge, wie das Problem mit Mutter gelöst werden
könnte. Natürlich war mir nun auch klar geworden, weshalb
Mutter mich damals drängte, nach Konolfingen zu gehen,
sie hatte dadurch mehr Spielraum.
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Kapitel 33
Die Rache des „Jöggu“
Das Pferd „Jöggu“ war praktisch nur für mich da, um mit
ihm in die Käserei zu fahren, als Ackergaul war er nicht
geeignet, zudem überzählig, es gab kein Partnerpferd für
ihn zum einspannen. So gesehen hatte der „Jöggu“ ein
schönes Leben, und trotzdem war er mit mir immer
ungehalten. Der Grund dafür war mir auch klar, sowohl am
Morgen, wie auch am Abend, musste ich ihn immer mitten
in seiner „Fresszeit“ stören und ihm den Halfter und das
Pferdegeschirr überstreifen. Er schüttelte dabei immer den
Kopf, was „Nein“ hiess, war dann auf dem ganzen Weg
schlechter Laune und schenkte mir nur böse Blicke.
Manchmal wollte er mich auch beissen, liess es aber bei der
Drohung. An einem schönen Abend machte er aber ernst,
als ich ihm das „Geschirr“ über den Kopf streifte, bewegte
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er in der Regel seinem rechten Fuss einen Schritt nach
vorne, dabei landete sein Huf neben meinem linken Fuss.
Aber diesmal nicht daneben, sondern mit ganzer Wucht auf
meinem Gummistiefel, und er drückte noch fest zu, so, dass
der Stollen genau hinter der grossen und zweiten Zehe
landete!
Ich hörte ein Knacken im Fuss und es folgte ein starker
Schmerz. Der „Jöggu“ blieb genüsslich auf meinem Fuss
und machte sich noch speziell schwer, erst als ich ihm an das
Bein schlug, liess er davon ab.
Ich hinkte fortan, ging aber nicht zum Arzt, das heisst, es
wurde nicht für nötig befunden, sowohl der Bauer, wie auch
die Prüfungsexperten anlässlich der Turnprüfung, waren
der Ansicht, dass ich lediglich simuliere. Nach etwa einem
halben Jahr war der Schmerz weg, ich hatte aber ein gut
sichtbares „Überbein“ das mich lebenslänglich begleitete, so
konnte ich den „Jöggu“ nicht vergessen! Beim Kauf von
Schuhen musste ich zudem immer auf diese Vergrösserung
hinweisen, wenn der rechte Schuh gut passte, konnte der
linke zu klein sein. Wenn ich den Verkäuferinnen meldete,
das Problem sei von einem Pferd verursacht, schauten sie
mich ungläubig an, ich zog es deshalb später vor, nur von
einem Unfall zu sprechen.
Kapitel 34
Schrecksekunden
Das Essen war verhältnismässig gut, nur „Chäschuechli“
mochte ich absolut nicht, sonst konnte ich mehr oder
weniger alles essen, ich hatte ja auch immer einen grossen
Hunger. Eine Dusche oder Bad gab es nicht, man musste
sich auch im Winter am Brunnen in der freien Natur
waschen, die Toilette war ein „Klumpsklo“ über dem
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Güllenloch. Es roch immer fürchterlich nach Gas und
ähnlichen Aromen.
Die drei Dienstsonntage im Monat verbrachte ich immer im
Wohnzimmer der Familie, dort konnte ich ungestört den
amerikanischen Soldatensender aus Deutschland abhören.
Ich hatte mir auch das grosse „Cowboybuch“ gekauft, las
dieses mehrmals durch und träumte von einem „Wilden
Westen“ den es gar nicht gab, ich hatte nur noch ein Ziel,
nach Kalifornien auswandern.
Der Buri hatte zwei Brüder, welche als Käser nach
Wisconsin/USA, ausgewandert waren, sie schrieben lange
Briefe über das Leben dort. Der Buri pflegte die Briefe am
Mittagstisch vorzulesen, das war für mich natürlich ein
Hilight.
Der „Joggu“ war ein schwieriges Pferd, das wussten alle, er
war auch sehr schreckhaft und das hiess für mich, stets auf
einen Anfall von ihm vorbereitet zu sein!
Ich war kräftig und fühlte mich auch stark, die Kühe schlug
ich nicht mit einem Stab, sondern mit den Fäusten, quasi als
Training. Manchmal boxte ich gegen Holz, um die Fäuste
abzuhärten. Ich war fest überzeugt, dass ich keine stärkeren
Männer antreffen könnte. Nun ja, es war an einem schönen
Sonntag, ich war mit dem „Jöggu“ auf dem Rückweg von
der Käserei, der Karren war ähnlich gebaut wie jene aus
dem Film „Ben Hur“, ich musste darin auch stehen und
beide Zügel in den Händen halten. Vom Dorf herkommend
zweigte man in die Hauptstrasse nach Grosshöchstetten ein,
eine hohe Mauer versperrte die Sicht, so, dass ich nicht
sehen konnte, was von unten anfuhr. An Sonntagen fuhren
Autos in beide Richtungen, nicht viele, aber mehr als
während der Woche. Ich bog in die Strasse ein, in diesem
Augenblick brauste von unten ein Auto an, vermutlich ein
Citroen, der „Jöggu“ machte einen Riesensatz direkt auf
den Autokühler zu, die Strassen waren damals sehr eng,
ich stemmte mich mit ganzer Kraft gegen den Vorderteil des
Karrens und riss den „Jöggu“ an beiden Zügel hoch, so
hoch, dass das Auto unter ihm durchfahren konnte, ohne,
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dass er mit den Hufen auf das Dach stürzte. Das Ganze ging
derart schnell, dass ich erst danach realisierte, was für ein
Riesenunglück hätte geschehen können. Ein Pferd stürzt auf
ein heranbrausendes Auto, was für ein Schock für alle und
natürlich auch für mich.
Ich behielt den Vorfall für mich, noch oft sah ich den Ablauf
vor meinem geistigen Auge, den „Jöggu“, wie er fast
senkrecht auf der Strasse still steht und wie das Auto
vorbeiraste. Ohne meinen grossen Kraftaufwand wäre der
Vorfall nicht so glimpflich abgelaufen. Zumindest half mir
für einmal meine damalige Kraftprotzerei! Die Tatsache,
dass ich ein Pferd vorne senkrecht in die Luft liften konnte,
gab mir noch mehr Selbstvertrauen. Und in der Schule fand
ich keine ernsthafte Gegner.
Angriff im Munistall
Das Ehepaar Buri zählte für damalige Verhältnisse zu den
gross gewachsenen Menschen. Er war um die 1.90 und sie
gegen 1.80 Meter gross. Sie verhielten sich zum Personal
leicht distanziert, aber trotzdem immer korrekt.
Bei den Mahlzeiten sassen wir, das heisst, der Melch, der
Sardinier und ich auf der langen Bank an der Wand
entlang, oben am Tisch war der Buri, auf der
gegenüberliegenden Seite die Frau Buri und die
Lehrtochter, dann die Kinder und ganz unten die verrückte
Elsa. Elsa hatte nicht nur einen geistigen Schaden, sondern
auch noch eine Blasenschwäche, sie roch darum auch
entsprechend. Das war vielleicht auch gut so, damit kam ich
nicht auf andere Gedanken, denn sie verhielt sich als meine
Zimmernachbarin manchmal etwas kompromittierend,
wobei ich das auf ihre Gestörtheit zurückführte.
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Nach den Mahlzeiten, informierte uns der Buri was noch zu
tun war, sofern noch zusätzliche Arbeiten auszuführen
waren. Die Routinearbeiten waren bekannt und jeder hatte
seine Aufgabe. Am Abend, nach dem Essen, wurden die
Kühe an die Tränke geführt, danach wurde der Kuhstall
aufgewischt, das taten der Melch und ich, während der
Ignacio im Munistall dasselbe machte. Manchmal musste ich
ihm aushelfen, weil wir vor ihm fertig waren. Schon von
Anfang an mochten wir uns nicht leiden, für mich war klar,
dass der mich eines Tages angreifen würde. Ich hatte ein
Grundprinzip, nie zuerst angreifen, dafür aber umso härter
zurück schlagen. Dem Ignacio zeigte ich aber mehrmals die
Faust, ich war aber sicher, dass er mich nicht mit seinen
Fäusten angreifen würde, dafür war er viel zu feige.
Zudem war er doch viel kleiner als ich, jedoch kräftig und
ich schätzte ihn auf 30 bis 35 Jahre, während ich gegen 15
zuging.
An jenem Abend war ich mit der Reinigung im Munistall
beschäftigt, als er erschien, ich erinnere mich nicht mehr
was der Grund war, plötzlich behändigte er sich eine
Mistgabel und rannte wie ein Amokläufer auf mich los,
die Gabelzinken auf meinen Bauch gerichtet!
Ich warf mich von oben auf den Gabelstiel und drückte das
Ganze auf den Boden, dann riss ich dem Ignacio die Gabel
aus den Händen und warf sie weg. Er ergriff eine
„Munizeine“, (ein Stierenpenis), mit dem man gut
zuschlagen konnte, aber auch diesen riss ich ihm weg und
dann verpasste ich ihm einen Fausthieb an die Schläfe, es
hörte sich an, als breche der Schädel, aber nein, der Kerl
torkelte etwas und stand wieder auf, dann schleuderte ich
ihn unter den Muni, dieser schien sich zu ängstigen und
begann zu lärmen, aber auch unser Zweikampf war recht
laut, das brachte den Buri auf das Kampfgebiet, er trennte
uns und war sichtlich erstaunt, dass der Ignacio mich mit
einer Mistgabel angriff, er hielt ihm einen kleinen Vortrag,
immerhin hatte er als erwachsener Mann ein „Kind“ (noch
nicht 15) mit einem gefährlichen Gegenstand angegriffen!
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Eine Mistgabel in den Bauch gerammt bekommen, konnte
tödlich enden.
Ich wunderte mich, dass der Buri mir kaum einen Vorwurf
machte, ihm war bewusst und bekannt, dass der Sardinier
höchst jähzornig veranlagt war. .
An der ganzen Geschichte störte mich eigentlich nur die
Tatsache, dass mein Faustschlag den Kerl nicht bewusstlos
machte. Ich begann an meiner Schlagkraft zu zweifeln, als
Entschuldigung konnte ich vermerken, dass ich wegen der
ungünstigen Bodenlage (Schorgraben), nicht mit ganzer
Kraft zuschlagen konnte.
Fortan wichen wir uns eher aus, das heisst, der Ignacio
ganz besonders, denn nochmals ein Zweikampf, hätte
vermutlich besonders für ihn Folgen gehabt.
Immerhin konnte man seinen Gabelangriff auch als
Mordversuch auslegen.
Kapitel 36
Der Amerika Traum
In meinen Gedanken war ich meistens im Wilden Westen,
bereute, dass ich nicht hundert Jahre früher geboren wurde,
und so am Goldrausch in Kalifornien teilhaben konnte.
Zwei Eisenbahnlinien waren in der Nähe, gleich neben dem
Bauernhaus die Linie Burgdorf -Thun, unten in der Ebene
die Linie Bern – Konolfingen – Langnau-Luzern.Letztere
setzten manchmal auch Dampflokomotiven ein, das fand ich
ausserordentlich romantisch, es erinnerte mich an die
Eisenbahnen im amerikanischen Westen. Wenn so ein
Dampfzug nahte, rannte ich aus dem Kuhstall und
bewunderte den Zug, in Gedanken sah ich, wie sich Indianer
von einer Brücke auf die Wagen fallen liessen, so, wie ich
das in den Filmen sah. Für mich war das ein Aufsteller, der
mich den ganzen Tag beflügeln und inspirieren konnte.
Aber noch eine andere Begebenheit konnte mich masslos
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begeistern, im Stöckli wohnte auch die junge Familie Hofer,
also der Sohn des alten Hofers mit seiner Frau.
Und diese lebten zuvor während vielen Jahren in den
Staaten. Frau Hofer mochte um die 30 sein, aber sie war
offen und war sich nicht zuwenig, auch mit einem „Knaben“
zu reden. Sie erzählte mir in mehreren Abständen vom
Leben dort, wie sie praktisch all die Jahre in einem
Wohnwagen lebten, nicht irgend ein kleiner Wagen, sondern
eine ganze Wohnung, mit Fernsehen, Radio, Wohn- und
Schlafzimmer.
Und so lebten viele Tausend auf speziell dafür bestimmten
Plätzen. Und wenn ihr Mann eine andere Arbeit aufnahm,
wurde einfach der Wohnwagen zum nächsten Ort gefahren.
Ich war hell begeistert von dieser Art Lebensqualität, stellte
unzählige Fragen dazu und sie bemühte sich, meinen
Wissensdurst zu sättigen.
Es wurde fast eine Sucht, mit der Frau Hofer über Amerika
zu diskutieren.
Kapitel 37
Streit mit dem Melch
In der Schule ging alle gut voran, ich holte auf und war bald
einmal auf dem Niveau der anderen Schüler der 9. Klasse.
In den Fächern Rechnen und Deutsch, erhielt ich von
Lehrer Röthlisberger nützliche Nachhilfestunden.
Wöchentlich einmal musste ein Aufsatz geschrieben werden,
dabei durfte man das Thema und den Titel selber wählen.
Es war auch erlaubt, Fortsetzungen zu schreiben, und das
war meine Chance, ich schrieb während etwa 8 Monaten
nur über meine Erlebnisse in Frankreich, unter dem
Titel:“Meine Kriegserlebnisse in Frankreich“. Ich hatte
genug Stoff und konnte drauflos schreiben, das verhalf mir
zumindest in der Inhaltsbewertung jede Woche zur
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Maximalnote. Auch in der Rechtschreibung konnte ich mich
vom „genügend“ zum „gut“ durchringen. Das war aber nur
Dank der Hilfe von Lehrer Röthlisberger möglich. Dieser
war übrigens ein ausgebildeter Sekundarlehrer, im Kanton
Bern erfolgte damals der Uebertritt von der Primarschule in
die Sekundarschule aus der vierten und fünften Klasse. Es
gab aber auf dem Land wenige Sekundarschulen, oft weit
und breit keine, und in der Schule Oberscherli, kannte ich
keinen Schüler, der zum Beispiel in die Sek. Schule Köniz,
hinüber wechselte.
Mit der Familie Buri gab es auch keine Probleme, ich sprach
ja auch nur selten ein Wort mit ihnen. Am meisten redete
ich mit dem Melch, ich schätzte ihn auf ca. 55 Jahre oder
älter. Im Kuhstall hatten wir an einem Abend
Meinungsverschiedenheiten, den Grund dafür weiss ich
nicht mehr. Ich glaube, ich provozierte ihn und er wollte mir
eine Ohrfeige austeilen, nur war er viel zu klein gewachsen,
und konnte mich kaum erreichen.
Dafür verpasste ich ihm einen Fausthieb ins Gesicht, der ihn
glatt im Schorgraben landen liess!
Ich musste nicht einmal voller Kraft zuschlagen, er
unterliess es nochmals einen Angriff zu starten, sagte auch
dem Buri nichts, weil er ja angefangen hatte.
Das war nur etwa eine Woche nach dem Streit mit dem
Sardinier. Und es sollte der letzte Zwischenfall sein, der
Melch hütete sich, mich anzugreifen, er hatte eine böse
Lektion erhalten!
Kapitel 38
Beim Berufsberater
Ich machte mir keine grossen Gedanken bezüglich einer
Berufslehre, weiterstudieren war mir verunmöglicht, auch
eine KV-Lehre lag nicht im Bereich des Möglichen. Aber es
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war damals selbst für viele Schulabgänger nicht möglich,
eine Lehrstelle zu finden, es gab schlichtweg fast keine
Lehrstellen auf dem Land. Irgendwie, ich nehme an von der
Schule, erhielt ich eine Broschüre, darin waren alle 36
Berufslehren, welche damals möglich waren, aufgeführt. Bei
der KV-Lehre wurde Sekundarschule verlangt, die anderen
Berufe waren auch für Primarschüler offen. Ich studierte
den Prospekt gründlich durch, schliesslich fand ich etwa 10
Berufe, die mich interessieren konnten, an erster Stelle war
der Traumberuf „Automechaniker“. Obwohl mich
technische Berufe wenig bewegten, ich wollte in den
geisteswissenschaftlichen Fächern studieren.
Es gab auch schon einen Berufsberater, allerdings musste
man dafür nach Worb zu einem Herrn Pfenninger reisen.
An einem schönen Nachmittag im Frühsommer 1953,
radelte ich munter nach Worb, fand diesen Pfenninger,
welcher in seinem Einfamilienhaus den Job als
Berufsberater nur nebenberuflich ausführte. Ich schätzte
ihn auf mehr als 60 Jahre, ein freundlicher Herr, der im
Hauptberuf Lehrer war. Ich hatte ein
Empfehlungsschreiben von Lehrer Röthlisberger
mitgebracht, dieses schien ihm besonders zu imponieren.
Er fragte mich, welche Berufe ich vorziehen möchte?
Selbstverständlich sagte ich nichts wegen meinen
Studienträumen, auch nichts über den KV, das wäre wohl
nicht gut angekommen, hätte höchstens Verwirrung
gebracht. Es wäre etwa damit vergleichbar gewesen, wenn
ich als Velofahrer ein Flugzeug pilotieren wollte.
Ich zählte ihm ein paar Berufe auf, zuerst Automechaniker,
dann Schreiner, Schlosser, Mechaniker, Spengler,
Zimmermann, Gärtner, etc.. Er stellte ein paar Fragen, an
die ich mich heute nicht mehr erinnere. Dann war die
Beratung vorbei, er versprach mir eine Bestätigung und gab
mir noch einen Prospekt mit Anmeldeformular für die LWB
Bern. Lehrwerkstätten der Stadt Bern, ich hatte zuvor noch
nie davon gehört. Er fügte hinzu, dass es sehr schwer wäre,
dort aufgenommen zu werden, ich müsste erst eine Prüfung
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absolvieren.
Ebenfalls beim Berufsberater war ein Hans Morandi, wir
hatten den gleichen Rückweg, er kam aus Oberdiessbach.
Gemeinsam traten wir die Fahrt in Richtung
Grosshöchstetten und Konolfingen an. Der Morandi war
Italiener und beklagte sich, als „Tschingg“ habe er mehr
Mühe, eine Lehrstelle zu finden. Er war auch 15, kaute stets
an seinem Kaugummi und redete drauflos. Ich beneidete ihn
um seinen schwarzen Schnurbart, während ich lediglich
einen blonden und zudem noch unsichtbaren Flaum hatte.
Der Hausi las auch gerne Wildwestromane und dergleichen,
und er konnte mir eine Adresse nennen, von einem Mann im
Rollstuhl, der auch in Oberdiessbach lebte, bei diesem könne
ich haufenweise kostenlos Bücher ausleihen. Er werde für
mich ein gutes Wort einlegen, ich konnte es kaum erwarten
und versprach, am kommenden Sonntagvormittag, nach
dem obligaten Kirchenbesuch, bei ihm vorzusprechen.
Was wir sonst noch für Themen besprachen, daran erinnere
ich mich nicht mehr, ich traf dann den Hausi in
Oberdiessbach und er ging mit mir zum Opliger, so hiess
der Mann im Rollstuhl, den ich auf etwa 25 bis 30 Jahre
schätzte.
Er führte uns in einen grossen Raum voller Bücher, ich
schätzte, es waren mehrere Tausend. Ich fühlte mich wie im
Schlaraffenland, konnte mich gar nicht genug satt sehen, an
all den vielen Büchern! Und zwischen den grossen Büchern
fand ich Nudistenhefte, die allerdings durfte ich nicht
auslehnen, er wollte keine Reklamationen von der Schule
erhalten.
Ich durfte etwa 12 Bücher mitnehmen, welche ich nach zwei
Wochen wieder zurück bringen wollte. Und ich blieb dabei,
bis ich Konolfingen wieder verliess. Nie zuvor und wohl
auch nicht danach, las ich so viele Bücher. Ich las oft bis
nach Mitternacht mit einer Taschenlampe unter dem
Leinentuch, damit der Buri von aussen her den Lichtschein
nicht sehen mochte.
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Die meisten Bücher waren schön gebundene
Wildwestromane, also nicht einfach die billigen Hefte.
Den Hausi traf ich danach nie mehr, hatte ihn aber nicht
vergessen, weil er mir zu dieser Literatur verhalf, zudem
erinnerte er mich mit seinem Schnurbart an den
mexikanischen Schauspieler Pedro Armendariz.
Nachtrag:
Am 25.März 2005, schrieb ich in Thailand unter „Blick
zurück“, bereits eine ähnliche Story über den Hausi
Morandi, diese händigte ich dem Kari, von der Swiss
Taverna zum lesen aus. Und siehe da, der Kari sagte gleich,
er kenne einen Hausi Morandi, der seit vielen Jahren in
Saraburi, Thailand lebe, dort eine Familie habe und
manchmal bei ihm vorbeischaute. Ein Gast wusste aber,
dass er nun auf der Insel Samui lebe, und zwei Tage später
konnte mir eine andere Person seine Handynummer geben.
Ich rief an und es war tatsächlich der gleiche Morandi von
1953!
Er konnte sich jedoch nicht gleich an mich erinnern,
lediglich an den Opliger und seine Bibliothek, sowie auch an
den Pfenninger!
Er sagte mir noch, dass er als Klimamonteur, bei der
Schweizer Botschaft in Bangkok die Klimaanlagen
eingebaut habe.
Wir wollten uns im September 05, in der Taverna treffen,
und ich freute mich bereits auf ein Treffen nach mehr als 52
Jahren!
Als ich im September wieder nach Thailand flog, erkundigte
ich mich in der Taverna nach dem Hausi M. er war noch
nicht aufgetaucht, aber zufälligerweise war ein Landsmann
aus Samui anwesend und dieser wusste, dass der Hausi
Morandi zwei Monate zuvor starb!
Er hatte als starker Raucher Lungenkrebs, dabei dachte ich
zwangsläufig, er wäre wohl besser beim Kaugummi
geblieben!
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Kapitel 39
Ich will Missionar werden
An einem schönen Abend fuhr ein Wespa daher,
auf dem Rücksitz eine Frau mit Tropenhelm, beide trugen
weisse Kleidung.
Das Ehepaar kam direkt aus Afrika angereist, der Mann
war einer meiner vielen Vorgänger, er erlernte ein
Handwerk und meldete sich danach bei der Basler Mission,
wo er zum Missionar umgeschult wurde. Das war Musik für
meine Ohren, was der konnte, das wollte ich auch
vollbringen können! Zudem erkannte ich einen Weg, ohne
grossen Geldaufwand nach Afrika reisen zu können, und
die vielen Frauen, welche ich zuvor in den Kulturfilmen
sehen konnte, waren dann auch in nächster Nähe. In
Gedanken sah ich mich bereits als „Dr. Albert Schweitzer“
im Bereich Gynäkologie irgendwo in Schwarzafrika.
Ich horchte den ganzen Abend dem seltsamen Paar zu, das
war eine völlig neue Variante, irgend einen handwerklichen
Beruf erlernen, danach bei der Mission anklopfen, ich hatte
plötzlich ein neues Ziel, wobei aber Amerika und das
Geschichtsstudium noch nicht begraben waren.
Das Missionsehepaar brauste wieder davon, die Familie Buri
schien tief beeindruckt von dieser Karriere. Sie zählten mir
auf, wie erfolgreich alle meine Vorgänger später im Leben
wurden. Mir wurde nun klar, wie nützlich eine Berufslehre
im handwerklichen Bereich sein konnte.
Ich meldete mich zur Aufnahmeprüfung zum
Mechanikerlehrling in den Lehrwerkstätten der Stadt Bern,
an, es konnte ja nur schief gehen. Ganz sachlich gesehen,
hatte ich nicht die geringste Chance dort aufgenommen zu
werden!
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Aber wer nichts wagt, gewinnt bekanntlich nichts! Zudem
konnte ich wieder einmal nach Bern reisen und dann im
Ryfligäschen ein paar Nudistenhefte und Rolf Torrings
Abenteuer kaufen! Ich glaube, das motivierte mich mehr, als
die völlig aussichtslose Aufnahmeprüfung in der LWB.
Kapitel 40
Gefahr am Abend
Jeden Abend wurde der voll beladene Grasswagen oben bei
der Einfahrt geparkt, die Pferde ausgeschirrt, und nach dem
Nachtessen, mussten dann zwei Personen den zweiachsigen
Wagen nach unten bis vor die Kuhscheune lotsen. Einer
hielt die Deichsel fest, während die zweite Person die
Bremsen losmachte. Die Abfahrt war sehr steil und es
reichte ohne Zutun von uns, bis nach vorne zur Scheune zu
rollen. Der Wagen hatte Gummireifen und kam jeweils
schnell in Fahrt. Seit der Schlägerei machte sich der Ignacio
nach dem Essen unsichtbar, verkroch sich in den
Schweinestall.
Damit blieb der Graswagen dem Melch und mir überlassen,
manchmal half auch Meister Buri.
Gewöhnlich wartete ich auf ihn oder den Meister, aber an
einem Abend kam keiner, und ich entschloss mich, es allein
zu versuchen, schliesslich war ich stark genug, so wenigstens
war meine Überlegung.
Ich löste die Bremse und griff sogleich zur Deichsel, der
Wagen war bereits in voller fahrt, ich stemmte mich mit
aller Kraft gegen die Deichsel, damit diese nicht direkt ins
Bauernhaus einschlug, aber statt abzubremsen, stiess die
Deichsel nach oben und bohrte sich mit voller Wucht in die
Laube, die Deichsel brach in der Mitte wie ein Streichholz
und fiel vor mir auf den Boden!
Der Wagen hielt knapp vor der Hausmauer und ich blieb
verschont, der Aufprall war derart heftig, dass der Wagen
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so abgebremst wurde. Der grosse Krach alarmierte den
Meister, ich sah mein Fehlverhalten sofort ein und anerbot
mich, die Deichselkosten zu zahlen, ich hatte ja in Bern ein
Sparheft.
Aber der Meister ging gar nicht auf mein Angebot ein, es
machte den Anschein, dass er sehr erleichtert war, dass mir
absolut nichts zustiess. Denn es hätte sehr gut tödlich enden
können. Einmal die gebrochene Deichsel, sodann die Wucht
des Wagens gegen die Hausmauer und eingeklemmt werden.
Selbstverständlich unterliess ich danach solche Alleingänge.
Man braucht aber auch ein wenig Glück dabei!
***************************************************
Kapitel 41
Der „Rote Pfeil“
Vater arbeitete immer noch bei der Firma Schneider und
Rindlisbacher, in Weissenbühl bei Bern. Im Sommer 1953
feierte die Firma ein Jubiläum, was genau, das weiss ich
nicht mehr. Aber es wurde ein Ausflug mit dem „Roten
Pfeil“ für das Personal und deren Angehörigen angeboten.
Das bedeutete, dass ich auch mitfahren durfte, was für mich
eine willkommene Abwechslung war. Ich glaube, es war ein
Sonntag, wohin die Reise führen sollte, war noch nicht
bekannt, mit dem „Roten Pfeil“ reisen war damals ein
grosses Erlebnis und sehr populär. Ich schätze, es waren
gegen Hundert Teilnehmer. Endlich sah ich auch die
Kollegen, von denen Vater oft sprach. Einfache Arbeiter,
welche sich an diesem Tag besonders mit einer Bierflasche
in der Hand, produzierten und versuchten, aufzufallen.
Der Pfeil raste in Richtung Ostschweiz, und gegen Mittag
erreichten wir Romanshorn am Bodensee, dort wurde im
Hotel Bodan ein gutes Mittagessen serviert. Es war das erste
Mal, dass ich in einem vornehmen Hotel speisen konnte, ich
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wusste gar nicht, wie man mit dem Besteck umgeht. Ich
schaute, wie es die andern Leute machten, wobei diese
Arbeiterfrauen vermutlich auch nicht so recht Bescheid
wussten, immerhin schaffte ich es dann doch, mit Gabel und
Messer gleichzeitig zu hantieren. Ich glaube, es gab
anschliessend noch eine Schiffsfahrt nach Friedrichshafen
und zurück, erinnere mich aber an keine Details. Auf der
Rückfahrt führte man uns über Kloten-Flughafen, das war
für mich ein Hit, Stoff, um dann in der Schule einen Aufsatz
zu schreiben. Vielmehr als die verschieden farbigen Lichter
und ein paar Gebäude, war da nicht zu sehen, doch es war
der Reiz der grossen weiten Welt, der von hier ausging, was
faszinierte. Noch konnte ich nicht ahnen, dass 10 Jahre
später, hier mein Arbeitsort sein würde.
Die Stimmung wurde immer fröhlicher und feuchter, doch
am Abend war auch diese Reise vorbei, ich stieg in Bern auf
den Zug nach Konolfingen um, während Vater ins Schlatt
zurück radelte.
Kapitel 42
Die Drohung
Der Winter war grimmig kalt und mein Zimmer ohne
Heizung, aber ich gewöhnte mich daran, verkroch mich
unter die schwere Bettdecke und mit Hilfe der täglichen
Müdigkeit schlief ich trotzdem recht gut.
Im Lauf der Jahre lernte ich alle gängigen Arbeiten auf
einem Bauernhof zu verrichten, nur das Holzfällen fehlte
noch in meiner Praxis, abgesehen von den wenigen Hölzern,
die ich früher mit Onkel Otto in seinem Wald fällen half.
Landwirt Buri besass auch einen grossen Waldanteil, und
im tiefen Winter war Holzfällen angesagt. Das war
vermutlich die gefährlichste Arbeit am Hof, wir schlugen die
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Tannenbäume mit den Äxten und Sägen. Ohne die heute
gebräuchlichen Motorsägen. Und die grossen Tannen fielen
nicht immer so, wie wir das geplant hatten. Aber wir hatten
keinen Unfall zu verzeichnen und ich war recht zufrieden,
dass diese Arbeiten gut abgewickelt werden konnten.
Sodann musste der Konfirmandenanzug angefertigt werden,
der Schneider, ein kleiner Mann, nahm genau Mass und ich
musste mehrmals vorbei schauen, bis der Anzug endlich
fertig gestellt war. Den Stoff hatte Buri bereits 1939 gekauft,
für seinen Hochzeitsanzug, aus irgend einem Grund konnte
er aber damals den Stoff nicht verwenden.
Die Schule war problemlos, deshalb sind keine Einzelheiten
mehr bekannt, ich machte mir aber auch keinerlei
Gedanken zu der bevorstehenden Berufslehre. Ja, ich hatte
wider erwarten die Aufnahmeprüfung in die
Lehrwerkstätten geschafft! Und zwar mit einem kleinen
Trick, als ich vernahm, dass sich für die Mechanikerlehre,
nicht weniger als 400 Kandidaten gemeldet hatten, die
Schule aber nur 30 aufnehmen konnte, zudem fast nur ProGymnasium und Sekundarschulabsolventen dabei waren,
sah ich meine Chancen mit 5 Jahren Primarschule im
Eimer! Also meldete ich mich zusätzlich zum „Bau-Kunstund Konstruktionsschlosser“ Lehrling, das hörte sich zwar
gut an, aber ich hatte keine Ahnung was damit gemeint war,
immerhin war etwas mit Schlösser dabei! Aber ich konnte
damit nichts anfangen, meine Gedanken waren ganz
woanders, in den Staaten, genauer im Westen der USA.
Im Konfirmandenunterricht machte ich aktiv mit, zu aktiv,
wie ich bald einmal feststellen musste. Jeden
Mittwochnachmittag war Unterricht in Stalden, dort wo der
bekannte Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt, als Kind
lebte.
Der Pfarrer wollte uns mittels eines Briefkastens mehr
einspannen, wir durften Fragen stellen, ohne dass wir unsere
Namen nannten. Ich machte tüchtig mit, war fast der einzige
Konfirmand, der davon Gebrauch machte. Bald einmal
wusste auch der Pfarrer, wer alle die ketzerischen Fragen
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stellte, umso mehr, als ich jeweils bei der Beantwortung
noch nachfragte und zusätzliche Zweifel anbrachte.
Ich war aber sehr erstaunt, als mir der Pfarrer erklärte,
er werde mich nicht konfirmieren, wenn ich weiterhin solche
Fragen stellen würde.
Nun ja, es waren durchaus begründete Fragen, wie konnte
Maria ohne Befruchtung ein Kind kriegen? In der Bibel
wimmelte es nur so von seltsamen Behauptungen.
Aber das mochte der Herr Pfarrer nicht, erst fordert er uns
auf, Fragen zu stellen, und wenn man welche stellt, wird
man bedroht.
Nicht konfirmiert werden, das wäre das grösste aller Übel
gewesen, darum schwieg ich die restlichen Wochen und
wurde dann prompt konfirmiert.
Kapitel
Die Konfirmation
Das Datum der Konfirmation war nahe, der Winter
hinterliess nur wenige Erinnerungen, ich las viele Bücher,
die ich bis zur letzten Woche in Konolfingen, regelmässig
beim Opliger in Oberdiessbach, auslehnen durfte.
Ich war mit dem Erreichten zufrieden, konnte als einer der
jüngsten die Schule quittieren, hatte eine Lehrstelle, um die
mich manche Kollegen beneideten. Meine
Berndeutschkenntnisse waren ebenfalls nahezu perfekt, nur
wer aufmerksam horchte, konnte noch den französischen
Akzent feststellen. Besonders stolz war ich auf die vielen
Schimpfwörter, welche ich mir im Lauf der Jahre aneignete.
Wer während einer Viertelstunde drauflos fluchen konnte,
war bei den Mitschülern besonders geachtet.
Allerdings musste ich sowohl auf eine Mitwirkung bei den
Pfadfindern, wie auch den Kadetten, verzichten. Aus dem
Schulkreis Oberscherli, war niemand dabei. Hingegen aus
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der 9. Klasse in Konolfingen, zu den Kadetten konnten nur
Knaben in der Stadt Bern, Thun, Biel, etc. stossen.
Ich bedauerte dies ausserordentlich, aber die
Voraussetzungen waren nicht vorhanden, ich nutzte jede
freie Minute um Geld zu verdienen.
Meiner Lehre sah ich mit gemischten Gefühlen entgegen,
es war einfach die schlechtere Alternative, weil mir keine
andere Möglichkeit geboten war.
Die Aufholjagd in der Schule, verlieh mir aber Mut und
etwas Draufgängertum, ich wollte mich vom System, das
mich umgab, und vor allem wegen meinem Schulmanko,
das nicht mein Verschulden war, nicht einschränken lassen.
Solange ich gesundheitlich auf dem Damm war, wollte ich
alles daran setzen, um alternativ weiter zu studieren.
Zudem wollte ich endlich die Familienprobleme lösen helfen,
denn diese lagen mir sehr schwer auf dem Magen.
Die Konfirmation war eine reine Pflichtübung, eine Art von
Befreiung, danach musste ich nicht mehr jeden Sonntag in
die Kirche, und auch dieser einfältige Unterricht war dann
vorbei. Meine Eltern kamen zur Feier, natürlich mussten sie
die kurze Zeit nutzen, um sich gegenseitig Vorwürfe zu
machen, ich war wenig begeistert, schlug vor, sie sollten
wenigsten diesen Tag nicht verderben.
Sonst habe ich alles vergessen, war aber glücklich, dass
dieser Zauber endlich der Vergangenheit angehörte.
Was mich freute, waren die zahlreichen Gratulationskarten,
welche ich von Leuten aus der Umgebung erhielt, die ich
kaum kannte.
Und mit diesem Tag endete auch mein Aufenthalt in
Konolfingen, nur der Abschied von Lehrer Röthlisberger,
fiel mir nicht leicht, bei allen andern war es sehr nüchtern
und völlig problemlos. Immerhin konnte ich nun auch vom
14-Stunden Arbeitstag, vermutlich für längere Zeit,
Abschied nehmen.
Kapitel 44
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Wieder im Schlatt
Das Konolfingen Jahr blieb wie ein langer Traum zurück,
nun galt es, die Lehre in der Stadt Bern, zu beginnen.
Ernst musste in die erste Primarklasse in Oberscherli,
eingeschult werden. Ich denke, es war Tante Marie, die sich
um ihn kümmerte, Vater und ich hatten dafür keine Zeit.
Vater trank keinen Alkohol mehr und war dadurch etwas
umgänglicher geworden, zusammen konnten wir Vorschläge
für die Lösung der Familienprobleme ausarbeiten. Im
übrigen gingen wir beide unsere Wege, ich hatte auch mit
mir selber allerlei Schwierigkeiten zu überwinden. Einmal
wurde mein Hautausschlag immer schlimmer, Gesicht und
Rücken waren voll befallen, ich suchte einen Spezialarzt auf,
machte alle die Therapien, aber umsonst.
Dann litt ich unter einem wahnsinnigen Geschlechtstrieb,
verfluchte die Gesellschaft, die es einem Fünfzehnjährigen
verbot, sich verheiraten zu können. Aber selbst dann, wenn
das möglich gewesen wäre, wären da etwelche Probleme
dazwischen gewesen, einmal hatte ich ein Trauma von einer
gescheiterten Ehe, wie sie meine Eltern vorlebten, sodann
machte ich um die hiesigen Frauen eher einen grossen
Bogen, weil sie nicht meinen Vorstellungen entsprachen.
Schuld daran waren primär die Bücher von A.E. Johann,
worin er die japanischen Frauen lobte und beschrieb.
Für mich war ab dem 12. Altersjahr klar, ich wollte nur eine
Japanerin heiraten. Wie bereits erwähnt, kannte man
damals auf dem Land weder Badewanne noch Dusche, das
hatte zur Folge, dass manche Mädchen, besonders im
Sommer, eher einen üblen Schweissgeruch verbreiteten, und
wenn sie ihre Tage hatten, konnte ich das im Klassenzimmer
riechen, mir wurde es oft speiübel und dadurch baute sich in
mir ein eiserner Vorhang auf. Einerseits drängte es mich
furchtbar, Sex mit einer Frau zu haben, andererseits stiessen
sie mich ab, also beschaffte ich mir diverse Bücher, die sich
alle nur einem Thema widmeten, „wie kann man den
Geschlechtstrieb überwinden“. Ich las die Literatur
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aufmerksam durch, aber die einzigen realistischen
Ratschläge kamen immer zum gleichen Ergebnis:
Onanieren!
Nun ja, das wusste ich bereits und so blieb das Problem
ungelöst.
Was ich nie genau abklären konnte, ob Vater der Tante
Marie, für alle ihre Arbeiten während fast 2 Jahren, für
Bruder Ernst und für uns, sie wusch unsere Kleider, jemals
eine Entschädigung leistete?
Belegt war lediglich, dass Vater mindesten fünf Jahre keinen
Mietzins zahlte, das wollte Mutter so sehen, weil der Otto ja
doch Vater um seine Erbschaft betrogen habe!
Weder Otto, noch Vater, wollten mir direkt antworten und
umgingen meine Frage immer mit Ausflüchten. Ernst, Vater
und ich, lebten praktisch wie in einer Wohngemeinschaft,
jeder verpflegte nur sich selber, ich denke, Ernst konnte
auch bei Otto essen, er war damals ja erst sieben.
Was ich speiste, das ist mir nicht mehr bekannt, ich denke
aber, zum Frühstück war das Brot und Käse mit schwarzem
Kaffee.
Kapitel 45
Die Lehre
Es war soweit, die Lehre konnte beginnen, mit dem Fahrrad
fuhr ich über Schliern bis Köniz, dann nach Liebefeld,
Weissenbühl, Eigerplatz, die Bonbijoustrasse hinauf, bis
zum Bubenbergplatz, am Hauptbahnhof vorbei zur
Lorrainebrücke, nach der Brücke galt es links abbiegen,
dort war die Gewerbeschule und gleich nebenan befanden
sich die Lehrwerkstätten der Stadt Bern. Vorne die
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Mechanikerschule, hinten, im alten Gebäude, die Schlosser,
Spengler und Schreiner Abteilungen.
Ich legte diese Strecke in 20 Minuten zurück, bis zum
Eigerplatz war es eine einzige Raserei, steil abwärts.
Die LWB hatte einen eigene Theorieunterricht, 2/3 der
Woche praktischer Unterricht in der Werkstatt, 1/3 Theorie.
Während man damals noch 48 bis 54 Stunden die Woche
arbeitete, kannte die LWB bereits die 5-Tagewoche mit 40Stunden. Samstag frei, das war sensationell, die Stunden
waren wie folgt 07.30 bis 12.00 und von 13.30 bis 17.00.
Ich glaube, im Winter war alles ½ Stunde später.
Im ersten Semester galt es eine Minilehre zu absolvieren,
Klassenlehrer war der Herr Steinhauer, seine Assistenten:
Ulrich und Müllener. An die Namen der Theorielehrer
erinnere ich mich nur an einen Blattmann. Die Werkstätten
waren unten und die Theoriesäle oben.
Wir waren 13 Lehrlinge im ersten Lehrjahr, rund ein Drittel
von ihnen waren Söhne von Fabrikbesitzern, so etwa der
Weber von Wildegg, oder der Lips vom Limmattal.
Während der Weber recht umgänglich war, sah sich der
Lips eher als VIP Lehrling. Der Grossteil war aus dem
Kanton Bern, wir hatten aber auch Leute aus der ganzen
Schweiz. Ich freundete mich mit einem Grünig aus
Mühleturnen, einem Steiner aus der Stadt Bern und einem
Koller aus Ostermundigen, an. Während Grünig Jahrgang
37 aufwies, war Steiner mein Jahrgang und der Koller als
jüngster mit Jahrgang 39. Dann gab es noch einige halbwegs
vernünftige Lehrlinge und ein paar, die sich überheblich
zeigten. Steiner hatte als einziger von uns, die
Knabensekundarschule Bern absolviert. Der Weber kam
aus einer Bezirksschule im Aargau, und keiner wusste, was
das ist?
Im ersten Lehrjahr erhielten wir keine Entschädigung, ab
dem 2. gab es dann ein kleines Taggeld.
Ich lebte von meinen Ersparnissen, gesund war meine
Verpflegung sicher nicht, zum Mittagessen kaufte ich mir
Nussgipfel, „Schnecken“ und dergleichen Gebäck zusammen
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mit Softdrinks. Anscheinend wurde die Direktion auf meine
Situation aufmerksam gemacht, nach dem ersten Semester
musste ich zu einem Klassenlehrer, dieser liess mich wissen,
man habe ein Budget, womit jeweils in jeder Klasse ein
Lehrling während einem Semester gratis Mittagessen
erhalte. Ich wäre dazu auserwählt worden, erst war mir das
peinlich, aber ich war derart knapp dran, dass ich zusagte.
So konnte ich zumindest einmal täglich eine richtige
Mahlzeit einnehmen. Diese Zuwendung blieb zudem
vertraulich, damit die andern Lehrlinge nicht dumme
Bemerkungen machen konnten.
Ich konnte nie erfahren, wie die LWB Direktion von meiner
Situation erfuhr?
In der Werkstatt waren meine Leistungen durchschnittlich,
obwohl mich das Ganze überhaupt nicht interessierte.
In der Theorie hatte ich zwei Fächer, in denen ich sehr
schlecht abschnitt, Chemie und Physik!
Zum Glück wurden diese Fächer nicht entscheidend
bewertet. Der Grund für mein Problem war mir auch
bekannt, ich hatte mit meinen zahlreichen Schulwechseln,
diese Fächer gar nie studiert!
In all den übrigen Gebieten konnte ich gut mithalten.
Kapitel 46
Eine Bieridee
Mit dem 8-Stundentag hatte ich wieder viel mehr Freizeit,
als zuvor in Konolfingen. Aber es gab Hausaufgaben und
daher keine Zeit für eine Nebenbeschäftigung. Dafür waren
im Sommer 4 Ferienwochen zur Verfügung, ich wollte mir
ausreichend Geld auf dem Bau erarbeiten.
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Eines der grössten Probleme war die Familien
Zusammenführung, ich versuchte alle Hebel in Bewegung zu
setzen, selbst aussichtlose.
Ob es meine Idee war, oder ich von Dritten beeinflusst war,
erinnere ich mich nicht mehr. Ich schrieb an eine Behörde in
der Stadt Bern, obwohl in der Gemeinde Köniz wohnhaft.
Wer das war, weiss ich nicht mehr, ich erhielt eine
Vorladung auf einen Samstagvormittag. Pünktlich traf ich
an der betreffenden Adresse ein, es war in der Altstadt.
Ich ging in Richtung des fraglichen Raumes, trat in einen
grossen Raum ein, wo etwa 7 Personen auf mich warteten.
Ich nannte meinen Namen und sagte: “Ich habe diese
Einladung erhalten“. Der Mann in der Mitte korrigierte
mich: „Das ist keine Einladung, sondern eine Vorladung“.
Es hörte sich nicht besonders freundlich an, ich
entschuldigte mich, obwohl ich den Unterschied gar nicht
kannte. Ich sass im grossen Raum und erklärte den
Anwesenden mein Problem. Dass es sehr unvorteilhaft wäre,
wenn meine beiden Geschwister ohne Familie aufwachsen
müssten, obwohl dies möglich wäre, wenn die Eltern wieder
zusammen finden würden. Ich weiss nicht mehr wie lange
ich redete, vielleicht ein halbe Stunde?
Dann erklärte der Mann in der Mitte, dass sie durchaus
Verständnis für mein Anliegen hätten, dass aber der Staat
keine grossen Möglichkeiten sehe, in diesem speziellen Fall
beizustehen, sie würden das Anliegen prüfen und mir
Bescheid geben. Er erwähnte noch, dass ich mit 15 ½
Jahren, ja selber noch als Kind gelte, aber, dass das in
diesem konkreten Fall keine Rolle spiele.
Ich durfte wieder gehen und auf dem Heimweg wurde mir
erst richtig bewusst, dass auch von dieser Seite keine Hilfe
zu erwarten war, was mich heute noch wundert, ist die
Tatsache, dass sich diese Leute die Mühe nahmen, dem
„komischen“ Kind zuzuhören. Ob ich dazu noch eine
Stellungnahme erhielt, weiss ich nicht mehr. Es war mir klar
geworden, dass ich andere Wege finden musste.
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Als nächsten Schritt, plante ich, an einem Wochenende
meine Mutter im Thurgau zu besuchen und mit ihr neue
Varianten abzusprechen, aufgeben war aber keine!
Kapitel 47
Besuch bei Mutter
Vater behauptete, Mutter treibe es mit dem Landwirt, dem
Leo Michel. Als ich ihm meldete, ich würde Mutter
besuchen, erwähnte er auch seinen Verdacht und ich solle
besonders ein Auge darauf werfen.
An die Anreise erinnere ich mich nicht mehr, von
Frauenfeld fuhr ein Postauto bis Lustdorf. Mutter begrüsste
mich auf ihre übliche Art, sie kannte keine
Sentimentalitäten, schliesslich wuchs sie als Vollwaise in
einem recht brutalen Kinderheim in Urnäsch, AR, auf. Sie
wollte nie darüber berichten, nur einmal erwähnte sie, dass
ihnen Haushaltabfälle mit Rattenkot serviert wurde, wer
nicht essen wollte, wurde verprügelt. Aber sonst erfuhr ich
nie etwas über dieses Kinderkonzentrationslager.
Ihren Arbeitgeber nannte sie „Herr Michel“, sie wiederholte
das so oft, dass ich sie schliesslich fragte, weshalb sie derart
förmlich wäre. Sie berief sich auf die Ledigenzeit, als sie bei
reichen Leuten als Köchin angestellt war.
Der Michel war ein betagter Landwirt, ich wurde nicht
richtig klug aus ihm. Es machte den Eindruck, als wäre er
nur im Umgang mit Kühen gewohnt.
Klara freute sich hingegen, dass sie ihren grossen Bruder
sehen konnte.
Am Abend gingen Mutter, Klara, der Michel und ich an ein
Dorffest, ein grosses Zelt war aufgebaut worden.
Es gab eine Theateraufführung welche im Wilden Westen
spielte, Goldgräber in Kalifornien. An sich ganz nach
meinem Gusto, aber natürlich nicht in Lustdorf.
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Danach war Tanz, Mutter tanzte oft mit einem kleinen
Italiener, ich schaute dem Treiben kritisch zu. Ja, ich fragte
sie ultimativ, ob sie es mit diesem Kerl treibe?
Sie verneinte, dass sie ihn zuvor nicht gekannt hätte und er
wohl nicht in Lustdort lebe. Ich war nur halbwegs zufrieden
mit dieser Antwort, konnte aber selber nichts dazutun.
Immerhin konnte ich doch einige positive Meldungen
zurück ins Schlatt mitnehmen. Mutter konnte erkennen,
dass es mir sehr ernst war, und ich auf eine vernünftige
Lösung hin plädierte. Sie machte mir klar, dass eine
Rückkehr ins Schlatt und in den Kanton Bern, für sie nicht
in Frage komme. Gut, ich fragte sie dann, wie es denn
aussähe, wenn Vater, Ernst und ich in den Thurgau,
„auswandern“ würden?
Sie schien an diesem Vorschlag gefallen zu finden, ich
versprach, fortan daran zu arbeiten.
Noch dachte ich nicht daran, bei dieser Gelegenheit meine
Lehre aufzugeben. Diese Option ergab sich erst später.
Vater war von meinen Plänen nicht besonders begeistert,
aber er sah keinen anderen Ausweg, darum sagte der nicht
nein zum Projekt.
Wir hatten wieder ein Ziel, auf das wir gemeinsam
hinarbeiten konnten. Aber Vater verhielt sich ganz passiv,
mir war klar, ich musste alles selber organisieren.
Wir hatten noch mehrere Monate Zeit bis zum Frühjahr
1955.
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Kapitel 48
Die Landesbibliothek
Als ich die Lehre begann, beschloss ich, keine „Schundhefte“
mehr zu lesen, etwa solche wie Wildwest- und
Kriminalromane.
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Mit der Landesbibliothek in Bern, (heute
Nationalbibliothek) hatte ich mir eine neue „Goldgrube“
erschlossen. Die Auswahl an Büchern war fantastisch,
mehr als zwei Millionen Exemplare. Ich erhielt eine
Mitgliedskarte, damit konnte ich bis 15 Bücher, kostenlos
für jeweils einen Monat auslehnen. Ich bezog Literatur aus
allen möglichen Wissensgebieten, ganz speziell aber mit
geschichtlichem Hintergrund. Besonders aber über die noch
neuen Erkenntnisse für Mittel- und Südamerika. Es gab
dicke Bände über die Atzteken, Maya und Inkakulturen.
Ich denke, selbst wenn ich Geschichte studiert hätte, hätte
ich kaum soviel Literatur konsumiert.
Die Landesbibliothek wurde so etwas wie ein Ersatz für die
Schule, fürs Elterhaus und auch für die Lehre.
Bücher wurden zu meinen einzigen Freunden, sonst konnte
ich mich auf nichts verlassen.
Und genau diese Bibliothek und alle ihre Bücher, machten
mir den Abschied von Bern, sehr schwer. Ich vernahm aber,
dass man die Bücher auch mit der Post bestellen konnte,
jedoch war das mit Auflagen verknüpft.
1954 war auch die Fussballweltmeisterschaft in Bern, mich
liess das eher kalt, seltsamerweise war das auch kein Thema
unter den Lehrlingen. Hingegen fand auch eine grosse
internationale Ausstellung statt, da präsentierte Frankreich
seine Kolonien: Algerien, Marokko, Tunesien, und Belgien
brachte echte Neger aus dem Kongo, man sagte damals noch
Neger, da sass der dicke Häuptling mit seinen vielen Frauen,
und damit wurde der primitive Neger hervorgehoben. Da
gefielen mir die Harems der Araber schon besser. Aber der
grösste Hit für uns war ganz woanders, eine Art von
Geisterbahn, durch die man gehen musste, am Ende war ein
Gebläse, welches den Frauen die Röcke weit nach oben
schweben liess, damals trugen Frauen noch keine langen
Hosen. Wer durch war, konnte sich dann auf den Bänken
niederlassen und zuschauen, wie die Röcke
stiegen!
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Im Juni war es bereits recht heiss, und es gab Frauen,
welche „unten ohne“ waren, diese standen dann eben nackt
am Gebläse. Und wir befanden uns an freien Tagen fast nur
in diesem Gelände, wer Glück hatte, brachte es auf bis zu
zwei nackte Frauen an einem Nachmittag. Auch die „Tour
de Suisse“ hatte eine Etappenankunft in Bern. Das liess ich
mir nicht verpassen, die Leute warteten lange auf den ersten
Rennfahrer, es war der Deutsche Hennes Junkermann,
welcher mit einer halben Stunde Vorsprung das Ziel
erreichte.
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Kapitel 49
Dien Bien Phu
Indochina liess mir keine Ruhe, schliesslich war Hans dort
im Einsatz, angeblich um gegen den Kommunismus zu
kämpfen. Schon seit 1947, wurde laufend über den Krieg in
Indochina berichtet, und zwar recht einseitig, die Guten
waren die Franzosen und die Bösen der Viethminh!
Fast bei jeder Wochenschau im Kino, wurde über diesen
üblen Krieg berichtet, dabei wurde ganz klar Partei für
Frankreich ergriffen. Ich war anfänglich auch auf der Seite
der Franzosen, schliesslich betraf es ja auch meinen Bruder.
Im April 1954, verging kaum eine Radionachricht ohne den
Indochinakrieg zu erwähnen. Ich vernahm jeweils die
Morgennachrichten um 06.30, während ich mein Frühstück
einnahm, dann um 07.00, radelte ich los in die LWB.
Es wurde sehr spannend, die französischen Truppen sassen
eingekesselt in Bien Bien Phu, im Norden von Vietnam, nahe
der laotischen Grenze. Die Garnison zählte mehr als 20
Tausend Soldaten und galt als uneinnehmbar, aber die Lage
verschlechterte sich täglich und ich fragte mich ernsthaft, ob
wohl Hans auch dort oben war?
Die westlichen Medien waren sich der Sache sicher, dass die
Viets die Festung unmöglich einnehmen könnten!
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Ich war da anderer Ansicht, realisierte, dass doch die
Franzosen dort Eindringlinge waren und nicht die
Vietnamesen, die doch nur um ihre Freiheit kämpften!
Mehr und mehr galten meine Sympathien den Vietnamesen,
ob Hans nun dabei war oder nicht, war mir unwichtig.
Gegen Ende April wurden die Nachrichten immer prekärer,
es hiess, die Viets würden den Belagerungsring immer enger
werden lassen. Zudem könnten die französischen Flugzeuge
nicht mehr landen und die abgeworfenen Materialien
würden oft von den Viets eingesammelt. Auch die vielen
Verwundeten konnten nicht mehr ausgeflogen werden.
Dann wurde an einem Morgen gemeldet, die Viets
transportierten mit Elefanten, schwere Artillerie auf die
umliegenden Berge von DBP.
Ich war begeistert, das musste Folgen zeitigen, ich radelte
wie wild nach Bern, konnte es kaum erwarten, bis am Abend
wieder Nachrichten ausgestrahlt wurden.
Und nur eine Woche später (am 7. Mai) kam die Meldung:
“Dien Bien Phu“, ist gefallen, General Giap verzeichnete
seinen ersten grossen Sieg, der zweite war gegen die USA.
Diese Niederlage war auch ein Totalschlag gegen die
westlichen Interessen auf der ganzen Welt. Gleichzeitig aber
ein Neuanfang für Vietnam und viele andere Länder der
dritten Welt. Der weisse Riese wurde zum weissen Zwerg!
Nachtrag: Hans war nicht im Hauptstützpunkt von Dien
Bien Phu, er wurde schon Wochen vorher auf einem
Aussenposten von DBP von den Viets überrannt. Kam in die
Gefangenschaft, dort gelang ihm und drei seiner Soldaten
die Flucht.
Unter abenteuerlichen Umständen, gelangten sie nach vier
Monaten durch den Dschungel, endlich nach Südvietnam.
Das verhalf ihm zur höchsten französischen Auszeichnung.
Hans war danach beauftragt, von 1954 bis Ende 55, die
Stadt Hanoi den Viets protokollarisch zu übergeben.
Das war gemäss seinen Aussagen, die schönste Zeit seines
Lebens! Er pries besonders die Qualitäten der
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Nordvietnamesen, empfahl mir 1964, unbedingt eine Frau
von dort zu heiraten! Ich konnte aber seinen Rat nicht ganz
befolgen, wie sich noch zeigen wird.
Kapitel 50
Auf dem Bau
Den ganzen Monat Juli war Schulferien, im Vergleich zu
den Lehrlingen in der Privatindustrie, die kaum eine Woche
Ferien beziehen konnten, waren wir privilegiert.
Das Gesetz, wonach Minderjährige 3 Wochen Ferien im
Jahr beziehen konnten, wurde erst auf den 1.1.1958, gültig.
Genau in dem Jahr, in welchem ich 20. wurde!
Für mich war klar, dass ich die ganze Zeit arbeiten würde,
um endlich wieder über etwas Geld zu verfügen.
Ich fand eine Stelle als Bauhandlanger bei der Firma Hänni,
Hoch- und Tiefbau, in Liebefeld. Mit einem Stundenlohn
von Fr. 2.54, gehörte ich zu den bestbezahlten Handlangern.
Umgerechnet war mein Gehalt rund 30% höher, als das
Gehalt von Vater.
Ich arbeitete auch pausenlos bis 11 Stunden täglich.
Schaufelte Gräber und Kanäle aus, hatte schon bald die
Hände voller Blasen.
Mein Einsatz veranlasste den Vorarbeiter zu folgender
Bemerkung: „wollen Sie alles alleine machen?“
Er lag richtig, ich reduzierte meinen Einsatz etwas, passte
mich dem Arbeitstempo der anderen an.
Wir verlegten grosse Rohre tief in der Erde, als die
Abwasserleitung fertig war, erinnerte sich der Chef, dass die
Fugen noch nicht abgedichtet waren. Er suchte einen
Freiwilligen, der bereit war, zwei Meter unter der
Oberfläche diese Arbeiten auszuführen.
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Es meldete sich keiner, also kam er auf die Idee, der jüngste
müsse diese Arbeit tun. Und mit noch nicht einmal 16, war
ich das, aber ich war auch der grösste, hatte demnach
Schwierigkeiten in das enge Rohr zu kriechen. Erst folgte
ich dem Befehl, kroch mit einer Portion angemachtem
Zement in die Rohrleitung. Mit den Händen überzog ich die
Fugen mit Zement, schon bald einmal bluteten alle 10
Finger.
Aber es wurde noch schlimmer, ich musste die Arme nach
vorn strecken, das war sehr mühsam, dazu kam noch, dass
ich mich nicht bewegen konnte, ich verspürte
Sauerstoffmangel, als müsste ich ersticken.
Das war genug! Ich kroch hinaus und sagte wütend: „So,
ich steige da nicht mehr hinunter, soll gehen wer will, schaut
einmal meine Hände an, und Luft hat es auch keine dort
unten“. Der Chef erkannte meine Entschlossenheit und
lachte nur, fügte aber noch hinzu: “Dann lassen wir das
eben sein.“
Das war das einzige Problem während dieser Zeit, ausser
noch ein Zwischenfall bei der Verpflegung an einem Mittag.
Da war auch ein etwas geistesgestörter Arbeiter aus
Wattenwil, meinem Heimatort, den ich noch nie besuchte.
Vermutlich hatte der Mann schlechte Erinnerungen an
einen Bewohner, der meinen Namen trug, er wurde plötzlich
grundlos sehr ausfällig und aggressiv, dabei ergriff er eine
volle Mostflasche und schleuderte sie mit aller Wucht gegen
mich. Geistesgegenwärtig drückte ich den Kopf zu Boden,
ich sass ja am Boden, die Flasche sauste über meinen Kopf
und zerschellte. Das war nochmals gut gegangen. Gegen
Ende Juli, kam noch ein Handlanger, dem man eigentlich
eher einen Chefposten zugetraut hätte. Er fuhr einen roten
offenen Sportwagen, war gut gekleidet, weisser Anzug,
elegante Halbschuhe. Er war sehr gesprächig zu mir,
erzählte mir seine Abenteuer mit den Frauen, und ich hörte
ihm zu wie dem Weihnachtsmann. Er wusste Dinge, die mir
ganz neu waren, erklärte die Funktion eines Kondoms, und
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er schenkte mir ein Kondom zum ausprobieren. Ich war hell
begeistert und konnte es kaum erwarten, dieses Wunderding
über zu streifen, obwohl mir bewusst war, dass da noch
etwas fehlte.
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Kapitel 51
O Cangaceiro
Etwa im Mai 1954, wurde im Cinema Forum, der
brasilianische Film „O Cangaceiro“ gezeigt. Ich las bereits
Monate zuvor in der Film Revue, dass erstmals ein
brasilianischer „Wildwestfilm“ gedreht wurde.
Gespannt ging ich an einem sonnigen Samstagnachmittag
ins Kino, schon vor dem Beginn der Vorstellung, wurde
diese neuartige Musik gespielt welche unter die Haut ging,
dazu seltsame, tief greifende Gesänge, welche über die
bekannten kirchlichen Töne hinausragten. Eine Art von
sphärischen Klängen, die durch Bein und Mark gingen.
Zwei Burschen vor mir sitzend, machten mich noch
zusätzlich auf diese sonderbaren Melodien aufmerksam, sie
waren ebenfalls davon bezaubert und betonten dies
gemeinsam.
Auf Grund dieser einmalig melancholischen Töne, erwarte
ich auch eine einzigartige Vorführung.
Und es war tatsächlich etwas Sensationelles, ein noch nie
gesehenes Schauspiel, mit einem mystischen, fast
ausserirdischen Hintergrund. Wie ich später erfahren
konnte, handelte es sich nicht um eine frei erfundene
Räubergeschichte, sondern um einen sorgfältig nach
historischen Tatsachen gedrehten Filmstreifen.
Der Anführer, Lampiao und seine Frau, Maria Bonita,
wurden ausgerechnet im Jahr 1938, in einem Gefecht mit
der Armee, erschossen. Vorher führte er eine Armee von
weit über 150 Mann an, der im Sertao von Nordostbrasilien,
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gegen die reichen Grossgrundbesitzer Krieg führte.
Er soll sehr brutal vorgegangen sein, das wurde im Film
auch so dargestellt, so etwa wurden ihre Frauen mit einem
glühenden Eisen wie die Pferde, am Hintern markiert.
Als dies von einem Mann in der Schweiz nachgeahnt wurde,
war natürlich dieser Film daran schuld!
Limpiao war aber ein Volksheld, eine Art von Robin Hood,
und wird heute noch mit Symbolen und Schnitzereien
verehrt. Das Ganze ging mir aber so nah, dass ich mich
lange Zeit sogar als Wiedergeburt des Limpiao empfand.
Ich summte die Melodie während Jahren und immer, wenn
ich ein Problem hatte, kam in mir einfach der Song „Lua
Bonita“, oder „O Cangaceiro“, hoch. Ich wusste, dass alle
Cangaceiros von 1933 bis 1938, im Kampf ihr Leben lassen
mussten, auch ihre Frauen wurden von den Polizisten und
Soldaten rücksichtslos umgebracht, die Köpfe abgeschnitten
und in den Städten des Nordostens ausgestellt.
Die brasilianischen Filme, welche später von Glauber Rocha
folgten, waren nicht einmal ein Schatten davon. Es blieb bei
diesem einen Film und auch die Musik fand keine Nachfolge,
nur billige Imitationen, welche sich richtig schäbig
anhörten! Dieser Film war für mich wie ein Lichtblick in
eine andere Dimension.
Kapitel 52
Dreissig Sekunden im
Jenseits
Nach sechs Monaten war die Minilehre vorüber, jeder
Lehrling hatte einen Ambos gefeilt, ein komplettes Schloss
hergestellt, verschiedene Kunstschlosserartikel geschmiedet,
etc. Das 2. Semester war in der Schweissabteilung, dort
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wurden uns sämtliche bekannten Schweisstechniken
beigebracht, besonders aber das Elektroschweissen.
Wir sassen während Wochen und Monaten in den
Schweisskabinen, brannten Elektrode um Elektrode
auf die Metallstücke, welche zu Fahrradständern
zusammengefügt wurden, Auftraggeber war die Stadt
Zürich. Wir hatten zwar einen Augenschutz, aber keinen
Mundschutz, während Monaten atmeten wir die giftigen
Gase ein, die oft sogar berauschend wirkten.
Während den Pausen, stiess man auch auf die Lehrlinge
anderer Klassen, Schreiner, Spengler, Mechaniker.
Im 2. Lehrjahr der Spenglerabteilung, war ein grosser
Basler, schlanker als ich, aber weit über 180 cm gross.
Er war Judoka, was mir einigen Respekt einflösste, weil ich
davon wenig wusste. Aber er war ein richtiger Provokateur,
der es besonders auf mich abgesehen hatte. Es war nur eine
Frage der Zeit, bis wir handgreiflich würden, das schien fast
unvermeidlich. Wir sassen in einem grossen Glaserker auf
den Bänken, einmal mehr reizte mich der Kerl mit einer
Zeitung, die er gegen mich schlug. Das war das Signal, ich
ergriff ihn mit einer Schwingerkombination, dann
katapultierte ich ihn hoch und wir wären dann beide direkt
in die Glaswand geschleudert worden, er unter mir!
Ich war stärker und er hatte keine Chance, als ich aber
erkannte, dass wir einen grossen Schaden anrichten werden,
da zog ich ihn zurück, und das benutzte der Mann, um mit
einem Judoschwung, mich auf den Plattenboden zu
schmettern. Ich schlug mit der Stirnseite des Kopfes derart
hart auf, dass ich nahezu bewusstlos wurde. Dies benutzte
der Basler, um mich während längerer Zeit zu würgen. Ich
verlor das Bewusstsein! In diesem Augenblick schoss ich
durch einen dunklen Tunnel, auf der anderen Seite war ein
grelles Licht und was noch mehr überraschte, eine herrliche
Musik empfing mich. Noch nie zuvor hörte ich solche
himmlische Klänge. Plötzlich war alles vorbei, ich erwachte
am Boden, war völlig fertig, das war in dem Moment, als der
Basler mit dem Würgegriff aufhörte. Wie mir die Kollegen
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danach erzählten, würgte er mich noch einige Sekunden, als
ich schon das Bewusstsein verloren hatte. Erst als sie ihm
sagten, er habe mich umgebracht, liess er von mir ab.
Halb benommen raffte ich mich auf meine Füsse, mein
Kopf fühlte sich an wie eine zerquetschte Melone, eine
faustgrosse Beule garnierte meine Stirne, zum Glück hatte
ich sehr lange Haare und konnte diese zur Tarnung
verwenden. Die Pause war vorüber und ich schwankte wie
ein Betrunkener in die Werkstatt hinunter. Ich war heilfroh,
dass wir die Glasgarnitur nicht beschädigt hatten, das hätte
ein Riesenproblem abgegeben, möglicherweise sogar den
Ausschluss von der Schule?
Vermutlich hatte ich auch eine leichtere Hirnerschütterung,
der Klassenlehrer machte eine Bemerkung zu meinem
„Wasserkopf“, selbstverständlich sagte ich ihm nicht, wie
das vor sich ging.
Meine Beule war nach drei Wochen weg, und den Basler
traf ich kaum noch in den Pausen. Er wusste, dass wir nur
wegen meinem Rückzieher schadlos aus der Sache kamen,
meinerseits war es nur eine halbe Niederlage. Tief
beeindruckt hatte mich aber die Exkursion ins Jenseits,
was wohl dort noch alles zu sehen gewesen wäre, bereits
sah ich Wesen im hellen Licht, aber erkennen konnte ich
nichts, es war alles viel zu kurz.
Viele Fragen blieben dabei unbeantwortet.
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Kapitel 53
Die Halbstarken
Schon 1953 konnte man die ersten Niethosen kaufen, lange,
enge, schwarze Hosen mit Nieten versehen. Mit meinem
Lohn von der Baustelle, erwarb ich natürlich sogleich diese
Hosen, welche ich mit farbigen „Cowboy-Hemden“ trug.
Dadurch wurde man natürlich zum Aussenseiter, hatte man
auch noch lange Haare, dann wurde man als „Halbstarker“
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bezeichnet, dieser Begriff für Jugendliche von 12 bis 19
Jahre, kam wohl erstmals im Jahr 1954 auf. Ich zählte mich
nie zu den Halbstarken, sondern zu den Ganzstarken, und
das betonte ich oft gegenüber den Erwachsenen, ich führte
aus, dass, sollte mich jemand „Halbstarker“ nennen, ich
zeigen werde, dass ich kein „Halber“ sei! Ich sah aber mit 15
viel älter aus, und kann mich nicht erinnern, dass mich
jemand „Halbstarker“ nannte. Das war auch besser so, sonst
wäre ich möglicherweise ausfällig geworden.
Schon bald wurden die schwarzen Hosen durch die damals,
in der Schweiz noch unbekannten blauen „Jeans“ abgelöst,
auch mit Nieten versehen, später oft nur noch mit
auffälligen Nähten.
Eine neue Zeit begann, gleichzeitig erfand Bill Haley den
Rock-n-Roll, eine unerhört lebensbetonte Musik mit einem
hinreissenden Rhythmus!
Historiker zu werden, war nicht mehr mein einziges Ziel,
mindestens ein halbes Dutzend Berufe reizten mich ebenso
sehr. Filmproduzent (nicht Filmstar, dazu war ich zu scheu),
Film-Operateur, Privat Detektiv, Journalist, Fotoreporter,
Missionar, Legionär oder Soldat in der US-Armee.
Und ich war überzeugt, dass ich alle diese Berufe ausüben
könnte, wenn ich nur wollte.
Später wunderte ich mich, dass ich mit meinen Gärtner- und
Landwirtschaftskenntnisse, nie daran dachte, einen dieser
Berufe zu ergreifen, mit grosser Sicherheit, wären mir diese
Berufe weit besser gelegen. Ich führe es darauf zurück, dass
ich davon schon soviel wusste und Praxis besass, dass ich
mir weitere Jahre in diesen Branchen nicht vorstellen
konnte.
Je mehr neue Tätigkeiten sich mir öffneten oder boten, desto
zielloser wurden meine Anstrengungen. Immer mehr musste
ich mich auf das Geldverdienen ausrichten, schliesslich hatte
ich keine Eltern, welche mir unter die Arme greifen
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konnten, sondern eher umgekehrt, ich musste ihnen helfen
und vorerst einmal die Familie zusammen führen. So
gesehen, war die Familie für mich vielmehr eine grosse
Behinderung und Belastung.
Kapitel 54
Bei der Post
Die LWB kannte praktisch die gleiche Ferienregelung wie
die Universitäten und Gymnasien. Deshalb hatten wir auch
am Jahresende zwei Wochen Urlaub. Auf der
Informationstafel war ein Aufruf von der PTT, der
Postabteilung, danach wurden für den Postdienst über
Weihnachten, Studenten und LWB Schüler als Aushilfen
gesucht. Das musste ich mir nicht zweimal überlegen, ich
meldete mich sogleich und erhielt einen Job.
Es war damals durchaus ein Privileg, bei der LWB in
Ausbildung zu stehen, das merkte ich bei verschiedenen
Kontakten. Und wenn ich sagte, dass ich eine Lehre zum
„Bau- Kunst- und Konstruktionsschlosser“ absolvierte,
wurde dies von Dritten viel höher gewertet, als von mir
selber. Allein schon der „Bauschlosser“ war ein viel
gefragter Beruf, „Konstruktionsschlosser“ war erst richtig
im Kommen, „Kunstschlosser“ hörte sich hingegen fast
künstlerisch an. Alle drei waren gute „Brotberufe“ welche
einem Handwerker ein sicheres Auskommen gewährten.
Es gab aber noch einen viel wichtigeren Faktor, dem ich
damals kaum Bedeutung zumass, Absolventen der LWB
waren beim Weiterstudium in einem Technikum, (heute
Fachhochschule oder Ingenieurschule) bevorzugt, es wurde
uns damals sogar versprochen, dass man mit einer guten
Abschlussnote, prüfungsfrei eintreten konnte.
Niemand hätte Verständnis gezeigt, wenn ich die Lehre
unterbrechen würde, aber für mich war das nur eine
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vorübergehende Episode. Ich hielt das aber für mich streng
geheim, auch meine Kollegen wussten nichts davon.
Das Familienproblem ermöglichte es mir, ohne
„Gesichtsverlust“ auszusteigen.
Die beiden Wochen bei der Post waren ein Vergnügen,
ich wurde im Briefsortierdienst und im Bahnpostbahnhof
eingesetzt. Die Arbeit war einfach und leicht, wir hatten viel
Spass bei dieser Tätigkeit, und der Verdienst lag nur wenig
unter jenem auf dem Bau.
Dass man geistig nicht stark belastet wurde, das störte mich
nicht, vielmehr entwickelte sich in mir ein neuer
Berufstrend, den ich nun auch in die nähere Wahl
aufnehmen konnte.
Ich hatte wieder gutes Geld verdient, das sollte bis zum
Frühjahr ausreichen, dann gab es wieder zwei Wochen
Ferien, und danach war wohl das Ende in Bern fällig,
weshalb ich die Direktion erst am allerletzten Tag
informierte, weiss ich nicht mehr. Es war ein sehr kalter
Winter mit viel Schnee, ich kaufte mir darum ein
Lehrlingsabo für das Postauto, weil ich am frühen Morgen
mit dem Fahrrad kaum vorwärts kam. Bahn und Postwagen
wurden damals nicht geheizt, man sass somit im Mantel auf
den Sitzen und fror trotzdem noch.
Aber auch in den Restaurants war oft kaum geheizt, aus
jenen Tagen erinnere ich mich an einen Zwischenfall in
einem Restaurant nahe beim Hauptbahnhof. Ich setzte mich
im Regenmantel verpackt an einen Tisch und bestellte eine
Bratwurst. Als diese serviert wurde, getraute ich mich
kaum, mit der Gabel hinein zu stechen, sie war voller Fett.
Schliesslich stiess ich zu und eine Fontaine von etwa 5 bis 6
Meter schoss aus der Riesenwurst!
Nicht nur mein Mantel war mit Fett versprüht, auch eine
oder zwei Personen am Tisch auf der anderen Seite kriegten
etwas ab. Mir war das höchst peinlich, entschuldigte mich in
aller Form, sie zeigten Verständnis und machten keine
Ersatzansprüche geltend, die Leute lachten und meinten, sie
hätten noch nie einen solchen „Sprutz“ gesehen.
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Mir war es recht ungemütlich, ich verspeiste in aller Eile die
Wurst und verschwand aus dem Lokal, logischerweise ging
ich nie mehr in dieses Restaurant.
Nachtrag: Rund 25 Jahre später, arbeitete in meinem Büro
bei der OSEC, eine Sekretärin, die sich als Tochter des
damaligen Wirts „outete“. Sie war aber zu jenem Zeitpunkt
noch kaum auf der Welt. Die Namen habe ich vergessen,
Gwerder oder ähnlich?
Kapitel 55
Lehrstelle in Weinfelden
Es hiess schon bald Abschied nehmen von Bern und dem
Schlatt. 1954 wurde letztmals auch der „Grand Prix Suisse“
auf der Bremgartenrundstrecke durchgeführt. Das war
jedes Jahr ein Riesenkrach, ich getraute mich aber nie bis
zur Piste vor, der Lärm genügte mir vollauf. Wenn ein
Wagen besonders laut aufheulte, sagte ich immer zu meinen
Kollegen: „Das ist der Juan Manuel Fangio aus Argentinien.
In Weinfelden fand ich eine Lehrstelle in einer kleinen
Metallbauwerkstatt, ein Familienbetrieb mit Namen Fehr.
Ich denke, ich fand diese Stelle in der Thurgauer Zeitung,
ebenso die Wohnung in Märstetten-Station. An der
Gillhofstrasse 247, in einem alten Zweifamilienhaus, unten
lebte die alte Eigentümerin, Frau Schweizer. Oben waren
drei kleine Zimmer, ohne Heizung, Badezimmer oder
Toilette.
Letztere befand sich kollektiv im Treppenhaus.
Dafür war der Mietzins sehr niedrig und tragbar.
Vater organisierte einen Zügelwagen von einem Kollegen,
welcher irgendwie mit seinem Arbeitgeber liiert war.
Ich bezog noch meine Osterferien und konnte wieder auf
dem Bau arbeiten, diesmal bei der Firma Riesen Gasel, die
erste Woche war ich in Mengistorf bei Gasel, eingesetzt.
Dort arbeiteten wir an einem grossen Abhang, ich glaube, es
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war eine Gärtnerei. Ein Ereignis blieb mir von dort in
Erinnerung, beim Mittagessen, befahl mir der Vorarbeiter:
„Nach dem Essen, trägst du den Haufen dort unten dort
hinauf“. Ich murmelte nur etwas wie „Ja“.
Als ich den Haufen oben hatte, hörte ich plötzlich den
Vorarbeiter schreien: „was für Dummköpfe haben wir denn
schon auf dem Bau, du hast den falschen Haufen nach oben
getragen, den hat der XY heute Vormittag doch hinunter
getragen“.
Nun ja, das wusste ich nicht, und er hätte den richtigen
Haufen besser umschreiben können. Ich drehte mich mit der
letzten oder vorletzten Ladung um, trug das Zeug wieder
nach unten und begann mit dem „Richtigen“ Posten. Ich
denke, es waren alte und neue Verbundsteine? Der Schaden
war schnell behoben, ich trug eine Ladung nach oben und
eine zweite nach unten. Die zweite Woche erlebte ich vor
der Haustür, Otto liess ein Zweifamilienhaus bauen!
Ich durfte beim Aushub des Kellerabteils noch dabei sein,
alles erfolgte damals noch mit Pickel und Schaufel.
Nach den Ferien sollte ich im 2. Lehrjahr weiter machen, ich
fuhr nach Bern, ging direkt ins Büro der Direktion und
erklärte, dass meine Familie in den Thurgau auswandere,
und ich leider meine Lehrzeit unterbrechen müsse.
Man nahm das zur Kenntnis und händigte mir ein spezielles
Zeugnis aus, dazu noch das Lehrlingsbüchlein mit den
Noten.
Ich hatte da kaum etwelche Bedenken oder etwa
Reuegefühle.
Es war ein Samstagmorgen, wir luden alles in den grossen
Umzugswagen, es hatte noch viel Platz, aber wir besassen
zum Glück nicht viel Möbel. Vater stieg vorne zum Fahrer
ein, Ernst und ich hinten bei den Möbeln. Unterwegs musste
sich Ernst übergeben, sonst verlief die lange Fahrt
problemlos.
Über die Ankunft und den weiteren Verlauf am Zielort,
erinnere ich mich nicht mehr.
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Als ich im nahen Kolonialwarengeschäft einkaufen ging,
befiel mich fast ein Schock, als ich die sehr langen Finger
des Mannes erkannte, welcher den Laden führte, also war es
kein Witz, wonach die Thurgauer lange Finger hatten!
Kapitel 56
Der Reinfall
Mit dem Umzug waren die Probleme noch lange nicht gelöst,
vielmehr kamen noch neue hinzu.
Mutter konnte oder wollte nicht sogleich kommen, sie
begründete das mit dem armen Bauer Michel, der sonst
keine Hilfe mehr hatte.
Sie hielt sich an eine dreimonatige Frist und war somit für
den Juni fällig. Ernst besuchte die Primarschule in
Märstetten-Dorf, Vater konnte bei der Strassenbaufirma
Franz Vago, in Müllheim-Wigoltingen, Arbeit finden.
Und ich begann das 2. Lehrjahr, nur noch als gewöhnlicher
Schlosserlehrling, bei der Fehr-Metallbau.
Im Vergleich zur LWB, war das ein Schock, der
Lehrlingslohn war kaum nennenswert. Dafür hiess es jeden
Abend Überstunden schinden, oft bis 22 Uhr, als ich
reklamierte, sagte der Fehr: „Wir sind eben
Privatwirtschaft, klar, dass so ein Absolvent der LWB da
nicht taugen kann“. Ich fühlte mich schwer beleidigt, und
schon in der ersten Woche, beschloss ich, diese Bude wieder
zu verlassen.
Ich nahm einen Tag Urlaub und bewarb mich bei der Firma
Tuchschmied in Frauenfeld, ich erinnere mich nicht mehr
an das Resultat dieser Unterredung. Als ich aber am
nächsten Tag wieder zur Arbeit ging, schien der Fehr
bereits informiert zu sein, er beklagte sich, dass ich hinter
seinem Rücken agierte, natürlich war alles aus!
Ich vermute, die Fa. Tuchschmied erkundige sich bei ihm
und so wusste er Bescheid, kein netter Akt!
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Ich stand nun vor dem Nichts, es war zu spät, noch eine
Lehrstelle zu finden, ich nahm die Gelegenheit wahr,
endgültig auszusteigen, eine andere Laufbahn
einzuschlagen.
Vater war von der Arbeit überfordert, 10 bis 12 Stunden
harte Arbeit und schlechte Bezahlung, das war keine
Lösung. Ich machte mich auf, um für ihn eine andere Arbeit
zu finden, bei der Schreinerei Heer, bei der Firma Naef und
Co. In Müllheim – Wigoltingen, und man fragte mich direkt,
weshalb nicht der Vater frage? Ich sagte, Vater wäre
abwesend und ich hätte den Auftrag für ihn eine Arbeit zu
suchen. Bei der Firma Naef wurde ich fündig, er konnte dort
in der Färbereiabteilung wirken und hatte eine geregelte
Arbeitszeit. Dafür ging ich bei der Vago arbeiten, es war
Schwerstarbeit und fast täglich mit Überstunden verbunden.
Die erste Woche stand ich auf der Teermaschine auf der
Ottobergstrasse, musste mit einer Schaufel den Teer
verteilen, das war sehr anstrengend.
Zeitweise kam der Juniorchef in seinem offenen Ferarri
dahergebraust, postierte sich in seinen weissen Hosen und
Hemden, wie ein König am Strassenrand, machte sich lustig
über die Arbeiter und trieb mich zu noch mehr Leistung an.
Das hinterliess in mir eine Riesenwut, ich hätte ihn
umbringen können!
Ich konzentrierte mich während Tagen nur noch auf diesen
Kerl, in Gedanken sah ich ihn bereits als toten Mann!
Kapitel 57
Unter dem Nullpunkt
Die Familie war immer noch getrennt, ich hatte kein Geld,
keine Berufslehre, keine Freundin, nichts.
Vater war höchst frustriert, Ernst wuchs ohne Aufsicht auf,
seit einer Woche arbeitete ich in Kreuzlingen, wir mussten
eine alte Gasleitung entfernen und neue Rohre in die Erde
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verlegen. Das war an der Grenze zu Konstanz, aus den
Leitungen strömte noch Gas, es wurde einem beinahe übel.
Ich wurde mehr und mehr kritisch, einmal sagte ich einem
andern Arbeiter, ich gedenke nicht immer Hilfsarbeiter zu
bleiben, ich hätte berufliche Pläne. Das hörten auch zwei
Halbwüchsige, welche an uns vorbei liefen, sie riefen mir
laut zu: “Du bist nur ein Hilfsarbeiter!“ Ich ärgerte mich
lediglich über diese dummen Sprüche, es war eine der
schlimmsten Zeiten in meinem Leben.
Jeden Tag sah ich die Postleute in ihren schmucken
Sommeruniformen, zu zweit fuhren sie lachend an uns
vorüber und erzählten sich Witze. Ich beneidete sie sehr,
was für ein Unterschied zu meinem Job!
Um 7 Uhr früh war Arbeitsbeginn, manchmal schon um
06.30, mit dem Fahrrad nach Kreuzlingen benötigte ich gute
30 Minuten, am Abend war meistens zwischen 18.30 und
19.30 Arbeitsschluss.
Es war einer dieser Tage, als ich mit dem Velo am frühen
Morgen Richtung Kreuzlingen fuhr, bei der Steigung im
Dorf Märstetten, trat ich wie üblich, mit ganzer Kraft auf
die Pedalen. Plötzlich ein Krach, ich war mit beiden Füssen
am Boden, die Pedalachse war gebrochen, und die
Kugellager rollten die Strasse hinunter!
Diesen Augenblick vergesse ich nie mehr, es war, als rollte
da noch meine letzte Hoffnung davon! Aus, ich konnte nicht
zur Arbeit erscheinen, es gab keine vernünftige Verbindung,
ein zweites Fahrrad war auch nicht vorhanden. Zudem war
ich knapp an Geld, das defekte Rad konnte wohl kaum
repariert werden. Ich sass neben dem Fahrrad und empfand
mein ganzes Elend, alles schien gegen mich zu sein. Ich war
unter dem Nullpunkt, tiefer konnte es kaum noch gehen!
Oder doch? Als ich das Rad nach Hause schob, überlegte ich
mir, was mir noch blieb? Und ich erkannte plötzlich, dass
ich doch noch meinen Körper hatte, und der war gesund
und stark!
Ich war 16 ½ Jahre alt, hatte das Leben noch vor mir, also
weshalb alle Hoffnung aufgeben, ab diesem Tag konnte es
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nur noch aufwärts gehen. Im Hinterkopf spukte die
„Fremdenlegion“ als letzter Ausweg in mir, und das
Rekrutierungsbüro war in nächster Nähe, gleich beim
Übergang in Konstanz, hiess ein grosses Plakat die
Anwärter willkommen, ich war immer noch zu jung dafür,
aber ich sah ja älter aus, das wäre somit kein Problem
gewesen. Aber da war noch die Familie, für die ich mich
verantwortlich fühlte, und wenn ich weg war, niemand
würde sich um die zwei Kleinkinder kümmern.
Ich wollte noch zuwarten, erst wenn alles nichts bringen
würde, dann schon, nichts wie los, auf in die Fremdenlegion!
Ich schöpfte neuen Mut und Hoffnung, es musste irgendwie
weiter gehen. An einem freien Tag fuhr ich einmal auch
nach Konstanz, man konnte mit einem Personalausweis
eine Tageskarte lösen, ich hatte nur den Ausweis de LWB
Bern, und das alarmierte die Zöllner, sie wollten mir keinen
Schein ausstellen. Schliesslich telefonierten sie dem
Arbeitgeber meines Vaters und wollten wissen, ob dieser
auch dort arbeitete. Nach längerer Wartezeit, durfte ich
dann endlich nach Konstanz einreisen. Damals, 1955, war
das fast eine andere Welt, alte Häuser, schlechte Strassen,
kaum neue Gebäude, während auf der Schweizer Seite alles
sauber rausgeputzt war und vielerorts neue Häuser gebaut
wurden.
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Kapitel 58
Elvis
Im Frühjahr 1955, ich hatte wie fast immer, Radio
Beromünster eingestellt, nach den Mittagsnachrichten
sprach Heiner Gautschi aus New York. Er meldete einen
neuen Sänger aus einem Südstaat der USA, der die Rock
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„n“ Roll Musik auf eine besondere Art präsentiere. Sein
Name war Elvis Presley, er war drei Jahre älter als ich, um
die 180 cm gross, mit Akne am Rücken, aus armer Familie
und er war Lastwagen Fahrer. Wir hatten soviel gemeinsam,
nur eben, Gitarrenspielen und Singen konnte ich nicht!
Seine Songs waren motivierend und revolutionär, ganz nach
meinem Gusto. Ich hatte wieder eine Leitfigur, eine Person,
die sich aus dem Elend nach oben schaffte, einer, der
aufzeigte, dass man mit guten Ideen und Mut viel erreichen
konnte. Ich war wieder besser motiviert, partizipierte am
militärischen Vorunterricht sowie am Jungschützenkurs.
In Weinfelden, war das Fotogeschäft Nuber, ich hatte dort
auch schon Passfotos erstellen lassen. An einem schönen
Tag, stand ich mit meinem Fahrrad vor dem Fotogeschäft,
ich überlegte, ob ich den Herrn Nufer fragen sollte, ob er
einen Lehrling ausbilden könnte?
Ich wollte aber keine Absage riskieren, schliesslich verliess
mich der Mut und ich zog unverrichteter Dinge davon. Es
gab da noch einen wichtigen Punkt für meinen Entschluss,
das Geld, mir war bewusst, dass ich kaum mit einem
Lehrlingslohn rechnen konnte, und ich benötigte Geld, für
mich und die ganze Familie.
Ich habe mich oft gefragt, weshalb ich in diesem Augenblick
den Mut zum fragen nicht aufbrachte, es war damals nicht
meine Art, die Segel schon im Voraus zu streichen.
In der Welt herumreisen und fotografieren, das wäre was
gewesen!
Allerdings hatte ich dazu nicht mehr Talent, als zuvor für
den Schlosserberuf.
Ein Jahr später kaufte ich mir in Konstanz für 99.- DM eine
Gitarre, damit wollte ich wie der Elvis spielen und singen.
In Weinfelden, sollte ich Gitarrenunterricht bei einer älteren
Frau nehmen, gut gelaunt fuhr ich zur ersten Lektion hin.
Selbstverständlich hatte ich keine Ahnung von Noten, Musik
und Gesang.
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Meine Vorstellung war derart vernichtend schlecht
ausgefallen, dass mir die Lehrerin riet, nie mehr eine
Gitarre in die Hände zu nehmen.
Das war brutal und niederschmetternd, wie ein geschlagener
Hund fuhr ich zurück nach Märstetten. Aus der Traum von
einer Elvis Immitation! Die Gitarre wurde mir später
gestohlen, ich vermute von Bruder Ernst, der immer der
Ansicht war, was mir gehöre, das sei auch sein Eigentum.
Kapitel 59
Der Tyrann
Mein neuer Arbeitsort bei der Firma Vago, befand sich nun
in Istighofen. Dort wurde das ganze Areal der Ziegelei
erneuert. Wie üblich, hantierte ich mit Pickel und Schaufel,
der Chef, in meinen Augen eher ein Aufseher, hiess Wagner,
auch er in weissem Galaanzug, mit einem weissen
Sportwagen, er schien mich nicht zu mögen, an einem
Nachmittag kam er auf mich zu und meinte frech, ich
arbeite zuwenig, daher werde mein Stundenlohn von 1.90
auf 1.70 gekürzt!
Dabei fand ich den Ansatz von 1.90 bereits viel zu niedrig,
hatte ich doch in Bern bei der Firma Hänni, 2.54, und bei
der Firma Riesen nur knapp weniger.
Er erklärte mir sodann, wie ich bei der Firma Karriere
machen könne, dabei zeigte er auf die Strassenwalze, die von
einem älteren Mann gesteuert wurde, wenn dieser in den
Ruhestand komme, könnte ich sein Nachfolger werden,
vorher aber, erwarte er harte Arbeit und vollen Einsatz von
mir. Er sagte das in einem sehr überheblichen und
arroganten Ton, ich hätte ihn mit dem Pickel erschlagen
können, hielt mich aber zurück. Ich antwortete ihm nicht,
beschloss aber, diese Bude zu verlassen.
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Der Wagner verzog sich, vermutlich konnte er meine
hasserfüllten Augen erkennen?
Und ich war wütend wie noch nie zuvor, stundenlang
„meditierte“ ich vor mich hin, dass dieser Unmensch für
immer verschwinde, in Gedanken schlug ich ihm den Pickel
über den Schädel. Meine Wut hielt bis zum dritten Tag an,
dann kündigte ich und war wieder einmal ohne Arbeit.
Ich hatte vom Strassenbau endgültig genug, einmal mehr
schien mir die Fremdenlegion ein letzter Ausweg!
Unwürdiger konnte dort die Behandlung nicht mehr sein,
und dabei sah man ferne Länder und Kontinente, eben
Abenteuer.
**************
Nachtrag: In den folgenden Monaten stellte ich seltsame
Vorkommnisse fest, ich hatte die „Thurgauer Zeitung“
abonniert und las sie auch täglich, besonders auch im
Hinblick auf eine Arbeitsstelle. Dabei las ich jeweils auch die
Todesanzeigen, mit hundertprozentiger Sicherheit, war da
auch die Anzeige vom Tod des Wagners, er raste mit seinem
Sportwagen in ein Hindernis und war sogleich tot. Ich
schnitt die Todesanzeige sogar aus und behielt sie eine Weile
auf. Ich empfand es als Selbstverständlichkeit, dass der
einen Unfall baute. Aber auch der junge Vago, war vorher
oder nachher ebenfalls erwähnt, auch er leistete sich einen
tödlichen Autounfall. Ich nahm diese Nachrichten wie
selbstverständlich auf, hatte eigentlich gar nichts anderes
erwartet. Erst viel später, anlässlich des Studiums der
Parapsychologie, kamen diese beiden Fälle wieder in mir
hoch, beim Wagner bin ich sicher, beim Vago könnte es sich
um einen Bruder gehandelt haben, denke aber, es war schon
der gleiche, den ich damals auch ins Pfefferland wünschte.
In den Fünfzigerjahren kannte man noch keine
Geschwindigkeitsbeschränkungen auf den Strassen, und
Autobahnen waren schlichtweg unbekannt. Wenn man die
Verkehrsdichte von damals mit der heutigen vergleicht, gab
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es prozentual rund 6 bis 10 Mal mehr tödliche Autounfälle,
als zum Beispiel heute.
Dass diese beiden Raser verunfallen mussten, war eigentlich
fast eine logische Folge. Man kann aber durchaus auch
andere Aspekte anführen. Ich werde es nie erfahren!
***************************************************
Kapitel 60
Die Familie ist wieder
komplett
Endlich, nach gut 2 Jahren, war die ganze Familie wieder
zusammen, Vater, Mutter, Klara, Ernst und ich. Ich war
glücklich, dass es nun doch noch möglich wurde. Vater
trank keinen Alkohol mehr, Mutter ging stundenweise
Wohnungen reinigen oder arbeitete im Hotel „Kreuzstrasse“
in der Küche. Wir waren nun zu dritt mit jeweils einem
kleinen Einkommen, aber es reichte aus, wir konnten uns
einen elektrischen Staubsauger leisten, ich kaufte eine
wasserbetriebene Waschmaschine. Dann erschien etwa im
Juni ein Inserat von der PTT: Gesucht wurden Männer bis
Jahrgang 1937, mit guter Gesundheit und Bildung, für die
Laufbahn eines uniformierten Angestellten bei der
Kreispostdirektion Zürich. Und in Klammern stand noch in
Kleinschrift: „Ausnahmsweise werden auch Männer vom
Jahrgang 1938, berücksichtigt, vorausgesetzt, sie erfüllen
die Bedingungen“.
Das war mein Ziel, ich musste es schaffen, der Nachbar,
Ernst Schär, Bruder des bekannten Radrennfahres Fritz
Schär, sagte mir, ich hätte doch keine Probleme und solle
mich ruhig anmelden. Was ich auch sogleich tat, ich konnte
ja nur gewinnen!
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Ich konnte dann noch in der Färbereiabteilung der Firma
Naef, etwas Geld verdienen, Vater war in der Rupferei
beschäftigt, dort wo die Putzfäden hergestellt wurden.
Die Arbeit in der Fabrik war im Vergleich zum Strassenbau
nur halb so schwer. Man arbeitete nur 9 Stunden am Tag,
hatte stets den gleichen Arbeitsort und Platz.
Dann, an einem schönen Sommertag, beschloss die
Färbereibelegschaft zu streiken, ich machte nicht mit, der
Direktor Naef, beauftragte mich mit den Aufgaben des
Vorarbeiters, Farbmischungen richtig machen etc.
Die Übung gelang, vor Begeisterung wollte der Chef mich
sogleich zum Vorarbeiter ernennen, aber ich wollte nicht,
ich stand vor der Aufnahmeprüfung zur PTT und das reizte
mich schon viel mehr, obwohl mit noch nicht 17,
Vorarbeiter sein, hörte sich nicht schlecht an. Dafür hatte
ich dann einen Feind mehr, der Chef wollte mir meine
Absage nicht verzeihen. Als der Streik vorbei war, delegierte
er mich zu zwei Bahnwagen, welche voller Kohle waren.
Auch Vater war bereits an der Arbeit, er hatte Erfahrung
im Ungang mit Kohle, ich aber empfand dies als persönliche
Degradierung!
Mit voller Lautstärke schmetterte ich dem Direktor
sämtliche mir bekannten Schimpfwörter entgegen, und
erklärte ihm direkt, dass ich keine Kohlen ausladen werde.
Vater grinste nur, er konnte sich so etwas nicht leisten, ich
hingegen schon, es war das erste Mal, dass ich über meinen
Job offen rebellierte. Er entliess mich aber nicht, er wusste
bereits, dass ich Ende August aufhören würde. Ich hatte die
Aufnahmeprüfung und die ärztliche Untersuchung
erfolgreich bestanden und konnte am 14. September in
Zürich, die Postlehre beginnen.
Kapitel 61
Der Postlehrgang
Es war soweit, am 14. September 1955, soeben 17 geworden,
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trat ich in die Dienste der PTT ein. An der Claridenstrasse
in Zürich, befand sich das Seminarzentrum der Post.
Wir waren rund 25 Kandidaten, dabei war ich einmal mehr
der jüngste Anwärter, so wurden wir genannt, nach sechs
Monaten wurde man zum Aspiranten. Den offiziellen
Beamtenstatus erhielt man erst mit der Volljährigkeit, also
mit 20. Uns wurden sämtliche Vorschriften und Gesetze
beigebracht, jeder erhielt einen Satz Bücher zum Studium.
Für manche war es ein Zweitberuf, und ein Bündner hatte
sogar einen Maturaabschluss.
Der Unterricht war sehr interessant, am liebsten wäre ich
jahrelang dabei geblieben. Aber wir wurden auch bereits an
die vorderste Front geschickt, so landete ich an einem
Spätnachmittag auf der Post Aussersihl beim Helvetiaplatz.
Ich musste dort die aufgegebenen Pakete in ein dickes Buch
eintragen, das tat ich sehr sorgfältig, aber ich war allein und
die Pakete häuften sich gnadenlos wie ein Berg vor mir,
Ich schrieb immer schneller und schneller, aber der Berg
wurde immer höher, ich sah nur noch Pakete!
Meine Hand schmerzte, ich konnte meine Schrift kaum noch
lesen, egal, es ging weiter und weiter! Endlich, um 18.30
wurden die Schalter geschlossen und der Berg wurde sodann
immer kleiner, ich glaube, ich war erst gegen 20 Uhr fertig.
Und auch körperlich total erschöpft, das war eine harte
Nummer, und vermutlich auch Absicht, man wollte uns auf
die Leistungsfähigkeit und Ausdauer prüfen. Zum Glück
blieb diese Vorstellung einmalig, schliesslich machte ich
auch keine Schalterlehre.
Wir besuchten auch die Sihlpost und waren von deren
Grösse beeindruckt. Nach etwa drei Wochen war der Kurs
vorüber, wir wurden dann den Poststellen zur weiteren
Ausbildung zugeteilt. Wunschgemäss durfte ich nach
Winterthur.
Dort wohnte ich an der Klosterstrasse 10,(Töss) bei der
Tante Alice und Onkel Adolf. Von der Post erhielt ich ein
gelbfarbiges Fahrrad ohne Übersetzung, zu dem natürlich
noch die Postuniformen.
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Bei Alice schlief ich in einer Dunkelkammer, ohne Fenster,
dafür und für gelegentliche Mahlzeiten, zahlte ich ihr einen
angemessenen Betrag. Es war ein seltsames Paar, sie hatte
das Sagen, er durfte nur ja sagen. Ich durfte auch die
Zeitungen und Magazine lesen, dafür klagte sie dann bei
ihrer Schwester, meiner Mutter, ich wäre zu geizig, um
selber Zeitungen zu kaufen, das fand ich sehr daneben.
Ich hörte das Paar nie zusammen sprechen, es war wie in
einem kleinen Irrenhaus. Der Dölf sass nach Feierabend
immer am Tisch im Wohnzimmer und hatte ein Glas Bier
vor sich, dabei sagte er jeden Tag denselben Satz: „Diese
verdammten Sau Tschinggen!“, er meinte damit die
Italiener, welche in der Fabrik arbeiteten. Als ich ihn einmal
fragte, weshalb er immer über die „Tschinggen „ fluche,
sagte er, die würden den Akkordtarif unterbieten, und so
müsse er mehr arbeiten!
Alice war Putzfrau und selten in der Wohnung, sie hatte
eine sehr zynische und sarkastische Art, sie konnte nicht
normal mit mir umgehen, alles war immer dubios und
minderwertig in ihren Augen.
Das Essen war oft ungeniessbar, sie kaufte in den
Metzgereien Abfälle, Innereien wie Lungen und dergleichen,
davon braute sie eine Suppe, und das schmeckte derart
schlecht, dass ich mich manchmal fast übergeben musste.
Natürlich machte sie wieder ihre dummen Sprüche, deshalb
verzichtete ich später auf ihre Mahlzeiten.
Ich verpflegte mich meistens in der Volksküche beim
Bahnhof, die war gut und preiswert. Diese war nur für das
Post- und Bahnpersonal bestimmt. Obwohl noch in
Ausbildung, wurde ich gleich Mitglied bei der PTT-Union
Zürich und auch Winterthur. Von beiden Büros erhielt
einen sehr attraktiven Ausweis mit Foto.
Beide datiert im Oktober 1955, worin mir der Titel
„Uniformierter Postbeamter“ zugeteilt wurde. Die Qualität
war derart gut, dass beide Ausweise nach 58 Jahren, immer
noch wie neu aussehen!
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Vater machte grosse Augen, als ich ihm den Ausweis zeigte.
Auch der Dölf war sichtlich fasziniert, da war ein knapp
Siebzehnjähriger bereits Beamter, damals eine kleine
Sensation. Aber für mich war die Post lediglich ein
Sprungbrett, eine gute Möglichkeit, schon sehr jung Geld zu
verdienen. Und im Vergleich zum Strassenbau, war das
bereits ein grosser Sprung vorwärts.
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Kapitel 62
Das Ferngymnasium
Die Arbeitszeiten waren meistens unregelmässig auf 48
Stunden in der Woche verteilt, jeder Angestellte hatte einen
monatlichen Dienstplan, die Aufgaben waren in einem
Beschrieb festgehalten. Da gab es einen Dienst, den keiner
mochte, Arbeitsbeginn um 13 Uhr, dann etwa drei längere
Pausen, schliesslich war man am Morgen um 03.15 mit der
Arbeit fertig und auch körperlich am Ende!
Ausser Kinobesuche, kannte ich keine Freizeitbetätigungen.
In Zürich war ein Ferngymnasium an der Restelbergstrasse,
ich liess die Unterlagen kommen und war vom Angebot
begeistert. In nur 2 ½ Jahren konnte man sich
nebenberuflich auf die eidg. Maturitätsprüfung vorbereiten.
Dabei war der Schwerpunkt auf die B-Matur ausgerichtet,
damit konnte man praktisch alle Fakultäten belegen.
Zudem waren die Kosten extrem niedrig, so, dass ich mit
meinem Lohn durchaus kein Problem hatte.
Ich meldete mich an und begann intensiv mit dem Studium,
Deutsch und deutsche Literatur, Französisch, Englisch,
Lateinisch, Physik, Chemie, Biologie, Mathematik,
Geometrie, Zeichnen. Ich musste täglich bis 5 Stunden
büffeln, damit war ich auf der absoluten Höchstbelastung
angelangt. Aber der Wille war vorhanden und ich setzte
mich anfänglich durch. Dann kam die Gesundheit und
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machte mir einen Strich durch meine Pläne, ich litt an
schweren Magenkrämpfen, es war kaum mehr auszuhalten,
nachts konnte ich nicht schlafen, ich versuchte verschiedene
Tabletten, aber umsonst!
Ich konnte kaum noch meine Arbeit erbringen, ich hatte
keine Wahl, ich musste das Studium, das so gut begonnen
hatte, aufgeben!
Ich konnte ohne Probleme und gebührenfrei stornieren, die
Schule war wirklich vorbildlich, aber wie das bei guten
Dingen oft ist, das Gymnasium konnte nicht überleben, ich
hätte nicht einmal bis zum Abschluss studieren können.
Dafür entstand danach eine andere Fernschule unter dem
Namen „Akademikergemeinschaft“, (später AKAD), auch
dort waren anfänglich Idealisten am Werk, und diese
überlebten und existieren auch noch 50 Jahre später.
Die Magenkrämpfe blieben mir noch gute 10 Jahre erhalten,
bei Stresssituationen auch noch später, sie verhinderten die
Realisierung meiner beruflichen Ambitionen.
Kapitel 63
Ich werde Kommunist
Es brodelte bei der Post, die PTT-Union forderte mehr Lohn
und drohte gar mit Streik, obwohl Streiks in der Schweiz
verboten waren. Anfangs Oktober 1955, forderte die Union,
deren Mitglied ich nun war, uns ultimativ auf, an einem
grossen Protestumzug in Zürich, teilzunehmen.
So marschierten mehr als 4000 uniformierte Postangestellte,
an einem Samstagnachmittag die Bahnhofstrasse in Zürich,
hinauf. Der Aufmarsch wurde in der ganzen Schweiz ernst
genommen, und es freute mich, auch dabei gewesen zu sein.
Dabei wurde auch Werbematerial verteilt, ich erhielt eine
Zeitung der „Proletarischen Aktion Schweiz“, unter dem
Slogan „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“, wurden
neue Mitglieder gesucht, das klang wie Musik in meinen
Ohren. Ich wurde Mitglied und las die Zeitung stets von A
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bis Z durch, es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis
die ganze Welt vom Kapitalismus befreit würde.
Ich realisierte, dass wir sogar links von den Kommunisten
angesiedelt waren, das war genau richtig.
Ich sagte aber nicht einmal meinem Vater, dass ich politisch
links aussen aktiv werden wollte. Das war auch gut so, denn
wie ich später erfuhr, plauderte er gerne mit Drittpersonen
über mich. Auch Tante Alice und ihr Mann wussten nichts,
das heisst, sie hätten meine Post und Lektüre lesen können,
anscheinend taten sie das nicht, oder sie verstanden die
Sprache nicht. Gegen Ende Oktober, ich war bisher bei der
Hauptpost in Winterthur im Einsatz, rief mich an einem
Morgen die Sekretärin des Verwalters in sein Büro. Ich war
gespannt weshalb, stand aufrecht vor dem Herr Oeschger
und dieser schaute mich seltsam an. Dann begann er wie
folgt: „Sie sind zwar noch sehr jung, wohl der allerjüngste
bei uns, aber sie erscheinen viel älter und reifer, darum
haben wir für sie einen Sondereinsatz vorgesehen. In
Seuzach ist ein Briefträger erkrankt, und wir haben keinen
Ersatzmann, wir dachten, sie könnten ihn möglicherweise
vertreten?“
Ich sagte ohne zögern zu und eine Stunde danach war ich
bereits unterwegs nach Seuzach.
Einen solchen Job ohne Einarbeitung zu übernehmen, das
war gar nicht einfach, auch der Verwalter machte mich
darauf aufmerksam, aber das konnte mich nicht davon
abbringen, ich mochte solche Herausforderungen.
Es war ein harter Job, aber nach drei Tagen ging es bereits
viel besser. Der Einsatz dauerte nur etwa 2 Wochen, nur
einmal hatte ich ein Problem, die Belege für
Barauszahlungen und Nachnahmen steckte ich im Büchlein
unter den Umschlag. Unterwegs stellte ich fest, dass ich das
Quittungsbüchlein verloren hatte, und damit auch alle
Belege für viele Tausend Franken!
Man hätte mir anhängen können, das Geld unterschlagen zu
haben, eine Ungeheuerlichkeit.
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Erst machte sich Panik breit, ich wollte sogleich mit meinem
Postfahrrad in Richtung Konstanz, losradeln, ab in die
Fremdenlegion!
Das war nahezu eine Kurzschlussreaktion, dann aber
überlegte ich scharf, da erinnerte ich mich an die Frau im
Kolonialwarengeschäft, die immer soviel redete und mich
ablenkte, sicher hatte ich das Büchlein dort liegen lassen!
Aufgeregt fuhr ich zum Laden zurück, ich musste nicht
einmal etwas sagen, die Frau streckte mir das Büchlein
entgegen, ich war sehr erleichtert.
Kapitel 64
Neuorientierung
Es wurde mir bewusst, dass ich meine Studienziele vorläufig
begraben musste. Ohne die zusätzlichen Familienprobleme,
hätte ich vermutlich einen gangbaren Weg mit Teilzeitarbeit
finden können, um die Maturität nebenberuflich zu
bestehen.
In meiner Situation, war das aber mit meinen
gesundheitlichen Zusatzschwierigkeiten, absolut unmöglich
geworden, und ich musste mich darum umorientieren.
Da waren einmal diese Schaufenster an der Merkurstrasse,
in welchen der KV Winterthur, die fast unbeschränkten
Möglichkeiten eines Überseekaufmanns anpries. Ich
bestaunte fast täglich diese schönen Laufbahnaussichten und
Anpreisungen, welche einem Kaufmann mit Lehrabschluss
offen standen. Die internationalen Handelsgesellschaften
hatten Angebote nach Afrika, Asien und auch Südamerika.
Das weckte in mir neue Träume und Pläne, was war schon
ein Geschichtsstudium im Vergleich zu diesen Laufbahnen
im Ausland?
Aber wie konnte ich eine kaufmännische Lehre absolvieren,
mit meinen 5 Jahren Primarschule, war es unmöglich eine
Lehrstelle zu kriegen!
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Somit musste ich einen anderen Weg finden, noch kannte ich
ihn nicht, aber es musste einen geben!
Dann war da noch der Traumberuf „Privatdetektiv“, es
existierte damals ein Büro in Winterthur, an der
Haldenstrasse. An einem freien Tag sprach ich dort vor, ich
hatte einen Prospekt von einer Privatdetektivschule in Basel.
Ich wollte wissen, was so ein Kurs nützen könnte, wollte ich
ein eigenes Büro eröffnen?
Die beiden Herren informierten mich spontan und nicht
schlecht, ich bedankte mich und verliess das Büro.
Damals war es noch normal, dass man solche Auskünfte
kostenlos erteilte, und nicht für jede Dienstleistung eine
Rechnung präsentierte. Ich tat dies oft und erhielt immer
gute Auskünfte, die Leute waren sogar positiv beeindruckt,
wenn sich ein Bursche informieren liess.
Wer kein helfendes Elterhaus kennt, keine nützlichen
Verwandten hat, und auch sonst nicht auf Rosen gebettet ist,
muss sich nun einmal bei fremden Leuten orientieren.
Das Detektivbüro war dem Kurs eher neutral gestimmt, sie
waren der Ansicht, dass mir die Theorie durchaus nützlich
sein könnte, dass aber erst die Praxis einen Privatdetektiv
aus mir machen werde.
Da der Jahreskurs nur 120.- Franken kostete, inkl.
Abschlussdiplom, wagte ich Ende 1955, mich für diesen
Fernkurs anzumelden. Ich musste viel weniger Büffeln, als
für die Maturvorbereitung, zudem war ich richtig fasziniert
vom Lehrstoff. Ein Jahr später erhielt ich das Diplom, einen
Ausweis und ein Schulzeugnis. Ich machte nie Gebrauch
davon, auch fehlte es mir am Anfangskapital für die
Gründung eines Büros. Das Diplom war von einer einmalig
guten Qualität, so, dass es noch mehr als 50 Jahre später wie
neu aussah.
Dann las ich zufällig in einer Zeitung, dass man in der
Schweiz, auch eine Lehrabschlussprüfung machen könne,
wenn man im fraglichen Beruf die doppelte Lehrzeit
absolviert hat!
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Diese Information bohrte sich wie eine Grabinschrift in
mein Gehirn ein. Das war die Lösung für mein Problem, und
ich war fest entschlossen, diesen Weg einzuschlagen.
Die Post war zwar eine Lebensstelle, aber nicht für mich,
obwohl Vater diese Anstellung in höchsten Tönen lobte.
Er war ein Opfer der grossen Arbeitslosigkeit vor dem 2.
Weltkrieg, und für ihn gab es nichts Besseres als eine solche
Staatsstelle. Aber schon bei der Aufgabe der Lehrstelle, sah
er sehr schwarz für mich, und er konnte mir ja doch nicht
helfen, zudem hatten sich die Zeiten geändert.
Deshalb nahm ich seine Schwarzmalereien höchstens zur
Kenntnis, machte aber was sich wollte und als richtig
empfand.
Ich spielte bereits mit dem Gedanken, die PTT nach der
Abschlussprüfung im Frühjahr 1956, wieder zu verlassen.
Aus einer anderen Quelle erfuhr ich, dass man die
Rekrutenschule bis um 2 Jahre vor verlegen konnte,
vorausgesetzt, man wurde dafür als reif genug befunden.
Auch dafür wollte ich auf sicher gehen, sprach diesbezüglich
beim Kreiskommando Winterthur, vor, wo man mir
freundlich diese Möglichkeit bestätigte. Allerdings hatte ich
nur noch ein Jahr fällig, für zwei Jahre hätte ich mich
bereits im Sommer 1955 anmelden müssen, also vor dem 17.
Altersjahr.
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Kapitel 65
Tränengaseinsatz
Ich war kaum aus Seuzach zurück, da rief mich die
Sekretärin schon wieder zum Verwalter. Ich dachte schon,
es gebe eine Schelte für ein Fehlverhalten in Seuzach, oder
anderswo? Wer zum Verwalter zitiert wurde, war oft nicht
mehr gesehen! Ein Appenzeller sandte einen Expressbrief
statt nach Wien, nach Paris, er war aus meiner Klasse und
wurde fristlos entlassen. Ein anderer leerte einen
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Postbriefkasten einige Minuten zu früh, er wurde angezeigt
und entlassen. Beide hatten bereits eine Verwarnung zuvor
kassiert. Aber ich erhielt keine Verwarnung, der Verwalter
lobte meinen Einsatz in Seuzach und führte aus: „Wir haben
ein Problem in Unterstammheim, der Mann dort fällt einen
ganzen Monat aus, können Sie ihn vertreten?“
Ich sagte nur „Ja“, dann ging ich zurück in mein Zimmer
und eine Stunde später war ich bereits unterwegs mit der
Eisenbahn nach Stammheim, im Zürcher Weinland. Den
Ort musste ich aber zuvor noch auf der Landkarte suchen.
Seltsamerweise war ich der einzige Postanwärter, der auf
solche Missionen geschickt wurde, die andern mussten ihre
Lehrzeit bei der Hauptpost im Innen- und Bahnpostdienst
absolvieren.
Ich hatte keine Ahnung, was da auf mich zukommen wird.
Gegen Mittag erreichte ich die Station Unterstammheim,
fragte mich zum Postbüro durch und war schon bald dort.
Die Posthalterin, ein Frl.Merz, empfing mich freudig, sie
war sehr froh, dass man ihr so schnell eine Ersatzperson für
den Briefträger, Herrn Girsberger, zur Verfügung gestellt
hatte. Das Fräulein war sehr klein, reichte mir knapp unter
die Achseln, und sie mochte bereits über 60 Jahre zählen.
Mit den Schuhen und der steifen Mütze, wirkte ich fast wie
190 cm gross. Frl. Merz erklärte mir kurz das Problem, und
schon zog ich los, um die Tagespost zu verteilen, das war gar
nicht einfach, erstens gab es kaum Strassennamen, dann
hiessen viele Einwohner „Frei“ oder „Ulrich“. Frl.Merz
zeichnete mir die Strassen auf einem Plan auf, so konnte ich
mich etwas orientieren. Viele Häuser hatten weder einen
Briefkasten noch einen Namen an der Haustüre, angebracht.
Die Leute stellten mir nach und wollten mir beibringen, dass
der Briefträger ihre Post immer ins Toilettenfenster lege,
andere nannten die Bank beim Eingang. Ich machte ihnen
sogleich klar, dass sie gemäss den Vorschriften der Post,
Briefkästen anbringen müssten, ansonsten ich keine
Verantwortung für eine zuverlässige Zustellung
übernehmen könne.
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Alle hatten da etwas zu meckern, aber ich ging gar nicht erst
darauf ein, es fehlte mir die Zeit um dazu Stellung zu
nehmen.
Ich hatte ein Zimmer bei einer Frau Spalinger, dort hatten
noch drei weitere Männer ihre Zimmer, ein Deutscher, ein
Wallisser und ein Freiburger.
Sie waren bei der SBB beschäftigt und auch älter als ich.
Um in mein Zimmer zu gelangen, musste ich erst ihre
Zimmer durchqueren, zudem konnte ich mein Zimmer nicht
abschliessen. Die drei machten gerne Unfug, besonders
dann, wenn sie getrunken hatte.
So drohten sie mir, mich zu überfallen und mein Bett auf
den Kopf zu stellen. Ich sagte ihnen, dass sie es versuchen
können, dass sie aber auf der Hut sein sollten, denn ich
würde mich verteidigen. Sie lachten nur saublöde. Ich lud
meine Tränengaspistole mit sechs Patronen, legte diese unter
mein Kopfkissen. Um Mitternacht hörte ich es draussen
lärmen, sie kamen besoffen aus Diessenhofen zurück.
Kurz danach stiessen sie meine Türe auf und drangen wie
die Wilden ins dunkle Zimmer ein, ich hatte die Pistole
bereit, liess sie näher kommen, als ich ihre Gesichter
erkennen konnte, schoss ich ihnen direkt ins Gesicht.
Damit hatten sie nicht gerechnet, sie wälzten sich am Boden
und fluchten. „Tränengas“ rief der Deutsche.
Ich hiess sie mein Zimmer sofort zu verlassen, und sollten sie
noch einmal aufkreuzen, dann würde jeder eine echte Kugel
ins Bein kriegen. Das war geblufft, aber sie konnten ja nicht
wissen, dass ich mit der Gaspistole keine Munition
verschiessen konnte. Ich war richtig motiviert, das
Tränengas verfehlte seine Wirkung nicht, sie kamen nie
mehr in mein Zimmer. Nun wollte ich am nächsten Morgen
gleich noch ein zweites Problem lösen, ein
Landwirtschaftsgut etwas ausserhalb des Dorfes, hatte drei
bissige Hunde, sie mochten mich wohl nicht, immer wenn sie
mich sahen, rannten sie zähnefletschend auf mich zu, einmal
biss mich einer sogar in die Uniformhose. Ich liess den
Bauern wissen, dass ich dies nicht toleriere, wenn sie die
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Hunde nicht festbinden würden, würde ich selber für
Ordnung sorgen. Also nahm ich die geladene Pistole mit,
wieder rannte die ganze Horde auf mich los, ich sah nur
noch deren weisse Zähne. Als sie knapp einen Meter entfernt
waren, schoss ich alle sechs Schüsse direkt in ihre Gesichter.
Die Hunde zogen winselnd davon und liessen mich fortan in
Ruhe! Auch sie hatten die Lektion verstanden, ob der Bauer
etwas bemerkte, weiss ich nicht, es war mir auch völlig egal.
Ansonsten hatte ich keine nennenswerten Schwierigkeiten,
das Frl. Merz, tänzelte immer um mich herum, sie wollte
unbedingt mein Alter vernehmen. Als ich ihr dann endlich
mein Alter wissen liess, war sie richtig geschockt, wollte mir
nicht glauben, weil sie wusste, dass die Post damals erst
Leute ab dem 18. Altersjahr aufnahm. Ich zeigte ihr dann
meinen Ausweis, erst jetzt schien sie es zu akzeptieren: „Sie
sind ja noch ein Jüngling“, sagte sie sarkastisch, sie liess
mich dann aber in Ruhe.
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Kapitel 66
Seen
Der Monat in Unterstammheim ging soweit gut vorüber,
anfangs Dezember 1955, war mein Einsatzort wieder die
Hauptpost von Winterthur.
Aber ich vermisste bereits die grosse Freiheit, die ich als
Landbriefträger genoss!
Ich war noch auf der Suche nach einem Grund für meine
Kündigung auf das Frühjahr 1956. Ich schrieb an die
Generaldirektion in Bern, ersuchte um unbezahlten Urlaub
für einen Englandaufenthalt. Wieder wurde ich zum
Verwalter gerufen, diesmal wegen meinem Gesuch für
Sprachurlaub, aber zuerst erteilte er mir eine Rüge, ich
hätte den Dienstweg nicht eingehalten! Ich hatte zwar schon
vom Dienstweg gehört, aber diesen wohl falsch ausgelegt?
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Ich dachte, es betreffe nur dienstbezogene Angelegenheiten!
Aber er belehrte mich dann eines Besseren und zeigte mir
den Entscheid: „Als PTT Angestellter benötigen sie kein
Englisch, das Gesuch wird deshalb abgewiesen“.
Um aktiv zu bleiben, startete ich dann noch ein anderes
Gesuch, diesmal auf dem Dienstweg.
Ich wollte einen vormilitärischen Morse und
Telegraphenkurs besuchen, dafür benötigte ich zwar keine
Bewilligung, aber ich sollte eine geregelte Arbeitszeit haben.
Auch das wurde mir verweigert, gut, ich hatte nun gute
Gründe, im Frühjahr zu kündigen!
Doch der Verwalter konnte es nicht lassen, im Lehrzeugnis
eine komische Bemerkung zu hinterlassen, indem er den
Satz: “Im Wesen etwas seltsam“, schrieb.
Da ich mich bei den Noteinsätzen anscheinend bewährt
hatte, wurde ich auf den 1. Januar 1956, nach WinterthurSeen, versetzt, das war nicht eine Aushilfsstelle, sondern es
galt, den Posten bis auf unbestimmte Zeit zu versehen.
Es war die Tour Nr. 5, mit den vielen Aussenstationen.
Zu meinem Vorteil war es eine 70% Stelle, was aber auf
mein Lehrlingsgehalt keinen Einfluss hatte. Dafür hatte ich
nun eine regelmässige Arbeitszeit und auch mehr Freizeit.
Einen besseren Job hätte ich gar nicht versehen können.
Wir waren ein lustiges Team und während dem
Büroaufenthalt war laufend Gelächter. Ich hatte bereits
genügend praktische Erfahrung im Zustelldienst, um diese
Arbeit kompetent und sicher aus zu führen.
Zwei Ereignisse sind mir aus dieser Zeit noch in Erinnerung.
Ich musste um 6.00 morgens im Büro sein, von Töss bis Seen
fuhr ich mit dem Postvelo, obwohl ich auch mit dem
Linienbus hätte fahren können. Es war ein sehr kalter
Winter, mit der Uniform erhielten wir auch eine Pelerine.
Ich trug die Pelerine über der Uniform, das hatte den
Nachteil, dass man die Armzeichen nicht sehen konnte.
Der Stadtbus fuhr elektrisch, daher konnte man ihn nicht
hören. Ich war auf der Höhe der Post Seen und wollte nach
links abzweigen, es war noch stockdunkel, plötzlich ein
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Schlag und Krach, ich wurde auf die linke Strassenseite aufs
Trottoir geschleudert, hinter mir der rote Stadtbus!
Ich flog mit dem Rad und landete auch so auf dem Gehweg,
fiel also nicht zu Boden.
Die Busfahrer und der „Billetteur“ stiegen mit entsetzten
Gesichtern aus, beide waren heilfroh, dass mir nichts
zustiess. Der Fahrer konnte mein Handzeichen nicht sehen,
ich zog es daher später vor, statt den Arm auszustrecken,
lieber anzuhalten und nach hinten zu schauen.
Der zweite Vorfall verlief weniger erfolgreich, ein Stockzahn
Schmerzte mich seit Tagen und Wochen, ich war erst einmal
in meinem Leben beim Zahnarzt, damals in Konolfingen.
Und weil Mutter schon in jüngeren Jahren über ein
künstliches Gebiss verfügte, machte ich mir die falsche
Überlegung, auch ich würde das gleiche Schicksal erleiden.
Also meldete ich mich bei einem Zahnarzt „Venzin“ am
Deutweg in Winterhur, ich hatte an den Nachmittagen
meistens frei.
Statt das Loch reparieren zu lassen, ordnete ich an, den
Zahn zu ziehen. Und das wurde zu einem Riesenaufwand
für den Venzin. Er fluchte wie ein Holzfäller und murkste
im Mund herum wie ein Berserker.
Der Zahn wollte einfach nicht herauskommen, weil die
Wurzeln nach innen gewachsen und gänzlich im Kiefer
blockiert waren!
Nach etwa drei Stunden schaffte er es doch noch, er brach
mir aber irgendwie den unteren Kieferknochen, weil er den
Zahn abdrehte. Die Wunde blutete stark, mit einer Masse
sollte die Blutung gestillt werden. Ich zahlte und
verschwand, sicher würde ich diesen Zahnarzt nie mehr
sehen. Aber es war noch nicht vorbei, als ich am Morgen
erwachte, fühlte ich mich völlig kraftlos und hatte den
Eindruck, ich läge in einer Badewanne. Nur mit viel
Kraftaufwand konnte ich das Licht einschalten, jetzt konnte
ich die Bescherung erkennen, alles war voller Blut, das
ganze Bett, das Kopfkissen, etc. , und ich fühlte mich
miserabel.
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Ich wollte aufstehen, aber das ging gar nicht, ich fiel einfach
zu Boden. Ich rief Tante Alice, sie solle die Post anrufen,
aber zuerst erteilte sie mir eine Strafpredigt, was für eine
Schweinerei ich da angestellt hätte!
Ich zahlte sie ja für den Schaden, ich denke, ich blieb noch
etwa zwei Tage im Bett, dann hatte ich wieder genug Kraft
für die Arbeitsaufnahme. Einen Arzt benötigte ich nicht.
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Kapitel 67
Eilbote in Zürich
Von der Lehrabschlussprüfung sind mir keine
Erinnerungen geblieben, sie fand wieder an der
Claridenstrasse statt, zuvor hatten wir noch zwei Wochen
Unterricht. Ich hatte eine Note im Rang und war zufrieden.
Danach verliess ich die PTT, ich hatte bei der Handelsschule
Gademann, (Gessnerallee)eine mehrmonatige
Vollzeithandelsschule gebucht. Aber mein Geld reichte nicht
aus, um ohne Einkommen diese Monate zu überstehen,
zudem kamen von zu Hause neue Horrornachrichten, Klara
musste ins Spital, um einen Lungentumor operieren zu
lassen. Und ich sollte etwas Geld für die Spitalrechnung
zurücklegen. Ich musste umdisponieren, meine Schritte
damals mögen später seltsam erscheinen, ich musste einfach
einen gangbaren Weg gehen, und das konnte nun einmal
auch zu Umwegen führen. Ich stornierte meinen Vertrag bei
Gademann, das ging problemlos, ich erklärte einfach kurz,
dass ich noch minderjährig bin, und meine Unterschrift
daher ungültig sei, sollten sie mich betreiben wollen.
An der Eierbrechtstrasse, mietete ich bei einer Familie
Caduff, ein kleines Zimmer. Dann begann ich bei der Firma
Jelmoli, Uraniastrasse, einen Job als „Chasseur“ in der
Versandabteilung. Ich blieb nur etwa 3 Wochen, die Arbeit
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sagte mir nicht zu, weil ich von der Post kam, sollte ich die
Pakete auf die richtigen Postfahrzeuge verladen.
Dann landete ich wieder bei der Post, im Expressdienst der
Sihlpost, als Privataushelfer, hatte ich mehr Salär als die
Festangestellten. Ich trug nur meine Jeanshose mit
Cowboyhemd, am linken Arm eine Armbinde der PTT.
Die Arbeit gefiel mir, man konnte fast die ganze Stadt
Zürich kennen lernen, Ausnahmen: Oerlikon,
Schwammendingen und Altstätten. Dabei fielen mir
besonders die vielen Luxusvillen auf, in der City, im
Niederdorf, aber besonders am Zürichberg! Im Niederdorf
besuchte ich einen Buchhaltungskurs der Firma Hermes in
Bern, und im Seefeld den militärischen Vorunterricht. Die
restliche Freizeit verbrachte ich fast nur in den Kinos,
hauptsächlich im Forum.
Es war auch der Zeitpunkt, als ich eine Aufstellung machte,
was ich alles noch lernen und studieren wollte, und ich kam
auf eine Studiendauer die bis zum 76. Altersjahr reichte!
Das Heft behielt ich noch lange auf, aber es war völlig
unrealistisch. Seit bald zwei Jahren träumte ich von einem
verrückten Vorhaben, mit einem Fahrrad um die Erde
radeln. Ich war der festen Überzeugung, dass dies noch nie
jemand zuvor ausführte.
Es war etwa im Mai 1956, ich streifte wieder einmal um
einen Kiosk in Stadelhofen herum, studierte die Bücher im
Schaufenster. Da traf mich ein Buchtitel wie ein Blitzschlag,
stand doch da zu lesen: „Ich radle um die Welt, von Heinz
Helfen“.
Selbstverständlich kaufte ich das Buch sogleich, dann noch
die Fortsetzung.
Einmal mehr musste ich feststellen, dass eben auch andere
Leute Ideen haben. Aber ich nahm nun die beiden Bücher
als eine Art Lehrmaterial für mich, meine Ambitionen
blieben aber bescheidener, ganz abgeschrieben hatte ich das
Vorhaben noch nicht.
Eines Tages wurde ich zu den beiden Verwaltern zitiert,
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ein Herr Belser und Herr Spielmann, beide wohl schon über
60, sie sassen in ihren grauen Beamtenkitteln im Büro und
schauten mich komisch an.
Der Belser, der vermutlich höher war, erklärte mir: „Sie
haben eine Kleidung, welche dem Ansehen der Post schadet,
können sie nicht normale Hosen und Hemden tragen?“
Ich amüsierte mich nur über diese Probleme, antworte kurz:
„Ich habe keine anderen Kleider“. Die beiden kriegten rote
Köpfe und schauten sich an. Dann entliessen sie mich mit
den Worten: „Gut, schauen sie doch, dass sie andere Kleider
beschaffen können.“
Ich unternahm natürlich rein nichts. Diese „Bünzli“ konnten
mich ja entlassen, wenn ihnen meine Kleider nicht in ihre
Greisenköpfe passten. Aber sie liessen mich gewähren, ich
kaufte noch mehr Jeans.
Kapitel 68
Eva
Ich beschloss, auf Ende Juni Zürich zu verlassen, ein Grund
dafür war die Rekrutierung, für die ich mich im Kanton
Thurgau gemeldet hatte.
Freundinnen und Freunde hatte ich keine, abgesehen von
einem Kameraden vom Vorunterricht, den ich aber nur
während den Trainingsstunden traf. Seinen Namen habe ich
vergessen.
Heiraten und dergleichen, war absolut kein Thema, ich hatte
keine Absicht, jemals zu heiraten, die Zustände zu Hause
bildeten dafür eine sichere Barriere.
Da war aber noch dieser Geschlechtstrieb, der ständig im
Hintergrund wirkte.
Ausser ins Kino, ging ich praktisch nie in den Ausgang,
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Geld für die Bars hatte ich keines. Wenn ich aber vom
Buchhaltungskurs in Richtung Bellevue lief, passierte ich
auch am Restaurant zum Eckstein. Dort standen nachts ein
paar Frauen vor dem Lokal und zeigten sich willig, eine
Brünette sprach mich an, 20.- Franken koste
bei ihr zu Hause der Liebesdienst, liess sie mich wissen.
Ich hatte aber nur etwa 15.- Franken auf mir, sie schlug vor,
doch am nächsten Abend wieder zu kommen.
Und das tat ich auch, unsicher suchte ich nach der
„Braunen“, konnte sie aber nicht finden. Da spricht mich
plötzlich eine „Blonde“ an: „Kennst du mich nicht mehr?“
Ich schaute sie erschrocken an, erkannte die „Braune“ vom
Vorabend. „Aber gestern hattest du doch braune Haare“,
sagte ich unsicher. Sie lachte und meinte, das mache eben
ihren Job aus. Wir liefen zu ihrem Auto, sie fuhr in
Richtung Stauffacherstrasse, irgendwo in einer der
Seitenstrassen hatte sie ihre Wohnung. Ich war unglaublich
nervös, hatte ja noch nie Sex mit einer richtigen Frau. Und
Mut hatte ich mir auch nicht angetrunken, das war vielleicht
ein Fehler? Sie hatte ein sehr schönes Zimmer, mit Lichtern
in verschiedenen Farben, ohne lange zu zögern, zog sie sich
völlig nackt aus. Ich muss wohl grosse Augen gemacht
haben, denn sie fragte mich: „Ist es das erste Mal?“ Etwas
beschämt nickte ich, dann kam noch eine Frage, auf welche
ich nicht vorbereitet war: „Aber gell, du bis 18 gewesen?“
Ich war so überrascht, dass ich nur meldete: „Ja, ja, ich
muss im Winter in die RS“. Das war nicht gelogen, ich
erwähnte natürlich nicht, dass ich vorzeitig gehe.
Sie war beruhigt, weil sie sonst ein Risiko eingegangen wäre,
Sex mit Personen unter 18, war strafrechtlich verboten.
Nun ja, mir fehlten damals noch 3 Monate.
Die Eva, welche einen sehr schönen Körper hatte, war sehr
nett zu mir, sie gab sich grosse Mühe, erklärte mir den
weiblichen Körperbau, als wäre ich in der Anatomiestunde.
Auch ich hatte mich ausgezogen, etwas zögernd, aber Eva,
die ich auf etwa 25 Jahre schätzte, war ein „Profi“, sie
verstand es meine Schlaffheit zu mobilisieren, erst dachte
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ich, das werde ein grosser Flop, aber Eva kannte schon
einige Tricks, und sie schaffte es, doch noch einen
erfolgreichen Abschluss zu bewerkstelligen. Zum Abschied
gab sie mir noch einen Rat: “Weißt du, wir sind eigentlich
nicht für junge Männer wie du da, sondern für jene, die
keine Frau finden können, schaue dich doch nach einer
netten Freundin um!“
Ich dankte ihr und küsste sie auf die Wange.
Sie hatte aber in mir fast genau das Gegenteil ausgelöst,
irgendwie war ich sogar in sie verliebt, und ich wollte
eigentlich keine andere suchen, sah sie aber nie mehr, weil
ich dann Zürich verliess. Damals, Mitte der Fünfzigerjahre,
traf man in Zürich fast nur auf Prostituierte aus dem
Kanton Zürich, oder den angrenzenden Kantonen.
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Kapitel 69
Fabrikarbeiter
Ende Juni 1956, verabschiedete ich mich von Zürich, wohnte
nun wieder mit der Familie in Märstetten.
In Weinfelden konnte ich eine Anstellung bei der Firma
Winzeler, Ott & Co., als Arbeiter in der Textildruckerei
antreten. Wir waren ein Viererteam, der Vorarbeiter, zwei
junge Deutsche aus Konstanz, und ich als der jüngste
Arbeiter
Die beiden Deutschen, 20 und 24, waren gute Kollegen und
arbeiteten hart, sie kannten sich aus der Fremdenlegion, wo
sie kurz zuvor nach vier Monaten Dienst desertiert waren.
In „Sidi-Bel-Abes“, soll damals, etwa 1954/55, auch der
bekannte Sänger Freddy Quinn, aufgetreten sein und auch
das Lied der „Legionär“ vorgetragen haben. Ich kaufte
damals alle Schallplatten von ihm. Die zwei konnten mir viel
aus dem Leben eines Legionärs erzählen, was für mich
damals sehr bedeutend war. Die Legion war dann nicht
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mehr unter den primär angesteuerten Zielen, so gesehen
waren sie für mich wichtige Berater. Noch 1954, als in der
LWB Unterschriften gegen die Legion gesammelt wurden,
weigerte ich mich als einziger Lehrling, zu unterzeichnen.
Die beiden Deutschen legten die Farbschablonen auf die
Textilien, rieben einmal hin und einmal her, dann kam der
nächste Abschnitt. Danach war es an mir, die Schablone
schnell zu reinigen, damit sie wieder einsatzbereit war.
Wir verrichteten das immer mechanisch mit demselben
Ablauf, das erlaubte uns auch, zwischendurch Gespräche zu
führen.
Mit der übrigen Belegschaft hatten wir wenig Kontakt, es
herrschten die damals üblichen Hierarchiestufen, unten die
Arbeiter, in der Mitte die Herren in den Büros, die uns
weder grüssten noch beachteten, und die Alphabonzen ganz
oben, die Inhaber, Machthaber und Herren der Schöpfung.
Im Juli war ein Geschäftsausflug auf den Bürgenstock
geplant, es wurde ein sonniger Tag und man blieb
klassenbewusst unter sich. Während meiner Freizeit
studierte ich emsig am Privatdetektivkurs. Und im
Jungschützenkurs schaffte ich endlich eine Auszeichnung.
Das war ein richtiger Aufsteller, war ich doch eher ein
schlechter Schütze. Ein grosser Traum war damals natürlich
ein eigenes Auto zu besitzen, ich sparte deshalb Geld, um
sogleich nach meinem 18. Geburtstag mit der
Autofahrschule beginnen zu können. Ich nahm
Fahrlektionen bei einem Fahrlehrer in Weinfelden, dieser
holte mich nach Fabrikschluss beim Bahnhof ab, er hatte
einen grossen Chrysler Wagen, es war herrlich damit zu
fahren, erst fuhren wir die Weinbergstrasse hinauf Richtung
Ottoberg. Später auch bis Frauenfeld, die Strasse war
meistens ohne jeden Verkehr, so fuhr ich das erste Mal ohne
Gegenverkehr bis nach Frauenfeld. Beim zweiten Mal aber,
sah ich bei der Brücke nach Müllheim, ein Auto entgegen
kommen, ich dachte, wir kommen nicht aneinander vorbei!
Ich faste mich und schaute nur geradeaus, es musste ja
klappen, und der andere brauste problemlos an uns vorbei.
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Anfang August meldete ich mich an, erhielt aber nur die
Meldung, der Lehrfahrausweis werde mir am 24. August
1956, ausgeliefert, kein Tag vorher!
So war es dann auch, ich genoss die Fahrstunden bis
Oktober, dann war mein Budget erschöpft, immerhin
kostete mich eine Fahrstunde rund ein Tagesgehalt!
Der Fahrlehrer wollte mich aber noch nicht an die Prüfung
Anmelden, weil er der Ansicht war, es fehle mir noch an der
nötigen Fahrpraxis.
Im September hatte es frühmorgens bereits Nebel auf der
Strasse nach Weinfelden. Jeden Morgen raste ein
Motorradfahrer im Höllentempo an mir vorbei in Richtung
Frauenfeld. Es hiess angeblich Kressibucher und kam von
Berg bei Weinfelden, hatte Frau und Kinder.
An einem nebligen Morgen wurde ich ausgangs Märstetten
von jungen Männern angehalten, ich erblickte einen
Lastwagen, daneben auf der Strasse lag ein toter Mann in
Ledermontur, neben ihm ein zerstörtes Motorrad!
Der Unfall war nur wenige Sekunden zuvor geschehen, die
jungen Männer des Lastwagens schienen traumatisiert zu
sein, einer eilte zur Station Märstetten, um die Polizei
anzufordern. Ich schaute der Blutspur nach, welche sich
langsam in Richtung Strassenrand bewegte. Es war eine
unheimliche Stimmung und das Bild blieb nicht nur den
ganzen Tag in mir haften, sondern auch noch später.
Klara wurde bereits zweimal operiert und musste dann
rund ein halbes Jahr nach Davos in ein Kurhaus, ich denke,
das zahlte die Krankenkasse, ich schloss meine auch im Jahr
1955 bei der Helvetia ab, im Jahr 2005, warf mich dann die
Nachfolgerin der Helvetia, die Helsana, nach 50 Jahren
Mitgliedschaft, einfach aus der Versicherung, (wegen
meinem Zweitwohnsitz im Ausland) das nennt man
Solidarität. Dann war da noch ein Fernziel, ich las, dass man
in den USA willkommen war, sofern man sich bereit
erklärte, dort in die Armee einzutreten, ab dem 18.
Altersjahr war das möglich. Nach der Rekrutenschule in der
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260
Schweiz, wollte ich meinen Koffer packen und nach
Kalifornien auswandern, vorausgesetzt, das Soldatenleben
gefiel mir. Der Armeedienst in den USA, versprach danach
das US-Bürgerrecht, und ich sah bereits den Horizont in
Kalifornien in den schönsten Farben!
Kapitel 70
Diensttauglich
Der 10. August 1956, der war für mich ein besonderer Tag.
Ich wurde zur Rekrutenaushebung in Frauenfeld
aufgeboten, und es war zugleich der 11. Geburtstag von
Klara.
Die Turnprüfung glückte nicht ganz, im Schnell-Lauf
reichte es nur für die Note 2, aber nur wer zu den
Grenadieren wollte, musste alles „Einer“ haben!
Ich wollte Füsilier werden, weil ich zuvor den Film mit Audi
Murphy, „Zur Hölle und zurück“ im Kino bewunderte,
Murphy war der am meisten dekorierte Soldat der Amis im
2. Weltkrieg. Er war zuletzt in Guam und Saipan, wo die
Japaner grossen Widerstand leisteten, und er war Ende des
Krieges mit 19 Jahren Zugführer bei den Marinefüsilieren!
Der wurde nun zu meinem Vorbild, ich hatte mir fest
vorgenommen, mich freiwillig zur Infanterie zu melden.
Nach der Turnprüfung folgten die medizinischen
Abklärungen. Plötzlich wurde mein Name aufgerufen, ich
musste mich bei den Ärzten melden, was war los?
„Hatten sie als Kind eine doppelte Lungenentzündung?“
fragte mich der Mann, angeblich waren beide Lungenflügel
voller Narben!
Ich wusste nichts dergleichen, aber möglich war das schon,
hatte ich doch oft Krankheiten mit hohem Fieber, die ich
jeweils in einem Monat auskurierte, ohne Arzt und Medizin.
Sie sagten mir, ich wäre vermutlich „Untauglich“, sie
wollten aber nochmals genau durchleuchten.
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Mich traf das wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel, das
Wort
„Untauglich“ gab es in meinem Wortschatz nicht. Nein, das
durfte nicht sein, also abwarten!
Ich wartete gespannt bis ich wieder aufgerufen wurde, und
jetzt war ich „Diensttauglich“, allerdings als Grenzfall.
Das Mittagessen bestand aus Brot und St. Galler Schüblig.
Am Nachmittag hiess es vor den drei Obersten der
Aushebungskommission anzutreten.
Wir waren zwei mit dem Jahrgang 38, der andere war ein
Student der Rechte und hiess „Benno Schulthess“, er war
aber im Frühjahr geboren und so war ich der jüngste aller
Rekruten.
Der Oberst sagte uns allen zuvor: „Am besten meldet ihr
euch freiwillig zur Infanterie, es gibt nur wenige andere
Möglichkeiten, ihr seid eben die letzten in diesem Jahr und
könnt nicht mehr gross auswählen!“ Ein Murren ging durch
die Anwärter, mir konnte es egal sein.
Wir, vom Jahrgang 38, wurden zuerst aufgeboten, der
Benno war 183 cm gross, und war darum als erster dran,
auch er meldete sich mit lauter knapper Stimme zur
Infanterie als Füsilier. Ich tat es ihm gleich, die Herren
Obersten waren hocherfreut und erfüllten uns die
Wünsche.
Weil ich das Dienstbüchlein bereits Ende 1955 erhielt, war
als Beruf „Postangestellter“ eingetragen, die Herren wussten
nicht, dass ich zur Zeit nicht bei der Post war, darum fragte
mich einer:„Möchten sie nach der RS zur Feldpost?“
Ich sagte sogleich nein, etwas, was ich später sehr bereute.
Kapitel 71
Und wieder bei der Post
„Wer bei der PTT kündigt, kann nicht wieder angestellt
werden“, so lauteten die Anstellungsbedingungen.
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Ich kannte diese Vorschrift, versuchte es aber trotzdem und
schrieb einmal mehr an die Generaldirektion in Bern.
Ich wollte in die Winterrekrutenschule anfangs Februar
1957, damals zahlte nur der Bund den vollen Lohn während
den militärischen Diensten. Gut vier Monatsgehälter waren
nicht zu verachten, deshalb dieser Versuch.
Und es gelang, ausnahmsweise wurde ich wieder angestellt,
auf den 1. Oktober 1956, genau wie ich das gewünscht hatte.
Ich war mir auch bewusst, dass es diesmal auch das
allerletzte Mal sein werde. Gleichgültig, wie es in der Armee
ausgehen könnte, spätestens im Frühjahr 58, wollte ich mich
wieder von der PTT verabschieden, diesmal für immer!
Ich war nicht wenig erstaunt, dass man mich wieder auf den
bereits bekannten Posten in Winterhur-Seen, versetzte.
Einen besseren Job hätte ich wohl kaum erhalten können.
Was der Verwalter nicht wissen konnte, anfangs Februar 57,
musste ich in die Rekrutenschule einrücken. Den
Marschbefehl erhielt ich im November und brachte ihn
ohne Kommentar dem Verwalter. Ich war gespannt, was
der dazu sagen würde, aber er sagte rein nichts.
Die Armee war damals eine heilige Kuh, da konnte auch die
Post nichts dagegen halten.
In Ungarn ging ein blutiger Aufstand los, Zivilpersonen
schossen mit leichten Waffen auf die russischen Panzer, ich
verfolgte diesen Krieg mit gemischten Gefühlen, schon
immer nahm ich Partei für die schwächere Seite, also hier
für die antisowjetischen Rebellen. Aber diese wurden von
den Panzern niedergewalzt! Ich war entrüstet, mit welcher
Brutalität vorgegangen wurde, nein, das konnte nicht der
Sozialismus sein, den ich mir vorgestellt hatte. Ich löste mich
von der linkskommunistischen Front! Nicht alle Menschen
konnten gleichgestellt werden, aber alle sollten die gleichen
Chancen haben!
Später wurde ich Mitglied beim „Landesring der
Unabhängigen“. Meine Sympathien sowohl für sehr linke,
wie auch extrem rechte Bewegungen schwanden, ich näherte
mich immer mehr in eine „Mitte Links“ Position.
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Was mich dann aber etwas sauer machte, waren die vielen
Flüchtlinge aus Ungarn, sie arbeiteten bei der Post, sprachen
kaum Deutsch, konnten aber mit Hilfe des Bundes
problemlos in den Universitäten studieren, während man
uns, als Bürger dieses Landes, von solchen Privilegien
ausschloss! Ich kam auch aus dem Ausland, aber kein
Schwein interessierte das, bei mir hiess es
kaltschnäuzig:“Was, sie wollen mit ihren fünf Jahren
Primarschule eine KV-Lehre absolvieren, werden sie doch
lieber Walzenführer im Strassenbau!“
Ich überlegte mir ernsthaft, ob ich auch mit ein paar
Brocken Deutsch, mich als Flüchtling profilieren sollte?
Sicher könnte ich es mit diesen Ungarn aufnehmen, und mit
Stipendien auf Staatskosten ein Studium absolvieren!
Kapitel 72
Lehrer als Sadist
Es war im Herbst 1956, ich war zu Besuch bei der Familie in
Märstetten. Klara besuchte wieder die Schule und konnte
trotz einem Jahr Unterbruch, in der gleichen Klasse weiter
machen.
Sie war sehr fleissig, pflichtbewusst und eine vorbildliche
Schülerin. Umso mehr waren wir alle bestürzt, als sie uns
meldete, sie sei vom Lehrer ins Gesicht geschlagen worden,
weil sie eine Frage falsch beantwortet habe, dabei konnte sie
die richtige Antwort nicht wissen, weil sie zu lange abwesend
war.
Klara war tief traumatisiert, sie konnte nicht verstehen, dass
ein Lehrer zu einer solchen Tat fähig sein konnte. Auch ich
war sehr aufgebracht, konnte aber den Lehrer Alder aus
Zeitmangel nicht persönlich aufsuchen, ich ersuchte daher
Mutter, dies zu tun. Ich weiss nicht, ob sie ihn sprach, da ich
wieder zurück nach Winterthur musste.
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Klara war auch körperlich sehr geschwächt, und schon bald
musste sie wieder operiert werden, im Uni-Spital Zürich,
hiess es, sie habe Ableger, aber wir konnten damit nicht viel
anfangen. Klara wurde dann auf längere Zeit ins Spital
Münsterlingen, am Bodensee, verlegt, dort besuchte ich sie
anlässlich des grossen Urlaubs im Frühjahr 1957. Sie sah
sehr krank aus, hatte aber den Lebenswillen noch nicht
verloren. Ich war auch zuversichtlich, dass sie wieder ganz
gesund werden musste.
Der Zwischenfall in der Schule mit dem Sadistenlehrer, liess
mir keine Ruhe, jedes Mal, wenn ich in Märstetten war,
erzählte ich diese traurige Geschichte den Leuten, die ich
antraf. Ich bin nicht sicher, ob sich der Lehrer Alder dafür
entschuldigte, aber Ernst erzählte mir noch kurz vor seinem
Tod, (am 24.08.1999), dass er im 8. Schuljahr, dem Alder die
Faust ins Gesicht geschlagen habe, und ihn wissen liess, das
wäre die Antwort für sein Vergehen an Klara gewesen!
Ob es zutraf oder nicht, konnte ich nicht in Erfahrung
bringen, ich dankte ihm auf jeden Fall für seinen Einsatz!
Es war eher selten, dass ich ihm im Laufe seines Lebens ein
Kompliment machen konnte.
Hinweis: Sowohl im Herbst 56, wie auch im Herbst 57,
arbeitete ich bei der Post in Winterthur, und ebenso war
Klara in diesen Jahren meistens im Spital,
abwechslungsweise auch wieder in der Schule. Es ist daher
durchaus im Bereich des Möglichen, dass sich obiger Vorfall
auch im Jahre 1957 zugetragen haben könnte?
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Kapitel 73
Die Rekrutenschule
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Wohl nie zuvor und auch nicht danach, machte ich mir von
etwas eine derart falsche Vorstellung wie vom Militärdienst.
Mit geradezu kindlicher Freude rückte ich mit einem 3 mm
Haarschnitt in die Kaserne St.Gallen ein. Man schrieb den
11. Februar 1957, es herrschte kaltes, trockenes Wetter.
Da standen wir nun vor der Kaserne, an die 250 junge
Männer aus den Kantonen Thurgau und St.Gallen.
Korporale hetzten umher, und auch einige Offiziere
schauten kritisch zu uns hinüber, so, als wären wir eine
Schafherde, die es zu scheren galt.
Dann kam der Appell, sämtliche Namen wurden aufgerufen
und die meisten waren anwesend, wir mussten uns in einer
Reihe aufstellen, der Oberleutnant, schritt die Reihe ab und
brummelte fortlaufend etwas, als er näher kam, konnten wir
ihn verstehen: „Füsilier, Panzerabwehr, Mitrailleur“.
Dem kleinen Burschen neben mir sagte er „Mitrailleur“,
dann schaute er mich an, ging zurück zum kleinen und sagte
ihm: „Sie Füsilier, und Sie Mitrailleur“. Letzteres zu mir,
der nächste war auch Mitrailleur, und dieser begann zu
fluchen.
Ich fragte ihn, was dabei nicht gut sei? Er meinte: „Das ist
die Hölle, mein Bruder war bereits bei den Mitrailleuren im
Feuerzug“. Ich konnte mich also auf etwas gefasst machen!
Wir wurden dann zu unseren Unterkünften geführt, 36
Rekruten in einem Raum, der sogenannte Feuerzug, zwei
Gruppen Panzerabwehr und zwei Mitrailleure. Dann
wurden wir ins Zeughaus gehetzt, fassen der Uniformen und
Ausrüstungen, des Karabiners, Rucksack und die
Mannschaftsausrüstung.
Am späteren Nachmittag wurden wir unserem Korporal
zugeteilt, einen unsympathischeren Kerl konnte ich mir
nicht ausdenken, wir mochten uns von der ersten Minute an
nicht leiden.
Ich war zwar sehr müde, konnte aber bis um 4 Uhr früh
nicht einschlafen. Um 6.00 war Tagwache, und der Korporal
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(Kpl. Büttler) schrie und brüllte herum, so dass wir uns wie
in einem Straflager vorkamen. Ich habe nie im Leben ein
derartiges Gebrüll erlebt, wir schauten uns nur stumm an,
sprechen war verboten.
Kalt waschen, anziehen und Frühstücken, dann ausrücken
und es begann der Alltag in der Kaserne. Ich versuchte es
mit einem Trick, reihte mich einfach beim andern Korporal
ein, den ich sympathisch fand. Aber es gelang nicht, da wir
in unseren Ex-Uniformen alle gleich aussahen, wusste der
Korporal nicht, wer überzählig war, ich hatte verloren, er
fand es heraus und schickte mich zum andern zurück!
Dann erschien auch unser Zugführer, und der war noch ein
üblerer Kerl, als der Korporal, ein Sadist von nahezu 2
Metern Körperlänge.
Die ersten drei Wochen machte ich trotzdem eifrig mit, aber
dann verflog meine Begeisterung fürs Militär. Schon am
ersten Wochenende durfte ich Wache schieben, ich hatte
keine warme Unterwäsche, nur die Uniform, draussen fiel
Schnee und jede zweite Stunde mussten wir auf Wache.
Ich schlotterte wie ein Windhund, fror die ganze Nacht
durch und war dann auch noch erkältet. Aber ich meldete
mich nicht ins KZ (Krankenzimmer). Von frühmorgens bis
Spätabends wurden wir wie die Hasen herumgehetzt,
mussten mit verbundenen Augen im Kreis herum laufen
und dabei die Maschinenpistole laden und entladen, oder
den Karabiner laden und entladen. Kein Tag ohne
Kampfbahn und stundenlangen Gewehrgriffübungen!
Zugschule, Kompanieschule und Turnstunden.
Der Korporal mass sich dabei an, uns am Arm zu schupsen,
wenn er der Ansicht war, wir könnten schneller laufen.
Bei mir war er an der falschen Adresse, schon seit Tagen
war meine Stimmung geladen, und es kam der Moment,
als er auf dem Areal der Kreuzbleiche wieder einmal zu
hetzen begann, er trabte links von mir und stiess mich an
den linken Oberarm, in diesem Augenblick schlug ich ihm
meine linke Faust mitten ins Gesicht, lief munter weiter,
ohne dass die andern etwas davon mitbekamen.
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Er hatte meine Sprache verstanden, denn es wäre mir nicht
schwer gefallen, ihm bei einer Nachtübung den Karabiner
über den Schädel zu schmettern. Er liess mich fortan in
Ruhe und hielt sogar einen gewissen Abstand zu mir, für
mich war das ein Status quo. Ich konnte damit überleben
und er auch. Wir verloren nie ein Wort darüber und es war
ihm vermutlich bewusst, dass er keine andere Wahl hatte,
denn wir hatten nie direkten Wortabtausch vor den anderen
Rekruten. So musste er sich auch nicht herausprofilieren.
Der Gruppenführer war ein primitiver Mensch, der
Zugführer ein wahrer Sadist, dafür war der
Kompanieführer ein vorbildlicher Mensch, den ich auch
respektieren konnte, und nur Dank ihm verblieb ich bei
diesem Sauhaufen. Ich war nämlich der Ansicht, ich wäre
freiwillig in der RS, und könne gehen wann ich wolle, das
war allerdings ein Irrtum.
Die zweimonatige Kasernenausbildung war noch
einigermassen komfortabel, das Essen ausser ordentlich gut,
und wir hatten auch viel Ausgang!
Dann brachen wir auf in die Schiessverlegung nach
Appenzell, mit der Vollpackung auf dem Rücken, alle 50
Minuten eine 10-Minutenpause, das war herrlich.
Weniger herrlich war dann der Aufenthalt, sämtliche 120
Rekruten lagen in einem Raum auf Stroh, es herrschte eine
stickige, Luft und es roch nach Fussschweiss.
Jeden Morgen hiess es mit MG, Munitionskisten etc. zu Fuss
nach Weissbad zu laufen. Dort hetzte uns der Zugführer den
ganzen Tag in den sumpfigen Feldern herum, immer
beladen mit 20 bis 50 Kilos, und wenn wir die Zeit nicht
schafften, mussten wir die Munition am Abend wieder
hinunter tragen. Die schwächeren von uns blieben dabei oft
bewusstlos liegen, einmal erschien der Schulkommandant,
wir merkten es gar nicht, dass einer fehlte, dieser lag ohne
Bewusstsein am Wegrand, der Oberst fluchte den Sadisten
zusammen, was das bedeute, führte den Bewusstlosen mit
seinem Wagen ins Spital.
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Die Schelte half aber nichts, schon wenig später sackte einer
von uns auf dem Weg in die Unterkunft, mitten im Dorf
Appenzell, bewusstlos zusammen, er trug ein 45 Kilo
Munitionsreff, die Leute fluchten den Zugführer an,
er wäre ein Menschenschinder. Das war er auch, doch der
kümmerte sich nicht weiter darum. Es war die Zeit, als
einige von uns den Vorschlag machten, man sollte den Kerl
erledigen.
Auch ich war gleicher Ansicht, aber ich äusserte mich nicht
dazu, denn, sollte er mir in einer Nachtübung vor das
Gewehr kommen, könnte sich leicht ein Schuss lösen, aber
der musste den Braten gerochen haben, er exponierte sich
nie!
Es gab unzählige Episoden, die man gar nicht alle aufzählen
kann, unsere Ausrüstung war recht primitiv,
Patronentaschen, Nagelschuhe, Wadenbinden!
Wenn wir durch den hohen Schnee wateten, lösten sich die
Wadenbinden und der Hintermann tritt darauf, das hatte
dann zur Folge, dass sich die ganze Binde von den Beinen
loslöste, was wiederum mit viel Flüchen quittiert wurde.
Die Winter RS fand in Eis und Schnee statt, noch Ende Mai
wurden wir im Appenzellerland eingeschneit.
Es folgte die Verlegung ins Toggenburg, genauer nach
Unterwasser. Jeden Tag hinauf auf die Alp „Camplüt und
andere Orte, und immer wie ein Lastesel beladen, dann
schnitt ich mir beim Frühstück mit der Konservendose noch
tief in den Finger, ich war moralisch auf einem absoluten
Tiefpunkt angelangt. Da fragte mich der Feldweibel, ob ich
die Feldpost übernehmen möchte, ich war schliesslich
Pöstler. Natürlich sagte ich freudig zu, aber schon am
Abend kam die kalte Dusche. Nein, Rekrut RB könne nicht
abkommandiert werden, den benötige man als Lastenträger.
Für einen Augenblick wollte ich desertieren, das war nun
zuviel für mich! Aber ich blieb!
Eine Nachtübung auf der Alp Camplüt blieb mir in
Erinnerung, es galt, sich nachts einschneien zu lassen,
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dann, am frühen Morgen den Angriff zu starten.
Den ganzen Tag hoben wir tiefe Schützenlöcher aus,
erst regnete es, dann begann es leicht zu schneien, unsere
Uniformen waren durchnässt, die Verpflegung war kalt.
Dann hiess es die Nacht im Schützenloch zu verbringen.
Mit mir war ein kleiner Rekrut, keine Ahnung, weshalb der
Mitrailleur war, er war für uns nur eine Belastung.
Ich nannte ihn Halbweib, weil er kein Soldat war, und
der Kerl verdarb mir die ganze Nacht, indem er andauernd
weinte und flehte, er werde erfrieren und sterben.
Ich fluchte ihn an, sagte ihm, er wäre schlimmer als ein
Weib, er werde nicht krepieren und den Morgen erleben.
Man muss aber erst einmal eine solche Nacht durch gelebt
haben, weil es um unsere Gesundheit nicht gut stand,
sickerte das Gerücht durch, die Pferde wären unterwegs mit
Wolldecken, aber die kamen nie an, angeblich konnten sie
unsere Alp nicht erreichen.
Gegen den Morgen begann ich selber zu zweifeln, ob ich
diese nasse und kalte Nacht überstehen könne?
Die Uniform war buchstäblich am Körper festgefroren, und
wir zitterten die ganze Nacht wie Espenlaub.
Schon einmal erlebte ich, dass ich die Kälte bis auf die
Knochen spüren konnte, es war in Unterwasser, der
Korporal befahl bei einer Übung, ich müsse in einem
Strassengraben hinter dem MG liegen, als Tarnung wurde
ich mit Schnee zugedeckt. Das ging solange gut, bis die
Sonne den Schnee schmelzen liess, dann rann das kalte
Schmelzwasser unter mir durch, nach einer halben Stunde
konnte ich mich kaum noch bewegen, meine Knochen waren
erstarrt! Ein Rekrut warnte mich, dass dies im Alter
Knochenschmerzen auslösen werde, er sollte Recht behalten.
Wir überlebten alle diese schreckliche Nacht, gegen Mittag
wurde die Übung abgebrochen, wir krochen aus den
Löchern, die Uniformen voller Lehm und Erde, und wir
fühlten uns wie uralte Greise, schmerzende Glieder und
total erschöpft. Wir machten einen derart schlechten
Eindruck, dass der Kommandant beschloss, wir sollten
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eiligst ins Tal hinunter, duschen, verpflegen und dann
ruhen!
Wir alle dachten, wir würden sicher krank werden, aber oh
Wunder, kein einziger musste aussetzen!
Die nächsten drei Wochen verbrachten wir auf der
Schwägalp, natürlich wanderten wir von Unterwasser bis
dorthin zu Fuss, noch einen guten Monat und das ganze
Theater war vorbei. Auf der Schwägalp wurden wir täglich
durchgedrillt, der Sadist hatte keine zivile Zuschauer, die
ihn daran hätten stören können. Schon seit Tagen verlangte
er von uns, dass wir eine Strecke durch Sumpfgebiet bis zur
Krete hinauf in fünf Minuten schaffen mussten, es war
einfach unmöglich mit all den schweren Waffen und der
Munition. Der Sadist empfand das als Meuterei und hatte
einen Straftag für uns vorgeplant. Den ganzen Tag wurden
wir fast pausenlos durch den Sumpf gehetzt, ohne jemals die
geforderte Zeit zu erreichen! Gegen Abend bewegten wir
uns nur noch wie Greise und waren total am Ende.
Doch der Sadist versprach uns noch einen spannenden
Abend. Die Füsiliere durften ihre LMG und MP Waffen,
zurück lassen, ihnen wurde gesagt, die Mitrailleure hätten
heute einen guten Tag und würden diese in die Unterkunft
tragen. Die Nacht war bereits hereingebrochen und wir
rannten immer noch auf der Alp herum, dann befahl der
Sadist, wir sollten ausser unseren schweren Waffen, auch
noch die leichten Waffen der Füsiliere übernehmen.
Dann kam die neue Schikane, der Weg war voller Steine und
diese waren vom Regen nass, so, dass man leicht
ausrutschte!
Der Sadist befahl, dass er keine Abstände dulde, sonst
müssten wir zurück auf die Alp und wieder neu beginnen.
Immer wieder fiel einer unter den schweren Lasten hin, der
Abstand war da und wir konnten wieder zurück.
Erst gegen 23 Uhr durften wir dann endlich einrücken, aber
zuerst mussten wir noch unsere Waffen und jene der
Füsiliere reinigen! Dann, um Mitternacht, durften wir
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verpflegen, doch kaum einer konnte noch essen, wir warfen
uns auf die Feldbetten und schliefen sogleich ein.
Viele der kleineren Schikanen habe ich vergessen, und es
würde auch zu weit führen, diese 08/15 RS im Detail zu
schildern. Wir wussten, dass wir am 8. Juni nach Hause
entlassen wurden, es gab zwar Gerüchte, wonach wir
möglicherweise gleich in den Aktivdienst übertreten
könnten, weil die Sowjets angreifen würden. Und ich war
dafür in der richtigen Einheit, der Schützen KP III/7, der 7.
Division,(später Grenzdivision) wir waren zum Schutz der
Ostgrenze vorgesehen, unser Korporal konnte es nicht
lassen, uns täglich daran zu erinnern, dass wir die
allerersten Soldaten wären, die Feindberührung haben
werden. Ich war ein schwacher Läufer und ein schlechter
Schütze, dafür aber einer der besten beim Gewehrgriffritual
und auch als MG-Schütze. Wenn es galt, mit scharfer
Munition über die stürmenden Füsiliere zu schiessen, war
das immer eine Mutprobe, keiner wollte das Risiko
eingehen, ich tat dies immer freiwillig.
Dabei entwickelte ich eine Technik, die eigentlich verboten
war, doch niemand konnte es sehen. Wir schossen meistens
mit Leuchtspurmunition, dadurch konnte ich die Einschläge
sehen und während dem Schiessen die Garben ins Ziel
leiten, indem ich mit der Schulter nachhalf. Und ich traf
immer! Dies ist verboten, weil es vorkommen kann, dass
man zuviel schiebt und dann die Geschosse die eigenen
Leute treffen!
Im Toggenburg war die Zürcher Rekrutenschule stationiert,
in der letzten Woche trugen wir Kriegsspiele mit ihnen aus.
Finnische Offiziere waren zu Besuch, frühmorgens mussten
wir zwei MG Schützen mit dem Kadi und unseren Helfern
auf die Passhöhe eilen, der Kerl, der schon mit mir im
Schützenloch zum Problem wurde, klammerte sich an
meinen Gurt und ich musste den Idioten auch noch
mitschleppen. Das machte mich völlig fertig, aber wir
schafften es doch noch. Oben lag alles im Nebel, da hörten
wir aus dem Nebel die Schreie der anstürmenden Zürcher.
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Rechts von mir standen gegen 10 hohe Offiziere, einige
davon Finnen, vor uns tauchten die „Feinde“ aus dem Nebel
auf, wir schossen wie wild aus dem Hüftanschlag, diesmal
allerdings blinde Munition. Ich verschoss Gurte um Gurte,
ein feindlicher Korporal tauchte vor mir aus dem Nebel,
brüllte mich an, weil ich weiter schoss, der zog sich wieder
zurück, denn bis auf 20 Meter waren die Splitter nicht
ungefährlich. Wir waren plötzlich vom Feind umzingelt, die
Schiedsrichter erklärten uns für „Tot“. Ich hatte praktisch
alle Munition verschossen, auch der Leo, der andere MG
Schütze.
Der Pulverdampf machte uns ganz verrückt, aber niemand
machte eine Vorhaltung wegen nicht Einhaltung der
Abstände. Im Gegenteil, die Finnen waren hell begeistert
von unserem Einsatz! Dass alles wie echt erschien, das
erfuhren wir, als der Kadi seinen Funker suchte, der war
einfach verschwunden. Wir fanden ihn in einer Hütte, ganz
hinten am Boden liegen, kreidebleich und er machte einen
gestörten Eindruck.
Ich musste laut lachen, wie würde denn der im Ernstfall
reagieren?
Ich war schon damals der Ansicht, dass gut die Hälfte der
Soldaten für den Kriegsdienst untauglich sind, ich nannte sie
die Weiber. Von der anderen Hälfte, schätzte ich, dass hier
nochmals die Hälfte nur bedingt nützten, und vielleicht 10
bis 20% waren wirklich kriegstauglich.
Eine Übung mit scharfer Munition imponierte mir auch,
von Urnäsch aus schoss die Artillerie über uns, dann die
Minenwerfer, weiter vorne die Mitrailleure und schliesslich
die Füsiliere, es war grossartig, wie alles abgestimmt war,
und es gab bei allen diese Übungen nie Unfälle!
Unfälle hatten wir nur wenige, einmal an einer Alarmübung,
um 3 Uhr früh mussten wir in Richtung Herisau, ausrücken.
Dort galt es, die eingegrabenen Feinde zu bekämpfen, einer
von der ersten Kompanie nahm das zu wörtlich, beim Sturm
auf die Stellungen, schoss er einem Rekruten die Wange
weg, er hielt ihm den Karabiner direkt ins Gesicht und
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drückte ab. Damals hatten wir noch die grünen Holzzäpfen,
es war nicht erlaubt, unter 20 Meter Distanz auf Leute zu
schiessen. Die meisten Unfälle geschahen mit den
gefährlichen Suomi Maschinenpistolen. Dem Kadi der
ersten
KP, schoss ein Rekrut eine ganze Serie in den Magen, er
überlebte. Einmal, beim Scharfschiessen mit der MP, fiel
während dem Schiessen plötzlich das Magazin aus der
Halterung.
Der Sadist drohte mir mit scharfem Arrest, doch ich wehrte
mich mit dem Hinweis, dass es sich um einen Materialfehler
handle! Es kam fast jedes Mal vor, dass die Halterungen
versagten.
Wir durften dann zu Fuss von der Schwägalp bis nach
St.Gallen, laufen, natürlich während der Nacht als
Gefechtsübung. Und es regnete wieder einmal
ununterbrochen, wir lagen die ganze Nacht bei Urnäsch
hinter unseren MGs, und zitterten in den Morgen hinein.
Kleider durchnässt, wenig Schlaf, müde und ausgelaugt,
humpelten wir bis nach Herisau. Dort angekommen, jagte
uns der Major Vetsch über die Wiesen, wir seien ein
dreckiger Sauhaufen, gegessen hatten wir auch noch nichts.
Da tat unser Kadi etwas, was wir ihm sehr hoch
anrechneten, er verweigerte den Befehl des Majors, uns
weiter zu schinden und wir durften endlich verpflegen!
Wir waren derart auf dem Hund, dass man beschloss, uns in
der Kaserne Herisau, für eine Nacht unter zu bringen.
Und wir mussten feststellen, dass diese Kaserne viel
moderner war, als die unsere. In St. Gallen. Am nächsten
Tag liefen wir dann nach St.Gallen, die letzte Woche war
noch mit der Schlussinspektion durch den
Oberstkorpskommandanten Annasohn, ein Höhepunkt.
Wir standen schon lange auf dem Kasernenplatz, endlich
erschienen die hohen Tiere, der Annasohn wollte einen
Gewehrgriff sehen, und ich wurde aufgerufen, als einziger
der RS musste ich einen hervorragenden Gewehrgriff
bieten!
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Es konnte nur schief gehen, mir war alles gleichgültig, ich
wollte ja auch nicht weitermachen, und sollte ich nun
versagen, man konnte mich nur noch drei Tage
schikanieren.
Ich trat drei Schritte vor, sah nur noch all die Goldfasane
vor mir, konzentrierte mich ganz auf die Ausführung.
Und es knallte, Tak-Tak-Tak und zurück Tak Tak Tak.
Es gelang hundertprozentig, Annasohn war zufrieden und
die andern wohl erleichtert?
Was er wohl nicht wusste, ich war der allerjüngste Rekrut,
18 ¾ jährig bei der Entlassung.
Drei Tage später wurden wir entlassen und ich hatte nicht
vor, nochmals Militärdienst zu leisten, der Sadist hatte mir
jede Lust dazu genommen. Soldat sein war alles andere als
Individualität, und ich war nun einmal Individualist und
konnte mich im Militär nicht wohl fühlen. Dadurch rutschte
auch die Fremdenlegion ganz in den Hintergrund, aber auch
die US-Armee!
Kapitel 74
Der Waffenerwerbschein
Ich war wieder in Winterthur, nach einer 08/15 RS, auch um
einige Illusionen erleichtert und ärmer geworden. Klaras
Gesundheitszustand
wurde immer schlechter, aber wir hatten trotzdem noch
Hoffnung!
Vater ging wieder nach Bern, wo er bei der früheren Firma
Arbeit fand, die Familie war somit wieder auseinander
gerissen. Ich kündigte ein zweites Mal bei der Post, diesmal
definitiv. Ich wurde erst beim Telefondienst eingesetzt, es
galt dort, Telefon Apparate auseinander zu schrauben, die
Teile zu reinigen und das Ganze wieder zusammen zu fügen.
Das war zwar eine einfache Arbeit aber gleichzeitig auch
sehr langweilig. Deshalb liess ich mich in den Zustelldienst
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des Telegrafenamtes versetzen. Das war eine ähnliche
Aufgabe wie damals in Zürich, statt Eilbriefe waren es
Telegramme. Wir waren ständig gegen vier bis fünf Boten
im Dienst, kaum voll ausgelastet und hatten es meistens
lustig.
Ich hatte auf den 28. Februar 1958, gekündigt, danach
wollte ich eine Afrikareise unternehmen.
Um einen Reisepass zu erhalten, benötigte ich die
Unterschrift von Vater, er musste persönlich nach
Winterthur kommen, glücklicherweise war das noch vor
seiner Abreise nach Bern. Dann kaufte ich mir eine Vespa,
damit wollte ich durch die Wüste Sahara fahren. Von Oase
zu Oase, durch Algerien. Natürlich gehörte zu meiner
Ausrüstung auch eine Pistole. Also ersuchte ich bei der
Polizei am Obertor um einen Waffenerwerbschein, zwar
hatte ich bereits eine Waffe, den Karabiner von der Armee.
Den konnte ich natürlich nicht mitnehmen. Problemlos
erhielt ich den Schein, der zuständige Beamte wollte noch
wissen wofür ich die Waffe kaufe? Ich sagte es ihm, worauf
er meinte, das könnte mir aber Schwierigkeiten eintragen,
dort herrsche doch Krieg!
Ich erwarb eine sechs Schuss Browning bei Ex-Weltmeister
Fritz Kuchen, in Winterthur.
Sodann begann ich mit dem Einholen der Visa, aber bereits
für Algerien gab es Probleme, der französische Konsul in
Zürich, verweigerte mir ein Visum für Algerien, dort
herrsche Krieg, zudem grenze es an Selbstmord, alleine
durch die Sahara zu fahren. Aber er schlug vor, es doch mit
Marokko zu versuchen, ich hatte keine andere Wahl.
Weil ich während der Rekrutenschule Geld sparen konnte,
hatte ich ein Budget, das mir eine Reise von vier bis sechs
Monaten ermöglichte.
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Kapitel 75
275
276
Auf nach Afrika
Anfangs März 1958, startete ich mit der voll beladenen
Vespa in Richtung Frankreich. Es war ein komisches
Gefühl, ein Start ins Ungewisse, was wollte ich eigentlich in
Afrika? War es klug von mir, diese Reise zu unternehmen?
Ohne Begleitung, ohne Erfahrung im Reisen, mit wenig
Geld! Über diese Reise habe ich im Buch „Einmal die Ferne
sehen“ ausführlich geschrieben, ich möchte deshalb nur
einige Randbemerkungen dazu schreiben.
Am ersten Tag schaffte ich es bis nach Yverdon, dort
nächtigte ich in einem einfachen Hotel. Am folgenden
Morgen hielt mich ein Polizist vor dem Hotel auf, er wollte
wissen, weshalb meine Zulassungsnummer auf den Kanton
Zürich lautete, ich aber als Wohnadresse Märstetten im
Thurgau aufgeführt hätte? Nun, das war einfach, ich sagte,
dass ich in Winterthur arbeitete, aber nun als Adresse
diejenige meiner Eltern angegeben habe.
Er begriff und liess mich weiterfahren.
Die Strasse war mit einer dünnen Schicht Neuschnee
bedeckt, zudem war sie rundlich und ich musste genau auf
der Rundung fahren, weil Militärfahrzeuge von der
Gegenseite kamen. Da rutschte ich aus und schlitterte rund
40 Meter weit am Boden!
Die Vespa war defekt, hinten eingedrückt, aus die Reise!
Ich schob das Fahrzeug bis zur nächsten Garage, dort
konnte man die Vespa nach Stunden wieder fahrtüchtig
machen. Aber ich traute mich nicht mehr weiter zu fahren,
ich liess die Vespa mit der Bahn nach Märstetten bringen,
und fuhr ebenfalls mit der Bahn zurück.
Dann kaufte ich eine einfache Fahrkarte bis nach Marseille,
packte zwei Koffer, was sich im nach hinein als nicht sehr
zweckmässig erwies. Es war ein nasskalter Morgen, als ich
im Zug Richtung Frauenfeld sass, das Lieb: „Du mein stilles
Tal, Gruss zum letzten Mal“, schoss durch meinen Kopf,
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war das ein Abschied für immer? Ein traurig
melancholisches Gefühlt stieg in mir hoch!
Zwischen Port-Bou und Barcelona, hatte ich ein seltsames
Erlebnis, der Zug hielt oft an, alte Frauen stiegen dazu oder
aus, im Westen ging die Sonne unter, ein seltsam wohliges
Gefühl legte sich um mich, ohne, dass ich wusste weshalb,
ich fühlte mich zu Hause. Ich führte das auf die katalanische
Sprache zurück, welche jener der alten Frauen in
Westfrankreich ähnlich war. Später aber ergab sich noch
eine andere Erklärung dafür.
In Barcelona wohnte ich in der Pension Gascon, später
„Benidorm“, was ich im Buch auch nicht erwähnte, in einem
Rausch, hatte ich mit der Maria Fernandez, Sex ohne
Kondom. Als ich dann am nächsten Tag ein „Ziehen“ im
Unterleib verspürte, dachte ich schon, ich hätte mir eine
Krankheit eingefangen. Doch es war ein Fehlalarm.
Nach meiner Rückkehr verkaufte ich die Vespa an einen
jungen Italiener.
Klara war wieder zu Hause, sie wurde im März aus dem
Spital entlassen, mit den lapidaren Worten, sie werde noch
drei Monate leben können!
Kapitel 76
An die Weltausstellung
Es war ein grosser Schock, Klara sollte sterben!
Nein, das durfte nicht sein, ich war nicht gewillt diese
Nachricht einfach zu akzeptieren!
Ich suchte nach Alternativen, im Appenzellerland wurde ich
fündig, bei den Naturheilern, ich erkundigte mich nach den
Kosten und stellte fest, dass ich fast alle meine Ersparnisse
aufwenden müsste, das war eine harte Entscheidung, keine
Arbeit, kein Geld mehr, wieder bei Null anfangen!
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Aber ich wollte mir nicht das ganze Leben lang vorwerfen,
ich hätte nicht alles versucht, sie heilen zu können!
Ich legte das Geld aus und Klara musste sich nun einer
etwas aufwändigen Therapie unterziehen, diese war mit
vielen Kräutern und Übungen bespickt.
Klara war sehr schwach und die Turnübungen waren oft
zuviel für sie, es war zum verzweifeln.
Im Mai öffnete in Bruxelles die Weltausstellung, ich
entschloss mich, mit dem Fahrrad hin und zurück zu fahren,
auch das ist im Buch beschrieben, so, dass ich nicht näher
darauf eingehen will.
Einzig die Kosten für diese zwölftägige Exkursion waren
schon damals beachtenswert, inklusive den Kauf eines neuen
Schlauchs und Eintritte in die Weltausstellung, verausgabte
ich 110.- Franken. Auch nicht im Buch ist der letzte Tag, als
ich von Heilbronn bis Märstetten fuhr. Ich hatte plötzlich
das Gefühl, Klara liege im Sterben oder sie sei bereits
gestorben! Meine Gefühle hatten mich getäuscht, die lebte
noch, aber ihr Zustand war bedenklich, sie konnte nachts
nur noch sitzend am Fenster bleiben, weil sie
Erstickungsängste verspürte. Am Fenster hatte sie mehr
frische Luft. Die Heilmethoden wirkten auch nicht, die
ganze Welt war gegen uns, und Klaras Glaube an den Jesus
wurde auch nicht honoriert!
Kapitel 77
Abschied von Klara
Wenn es eine Hölle gibt, dann muss sie auf dieser Erde sein,
und wenn es einen Gott gibt, dann muss er ein Sadist sein!
So etwa waren damals unsere Gefühle, Vater war in Bern,
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Mutter verdiente etwas Geld als Putzfrau, ich erhielt einige
Franken, indem ich bei Landwirten aushalf.
Ich hatte mich aber entschlossen, zielbewusst eine Bürostelle
zu suchen. Bei der Akademikergemeinschaft belegte ich die
Handelsfernkurse. Ich meldete mich auf jede Anzeige, auch
wenn ich die Voraussetzungen nicht erfüllte. Es war seltsam,
wie sich gewisse Leute als Bremser betätigten, um mir zu
schaden. Da war einmal die Frau des Direktors der
Düngerfabrik, wo auch Vater später arbeitete, sie fühlte sich
berufen, meiner Mutter zu melden, dass ich keine
kaufmännische Ausbildung durchlaufen könne, weil ich
keine Sekundarschule besucht habe!
Ich hatte keine Ahnung, wer dieser Frau meine Absichten
wissen liess?
Hingegen wurde mir klar, dass sie es wohl nicht verkraften
konnte, dass ich, wie ihr Mann einen KV-Abschluss hätte.
Vermutlich war sie auch die Person, die mich bei einer
Stellenbewerbung diffamierte? Ich bewarb mich bei einer
Möbelschreinerei in Sulgen, erhielt eine Einladung mich
vorzustellen, dann aber eine Absage vorzusprechen, mit der
Begründung, man habe negative Informationen über mich
erhalten!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Ich konnte nie in Erfahrung bringen was das war?
Ich schrieb täglich einige Offerten, nur für Bürostellen.
Bei der Helvetia Feuer in Frauenfeld, wollte man mir eine
Stelle als Policenschreiber anbieten, doch das war nicht
meine Wellenlänge, weder vom Gehalt noch von der Arbeit
her. Ich erhielt auch täglich Absagen, doch das ging mit dem
Horrorzustand von Klara in Einem, es belastete mich kaum
noch!
Dann kam der Tag, Mutter war im Restaurant oben um zu
putzen, Klara konnte kaum noch atmen, plötzlich rief sie
nach der Mutter, doch die war nicht da. Ich eilte zu Mutter,
aber die machte keine Anstalten zu kommen, da wurde ich
aber laut: “Deine Tochter liegt im Sterben und Du hast
keine Zeit für sie!“ Sie kam dann doch noch, Klara lebte
noch, sie erkannte Mutter, welche sie in die Arme schloss.
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Nach rund einer halben Stunde war sie tot!
Man mag es vielleicht komisch finden, aber ich fühlte mich
erlöst, befreit von einer Horrorzeit die kaum noch
auszuhalten war! Ich befand mich wie in einem
Trancezustand, fast apathisch, war schlechter Laune, sogar
den Sarghersteller fluchte ich an. Ich mochte auch nicht
sprechen, sagte nur: „Sie hat es hinter sich, wir haben es
noch vor uns, mehr brachte ich nicht heraus“.
Es war der 21. Juni 1958, der längste Tag des Jahres.
Ich hatte keine Schuldgefühle, weil ich alles versuchte, ihr zu
helfen, aber ich hatte noch viele Jahre Albträume, in denen
ich immer ihr Grab aushob, weil sie angeblich noch lebte!
***************************************************
Kapitel 78
Erste Hürde geschafft
Das Leben musste weiter gehen, beinahe empfand ich das
als eine Bürde, aber irgendwie war es auch ein Neuanfang.
Konsequent bewarb ich mich um Stellen, für die ich die
Voraussetzungen nicht erfüllte.
Es war mir egal, irgendwann musste es gelingen, jeden Tag
erwartete ich den Briefträger und öffnete die Briefe in
angespannter Erwartung.
Bis Mitte Juli hatte ich noch keine einzige positive Antwort
erhalten. Dann, etwa um den 15. Juli, erhielt ich am späten
Abend einen Expressbrief, Absender: Konsumverein
Winterthur, Warenhaus Rothaus.
Ich las den Brief und war etwas erstaunt, da schrieb doch
ein Direktor Müller, ich würde am nächsten Tag eine
Absage auf meine Weberbung erhalten, ich solle diese aber
nicht beachten, es habe sich eine neue Möglichkeit ergeben
und ich solle am frühen Morgen bei ihnen vorsprechen.
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Erst jetzt erinnerte ich mich, dass ich Wochen zuvor, einmal
auf ein Inserat schrieb, wusste aber nicht mehr wofür?
Ich fuhr wie vorgeschlagen nach Winterthur, und meldete
mich wie angewiesen, an der Marktgasse 37 im 5. Stock, bei
einer Frau Weilenmann.
Frau Weilenmann brachte mich zum Direktor Müller, ein
dicker Mann, er liess einen Herrn Böhler, Abteilungsleiter,
kommen, und dieser führte mich zu einem Herrn Schmied.
Herr Böhler sagte mir, Herr Schmied werde mir die Arbeit
Erklären, er werde in einer Stunde wieder kommen.
Nun erfuhr ich auch, weshalb ich diese Stelle plötzlich
erhalten sollte, Herrn Schmied, eidg. dipl. Buchhalter, 35,
hatte gekündigt, und man hatte eine gut qualifizierte Frau
angestellt, diese auch eingearbeitet, aber sie habe die Arbeit
einfach nicht verstanden und hätte gehen müssen!
Mich traf beinahe ein Schock, wie sollte ich den Job
versehen können, wenn eine gut ausgebildete KV-Angestellte
versagte?
Aber ich hatte rein nichts zu verlieren, also nur weiter!
Herr Schmied erklärte mir die Arbeit bis ins letzte Detail,
und ich begriff rein nichts, aber liess mir nichts anmerken.
Nach einer Stunde erschien wieder Herr Böhler und fragte:
„So, denken Sie, sie können das?“ Ich wagte ihn nicht direkt
anzusehen, antwortete einfach mit: „Ja, Ja,“.
Und ich sollte gleich am nächsten Morgen, den 17. Juli 1958,
mit der Arbeit beginnen.
Ich wurde zwei Wochen eingeführt, dann verliess Schmied
die Firma, ich verrichtete die Arbeit anfänglich mechanisch,
wie instruiert, weil ich aber die Handelskurse absolvierte,
wurden meine Kenntnisse plötzlich nützlich.
Ich wusste nun auch, was meine Aufgaben waren:
Warenkalkulationen, Margenberechnungen,
Budgetkontrollen, Zollformalitäten, Inkasso der Bargelder,
Abrechnung und Koordination mit dem VSK-Basel und der
Hauptbuchhaltung an der Bankstrasse, kurz, ich war für
das ganze Rechnungswesen des Warenhauses zuständig.
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Das Anfangsgehalt war etwa gleich wie bei der Post, wobei
nach der Probezeit eine Anpassung erfolgen werde.
Mir war das eher egal, ich wollte die Stelle halten können.
Anfänglich machten sich die Magenkrämpfe wieder stark
bemerkbar, aber ich konnte trotzdem arbeiten und lernen.
Auch das Büro gefiel mir gut, ich hatte eine Art Erker im 5.
Stock, mit einer Rundumsicht auf die Stadt.
Nach der Probezeit erhielt ich ein Kompliment von der
Hauptbuchhaltung, dabei hiess es, ich würde die Arbeit
nicht nur sehr gut machen, sondern noch wesentlich besser
als mein Vorgänger Schmied!
Das war es, ich war über dem Berg, blieb nahezu 4 Jahre
dort und arbeitete zielbewusst auf meine KV-Prüfung hin.
Aber dazu benötigte ich mindestens 6 Jahre Büropraxis,
das war absolut kein Problem mehr.
Der Anfang war gemacht, die erste Hürde genommen!
Schluss Teil 2
282
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Rolf Bahl
Teil 3
1. September 1958
bis
31. Dezember 1968
Autobiographie von
Rolf Bahl
283
284
Kapitelübersicht
1. Endlich volljährig 4
2. Wendepunkt 5
3. Mein erster WK 7
4. Die Testfahrt nach Jugoslawien 9
5. Ausbildung und Sport 11
6. 1960 13
7. Ich werde Unteroffizier 19
8. Abverdienen 23
9. Wieder Zivilist 34
10.Der Trick 36
11.Neue Horizonte 40
12.Vater stirbt 43
13.Die Lehrabschlussprüfung 46
14.Probleme mit Ernst 49
15.4.Mai 2964 52
16.Auslandbuchhalter 54
17.Neue Ziele 61
18.Chefbuchhalter bei Seaboard 64
284
285
19.Barcelona 66
20.Sprachlehrer 69
21.Filmpläne 76
22.Sevilla 78
23.Blutspender 81
24.Die Kollegin 84
25.Eurovision 1968 88
26.Los Caracoles 92
27.Die Academia pleite 95
28.Der Polizist 97
29.Ein „Kollege“ 100
30.Espania Adios 103
285
286
1. Kapitel
Endlich volljährig
Seit meiner Rückkehr in die Schweiz, verfluchte ich mein
Alter, ich hatte keinerlei bürgerliche Rechte, dabei hätte ich
diese doch so dringend benötigt, um speziell die familiären
Verhältnisse zu bewältigen. Aber jetzt war es soweit, ich war
20. geworden und anlässlich einer schlichten
Jungbürgerfeier im Hotel Kreuzstrasse, in Märstetten,
überreichte uns der Gemeindeammann die Broschüre mit
der Bundesverfassung. Von nun an durfte ich auch an den
Wahlen teilnehmen, ja, selber als Kandidat für eine Partei
auftreten. War ich noch bis zum 10. Altersjahr zu 80%
Franzose, fühlte ich mich nun als 100% iger Schweizer, als
der ich ja auch geboren wurde! Mutter Appenzellerin und
Vater Berner, das ergibt einen Zürcher, und 1994, wurde ich
dann auch tatsächlich Bürger von Volketswil und des
Kantons Zürich. Wobei ich mich aber als Bürger von
Europa und der Welt, am bestens fühlen würde!
Die erste Volksabstimmung, an der ich teilhaben durfte,
war das Frauenstimmrecht im Jahr 1959.
Ich war schon immer der Ansicht, dass auch Frauen eine
Meinung zum Staat abgeben sollten, ohne, dass dadurch ihre
Weiblichkeit Schaden nehmen müsste.
Also legte ich ein klares „Ja“ in die Urne. Aber die Zeit war
damals noch nicht gekommen, in der Gemeinde Märstetten
sagten 39 Männer „Ja“ und 240 „Nein“, und ich realisierte,
dass die 39. Stimme von mir war. Dies blieb allerdings die
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allereinzige Abstimmung, an die ich mich an solche Zahlen
erinnere.
Von 1958 bis 1960, büffelte ich die Handelsfächer an der
Akademikergemeinschaft Zürich, im Fernkurs.
Besonders die Kenntnisse aus dem Rechnungswesen konnte
ich bei meiner Arbeit gut umsetzen.
Die Firma finanzierte mir einen Zolldeklarantenkurs, weil
ich auch alle die Importformalitäten erledigen musste.
Und allmählich gewöhnten sich meine Bauarbeiterhände
an die leichten Büroarbeiten. Jeden Abend sammelte ich bei
den Kassiererinnen in den fünf Stockwerken die
Tageseinnahmen ein, brachte das Geld zur Post Obertor,
und die Quittungen an die Kassen zurück. Ich zeichnete nie
für das erhaltene Geld, es galt Vertrauen auf
Gegenseitigkeit. Und das funktionierte all die 4 Jahre dort
bestens. Bei der Post kannte man mich, wenn aber ein
Kunde hinter mir war, konnte dies bald einmal zu einer
Flucherei führen, denn ich hatte um die 20
Einzahlungsscheine, und bei guten Tagen einige
hunderttausend Franken zum einzahlen!
§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§
2. Kapitel
Wendepunkt
Die Rekrutenschule, sowie meine beiden grossen Reisen in
die Welt hinaus, veränderten meine Ansichten wesentlich.
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Ich wurde in kurzer Zeit um viele Illusionnen ärmer, die
Welt war nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte, brutaler,
kompromissloser, weniger romantisch! Ich traf fast nur
Menschen, die ums Überleben kämpften, täglich dem Geld
nachhetzten, sich sorgten und abmühten.
Es gehörte zu meiner Art, praktisch immer alleine zu reisen,
dadurch erlebt man die Umwelt von einer anderen Warte
aus. Es ist ein kaum zu beschreibendes Gefühl, allein auf
sich angewiesen in einem fernen Land zu sein, wo man
keinen einzigen Menschen kennt, keine Freunde hat, die
Leute und deren Einstellung und Kultur einem fremd sind,
etc.
Am extremsten war die erste Reise nach Nordafrika, es blieb
vermutlich auch die gefährlichste aller meiner Einzelreisen.
Man gewöhnt sich daran und wird auch selbstsicherer, es
wird beinahe zu einer Art von Sucht, ist man einmal mit
einer anderen Person unterwegs, wirkt sich diese bereits
stöhrend aus.
Ich hatte nun meine berufliche Laufnahn neu geplant, den
eingeschlagenen Weg wollte ich unbedingt bis weit nach
oben verfolgen, KV-Lehrabschluss, dann eine höhere
kaufmännische Weiterbildung, dazwischen noch andere
Kurse. Den Höhepunkt der beruflichen Karriere sah ich auf
dem Posten eines Direktors, Geschäftsleiters, etc.
Das war damals sehr hoch gepockert, für einen, der als
Bauhandlanger soeben aufs Büro umgeschult hatte.
Der Wille war vorhanden, nur die Gesundheit musste
stimmen, dann war das Ziel durchaus in reichweite.
Aber genau die Gesundheit spielte mir immer übel zu ,
erst während Jahren die Magenkrämpfe, später die HerzKreislaufprobleme. Ich kam mir vor, wie einer, der über
gefrorenes Eis gehen wollte, laufend versuchte, wie weit er
gehen konnte, bis das Eis unter ihm brach?
§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§
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289
Kapitel 3
Mein erster WK
Während zwei Jahren war ich vom Militärdienst befreit,
und ich machte mir ernsthafte Gedanken, den Wehrdienst
ganz zu verweigern. Aber da kamen Zweifel auf, wollte ich
beruflich weiter kommen, dann war Dienstverweigerung
fehl am Platz! Die Armee war damals noch eine heilige Kuh
und unerer Gesellschaft. Ich überlegte mir, dass drei
Wochen im Jahr doch kein Problem sein sollten, zudem
waren Wiederholungskurse nicht mehr mit der RS
vergleichbar.
Ich erhielt einen Marschbefehl für März 1959 und folgte
dem Aufgebot ohne Vorbehalte.
Als Angestellter des Konsumvereins, erhielt ich zudem
während dieser Zeit den vollen Lohn ausbezahlt.
Die Anstellung verschaffte mir noch einen anderen Vorteil,
zwischen dem Konsumverein Winterthur und dem KV
Winterthur, bestand ein Abkommen, danach mussten
die Angestellten im Büro zwangsläufig dem KV als
Mitglieder beitreten. Obwohl ohne Lehre, wurde ich somit
auf den 1. Juli 1958, Mitglied beim KV Winterthur. Ich
wurde nach 30 Jahren Veteranenmitglied, trat später aus,
weil ich meistens im Ausland weilte, sonst hätte ich es zum
Schweizer Seniorenmitglied im Jahr 2008 geschafft! (50
Jahre) .
Ich trat an einem Montagmorgen in Frauenfeld zum WK an,
schon nach kurzer Zeit wurde ich namentlich aufgerufen.
Ich sollte mich beim Kompanie-Chef melden.
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290
Mit Vollpackung machte ich die Achtungsstellung, der
Hauptmann Weber grinste und sagte: „Sie melden sich bei
der Nachrichtenkompanie 31, beim Nachrichtenzug!“
Ich hatte keine Ahnung was das bedeutete, irgendwie schlug
ich mich zu dieser Einheit durch. Dort machte man mir klar,
dass man gedenke, mich zum Nachrichtensoldaten
umzuschulen, weil ich mich nicht zur Weiterausbildung zum
Unteroffizier gemeldet hatte. Man habe von jeder Kompanie
einen fähigen Soldaten angefordert, und ich sei der
Auserlesene der Schützen Kompanie 3/7.
Das war ein wahrer Aufsteller, ich war plötzlich motiviert
und begeistert. Nach der O8/15 RS, war das Musik in
meinen Ohren!
Der Kurs fand in Appenzell statt, wir hatten eine gute
Unterkunft, und am Morgen wurden wir anständig geweckt,
nicht wie in einer Strafkompanie. Es herrschten normale,
fast menschliche Umgansformen, keine täglichen
Schindereien und sadistische Einlagen! Ich wurde
Nachrichtensoldat und konnte nach drei Wochen wählen,
entweder bleiben, oder weitermachen, dazu müsste ich aber
zu meiner Einheit zurück kehren.
Und ich war derart motiviert, dass ich beschloss
Unteroffizier zu werden. Etwas, das vier Wochen zuvor noch
völlig undenkbar war. Ich hatte aber noch weitere Ziele,
Sport treiben, besonders Laufsport, weil ich da grosse
Probleme hatte. Ich war fast immer Letzter und schäumte
aus dem Mund wie ein Pferd.
Das wollte ich ändern und zwar noch vor der UO Schule!
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Kapitel 4
Die Testfahrt nach
Jugoslawien
Im Mai 1959, bezog ich drei Wochen Ferien, mit meinem
englischen Fahrrad plante ich eine Fahrt nach Jugoslawien.
Über dieses Abenteuer schrieb ich detailliert im Buch
„Einmal die Ferne sehn“. Es war eine schwierige Fahrt, weil
ich von den 17 Reisetagen, mehr als deren 10 im Regen
fuhr, zudem litt ich wieder unter starken Magenkrämpfen.
Mit jedem Tag wurde ich kräftiger und agressiver, von
einem vorzeitigen Aufgeben war darum nie die Rede.
Und als ich die letzte Etappe von Landeck im Tirol bis nach
Märstetten hinter mich brachte, war klar geworden, es
begann ein neuer Lebensabschnitt mit Sport!
Deshalb meldete ich mich sogleich zu einem in der Zeitung
ausgeschriebenen Waffenlauf in Winterthur an.
Ich wurde Fünftletzter und fand dabei, das wäre ein
Riesenerfolg für einen, der zuvor immer weit zurück lag.
Darum meldete ich mich gleich auch noch zum bekannten
„Frauenfelder Waffenlauf“ über 42.2 Kilometer. Ob ich
diesen zu Ende laufen konnte oder nicht, interessierte mich
nicht. Allein schon die Tatsache, daran teilzunehmen, war
etwas Sensationelles. Da war aber noch ein anderer Grund,
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im Rothaus arbeitete eine junge Frau aus Wil, sie mochte
um die 18 sein, ihr Name: Maria Helg. Und ihr machte ich
auf meine damals eher plumpe und scheue Art den Hof.
Warum ich sie mochte? Sie hatte dunkle Haare, eine ganz
weisse Haut und eine engelhafte Stimme. Und um ihr zu
imponieren, wollte ich den Waffenlauf auch bestreiten.
Stolz sagte ich ihr, dass sie dann in Wil am Strassenrand mir
zuwinken solle. Sie versprach es und ich rannte Richtung
Wil so schnell ich nur konnte. Es war sehr anstrengend, und
immerhin machten damals um die 1200 Läufer mit.
Aufgeteilt in Auszug von 20 bis 36, Landwehr von 37 bis 48
und Landsturm 48 bis 60 Jahren. Ich schnaufte wie ein
Ackergaul, vor mir rannten viele Hundert hinter mir auch
noch eine Menge.
In Wil angekommen, wurde uns die Zwischenverpflegung
gereicht, ich schaute auf die Zuschauer, da, endlich, da
stand sie, die Maria und winkte mir zu! Was für ein
Aufsteller, ich schöpfte neue Kraft für die restlichen 21
Kilometer, nur nicht aufgeben!
Und ich erreichte das Ziel, hinter mir kamen noch einige
Hundert, ich war überglücklich, Vater und Mutter waren
auch zur Stelle und freuten sich als Zuschauer am Ziel.
Am nächsten Montagmorgen hatte ich Fieber, ging aber
trotzdem zur Arbeit. Ich wollte wissen, was die Maria sagte?
Und was sie sagte, das war kein Aufsteller, sie habe so lange
warten müssen, dass sie schon dachte, sie habe mich
verfehlt!
In der Tat, passierten die Spitzenläufer mehr als 2 Stunden
vorher die Stadt Wil!
Sie musste also sehr lange warten, und das störte mich schon
etwas.
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Kapitel 5
Ausbildung und
Sport
Der Sport nahm plötzlich eine dominierende Rolle in
meinem Leben ein. Mit der sitzenden Arbeit war mir
dadurch auch gleich eine Alternative dazu geboten.
Ich verwendete aber auch viel Freizeit für die Weiterbildung
oder Ausbildung. Von 1958 bis 1960 absolvierte ich die
Handelskurse der Akademikergemeinschaft Zürich, das
verhalf mir zu einer gewissen Sicherheit im Büroalltag.
Gleichzeitig belegte ich einen journalistischen Fernkurs aus
Deutschland, diesen schloss ich im Jahr 1960, mit einer
Schlussprüfung erfolgreich ab. Als diplomierter Journalist
versuchte ich es aber vorläufig nicht in der Praxis, das hatte
noch Zeit. Den Journalistenausweis trug ich aber gerne auf
mir, er konnte damals in besonderen Situationen nützlich
sein. Um an Frauen heranzukommen, war es von grossem
Vorteil, wenn man die Tänze beherrschte. Ich war ein
miserabler Tänzer, trampelte den Frauen auf den Füssen
herum und lief vor Scham rot an, dazu schwitzte ich wie ein
Galeerensklave, besonders, im Sommer.
Wie in solchen Fällen üblich, wollte ich das Problem direkt
angehen und beheben, also belegte ich im Lauf von etwa 4
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Jahren, ganze 6 Tanzkurse. Aber es funktionierte trotzdem
nicht richtig, ich führte das auf meine grosse Schuhnummer
zurück (47), manchmal auch 45 bis 48.
Ich zog mich von diesem Sport zurück, musste die Frauen
anderswo finden, zum Beispiel im Geschäft, in unserem
Warenhaus. Dort waren auf fünf Stockwerken verteil, rund
100 bis 150 Frauen im Einsatz. Und ich hatte es auf zwei von
ihnen besonders abgesehen, da war einmal die Maria Helg;
dann die Heidi Wyss. Während die Maria schöne dunkle
Augen und Haare hatte, war es beim Heidi gerade
umgekehrt. Sie war hellblond und hatte blaue Augen. Sie
war heimatlich zwar von der Nachbargemeinde Seftigen
stammend, aber in Preussen aufgewachsen, und ihre Mutter
war eine echte Preussin. Ich lebte damals in Märstetten TG,
da war noch die Irene Mettler, von der Dorfmetzgerei, wir
trafen uns eigentlich nur in der Eisenbahn nach Winterthur,
sie war dort als Verkäuferin tätig. Auch für sie interessierte
ich mich, sie war eine einfache Kollegin, aber mit grossen
Plänen und Ambitionen, sie verriet mir, dass sie etwas ganz
Aussergewöhnliches anstrebe, das sowohl in Bezug auf ihren
Partner wie auch ihren Beruf!
Dass ich so etwas nicht anstrebte, war für mich klar, somit
blieben noch die Maria und Heidi auf meiner Wunschliste.
Irene heiratete später den Zirkusinhaber Stey, zusammen
zogen sie auch als die „Tornados“ um die Welt, eine
Messerwerfernummer, bei der die Irene immer dabei war.
Später wurde sie Direktorin dieses Zirkusses. Ich traf sie
Mitte der Neunzigerjahre im Zirkuszelt. Dabei hatten wir
Gelegenheit einige alte Erinnerungen aufzufrischen.
Im Herbst 1959, unternahm ich noch eine Reise per
Anhalter (Auto Stop) nach Paris. Auch über diese Reise
kann man im Buch „Einmal die Ferne sehn“, nachlesen.
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Kapitel 6
1960
Das Jahr 1960 sollte zum exklusiven Sportjahr werden,
fast nicht nachvollziehbar, was ich in diesem Jahr alles
versuchte. Einmal bestritt ich sämtliche Waffenläufe in der
Schweiz, von St. Gallen bis Lausanne, ich war immer dabei,
dann verschiedene Armeewettkämpfe, die
Divisionsmeisterschaften, sowohl im Winter wie auch im
Sommer, bestritt den allerersten Biathlon in der Schweiz, in
Gonten AI, den ersten Berner Zweitagemarsch,
verschiedene Geländeläufe, und auch mit dem UOV
Frauenfeld, konnte ich am Viertagemarsch in
Njimegen/Holland, teilnehmen. Unser Gruppenchef war der
Wachtmeister Walter Henke, aus Frauenfeld, Jahrgang
1908. Er starb im Jahr 2005, im Altersheim Kreuzlingen.
Vor dem Marsch fuhren wir noch nach Madurodam und
Amsterdam, um dort das andere Leben kennen zu lernen.
Madurodam, das Miniholland, war nichts
aussergewöhnliches, aber in Amsterdam, da gings direkt in
die Strassen der roten Laternen. Und in einem Schuppen
waren zwei Thaifrauen, alle wollten nur diese! Dabei
wussten damals die wenigsten von uns wo Thailand war!
Also mussten wir vor dem Eingang in einer Einerkolonne
warten. Ich stand ganz hinten an, da erscheint ein Mann und
eine Frau, der Mann sagt zu mir: „was zum Donnerwetter
macht den die S.KP.III/7 hier, ich bin Oberleutnant Traber
von dieser Kompanie!“ Oha, ich antworte nur: „wir stehen
Warteschlange vor dem Thaipuff“. Der lachte laut und seine
Frau lief rot im Gesicht an. Wer nun denkt, all das habe
mir gereicht, irrt sich, ich löste auch noch die Lizenz als
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Amateur B Radrennfahrer. Damit durfte ich an den
Amateur Radrennen in der Schweiz teilnehmen. Ich startete
an drei Rundstreckenrennen und schaffte es meistens bis zur
zweiten Runde, dann musste ich aufgeben. Das sah in der
Realität so aus, in Stäfa war ich auch am Start, alle Grössen
der Schweiz waren am Start. Nach dem Start ging es erst
einmal den Berg hinauf, ich trat mit ganzer Kraft auf die
Pedalen und konnte knapp mithalten, dann aber schnappte
die Kette aus dem Rad und ich durfte diese wieder
hineinzaubern. Mit mir verblieben noch ein paar andere
Pechvögel, aber ich blieb schliesslich alleine zurück. Als es
endlich wieder nach unten ging, raste ich wie ein wild
gewordener Indianer hinunter, mit meinen 85 Kilo Gewicht,
war das noch vorteilhafter. Als ich im vollen Tempo durch
Stäfa raste, erhielt ich einen Riesenapplaus! Alle dachten,
ich sei der erste Fahrer aus der zweiten Runde, schauten die
Nummer im Programmheft nach. Ich wurde wütend,
bremste und stieg vom Rad und verschwand eiligst in der
Turnhalle! Ich war kaum um die Ecke, als ich wieder
Schreie hörte, diesmal waren es aber die echten
Spitzenfahrer! Ich schlich mich wie ein geschlagener Hund
davon und fuhr nach Hause.
Nicht genug damit, war ich auch noch im Turnverein
Märstetten und bei einem Kegelverein aktiv.
Um mich im Radrennen zu verbessern, fuhr ich mit dem
Rennrad von Märstetten nach Winterthur und zurück,
parkte das Fahrrad einfach in meinem Büro.
Einmal fuhr ich mit Höchstgeschwindigkeit bei Attikon der
schmalen Strasse entlang, aus unbekannten Gründen
stürtzte ich plötzlich wie eine Puppe und schlitterte gut 40
bis 50 Meter weit auf der geteerten Strasse. Aber ausser ein
paar wenigen Schürfungen passierte nichts. Diese liess ich
einfach unbehandelt um mich abzuhärten. Gleich wie bei
den Blasen an den Füssen, am Hollandmarsch hatte ich
einmal beide Fusssohlen voller Blasen, nach dem Duschen
schnitt ich alle auf und zog einfach Wollsocken darüber, es
gab nie Entzündungen und dergleichen. Ebenso lernte ich an
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den Waffenläufen, das Seitenstechen zu überwinden, bis es
wieder verschwand! Ob das schädlich war oder nicht, kann
ich nicht beurteilen. Dass auch das Durchstehvermögen
seine Grenzen hat, erfuhr ich im WK, den ich wegen dem
UO Vorschlag, noch in der S.Kp. 3/7, absolvieren musste.
Es war ein besonders harter Dienst, der bereits mit
kriegsmässigem Einrücken begann! Das hiess, für
mindestens 1 bis 2 Tage Proviant mitzunehmen.
Aber ich missachtete diesen Befehl und sollte schwer
darunter leiden.
Am Sonntag nahm ich an einem Querfeldeinrennen in
Wil/SG, teil, mit meinem Gewicht sank ich im Morast ein,
während die andern leicht darüber hinweg fahren konnten.
Und irgendwann gab ich auf, es war meine allerletzte
Teilnahme im Radsport.
Zu Hause angekommen, zog ich die Uniform über und fuhr
gegen Abend nach Frauenfeld, ich musste mich dort
irgendwo melden. Statt zu meiner Einheit wurde ich zu einer
Landsturmeinheit geschickt. Ich sollte Verbindungsmann
spielen, lag einmal eine Nacht lang herum ohne aber
schlafen zu können, wurde immer wieder irgendwohin
geschickt. Verpflegung gabs keine, immerhin erhielt ich
dann am nächsten Tag ein Stück Brot und einen
Gamellendeckel voll Kakao. Um 16 Uhr nachmittags wurde
ich dann endlich zu meiner Einheit geschickt, diese befinde
sich unten an der Thurbrücke Richtung Ausslikon.
Mit meiner Vollpackung lief ich in die befohlene Richtung.
Kam mir dabei aber eher vor wie der HD Soldat Läppli.
Die Leute von meiner Kompanie kannte ich nicht, ich hatte
ja noch nie mit ihnen einen WK absoviert. Aber ich kam
gerade dann an, als sie zum Marsch aufbrachen. Sie hatten
soeben ihren Notvorrat verpflegt, für mich war nichts übrig.
Der Wachtmeister Ulmer, erbarmte sich meiner und gab
mir einen Landjäger aus seiner Reserve. Das hatte eine sehr
positive Auswirkung auf mich, wir wurden gute Kameraden.
Wir liefen nach Frauenfeld zurück, jedoch ohne dort zu
rasten, weiter ging der Marsch in Richtung Thundorf,
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Lustdorf, Strohwilen und um Mitternacht passierten wir
tatsächlich Märstetten. Das Haus lag nur 50 Meter entfernt
und mein Bett war leer!
Die Leute wurden immer müder, und ab Engwilen lagen wir
in den Marschpausen wie die Leichen auf der Strasse. Ein
Lastauto sammelte diejenigen ein, welche nicht mehr
aufstehen konnten oder wollten.
Obwohl ich seit zwei Tagen kaum etwas gegessen hatte, kam
aufgeben für mich nicht in Frage. Ich wollte durchhalten bis
Tägerwilen, unser WK-Ort und Marschziel.
Und um 6 Uhr am Dienstagmorgen, waren wir endlich dort,
wir mussten uns zugsweise Sammeln. Ich stand ganz hinten
die Vollpackung hatte ich abgelegt, plötzlich wurde mir
schwarz vor den Augen, ich sank zu Boden, erwachte aber
gleich wieder und stand wieder stramm.
Nachdem das etwa dreimal so ablief, sagte der neben mir:“
bleib doch endlich am Boden liegen!“
Ich schaffte es dann ohne fremde Hilfe in die Turnhalle zu
gelangen, weil alle Blasen an den Füssen hatten, stand
praktisch die ganze Kompanie vor dem Sanitäter.
Mir war das zu blöd, ich ging schlafen, und als ich erwachte,
standen immer noch drei Soldaten dort. Ich erholte mich im
Lauf des Tages, während zwei Wochen war
Detailausbildung verbunden mit Nachtübungen und
dergleichen. Vom Sonntag bis und mit Donnerstag oder
Freitag, waren grosse Armeekorpsmanöver angesagt. Alles
sollte möglichst realistsich sein, also wie im richtigen Krieg.
So mussten wir bereits am Samstag in die Ausgangsstellung
am Bodensee einziehen, durften nicht nach Hause anrufen,
wegen dem Feind!
In der Nacht vom Sonntag auf den Montag, lagen wir in
voller Uniform auf dem Boden eines Restaurants in Uttwil.
Wir lagen dicht wie die Sardinen gedrängt, ich konnte kein
Auge schliessen. Kurz nach Mitternacht gings auch schon
los, es hiess, der Feind sei, wie immer, aus dem Osten
eingedrungen und befinde sich bereits im oberen
Toggenburg. Wir wurden auf Lastwagen verladen und im
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Raum Wil SG/Kilchberg, ausgeladen. Es begann ein
Fussmarsch das Toggenburg hinauf, staendig von
feindlichen Flugzeugen verfolgt, die uns jedes Mal in die
Strassengräben zwangen. Ich trug die Gefechtspackung und
das schwere MG, meinen Karabiner musste ein Kamerad
tragen. Immer zu Fuss, liefen wir gefechtsmässig über den
Ricken, es war bereits Mittwoch, vorher noch mussten wir
uns nach Kilchberg SG, zurückziehen, es hiess, wir müssten
nach drei Tagen ständigem Einsatz, und ohne Schlaf,
ausruhen. Ich war total am Ende meiner Kräfte, freute
mich, irgendwo in einem Kuhstall liegen zu können.
Aber nein, es durfte nicht sein, unser Korporal erhielt den
Auftrag, die Umgebung von Kilchberg nach möglichen
Feindstellungen auszukundschaften. Immerhin durfte ich
das MG mit einer Maschinenpistole vertauschen.
Es war eine kalte, trockene Novembernacht, mit wenig
Sternen am Himmel. Statt zu verpflegen und zu schlafen,
schlichen wir uns etwa um 1 Uhr nachts die Hügel hinauf,
und wenn in einer Hütte Lärm zu hören war, musste dort
der Feind sein! Kriegsmässig, näherten wir uns den
Schuppen, horchten, und einer flüsterte: „Nur Vieh!“ ein
anderer meinte: „Nein, das sind Leute!“. Wir riefen: „Wer
da?“ Keine Antwort und totenstille, also doch Feinde, einer
warf eine Manipuliergranate in den Stall, ein lauter Knall
und wieder kein Laut. Nun stürmten wir auf den Eingang
und hatten die Finger am Abzug. Der Korporal leuchtete
mit der Taschenlampe, und ein halbes Dutzend Kälber
glotzten uns aus dem Dunkel blöde an.
Verschämt liefen wir auf einem Feldweg weiter, plötzlich
vor uns Lärm, wir vernahmen das Schnauben von Pferden,
Männerstimmen dazwischen. Wir gingen am Strassenrand
in Deckung, eine Train-Kolonne marschierte an uns vorbei,
und wir konnten nicht herausfinden ob Feind oder Freund.
Gegen 3 Uhr morgens waren wir wieder zurück, ohne
Feindkontakte zu vermelden, die Kälber galten damals noch
nicht als Feinde.
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In der vierten nach schafften wir es endlich, den Rickenpass
zu überwinden und in den Kanton Zürich vorzustossen.
Aber das erste Dorf war vom Feind besetzt, also mussten wir
es umgehen, die ganze Kompanie musste sich in einer
Kolonne fortbewegen, alles, was irgendwie hätte Lärm
verursachen können, musste mit Stoff umhüllt werden.
Wir schlichen, rund 120 Mann, durch Ostgärten und offene
Felder den Hang entlang in Richtung Westen. Aber die
Wachen des Feindes hörten uns trotzdem, sie liessen alle
paar Minuten Leuchtraketen steigen, das zwang uns jedes
Mal, sofort nach links auf den Boden zu gleiten. Und
wirklich, sie konnten uns nicht sehen! Aber die
Schiedsrichter waren wohl anderer Ansicht, wir mussten auf
den Ricken zurück! Am Donnerstagmorgen wurden wir eine
Weile neutralisiert, das heisst, wir durften unsere Helme
abnehmen und verpflegen! Ich hatte gerade ein Stück Käse
gefasst und einen Gamellendeckel voller Kakao, als vor mir
rund 80 Feinde auftauchten und auf uns schossen wie die
Wilden! Statt die gar nicht zu beachten, lag ich schon hinter
dem MG und schoss zurück, allerdings klärten die
Neutralen den Irrtum bald auf. Aber ich hatte meinen
kostbaren Kakao ins Gras ausgeleert und verloren! Das
ärgerte mich noch lange, ja, eigentlich heute noch!
Als dann der “Krieg“beendet war, musste sich jeder einmal
erleichtern, und im kleinen Wäldchen auf dem Ricken, sah
man bald einmal hinter jeder Tanne einen weissen Hintern
aufleuchten.
Am 4. Januar 61, sollte ich in die Unteroffiziersschule 7, in
St. Gallen, einrücken.
Über Neujahr reiste ich mit der Heidi und einigen
Kolleginnen, auf eine einsame Alp im Urnerland. Man
konnte nur mit einem Warenlift dort hinauf gelangen.
Heidi war seit dem Sommer 1960 meine platonische
Freundin, wie gingen, jeweils mit einer ihrer Kolleginnen ins
Kino, oder trafen uns im Dunkel hinter der Bankstrasse,
einfach nur um zu schmusen. Eigentlich hätte ich schon
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mehr gewollt, aber ich fürchtete dieses „Heiraten müssen“
wie der Teufel den Weihrauch.
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Kapitel 7
Ich werde
Unteroffizier
Vier Jahre, nachdem ich mit gut 18 Jahren in die
Rekrutenschule einrückte, war ich erneut unterwegs mit der
Eisenbahn nach St.Gallen. Ich wusste nur, dass inzwischen
der Kampfanzug und das Sturmgewehr eingeführt wurden,
und dass auch sonst grosse Änderungen in der Armee
stattgefunden hatten. Der Gewehrgriff, meine absolute
Stärke, war abgeschafft. Und nicht nur das, war ich damals
der allerjüngste Rekrut, zählte ich nun bei den UOAnwärtern zu den älteren Jahrgängen. Auch die Mentalität
der Soldaten hatte sich in dieser Zeit stark verändert,
Winter 56-57, Winter 60-61!
Der Kadavergehorsam von früher hatte sichtbar
nachgelassen, es war etwas lockerer geworden, aber noch
kein Vergleich, was dann 40 jahre später war, als auch
Frauen und Umgebaute, und halbe Männer dafür sorgten,
dass daraus nur noch ein Jekami Haufen wurde, den man
kaum noch als kriegstauglich erklären konnte.
Das begann bereits, als ein Hauptmann daherkam, und jene,
die kurz zuvor in der RS waren kannten ihn: „Da kommt
der Climadusi“ rief einer, und schon fragte ich dumm: „ist
das sein Name?“ „Natürlich nicht“, lachte einer und fügte
hinzu: „das ist ein Arschloch, darum nennen wir ihn nur:
„Cline, magere, dumme, siech“, da musste ich laut lachen.
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Aber er hatte diesen Ehrennamen zu unrecht erhalten, fand
ich später heraus. Er war ein anständiger, strenger, aber
auch korrekter Instruktionshauptmann. (Hauptmann
Zellweger).
Es war bitterkalt, zu viert, marschierten wir im hohen
Schnee ins Zeughaus, um unsere Karabiner ohne Tränen
und Wehmut abzugeben und gleichzeitig neue
Sturmgewehre zu fassen. Der neben mir war der Markus I.
von ihm sollte später noch die Rede sein.
Wir wurden in vier Klassen eingteilt, Klasse eins, sollte die
erste Kompanie übernehmen, Klasse zwei, wo ich dabei war,
die zweite Kompanie, beide verblieben in der Kaserne
St.Gallen. Klasse drei und vier, wurde nach der Ausbildung
in die Kaserne Herisau versetzt. Die Schule war hart,
Ausgang hatten wir praktisch nie, dafür viele Nachübungen
bis in die Morgenstunden. Und unser Adjudant Capol, ein
Ex-Legionär, schlauchte uns Tag und Nacht. Dafür hatte er
oft sehr nette Ausdrücke wie „angehende Seichchefs“,
„Rekrutenschinder“ „Sadisten“, „Weichlinge“,
undisziplinierter Sauhaufen, etc. Als ich einmal Bürodienst
hatte, zog ich etwas hellere Socken über, ich musste dem
Capol etwas bringen, machte die obligate Achtungsstellung
und schon kam sein Kommentar: „Also, als angehender
Seichchef, sollten sie dunklere Socken tragen“. Besonders
lustig war es nach einer Nachtübung, vom 15 Stundentag
völlig erschöpft, mussten wir erst die Waffen, dann noch die
Gamellen reinigen. Weil der Capol danach noch
Zimmerinspektion machen wollte. Und er wusste schon im
voraus, dass mindestens einer die Gamelle nicht ganz sauber
hatte: „Meine Herren, ich kann am Morgen auschlafen, ihr
aber werdet in drei Stunden geweckt, und um sieben Uhr
fährt der Lastwagen weg ins Breitfeld, und er fährt auch
leer, wenn ihr nicht drin sitzt! Ihr werdet dann die ganze
Strecke im Eilmarsch zurücklegen, hahaha!“
Ich war zwar auch am Anschlag, aber ich amüsierte mich
trotzdem, weil ich überzeugt war, dass ich als Allerletzter
schlappmachen werde.
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Ein dummer Unfall in der ersten Woche, veranlasste mich
beinahe zur Aufgabe. Ich wurde nicht am Sturmgewehr
ausgebildet, man hatte das ganz einfach vergessen und
angenommen, ich hätte das mit der Muttermilch
aufgenommen! Im Breitfeld lagen wir in Schützenlöchern,
ringsum hohe Schneewälle, vorne zirkulierten
Übungspanzer. Diese galt es mit den Gewehrgranaten zu
treffen. Ich war an der Reihe, schoss und lag plötzlich im
Graben, Blut floss von meiner linken Hand an dem
Gewehrschaft hinunter. Was war geschehen? Beim
Abschuss zermalmten die Vorderstützen meinen linken
Daumen. Der Nagel ragte nach oben war nur noch etwa zu
einem Viertel festgemacht. Hauptmann Zellweger, brachte
mich umgehend in eine Privatklinik in St.Gallen, er machte
sich mehr Sorgen als ich, wie ich dann vernahm, hatte er in
der UO Schule vorher einen tödlichen Unfall am Bärentritt,
der Mann fiel rückwärts auf den unteren Balken und brach
sich den Rücken. (Seltsamerweise war dann der Bruder
dieses Mannes in meiner Gruppe).
Der Arzt fragte, ob ich eine Schmerzspritze brauche, weil
das Abreissen des Nagels sehr schwerzhaft sein könne.
Natürlich sagte ich ohne zu zögern „Nein“. Ich dachte, der
reisst den Nagel mit einem Ruck weg. Aber nein, er drehte
ihn ganz langsam ab und das war wirklich schmerzhaft,
aber als Soldat, durfte ich ja keine Schmerzen zeigen, also
lachte ich. Das wiederum fand der Arzt seltsam. Auf seine
Frage, weshalb ich gelacht hätte, sagte ich ihm: „das war
aber schmerzhaft“.
Ich erhielt einen grossen Daumenverband mit Halterung,
aber keine Dispensation vom Turnen. So platzte die Wunde
jeden Morgen neu auf, und bei mehreren Grad unter Null,
waren die Schmerzen auch entsprechend. Aber ich gewöhnte
mich daran, manches lief aber nicht so, wie ich mir das
gewünscht hatte. Da war einmal dieser Vortrag über die
Handgranate, ich war auf der Wache, und einer sagte mir:
„Du musst am... einen Vortrag über Handgranaten halten“.
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Ich dachte, der macht einen Witz, ich hatte noch nie eine
Handgranate in der Hand und auch keine Ausbildung
gehabt, alles was ich darüber wusste, hatte ich aus den
Filmen und Büchern. Da ruft mich der Hauptmann auf, ich
sagte, ich hätte keine Ahnung davon, aber es gab keine
Entschuldigung. Also stand ich vor der Klasse und wusste
nicht was sagen. Ich erinnerte mich, dass die Schweizer
Armee Stilhandgranaten hatte, konnte aber darüber weiter
keine Informationen geben. Dann kam ich auf die
Eierhandgranaten, aus den Filmen, da fragte der
Hauptmann: „sind das harte Osterreier“? Gelächter im
ganzen Zimmer. Da war es bei mir aus, ich konnte nicht
mehr weiter, sagte nochmals, dass ich keine Ahnung davon
hätte und darum auch keinen Vortrag darüber halten
könne.
Aber es wurde noch schlimmer, nach 10 Tagen war
Inspektion beim Obersten Juchler. Ich musste das
Sturmgewehr zusammensetzen, zuerst aber den Verschluss,
ich hatte auch da keine Ahnung. Der Oberst schaute zu, und
der Stift meines Verschlusses flog durch die ganze
Turnhalle. Ich ziterte mit den Händen und brachte einfach
nichts zusammen, da klopfte mir der Oberst mit der Hand
auf den Helm und meinte: „geben sies auf, ich sehe doch,
dass sie keine Ahnung vom Sturmgewehr haben!“
Er rüffelte dann die Ausbilder, die es unterlassen hatten
mich darin zu schulen. Nach zwei Wochen war eine
Zwischenprüfung, es sah nicht besonders gut aus für mich,
dieser Unfall, die Inspektion, der Vortrag.
Aber ich schloss am besten ab, alle Patzer waren damit
ausgebügelt, einer musste nach Hause gehen.
Aber in der dritten Woche nochmals einen Unfall, diesmal
bei einem Stellungsbezug mit dem MG, statt die Lafette in
den Boden zu rammen, schoss die Spitze in mein Knie!
Wir wurden den ganzen Tag in Rheineck im Häuserkampf
gedrillt, nachts war ein Orientierungslauf bis St.Gallen auf
dem Programm. Und ich gab auf halber Strecke auf, ich der
Waffenläufer, das Knie schmerzte fürchterlich!
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Für einen Augenblick dachte ich sogar, ich wollte die
Ausbildung aufgeben. Der Daumen, das Knie!
Ich dachte, ich könnte ein paar Tage im KZ
(Krankenzimmer) ausruhen, aber Fehlalarm, man strich
mir diese graubraune Salbe ein, die für alle Leiden gut war.
Dann erhielt ich einen Riesenverband und wurde wiederum
ohne Dispens entlassen. In der Kantine durfte ich mein
Leistungsblatt studieren, und was stand da rot geschrieben?
„Sehr ausdauernd“! Da hatte ich es, aber dieser Satz
motivierte mich wieder und ich machte weiter.
Es kam dann noch der 50 Kilometer Marsch, für eine
Gruppe waren es 120 Kilometer, sie konnte nicht Karten
lesen. Wir waren die Drittbesten, am frühen Morgen trafen
wir in St. Gallen ein, in Achtungsstellung standen wir vor
dem Obersten, der wollte sehen, ob einer schwach wurde?
Ich schaute ihm eher frech ins Gesicht und sagte in
Gedanken zu mir: „Auch mit Dir nehme ich es auf!“ Er
schien meine Gedanken lesen zu können, legte auch ein
blödes Lächeln auf. Es sprachen nur die Augen, aber wir
schienen uns zu verstehen. Er mochte mich übrigens nicht.
Ganz im Gegensatz zum Hauptmann Zellweger, den ich gut
mochte.
Dann folgte die theoretische Prüfung, mit rund 400 Fragen,
die wir problemlos beantworten konnten. Unsere Gruppe
bestand aus einem Studenten, zwei Lehrer, einem Kaufm.
Angestellten und einem Postangestellten. Der Pöstler
vermaselte uns den ersten Rang!
Am gleichen Nachmittag war die Brevetierung, Vater kam
speziell dafür aus Märstetten angereist! Obwohl er immer
dagegen war, dass ich im Militär weiter machte, war er doch
irgendwie stolz auf mich!
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Abverdienen
Der erste Teil war soweit geschafft, nun musste der
Unteroffiziersgrad noch durch Absolvierung einer
Rekrutenschule abverdient werden. Obwohl es mir nicht so
lief wie ich erwartete, verzichtete ich vorläufig auf eine
Kandidatur für die Offizierslaufbahn. Mir war bekannt,
dass mit meinem Verwandtenkreis, keinerlei Bonus
vorhanden war, ich musste somit mindestens der beste aller
Unteroffiziere sein, um eine Chance für einen
Offiziersvorschlag zu erhalten.
Das hiess im Klartext, ich musste die beste Gruppe haben!
Was wiederum voraussetzte, nur gute Rekruten zugeteilt zu
bekommen!
Genau das wollte ich abwarten, und sollte dem so sein, dann
würde ich mich voll einsetzen. Dann gab es da noch ein
weiteres Problem, ich hatte die kaufmännische
Lehrabschlussprüfung noch vor mir, das liesse sich aber
lösen, weil viele Studenten auch noch nicht über einen
Abschluss verfügten.
Und ich kriegte meine Rekruten zugeteilt, ich wusste bereits
am zweiten Tag, mit diesen konnte ich keine Lorbeeren
ernten! Sieben junge Burschen, ein Landwirt,(Ehrbar) der
Bruder des tödlich verunfallten UO Anwärters, ein
Werkzeugmacher,(Kaestle) ein Mechaniker,(Ott) ein
Schlosser,(Maeder) ein Knecht und halbschlauer Mann,
(Bieri)der gar nicht hätte Rekrut werden dürfen, ein
Zimmermann,(Vogel), dem der rechte Zeigefinger fehlte,
und noch ein Schreiner (Geiser).
Bei den Berufen bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob ich
jedem den richtigen Beruf zugeteilt habe?
Alle waren brav und folgsam wie die Laemmmer. Während
ich oft hörte, wie Rekruten zu ihren Vorgesetzten frech
wurden, gab es sowas bei mir nicht. Körperlich waren sie
nur mittelmässig Leistungsfähig, intellektuell aber, liessen
fast alle zu wünschen übrig. Am allerschlimmsten war der
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Bieri, auch nach einer Woche täglichem einpauken, konnte
er die Namen vom Feldweibel bis zum Obersten immer noch
nicht auswendig aufsagen! Ich konnte meine Pläne zum
Zugführer auf ewige Zeiten begraben.
Wir waren zwei Mitrailleurunteroffiziere, der Mayer Adolf
(39)und ich. Der Mayer wollte unbedingt Offizier werden, er
bat mich, ihm dabei zu helfen, seltsam, dass die Leute von
mir immer erwarten, dass ich ihnen helfe. Ich versprach
nichts, sagte nur, ich werde sehen was ich tun könne.
Auch er erhielt einen geistig behinderten Rekruten, dem sah
man das aber schon von weitweg den geistig Behinderten an,
ganz im Gegensatz zu meinem Bieri, er hatte keinen Hals,
dafür ein sehr langes Kinn, und eine Nase, die in eine
Richtung gebogen war, Lippen wie ein Kongoneger. Unter
dem Stahlhelm sah er aus wie eine Witzfigur. Da ich auf eine
Weiterausbildung verzichtete, hatte Mayer freie Hand als
Mitrailleur- Offiziersanwärter. Anlässlich einer
Gruppenübung für den Obersten, musste jeder von uns
einen Mann dem Kameraden abgeben, ich gab dem Mayer
den Bieri, er mir den Rekruten Brüllmann. Das setzte aber
vom Obersten eine Strafpredigt ab, dieser sagte dem Mayer:
„Sie sind aber ein ganz schlechter Kamerad, treten sie ihm
doch den allerdümmsten Rekruten ab!“
Ich musste ein lautes Lachen unterdrücken, der Oberst
konnte nicht wissen, dass ich ihm noch einen Dümmeren
abgetreten hatte. Und reklamieren war nicht zulässig, den
roten Kopf von Mayer sehe ich heute noch. Es war wohl das
einzige Mal, dass der Oberst Juchler zu meinen Gunsten
sprach, ich war ihm einfach nicht genehm, vermutlich
spürte er, dass ich ihn nicht sehr ernst nahm.
Aber noch viel schlimmer war unser Kompaniechef,
Oberleutnant Salvisberg. Wir waren schon von der ersten
Minute an Gegner, ich konnte ihn einfach nicht ernst
nehmen, er war bei allen verhasst, sogar bei den Offizieren.
Bei einer Benotung, hielt er mir mangels anderer
Möglichkeiten vor, meine Rekruten rückten immer in
sauberen Kleidern ein, während der Kpl. Mayer seine doch
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oft durch den Dreck Robben lasse. Der Mayer hatte viel
Freude dabei! Einmal an einer Nachtübung, sollte ich beim
Stolperdraht aufpassen, da meldete sich der Mayer: „Herr
Leutnant, kann ich beim Stolperdraht sein, ich habe sehr
den Plausch, wenn einer auf die Fresse fällt“. Der Leutnant
sagte, er müsse mich fragen, ich liess ihm die Freude!
In der Verlegung in Gonten AI, teilten wir das Zimmer,
Mayer hatte immer alles am Boden herumliegen, ich hatte
alles schön im Schrank untergebracht. Als ich ihm sagte, er
sei aber ein schlechtes Vorbild für die Rekruten, meinte er:
„Ich bin schliesslich ein Vorgesetzter“. Ich konnte seine
Ansicht nicht gutheissen, musste ihn machen lassen.
In der Verlegung im Bündnerland, wurden die Rekruten
körperlich sehr gefordert. Tagelange Märsche über die
Berge, oft durch Neuschnee. Die Pferde, uns zugeteilt für die
schweren Lasten, konnten nicht durchkommen, das hiess,
alles selber tragen! Als ich das hörte, sah ich meine Leute
zusammenbrechen, aber sie hielten sich sehr tapfer. Und ich
musste sie wie die Ochsen die Berge hinauf antreiben,
übernahm selber auch Lasten. Sie waren am Ende ihrer
Kräfte, aber ich sagte: „Solange ihr noch fluchen könnt,
mögt ihr noch laufen!“ So wars dann auch, und schliesslich
trafen wir in Arosa ein. Dort schneite es die ganze Nacht,
wir lagen frierend und nass in den Zelten. Mayer war
Zugführer, er musste sich bewähren, die Wache schlief als
der Oberst eintraf, dieser schrie wie am Spiess, wer da der
Chef sei? Mayer und ich lagen im gleichen Zelt, ich sagte
dem Mayer: „Du wirst verlangt“. Mayer flehte mich an: „
ich verliere meinen Offiziersvorschlag, wenn ich jetzt
rausgehe! Bitte mach doch das für mich, ich werde Dir das
nie vergessen“.
Mir konnte alles egal sein, ich ging und meldete mich um 2
Uhr in der Nacht im tiefen Schnee vor dem Obersten:
„Natürlich wieder Sie, immer Sie, ihre Wache schlief, und
wie kommen sie darauf , diese dort aufzustellen?“.
Ich konnte gar nicht antworten, der redete drauflos und
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ich hörte ihm gar nicht mehr zu. Etwas von Sibirien ist mir
noch geblieben, ich starrte in die dunkle Nacht hinaus und
dachte ich habe einen Albtraum! Eigentlich hätte ich sagen
sollen, wer all das angeordnet hatte, aber es hätte mir auch
nichts genützt, er mochte mich trotzdem nicht.
Als der Monolog beendet war, ging ich zurück ins
gemeinsame Zelt, der Oberst merkte nicht, dass der Mayer
sich dort verdrückte und sich freute, wie ich mich für ihn
opferte. Er konnte zuhören, wie mich der Oberst
„zusammenschiss“, natürlich dachte er nie daran, sich als
verantwortlicher Zugführer zu „outen“. Immerhin bedankte
sich der Mayer bei mir, er hatte sich nämlich soeben den
Offiziersvorschlag A, gesichert. Einer der wenigen
Unteroffiziere, die es damals schafften. Der Umzug zog sich
dann weiter das Prätigau hinab, auf unseren Rücken
bildeten sich bereits pilzähnliche Ausschläge, wir waren eine
ganze Woche lang in den nassen Kampfanzügen, ohne diese
wechseln oder trocknen zu können. Da war das alte Tenue
„grün“ früher geradezu angenehm zu tragen, das im
Vergleich zum neuen Kampfanzug!
Nur einmal stiessen wir auf angebliche Feinde, diese wurden
aber vom Kommanten eiligst rekrutiert, damit die
Stimmung etwas besser wurde. Sonst war alles nur eine
kriegsmässige Verschiebeübung. Als wir rund ein Kilometer
am Dorf Schiers vorbeimarschierten, kam der Mayer
aufgeregt zu mir: „Siehst du die Hütte dort, da habe ich mit
17, das aller erste Mal mit einer Kollegin aus dem
Lehrerseminar gefickt“.
Ich weiss nicht mehr, was ich ihm zur Antwort gab. Man
erinnert sich nach fast 50 Jahren nicht mehr an solche
Details. Wir erreichten schliesslich Landquart, die Rekruten
waren am Ende und auch die meisten Unteroffiziere, ich
fühlte mich eigentlich noch sauwohl. Unseren ekelhaften
Kompaniechef hatten wir nur gerade die erste Woche bei
uns, dann meldete er sich krank. Ein Leutnant übernahm
das Kommando, die Züge wurden von Offiziersanwärtern,
wie der Mayer, geführt. Der unfähige Chef wurde nicht
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befördert, er soll frueh gestorben sein. (Ganz sicher bin ich
aber nicht).
Der Instr. Hauptmann Zellweger, war da ganz unserer
Meinung, ich hatte darum eine hohe Meinung von ihm und
fand es höchst unfair, ihn „Climadusi“ zu nennen.
Wir wurden in Lastwagen verladen und nach St.Gallen
gefahren, es begann die Demobilisierungswoche, mit all den
Inspektionen. Von 16 Unteroffizieren, hatten 15 Rost im
Gewehrlauf! Das kam davon, dass der Kompaniechef befahl,
die Rekruten müssten unsere Gewehre reinigen, während
wir Kaderschule hatte. Nur einer, der Musterkorporal Stoll,
der in jeder Beziehung ein Vorbild war, das wahre Gegenteil
vom Mayer, dieser ging am Abend, statt gleich in den
Ausgang, erst einmal sein Gewehr putzen! Dieser Kamerad
war auch charakterlich einwandfrei, wie man das nur sein
konnte. Ich wunderte mich nur, dass ihm nie der
Offiziersvorschlag angeboten wurde, er meldete sich nicht
freiwillig. Er war genau der Typ, den man sich als guten
Offizier vorstellt und wünscht.
Im Gegensatz zur Rekrutenschule, hatten wir wenig
Ausgang, die ersten Wochen galt, statt in den Ausgang,
jeden Abend im Dachboden der Kaserne an den Waffen zu
hantieren. Die Unteroffiziere durften dann um 22 Uhr noch
in den Ausgang, die Rekruten gleich ins Bett. Ich besuchte
meistens immer das gleiche Restaurant „Sternen?“, dort
arbeitete eine österreichische Serviertochter, mit Namen
Sigelinde Kofler, diese hatte schöne schwarze Haare und ein
hübsches Gesicht. Und sie verstand es glänzend, mit
unserem Verstand herumzuspielen. Jeder dachte, sie liebe
nur ihn, gegen Ende der RS, stellten wir UOF fest, dass sie
fast jeden zweiten von uns am Narrenseil herrumführte.
Ich schrieb ihr wie versprochen aus der Verlegung, und sie
schrieb ganz lieb zurück. Aber sie hatte mir noch etwas
eingebrockt, mit der Heidi pflegte ich weiterhin eine
platonische Beziehung, nicht, dass ich es nicht weiter hätte
treiben wollen, aber ich hatte damals oft Albträume, ich
müsste heiraten! So fuhr ich an den Urlaubstagen nach
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Winterthur, dort traf ich die Heidi und wir gingen uns einen
Film anschauen, mehr lag da nicht drin. Und sie kam mich
an einem Dienstsonntag in St.Gallen besuchen, wir gingen in
ein Kaffee, kaum sassen wir dort, kommt doch die Sigi
herein und ruft laut: „Lieber Ruedy was machst du denn
hier?“ Die Heidi läuft rot an und will gleich abreisen, ich
versuche ihr zu erklären, dass das nur eine Serviertochter
ist, die mich schon lange kennt. Aber Heidi bleibt kühl und
ich sehe später ein, dass es wohl besser ist, alles zu stoppen,
das wiederum mochte sie nicht zu akzeptieren, sie schrieb
mir einen sehr bösen Brief mit Verwünschungen bis ans
Lebensende, etc.
Sie beanstandete die Art, wie ich sie informierte, gut, ich
dachte darüber nach, sicher wäre es besser gewesen, ihr das
mündlich mitzuteilen. Ich lernte aber doch etwas aus diesem
Fall, denn niemehr im Leben bis heute, erhielt ich einen
solchen Brief. Einmal musste unser Küchenchef 2 Wochen
scharfen Arrest absitzen, es war ein Sonntag, ich war
Wachkommandant, da alarmiert mich die Wache am
Eingang zur Kaserne. Ich rannte hinaus, und wer steht am
Eingang? Natürlich die Sigi mit einer Tasche voller
Lebensmitteln, für den Arrestanten. Dieser klebte im
Untergeschoss oben an den Gittern und flehte um Einlass
für die Sigi. „Also der auch noch!“, ging es mir durch den
Kopf. Natürlich konnte dem Ansinnen nicht stattgegeben
werden, das war strengstens verboten. Auch die
Verpflegung nicht, der musste die Rationen essen, die ihm
gereicht wurden. Die Sigi versuchte es mit allen Tricks, aber
da war sie bei mir an den falschen geraten, (heute würde ich
mir möglicherweise eine Gegenleistung dafür einhandeln).
Die Sigi musste unverrichteter Dinge verschwinden, ich
denke, sie hat mir das übel genommen, der Küchenchef
auch?
Möglicherweise war sogar die Sigi schuld daran, dass der
Küchenchef erst einen ganzen Tag später einrückte und erst
noch völlig besoffen?
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Der Arrestanten UOF war meistens Korporal Steinegger,
ihm war dieser Job ans Herz gewachsen. Der liebe Kerl
hatte einen Obersten zum Vater und wollte nicht Korporal
werden, absolvierte die RS in Bellinzona, wurde dann zu uns
abgeschoben. Er fiel schon am ersten Tag in der UO-Schule
auf, der Hauptmann fragte ihn: „Wo haben denn sie die RS
gemacht?“ „In Bellinzona, Herr Hauptmann“ antwortete er.
„Das ist aber sehr weit unten“ kommentierte der Instruktor
mit einem schrägen sarkastischen Lächeln.
Eigentlich hätte der Steinegger wohl nach Hause müssen,
aber sein Vater liess die Fäden spinnen. Er wurde Korporal,
aber was für uns galt, das kümmerte ihn nicht gross, er war
schon am ersten Tag „Kollege“ zu den Rekruten, es war
verboten bis zum letzten Tag per „Du“ zu sein.
Beim Einrücken in die Kaserne mussten die Rekruten in
einer Einerkollonne marschieren. Nicht aber jene vom
Steinegger, die schwärmten zu unserem Gelächter, wie
eine Schafherde daher. Einmal war bereits das ganze Areal
leer, nur weit hinten sahen wir noch den S. mit seiner
Gruppe, es war Vorschrift, zwei Meter Abstand zu den
Rekruten einzuhalten. Das galt für S. nicht, er stand in der
Mitte und klopfte ab und zu einem auf die Schultern,
als er endlich unser Rufen hörte, rannte die ganze Gruppe
völlig undiszipliert auf die Kaserne zu!
Aber als Arrestanten UOF, da war er absolute Spitze,
meistens hatte er keinen im Knast und so auch keine Arbeit.
War da aber einer oder gar mehrere im Knast, dann vergass
er meistens, diesen Essen zu bringen! So waren wir
zusammen an einem Abend bei der Sigi im Restaurant, es
ging gegen 22 Uhr, plötzlich ruft der Steinegger: „Du, ich
habe wieder vergessen den „Chüngel“ zu füttern!“ Ich
musste laut lachen, er zahlte seine Rechnung und
verschwand Richtung Kaserne. Ab und zu war er selber im
Knast, zum Glück waren seine Kameraden etwas
zuverlässiger als er. Aber niemand konnte ihn zum
strammen Unteroffizier machen, er blieb der gute Kumpel,
er hatte einfach kein militärisches Flair. Selbst die Offiziere
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konnten ihm nicht böse sein, er war eine Art von „Braver
Soldat Schweick“. Der hiess Joseph, ich glaube der S. auch?
Der Mayer wurde Leutnant und später Hauptmann. Wir
trafen uns einmal in den Manövern, mitten in der Nacht auf
einer Strasse, er lief an der Spitze seiner Kompanie und ich
an jener meines Mitrailleur-Halbzuges, aber in die andere
Richtung. Das war etwa 1964, sein Kommentar: „Die ganze
Nacht tschumpeln“. Seither sah ich ihn nie mehr.
Ja, es gäbe noch viele lustige Details zu beschreiben, aber es
kann auch langweilen. Vielleicht noch die Geschichte mit
dem Rekrut Vogel, bei der Gewehrausbildung, mussten sie
am Boden liegend Zeigfinger lang machen, dann den Finger
um den Abzug krümmen. Ich schaute bei jedem einzeln
nach, ob der Zeigefinger auch richtig gekrümmt war? Aber
beim Rekrut Vogel war nichts da! Ich fragte ihn: „wo haben
sie den ihren Zeigefinger“? Dieser antwortete: „Korporal,
Rekrut Vogel, ich habe keinen mehr!“. Ich überlegte kurz
und befahl: „dann nehmen sie den Mittelfinger!“ Dieser
Vogel konnte mich manchmal schon etwas nerven, einmal
waren wir knapp eine halbe Stunde ausgerückt, als sich der
meldet: „Korporal, Rekrut Vogel, ich muess ga schiisse“
Ich fragte, ob er krank sei? Das wäre ein Grund zum OK
gewesen, aber er verneinte, also nicht bewilligt.
Zurückhalten bis am Mittag oder zur Pause.
Der Rekrut Bieri war ein ganz besonderer Fall, er war sich
seiner geistigen Behinderung wohl bewusst, hielt aber den
Abstand zu mir nie ein, weil er nur flüstern wollte:
„Korporal, sie sind immer gut zu mir, ich weiss , ich bin
dumm geboren, aber ich gebe mir viel Mühe“. Ich war etwas
überfordert mit dieser Aussage, sagte ihm etwas knapp:
„das weiss ich schon, danke, aber desswegen müsssen sie den
Abstand zum Vorgesetzten trotzdem einhalten“.
Einmal, ich war wieder Wachkommandant, kamen meine
Leute vom Scharfschiessen zurück und machten komische
Bemerkungen gegen den Bieri. Ich wollte wissen, was
vorgefallen war, da erfuhr ich, dass der Bieri, statt auf die
Zielscheiben, in den Wald geschossen habe. Und einmal war
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gar der Oberst dabei als er wieder so einen Scheiss machte,
der Oberst flucht mich an! Das war dann aber zuviel für
mich: „Herr Oberst, für die Intelligenz der Leute kann ich
keine Verantwortung tragen!“ Er schaute mich erstaunt an,
musste mir aber beipflichten und schwafelte dann etwas von
mehr Training, ich hörte ihm gar nicht erst zu. Ich besprach
mich dann mit dem Zugführer, welcher vor mir einen
grossen Respekt oder eher Angst hatte, ich wusste nie
weshalb, einmal sagte er, er getraue sich nicht, mir etwas zu
sagen. Nun ja, ich sagte ihm klar, dass der Bieri bei mir nie
ans MG komme! Obwohl das Vorschrift sei. Er müsse die
Verantwortung übernehmen, eigentlich wollte ich den aber
in die Küche abschieben. Und das gelang! Und der Bieri
bedankte sich bei mir bei jeder Gelegenheit dafür, ja, er
schrieb mir noch später Neujahrskarten zum Dank.
In der Schiessverlegung, musste ich mit meiner MG Gruppe
einen scharfen Einsatz zeigen, da war noch der Ekel
Salvisberg da, ich kommandierte das MG in seine Stellung,
der Schütze war Rekrut Maeder, ein sehr jähzorniger
Mann, ich konnte mit ihm ungehen, aber andere Vorgesetzte
weniger gut. Und er hatte eine Ladestörung, ich befahl, wie
im Reglement vorgeschrieben, die erfoderlichen
Manipulationen, der Schütze folgte dem. Aber der
Salvisberg, der wollte es knallen hören, erst rannte er auf
mich zu, änderte dann den Kurs auf den Schützen und
verpasste dem mit dem Nagelschuh einen Fusstritt in den
Hintern. Ich hoffte, der Maeder würde aufstehen und dem
zurückgeben, das tat er aber nicht, und ich überlegte, ob ich
das ihm befehlen sollte? Aber plötzlich war der Schaden
behoben und die Knallerei konnte beginnen. 120 Mann
schauten zu in deren Mitte der Salvisberg.
Nach der Übung meldete ich, wie das üblich war, meine
Gruppe zur Übungsbesprechung dem Salvisberg.
Dieser schoss mit Vorwürfen los, da kehrte ich mich um,
befahl meine Gruppe hundert Meter nach hinten und
verschwand ohne abmelden. Austreten! Der Salvisberg hatte
einen hochroten Kopf, ich erwartete natürlich
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Konsequenzen, wollte aber zurückschlagen, ich hatte 120
Zeugen. Es geschah gar nichts!
Der Kerl meldete sich dann krank!
Einem Korporal von uns sagte er, er solle verschwinden, er
verschwand den ganzen Tag und sonnte sich unten im Wald,
als der Hauptmann Zellweger auftauchte, fragte dieser ihn,
ob er Pilze suche?“Nein, der Kadi hat gesagt ich solle
verschwinden!“ antwortete Kpl. S.
Zellweger stellte den Kadi Salvisberg vor der ganzen
Kompanie, stellte ihn bloss, wie ich es tat und ich freute
mich mit allen andern darüber!
Am letzten Abend liess ich den obligaten Gruppenabend
vom Stapel, meine Rekruten durften mir „Du“ sagen,
da verrieten sie mir, dass sie sich in den ersten Tagen
gewaltig vor mir fürcheten. Ich hätte unter der Feldmütze
hervorgeschaut und nichts gesagt, da erinnerte ich mich,
ja, ich schaute sie an und überlegte, was ich mit ihnen
machen solle? Wenn mir keine Idee kam, dann liess ich sie
einfach etwas im Gleichschritt herumlaufen. Es sind diese
ersten Stunden, welche alle ähnlich erleben, man ist vom
Schüler plötzlich zum Lehrer befördert, ist Vorgesetzter,
was die allermeisten zuvor noch nie waren. Aber schon nach
dem ersten Tag, wird herumkommandieren zur
Gewohnheit.
Wie ich erfuhr, hatte praktisch jeder seine eigenen kleinen
Probleme mit dieser Umstellung, aber keiner wollte das
anfänglich zugeben. Einer musste seine Leute gar auf die
Kampfbahn hetzen, um dort dann nachzudenken, was er
nun mit ihnen weiter tun sollte. Der Mayer hatte noch dazu
sein privates Vergnügen, er gestand mir, dass er seine Leute
immer vor eine Wasserlache kommandiere, dort befehle er
dann „liegen“. Und wenn die dann mitten in die Pfütze
fielen, dann löse das bei ihm unglaublich gute Gefühle aus.
Ob das an seinem Vornamen lag, er hiess Adolf!
Ich nannte ihn einen Spinner, aber als eigentlichen Schinder
konnte ich ihn auch nicht klassieren. Zu denken gab mir
aber, dass der Hanswurst Salvisberg, ihn mir als Vorbild
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nannte. Der S. blieb für uns alle ein sehr übler Kerl, den
nicht einmal der Mayer leiden mochte! Es gab keine einzige
Person, die den S. positiv beurteilte, auch Hauptmann
Zellweger mochte den nicht. Der S. konnte diese totale
Abneigung wohl spüren, deshalb vermutlich seine
Krankheit.
Bekanntlich lernt man den Charakter einer Person im
Militär schnell und besser kennen, als etwa im Zivilleben.
Und ganz besonders in schwierigen Situationen. So erlebte
ich, dass Offiziere plötzlich durchdrehten, aber einfache
Soldaten, die meistens als schwierig galten, sich als
ungewöhnlich zäh, kompetent und ausdauernd erwiesen.
Ich sagte dann danach, mit diesen würde ich in den Krieg
ziehen, das waren aber weniger als 10%!!!!
§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§
Nachtrag:Ich erwähnte im vorherigen Kapitel auch die
Sigi Kofler, fast 50 Jahre später traf ich in Pattaya den
Walter W. Fahrlehrer aus dem Rheintal. Auch er kannte die
Sigi damals gut und wurde von ihr an der langen Leine
gehalten. Sie soll aber schon seit geraumer Zeit verstorben
sein! So ist das Leben!
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Kapitel 9
Wieder Zivilist
Das Soldatenleben entlastet von der zivilen Verantwortung.
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Es wird für Essen, Unterkunft und Kleidung gesorgt, zudem
ist auch die meiste Zeit programmiert und vergeben. Was
persönlich noch bleibt, ist der Ausgang. Und da wird dann
in der Regel herumgeblödelt und gesoffen. Deshalb wundert
es nicht, wenn entlassene Soldaten nach vieljährigem Dienst,
im Zivilleben grosse Schwierigkeiten bekunden.
Nach einem halben Jahr Dienstzeit, ist das aber noch kein
sinifikanntes Problem. Nach ein bis zwei Wochen, ist man
wieder ganz Zivilperson. Sich wieder ins Büro zu integrieren
war schon etwas mühsamer, zu gross war der Kontrast zum
Leben als Mitrailleur-Infanterist. Ich überlegte darum, dass
ich nun schon drei Jahre bei der gleichen Firma beschäftigt
war, und es an der Zeit war, einmal andere Luft zu
schnappen. Ich kündigte auf den Herbst 1961 meine Stelle.
Das wurde durchaus nicht mit Freude aufgenommen. Im
Juli fanden in Schaffhausen die „Schweizerischen
Unteroffizierstage“ statt. Ich war mit dem UOV Frauenfeld
dabei, aber da sich der Wettkampf auf eine ganze Woche
verteilte, musste ich eine Woche Ferien beziehen. Und das
wurde von der Direktion rundwegs abgelehnt, ich wurde
echt wütend, und rief den verantwortlichen Chef telefonisch
an. Dieser sagte nur knapp, ich hätte gekündigt und damit
könne man mir keinen Urlaub erteilen. Ich sagte nur, ich
komme gleich hinüber in die Bankstrasse und legte den
Höhrer auf die Gabel. Ich war wütend und wollte denen
einmal die Meinung sagen, was es bedeute, die Armee zu
sabotieren!
Sie sassen schon bereit im grossen Büro, der Direktor oder
Verwalter und der Vize. Wie ich es damals gewohnt war,
schoss ich los, donnerte mit der rechten Faust derart stark
auf den Tisch, dass die Aschenbecher hochsprangen!
Die zwei kamen gar nicht dazu zu reden, ich sagte noch, dass
ich so oder so in dieser Woche nicht arbeite, ob es ihnen
gefalle oder nicht. Aber wenn der Grund einzig bei meiner
Kündigung liege, dann nehme ich diese hiermit zurück, ich
hatte ja noch gar keine neue Stelle, was die nicht wissen
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konnten. Da heiterten sich ihre Gesichter auf und freudig
stimmten sie zu. Damit war der Kleinkrieg beendet.
Ich überlegte mir nachträglich, dass ich da wohl etwas
übertrieben auftrat, ich behandelte die beiden bestandenen
Herren wie üble Rekruten, fast taten sie mir leid.
Die UOF Tage wurden für uns ein voller Erfolg, von weit
über 100 Gruppen aus der ganzen Schweiz, wurden wir
fünfte! Dann war bereits wieder der Hollandmarsch fällig,
den ich damit zum letzten Mal bestritt. Immerhin, gingen
damals von den zwei Wochen Ferien, ganze 10 Tage für
diesen Anlass verloren. Die Waffenläufe bestritt ich fast alle,
ich schaffte es nun, im ersten Drittel einzulaufen, aber
zufrieden konnte ich damit nicht sein. Am Frauenfelder
1961, erlebte ich dann noch eine unerwartete Siegerehrung.
Von jeder Einheit, Kompanie etc, wurden die besten drei
Läufer gewertet. Und die S.KP. III/7, schaffte tatsächlich
den ersten Rang, weil wir den bekannten Läufer Edwin
Biefer in unserer Kompanie hatten, dann der Gefreite
Rietmann und ich. Und weil ich der Ranghöchste war,
durfte ich die Auszeichnungen entgegennehmen. Ich hatte
damit bewiesen, dass ich nicht nur im Bordell von
Amsterdam, die Kompanie bestens vertrete, sondern auch
an Wettkämpfen.
Das war damit auch mein letzter Frauenfelder, weil ich ein
Jahr später in Genf arbeitete.
Im Spätherbst folgte dann noch der WK in Wilchingen/SH,
der allerschönste aller acht WKs! Interessant war, dass ich
nun die gleichen Soldaten befehligte, mit denen ich ein Jahr
zuvor in der Gruppe war. Ich hatte nur leichte Bedenken,
weil ich sicher war, dass ich mich durchsetzen kann. Aber es
gab nicht die geringsten Probleme, jeder wusste, dass es bei
mir keine Extras und dergleichen geben kann, und ich hatte
leichtes Spiel mit ihnen.
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Kapitel 10
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Der Trick
Auf das Frühjahr 1962 hatte ich neue Pläne, das Fernweh
hatte mich wieder einmal gepackt. Ich wollte auf dem
billigsten Weg nach Indien gelangen. Bis dorthin hatte ich
sämtliche Visas im Reisepass. (Siehe dazu auch: Einmal die
Ferne sehn).
Mir war bewusst, dass, wenn ich nun die Stelle kündige, ich
wieder auf Widerstand stossen werde. Deshalb versuchte ich
es mit einem Trick, ich ersuchte um einen unbezahlten
Urlaub von einem Jahr, weil ich nach Indien reisen möchte.
Dem Gesuch wurde sogleich stattgegeben und ich konnte mit
den Reisevorkehrungen beginnen.
Ich plante primär per Anhalter, Schiff, Kamel, etc. zu
reisen. Anfang März 1962 zog ich los, und wie im Buch steht,
bin ich in Saloniki anlässlich eines Alkoholrausches,
gestrandet, statt weiter zu reisen, gings auf dem Deck eines
griechischen Schiffes nach Brindisi zurück und dann zurück
in die Schweiz. Dort schrieb ich mich in einen Englischkurs
in London bei den Eurocentren ein.
Ich war einen Monat zu spät, sass völlig verkehrt in der
Klasse, das war ich mir aber von früher gewohnt, holte auf,
und am Schluss war ich auch bei den Leuten! Und die
Lehrer spornten mich tüchtig an, irgendwie freut es die
eben, wenn einer so durchfliegt und aufholt. Immerhin
schlug ich an der Abschlussprüfung den Genfer Andre,
welcher bereits 9 Monate Vollzeitstudium hinter sich hatte.
Dann buchte ich eine Stelle in Genf, bei der Privatbank
Barrelet et Pidaux und Co. Dort erhielt ich 200.-Franken
mehr Anfangslohn, als der Dienstkamerad Markus I. bei der
Volksbank.
Aber mit der Unterkunft, da erlebte ich meine Wunder, ein
Vermittlungsbüro konnte mir immer für einen Tag ein
Zimmer finden, schliesslich landete ich bei einer Witfrau,
die im Zimmer 15 Riesenfotos von sich selber aufgehängt
hatte, ständig vor der Tür lauschte und reinschaute, zudem
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war dieser Schlag viel zu teuer. Jeden Tag standen rund 50
Deutschschweizer vor der Tribune de Geneve, rissen sich
um die Zeitung und eilten dann in die nächste Telefonzelle.
Nein, das war mir gar zu blöd, ich sagte im Büro, dass ich
einen Wohnwagen kaufe, da ich kein anständiges Zimmer
finden könne.
Es regte sich nichts und ich kaufte einen Caravan, von
einem Deutschschweizer in Vesenaz/GE. Er stelle diesen
hinter dem Wald auf, ich glaube es hiess „Bois des Batti“
oder so ähnlich? Es war schon ein einzigartiges Gefühl, so
allein am Waldrand, nur mit den Vögeln und anderen
Kleintieren. Aber schon musste ich zum Direktor, dieser
schaute mich ganz ungläubig an, ob es tatsächlich stimme,
dass ich in einem Wohnwagen wohne? Ich bejate natürlich,
mit dem Hinweis auf die Probleme bei der Suche.
Der Chef zeigte sich sehr besorgt, weniger um mich, als um
die vornehme Kundschaft der Bank, was würden die
denken, wenn ein Angestellter in einem Wohnwagen lebt?
Nein, das gehe nun einmal nicht, meinte er, er werde mir
etwas suchen, schliesslich kenne er viele Leute mit
Liegenschaften. Das hätte ihm auch früher einfallen können,
aber noch am gleichen Nachmittag hatte ich ein grosses
Zimmer an der Rue Pictet de Rochemont. Den Wohnwagen
gab ich dem mann zurück, erst wollte der nicht, ich erklärte
ihm, dass es die Bank sei, nicht ich, die das verlange. Er
willigte ein, gegen Abzug von 100.- Franken, damit war ich
sehr gut wegkommen, er war anständig und erbarmte sich
meiner Lage.
Dann schrieb ich meinem Arbeitgeber in Winterhur, ich
hätte jetzt eine Stelle auf einer Bank in Genf angetreten und
komme darum nicht mehr zurück, ersuchte um ein Zeugnis.
Der Trick gelang voll, das Zeugnis wurde nicht
verschlechtert und ich war zufrieden.
Obwohl man mir nach 24 Monaten den Titel Prokurist
anbot, und jährlich derart grosse Bonusse ausgezahlt
wurden, dass diese bei den langjährigen Angestellten mehr
als das Jahressalär ausmachten, gefiel es mir dort nicht.
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Nirgends habe ich je eine derartige Verlogenheit, Intrige
und Klatscherei erlebt, wie in dieser Bank.
Besonders die Frauen zeichneten sich aus, jede wetterte über
jede! In London traf ich eine Frau in meiner Klasse, sie
sagte mir, dass sie anschliessend zur Swissair arbeiten gehe,
dann koenne sie für nur 10% des Preises, in der ganzen Welt
herumfliegen! Das ging nicht mehr aus meinem Kopf, ich
wollte die Welt sehen, aber nicht zuviel Zeit vergeuden, war
ich doch stark im Rückstand mit meiner Ausbildung!Ich
rechnete mir aus, dass dies in meiner Lage die ideale Lösung
ist, bei der Swissair arbeiten und gleichzeitig die Welt sehen.
Aber ich hatte Bedenken, ob ich da überhaupt
aufgenommen würde? Noch hatte ich die
Lehrabschlussprüfung nicht hinter mir. Ich entschloss mich,
mich anzumelden und guten Mutes an die persönliche
Vorstellung zu gehen. Es war anfangs Januar 1963, ich lief
erwartungsvoll die Hirschengrabenstrasse in Zürich hinauf,
ins Hauptgebäude der Swissair. Ein Herr Dr. Egloff,
Personalchef, empfing mich, ich sagte ihm, ich akzeptiere
jede Arbeit, wichtig für mich sei es, fliegen zu können. Da
sagte er anerkennend, ich wäre einer der wenigen Bewerber,
der ganz offen sage, dass er wegen dem Fliegen komme. Die
meisten würden irgend eine Ausrede vortragen, und er wisse
genau, bei den tiefen Gehältern, sei doch das Fliegen ein
ausgleichender Bonus. Er schlug mir vor, auf meinem
Gebiet weiter zu arbeiten, also im Rechnungswesen.
Ich sagte auch sehr selbstsicher, dass ich in 2 Jahren die
Lehrabschlussprüfung absolvieren werde. Das nahm er
positiv auf.
Dann fuhr ich mit dem Sammelbus nach Kloten, ins neue
Schulhaus. Dort wurde ich von einem Herrn Völlmi und
einem Herrn Endress über die zukünftige Arbeit informiert.
Am meisten imponierte natürlich die Fünftagewoche, sowie
die Personalkantine, wo man für Fr. 2.50 ein kompletes
Mittagessen erhielt, sowie die modernen Büros.
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Wie schon zuvor, verstand ich kaum etwas über meine
Arbeit, aber ich wusste ja, dass ich damit kaum Probleme
hatte. Also nahm ich den Job auf den 1.März 1963, an.
Ich arbeitete sehr hart und pflichtbewusst in Genf, in der
Hoffnung, dafür auch ein gutes Arbeitszeugnis zu erhalten.
Aber das blieb Wunschdenken, meine Kündigung auf den
28. Februar, wurde als grosse Frechheit empfunden, der
Herr Direktor Pidoux grüsste mich nicht mehr. Er sagte
ganz direkt, ich hätte ihn und seine Bank auf das schlimmste
beleidigt, nirgendwo sonst könnte ich eine solche Anstellung
kriegen, soviel verdienen und nach einem Jahr die Prokura
bekommen, ich müsse total blöd sein!
Ich sagte nur: „Ich schaue nicht aufs Geld, ich will die Welt
sehen!“
Erst verweigerte er mir ein Zeugnis, als ich ihn aber auf das
OR hinwies, schrieb er eines, auf das ich besser verzichtet
hätte! Faszit, nie zuvor und danach arbeitete ich derart viel
und hart, wie auf dieser Privatbank, und nie erhielt ich ein
schlechteres Zeugnis, das nur eine knappe
Arbeitsbestätigung war!
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Kapitel 11
Neue Horizonte
Am 1. März 1963, begann für mich ein neuer
Lebensabschnitt. In Kloten fand ich ein kleines Zimmer in
einem Einfamilienhaus. Es war genügend gross, weil ich die
Wochenenden meistens in Märtsetten verbrachte.
Oder aber unterwegs irgend in einem Land weilte.
Mein Job war die „(Ausland) Passagen Abrechnung“, und
weil ich im Finanzdepartement und der
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Verkehrsbuchhaltung war, hiess die Abteilung: FVPA,
Bürochef der Herr Völlmi, und es stellte sich heraus, dass
auch er Mitrailleur Korporal war. Der Abteilungsleiter war
ein Herr Endress, den wir aber, wegen seiner Erscheinung,
„Knorrli“ nannten. In der Freizeit besuchte ich die KVKurse zur Vorbereitung auf die Lehrabschlussprüfung. Die
ersten 6 Monate hatte man noch keine Flugvergünstigungen,
Mein erster Flug mit der Swissair, den allerersten Flug
erlebte ich im Juni 1957, sollte nach Bern Belp gehen,
mit einer DC-3. Onkel Otto holte mich auf dem Flugplatz
Belp ab, er war mächtig stolz, dass es ein Angehöriger seines
Stammes geschafft hatte, bei der Nationalen Fluggesellschaft
zu arbeiten. Er erzählte das weit herum, und als dann
Lehrer Schmied starb, erhielt ich die Todesanzeige wie folgt
adressiert: R.B. Flugplatz Kloten.
Bei der Swissair fühlte ich mich wie ein Vogel, der in alle
Welt hinaus fliegen konnte, es war ein unglaublich gutes
Gefühl. Oft lief ich abends den Fussweg von Kloten Dorf
hinüber zum Flughafen, dieser führte den Hügel entlang
und verschaffte einen Panoramablick über das ganze
Gelände. Die Lichter der Pistenanlagen und des Airports
liessen eine ganz besondere Atmosphäre aufkommen. Und
ich entschloss mich dann jeweils, statt in der günstigen
Personal-Kantine, im Flughafenrestaurant, direkt an den
Fenstern und mit Blick auf die Pisten, genüsslich wie ein
Flugreisender zu dinieren. Das konnte ein grosser Bündner
Teller mit ein paar Glas Weisswein sein, oder eine andere
Spezialität. Die Bedienung bestand aus Anwärtern für den
Hostessendienst im Flugzeug, deshalb wurde man auch
entsprechend zuvorkommend bedient. Ich war dabei fast
immer allein, nur wenige Angestellte wollten sich diesen
Luxus leisten. Schon 1955, als ich meinen ersten Lohn
erhielt, kam ich auf die Idee, jeweils an Weihnachten und
Neujahr, eine Menge Luxuswaren einzukaufen, Salamis,
Weine, Fische, Delikatessen, etc. es war das Zeichen eines
Nachholbedarfs, das viele Leute nach dem Krieg verspürten,
die sich gewohnt waren, nur das Allerbilligste zu
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konsumieren. Natürlich waren diese Luxusgüter für die
ganze Familie bestimmt, und alle freuten sich darüber. Als
ich dann ab 1958 im Rothaus beschäftigt war, kam ich zu
einer mir ganz eigenen Dinierkultur. An Samstagabenden,
ging ich ins nahe Restaurant, bestellte eine Portion
Schnecken an Kräuterbuttersosse, und dazu Fendantwein.
Aber immer dazu noch, las ich den Stellenanzeiger der NZZ,
welcher im Restaurant auflag. Dabei machte ich mir zur
Gewohnheit, alle Jobs, die für mich in Frage kamen,
vorzumerken.
Es war für mich ein absolutes Wonnegefühl, ich wusste, dass
ich auf dem richtigen Weg war! Man mag denken, das wäre
doch gar nichts Besonderes, doch für mich war es damals
das Grösste. Dafür zog es mich nicht in Kneipen und
dergleichen. Ich war gänzlich vom damaligen
Hochkonjunkturvirus befallen, ein absolutes Gefühl der
Machbarkeit, man konnte sich ein Ziel setzen und es auch
erreichen. Dazu war der Zeitabschnitt von 1955 bis etwa
1968, geradezu einmalig und er wird auch kaum wieder
vorkommen. Wer eine Idee hatte konnte sie realisieren, es
waren noch Freiheiten da, von denen man heute nur noch
träumen kann! Nur ein paar Beispiele, als ich 1956 die
Autofahrschule absolvierte, gab es noch keine
Geschwindigkeitsbeschränkungen auf den Strassen, und
kaum mehr als zwei Dutzend Strassensignale. Konnte man
problemlos von einem Beruf auf einen andern umschulen,
und ohne diese wertlosen Diplome von heute, eine gute
Anstellung finden. 1962, traf ich in Genf einen ehemaligen
Schulkollegen aus Konolfingen, W.S., er hatte den
Gärtnerberuf erlernt, nun aber in Genf, war er stolzer
Besitzer einer Kaminbaufirma und hatte laufend Aufträge.
Noch gab es damals kaum diese unternehmensfeindlichen
Auflagen, die fast jedem Neuling den Start vermiesen
halfen!
Als ich 1953 zum Berufsberater ging, existierten in der
Schweiz gerade einmal 36 anerkannte Berufslehren!
Heutzutage sind es unzählige Berufe, und es kommen immer
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mehr dazu, bereits sind Berufslehrgänge für Putzfrauen,
Nachtwächter,Kassierer, Türsteher, etc. keine Witze mehr!
Inzwischen wurde alles reglementiert und verboten, es ist
daher viel einfacher, wenn man sich heute auf die wenigen
Dinge beschränkt, die noch nicht verboten oder
reglementiert sind. Dazu gehört noch Sex und dergleichen
Betätigung.
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Kapitel 12
Vater stirbt
Er hatte nur die Schattenseiten des Lebens gekannt, sein
Leben war Arbeit und nochmals Arbeit. Mehr als 4 Tage
Ferien in einem Jahr hatte er nie, irgendwie bedauerte ich
sein Schicksal, wenn er aber wieder seine Launen an uns
ausliess, vergingen diese Gefühle wieder. Ich glaube, die
beste Zeit mit ihm hatte ich in Frankreich, als er nur ab und
zu trank und noch wesentlich jünger war. Die
unterschiedlichen politischen Ansichten standen damals
auch weniger im Vordergrund. Am meisten Schwierigkeiten
hatte ich mit ihm vom 10. bis zum 14. Altersjahr, später
wurde das Verhältnis etwas lockerer, aber nicht kollegial,
wie es mir vorschwebte.
Er war immer der grosse Zampano und ich der kleine
Junge, der sowieso alles falsch machte. Aber ich verhalf ihm
dennoch zur Arbeit in der Düngerfabrik Märstetten, indem
ich etwas herumhorchte und herausfand, dass die einen
Mann in der Fabrikation benötigten, selbstverständlich
musste er selber vorsprechen, er war derat negativ
eingestellt, dass er dachte, diesen Job könne er nicht kriegen,
weil er nicht vom Fach und er auch schon alt sei.
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Aber er erhielt diesen Job und hatte endlich eine Arbeit
gleich vor der Haustür, einen mittelmässigen Lohn, und
konnte völlig frei arbeiten. Weil er keinen langen
Arbeitsweg hatte, übernahm er am Abend noch den
Postdienst auf die Bahn. Zusammen hatte er erstmals im
Leben genug Geld, um sich noch etwas Zusätzliches leisten
zu können. Etwa ab dem 58. Altersjahr, wurde er dann
Abstinenzler, schon allein seine Arbeit verlangte von ihm
Nüchternheit. Zudem hatte er zusehends gesundheitliche
Probleme, wie Wasser in den Beinen, Leberschmerzen, etc.
Aber er schaffte es doch noch, mit 65 Jahren die Altersrente
zu bekommen, das freute ihn unheimlich. Er fand endlich
seine lebenslange Arbeit belohnt und einen Lichtblick in
seinem eher traurigen Leben. Aber er konnte nicht mehr
arbeiten, zu sehr schmerzten ihn die Beine, die Nieren und
die Leber waren angeschlagen, aber er wollte nicht zum
Arzt, wohlwissend, dass es dafür keine Medizin gab. Im
Herbst 1964, büffelte ich jedes Wochende zu Hause auf die
kaufmännische Lehrabschlussprüfung hin, aber das
ständige Stöhnen von Vater störte mich beim Studium
empfindlich. Ich wusste, er litt grosse Schmerzen, aber mich
nervte das derart, dass ich plötzlich explodierte, ich sagte
ihm, er solle doch ins Spital gehen, das sei keine Lösung! Er
erwiderte, ich könnte froh sein, keine solchen Schmerzen
ausstehen zu müssen, und sollte ich einmal auch so leiden,
würde ich an ihn denken.
Da tat er mir echt leid, ich bereute meine Reklamationen, ja
auch später noch.
Ein paar Tage später wurde er dann doch ins Spital
Frauenfeld gebracht, aber es war keinerlei Hilfe mehr
möglich, er starb nach drei Tagen an Leberschrumpfung.
Ich war in Kloten und an den Lehrabschlussprüfungen, was
auch für mich ein Nachteil war. Ich organisierte die
Beerdigung mit Nachruf etc. er wurde in Märstetten
beigesetzt, dabei unterlief mir noch ein Fehler, ich lief mit
Mutter voran zum Grab, hinten folgten die Leute und der
Sarg. Ich bemerkte gar nicht, dass wir viel zu schnell liefen,
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als ich zurückschaute, sah ich in ca. 30 Meter Entfernung
den Tross. Ich sagte zu Mutter, wir sind viel zu schnell, sie
merkte das wohl auch nicht. Der Pfarrer verliess den
Nachruf, den ich ziemlich realistisch abgefasst hatte. Im
Rückblick etwas zu hart. Aber unser Verhältnis war nun
eben nicht ideal, er spielte den Übervater und ich war der,
der immer gegen ihn war, dabei war das nicht mein Gusto,
gerne hätte ich ein kollegiales Verhältnis mit ihm gepflegt,
aber er konnte es nicht lassen, mir ständig vorzuhalten, ich
machte alles falsch. Es war ein Riesenfehler, die
Schlosserlehre aufzugeben, dann war ich ein Dummkopf, als
ich die Post verliess, wo doch ein solcher Posten in den
Krisenjahren äusserst begehrt war, sodann fand er, es wäre
nicht nötig, dass ich Kaufmann würde, das seien doch alles
faule Kerle, er fand es auch daneben, dass ich Unteroffizier
wurde. Als ich dann den Posten bei der Swissair erhielt, war
das auch nicht ganz nach seinem Gutdünken. Erinnere mich
aber nicht mehr, was er daran auszusetzen hatte. Ich
äusserte mich einmal dem Onkel Otto gegenüber, weshalb
ich ihn eigentlich nicht besonders mochte. Da musste ich
erfahren, dass er bei denen ganz anders sprach! Er habe
mich stets gelobt und sei sogar sehr stolz gewesen, als ich
etwa bei der Post war, oder dann bei der Swissair. Ja, selbst
meinen militärischen Grad habe er respektvoll erwähnt. Da
verschlug es mir die Sprache, ich sagte dem Onkel und der
Tante, ich fände es seltsam, dass er mir gegenüber immer
negativ sprach, er hätte mir doch seine Gefühle direkt
verkünden können! Onkel Otto meinte, ein Grund dafür
könnte sein, dass ich alles selber erreicht hätte und nie seine,
oder andere Hilfe beanspruchen musste.
Nun war er gestorben und wir konnten uns nicht mehr
aussprechen, sicher habe ich auch manchmal ihm gegenüber
falsch gehandelt, doch er zwängte mir das fast auf.
Es war nie meine Absicht, ich hatte mir die ganze Jugendzeit
nichts sehnlicher gewünscht, als ein freundschaftliches
Verhältnis zu meinen Eltern, vorab zum Vater.
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Kapitel 13
Die Lehrabschlussprüfung
Endlich war es soweit, ich hatte die Bedingungen für die
Zulassung an die Erwachsenenlehrabschlussprüfung
geschafft. Gut 3 ½ Jahre beim Konsumverein, ein Jahr in
Genf, und nun 1 ½ Jahre bei der Swissair, das ergab die
erforderlichen 6 Jahre Büropraxis. Zudem schien es, dass
auch noch ein Teil meiner Postlehre dazu gezählt wurde.
Ich hatte somit nur etwa 6 bis 7 Jahre verloren, hatte aber in
der Zwischenzeit diverse Berufe erlernen können. Noch aber
war die Prüfung nicht bestanden, ich hatte da ein Problem,
die Stenographie! Damit wurde ich einfach nicht klar, meine
Bauernhände waren viel zu verkrampft für diese flinke
Kurzschrift! Ich übte mich darin mehr als in allen andern
Fächern zusammen, aber umsonst, ich konnte meine Schrift
einfach nicht lesen.
Und dieses Fach bescherte mir dann tatsächlich
Schwierigkeiten, ich hatte die ganze Prüfung mit einer
mittleren Durchschnittsnote bestanden, aber im Fach
„Stenographie“ die Note „unbrauchbar“ erhalten. Ich
musste dieses Fach wiederholen, dazu auch noch jene
Fächer mit der Note „genügend“ das war, soweit ich mich
erinnere, Englisch oder Französisch? Ich belegte nun einen
sechsmonatigen Abendkurs für Stonographie, direkt beim
Stenographenverein. Dann wagte ich es ein zweites Mal,
im Frühjahr 1965, diesmal gelang es mir eine „genügend
Note“ zu erzielen, ich griff zu einem Trick, ich versuchte mit
höchster Konzentration den Text im Kopf zu behalten. Dann
schrieb ich diesen frei wieder nieder, weil ich meinen
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Stenosudel einfach nicht zu lesen vermochte! Der Experte
bemerkte noch, ich hätte aber eine seltsame Stenoschrift, er
könne rein nichts lesen, aber wichtig war, dass ich es „lesen“
konnte. So schaffte ich dann die Lehrabschlussprüfung doch
noch mit einem guten Resultat. Dass ich gemogelt hatte, auf
diesen Gedanken kam niemand, denn es war nicht einfach
diesen Text im Kopf zu behalten. Ich war derart wütend auf
die Steno, dass ich schon nach wenigenTagen kein einziges
Wort mehr schreiben oder lesen konnte.
Steno kam für mich auch nie in Frage als Arbeitsmittel,
dafür waren die Sekretärinnen da. Noch zu erwähnen ist,
dass die Swissairleute meine Arbeit zu schätzen wussten und
sogar Angestellte zu mir schickten, die auch diese Laufbahn
einschlagen wollten. Ich wählte als praktisches Prüfungsfach
„Flugwesen, Passagendienst“, auch da half man mir mit
Informationen aus. Die Meinung war, dass man mir Fragen
aus diesem Bereich stellen wird. Der Swissairmann, der als
Experte fungierte, fragte mich aber praktisch nur über den
Frachtdienst aus. Als ich ihm sagte, ich hätte mich aber für
den Passagierdienst gemeldet, lachte der blöde und sagte:
„Ja, dann hätten sie ja alles gewusst!“ Die Note fiel dann
ensprechend aus und reduzierte das Durschnittsresultat!
Der Kerl war wirklich ekelhaft, aber es gibt eine
ausgleichende Gerechtigkeit, als er dann im Schweizer
Fernsehen, beim „Mäni Weber“ mitmachte, scheiterte er
kläglich an den Fragen und sagte zur Entschuldigung, er
habe sich auf andere Fragen vorbereitet. Das freute mich
sehr.
Soweit ich mich erinnere, starb er noch vor seiner
Pensionierung, seinen Namen habe ich vergessen.
Als ich mein Fähigkeitszeugnis dem Chef vorlegte, erhielt
ich eine Gehaltserhöhung von rund Franken 10.50
monatlich. Das war das Gehalt für einen kaufmännischen
Angestellten mit Lehrabschluss, mir zahlte man auf Grund
meiner Büropraxis, bereits zuvor nahezu den gleichen Lohn!
Die erste Stufe, und somit auch die schwierigste, war
geschafft, fortan musste ich nicht mehr auf meine Schulzeit
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zurückkommen, ich konnte bei der KV-Lehre beginnen,
denn wer diese besass, hatte in der Regel die Sekundarschule
besucht. Das war eine grosse Erleichterung bei der
Stellensuche, Kommentare wie: „Ja was, sie haben nur 5
Jahre die Primarschule in der Schweiz besucht“, musste ich
nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Ich fühlte mich viel freier,
und es war sonnenklar, es gab keine Grenzen mehr nach
oben. Die Berufswelt stand mir weit offen! Denn ich hatte
die allerschwierigste Hürde geschafft. Ich hatte ein Flair für
das Rechnunswesen, deshalb plante ich die Weiterbildung
bis zum eidg. dipl.Buchhalter. Andererseits reizten mich
aber auch die andern kaufmännischen Gebiete, und ich
hatte den „Überseekaufmann“ noch nicht ganz aufgegeben.
Bereits 1962, fuhr ich nach Basel zur bekannten UTC,
(Union Trading Companie), es galt um Versetzungen nach
Westafrika, eigentlich klangen die Bedingungen damals
recht gut, nur etwas störte mich, es wurde ausdrücklich
darauf hingewiesen, dass Kontakte zur einheimischen
weiblichen Bewölkerung mit der sofortigen Entlassung
bestraft werde. Ich sagte diesen Herren, dass ich kein
Rassist sei und für mich alle Leute gleich sind, das gutierten
sie nicht, sie wiesen auf den missionarischen Ursprung der
UTC hin. Bei der Basler Mission, bei welcher ich bereits in
der 9. Schulklasse als Missionar dienen wollte, galten eben
diese christlichen Tabus. Ich bedingte mir deshalb ein Jahr
Bedenkzeit aus, nach dieser Frist landete ich bei der
Swissair, dann konnte ich diesen Job mit gutem Gewissen
absagen, ich flog dann nach Ghana und Nigeria, traf dort
auf einen UTC Laden, im Geschäft hörte ich einen jungen
Schweizer fluchen, es war einer von der UTC Basel, er war
mit auffüllen der Regale beschäftigt. Als ich ihm sagte,
beinahe wäre ich jetzt auch da an seiner Stelle, meinte er:“
Das ist der dümmste Job den man sich aussuchen kann, sind
sie froh, haben sie nicht zugesagt!“ Und in diesem
Augenblick konnte ich mir zu dieser Absage selber
gratulieren.
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Kapitel
Probleme mit Ernst
Bis etwa zum 10. Altersjahr gab es wenig Schwierigkeiten
mit Ernst, ausser, dass er in der Schule immer schwaecher
wurde. Die Probleme begannen nach dem Tod von Klara,
schon ab dem 12. Altersjahr begann er herum zu saufen,
nachts mit kriminellen Kollegen Raubzuege
durchzufuehren, was wir allerdings erst viel spaeter
erfahren sollten. Ich war nur übers Wochenende zu Hause
und jedes Mal, musste ich mich mit dem „lieben“ Bruder
herumschlagen. Weder Mutter noch Vater konnten ihn in
Schach halten. Ich erinnere mich, dass ich ihn einmal am
Kragen von der Postbeiz nach Hause schleifte. Und Vater
vermerkte einmal, er treibe sich mit schwulen Kerlen
herum! Da wollte Ernst ihn angreifen, und für einmal
musste ich Vater verteidigen. Es kam soweit, dass man ihn
mit mir verwechselte oder gleichstellte, was mir einmal im
Jahr 1963, grosse Schwierigkeiten verursachte, weil man
mir anlässlich eines Armeewettkampfes einen Diebstahl in
die Schuhe schieben wollte. Ich glaube, es ging um 50
Franken? Ich war einer der wenigen Wehrmänner, die an
allen Wettkämpfen dabei waren, und darum wurde ich
unter die Luppe genommen, der Ruf meines Bruders
genügte bereits, mich zu den Verdächtigen zu zählen. Ich
konnte die Polizei gut verstehen, an sämtlichen Orten, wo
angeblich kleine Beträge geklaut wurden, war ich dabei.
Zudem machte ich noch den grossen Fehler, den
Schwimmwettkampf auszulassen, weil ich gar nicht
schwimmen konnte. Ich schrieb in der Kaserne einen Brief
an die Maria Helg.
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Das war alles richtig, aber ich war nicht der Dieb!
Die Polizei fragte, ob ich einen Kameraden verdächtige, ich
sagte „Nein“.
Das war ein Fehler, denn zu Hause erinnerte ich mich an
den Meinrad, dieser wollte mich unbedingt überreden, doch
zum Schwimmen zu kommen:“Du kannst einfach
reinspringen und wieder raus!“ Auch der Meinrad war
immer dort wo ich war, aber die Münze fiel erst, als im Büro
ein Frl. S. mir gegenüber sass und mir sagte, ihr Freund
mache auch Waffenläufe. Es war dieser M. Und sie sagte
stolz, der sei doch Ingenieur bei der Firma XY, ich machte
grosse Augen, denn er war dort Hilfsarbeiter! Aber
Gewissheit, dass mein „bester“ Kamerad der Dieb war,
erhielt ich erst dann, als sie mir sagte, beim Wettkampf in B.
sei er sehr niedergeschlagen gewesen, er habe ihr gesagt, er
habe einen Kameraden in grosse Schwierigkeiten gebracht!
Dieser Kamerad war ich! Und sie erwähnte noch, dass sie
schon vor unserem Treffen die Absicht hegte, ihn
aufzugeben, weil zuviele Fragen unbeantwortet blieben.
Der Zwischenfall hatte aber für mich leichtere Folgen, gab
es doch sogenannte Kameraden, die mich fortan nicht mehr
grüssten, weil sie vom Verdacht gegen mich hörten und den
wahren Täter nicht kannten, ich habe nichts unternommen.
Auf solche „Kameraden“ konnte ich verzichten, obwohl ich
von diesen sowas nie erwartet hätte, wie etwa der Gefreite R.
Ich wollte aber dem Füsilier H. nicht mehr begegnen und
mied die Wettkämpfe ganz, was im nach hinein eine kluge
Entscheidung war, weil viele Läufer später künstliche
Hüftgelenke einsetzen mussten. Ohne meinen lieben Bruder
wäre ich aber kaum in diese Situation gelangt. Er blieb in
keiner der Lehrstellen länger als ein paar Wochen, und auch
als Hilfsarbeiter wurde er ständig gefeuert. Im Jahr 1963
war er 16, er soff in allen 12 Kneipen von Märstetten herum
und Mutter musste hintendrein die Rechnungen zahlen.
Weil Vater auch noch da war, war es an ihnen, die Beizen zu
instruieren, ihm kein Alkohol auszuschenken. Aber es gab
immer wieder welche, die sich nicht daran hielten.
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Als ich im Oktober/November dann in den WK musste,
schickte die Swissair meinen Zahltag nach Hause. Als ich
übers Wochenende auf Urlaub vorbeikam, weinte Mutter
und Vater rief von hinten:“Weshalb haben wir einen
Privatdetektiven im Haus?“ Er meinte mich, aber ich
verstand nur „Bahnhof“ „Ist jemand gestorben?“ fragte ich
Mutter, und die sagte tatsächlich:“nein, noch viel
schlimmer, der Ernst ist mit deinem ganzen Zahltag
abgehauen!“ Ich musste erst nur lachen, und sagte, das sei
doch nur Geld und kein Grund zum heulen. Sie beruhigte
sich dann und meinte, er habe eben nicht nur mein Geld
geklaut, sondern meine beiden Koffer, meine Kleider,
Schuhe, ja sogar meinen Hut! Einfach alles, was er
einpacken konnte!
Schön, so einen Bruder zu haben, der alles mit mir teilt und
selber nichts hat. Schon lange verschwanden meine Sachen
spurlos, nun war mir klar, es war Ernst! Ich musste eine
Anzeige gegen meinen Bruder machen, damit ich wieder zu
meinen Sachen kommen konnte!
Wir hatten ja keine Ahnung, wo er war und ob er wieder
zurück kam? Und er kam zurück, nach gut 10 Tagen
klingelte es um 21 Uhr draussen, und wer stand da mit
einem viel zu langen Mantel, einem Hut bis über die Ohren,
und zwei Koffern? Ich musste laut lachen, er machte eine
derart jämmerliche Figur ab, dann begann er zu heulen und
wollte alles wieder gut machen. Ich musste ihm ja doch
irgendwie beistehen, also forderte ich von ihm, eine Lehre zu
beginnen und sich etwas zu bemühen, tue er das, würde ich
ihm das Ganze erlassen und erst noch Fr. 45.-im Monat als
Taschengeld zur Verfügung stelle. Er sagte zu und fand in
Neuenburg in einem guten Hotel eine Lehrstelle. Es fehlten
nur noch wenige Monate, als er eines Tages davonlief.
Alles umsonst! Nun war auch ich am Ende meiner Weisheit.
Die Vormundschaftsbehörde aber auch, nach dem Tod von
Vater wurde er bevormundet. Ernst wurde in die
Erziehungsanstalt Uetikon bei Zürich, eingewiesen, dort
musste er nun eine Schlosserlehre absolvieren. Und ich
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besuchte ihn mit Mutter je einmal monatlich während rund
dreier Jahren. Brachte ihm etwas Taschengeld und
Esswaren mit.
Für mich war das ein recht grosses Opfer, musste ich doch
meine kostbare Freizeit für ihn hingeben, für ihn war das
aber eine absolute Selbstverständlichkeit! Er schloss die
Lehre ab und bestand auch die Prüfung, doch kaum war
wieder draussen, trieb er sich in den Hippiekreisen herum.
Nun ja, ich war darauf nicht besonders stolz, aber er
entwickelte sich genau so, wie ich das damals, 1954, den
Herren in Bern, auf meine besorgte Art vorgetragen hatte.
Aber andererseits bin ich immer noch der Ansicht, er hätte
sich durchaus anders entwickeln können, wenn er das
gewollt hätte! „Wo ein Wille - ist ein Weg“, lautet ein
Sprichwort.
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Kapitel 15
4.Mai 1964
Am 2. Mai 1964, flog ich über das Wochende nach Istanbul,
ich musste am Montag über Belgrad in die Schweiz
zurückfliegen. Am Mittag wollte ich direkt nach der
Ankunft ins Büro gehen. In Belgrad gab es eine
Zwischenlandung, ich erinnere mich aber nicht, ob wir
aussteigen mussten oder nicht?
Ich hatte in Istanbul eine Flasche „ARAK“ gekauft, ein
türkischer Brantwein. Und schon vor der Landung in
Zürich, hatte ich die Flasche geleert. Voll betrunken war ich
nicht, aber doch ziemlich beschwipst. Bei der Passkontrolle
stellte man mir seltsame Fragen und ich gab vermutlich
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entsprechende Antworten? Ich erinnerte mich später nur
noch, dass man mich befragte und versuchte mich
aufzuhalten. Schliesslich liess man mich gehen, ich hatte ja
nichts verbrochen!
Im Herbst des gleichen Jahres, sollte ich laut meinem KADI,
den Grad zum Wachtmeister erhalten, ich führte bereits
einen Mitrailleurhalbzug. Nun ja, ich führte wieder den
Zug, aber von einer Beförderung war keine Rede mehr!
Ich wunderte mich, fragte aber nicht zurück, weil ich
einerseits „Zugführer“ blieb und zweitens zwei WK weniger
zu absolvieren hatte.
Als es dann bis zum letzten WK dabei blieb, ich aber immer
den Zug führen durfte, vermutete ich, dass da eine „höhere
Gewalt“ mitwirken musste, denn vom KP Kommandanten
aus, war ich ja anerkannt, somit musste von höherer Stelle
etwas gegen mich vorliegen? Nur hatte ich keine Ahnung
was?
Die Antwort darauf erhielt ich 25 Jahre später, am
31.1.1989, wurde das Schweizer Volk informiert, dass mehr
als 700.000 Einwohner eine sogenannte Fiche bei der
Spionageabwehr in Bern, hatten. Mein Kollege, in der
Armee Feldweibel, sagte mir, dass jede militärische
Beförderung ausgeschlossen wurde, wenn der „Kandidat“ in
Bern ein Fiche aufliegen hatte. Weil ich mich ja 1959, und
auch noch später, in Polen, der Tschechoslowakei, der
Sowjetunion, etc. aufhielt, lag es durchaus im Bereich des
Möglichen, dass man mir dafür eine Fiche als potentiellen
Ostspion verpasse. Ich schrieb nach Bern um mich
diesbezüglich zu erkundigen. Und siehe da, ich wurde
fündig! Aber nicht wegen 1959, auch nicht wegen den
späteren Reisen, sondern wegen meinem Flug am 4. Mai
1964, von Istanbul nach Zürich! Ich wollte vernehmen, was
für einen Unsinn dort über mich eingetragen wurde, aber
der Fichenbeauftragte konnte keine weiteren Informationen
finden. Bedenkt man, dass nicht nur militärische
Beförderungen, sondern auch berufliche Karrieren beim
Bund, von diesen Fichen betroffen waren, finde ich es schon
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eine riesen Sauerei, was man sich damals in Kloten erlaubt
hatte. Jugoslawien galt damals als moderates
kommunistisches Land, darum war es umso
unverständlicher, was ich da eingebrockt bekam!
Bedenklich war aber auch, dass wir in der Schweiz
prozentual mehr fichierte Leute hatten, als die berüchtigte
STASI in der DDR!
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Kapitel 16
Auslandbuchhalter
Während ich im Herbst 1963, im WK weilte, meldete mich
der Abteilungsleiter Endress zum Auslandbuchahlterkurs
der Swissair an, ohne mich zuvor zu konsultieren.
Das tat er aus reiner Gefälligkeit mir gegenüber, sagte er,
denn, er wisse, dass ich gerne in der Welt herumreise, und
das wäre eine besonders gute Gelegenheit!
Gewöhnlich würden dabei nur Leute aufgenommen, die
schon zwei oder mehr Jahre bei der Firma beschäftigt sind,
und sich mit besonderen Leistungen dafür qualifizieren.
Dass man mich bereits nach nur acht Monaten zu dieser
Möglichkeit verhelfe, sei ein ganz besonderes
Entgegenkommen der Firma! Natürlich könne ich dies
ablehnen, aber er wisse schon, dass ich das nicht tun werde.
Ich nahm dankend an und konnte dann den Kurs während
den Bürostunden absolvieren. Wir waren sechs Kandidaten,
der Willi S., der Calamme, der W. Brauecher, der R.
Schaerrer, der W. Zimmermann und ich. Alle waren schon
seit Jahren bei der Firma. Ich war mit Abstand der
Dienstjüngste.
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Es ging dabei um die Besetzung von Posten in New York,
London, Paris, etc.
Diese Bevorzugung weckte in mir neue Motivationen,
plötzlich war mein Traum vom Auslandkaufmann in
Erfüllung gegangen, ich musste nicht mehr zu Firmen wie
Eduard Keller, Züllig, Vollkart, UTC Basel, etc. , die
Swissair bot mir die gleichen Chancen!
Aber es gab da noch ein kleines Problem, den Kurs schloss
ich erfolgreich ab, und ab Herbst 1964 wurden wir einer
nach dem anderen ins Ausland versetzt. Der R. Schaerrer
ging nach New York, der Zimmermann nach London, ich
meldete mich nach New York, alles war soweit in Ordnung,
nur eben, 10 Tage vor dem Abflug starb Vater, und die KV
Prüfung war zwar auch bestanden, aber das Fach „Steno“
musste ich nochmals wiederholen. Im Frühjahr 1965, gut
notfalls hätte ich ja aus New York herbeifliegen können,
aber wo in die Schule gehen? Da machte ich einen grossen
Fehler, statt den zuständigen Leuten mein Problem zu
schildern, verlangte ich einfach soviel Gehalt, dass man mich
nicht mehr nach New York schicken wollte!
Und weil ich mich so selbstsicher fühlte, antwortete ich auf
die Meldung, die Swissair lasse sich nicht erpressen, mit
folgendem Satz: „Ich bin nicht auf die Swissair angewiesen,
und die Swissair nicht auf mich!“
Dieser Satz verhalf mir zu einer lebenslangen
Wiederanstellungssperre!
Dabei wäre das ganze Theater viel einfacher zu lösen
gewesen. In Berücksichtigung der Schwierigkeiten mit
Bruder Ernst, war es ratsamer, nicht auszuwandern.
Ich sagte die Auslandversetzung endgültig ab, das aber
wurde wiederum als arrogante Haltung meinerseits
eingestuft, weil man mir ja doch grosszügig eine
Vorzugsstellung verpasst hatte. Nun ja, das Porzellan war
zerschlagen und ich musste mich damit abfinden.
Ich nahm die Drohung wegen der lebenslänglichen Sperre
nicht allzu ernst. Als ich mich dann aber später als Revisor
wieder meldete, sagte mir der Chef von Top Work, ich hätte
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die allerbesten Qualifikationen für diesen Job! Als ich dann
zwei Wochen spaeter wieder vorbeischaute, kam der mit
einer sauren Miene und sagte: „ Aus dem Job wieder leider
nichts, sie stehen bei der Swissair auf der schwarzen Liste“.
Gut, das war weiter nicht schlimm, ich hatte andere
Angebote. Ich nehme an, dass mit dem Untergang der
Swissair, um die Jahrtausendwende, auch meine
Verbannung hinfällig wurde?
Aber ich kam trotzdem noch auf meine Rechnung, im Jahr
1970, begann meine Frau Delia ihren Job bei der SR, und
ich bekam wieder Flügel, ja, ich war sogar über die Swissair
mit der ganzen Familie krankenversichert.
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Kapitel 17
Neue Ziele
Als ich bei der Swissair meine Arbeit aufnahm, sagte ich
bereits, ich wolle genau drei Jahre dort verbringen, und
während dieser Zeitspanne plante ich sämtliche
Auslanddestinationen anzufliegen.
Ich machte regen Gebrauch von den Flugvergüngstigungen
und war fast immer irgendwie und irgendwo unterwegs.
In der Welt herumfliegen wurde zur Usanz, was noch kurz
zuvor unmöglich war, war nun Realität. Ich war
entsprechend motiviert, machte aber den Fehler, dass ich,
statt weiter drauflos Karriere zu machen, mich entschied,
weiter zu studieren. Dabei war die eidg. Buchhalterprüfung
die grösste Herausforderung für mich. Die KV Prüfung
sollte nur der Anfang sein, ich liebäugelte sogar wieder
damit, etwa im Ausland ein Unistudium zu absolvieren.
Ich belegte in der Abendschule des KV Zürich,
Vorbereitungskurse auf die höheren Fachprüfungen.
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Auch Fernkurse des SIB belegte ich emsig. Über die
Auslandreisen schrieb ich später das Buch: „Einmal die
Ferne sehen“, darum will ich hier nicht näher darauf
zurückkommen.
Den Abschluss machte die lange Fernostreise aus, welche
vom Februar 1966 bis in den April hineinreichte. Auf dieser
Reise sollte ich auf den Philippinen auch meine zukünftige
Frau kennen lernen. Sie damals 18 jährig und
Werkstudentin an der FEATI Universität in Manila, in der
Freizeit verdiente sie ihr Studiengeld als Kassiererin in
einem Chinesen Restaurant.(Chung King House), ich 27 ½.
Ihr Name „Delia Rosales“ gefiel mir gut, ich traf sie aber
nur gerade eine gute Viertelstunde an ihrem Arbeitsplatz.
Ich ersuchte um ihre Adrese und damit wars passiert!
Schon vor meinem Abflug hatte ich auf mitte April eine neue
Anstellung als Vertreter bei der Firma R.Faigle, in Zürich.
Ich wollte mich im Aussendienst versuchen!
Dafür musste ich sogleich nach meiner Rückkehr ein Auto
kaufen, dann begann die Einführungszeit durch den besten
Vertreter. Ein Herr Stegemann, mit Mercedes, unsere
Aufgabe war der Verkauf von Kopiergeräten, die damals
recht teuer waren! Der Stegemann hatte seltsame Methoden,
ich konnte mich damit nicht befreunden!
Da war er stolz, dass er einem kleinen Schuhmacher einen
teuren Aparat aufschwatzen konnte, den dieser gar nicht
verwenden konnte. Dann sagte er stets, wir haben ein
brandneues Gerät, es hat sich im Bundeshaus bereits seit 5
Jahren bewährt. Oder er drückte dem Einkäufer der Firma
Sprecher und Schuh in Schönenwerd, die Bürotüre ein.
Begründung, der werde ihn nie vergessen!
Ich war froh, als ich endlich alleine auf Reise gehen konnte.
Ich hatte angeblich die Ostschweizer Kantone für mich
alleine. Aber schon nach wenigen Tagen musste ich
erfahren, dass auch ein Vertreter der Firma Ruegg-Naegeli,
genau die gleichen Geräte verkaufte!
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Ich stellte sogleich den Verkaufschef von Faigle zur Rede,
dieser gestand mir, er hätte es unterlassen, mich darüber zu
informieren! Ich kündigte deshalb umgehend.
Er konnte das zwar begründen, die US-Firma hatte
fusioniert, daher waren nun die Vertretungen von Faigle
und Ruegg-Naegeli, plötzlich identisch.
Ich erfuhr später, dass der Stegemann sich erschossen habe,
mit seinen brachialen Methoden schwanden auch seine
Verkaufserfolge, er musste den Gürtel enger schnallen,
wurde zum schwächsten Vertreter. Das konnte er nicht
ertragen. Ich sah mich jedoch in meiner Ansicht bestätigt,
dass man mit agressiven Lügen nur kurtzfristige Erfolge
verbuchen kann!
Weil ich immer noch in Märstetten mit Mutter
zusammenlebte, wollte ich mich beruflich im Kanton
Thurgau umsehen. Bei der Firma Spring in Eschlikon, war
der Posten des Exportleiters neu zu besetzen. Aber der
Arbeitsweg war mir etwas zu weit. Also nahm ich eine Stelle
als kaufmännischerAngestellter bei der Firma SIA
Frauenfeld, an. Ich war Exportsachbearbeiter für
Österreich und Finnland. Jede Woche fuhr ein Lastwagen
los, ich musste alle Unterlagen bis zur Abfahrt bereit halten.
Bei der Anstellung machte ich zur Bedingung, dass ich die
Rechnungen im Vorbüro schreiben lassen könne, das wurde
mir zugesichert und ich durfte das Schreibbüro sogar noch
besichtigen. Als es aber um das Schreiben der vielen
Rechnungen ging, lachte man mich dort aus, was ich mir
eigentlich erlaube, ich solle diese selber schreiben!
Ich begann urchig zu fluchen, fühlte mich verarscht, schon
bald musste ich ins Direktionsbüro. Die kannten mein
Problem bereits, redeten sich damit heraus, das sei
vermutlich ein Missverständnis meinerseits gewesen!
Gleichgültig, ich kündigte wieder, die Betriebsmentalität, im
Büro die Herrenmenschen , in der Fabrik die Affen, gefiel
mir ganz und gar nicht! Wenn ich in der Fabrik die Belege
für die Rechnungsstellung einholen musste, war da
Krawattenzwang, wegen den Arbeitern!
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Ich meldete mich auch als Reiseleiter bei der Firma Kuoni in
Zürich. Und noch bevor ich mir klar wurde, was das genau
bedeutete, hatte ich schon einen Vertrag in den Händen und
auch die erste Reise zum organisieren.
Ich war für Touren nach Übersee auserkoren, aber meine
Aufgabe gefiel mir nicht, ich hatte schon Magenkrämpfe,
bevor ich die Stelle antrat. Also fuhr ich nach Zürich um
mich dispensieren zu lassen, wie damals bei der Swissair,
versuchte ich es mit mehr Gehalt. Mein Gegenüber war der
Direktor und später sehr populäre Jack Bolli. Er fand meine
Forderung anmassend und frech, dann holte er die
Gehaltsliste und zeigte auf, dass keiner soviel verdiene wie
ich da fordere! Ich blieb stur, denn ich wollte ja nicht
anfangen, der Jack kriegte einen roten Kopf und machte
einen Salto fast bis zur Decke hinauf! Dann war es aus, er
war endgültig wütend und ich machte mich davon!
Das war noch vor meiner Anstellung bei der SIA, weil ich
dann eines Tages einen Brief von Kuoni erhielt, in dem
mann verlangte, ich solle den Vertrag doch endlich
unterzeichen und zurücksenden. Ich hatte ihn unterzeichnet,
wollte aber nicht, dass man mir dann einen Vertragsbruch
unterschob, darum meldete ich den als verloren an. Damit
war auch meine Karriere als Reiseleiter zu Ende.
Etwa zwei Jahre später versuchte ich es nochmals, aber
wieder wurde nichts daraus, Reiseleiter war kein Beruf für
mich!
Ende Juni 1966, ich hatte nicht weniger als drei Stellen
offen, bei der BEA (Airline) als Bürochef in Zürich, bei der
Foreign Commerce Bank, an der Fraumünsterstrasse, als
Buchhalter mit Prokura nach 3 Monaten, sowie eine
Anstellung bei der Firma Weddel und Co Ltd. London.,
mit einem Büro an der Schützengasse in Zürich, im Aussenund Innendienst. Da ich alle drei Stellen auf den ersten Juli
antreten sollte, begann ich zu sondieren, jene der BEA sagte
ich ab, die bei Weddel verschob ich auf den ersten August.
Ich startete bei der FOCO Bank, wie sie sich später noch
nannte. Während einer Woche wurde ich von einem
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Profibuchhalter eingearbeitet, dann liess man mich alleine
werken. Dass fast alle Mitarbeiter etwas seltsame Namen
trugen, fiel mir erst gar nicht auf, zahlreiche Ungaren, die
deutschklingende Namen führten. Dann stellte ich fest, dass
auch die Kunden solche Namen hatten, und als ich auf die
Konten der El-Al traf, war mir klar geworden, wo ich war!
Offen und spontan, wie ich nun einmal bin, machte ich eine
Bemerkung über die Riesenvermögen, die ja doch nur
zusammengeklaut sind! Kaum ausgesprochen, war ich von
einer Meute Angestellter umgeben, die wissen wollten, was
ich gegen Juden hätte? Ich wusste, da stach ich in ein
Wespennest! Ohne zu zögern sagte ich ihnen, dass
anständige Menschen niemals derart viel Geld mit Arbeit
verdienen könnten, also wäre das sicher zusammengestohlen
worden! Da sah ich meine letzte Minute gekommen, zum
Glück war ich stäker als alle die kleinen Kreaturen um
mich, sie wagten nicht, mich anzugreifen, liessen es aber bei
verbalen Tiraden bleiben. Für mich war klar, hier konnte
ich nicht bleiben! Ich ging zum Direktor und sagte:“Herr
Amann, ich kündige hiermit auf nächste Woche“. Und der
sagte: „Ich begreife sie gut!“
Und zwei Wochen später war er nicht mehr dort!
Es gäbe da noch interessante Sachen über die Bankgeschäfte
zu melden, aber wie ich weiss, unterstehe ich lebenslänglich
dem Bankengeheimis.
Ich ging dann zur Firma Weddel und sagte:“Sie haben
Glück, ich kann am Montag bei ihnen beginnen!“ Der
Manager nahm den Vertrag, stornierte das erste Datum und
schrieb einfach 1. August 66, damals noch ein Arbeitstag!
Ich habe einmal ausgerechnet, dass ich mich zwischen 1954
bis 1985, auf insgesamt etwa 450 Stellen beworben habe, das
waren Stellen vom Hilfsarbeiter bis zum Direktor. Die
meisten in den Jahren 1966 bis 1969, ich hatte manchmal bis
10 Stellen zur Auswahl, wusste nicht welche nehmen,
entschied mich dann oft für die falsche, aber es war eine
einmalige Zeitepoche. Manche nutzten das um maximale
Gehälter zu erwirken, ich mochte das nicht, ich wollte eine
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interessante Arbeit! Man konnte sich auf 20 Stelleninserate
melden und davon waren 15 positiv, nie zuvor und auch
nicht mehr danach, hatten Arbeitssuchende solche
Möglichkeiten. Auch die Selbständigerwerbenden hatten es
damals leicht, man konnte ein X-beliebiges
Geschäft eröffnen und hatte fast immer den erwarteten
Erfolg.
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Kapitel 17
Englische
Arbeitsmethoden
Bisher arbeitete ich immer nur bei Schweizer Firmen,
eigentlich war es mein Ziel, in einer amerikanischen
Gesellschaft zu arbeiten, die hatten alle bereits die 5Tagewoche und die 40-Stundenwoche. Während man bei
den einheimischen Firmen noch 44 Stunden kannte, und
dazu zwei Wochen Ferien etc.
Ich trat also meine Stelle bei der Firma W.Weddel Co. Ltd,
London, an. Wozu ich angestellt war, das wusste ich nicht so
genau. Der Manager, ein junger Jude aus England (Mr.
Stearn), sagte einfach, ich solle in den Unterlagen meines
Vorgängers schauen, was der gemacht habe, solle auch ich
tun. Ich stöberte in den Schubladen herum und wurde
fündig. 100 Tonnen Eigelb an die Firma Dr. Wander, 20
Tonnen Ananasschnitze an die Konservenfabrik Estavayer
le Lac, 100 Dosen Corned Beef an die EPA in Zürich, etc.
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Das war ja sehr interessant, und der Manager meinte noch,
bei schönem Wetter besuchen wir unsere Kunden und
fragen nach ihren Wünschen. Und es gab keinerlei
Arbeitszeitkontrollen, man kam während des Vormittags
ins Büro, und verliess es zwischen 16 und 17 Uhr wieder.
Der Manager selber war am Morgen immer der allerletzte
von uns, so um die 9.30 schlich er sich durch den Gang,
obwohl wir die Bürotür meist offen hatten, grüsste er nie.
Mit mir war meistens noch ein junger Engländer, direkt aus
der Uni im Büro gegenüber. Dann im kleinen Büro der
Buchhalter, und im grossen Lager Herr und Frau Mantel
aus Elgg. Der Ausläufer hiess Zollinger, aber er hatte eine
Sprache, als wäre er der Chef in Person. Dann im
Sekretariat, die Chefsekretärin, „Prima“
eine ca. 45jährige Frau, mit Vornamen Primavera, sie sah
aus wie eine echte Zigeunerin, Vater Schweizer Mutter
Mongolin. Meistens war da noch eine zweite Sekretärin für
uns zur Stelle. Sonst schrieb eben die Prima unsere Briefe,
wenn sie nicht gerade besoffen war. Sie hatte einen
Liebhaber, aber es wurde gemunkelt, dass sie bereits jeden
Mann vom Weddelbüro bei sich hatte, ausser meiner
Wenigkeit.
Ich hatte aber keine grosse Lust, sie sah derart verkommen
aus, da sagte mir der Buchhalter H. er habe sie auch
überlebt. Ich ging mit ihr ins Seefeld, sie wohnte irgendwo
dort in einer kleinen Wohnung, es war schon spät abends,
wir gingen in eine Bar, tranken zusammen ein paar Gläser
Alkohol. Prima ertrug das natürlich besser als ich, als wir
bei ihr ankamen, war ich echt beduselt. Schon stand sie
nackt vor mir, doch mir verschlug es fast den Atem, sie sah
aus wie eine verkommene Burgruine in der Gemeinde
Köniz!
Ich versuchte mühsam meinen Freund zu begeistern, aber
dieser machte nun einmal schlapp, irgendwie schafften wir
es dann doch noch halbwegs, aber nur halb!
Ich schämte mich natürlich, weil ich wusste, dass die Prima
im Suff gerne ihre Freier durch den Dreck zog!
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Aber das Problem löste sich schon nach wenigen Tagen von
selbst. Prima war wieder einmal stockbesoffen, der Manager
im Ausland, sie lag unter dem Bürotisch und rief dem
obersten Chef in London an, Lord Vesty, der Konzern
hiess:“Union international“ mit rund 90 Tausend
Angestellten in der ganzen Welt. Ich hörte, wie die Prima
den Lord sexuell belästigte, und auch sonst allerlei dumme
Sprüche nach London sandte. Das konnte nicht gut
ausgehen, schon am nächsten Morgen kam der Lord im
Privatflugzeug aus London angeflogen, und eine Stunde
danach war die Prima nicht mehr unter uns!
Ich traf sie dann noch zweimal, das erste Mal in Ottoberg
Thurgau, dort lebte ich mit meiner Mutter, wo sie mich an
einem Sonntagnachmittag besuchen kam, mit einem Taxi
aus Weinfelden, sie stieg aus und umarmte mich mit Küssen,
zeigte auf einen kleinen, untersetzten Mann im Heck, dieser,
um die 55 Jahre, schaute mich sehr böse an, ich begriff
gleich, dass der dachte, ich wäre wohl auch ein Liebhaber
von Prima! Sie aber betonte, der kleine Kerl sei ihr neuer
Freund!
Nur wenige Tage danach, schoss in Zürich ein eifersüchtiger
Mann eine Frau mit fünf schüssen in den Bauch nieder.Ich
erfuhr, dass es die Prima war, die aber schwer verletzt
überlebte. Einige Monate danach traf ich die Prima gleich
an der Stampfenbachstrasse, unsere Büros waren
inzwischen von der Schützengasse an die Beckenhofstrasse
verlagert worden. Sie sagte mir, dass sie je eine
zerschossene Leber und Milz habe, jedoch sonst wieder auf
dem Dann sei!
Der Job bei Weddel war zwar angenehm, aber sicher kein
Sprungbrett für eine Karriere, zudem war der Manager
total unfähig, schrieb rote Zahlen, während der Mantel und
ich gute Umsätze erzielten, verlor er mit seinem blöden
Gehabe sämtliche Stammkunden. Aus London kam der
Befehl: „Personal entlassen“, aber weil er wusste, dass er
der Versager war, getraute er sich nicht, einem von uns zu
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kündigen. Ich nutzte die Gelegenheit um Ende Dezember zu
kündigen, auf den 1. März 1968.
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Kapitel 18
Chefbuchhalter bei
Seaboard Airline
Ich war froh, konnte ich die chaotische Firma Weddel
endlich verlassen, man konnte dort ganz gut das Arbeiten
verlernen!
Privat war wenig Abwechslung, ab und zu fuhr ich an
Samstagen nach Konstanz zu den Huren, oder nach
Innsbruck ins AIDA, etc. Seit dem 1.Januar 1967, hatte ich
eine regelmässige Korrespondenz mit Delia auf den
Philippinen. Ich sandte ihr zum Jahreswechsel eine Karte
und sie gab Antwort auf diese Nachricht. Erst danach
entwickelte sich unser langjähriger Briefwechsel. Einmal im
Monat fuhr ich mit Mutter nach Uetikon, um Bruder Ernst
aufzusuchen.
Damit war jeweils der ganze Sonntag hin, aber was tut man
nicht alles um dem Problem-Bruder zu helfen?
Einmal fragte ich ihn, ob er mich in der gleichen Situation
auch während 3 Jahren besuchen würde? Seine Antwort
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habe ich vergessen, aber ich brachte ihm auch noch
Verpflegung und Taschengeld.
Damals konnte ich noch nicht wissen, dass alle meine
Bemühungen umsonst waren!
Die Frachtairline, Seaboard, suchte einen Chefbuchhalter
für ihre Büros in Kloten. Ich meldete mich einfach einmal
und wurde auch prompt angestellt, dafür musste ein
Beauftragter aus New York einfliegen, wir wurden uns bald
einig und ich sollte auf den 1. März 68, meine Stelle im
Frachthof Kloten antreten. Der Direktor war ein Herr
Schnyder, alles schien bestens zu sein, auch der Lohn liess
sich sehen, Einzelbüro, das war eigentlich weniger nach
meinem Gusto, ich wollte lieber mit einer Person das Büro
teilen. Nun ja, das hatte noch Zeit. Bei der Firma Weddel
überarbeitete ich mich nicht mehr. Von der Position und
dem Salär aus gesehen, sollte ich mich eigentlich auf die
neue Stelle freuen. Aber ich litt irgendwie unter einem
„burn out“ Syndrom, ich hatte genug vom Klima und von
der Umgebung, wollte eine Abweschlung!
Mutter und ich zogen nach Buhwil im Thurgau um, eine
nicht unbedingt gute Lösung, weil zu weit nach Zürich.
Und der 1. März war gekommen, ich musste in aller Frühe
aufstehen, mit dem Auto fuhr ich nach Frauenfeld, von dort
mit der Bahn bis Kloten. Und als ich vom Bahnhof Kloten in
Richtung Frachthof lief, herrschte dort starker Nebel, es
war zudem nasskalt, ekelhaft!
Mich überkam plötzlich ein dominierender Gedanke,
auswandern, den Job gar nicht antreten!
Der Entschluss war gefasst, ich trat ins Büro und sagte:
„Guten Tag, ich bin der neue Buchhalter, aber ich fühle
mich nicht gut und kündige hiermit auf den nächsten
Termin, das ist laut OR eine Woche, aber ich melde mich
für diese Zeit krank“.
Die Chefsekretärin verstand rein nichts, deshalb wiederholte
ich meinen Spruch, sie war total überfordert, der Direktor
Schnyder befand sich in Davos in den Ferien. Also musste
sie ihn konsultieren, dieser war aber noch im Halbschlaf und
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begriff auch nichts, ich nahm den Höhrer und klärte ihn auf,
etwa nach der dritten Wiederholung verstand er das
Problem. Das mit der Woche Arbeit war überflüssig, ich
war entschlossen, nach Spanien zu gehen, wie lange, das
wusste ich noch nicht. Ich war nicht krank, aber meine
Stimmung auf dem Nullpunkt, und das war auch eine Art
von Krankheit, Als ich den Eindruck hatte, auch der Herr
Direktor habe den Sachverhalt verstanden, setzte ich meinen
Hut wieder auf, den Mantel zog ich schon gar nicht erst aus.
Ich befand mich wie in einem Traumzustand, als sässe ich
im Kino und schaue mir einen Film an, dessen Ende noch
völlig unklar war.
Ich fuhr wieder nach Hause, sagte der Mutter, dass ich nach
Spanien gehe und packte die Koffer. Sie fragte nicht, was ich
in Spanien wollte, ich hätte es auch nicht gewusst.
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Kapitel 19
Barcelona
Seit nun gut 10 Jahren war Barcelona für mich eine
„Traumstadt“. Billige Unterkunft und Verpflegung,
Frauen zu zahlbaren Preisen, und eine Ambianz, die eher
an Mexiko erinnerte, etc.
Spanien war damals schlichtweg anders, sehr arm und
diktatorisch von Franco regiert. Aber für Ausländer
interessant, abwechslungsreich, abenteuerlich, romantisch
die Sprache. Ich hatte genug von der Schweiz, ich brauchte
eine Veränderung, vermisste die vielen Länder, die ich von
1957 bis 1966 besucht hatte. Ich wollte ausbrechen aus dem
Alltag, gleichgültig was die andern dabei über mich dachten!
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Auf der Bank hatte ich etwas Geld, aber nicht genug, um all
zu lange keines mehr einzunehmen. Ich sass also wieder
einmal in der Eisenbahn, wie schon so oft in den
vergangenen Jahren. Ich reiste dabei mit 2 Koffern, nicht
unbedingt praktisch, aber ich wollte ja nicht andauernd
unterwegs sein, sondern mich irgendwo niederlassen.
Barcelona war vorerst einmal ein Ziel, bis dorthin wollte ich
durchreisen, erst auf der Fahrt machte ich mir Gedanken,
was ich eigentlich dort tun wollte. Und ich hielt es für
naheliegend, erst einmal die Sprache zu erlernen. Ich hatte
fast bei jedem Besuch in Spanien und Südamerika Probleme
mit der Sprache. Da sprachen mich im „Barrio Chino“ die
Frauen an mit: „Hola, vamos arriba?“ Und ich dachte, die
fragen wies mir geht, ich antwortete darum immer mit: „Si,
si, grazias“, oder ähnlich. Dann gingen die Frauen in einen
Eingang und wunderten sich, dass ich nicht folgte!
Sie riefen mir zu und winkten, dann suchte im im Diktionär
nach einer Erklärung, was denn wohl „ARRIBA“ bedeuten
könnte, das hiess „oben“. Jetzt erst wurde mir klar, das
hiess doch „gehen wir nach oben?“
Das Beispiel war aber nur eines von vielen
Missverständnissen. Auch mit meinen Italienischkenntnissen
kam ich nicht immer durch, so etwa beim ersten Besuch in
Barcelona, im März 1958, als ich beim Fruehstueck die
ranzige Butter nicht essen mochte, und dann einen Ersatz
mit den Worten „Burro“ bestellte, die Kellnerin schaute
mich böse an und errötete. Ich zeigte auf die Butter, da
lachte sie und sagte laut:“ Ah Mantequilla“. Weil Burro
eben auf Spanisch „Esel“ heisst!
Somit konnte eine Sprachschule nicht schaden und ich hatte
dazu noch ein Ziel, denn es war nicht meine Art, ziellos in
der Welt herum zu reisen. Aus nostalgischen Gründen
wollte ich natürlich wieder im gleichen Hotel wohnen, wie
schon anfangs 1958, sowie all die folgenden Jahre.
Die Herberge hiess nun „Pension Benidorm“, (früher
Cascon), war immer noch gleich primitiv und billig wie
schon zehn 10 Jahre zuvor.
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Das Zimmer war klein, ein einfaches Bett und ein Schrank,
ein Minitisch und Stuhl. Eine Gefängniszelle in der Schweiz
war vermutlich nicht viel primitiver? Aber ich fühlte mich
trotzdem wohl dort, die Ambiance erinnerte eher an Millers
Buch „Quiet Days“ in Clichy. Die Mehrzahl der
Bewohnerinnen waren Prostituierte, ein paar wenige
Ausländer, oft von der Polizei gesuchte, einmal auch eine
ausgerissene Deutsche, sie mochte erst 15 sein?
Alte Dirnen ohne Kundschaft, die ihr Elend auf hysterische
Art verkündeten. Sie nagten an den weggeworfenen
Hühnerschenkeln aus den Abfällen, bettelten um Geld für
einen Kaffee, etc.
Ich meldete mich gleich nach meiner Ankubft bei der Berlitz
Sprachschule an der Calle Pellayo, dort konnte man zu jeder
Zeit eintreten und die Kurse waren sehr günstig.
Jeden Vormittag von 9.30 bis ca. 11.00 war Unterricht.
Ich plante vorerst einen ganzen Monat
Schule, dann wollte ich in die Schweiz zurückkehren.
Eine Schülerin sagte mir, sie gehe am Vormittag in die
Schule und am Nachmittag sei sie selber „Profesora“.
Ich wunderte mich, weil sie nach meiner Ansicht keine
besondere Bildung hatte, sie sagte, das sei hier absolut kein
Problem, nebenan, sei die „Academia Puig Condal“ dort
könne jeder mit normaler Schulbildung unterrichten.
Das liess ich mir nicht zweimal sagen, wenn die das schaffte,
konnte ich es sicher auch!
Ich hatte einen neuen Plan, zurück in die Schweiz, um nach
Mutter und Ernst zu schauen, und mich dann für längere
Zeit nach Spanien absetzen.
Dann kam da noch ein weiterer Faktor hinzu, der hiess
„Isabelle“, eine Zigeunerin aus Cartagena, sie machte den
Strich, wohnte ebenfalls in der Pension. Sie war mein Typ
Frau und ich wollte sie heiraten. Noch vor Ostern feierten
wir „Verlobung“ allerdings kaufte ich die Ringe im „Corte
Ingles“ für umgerechnet 2 Franken das Stück.
Und soviel war wohl auch unsere Verbindung wert?
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Erst einmal gab es da in der Pension einen Riesenaufruhr,
weil ein gebildeter Ausländer auf die Idee kam eine „Hure“
zu heiraten, dazu noch eine Zigeunerin aus dem Süden!
Nein, das durfte nicht sein, ich verstiess also gegen die
katalanischen und aragonesichen Landessitten! Danach
durfte sich ein Nordspanier etc. Nicht mit einer Zigeunerin
liieren, erst recht nicht mit einer Dirne!
Ausländer standen damals ebenfalls hoch im Kurs.
Ein Schweizer Angestellter, erhielt fast zehnmal mehr Lohn
in der Schweiz, als etwa ein Spanier in seinem Land.
Der „Chefe“ der Pension, Senior Francisco, war ein
Aragonese. Die Belegschaft stellte mich zur Rede, meine
Spanischkenntnisse waren bereits so gut, dass ich sie
verstehen konnte. Sie konnten mir diese seltsame
Verbindung ausreden. Dann fuhr ich in die Schweiz zurück,
in Winterthur erhielt ich sogleich eine Stelle als Buchhalter.
Bei einer kleinen Stempelfabrik, aber das war nicht das
„Gelbe vom Ei“, der Chef, stellte sich mit einer Stopuhr
neben mir auf und wollte festhalten, wieviele Belege ich
in einer bestimmten Zeit verbuchen konnte, nein, sowas
nicht, ich blieb nur gerade etwa drei Stunden und verzog
mich wieder. Dieser Idiot von Inhaber war genau der Typ,
der mich zur erneuten Reise nach Spanien veranlasste!
Diese Scheissbude motivierte mich somit, die Schweiz wieder
in aller Eile hinter mir zu lassen! Der Chef verabschiedete
sich noch mit einer frechen Bemerkung, ich sei langsam
gewesen, das sagte er aber erst, als ich ihm meinen
sofortigen Abgang wissen liess! Eigentlich wollte ich ihm
noch meine Meinung wissen lassen und zwar nach guter
alter Manier, mit ein paar Schmeichelworten. Aber ich
unterliess es, denn das regte mich nur unnötig auf und
nützte im Endeffekt nichts. Die Dummen sterben eben nie
aus!
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Kapitel 20
Sprachlehrer
Ich fuhr nach Hause und packte wieder meine Sachen
zusammen, diesmal für eine längere Zeitspanne.
Ernst hatte die Schlosserlehre in der Anstalt Uetikon, knapp
bestanden. Nach meinem Ermessen konnte er nun selber für
sich aufkommen, aber da sollte ich mich einmal mehr
täuschen.
Mutter knüpfte Riesengrosse Teppiche, ich kaufte ihr das
Material für gut ein Jahr Arbeit, sie blieb in Ottoberg, beim
Simon Nussbaum in Miete.
Sie erhielt eine Wittwenrente und war ab dem Jahr 1968
auch AHV berechtigt. Allerdings erst ab dem Monat
November. Damit war sie selbständig und konnte ohne
meine Unterstützung anständig leben.
Ich verabschiedete mich vorerst einmal für ein paar Monate.
WKs musste ich keine mehr absolvieren, somit gab es da
auch keine Probleme mit dem Militär.
Aber es sollten andere auftauchen, genau am Abreisetag,
begannen die französischen Staatsbahnen zu streiken!
Ich konnte somit nicht durch Frankreich fahren, blieb nur
noch der Flug oder eine Busverbindung übrig. Fliegen war
mir zu teuer, Busverbindungen gab es erst nach ein paar
Tagen, aber nicht nach Barcelona, sondern nur nach
Figueras. Ich fuhr mit der Bahn bis nach Genf und konnte
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dort einen Bus nach Spanien besteigen. Wir fuhren die
ganze Nacht durch, eine recht unbequeme Fahrt, im Laufe
des Vormittags trafen wir in Figueras ein, von dort konnte
ich mit der Eisenbahn bis Barcelona weiter fahren.
Ich stieg wieder im Benidorm ab, alles war wie zuvor, und
ich wurde als alter Bekannter begrüsst.
Sogleich machte ich mich auf die Suche nach einer Stelle als
Sprachlehrer für Deutsch, aber alle wollten nur
Englischlehrer.
Ich schrieb an alle Berlitzschulen in Spanien und Grand
Canaria. Diejenige in Palma de Mallorca schrieb mir
zurück, wenn ich einen Deutschen Pass habe, könne ich
gleich beginnen. Aus Merida schrieb man etwas weniger
direkt, und fragte welches meine Muttersprache sei?
Ich schrieb zurück „Deutsch“ und als Wohnort, nannte ich
Konstanz als nächste, grössere Stadt. Das war richtig, weil
Ottoberg nur etwa 10 Kilometer entfernt lag!
Und Konstanz lag ja in Deutschland!
Dann kam ein Brief aus Santa Cruz de Teneriffa, von der
dortigen Berlitz Schule. Da wurde gar nicht erst gefragt, ich
wurde aufgefordert, auf dem bestmöglichen Weg
schnellstens zu kommen. Da die Deutschklasse verwaist sei!
Ich schrieb zurück, dass ich bereits eine Schiffsfahrkarte für
die nächste Fahrt bestellt hätte. Das war die „Villa de
Madrid“ ein altes Schiff aus der Vorkriegszeit, ein Geschenk
Hitlers an General Franco!
Vor der Abfahrt erhielt ich noch einen Brief aus Teneriffa,
danach hiess es, ich müsste auch Englisch unterrichten, das
war mir gleichgültig, wenn die das Risiko tragen wollten?
Die Überfahrt dauerte rund 2 Wochen, die Kabine teilte ich
mit zwei Männern, einem Spanier der immer Seekrank war,
und einem Italiener aus Como, den es später auch erwischte.
Der Italo war mit einer Spanierin aus Cran Canaria auf
Honeymoon, sie war Hausangestellte in Lugano, und durch
sie erfuhr ich dann die Adresse einer Filippina in Lugano.
Meine beiden Begleiter kotzten das Lavabo voll, es stank
nach Gekotztem und ich zog es vor, auf Deck zu bleiben.
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Wir legten in Valencia an, dann in Malaga, bei jedem Hafen
gab es einen ganzen Tag zur freien Verfügung, von dort
gings nach Las Palmas, etwa drei Tage auf See, ausser dem
Italiener und mir, waren nur Spanier auf dem Schiff,
aber ich fühlte mich dadurch nicht etwa unwohl, im
Gegenteil, ich konnte bereits anständig Spanisch sprechen,
jedoch war mir die kanarische Version etwas fremd, aber
man bemühte sich, mir die Unterschiede beizubringen. Es
herrschte eine durchaus familiäre Atmosphäre, alles
einfache Leute, ich mochte die meisten von ihnen sehr gut
leiden.
Wir legten auch noch auf einigen anderen Inseln an,
schliesslich war ich in Santa Cruz eingetroffen.
In einer alten Herberge fand ich ein Zimmer im obersten
Stock, von meinem Fenster aus konnte ich die Prostituierten
unten auf der Strasse beobachten.
Für mich waren fast alles dumme Ziegen, neben jenen in
Deutschland habe ich welweit nie derart komische Weiber
angetroffen. Sie konnten gar nicht normal mit einem Mann
reden, nur laufend blöde Sprüche, stures Verhalten zeigen,
etc.
Ich glaube, ich hatte nur eine in all den Monaten dort?
Ich kaufte Wein in 5-Literflaschen in der nahen Bodega,
dazu Mineralwasser zum verdünnen, aber ich trank viel
zuviel Wein, das war sicher. Auf meiner „Hermes
Baby“schrieb ich das Manuskript für das Buch „Einmal die
Ferne sehn“. Aber ich war ja als Sprachlehrer, oder wie es
auf Spanisch hiess „Profesor de Idiomas“ angereist!
Die Sekretärin der Berlitz Schule empfing mich freundlich,
endlich sei ich da man habe mich sehnsüchtig erwartet!
Dann kam der Schuldirektor, ein Belgier mit Namen Serdo
oder Serda? Er hiess mich willkommen, lud mich in den
nahen Schuppen ein, wos Essen und zu Trinken gab,
natürlich auf seine Kosten.
Ich weiss nur noch, dass er mir sagte, er zahle mir 37 statt
wie den andern 35 Peseten die Stunde.
Dann wurde mir ein Kollege vorgestellt, auch ein Belgier,
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ehemaliger Dolmetscher der Allierten in Europa, der hiess,
glaub ich Servay?
Er war beauftragt, mich in die Geheimnisse des Unterrichts
einzuführen. Das begann so:“Also, die Canaren sind alles
Idioten, darum spielt es keine Rolle, ob sie die Sprache, die
sie unterrichten beherrschen oder nicht, ich selber
unterrichte etwa in 6 Sprachen.“
Damit war der Einführungskurs schon fast beendet.
Wir unterhielten uns dann noch über andere Dinge und
nach einer Viertelstunde, war ich ein ausgebildeter und
echter „Profesor de Idiomas“.
Also er hatte mir schon geholfen dieser Kurs, denn ich hatte
nun meine Ängste und Vorbehalte abstreifen können.
Konnte ganz unbefangen und frei an meine Arbeit gehen!
Fortan galt ich in Spanien als „Profesor de Idiomas“ nur mit
einem S geschrieben! Weil hier jeder Lehrer ein Profesor
war. Im Briefverkehr wirkte sich das auf die Anschrift wie
folgt aus: Senor Don Rodolpho, Profesor de Idiomas, etc.
Der Don wurde im damals noch vielfach analphabetischen
Spanien jedem verpasst, der sich über eine
„Ausbildung Mercantil“ ausweisen konnte! Also eine
kaufmännische Ausbildung hatte. Obwohl ich dadurch nicht
gebildeter war, war das für mich zumindest am Anfang ein
Aufsteller. Aber gleichzeitig begann für mich ein
Lotterleben, wie ich es mir später nie mehr hätte leisten
können! Auf den Kanaren war damals alles steuerfrei, eine
Stange Celtas Zigaretten war billiger als in der Schweiz ein
Päcken. Ich rauchte diese ekelhaften Zigaretten fast
pausenlos, und so taten es auch die anderen Profesores.
Der bereits erwähnte Belgier, ein USA-Dänenehepaar, er
Journalist und sie Lehrerin. Mir wurde erst einmal die
Deutsche Klasse anvertraut, meine Vorgängerin war eine
Finnin und war einfach davongelaufen. Dann aber musste
ich zwei Englischklassen übernehmen. Das ging vorerst
auch gut, bis ich eines Tages zum Direktor zitiert wurde. Er
sagte mir vorwurfsvoll: „Weshalb haben sie ihren Schülern
gesagt, dass sie kein Engländer sind?“ Ich hatte aber nichts
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gesagt, als er mir aber die Namen der Schülerin nannte, ging
mir ein Licht auf. Es waren zwei Schwestern, eine war in der
Englischklasse, die andere in der Deutschklasse! Und so doof
waren sie nun auch wieder nicht, dass sie nicht feststellten,
dass ich ein und derselbe war!
Ich erklärte das dem Chef und er schien zu begreifen, dafür
fasste er mich an einer anderen Stelle, irgendwie hatte ich
dem US-Pärchen verraten, wieviel ich die Stunde erhalte.
Schliesslich waren wir gut befreundet und einmal luden sie
mich sogar zum Lunch zu sich nach Hause ein.
Zudem wusste ich nicht, dass die weniger hatten, ich dachte,
das hätte sich seit dem ersten Tag meiner Ankunft
inzwischen erledigt. Hier konnte ich keine Begründung
finden und gab es freimütig zu, ich bemerkte noch, dass ich
es unfair fände, dass die weniger verdienten als ich, hatten
sie doch noch eine hübsche, blonde, vierzehnjährige Tochter
in einer Privatschule zu finanzieren! Ihr Name war Vivien,
und hätte ich ihr alter nicht gekannt, ich hätte sie für 18
gehalten!
Der Chef wurde daraufhin wütend, ich nannte ihn einen
Menschenschinder, weil er seinem Landsmann nie Urlaub
geben wollte! Dann kündigte ich per sofort, es war Mitte
August 1968. Er wurde dermassen zornig, dass ich
befürchtete, er könnte einen Herzanfall kriegen!
Er nannte mich einen sehr undankbaren Kerl, und er werde
dafür besorgt sein, dass ich auf der „Penninsula“
nirgendswo mehr unterrichten könne!
Ich nahm die Drohung nicht ernst, lachte und verliess das
Zimmer.
Ich hatte mein Manuskript „Einmal die Ferne sehen“ mit
mehr als 250 Seiten zu Ende geschrieben. Darum steht im
Vorwort, „Santa Cruz de Tenerife, im August 1968.
Ich hatte aber auch Probleme mit der grossen Hitze, die
Temperaturen lagen immer zwischen 35 und 38 Grad im
Sommer.
Und nachts konnte ich kaum schlafen.
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Zudem hatte ich nach gut drei Monaten eine Art von
„Inselkoller“, ich wollte plötzlich nur noch abreisen, zurück
aufs Festland! Eine weitere Erscheinung von damals war
diese „Kanarische Liberations Front“, die sich zum Ziel
setzten, die Inseln zu Algerien oder Marrokko zu schlagen.
Die Wände waren mit „Estrangeros fuera“ und „Espagnoles
fuera“ „Franco muero“! etc. beschmiert.
Und im Radio hörte ich Sendungen, die eindeutig spanisch
und ausländerfeindlich klangen“, in manchen Restaurants
wurde ich als Ausländer einfach nicht bedient. Es waren
meistens die billigen Schuppen der Einheimischen.
Für die Touristen hatte das kaum Auswirkungen, weil diese
auf der anderen Seite der Insel (Puerto de la Cruz) lagerten
und die Agitatoren sich auf die Hauptstadt beschränkten.
Es gab aber auch freundliche Kanaren, ein Paar, Schwester
und Bruder, die ich auf dem Schiff kennen lernte, luden
mich zu einer Inselbesichtigung ein. Die Frau hatte ein Auto,
ihr Bruder war blind, aber die beiden waren sehr
zuvorkommend zu mir, ich durfte auch ein Paarmal auf
Besuch gehen. Sie wollten mir die kanarische Küche näher
bringen.
Die Einladung zum Mittagessen beim US Paar, artete
nahezu zu einem richtigen Streit aus. Im August 1968
standen die USA mitten im Vietnamkrieg, ich war von
anbeginn dagegen, und der liebe Kollege natürlich als AMI
dafür. Er kam mit diesen abgedroschenen Floskeln, wonach
die USA die freie Welt verteidigten, die andern eben nur
Kommunisten wären!
Da wurde ich aber deutlich, fragte u.a., wer in welchem
Land Krieg führe, Vietnam in den USA oder die USA in
Vietnam? Wir gerieten schon bald in einen echten Streit, da
einnerte ich mich, dass ich ja eingeladen war und mich
mässigen musste. Er wurde dann auch leiser und meinte,
dass dieser Krieg von den USA natürlich gewonnen werde,
wie alle andern bislang auch! Bruder Hans war ja auch der
gleichen Meinung!
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Und ich verblieb mit der Bemerkung, die USA würden die
grösste Schlappe ihrer Geschichte einstecken und diesen
Krieg verlieren! Ich bedauerte es sehr, dass ich später weder
mit dem Hans noch mit dem AMI darüber sprechen konnte,
als die USA 1975 Vietnam fluchtartig verliessen!
Es war ein beschämendes Bild, wie der nordvietnamesische
Panzer die Tore des südvietnamesischen Präsidentenpalastes
eindrückte, wie sich die AMIS mit den letzten Flugzeugen
und Helikoptern auf ein Kriegsschiff absetzten, wie gemeine
Diebe auf der Flucht !
Selbst der damalige Oberbefehlshaber in Vietnam, General
Westmorland, musste später eingestehen, dass dieser Einsatz
ein grosser Irrtum war!
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Kapitel 21
Filmpläne
Ich buchte eine Überfahrt mit einer neuen Fähre bis Tanger,
diese fuhr dann weiter bis nach Cadiz. Ich wollte aber nach
Malaga und von dort nach Almeria, weil man dort als Statist
für die Italowestern bis 400.- Pesetas täglich verdienen
konnte. Das erfuht ich von den vielen Hippies, die sich
damals durch Spanien wältzten. Und meine Barcelona Braut
gestand mir damals, dass sie es zwar nicht mit dem Clint
Eastwood persönlich, aber immerhin mit seinem
norwegischen „Double“ trieb!
Ich wollte eigentlich nie zum Film, das heisst schon, aber
nicht als Schauspieler, weil ich dafür die nötigen
Nervenkräfte nicht hatte, aber eher als Filmproduzent, da
hatte ich immer schon Pläne.
Nun wollte ich aber einmal erst schnuppern und sehen, wie
das so vor sich ging, Statisten mussten nur durch die
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Strassen gehen, manchmal auch ein paar Worte sagen, aber
nie viel. Und vierhundert Pesetas, das war das Doppelte, was
ich als „Profesor“ verdienen konnte.
Im Gegensatz zur „Villa de Madrid“, war dieses Schiff fast
neu, mit grösseren und besseren Kabinen. Ich teilte meine
mit einem AMI, er stellte sich vor mit; „Professor Russo“
und ich mit „Profesor de Aleman“. Da mussten wir beide
lachen, denn es handelte sich um einen Irrtum, er war von
Beruf Professor und hiess Russo! Er unterrichtete in einem
College in New York, war ledig und lebte noch bei seiner
Mutter, obwohl ich ihn um die 40 schätzte.
Er war zum Teil gut gebildet, hingegen schien er über das
amerikanische Ausland wenig zu wissen, hatte auch zum
Vietnamkrieg diese einseitige Meinung, wenn auch weniger
extrem als der Lehrer in Santa Cruz.
Von der Fahrt weiss ich nicht mehr viel, hingegen von der
Landung in Tanger. Genau 10 ½ Jahre nach meiner ersten
Ankunft dort, war ich wieder an diesem komischen Ort, und
ich hatte noch keine zwei Schritte auf dem Festland getan,
da hatte ich schon wieder den ersten Streit mit einem
agressiven Kerl. Russo schloss sich mir an, er hatte das Land
noch nie bereist. Wir wollten ein Hotel oben in der Altstadt
buchen. Irgendwie brachte uns dann einer dieser Vermittler
in ein Hotel, der Preis des Zimmers war soweit in Ordnung,
nicht zufrieden war der Agent, der forderte von uns eine
Summe, die fast soviel ausmachte wie der Zimmerpreis,
leider gab ihm der Russo den Betrag, von mir erhielt er nur ,
was ich für richtig und angemessen fand, dann zeigte ich
ihm unmissverständlich den Weg nach draussen. Er soll
dann den Russo gefragt haben, woher wir kommen, er habe
nur geantwortet, einer aus den USA und einer aus der
Schweiz, daraufhin soll doch der Kerl gesagt haben, er wisse
genau welcher aus der Schweiz komme! Das war für mich
eher ein Kompliment, weil ich dieser Abzockerei eine
Grenze setzen wollte. Am nächsten Tag erreichten wir unser
Schiff nach Malaga ohne viel Probleme, es war ein
Linienschiff, das zwischen Tanger und Malaga zirkulierte.
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Auch diese Fahrt verlief ereignislos, dann im Hafen von
Malaga, war es bereits dunkel, mit einer Taxe fuhren wir
eine gute Stunde durch ganz Malaga und fanden kein Hotel
mit freien Zimmern. Der Fahrer sprach von einer Absteige,
weit draussen, dort gebe es sicher noch freie Zimmer für
uns, also nichts wie hin. Und erst dachte ich, es handle sich
um ein Gefängnis, die Fenster hatten Eisengitter davor!
Es gab Zimmer und erst noch billig, wir gingen sogleich
schlafen.
Aber hier wollte ich keinenfalls bleiben, deshalb
verabschiedete ich mich am nächsten Morgen von Russo
und ging zur Busstation. Einen Bus nach Almeria sah ich
dort aber nicht, dafür nach Sevilla. Also stieg ich in diesen
ein und fuhr den ganzen langen Tag bis Sevilla. Die
Landschaft war zwar auch ohne Wälder romantisch, aber
immer fast gleich langweilig. Dass fast ganz Südspanien
ohne Wälder war, hatte einen geschichtlichen Hintergrund.
Die meisten Schiffe in die Kolonialgebiete, starteten von
Cadiz aus, daher mussten dort auch die meisten Schiffe
konstruiert werden. Und da sie damals vorwiegend aus Holz
gebaut waren, wurden die Wälder abgeholzt. Die langen
Trockenzeiten im Süden sind heute das Ergebnis aus diesen
alten Zeiten. Es gibt Gebiete, welche oft während Jahren nie
Regen sehen.
Gegen Abend trafen wir in Sevilla ein.
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Kapitel 22
Sevilla
Sevilla wollte ich schon lange einmal sehen und erleben, man
hörte derart viel von dieser Stadt und konnte sich doch kein
richtiges Bild davon machen.
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361
Jetzt war ich endlich da, ich fragte nach einer Herberge,
irgendwie schaffte ich es in kurzer Zeit etwas ausfindig zu
machen. Es war ein Massenlager, rund 40 Männer in einem
Riesenraum, jeder hatte sein Bett, mehr nicht. Ich war der
einzige Ausländer, neben mir war einer von der Guardia
Civil, eine Spezialpolizei, welche von Franco gegründet
wurde. Man konnte die Sachen ruhig unbewacht
zurücklassen, im damaligen Spanien wurde selten etwas
geklaut, und meistens waren die Diebe erst noch Ausländer.
In Sevilla herrschte eine Höllenhitze, um die 40 Grad, es
hiess, es wären die heissesten Tage des Jahres. Die Strassen
waren am Mittag und Nachmittag menschenleer. Ich
schleppte mich von Bar zu Bar und goss ein Cola nach dem
anderen hinunter. Schliesslich erreichte ich die Strasse mit
dem sinnigen Namen:“Calle Jesus de Grand Poder“, dort
stand ein uniformierter Mann bei einem Eingang zu einem
Bordell. Ich ging hinein und erinnere mich an rein nichts
mehr, ausser, dass ich es mit einer Sevillianerin trieb, und
als ich das Haus wieder verliess, da sagt doch der
Uniformierte:“Vaya con Dios senor“. Also ich überlegte
einen Augenblick, ob ich mich in einem Puff oder in einer
Kirche aufgehalten hatte? Aber bekanntlich machte da die
katholische Kirche wenig Unterschiede, ob es sich um ein
Kloster oder ein Bordell handelte, das hielt bereits der
Reformator Martin Luther fest. Es war aber nicht mein Tag
in Sevilla, bei dieser Hitze blieb ich den ganzen Tag in den
Bars oder lag im Bett. Hier konnte ich nicht bleiben, ich
studierte die Landkarten, nach Almeria gab es keine
vernüftige Landverbindung ohne grosse Umwege, entweder
musste ich zurück nach Malaga oder aber weit nördlich
über Murcia und Cartagena fahren. Somit beschloss ich, auf
die „Filmkarriere“ zu verzichten, und mit der Eisenbahn
über Cordoba nach Barcelona zu reisen. Ich hatte
dazugelernt, vor mehr als zehn Jahren führte ich keine
Speisen mit mir, liess mich von den Einheimischen im Abteil
verpflegen, das sollte nicht mehr vorkommen.
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Von dieser langen Bahnfahrt sind mir jedoch keine weiteren
Erinnerungen geblieben. Spanien kann mit seinen
römischen Wasserviadukten, den nachfolgenden maurischen
Elementen und den letztlich christlich dominierten Bauten
begeistern. Die Geschichte Spaniens hat auch diejenige von
ganz Amerika und Afrika massgeblich beeinflusst. Irgendwo
auf dieser Reise zwischen „Gran Canaria“ und Barcelona,
erlebte ich auch meinen 30. Geburtstag, ich denke, dass ich
das Datum ganz einfach vergessen hatte. Geburtstage feiern,
das war für mich nur bis zum 20. Altersjahr ein Thema, und
nur deshalb, weil ich dann endlich volljährig war. Danach
sah ich darin keinerlei Anlass mehr zum feiern, denn es war
doch lediglich ein klarer Hinweis, dass man wieder ein Jahr
im Lebenskalender weniger hatte. Und warum soll man nur
einen Tag im Jahr zelebrieren, wo es doch deren 365 gibt?
Ist nicht jeder Tag gleichwichtig und ein Feiertag?
Ich machte mir damals wenig Gedanken über meine
zukünftige Laufbahn. Meine Ersparnisse auf der Bank
waren auf wenige Tausend Franken geschrumpft, fast jeden
Monat musste ich Geld aus der Schweiz nach Spanien
transferieren, obwohl das Leben dort viel weniger kostete,
reichten meine Lehrerhonorare nicht aus. Ich hatte immer
noch einen Plan, um länger in Spanien zu verbleiben, ja, um
eventuell ganz nach Spanien auszuwandern. Irgendwo
zwischen Barcelona und Malaga gedachte ich eine
Sprachschule zu gründen. Das wiederum mit einer
Spanierin als Frau, damals war man als Ausländer noch
sehr gefragt, weil Spanien immer noch mausarm war.
Und ich träumte bereits von dieser „Academia de Idiomas“
an einer der schönen Küsten. Es ist noch zu erwähnen, dass
Ausländer unter dem Franco Regime, diesbezüglich
willkommen waren. Aber wie das Sprichwort sagt:“Erstens
kommt es anders und zweitens als man denkt“.
Endlich war ich wieder zurück in meinem geliebten
Barcelona, ich fühlte mich wieder zu Hause! Dass ich mich
ausgerechnet in Katalonien sehr heimisch fühlte, hat seine
guten Gründe, auf die ich anderswo bereits hinwies.
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Kapitel 23
Blutspender
Ich nahm wieder ein Zimmer in der bekannten Pension
Benidorm. Praktisch alle Leute kannten mich von früher, sie
riefen: „Hola, el profesor de vuelta“ oder die etwas
gebildeteren: „Bienvenido Don Rodolpho“.
Erst musste ich meine Reiseschreibmaschine in Reparatur
geben, sie war gänzlich defekt geworden, ich schrieb um die
350 Seiten Manuskript auf ihr! Der Mann im kleinen
Geschäft verzweifelte fast, er sagte, er habe fast alle Typen
ersetzen müssen! Dann galt es eine Stelle als Lehrer zu
finden, die Berlitzschule kam nicht in Frage, die stellten nur
„Nativos“ ein, aber gleich nebenan war die „Academia Puig
Condal“, diese engagierten mich sogleich, sowohl als
Deutsch wie auch als Englischlehrer. Ja, der Rektor wollte
mich gar als Spanischlehrer einsetzen, er rief mich in der
Pension an, ich solle doch gleich vorbeikommen, da standen
zwei junge Leute, ein Mann und eine Frau aus der Schweiz,
welche Spanisch unterricht nehmen wollten. Als ich mich
aber mit ihnen auf Schweizerdeutsch unterhielt, wollten sie
doch lieber davon absehen, und das mit guten Argumenten,
sie kamen nach Spanien, um hier mit den Einheimischen die
Sprache zu erlernen, Landsleute hatten sie in der Heimat
genug. Ich gab ihnen soweit auch recht, hatte ich doch gar
keine Absicht, mich als Spanischlehrer zu betätigen. Wenn
schon eine dritte Sprache, dann Französisch, das streng
genommen, meine „Muttersprache“, oder zumindest die
erste erlernte Sprache war.
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Ich hatte nur 2 bis 4 Unterrichtsstunden in der Academie,
oft aber auch Tage ohne. Das veranlasste mich, noch weitere
Einnahmemöglichkeiten zu finden, ich schaffte es, ein paar
Privatschüler zum Teil bei ihnen zu Hause, oder bei mir in
der Pension zu unterrichten. Ein Kaufmann, „Profesor
Mercantil“, der viel auf sich und seinen Berufsstand hielt,
machte mich aber darauf aufmerksam, dass er nur getarnt
zu mir kommen könne, weil ich mich im Bordellviertel von
Barcelona befinde!
Ich lachte nur, und sagte ihm, dass ich diese Umgebung eben
möge, und ich mich da inspirieren lasse. Zudem verdiente
ich zuwenig, um in einem Nobelviertel zu wohnen, ich müsse
alle Monate meine Bank in der Schweiz um
Geldüberweisungen ersuchen. Das war nicht gelogen, aber
ich führte von August bis Dezember ein Leben, wie ich es
danach nie mehr konnte und wollte!
Jeden Abend bis über Mitternacht in den Ausgang, dabei
war ich die meiste Zeit in der Texasbar, dort verkehrten
Huren, Hippies und andere Leute. Die Hippies rauchten
Gras, oder drehten aus Pulver Zigaretten. Ich rauchte neben
Zigaretten auch noch die Pfeiffe. Die Drogen interessierten
mich nur am Rande, da schenke mir ein Hippie so ein
Pulver, das ich in die Pfeiffe schob, aber ich verspürte nur
einen heissen Kopf! Also liess ich es lieber bei Bier und
Wein, und das in grossen Mengen, zum Mittagessen eine
Flasche Rioja, zum Nachessen nochmals ein Liter, oft sogar
deren zwei, daneben 10 bis 20 Espresso, Biere, Liköre etc. .
Ich ging jeden Abend schwer beduselt schlafen. Dazwischen
nahm ich noch eine der vielen Liebesdienerinnen auf,
meistens immer die gleichen, ich kannte die bereits
auswendig.
Dann inserierte ich in der „Lavanguardia“ wo ich mich als
Profesor wie auch als Traductor anerbot. Das hiess dann
etwa so:“Profesor de Idiomas da classes de aleman e ingles,
y tambien traductiones“. In der Academia waren wir ein
Engländer, (Bankräuber) eine Schweizerin aus Lausanne,
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und ich, es gab noch ein paar andere Gestalten, an die ich
mich weniger erinnere, zwei waren Spanier.
Dann die Sekretärin, und der Rektor. Diese Academia
gehörte früher einmal zu den vornehmsten in Barcelona. Es
war eine Handelsschule, die dann zur reinen Sprachschule
verkam. Die ganze Belegschaft verbesserte den Verdienst
mit Blutspenden, etwa 10 Km, ausserhalb von Barcelona,
war eine Privatklinik, diese kaufte Blut gegen Bezahlung
von 400.- Pesetas. Auch ich ging eines morgens mit, erst
wurde die Blutgruppe bestimmt, zwei junge Frauen
kommandierten uns herum, der Befehl lautete übersetzt:
„gib die Hand her!“ dann stachen sie in den Finger und
entnahmen das Blut zur Prüfung. Danach musste man im
Warteraum verbleiben, bis die Nummer aufgerufen wurde,
die man zuvor erhielt. Man lag in einer Nische, erst wurde
das Blut abgezogen, dann bearbeitet (die roten
Blutkörperchen entzogen) und die restliche Brühe wieder
zurück in den Körper gepumpt. Danach gabs ein Sandwich
und die Belohnung! Neben zahlreichen Sprachlehrern,
waren fast alle andern Spender Hippies. Wir gingen etwa
einmal die Woche, aber schon bald, wurde mir oft am
Nachmittag, mitten im Unterricht schwindlig. Dann kam der
letzte Tag des Spendens! Am Nachmittag fragte mich der
Bankräuber, ob ich heute nichts bemerkt hätte? Ich
überlegte einen Moment und sagte ihm: „doch, im
Spendesaal wars plötzlich mäuschenstill, ich dachte schon,
die haben mich vergessen! Da kam dann doch noch eine
Schwester und nabelte mich ab, aber alle waren schon weg!“
Der Bankräuber lachte und sagte:“Hast du nichts gemerkt,
du lagst gleich neben einem Toten! Der 20jährige Norweger
Hippie neben dir war ausgeblutet, er soll mehrmals
wöchentlich gespendet haben! Aus und tot!“
Ich ging nicht mehr hin, ab diesem Tag sollen sie dann
Kontrollen eingeführt haben, um festzustellen, ob der
Spender noch über genügend Blutkörperchen verfügt?
Der Bankräuber wohnte in einem noch schäbigeren
Quartier als ich, er war mit einer blonden Frau aus
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Granada verheiratet, brüstete sich damit, er müsste in
England 20 Jahre Knast wegen Bankraub absitzen, weil er
aber mit einer Spanierin liiert sei, zudem Spanien wegen
Gibraltar mit England auf Kriegsfuss stehe, werde er nicht
an England ausgeliefert und wäre hier sicher!
Er mochte mich nicht sonderlich leiden und ich ihn auch
nicht, besonders störte ihn, dass ich Englisch unterrichtete,
als ich einmal in seiner Schwulenbeiz war, er hatte seine
Wohnung gleich darüber. Begann er mich zu provozieren,
er sagte den Gästen, ich hätte ein Englisch wie ein Esel!
(El habla Ingles como un burro!)
So ganz unrecht hatte er auch wieder nicht, aber das musste
er mir nicht auch noch sagen! Und weil ich ihn nicht ernst
nahm, lachte ich nur, nun erlebte ich aber unter den
spanischen Gästen, die mich alle nicht kannten, eine
sonderbare Parteinahme für mich, sie stellten sich alle gegen
ihn und hielten ihm noch vor, er sei derjenige, der ein
miserables Englisch spreche. Er spreche nämlich auch
Spanisch wie ein Esel, und ich doch wesentlich besser!
Über diese Hilfeleistung freute ich mich natürlich, er
versuchte nie mehr, mich blosszustellen.
§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§
Kapitel 24
Die Kollegin
Seit 1967 korrespondierte ich mit Delia Rosales in Manila,
die kleine Frau, die ich im März 1966 in Manila traf und mit
ihr rund fünf Minuten sprach.
Sie sandte mir auch ein Foto, als die Isabelle sie sah, hielt sie
mir ständig die „Japonesa“ vor, so, wie damals in der
Schweiz jede Asiatin eine Japanerin war, galt das auch in
Spanien. Isabelle dachte, ich hätte sie wegen der „Japonesa“
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aufgegeben, was nicht richtig war, aber im Prinzip
gleichgültig.
Die junge Lausannerin in der Akademie war auch kein
ungeschriebenes Blatt, sie war seit gut zwei Jahren in
Barcelona, verdiente etwas Geld als Französischlehrerin, sie
hatte nur 8 Jahre die Volksschule besucht und auch keinen
Beruf erlernt. Als sie noch minderjährig war, machte sie in
der Presse Schlagzeilen, sie wurde an der Ostberlinergrenze
als Menschenschmugglerin gefasst und erhielt dafür ein
paar Jahre Knast in der DDR. Sie wurde dann vorzeitig
entlassen, als die Schweiz sie mit einem Spion der DDR
austauschen konnte. Sie erzählte mir die Flucht in allen
Details und die Geschichte war mir noch aus den Medien
bekannt, nun aber mit vielen Einzelheiten. Sie hatte Zeit um
sie mir zu erzählen, und sie erhielt schliesslich von mir
jeweils 100.- Pesetas Vorschuss, wenn sie nichts mehr zu
Essen hatte. Sie gab mir das Geld immer zurück und so
konnte sie immer mit meiner bescheidenen Hilfe zählen.
Seltsamerweise wirkte sie auf mich völlig asexuell, ich hatte
absolut keine Lust auf etwas anderes, als mit ihr zu
plaudern. Ein Grund mochte sein, dass sie sich wie ein
Bursche verhielt, wenig weibliche Austrahlung hatte und
auch sonst eher ein Kumpel war. Ich nehme auch an, dass
sie im DDR Gefängnis mehr tun musste, als sie mir zugeben
wollte, und ich nahm an, dass sie mit einem Trauma belastet
war?
Kaum war sie wieder in Freiheit, verschwand sie nach
Spanien, wo sie nun als Profesora wirkte, allerdings wie ich,
ohne Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung!
Sie war nun schon drei Jahre hier, eines Tages sagte sie mir,
sie wolle sich legalisieren lassen, das hiess offiziell anmelden.
Ich wunderte mich über ihren Mut, war sie doch schon
solange illegal da. Das konnte doch Probleme geben, wie
etwa Ausweisung aus Spanien?
Ich staunte nicht schlecht, als sie am nächsten Tag lachend
zu mir kam und sagte:“Jetzt darf ich offiziell arbeiten, habe
eine Krankenversicherung für ein Jahr und bin legal im
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Land mit einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, und das
alles kostete nur 65.- Schweizer Franken.“ Ich war perplex
und fragte weiter:“Was hast du denn gesagt, dass du soeben
angekommen bist?“ Sie erwiderte:“Nein, die Frau fragte
nur, was ich arbeite, da sagte ich „Französischlehrerin“,
und sie schrieb „Profesora“ in den Ausweis, mehr wollte die
gar nicht wissen!“ Also so einfach war es damals im Franco
Spanien, solange man sich nicht politisch betätigte, blieb
man ganz frei. Ab und zu kam die Geheimpolizei und
verhaftete irgend einen Mann, meistens Basken oder
Katalanen, die hatten nichts zu lachen, kreidebleich wurden
sie in Handschellen abgeführt, sie wussten auch, dass ihnen
ein grausiges Ende bevorstand. Viele wurden damals noch
mit der „Carrotta“ hingerichtet, eine höchst brutale Art zu
sterben. Vorher würde ich mir die Adern aufschneiden. Die
Geheimen
erkannte
man
an
ihren
hohen
Gummisohlenabsätzen und ihren Ringerposturen, zudem
trugen sie Riesenpistolen unter den Jacken. Ich war oft in
meinem kleinen Zimmer, studierte noch Buchhaltung an der
Akademikergemeinschaft in Zürich, manchmal hörte ich
urplötzlich an eine Tür poltern und dann:“ Abre la puerta
polizia!“, wenn ich durch die Türspalte schaute, sah ich
meisten schon den armen Kerl kotzend von der Polizei aus
dem Zimmer geschleppt! Mir wurde dabei recht komisch zu
Mute. Einmal polterten sie gleich neben mir, ich erschrank,
weil ich erst dachte, sie klopften an meine Tür!
Als der Gesuchte weg war, ging ich zum „Chefe“ der
Pension, dem Senior Francisco, ich fragte ihn, ob für mich
keine Gefahr bestünde, weil ich keine Arbeitsbewilligung
habe?
Er lachte und antwortete:“Da musst du dich nicht sorgen,
ich habe denen schon vor langer Zeit gesagt, wer du bist und
dass du Profesor bist, das interessiert die überhaupt nicht,
ob du illegal da bist, die verfolgen nur die Politischen.“
Ich dankte ihm für die Information und fühlte mich danach
wieder besser.
Auch die vielen Hippies nutzten die
spanische Toleranz, im Gegensatz zu den anderen Ländern,
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wurden die Drogen damals in Spanien nicht geahndet. Die
Hippies, teilweise auch aus der Schweiz, sagten mir lachend,
sie reisten mit vollen Taschen „Gras“ aus Marrokko ein, die
Zöllner hätten überhaupt nichts dagegen, und auf den
Strassen und in den Bars kifften die Hippies munter. Es war
eine seltsame Stimmung, die Hippies scheuten sich auch
nicht, auf den Strassen nach Geld zu betteln, das aber
tolerierte die Polizei nicht! Sie sammelte die Hippies ein und
die mussten dann eine Nacht im Knast verbringen, nicht
wegen dem Haschrauchen, sondern dem Betteln!
Am nächsten Tag wurden sie kostenlos an die französische
Grenze gebracht, dort den Franzosen übergeben. Am
nächsten Abend traf ich sie wieder an der Rambla, wieder
als Bettler. Das wiederholte sich viele Male, bis es den
Hippies zuviel wurde und alle nach Formentera dislozierten.
Dort gab es bald einmal mehr Hippies als Einheimische, das
führte zu Reklamationen. Die Polizei war überfordert, etwa
im Oktober 1968, hatten die Behörden von Formentera
genug. In der Lavanguardia las ich täglich Berichte, danach
sollen sich die Hippies dort unter den Bäumen nackt paaren
und Hasch rauchen, das war zuviel, für die konservativen
Einwohner. Der Notstand wurde ausgerufen, die Armee
fuhr mit Schiffen vor, und die Hippies wurden im grossen
Rahmen wie Zootiere eingefangen. Es waren mehrere
Hundert und sie wurden in Alicante ausgeladen. Einige
gingen vorerst nach Almeria um dort etwas Geld zu
verdienen, andere kamen schnurstrakts nach Barcelona und
gingen ihrem Treiben nach. Die Hippies waren zwischen 16
und 40 Jahre alt, ein Bieler Hippy der sich brüstete, er habe
noch nie im Leben gearbeitet, war mir besonders weltfremd,
er verstand es, mit Tränen in den Augen jämmerlich nach
Geld zu betteln, damit er sich dann einen Joint oder Rausch
leistens konnte. Mit ihm war eine junge Frau, vermutlich
unter 18, auch ein vergammeltes Girl aus Mitteleuropa, der
Bieler hatte einen Schlafsack und die Kleine schlief mit ihm
darin. Eines Abends kam er weinend zu mir und
klagte:“Jetzt ist meine Kleine mit so einem verdammten
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Norweger abgehauen und hat auch meinen Schlafsack
mitgennommen!“Ein anderer Landsmann war da etwas
realistischer, er war gross und schlank, etwas über 20, mit
einer kaufmännischen Ausbildung, er war relativ sauber
gekleidet, ging nicht betteln und Blut spenden, denn auf
seiner Brust trug er ein Lederetui voller Traveller Checks!
Diese Art von Hippy war mir sympathischer, er hatte
Format und Prinzip.
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Kapitel 25
Eurovision 1968
Es gab viele neue Erfahrungen und Erlebnisse in meinem
Spanienjahr, aber es hätte beinahe auch mein leztes Jahr
sein können, wie sich einige Monate später zeigen sollte. Ich
war diesem Lebenswandel nicht gewachsen, aber ich wollte
einmal anders leben und diese Variante bewusst auskosten.
Mit der Bettelei der Hippies war ich hingegen gar und gar
nicht einverstanden, ich sprach oft mit einigen von ihnen
und sagte ihnen klar, was ich davon hielt. Auch ich
begrüsste damals neue Lebensformen, neue Ideen, etc., aber
nicht diese Abzockermentalität, indem man die Arbeit
verweigerte und sich bei den armen Leuten bereicherte.
Ich gab deshalb nie einem Hieppie einen Batzen, auch zahlte
ich ihnen keine Drinks, sie sollten selber arbeiten und Geld
verdienen! Andern aber half ich gerne einmal aus, da
sprachen mich zwei junge Vietnamesen an, sie kamen aus
Frankreich und man hatte ihnen Geld geklaut oder ähnlich,
sie fragten mich, ob ich ihnen 400.- Pesetas geben würde,
damit könnten sie die französische Grenze erreichen, von
dort versuchten sie es per Anhalter bis Paris. Sie erklärten
sogar, sie wollten mir das Geld in einem Brief zurücksenden,
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aber ich sagte ihnen, der Aufwand lohne sich nicht, zudem
wäre ich ein Freund des vietnamesischen Volkes und seines
Kampfes gegen die US-Agressoren. Sie waren überglücklich
und bedankten sich, danach dachte, die hätten vielleicht
eher Sympathien mit dem südvietnamesichen Militärregime
gehabt?
Mit dem Privatunterricht zu Hause bei den Schülern, lief es
nicht sehr gut, in ein paar Fällen reiste ich mit der U-Bahn
und dem Bus durch ganz Barcelona, suchte die Adresse und
wenn ich fündig wurde, waren die Schüler nicht zu Hause.
Ich hatte dadurch mehr Umtriebe und Spesen, als
Einnahmen zu verzeichnen. Zwei Schwestern, sie lebten in
einer vornehmen katalanischen Villa, waren hingegen
zuverlässig und immer pünklich am frühen Abend zu
Hause. Beide mochten um die 25 bis 30 sein, und als sie
ihren Beruf verrieten, versetzte mir das einen kleinen
Schock, sie waren beide Lehrerinnen! Ich hatte ja kaum
Kenntnissse über die Bedeutung der gramatikalischen
Ausdrücke. Ich hatte die einfach nie erlernt, war autodidakt.
Und schon am Anfang begannen sie seltsame Fragen zu
stellen, über Konjugationen, Werben etc. ich sagte dann
ganz klar, dass ich nur nach der Berlitz Methode
unterrichte, daher auch nur schrittweise doziere was in den
Lehrbüchern stehe und daher nicht vorgreifen könne. Sie
schienen das begriffen zu haben und unterliessen die
Fragereien. Lehrerinnen können eben auch gehorchen.
Da war aber noch eine interessante Variante mit den beiden
Frauen, nein keine Liebesromanze, wenn sie miteinander
redeten, sprachen sie immer Katalanisch! Unter Franco,
war es verboten, diese Sprache zu lernen oder zu sprechen.
Aber die beiden Frauen entpuppten sich als katalanische
Nationalistinnen erten Grades, sie liessen keinen guten
Faden am Francoregime. Aber noch mehr waren sie
überrascht, dass ich ihre Gespräche weitgehend verstehen
konnte!
Ich wartete jeweils nicht erst ihre spanische Version ab,
sondern antwortete schon vorher, ganz entsetzt mussten sie
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feststellen, dass ich sie verstand, und sie wollten wissen wo
und wann ich Katalanisch gelernt habe?
Nun ja, ich habe diese Sprache nie erlernt, es gab aber zwei
Erklärungen dafür, eine logische, und eine abstrakte,
Katalanisch ist unserem Rumantsch sehr ähnlich, der
Bündner,(Jost) den ich 1958 in der Ramblas traf, sagte mir
damals stolz:“Du glaubst es kaum, aber ich verstehe die
Katalanen gut, es ist wie unser Rumantsch“.
Gut, aber ich habe auch Rumantsch nie erlernt, ausser den
wenigen Worten, die man manchmal im Fernsehen hören
konnte. Die zweite Erklärung war, dass ich im vorherigen
Leben eben doch ein Katalane war und im Alter von 37
Jahren von hinten, von den Fanlanghisten erschossen wurde
und von einem Felsen runter fiel. (Geboren 1900 im Raum
Figueras, im Bürgerkrieg 1937 umgekommen, und dann
1938 reinkarniert. Soviel ergab eine von mir laienhaft
durchgeführte Pendelabklärung. Es heisst, in früheren
Leben gehabte Wunden, würden in jenem Alter wieder als
Narben auftauchen, in welchem sie geschehen sind!
Also erhielt ich im Alter von 37 Jahren im Rücken einen
Riesenflecken wie ein grosses Mal. Mehr als dreissig jahre
später existiert das Mal immer noch gleich!
Weitere Hinweise, meine Wut auf die Francoleute in jungen
Jahren, dann dieses heimatliche Wärmegefühl, als ich 1958
in die Umgebung von Figueras kam. Sodann diese
Idenfikation mit dem Film „Wem die Stunde schlägt“ mit
Ingrid Bergmann und Cary Cooper. Und schliesslich noch
die Erzählungen des Freundes der Isabelle, ein Katalane mit
schwarzen Haaren, Schnurrbart, und einer grossen Narbe
im Gesicht, eine Kugel traf ihn unter dem Auge und ging auf
der andern Seite wieder raus! Aber die Narbe verunstaltete
ihn nicht etwa, sondern war fast eine Zierde für ihn. Er war
um die 50 und musste während dem Bürgerkrieg erst etwa
18 gewesen sein. Also etwa 2 Jahre jünger als ich damals.
Wir sprachen sehr oft vom Bürgerkrieg, und das seltsamste
daran war, dass ich stets fühlte, ich wäre life dabei gewesen!
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Aber noch mehr, ich hatte den festen Eindruck, dass wir uns
damals kannten! Oder, dass wir sogar verwandt sein
konnten und zusammen im Krieg waren. Er hat die
Gefangenschaft der Frankisten überlebt, vermutlich weil er
so jung war, liess man ihn am Leben?
Ich vergesse nie mehr, welche seltsamen Gefühle in mir
aufstiegen, wenn wir von früher sprachen, und wir die
Feinde angriffen, um dann doch noch elendiglich den Krieg
zu verlieren!
Man mag nun das Ganze als einen reinen Zufall taxieren,
ich denke aber, dass diese Hinweise, die ich ja damals nicht
herbeirief, nicht zufällig waren, angefangen mit dem
Uniformen Hass und der Angst davor mit 5 Jahren in
Frankeich, zu einem Zeitpunkt, da ich vom spanischen
Bürgerkrieg keine Ahnung hatte. Dann diese Träume bis
etwa zum 8. Altersjahr, bei denen ich immer von einen
hohen Felsen runter fiel, dabei hatten wir doch dort gar
keine solche Berge! Danach die Riesenwut auf das
Francospanien, ich wäre am liebsten als verspäteter
Spanienkämpfer losgezogen! Dann Funkstille bis zum 19.
Altersjahr, die Erlebnisse aus dem früheren Leben
verschwinden zwischen dem 5. und 8. Lebensjahr fast
gänzlich, jedoch nicht aus dem unteren Unterbewusstsein.
(Unterste Schicht).
Dann kam diese erste Spanienreise 1958, als ich mich
wunderte, weshalb ich mich hier zwischen der französischen
Grenze und Barcelona derart gut fühle?
Sodann die Geschichte mit dem echten Spanienveteranen in
Barcelona 1968, und schliesslich meine Untersuchungen mit
dem Pendel und das Mal am Rücken.
Seither habe ich mich damit mangels anderer Hinweise
abgefunden, kann so nicht mit jenen konkurrieren, welche
von sich behaupten, sie wären Napeleon, Stalin, Hitler oder
Mussolini gewesen, oder wie eine Frau meint, die Königin
von Saba.
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1968 war auch das Jahr der Spanier in der Eurovision,
Spanien war erst dazugekomen und man wollte natürlich
gewinnen, und Spanien gewann auch! Mit der Sängerin
MASIEL und dem Lied „NO- NO LETA.............“ Es wurde
die ganze Nacht durchgefeiert, alle sangen die Melodie, auch
ich, und ich freute mich wie die Spanier. Schliesslich war ich
auch schon ein halber.
Im Jahr 2008, wurde weltweit verkündet, Spanien habe
nicht legal gewonnen, General Franco persönlich habe
diverse Jury Mitglieder bestechen lassen und zum Teil sogar
unter Druck gesetzt! Ich wunderte mich schon damals,
weshalb nicht das Lied „Congratulation and Celebration...“
gewann?
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Kapitel 26
Los Caracoles
Die Monate in Barcelona waren wie Jahre, noch selten zuvor
und danach, erlebte ich das Leben derart intensiv und
pulsiv. Da war einmal das Leben in der Pension, die
Nervenzusammenbrüche der alten Dirnen, die kein
Auskommen mehr hatten. Gestrandete Leute aus aller Welt,
etwa die 16jährige Deutsche, sie war plötzlich da und
niemand wusste wie sie herkam, sie war nicht unbedingt
meine Wellenlänge, eher etwas arrogant, schliesslich
unterhielten wir uns doch noch, sie war zu Hause
ausgerissen, irgendwo im Ruhrgebiet, sie schlug sich ohne
Geld durch bis nach Barcelona, mir war klar, als Frau
konnte sie sich mit Gelegenheitsprostitution durchschlagen,
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ein grosser Vorteil, den Männer nur haben, wenn sie sich
mit schwulen Kerlen abgegeben.
Ich glaubte ihr nicht alle Geschichten, eine mochte aber
stimmen, sie musste sich einer Blinddarmoperation un
terziehen und zeigte mir ihre dazupassende Narbe. Sie wolle
Spanisch erlernen, aber Geld hatte sie keines, und ich war
auch nicht flüssig dafür. Zudem hatte ich den Eindruck, mit
ihr nur Probleme zu kriegen, ich gab ihr aber mein
Spanischlehrbuch von Berlitz, erwähnte ausdrücklich, dass
ich das zurückhaben musste, sollte sie wegziehen. Diese
Bücher waren damals sehr teuer, zudem konnte man diese
zum Beispiel in der Schweiz gar nicht im Buchhandel
kaufen. Ich war zufällig am Empfang, als ich sie mit einer
Tasche davonschleichen sah, obenauf mein Buch!
„Halt, rief ich ihr zu, wohin gehts Du?“ Sie antwortete:“Ich
gehe fort, zurück nach Hause“. „Aber das Buch da, das
bleibt hier“, gab ich zur Antwort, sie errötete und händigte
es mir aus. Dann fragte ich sie: „wie gehts Du nach Hause,
mit der Eisenbahn?“ Sie:“Nein, per Anhalter, ich habe kein
Geld“. Gut, aber ich wusste, dass damals so junge Mädchen
bald einmal in den Bordellen und Harems von Marrokko
landeten, oder sogar im Libanon.
Zudem war sie ein „Fressen“ für die Autofahrer, obwohl sie
nicht mein Fall war, hatte ich doch wieder mein
fürsorgliches Gen aktiviert. Ich ging mit ihr nach draussen,
in der Nähe des Hauptbahnhofs standen verschiedene Autos
aus Deutschland, ich sah ein Ehepaar einsteigen, ich ging
gleich zu ihnen hin und erklärte ihnen den Fall, sie schienen
mir zu glauben und zeigten sich bereit, das Mädchen bis ins
Ruhrgebiet mitzunehmen. Und wie ich die Leute einschätzte,
konnte man ihnen trauen und sie würden sie wohl auch
nicht verhungern lassen. Ich fühlte mich auf jeden Fall
besser dabei, und da die Leute ja von mir auserkoren
wurden, war ich zuversichtlich, dass alles gut ging!
Ich weiss nicht, wie es mit ihr weiter ging, sie kannte meinen
Namen nicht, ich wollte die Geschichte nicht weiter ziehen.
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Leuten mit Problemen selbstlos beizustehen war schon
immer meine Lebensphilosophie, mit kleinen Gesten andern
eine Freude bereiten auch. Das begann schon, als ich noch
sehr klein war, bei schlechtem Regenwetter fragte ich meine
Mutter:“Hast Du mir etwas zum aufräumen?“ Meine
Kriegsration an Schokolade gab ich immer meiner Mutter,
sie mochte diese eben mehr als ich. Und einmal, leerte ich
mein Sparschwein, ich mochte etwa 8 jährig sein, und gab
mein ganzes Geld der Mutter als Geschenk. Später war es
meine Familie, die ich laufend sponsorte, ich half nicht nur
mit den laufenden Kosten für die Wohnung und
Verpflegung, sondern spendete einen grossen Teil meines
Geldes für Mutter und Geschwister. Und bei der Klara gab
ich sogleich mein restliches Vermögen für eine erfolglose
Alternativheilung aus! Bruder Ernst war die grösste Bürde
bis zu seinem Tod im Alter von nur 52 Jahren! Bruder
Hans, dem ich im Jahr 1964 einen schönen dunkelblauen
VW Käfer inklusive Versicherung etc. finanzierte, blieb, wie
alle andern auch, das Geld bis zum Tod schuldig. Und
meiner Spenderrolle blieb ich stets treu, später freiwillig für
die Delia, dann für verschiedene Sanierungsfälle im Isaan.
Aber ich hatte all die Jahre trotzdem immer noch genug
Geld für mich übrig!
Auf der anderen Seite der Ramblas, in Richtung Bahnhof,
war ein Spezialitätenrestaurant mit dem sinnigen Namen
„Los Caracoles“ (Die Schnecken). Es mochte wohl das
einzige Restaurant sein, das sich fast nur auf Schnecken
spezialisiert hatte. Es war nicht billig, dehalb wollte ich mir
einen Besuch auf später vorbehalten, wenn ich wieder
einmal einen Geldtransfer aus der Schweiz tätigte, denn
meine Einnahmen reichten bei weitem nicht aus, um meine
Unkosten zu decken. Aber ich freute mich schon lange auf
den Tag, an dem ich dann endlich dort speisen ging.
Aber es sollte nicht so weit kommen, an einem schönen
Abend traf ich kurz vor diesem Restaurant den deutschen
Hippie der ausserordentlich sensibel schien. Er war mit
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seiner Freundin unterwegs, als er mich erblickte, zeigte er
auf die nächste Gasse, und sagte:“Scheusslich, dort liegt ein
Toter am Boden, gleich beim Eingang zum Restaurant.“
Ich war mit wenigen Schrittten auch dort, und da lag ein
toter Mann in zerschlissener Kleidung, auf dem Trottoir
beim Eingang ins Restaurant! Der Kopf war wie zermalmt,
Hirmasse und Blut floss die Gasse hinunter. Wirklich ein
scheusslicher Anblick. Und drinnen speisten die Leute und
hatten davon nichts mitbekommen. Mir aber war der
Appetit gründlich vergangen, niemals wollte ich im
„Caracoles“ Schnecken essen! Der Mann war ein
Arbeitsloser, der von ganz oben, vermutlich dem 6. Stock
oder so, kopfvoran hinunter sprang.
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Kapitel 27
Academie Pleite
Die meisten Angestellten der Pension sprachen
Aragonesisch, den Dialekt der Provinz von Aragon, von der
sie stammten.
Der Franscisco sprach jedoch mehr oder weniger gut
Spanisch. Den Gonzalo, der „Chefe de noche“, den verstand
ich hingegen sehr schlecht, er gab sich auch keine grosse
Mühe richtig Spanisch zu sprechen, vermutlich hatte er die
Sprache nie richtig erlernt?
Wenn Ausländer kamen, holte Franscisco immer mich aus
dem Zimmer, er klopfte an die Zimmertür und rief:
„Rodolpho, Estranjeros para ti“. Da wusste ich, es standen
wieder Touristen an der Rezeption und niemand konnte sie
verstehen. Ich konnte eigentlich immer helfen, weil alle sich
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auf Französisch, Englisch oder Deutsch
verständigen
konnten.
Aber einmal, da musste ich gerade hinaus lachen, draussen
stand ein Indianer aus Peru, dieser sprach besser Spanisch
als alle im Benidorm! Er war ausgebildeter Arzt und
wunderte sich, dass man ihn hier nicht verstehen konnte. Ich
sagte dem Frascisco:“Der spricht Deine Sprache, was soll
ich da übersetzen?“ Fransciso schaute mich komisch an und
meinte: „Pero es un Indio!“ Ich erklärte ihm dann, dass es
sich um einen Akademiker handle, der durchaus Spanisch
beherrsche. Aber Aragon und Peruspanisch waren eben
zwei verschiedene Paar Schuhe.
Ich musste weiterhin den Dolmetscher spielen, übersetze
Peruspanisch in Katalonenspanisch, was für ein Job!
Der Rektor der Academia Puig Condal informierte uns, dass
das Institut geschlossen werde, weil zahlungsunfähig
geworden! Die Lehrer verzogen sich in alle Richtungen, nur
die Sekretärin und ich blieben noch zurück. Das hatte einen
guten Grund, der Rektor schlug mir vor, ich dürfe die
restlichen zwei Monate die Räumlichkeiten kostenlos
verwenden, die Schüler sollten die Gelder direkt mir zahlen
und ich könne bis Ende Jahr bleiben. Das traf sich
ausgezeichnet, ich hatte sowieso vor, gegen Ende Dezember
mein Zelt abzubrechen und in die Schweiz zu gehen.
So wurde ich völlig ungeplant zum Institutleiter auf Zeit.
Der pädagogische Beruf war mir sympathisch, schliesslich
wollte ich ja einmal Geschichte und Geographie studieren
und mich danach vermutlich als solcher Lehrer betätigen.
Das Ziel lautete damals demnach: „Professor für Geschichte
und Geographie“an einer Universität! Jetzt war ich diesem
Ziel sehr nahe gekommen, ohne viel Aufwand und Einsatz!
Ich glaubte bald selber daran, mein Ziel durch die Hintertür
erreicht zu haben. Und konkrete Plänedie bereits im
Hinterkopf waren, entstanden in meinem Vorderkopf, ich
wollte an der Costa Blanca oder Costa del Sol, eine
Sprachakademie gründen und leiten. Aber vorerst musste
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ich noch nach Hause in die Schweiz, um dort das nötige
Kleingeld zu sammeln.
Noch vor einem Jahr, hätte ich nicht geahnt, dass ich mit
derartigen Plänen zurückreisen werde.
Am Meer wohnen, das ganze Jahr mildes Klima, gutes
Essen, etc. das war wahre Lebensqualität.
Im Quartier Barrio Chino trieb sich auch eine Frau herum,
die als „Maria la Loca“ bekannt war. (Maria die Verrückte).
Sie pflegte plötzlich ihren Pullover hochzuheben und da
konnte man ihre grossen Brüste bewundern. Im
konservativen Spanien ein grosses Vergehen, aber wenn eine
verrückt war, war sie eben verrückt und entschuldigt. Auch
die Polizei interessierte sich nicht für ihre Shows. Man
konnte sie auf den Trottoirs sehen, wie sie einem Touristen
den Busen zeigte und ihm an den Penis langte. Je nach
Ergebnis, zeigte sie dann der zuschauenden Menge, wie
gross er ist.
Ein paar Jahre später, reiste der J.H. nach Barcelona, ich
gab ihm alle Informationen um dort mit wenig Geld viel zu
erleben. Schliesslich erwähnte ich auch die Maria la Loca,
damit er Bescheid wisse, wenn er ihr begegne. Als er zurück
kam, lachte er immer noch, er sagte mir, er wäre vom
Bahnhof zu Fuss in Richtung Ramblas gelaufen, genau so,
wie ich ihm das vorzeichnete. Und urplötzlich wäre er vor
dieser Maria gestanden, die ihm glatt ihren Busen zeigte und
andere Kapriolen machte, die ihm aus meiner Schilderung
nicht mehr so fremd waren. Aber er musste sich richtig
kaputtlachen, und sich auf seine Reisetasche setzen und
dachte dabei, das dürfe doch nicht wahr sein! Das war schon
eher ein Zufall, denn ich traf die Maria oft wochenlang nicht
an. Möglicherweise sperrte man sie ein und liess sie dann
wieder gehen?
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Kapitel 28
Der Polizist
Im Millieu von Barcelona gab es seltsame Frauen, eine war
die Liliputanerin „Teresita“, sie hatte den Körper einer
Sechsjährigen, aber den Kopf einer erwachsenen Frau, das
machte sie zu einer komischen Figur, zudem war sie alles
andere als hübsch! Das mochte ein Grund dafür sein, dass
ich sie nie näher kennen lernte. Zudem war sie ständig in
irgendwelcher Männerbegleitung oder besoffen.
Ich traf sie aber ein Jahr später an, als ich einen
Kurzaufenthalt in Barcelona machte. Wir verzogen uns in
eine Absteige, Teresita kannte mich von früher, ich merkte
aber, dass sie nicht wusste, ob wir es schon zusammen
trieben oder nicht? Sie sagte u.a., dass sie wieder eine Kind
habe, wieviele sie schon hatte, weiss ich nicht mehr. Trotz
ihrem kleiner Körper, war ihr Intimbereich absolut nicht
etwa klein, sondern erstaunlich gut ausgebaut, die Kinder
entfernte sie per Kaiserschnitt.
Aber das war es nicht, sie massierte derart grob und
intensiv an meinem Freund herum, dass dieser an der Spitze
eine kleine Wunde aufwies! Und diese heilte nur ganz
langsam aus! Zurück blieb eine lebenslange Narbe die mich
immer an diese Teresita erinnerte.
Wie bereits erwähnt, versuchte ich mich auch als
„Traductor“ (Übersetzer), aber die Aufträge kamen äusserst
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spärlich herein, es war eine sehr mühsame Sache, mit der UBahn durch die Stadt fahren, die Büros suchen und wenn
ich ankam, war die zuständige Person nicht da. Am
nächsten Tag wieder kommen, ja, ich denke, ich hatte mehr
Auslagen als Einnahmen.
Eines Tages rief mich der Franscisco an die Rezeption, ein
jüngerer Mann grüsste mich und fragte, ob ich ihm einen
Brief aus Deutschland ins Spanische übersetzen könne?
Ich nahm an und sagte ihm, er könne diesen am nächsten
Mittag abholen. Ich hatte meine gute Mühe mit der
Übersetzung, handelte es sich doch um Fachausdrücke, wie
Aerosole, etc. und ich hatte dafür kein Wort auf Spanisch.
Aber schliesslich schaffte ich es doch, der Mann erschien
wieder, zahlte mir noch einen Kaffee dazu. Ich stand an der
Bar und er neben mir, plötzlich sagte er, er wäre bei der
Polizei, ich zuckte zusammen, musste das jetzt sein, knapp
vier Wochen vor meiner Rückreise, schnappt man mich als
Schwarzarbeiter, aber er reichte mir lediglich seine
Visitenkarte und sagte:“Wenn sie einmal Probleme haben
sollten, rufen sie mich einfach an“. Ich war erleichtert, zum
Glück sah er nicht, wie ich beim Wort „Polizei“
zusammenzuckte.
Ich habe nie etwas vernommen, dass ein Ausländer damals
wegen Schwarzarbeit gefasst worden wäre, alle
Sprachlehrer genossen die grössten Freiheiten.
Da erinnere ich mich noch and die Maria Fernandez, jene
Frau, die ich 1958 als Zwanzigjährige in der San Remo Bar
kennen lernte und danach, ganz ordentlich berauscht mit
ihr aufs Zimmer ging und ohne Kondom draulos meditierte.
Sie wirkte nun mit ihren 31 Jahren viel älter, war recht dick
geworden und nur noch ein Schatten von damals, aus
nostalgischen Gründen, besuchte ich sie aber noch ein paar
Mal. Sie sass immer im gleichen Restaurant, und wenn
Stierkämpfe im Fernsehen gezeigt wurden, hatte die Maria
nie Zeit zum Sex. Sie sagte dann:“Los Torros“ wären
wichtiger!
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Kapitel 29
Ein „Kollege“
Ich war eifrig auf der Suche nach einem Verlag für meine
Reisebeschreibung „Einmal die Ferne Sehen“, aber da stiess
ich auf Riesenprobleme. Einige Verlage in Deutschland und
in der Schweiz, beschränkten sich auf eine simple Absage
ohne jede Begründung. In einem Fall hiess es, man ziehe nur
Manuskripte von bekannten Autoren in Betracht. Noch
dümmer war die Antwort, man habe eigene Autoren im
Vertragszustand. Etwa wie die Herstellung von Autos am
Fliessband. Natürlich schrieb ein Konsalik und dergleichen
Grössen, Romane wie am „Fliessband“. Es kommt
angesichts solcher Absagen die Frage auf, wie sich neue
Autoren überhaupt profilieren können, wenn man ihnen
nicht einmal die Chance dazu offen lässt. Klar, dass jeder
Autor der Ansicht ist, sein Buch wäre das allerbeste.
Da war die Anwort vom Goldmann Verlag geradezu ein
Aufsteller, da schrieb mir doch Herr Wilhelm Goldmann,
mit einem handgeschriebenen Brief, er bedanke sich für
mein Angebot, sein Verlag publizierte seit Jahren keine
Reisebeschreibungen mehr, weil sich diese Literatur sehr
schlecht verkaufe. Er wünschte mir aber viel Erfolg und
Zuversicht. Da machte sich ein bekannter Verleger die
Mühe, mich sachlich und korrekt zu informieren. Ich wusste
wenisgtens wo der „Schuh“ drückte und konnte mich
danach richten.
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Das „Barrio Chino“, Barrio = Quartier oder Viertel, Chino
= Abkürzung von Capuchino, war ein richtiges
Hurenviertel. Dieses zog sich bis hinauf zur Calle Palayo,
aber ausschliesslich nur Liebesdienerinnen gab es in der
Calle Robador, die Strasse der Diebe. Dort war Bordell an
Bordell und das war für das Fracospanien eine absolute
Ausnahmesituation, die sonst nirgends in Spanien
anzutreffen war. Eigentlich war die Prostitution im ganzen
Land untersagt, aber die Behörden schlossen im Fall von
Barcelona beide Augen.
Einige der Frauen aus der Calle Robador wohnten in der
Pension Benidorm, und manch eine mochte es gar nicht,
wenn der „Profesor“ durch die Diebenstrasse schlich! Weil
sie mir sagten, sie arbeiteten als Künstlerinnen. Und wenn
ich sie im Hotel wieder antraf, sagte ich frech: „Uste es una
artista de gama“, also du bist eine Bettkünstlerin! Andere
aber machten daraus kein Geheimnis, ich war aber
trotzdem ein seltener Kunde in dieser Strasse, die Masse
passte mir nicht!
Hingegen hielt ich mich fast täglich im Cafe links, gleich
beim Eingang in die Strasse, auf, dort war ein freundlicher
Kellner namens Jose, er war verheiratet, sonst hätte ich ihn
für schwul gehalten. Und ich trank dort meistens ein paar
Tassen Espresso von der allerstärksten Sorte.
Ein ehemaliger Kollege von der Swissair, der Fritz B.
verkehrte ebenfalls gerne dort beim Jose. Da hielten sich
meistens noch ein paar Frauen auf, Nieves etc.
Nun ja, eines Tages erhielt ich eine Postkarte von F.B. aus
der Schweiz. Er schrieb, dass sie nun einen Knaben namens
B. hätten, dann im gleichen Satz fuhr er weiter:“sag der
Nieves im Cafe.... einen schönen Gruss von mir“. Das etwa
der Text der Karte und ich fand ihn derart komisch, weil er
im gleichen Satz seinen Sohn ankündigte und auch noch
einen Gruss an eine seiner Huren dort. Der Sohn ist nun 42,
immer noch bei den Eltern und ich getraue mich kaum, die
Karte von damals zu zitieren. Unterhalb der Calle Robador
war ein grosser Platz, auch ein Billigrestaurant befand sich
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an der linken Seite. Immer dann, wenn mein Geld zur Neige
ging, pflegte ich dort zu speisen, man konnte für ein
Trinkgeld eine vollständige Mahlzeit erhalten. Die
Menueauswahl war aber sehr einfach, und die Menues fast
immer die gleichen. Ich speiste an einem warmen
Herbstabend in diesem Lokal, rechts von mir sassen junge
Frauen aus der Deutschschweiz, so gegen 20 schätzte ich
grob. Ich lauschte ihren Gesprächen zu, sie konnten ja nicht
ahnen, dass ich alles verstehen konnte. Nach einiger Zeit
schloss ich aus den Gesprächen, dass es sich um eine
Schulreise oder dergleichen handeln musste. Der einzige
Mann dabei, der musste schon um die 50 bis 65 sein!
Schliesslich sprach ich die Frauen, die mir am nächsten
sassen an, sie waren höchst erstaunt, einen Landsmann
anzutreffen. Dann war auch schon der Herdenführer bei
mir: „Professor Walter, Gymnasiumlehrer aus Olten“,
stellte er sich vor, und ich ohne zu überlegen
antwortete:“Profesor B. aus Barcelona“. Beide lachten, er
glaubte aber im ernst, ich doziere an der dortigen
Universität. Ich klärte ihn sogleich auf, dass ich mich als
„Profesor“ mit nur einem s schreibe, aber er machte gar
keinen grossen Unterschied, schliesslich waren wir beide im
Lehrberuf tätig, also Kollegen!
Er befand sich auf der Diplomreise der Maturandinnen
des Mädchengymnasiums. Die Girls waren somit zwischen
18 und 19 jährig, ich sagte ihnen dann, dass sie sich hier im
grössten Bordellviertel von ganz Spanien befinden. Sie
waren darüber begeistert, das brachte etwas Farbe in ihre
Reise. Dann erklärte ich ihnen, die Strasse da vor ihnen,
sollten sie möglichst meiden, weil die Frauen dort keine
Konkurrenz wünschen! Aber genau das wollten sie nun
sehen, erst wollte der Herr Professor Walter nichts davon
wissen, weil es auch schon zu Tätlichkeiten kam.
Dann beschlossen wir aber wie folgt vorzugehen, weil die
Girls nicht locker liessen, der Herr Walter ging voraus,
hinter ihm die Mädchen in Zweierkolonnen, und am Schluss
wollte ich gehen. Das ganze Spiel verlief ohne Zwischenfall,
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die Frauen sahen sogleich an der Kleidung, dass es sich um
Ausländerinnen handelte, sie machten ein paar
Bemerkungen mehr nicht. Und die Diplomklasse hatte ihr
Erlebnis! Auch aus diesem Treffen hatte ich niemehr ein
„Followup“ oder ein sonstiges Echo. Im Barrio gab es
auffallend viele ältere Liebesdienerinnen, manche mochten
schon um die 70 Jahre zählen. Fast nur Geschiedene oder
Verwitwete Frauen, oft noch Witfrauen aus dem
Bürgerkrieg, ( 1936 bis 39). Ihre Umgangssprache war alles
andere als zimperlich oder weiblich, und sie warfen mit
Schimpfwörtern nur so um sich. Wer nicht bumsen mochte
oder wollte, wurde als schwuler Hund tituliert, oder sie
drohten das beste Stück abzuschneiden.
Ganz hinten an der unteren Strasse waren die alten Frauen,
unappetitlich und frech waren die!
Einmal, als ich zufällig dort vorbei lief, kam ein Mann aus
einem der Schuppen, er sah aus wie der Schauspieler
Antony Quin, hinter ihm eine alte, verlauste Dirne, sie
zeigte ihm ihre Faust und rief laut:“ Maricon“. (Schwuler
Hund). Der Mann lief rot an, und verzog sich eiligst in eine
andere Strasse. Ein anderes Mal verfolgte ein Polizist in
Zivilkleidung einen Mann im Barrio Chino. Es war nach
meinen Erkenntnissen ein Gestapomann, (Geheimpolizei)
und der junge Mann, dem er die Handschellen überziehen
wollte vermutlich eher ein Politischer?
Die Leute schauten dem Verfolgunsspiel zu und
aplaudierten jedes Mal, wenn es dem jungen Mann gelang,
dem Polizisten zu entfliehen. Das Spiel schien ohne Ende,
etwa zweimal passierten die zwei an mir vorbei, und ich
überlegte ernsthaft, ob ich dem Polizisten das Bein strecken
sollte? Aber das wäre Unsinn gewesen, denn als Ausländer
wäre ich eingesperrt und dann ausgeschafft worden! Also
besser Finger davon halten. Man hilft dabei dem Verfolgten
auch nicht und schadet nur sich selber dazu!
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Kapitel 30
Espania Adios!
Das Jahr 1968 näherte sich seinem Ende zu. Für mich war
eine Zeit des Lotterlebens vorbei, ein Leben, das ich so nicht
mehr lange ertragen konnte!
Ich hatte aber während diesem Spanienjahr viel Neues
erlebt und damit konnte ich in die sterile Schweiz zurück
gehen und dort wieder eine Zeitlang davon zehren.
In der Academia waren nur noch die Sekretärin, Senorita
MAS, und ich zurückgeblieben. Sie musste mir noch ein
Zeugnis ausstellen, weil ich damit möglicherweise später
dafür Verwendung hatte, etwa zum aufhängen in einer
eigenen Schule an der Küste. Das machte sich immer gut,
wenn einer zuvor bereits als Lehrer in Barcelona tätig war.
Aber daneben schmusten wir wie wild auf den Tischen
herum, ohne aber intim zu werden. Ich wollte da keine
Risiken eingehen, in Katalonien herrschten diesbezüglich
noch strenge alte Sitten, die da bald einmal zu einer
Zwangsheirat ausarten konnten.
Ich verabschiedete meine letzten Schüler, es war wie eine
Beerdigung, fast herrschte Trauerstimmung! Die einst
vornehme Academia Puig Condal war zu! Ein Jahr später
war sie wieder in Betrieb, jedoch nicht mehr als
Sprachschule sondern als Handelsschule. Ich nehme an, dass
sie heute noch existiert?
Die Nächte wurden kühler, aber immer noch viel
angenehmer als in der Schweiz um die diese Jahreszeit.
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387
Auch in der Pension Benidorm nahm ich von allen Leuten
Abschied, es war wie der Abschied von einer grossen
Familie. Die Fahrt in die Schweiz hinterliess keinerlei
Erinnerungen, weder positive noch negative. Kurz vor
Weihnachten traf ich in Ottoberg bei Mutter ein. Sie war
sichtlich froh, denn der jüngere Sohn Ernst kümmerte sich
nie um sie. Er verkehrte in Hippiekreisen in der Stadt
Zürich.
Den Teppich, den sie zu knüpfen begann, als ich die Schweiz
verliess, hatte sie schon fast fertig.
Mit meiner Gesundheit stand es auch nicht gut, ich hatte
mir vermutlich ein Magen-Darmgeschwür eingefangen?
Diese vielen starken Espressos, Zigaretten und die
Alkoholikas, waren eben nicht meine Stärke. Aber noch
konnte ich nicht ahnen, was für ein gesundheitliches
Problem ich mir in Spanien eingebrockt hatte.
Ich ignorierte die aufkommenden Symtome und liess vorerst
Weihnachten und Neujahr vorübergehen. Im Jahr 1969
wollte ich dann weiter sehen, aber das gehört bereits in ein
anderes Teilstück.
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Ende 3. Teil
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Rolf Bahl
Teil 4
1.Januar 1969
bis
31.Dezember 1998
Autobiographie von Rolf Bahl
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391
Kapitelübersicht:
1. Neuanfang
5
2. Die Prüfung
8
3. Ende der Karriere 10
4. Der Scherbenhaufen 19
5. Parteigründung 26
6. Buch wird gedruckt 30
7. Der Kandidat 32
8. Die Heirat 35
9. Die Prüfung 38
10. Krank 41
11. Politik am Ende 44
12. Flug nach Manila 46
13. Die Parapsychologie 51
14. Fernstudium 54
391
392
15. Frankreichreise 58
16. Der Sohn 61
17. Hauskauf 66
18. Reise um die Welt 70
19. Reisebürogründung 80
20. Ein neues Haus 85
21. Das richtige Haus 89
22. Nochmal Philippinen94
23. Auf dem Kriegspfad 97
24. 50 Jahre alt 101
25. Genug von Kreuzfahrten 104
26. Fernost und China 106
27. Ägypten 110
28. Geschafft 112
29. Mein Flug nach Manila 114
30. Schockmeldung 116
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393
31. Ich soll wieder heiraten 118
32. Folgenschweres Inserat 120
33. Heirat in Las Vegas 122
34. Keine gemeinsamen Interessen 128
35. Die Luft ist draussen 128
36. Die Urahnen 130
37. Neue Pläne 132
38. Auf Brautschau 134
39. Zweite Heirat in Vegas 137
40. Nach dem Mauerfall 141
41. Nicht wie geplant 144
42. Die Katastrophe 146
43. Kampf gegen Windmühlen 148
44. Endlich eingetroffen 150
45. Vorzeitig pensioniert 154
46. Rentner in Thailand 157
393
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Kapitel 1
Neuanfang
Das Lotterleben war vorbei, nun galt es wieder Geld zu
verdienen! Das konnte man damals in der Schweiz sehr gut,
wer nichts finden konnte, musste assozial oder gestört sein.
Ich meldete mich zur Buchhalterprüfung im Frühjahr an,
obwohl ich die Vorbereitungskurse nur zur Hälfte absolviert
hatte, ich sandte die Prüfungsaufgaben der
Akademikergemeinschaft und erntete erstaulich gute Noten.
Besonders im Fach „Organisation der Buchhaltung“ erhielt
die Maximalnote! Darauf werde ich später noch
zurückkommen. Anfangs Januar machte ich mich auf die
Jobsuche in Zürich, ich holte dafür beim KV ein paar
Adressen und rief dann aus einer Telefonkabine an. Schon
bei der zweiten Firma blieb ich hängen, ich sagte, ich suchte
nur eine temporäre Stelle, aber ein Direktor Müller einer
Firma Bautreuhand, flehte mich buchstäblich an, doch
vorbei zu kommen, weil er sehr dringend einen
Chefbuchhalter suche, und das ginge auch in Ordnung, für
ein paar Monate! Die Geld spiele dabei keine Rolle.
Erst sagte ich recht arrogant ab, als dieser aber immer
verzweifelter wurde, hatte ich es mit dem Mitleid zu tun,
also ging ich hin an die Tödistrasse.
Der Müller überredete mich, obwohl ich ihm sagte, ich wäre
nicht „Bilanzsicher“. Das war nur zur Hälfte richtig,
theoretisch hatte ich alles studiert, aber in der Realität hatte
ich eben noch nie eine AG-Bilanz erstellt.
Sein Chefbuchhalter verliess die Firma in wenigen Tagen
und er konnte mich nur rudimentär einarbeiten, dieser hatte
die Stelle eines Finanzchefs einer grossen Steinzeugfabrik
übernommen. Mir war das Angebot etwas umheimlich, ich
sollte also einen solchen Chefposten übernehmen, wo ich
doch noch gar nie einen hatte! Aber ich war in Spanien an
394
395
viele neue Dinge herangkommen, die ich zuvor auch nicht in
Erwägung gezogen hätte, die sich dann aber als gar nicht so
schierig erwiesen, wie etwa der Unterricht in Englisch oder
Französisch, oder die Übersetzertätigkeiten.
Monatlich 2000.- Franken Lohn, das war damals eine sehr
gute Entschädigung, (im Mittel lag dieser damals bei 1200.bis 2000.-Franken), der Müller wollte sogar auf 3000.gehen, aber ich winkte ab, wusste ich doch gar nicht, ob ich
dem Job gewachsen war? Und ein Jahr zuvor verdiente ich
bei der Fa. Weddel noch um 1500.-monatlich.
Ich musste sogleich am nächsten Tag beginnen, machte alle
Tage die lange Reise von Ottoberg über Weinfelden nach
Zürich. Bis Weinfelden mit einem alten Kreidler Moped,
dann mit dem Schnellzug bis Zürich. Hatte ich bei der
Firma Weddel englische Verhältnisse angetroffen, waren es
hier ebenfalls seltsame Umstände. Die Buchhaltung war ein
totales Chaos, mein Vorgänger war der Sache nicht
gewachsen, seit drei Jahren wurde keine Bilanz mehr
erstellt! Sämtliche Wände waren gefüllt mit Umschlägen,
darin waren unverbuchte Belege und anderes Zeug
untergebracht, und jedes Mal sagte der Vorgänger:“Das
muss ich noch erledigen bevor ich gehe!“ Es waren nicht
einfach einige Pendenzen , sondern unzählige Belege!
Die Firma lief unter zwei Aktiengesellschaften, der Grund
dafür war mir schnell klar geworden, damit konnte man
Guthaben und Kredite vortäuschen! Die Banken hatten die
Kredite gesperrt, das Steueramt wurde ungemütlich, es war
Schlimm um die Firma bestellt, aber das störte den Müller
nicht. Mit der ganzen Belegschaft ging er ein paar Tage auf
das Rebengut in Döttingen. Ich blieb zurück, der Vorgänger
war weg, liess sich nie mehr blicken, er hinterliess mir einen
wahren Saustall. Mit der Buchhalterin und der Lehrtochter,
begann ich die Belege zu verbuchen, erstellte die Bilanz von
drei Jahre zuvor. Ich sass alleine im Büro, die andern waren
eine ganze Woche lang auf dem Weingut. Ich sagte:“Erst
muss die Buchhaltung nachgeführt werden, dann erst werde
ich mitkommen!“Da konnte der Müller nichts dagegen
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einwenden, ich liess ihnen aber auch meine Meinung wissen,
dass man so nicht eine Firma erfolgreich leiten könne! Da
war das Theater mit den Lohnausweisen, diese sollten falsch
Ausgestellt werden, damit die Angestellten weniger Steuern
entrichten sollten. Ich weigerte mich konsequent, falsche
Ausweise zu erstellen, hatte dadurch sämtliche Angestellten
gegen mich. Schliesslich war auch die Bilanz des Vorjahres
erstellt. Der Revisor, ein Freund des Müllers, segnete sie
kommentarlos ab. Dann ging ich an die Bilanz per Ende
1968, und es ergab sich ein Verlust von einer halben Million
Franken. Da das Aktienkapital nur 50.000.- Franken
ausmachte, sollte ich laut OR sogar das Konkursamt
benachrichtigen! Als ich das dem Müller meldete, wollte er
mich beinahe umbringen, was mir eigentlich einfalle, ein
Müller mache nie Konkurs, habe immer Geld, dabei nahm
er ein Bündel Banknoten aus seiner Rocktasche und legte sie
auf mein Pult. Der Müller war ein degradierter Hauptmann
der Schweizer Armee, weil er einem Deutschen die
Festungsanlagen zeigte, wurde er mit 6 Monaten Regensdorf
und der Degradierung bestraft. Dabei engagierte er gleich
noch seinen Wächter als Wohnungsvermieter und
Verwalter.
Müller erteilte mir folgenden Befehl:“Und ich befehle ihnen,
mir eine Bilanz mit 10.000.- Nettogewinn zu erstellen, dann
sind sie ein guter Buchhalter!“
Ich tat wie befohlen, als Generalunternehmung war es ein
Kinderspiel, im Bau befindliche Häuser höher als erlaubt zu
bewerten. Gegenbeweise konnte niemand erbringen, auch
nicht der Revisor oder das Steueramt.
Als Belohnung streckte er mir eine Banknote hin, und
sagte:“Ich habe gewusst, dass ich einen fähigen Buchhalter
habe!“
Mir war aber etwas unwohl dabei, obwohl Müller mir mit
Gehaltserhöhung und Prokura „drohte“ wollte ich nicht
bleiben. Ich meldete mich als Geschäftsleiter und Chef der
Finanzen nach Liberia, genauer nach Tapitan im Urwald,
die Firma hiess MIM TIMBER LTD. LONDON. Dort sollte
396
397
ich 5 Europär und 200 Schwarze führen. Das Gehalt liess ich
sehen und ich erhielt den Job ohne grosse Schwierigkeiten,
ein Verbindungsmann in Dübendorf, war für den
Anstellungsvertrag zuständig. Was mich etwas störte, war
die Tatsache, dass dort kaum einer länger als sechs Monate
aushielt! Die Abreise war bereits festgesetzt, (Mai 69) und
ich wollte zuvor noch die eidgenössische Buhhalterprüfung
in Zürich ablegen.
Ich vermutete aber, dass ich ein Magen- oder
Darmgeschwür hatte, und der Arzt, der mir die Impfungen
für die Tropen verpasste, machte seltsame Bemerkungen.
Ich erhielt den militärischen Urlaub auf unbestimmte Zeit,
deponierte die Ausrüstung im Zeughaus, kündigte meine
Krankenkasse, und wollte Ende April bei der Bautreuhand
aufhören.
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Kapitel 2
Die Prüfung
Ich hatte seit 1965 zahlreiche Weiterbildungskurse in Form
von Abend- und Fernkursen in Richtung Rechnungswesen
und im Hinblick auf die eidgenössische Buhhalterprüfung
gemacht. Ein solches Diplom versprach damals einen
Superlohn und mindestens den Prokuristen Titel. Ich
erinnerte mich, mit welch grossem Respekt mein Vater
jeweils vom Prokuristen im Geschäft sprach, als wäre der
ein Halbgott! Immerhin hatte ich bereits drei Positionen
inne, bei welchen ich in einem Jahr diesen Titel schriftlich
zuerkannt bekam, sollte ich nicht kündigen. Einmal in Genf
bei der Privatbank, dann bei der Foreign Commerce Bank
in Zürich, und schliesslich bei der dubiosen Bautreuhand an
der Tödistrasse. Nein, ich hatte mehr vor, Direktor oder
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398
noch besser Generaldirektor, und nun war ich zumindest
dem Ziel eines Direktors sehr nahe gekommen, wenn auch
nur in Afrika! In der Freizeit traf ich mich mit meinen
ehemaligen Kollegen von der Swissair, wir trafen uns oft im
Niederdorf. Aber noch mehr vermisste ich Spanien, deshalb
klopfte ich vorerst einmal alle spanischen Lokale in der
Stadt ab. Es blieb nur ein Lokal übrig, das mich fesselte, die
„Bodega“ im Niederdorf. Dort verkehrten die Alternativen
und Studenten von Zürich. Aber selbst RAF Terroristen traf
ich dort an, oder Schriftsteller, wie den Max Frisch, nur
erkannte ich ihn erst Jahrzehnte später, in einer TAGI
Magazinausgabe. Ich hielt ihn einfach für einen
„Chlochard“, der gerne ein Glas Rotwein trank und die
Szene beobachtete, er hatte meistens einen Regenmantel
über und einen langen grauen Schal um den Hals
geschlungen. Mehr als „Salü“ sprach ich nie mit ihm, was
ich später sehr bedauerte. Die Stimmung war revolutionär
und faszinierend. Nirgends fühlte ich mich wohler als dort.
Theoretisch hatte ich vier Jahre Buchhaltung studiert, aber
genauer waren es wohl nur 2 bis 3 Jahre. Die Prüfung war
im April, und sie dauerte ganze drei Tage. Ich war denkbar
schlecht vorbereitet, einmal nahm mich der Job bei der
Bautreuhand voll in Anspruch, dazu kam die lange Anreise
aus dem Thurgau, aber noch schlimmer war das Geschwür,
das mich 24 Stunden lang quälte! Ich schlug mich die drei
Tage mit Schmerzen durch die Prüfung, nutzte jede
Sekunde aus, bis die Experten die Unterlagen einsammelten.
Ich kapierte nicht alle Fragen, gab einfach eine logische
Antwort darauf. Aber ich hatte den Eindruck, durch die
Prüfung gefallen zu sein.
Im mathematischen Bereich musste ich sogar zu eigenen
Methoden finden, weil ich die Formeln vergessen hatte oder
gar nie erlernte. Einige Tage danach kam ich zur
mündlichen Prüfung erneut in die „Kaufleute“.
Ich war mehr krank als gesund, das Geschwür wurde fast
unerträglich und raubte mir auch noch den verdienten
Schlaf!
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Die mündlichen Prüfungen gelten allgemein als relativ leicht
und es fallen da auch nie Kandidaten durch!
Ich trank einen ganzen Liter Riojawein vor der Prüfung,
um die Schmerzen zu lindern, nach einem alten
Bauernrezept, wonach Alkohol immer wirkt!
Und wie der Wein wirkte! Im Fach „Organisation der
Buchhaltung“ da hatte ich bei der Akad immer nur die
Maximalnote erhalten, stellten die Herren Experten
folgende Fragen:“Also, sie haben fünftausend Debitoren und
zweitausend Kreditoren, (das habe ich nie vergessen), wie
organisieren sie die Buchhaltung?“ Ich sagte sogleich:“Erst
einmal schaue ich die alte Buchhaltung an, dann prüfe ich,
was ich verbessern kann“. Da sagen die doch:“Aber es gibt
zuvor keine Buchhaltung!“ Ich werde giftig und
antworte:“Das ist doch gar nicht möglich, woher kommen
dann diese vielen Debitoren und Kreditoren, da waren doch
bereits seit langer Zeit Bewegungen vorhanden!“
Jetzt kommen die Experten unter Zugszwang, damit hatten
sie nicht gerechnet, sie schauen sich gegenseitig an und
kriegen rote Köpfe. Sie brechen ab und stellen andere
Fragen, diese kann ich problemlos beantworten, aber es ist
ihnen nicht geheuer, nach wenigen Minuten kann ich gehen.
Die wollen nicht mehr mit mir sprechen und haben immer
noch rote Köpfe! Ich weiss auch, was das für mich bedeuten
wird, aber ich denke immer noch, ich hätte die schriftliche
Prüfung nicht bestanden. Somit spielte dieses Intermezzo
keine Rolle, den Stoff hatte ich erlernt und nun ging es auf
nach Afrika und dort konnte die Karriere weiter gehen.
§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§
Kapitel 3
Ende der Karriere!
Bruder Ernst war nun ausgelernt und ich musste mich nicht
mehr um ihn kümmern. Er trieb sich in Zürich mit den
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verlausten Hippies herum, rauchte Joints, die er angeblich
in Marokko auf dem Landweg holte. Dabei sagte er mir
einmal, als er mit einem anderen Hippie aus der Schweiz auf
dem Schiff von Algeciras nach Tanger fuhr, habe er gehört,
wie normal gekleidete junge Leute zueinander
sagten:“Schaut mal diese zwei dreckigen und verlausten
Schweine da neben uns!“ Sie hätten so getan, als würden sie
die Sprache nicht verstehen, die andern konnten ja auch
nicht wissen, dass sie ebenfalls Landsleute waren!
Ich sagte ihm, dass sie sich dieses Urteil selber eingebrockt
hätten und demnach Empörung nicht angebracht war. Aber
Ernst empfand es anders, er sei psychisch dabei sehr verletzt
worden von diesen Kommentaren!
Nun ja, wir waren uns da sowieso nie einig, einerseits
begrüsste ich neue Lebensformen, Versuche nach
Alternativen etc., andererseits konnte ich mich mit der
Hippie Philosophie nie so richtig anfreunden!
Ihre Ansichten waren noch widersprüchlicher als die
Religionen oder der Marxismus.
Die Stelle bei der Bautreuhand hatte ich auf April
gekündigt, aber der Nachfolger war noch nicht Einsatzfähig,
darum arbeitete ich noch stundenweise während der
Prüfung weiter.
Kurz nach der Prüfung traf ich mich wieder mit meinen ExSwissair-Leuten im Niederdorf. Ich glaube der Schuppen
hiess „Schlüssel?“, wir tranken ausgiebig Bier und mein
Geschwür quälte mich nur noch bedingt, je mehr Bier ich
genoss, umso komischer wurde mein Magen. Den letzten
Zug nach Weinfelden verpasste ich, also schlief ich, wie
schon so oft, im Hotel „Hirschen“ im Niederdorf, dieses
Hotel hatte immer freie Zimmer und war sehr billig.
Etwa um 4 Uhr morgens erwachte ich und mir war
hundeübel, ich schleppte mich auf die Toilette, dort musste
ich mich übergeben, und das war nicht einfach eine
Kotzerei im Rausch!
Nein, die ganze Toilette war voller Blut!
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Und ich konnte mich kaum noch bewegen, fühlte mich
himmeltraurig und völlig am Ende!
Immerhin, das Geschwür schmerzte nicht mehr!
Ich vermutete richtig, dass es geplatzt sein musste.
Ich kroch zurück ins Bett und versuchte weiter zu schlafen,
aber es war eher ein halb bewusstloser Zustand!
Um 7 Uhr begann ich das Blut im Toilettenraum zu
beseitigen, zog die Kleider über und lief total geschwächt
zum Bahnhof. Dort traf ich den Freddy, ich glaube, wir
hatten um 8 Uhr abgemacht, es sollte eine
Morgenwanderung dem Fluss entlang sein. Aber ich musste
absagen, wollte mit dem nächsten Zug nach Weinfelden
fahren, Freddy wünschte mir gute Besserung und ich sagte
ihm spasseshalber:“sollte es mich ins Jenseits befördern,
kannst Du mein rostiges Velo erben!“. Wie immer lachte er
und ich danach auch. Aber das Angebot war nicht ganz
scherzhaft gemeint, ich fühlte, dass da noch grössere
Probleme auf mich zukamen. Im Zug wagte ich mich nicht
ins Abteil, sondern blieb draussen neben der Toilette sitzen.
Ich fühlte mich speiübel!
Endlich in Weinfelden angekommen, holte ich mein Farrad,
aber ich konnte nicht aufsteigen, somit schob ich es bis nach
Ottoberg hinauf, schwankend wie ein stockbesoffener Mann.
Immer wieder musste ich eine Pause einschalten, dann
wieder mit letzter Kraft weiter torkeln.
Als ich in Ottoberg eintraf, war ich am Ende meiner Kräfte,
Mutter war übers Wochennende bei einem Unternehmer
mit Namen OTT, in der Gegend von Strohwilen. Sie
besorgte dort den Haushalt.
Ich ging sogleich ins Bett, trank aber zuvor noch einen
halben Litter „Appenzeller Bitter“, nach altem Rezept, half
das in allen Fällen! Die Flasche leerte ich dann noch ganz, in
der Hoffnung, diese Rosskur müsse mich wieder auf Trab
bringen! Die Nacht auf den Sonntag schlief mehr oder
weniger gut durch, zwei Flaschen „Appenzeller! Sollten
mich kurrieren, Volksmedizin! Aber es wurde nur noch
schlimmer, und die Nacht vom Sonntag auf den Montag
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402
wurde zur schlimmsten Nacht, die ich je durchmachte,
jede Stunde oder gar halbe Stunde, musste ich auf die
Toilette, die sich draussen auf dem Holzbalkon befand,
ein Bauern WC.
Ich weiss nicht mehr wann am Vorabend die Story begann,
ich kroch die ca. 20 Meter Strecke zur Toilette, verlor dabei
unerwegs das Bewusstsein, wachte wieder auf und kroch
weiter, kotzte unaufhaltsam Blut, das Bett war schon völlig
durchnässt, weil das Blut auch unten wegfloss, ja, selbst aus
den Ohren, glaubte ich festzustellen?
Aber ich schaffte es immer wieder, trotz vielleicht fünf und
mehr Bewusstseinsverlusten, das Bett zu erreichen.
Mir wurde klar, dass dies mein Ende war!
Mutter kam erst am Montag zurück, da war ich sicher
bereits tot!
Wenn ich das Bewusstsein erlangte, (nur wenn ich ganz
flach lag), konnte ich einigermassen klar denken. Was tun?
Ein Telefon gab es nicht, aufstehen konnte ich auch nicht
mehr, weil ich sogleich das Bewusstsein verlor. Unten lebte
der Simon Nussbaum, der Hausmeister und Sattler, ich
wusste, dass , wenn ich ganz stark auf den Boden klopfe, er
vermutlich hinauf kommen würde um nachzuschauen, was
los ist!
Ich wollte noch bis etwa 6.30 warten, dann wollte ich mit der
leeren Flasche auf den Holzboden klopfen. Und siehe da, es
klappte, der Simon, mit dem ich „per Du“ war, kam und
erschreckte fast zu tode. Ich fragte leise:“kannst Du den
Arzt anrufen?“, er ging wortlos nach unten und schon nach
etwa 20 Minuten kam Dr. Gartmann, der mich auch von
früher her kannte.
Eigentlich mein Hausarzt, aber ich ging nur in dringenden
Fällen zu ihm. Dieser erschrack ebenfalls, ich lag ja in einer
Blutlache und war voller Blut im Gesicht!
„Da kann ich nichts mehr machen“, war sein Kommentar,
ich rufe das Spital Frauenfeld an.
Erstaunlich schnell war der Krankenwagen da, es sind
immerhin über Weinfelden an die 20 Kilometer.
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403
Ich wurde in ein weisses Tuch gewickelt und ins
Sanitätsauto verfrachtet. Der Mann in weiss schaute mich
besorgt an, aber ich war bei bester Laune, machte Witze
über Leben und Tod, er musste das Lachen unterdrücken,
er getraute sich angesichts meiner Situation nicht einmal zu
grinsen.
Schliesslich erreichten wir das Kantonsspital Frauenfeld.
Ein ganzes Detachement maskierter Leute wartete auf mich,
ein langer, dünner Arzt, um ihn herum etwa fünf Helfer.
Ich schaute sie nur teilnahmslos an. „Den können wir nicht
operieren, der hat ja kein Blut mehr!“ hörte ich den Oberen
sagen.
Ich wurde ins Intensivzimmer gelegt, dort war ich allein,
erst einmal wurde mir Eis aufgelegt, damit die Blutung zum
Stillstand komme, aber die war wohl schon vorher
gekommen, denn ich war ausgeblutet, auf der Fahrt sah ich,
dass meine Finger und die Hände grünlich gelb waren. Also
Blutleer, und auch mein Gehirn war wohl leer, ich musste
ganz flach bleiben, um nicht das Bewusstsein zu verlieren.
Aber ich blieb die ganze Nacht hellwach, allein im Zimmer,
etwa jede Viertelstunde kam eine Oberschwester um
nachzusehen, ob ich noch atme, dabei fragte sie jedes Mal
wies mir gehe? Weil sie sah, dass ich wach war, und ständig
die weisse Decke anstarrte. Ich wollte ihr antworten:“den
Umständen entsprechend gut“. Aber ich brachte nicht
einmal die Lippen in Bewegung! Kein Wort kam heraus!
Und als sie frühmorgens wieder fragte, sagte sie plötzlich:
Eine dumme Frage, ich kanns ja sehen!“Mir war eigentlich
alles egal, der Lebenswille war gänzlich verschwunden, ich
hatte weder Zeichen von Angst noch sonstwelche Bedenken,
was nun mit mir geschehen wird. Nachdenken war zu
mühsam geworden, ich schwebte in einer Art von
Wachtraumzustand. Dass ich in gut 10 Tagen hätte nach
Afrika verreisen sollen, war kein Thema mehr, weil ich gar
kein Thema mehr hatte. Ich befand mich in einem Vakuum
zwischen Leben und Tod, wegen dem Blutverlust war aber
der Lebenswille völlig weg, es war gleichgültig, ob ich die
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404
nächste Nacht im Zimmer oder unten im Keller im
Totenraum verbringen würde.
Während des ersten Tages, bemühten sich einige
Krankenschwestern mich von der Blutkruste zu befreien,
die mich vom Kopf bis zu den Füssen bedeckte, ich liess es
passiv über mich ergehen, was sonst sollte ich tun? Es war
eine ganz ordentliche Arbeit und sie erinnerte mich an das
Schlachten der Schweine in Frankreich. Die Schwestern
hatten Humor und lachten viel, sie nannten mich den
Blutpatienten oder ähnlich. Dann wurde mit Blutinfusionen
begonnen, während 24 Stunden ohne Unterbruch und das
etwa drei Wochen lang! Dann kam der Oberarzt, Dr. G.
mit glänzenden Augen und sadistischem Lächeln, liess er
mich fast jeden zweiten wissen, dass er mir ein Drittel oder
bis zur Hälfte des Magens abschneiden werde, aber das
könne er erst dann vornehmen, wenn ich wieder genug Blut
im Körper habe.
Erstmals regte sich in mir wieder sowas wie Widerstand.
Seine Art gefiehl mir gar nicht, es schien, als könne er es
kaum erwarten, mir den Magen wegzuschneiden! Aus Bern
kam ein Spezialist, dieser sollte mich durchleuchten und
genau feststellen, wo das Loch war. Ich konnte nicht gehen,
weil zu schwach, also stiess mich eine Oberschwester im
Rollstuhl in den kalten Keller hinunter, an meiner linken
Seite die Flasche und der Schlauch für die Blutübertragung.
Der Spezialarzt entsprach eher einem Folterknecht in einem
Nazi-KZ. Die Schwester entfernte die Nadel aus der Kanüle,
weil dies für die Untersuchung nötig schien.
Ich wurde dann an die Wand des Gerätes gebracht, weil ich
aber nicht aufrecht stehen konnte, fluchte der Spezialist auf
mich los, die Schwester war verschwunden, erst leerte er mir
etwa zwei Liter weisse Flüssigkeit den Hals hinunter, ich
erstickte nahezu dabei. Dann schoss er mit den unsaftesten
Schimpfwörter auf mich, das klang etwas so:“Dummer Kerl,
stehen sie einmal grade!“ Ich war aber immer noch zu
schwach, um überhaupt sprechen zu können. Der Unhold
liess mich dann einfach im Kellergang im Rollstuhl allein.
404
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Ich fror natürlich, und weiss heute nicht mehr, wie lange ich
dort warten musste, bis die Oberschwester mich abholte.
Sie entschuldigte sich, sie habe mich ganz einfach vergessen.
Als sie die Nadel wieder in die Kanüle stiess, sagte sie
lachend:“Oh, das kann aber tödlich werden, das Blut in der
Kanüle ist eingetrocknet, ich glaube, wenn nun diese
Brocken in den Kreislauf gelangen, könnte das eine Embolie
verursachen!“ Ich lachte mit, bis ich realisierte, dass es da
um mein Leben ging!“ Nach ein Paar Tagen kam ein
kleinerer Mann um die 30 bis 35 in mein Zimmer, er stellte
sich als polnischer Assistenzarzt vor.
Er kam sogleich zum Wesentlichen, er sagte:“wissen sie, wir
in Polen versuchen es immer zuerst mit natürlichen Mitteln,
diese Schnetzeleien finde ich nicht gut!“ Dann fuhr er fort:
„wenn sie wollen, können wir zusammen so eine Kur
durchführen, ich benötige einfach nur ihr Einverständnis,
dann darf sie der Oberarzt nicht aufschneiden!“
Ich hatte sogleich Vertrauen zu diesem relativ jungen Arzt
und sagte zu. Er fügte noch hinzu, dass die Kur recht
unangenehm sein könnte, Schleimbrühen, Milch, Tabletten
etc. , also genau das, was ich nicht schlucken mochte! Aber
ich war entschlossen, und im Gegensatz zu diesem Oberarzt,
traute ich dem Polenarzt! Ich war plötzlich sicher, dass der
Versuch gelingen wird und hatte keinerlei Zweifel daran.
Die Kur begann schon am gleichen Tag, weil jeder Tag
zählte, das grausige Zeug zu schlucken war gar kein
Problem, wenn der Wille da ist, kann man sehr viel machen.
Mit jedem Beutel Frischblut wurde auch mein Lebenswille
wieder aktiviert. Voraussetzung, dass keine Operation
stattfand, war auch, dass die Wunde nicht mehr blutete,
ich hatte tagelang Zeit, mich darauf zu konzentrieren, ich
visulialisierte, wie sich die Wunde schloss und das Blut nicht
mehr in die Eingeweide ausfloss. Auch das funktionierte
bestens. Den Oberarzt hatte ich praktisch weg von mir, mit
der Rückkehr meiner Lebenskräfte, wurde auch meine
Abneigung auf ihn immer grösser, und ich denke, er konnte
das aus meinen Augen erkennen. Der Pole kam mehrmals
405
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täglich um nach dem Befund zu fragen, und ihm sagte ich
sehr gerne, dass es von Tag zu Tag besser gehe. Für mich
war er so etwas wie ein Freund oder Kollege, und er benahm
sich auch so. Frühmorgens, so um 6 Uhr, kamen immer die
beiden Schwestern zur Fieber und Blutkontrolle. Die hatten
vermutlich ein Veterinärinnnenstudium hinter sich?
Ohne zu grüssen kamen sie ins Zimmer, eine ergriff meinen
Arm und stiess eine Nadel hinein, die plauderten zusammen,
als gäbe es mich gar nicht.
Das beanstandete ich dann und klagte, also dass sie mich
nicht grüssten und wie einen Hund behandelten, das ginge ja
noch, aber bitte, nicht um 6 Uhr früh, jedes Mal weckten sie
mich unsaft auf, dabei sei es Befehl, ich müsse möglichst viel
Schlaf haben!
Die Einsprache hatte den erwünschten Erfolg, sowohl
bezüglich Zeit wie auch Anstand. Es wurde zu ihrer
Entschuldigung gesagt, sie hätten gedacht, ich sei doch gar
nicht bei Bewusstsein, hätte lediglich die Augen offen.
Am Morgen schoben die Schwestern immer einen Rollwagen
mit allerlei Schleimzeug, Milch etc. ins Zimmer, diese Brühe
leerte ich regungslos hinunter. Mir fiel aber auf, dass die
Brühe und die angebliche Milch immer mit einer braunen
Schicht bedeckt war, ich dachte an Zimt, den man zur
Versüssung darüber streute. Aber es war echt seltsam,
das ganze war überhaupt nicht süss! Vorerst machte ich mir
keine Gedanken mehr darüber, bis ich dann, so gegen Ende
der dritten Woche, wieder selbstständig auf die Toilette
draussen im Korridor gehen konnte.
Da traf mich ein kleiner Schock, das heisst gleich zwei,
einmal die uralten Greisinnen die da wie Skelette durch den
Gang schlichen, dann aber ganz besonders, der Rolltisch
neben meinem Zimmer! Somit war das Zeug bereits am
Vorabend bereitgestellt worden, aber da war keine braune
Schicht zu sehen!
Ich schaute an die Decke dieses uralten Spitals, das wenig
später abgebrochen werden sollte. Die ganze Decke war mit
Spinnennetzen bedeckt, und die Spinnen rannten munter
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hin und her. Dadurch streuten sie Kot auf mein
„Frühstück“, bis am morgen war dann diese schöne Schicht
entstanden! Das erinnerte mich an einen Spruch meiner
Mutter die sagte:“Dreck macht feisst, wers nicht weiss!“
Und ich konnte das dann noch ergänzen mit:“Dreck heilt
auch so noch gut!“ Ich befand mich schon wieder
weitgehend bei den lebenden Menschen, deshalb setzte es
dann eine grosse Schelte ab, fortan erhielt ich das Zeug ohne
„Zimtschicht“. Ich fragte sie, ob sie mich mit diesem Kot
noch ganz umbringen wollten!
Der erste Mensch, der mich besuchte war der Pfarrer
Michel aus Märstetten, er hatte gehört, dass ich am ableben
war, und wollte mir noch das letzte Geleit geben. Dann kam
meine Mutter, die gar nicht so recht wusste, was mit mir los
war? Danach kamen noch der Freddy Zwicky und der
Reutimann, beides ehemalige Swissair Kollegen. Auch sie
hatten auf Umwegen erfahren, wo ich mich aufhielt.
Hingegen war von meinem Bruder Ernst weit und breit
keine Spur zu sehen, was mich auch nicht erstaunte. Er
suchte mich zeitlebends nur dann auf, wenn er Geld
brauchte, sonst sah er dafür keinerlei Bedarf. Als er mit 52
starb, blieb ich daher an der Beerdigung sehr emotionslos.
Etwa in der dritten Woche wurde ein junger Mann
eingeliefert, zuvor war ich allein im Zimmer, der Mann, der
ihn brachte war derselbe, der mich drei Wochen zuvor in
Ottoberg abgeholt hatte, als er mich erblickte sagte er
spontan:“Sie kommen mir irgendwie bekannt vor“. Ich
lachte und sagte es ihm, da rief er ganz erstaunt aus:“Was,
Sie leben noch, nie zuvor habe ich von einem einzelnen
Menschen soviel Blut gesehen!“
Nach einem Monat wurde ich aus dem Spital entlassen, der
Oberarzt bemerkte noch, dass, wenn ich eine Krankenkasse
gehabt hätte, (diese hatte ich ja eine Woche zuvor
aufgekündigt) man mir noch etwa drei Monate
Erholungskur verschreiben würde. So aber, solle ich einfach
langsam wieder ins normale Leben gleiten, meine Stelle in
Afrika könne ich vergessen, weil ich mindestens noch
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während zwei Jahren zu einer Schonkost verpflichetet sei,
dort im Dschungel, würde ich in sehr kurzer Zeit bei den
Engeln landen, meinte der Ober auf seine stets sarkastisch
witzige Art.
Ich wurde ohne Tasche eingeliefert, und verliess demnach
das Spital auch wieder ohne irgend etwas.
Ich fühlte mich noch sehr unsicher beim gehen, solange ich
mich vorwärts bewegte, konnte ich das Gleichgewicht
behalten, sobald ich aber stillstand, musste ich mich an eine
Wand lehnen um nicht umzufallen. Irgendwie traf ich
wieder in Ottoberg ein, wie, das habe ich vergessen.
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Kapitel 4
Der
Scherbenhaufen
Ich stand wieder einmal vor dem Nichts, nicht das erste Mal
im Leben. Nachdem mir bewusst wurde, dass ich knapp
überlebte und wieder in den Lebenskampf treten musste,
begann ich Bilanz zu ziehen. Und diese sah nicht sehr
vielversprechend aus.
Einmal war da noch eine Rechnung für einen einmonatigen
Spitalaufenthalt fällig, und ich hatte kaum noch Geld und
keine Krankenversicherung!
Dann die Stelle in Liberia, ich musste unbedingt den
Agenten finden und ihm absagen.
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Und von der eidg. Buchhalterprüfung erhielt ich die
Resultate, und das Verrückteste war, ich hatte die
schriftliche Prüfung bestanden, hingegen die mündliche
in jenem Fach, indem ich mich mit den Experten stritt, eben
nicht!
Und ich hatte keinen Job mehr, aber das Allerschlimmste
war, ich musste meine berufliche Karriere begraben!
Jetzt, da ich vor dem grossen Sprung nach vorne war,
ausgerechnet jetzt!
Ich tröstete mich damit, dass ich ja schliesslich noch mich
hatte und dass ich wieder am Leben war, einen Monat
zuvor, war ich am Rande und es fehlte nur sehr wenig um
ins Jenseits befördert zu werden..
Meine Penpal-Freundin Delia wunderte sich auch, weshalb
plötzlich absolute Funkstille herrschte, sie dachte schon, ich
hätte eine andere geheiratet und wollte ins Kloster gehen.
Aber so hoffnungslos wies ausschaute, war es gar nicht!
Fürs Spital musste ich einen Pauschalbetrag von 500.Franken zahlen, wie war das möglich? Anscheinend gab es
da noch kluge Leute im Spital, es war bekannt, dass ich
mich in einer „verschissenen“ Situation befand, ich erinnere
mich, dass ich meinen Heimatort mit Wattenwil BE, deutlich
ansagte. Auf der Spitalrechnung stand aber :“Bürger von
Mattwil TG“, und für Thurgauerbürger übernahm der
Kanton die Kosten, (Kantonsspital) ich musste nur einen
kleinen Anteil leisten!
Sodann zahlte mir die Firma Bautreuhand den vollen Lohn,
auch wenn ich bereits nicht mehr für sie arbeitete, sozusagen
aus Solidarität!
Endlich konnte ich auch den Agenten finden, der hielt mir
eine ganz ordentliche Strafpredigt, weshalb ich
untergetaucht sei und ihn nicht informiert habe? Ich
entschuldigte mich, und erwähnte, dass ich in meiner Lage
ihn unmöglich habe informieren können! Er verstand
halbwegs und wir sahen uns niemehr, damit war auch dieses
Kapitel abgeschlossen.
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Etwas weniger Glück hatte ich mit der Prüfung, das heisst
mit dem Rekurs, diesen verpasste ich nur um wenige Tage,
ich sprach beim Sekretariat des KV Zürich vor und erklärte
den Fall. Man zeigte grosses Verständnis für mein Pech,
der Sachbearbeiter hielt fest, dass selbst mein
Spitalaufenthalt die Rekursfrist leider nicht erstrecken
könne. Er erwähnte aber auch, dass ich mit
hundertprozentiger Garantie zu meinem Recht gekommen
wäre, denn die Experten dürften sowas nicht tun! Und mein
Fall sei ihnen auch seltsam aufgefallen, weil noch gar nie
jemand in der mündlichen Prüfung durchgefallen sei, als ich
dann noch erwähnte, dass es sich um mein stärktes Fach
handelte, ich hatte bei der „Akad“ immer die Maximalnote
erhalten, sagte er, allein schon mit diesem nachweis hätte ich
Gehör gefunden! Damit war auch die zweite
Karrieremöglichkeit in die Brüche gegangen, ein eidg. Dipl.
Buchhalter, zählte damals zu den höchstbezahlten
Kaufleuten in der Schweiz. Manche wurden in grossen
Firmen Finazdirektoren, etc. Immerhin hatte ich das
theoretische Wissen, nur nützte das bei einer
Stellenbewerbung recht wenig, wer wollte schon einen
anstellen, der bei der mündlichen Prüfung versagte? Dafür
konnte ich es dann später für unser Reisebüro gut
gebrauchen. Ich konnte sowohl die Steuerbuchhaltung einer
Einzelfirma, einer GmbH wie auch einer Aktiengesellschaft
ohne fremde Hilfe erstellen, diese selber gründen und auch
wieder löschen. Als einmal die AHV Revisoren
vorbeischauten, hatte ich alles sogut vorbereitet, dass sie
nichts zu beanstanden hatten. Ich hatte aber aus meiner
Praxis bei der Bautreuhand und mit dem lanjährigen
Studium, auch das „Know How“, wie man das optimale aus
der Firma erzielen konnte. Die Firma musste als Beispiel
unsere Studienreisen in alle Welt hinaus zahlen, das war bei
der grossen Fernostreise immerhin ein Betrag von rund
30.000.- Franken, und da auch unser Sohn die Lehre in
unserem Büro absolvierte, konnte ich das gegenüber den
Steuern gut vertreten, wobei diese aber gar nie soweit
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kamen. Man musste einfach Fakten und Beweise haben, und
diese hatte ich immer bereit. So gesehen, war mein ganzes
Studium nicht umsonst gewesen. Weil ich aber grundsätzlich
fast von vorn beginnen musste, entschloss ich mich, die
mündliche Prüfung nicht mehr nachzuholen und es dabei zu
lassen. Der Arbeitgeber meiner Mutter verfügte über einen
grossen Mercedes, diesen lehnte er mir unentgeltlich zum
selber fahren aus. Es gab aber noch weitere Aufhellungen
am Horizont, der „Generalanzeiger Ostschweiz“, eine
Gratiszeitung in alle Haushalte, begann mein Buch „Einmal
die Ferne sehen“ in Fortsetzungen zu veröffentlichen, dafür
zahlten sie mir das „enorme“ Honorar von Fr. 250.-, und
weil ich im Buch an einer Stelle schrieb, dass ich blinde
Maschinengewehrmunition der Schweizer Armee mit auf
meine Reisen nahm, veröffentlichte ich die Fortsetzung
unter dem Namen R.B. von Wattenwil. Also die Initialen
meines Namens und noch mein damaliger Heimatort bei
Thun. Niemand kam auf den Gedanken, dass das von mir
war. Ich stellte aber fest, dass zB im Dorf Ottoberg, alle
Leute den Fortsetzungsbericht mit viel Interesse lasen. Eines
Tages sprach mich der Simon Nussbaum an, unser
Hausmeister, er fragte mich, ob ich diese
Abenteuergeschichten auch lese, dieser Kerl habe noch mehr
erlebt als ich. Ich musste gezwungenermassen laut lachen,
da gestand ich ihm, dass ich derjenige bin. Der Simon
schaute mich mit seltsamen Augen an, argumentierte dann,
aber ich hiesse doch nicht „Von Wattenwil“ . Da sagte ich
ihm:“Du bist doch auch Bürger von Wattenwil wie ich, also
schau her, R. ist mein Vorname, B. mein Name, und
schliesslich ist Wattenwil mein Bürgerort.“ Da kullerten ihm
nahezu die Augen aus dem Kopf. Und am Abend wusste es
das ganze Dorf, es war an der Zeit zu verschwinden!
Ich arbeitete wieder bei der Bautreuhand, weil mein
Nachfolger noch nicht loslegen konnte, mir konnte es nur
recht sein und der Firma war es sogar mehr als recht.
Wir schrieben Juni 1969, ich erholte mich immer noch von
der Krankheit, statt täglich nach Ottoberg zu pilgern,
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mietete ich mir gleich am Arbeitsort ein Zimmer, im
Restaurant Tödi, an der Tödistrasse. Ich konnte noch bis
Ende Juli bei der BT arbeiten, dann kam der Nachfolger.
Vom Oberarzt hatte ich den Befehl erhalten, keinen
stressigen Job auszuüben, das war gar nicht so einfach,
einen nicht stressigen Job zu finden! Mit dem Essen hatte
ich auch meine liebe Mühe, keine treibenden Lebensmittel,
kein Kaffee, kein Schwarztee und vieles mehr, ich hatte eine
lange Liste von verbotenen Lebensmitteln.
Im Büro konsultierte ich die Tageszeitungen auf
Arbeitsangebote hin, und ich kam mir vor wie ein
Rennpferd, das nur noch im Sandkasten herumturnen darf.
Alle die guten Kaderstellen galten als unegeignet, ich hatte
mich aber noch lange nicht damit abgefunden, einfach eine
Stelle anzunehmen, die wenig Anforderungen an mich
stellte, wozu sonst, hatte ich im Lauf der Jahre diverse
Diplome und Berufsabschlüsse gemacht, nur um dann
kläglich auf die berufliche Karriere zu verzichten?
Da las ich eines Tages u.a. in der NZZ von einer Stelle ganz
in der Nähe an der Dreikönigsstrasse, da wurde ein
„Allroundkaufmann“ gesucht, Sprachen: Deutsch,
Französisch, Englisch und wenn möglich Spanisch.
Mit einer sehr guten Allgemeinbildung,
Auslanderfahrungen, etc. für die Auskunfterteilung über die
Schweizer Exportproduktion, etc.
Das schlug bei mir sofort ein, aber was war das für eine
Firma? Da stand OSEC und SZH, keine Ahnung was das
sein konnte!
Ich sandte einmal meine Bewerbung an diese mir
unbekannte Firma.
Und schon rief mich die Sekretärin an, man sei sehr an
meiner Person interessiert, wann ich vorbeikommen
könnte? Das ging aber schnell! Ich hatte es gar nicht eilig,
Stellen gab es haufenweise, ob da etwas faul war, dass die es
so eilig hatten? Ich traf den Vizedirektor über die
Mittagspause, ich sagte, ich hätte nur dann Zeit, was nicht
zutraf. An der Dreikönigsstrasse 8, trat ich in ein
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beamtenähnliches Gebäude, alles war wie in
Bundesbetrieben nüchtern gehalten, kalt und eher
unfreundlich. Der Vizedirektor, ein Herr A. Laube, trug
einen beigen Beamtenkittel, er klärte mich auf, was das für
ein Betrieb ist, also „SZH“ war die deutschsprachige
Version „Schweizerische Zentrale für Handelsförderung“
und „OSEC“ war die französische Version „Office Suisse
d`Expansion Commerciale“, richtig beeindruckend, und ich
hatte noch nie davon gehört.
Die Stelle war im Nachweisdienst der Schweizer Produktion
offen, Herr Laube führte mich zum Abteilungsleiter, ein
Herr Gross, der aber eher klein war! Sein erster Satz war,
dass er sieben Sprachen beherrsche, dann fragte er mich
wieviele ich könne, ich sagte ihm, dass ich mir daraus nicht
viel mache. Er betonte dann, das wäre eben sein Hobby, da
wusste ich eigentlich schon, mit was für einem
Menschenschlag ich es dann zu tun hatte. Ich machte zur
Bedingung, dass man mir eine Sekretärin zur Verfügung
stelle. Der Gross aber schwafelte da etwas von Kartein, die
man selber schreiben müsse, also ging ich mit ihm zum
Laube und als der Gross wie ein Köter hinter mir
hereinschlich, merkte ich gleich, wer da das Sagen hatte, ich
sagte dem Laube: „der da sagt mir, ich müsste Karteien
schreiben, wir haben aber etwas anderes abgemacht!“ Der
Laube sagte umgehend:“Was wir abgemacht haben gilt!“
Gut, das war ein Wort und ich wollte dann noch eine ganze
Woche Bedenkzeit, genau am Mittwoch um 12 Uhr mittags
würde ich Bescheid geben ob JA oder NEIN!
Ich erkundigte mich etwas über diese Zenrale, konnte aber
kaum Leute finden, die etwas wussten. Meine Kollegen aber
waren der Ansicht, ich solle die Stelle doch annehmen, die
sei doch für mich ideal, und werde mich nicht zu sehr
stressen! Der Anfangslohn war auch gut, das heisst, der Vize
fragte, was ich bei der BT verdiene und genau das wollte er
mir auch zahlen, ich erfuhr später, dass ich dabei etwas
höher lag als viele in der OSEC!
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Ich blieb aber auch der einzige Bewerber, das heisst der
einzige, den sie in die engere Wahl nehmen konnten.
Ich entschied mich zum „JA“ und wartete am Mittwoch bis
um 11.59, da rief ich an, und sagte dem Laube:“ich komme!
Der schien sichtlich erleichtert, damals war der erste August
noch ein halber Arbeitstag, aus Freude schenkte er mir
diesen halben Tag und sagte auch noch, nach drei Monaten,
oder nach der Probezeit gebe er mir dreihundert Franken
mehr Gehalt. Auch das hörte sich eher gut an, was mich
mehr störte, waren die seltsamen Gestalten, denen ich im
ganzen Haus begegnete, Leute, die herumschlichen, oft in
grauen Beamtenkitteln, introvertiert und in einer privaten
Firma kaum vorstellbar. Ob ich mich mit solchen Elementen
zurechtfinden konnte? Die Frage war nicht unberechtigt,
wie sich später herausstellen sollte.
Für mich war klar, obwohl die Aufgabe an sich, interessant
erschien, ich hätte unter normalen gesundheitlichen
Voraussetzungen diese Stelle nie angenommen. Ich sagte
dem Laube auch von meinen gesundheitlichen Problemen,
er meinte dazu, dass dieser Posten keinerlei
Aufstiegschancen biete, daher sei er für mich sehr geeignet
und entspreche den ärztlichen Empfehlungen.
Das klang auf einer Seite wie ein Todesurteil, was die
berufliche Karriere anbetraf. Ich kam mir vor, wie in einem
Sack eingesperrt, ohne Möglichkeiten daraus zu entfliehen,
weshalb hatte ich bislang soviele Schulen und Kurse
gemacht, um jetzt kleinlich verzichten zu müssen. In all den
Jahren hatte ich weit über 300 Stellenbewerbungen
abgesandt und manch eine war erfolgreich. Einmal bewarb
ich mich als Geschäftsleiter des schweiz. Baumwollinstituts,
wohlwissend, dass die einen Juristen suchten, nun ja, ich
erhielt eine glatte Absage, den Posten erhielt ein Mario
Ludwig, Jurist und Fürsprecher aus Bern, und dieser, den
man auch den schwulen Mario nannte, wurde ab 1972
Direktor der OSEC. Aber einige Male blieb ich mit solchen
Bewerbungen erfolgreich, so etwa bei der Firma Hasler
Signal AG Bern, als diese einen neuen Geschäftsleiter
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suchten, bewarb ich mich auch. Und zu meinem Erstaunen
kam ich in die engste Wahl! Ja, sie wollten mich gleich
anstellen, da kriegte ich aber kalte Füsse, eine Firma mit
mehr als 100 Leuten führen, das war schon etwas viel für
den Anfang. Ich schlich mich damals aus den Büros mit dem
Hinweis, ich hätte noch andere Stellen ob. Auch der Job als
technischer Leiter beim Zirkus Knie, den ich bereits
zugesagt hatte, wäre sicher ein Sprungbrett gewesen. Nun
kamen solche Stressjobs nicht mehr in Frage und ich
unterliess es fortan, mich darum zu bewerben.
Jetzt hatte ich ungewollt eine sogenannte Lebensstelle, da
hätte ich ja auch bei der Post, oder bei der Swissair oder
noch besser bei den Banken bleiben können! Ich wollte die
Leiter hinauf und war plötzlich am Ende der Fahnenstange
angekommen. Meine Gesundheit spielte mir wieder einmal
einen üblen Streich, und es sollte nicht der letzte sein!
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Kapitel 5
Gründung einer
Partei
Am 1. resp. 4. August 1969, trat ich meine neue Stelle bei der
OSEC an, das Zimmer hatte ich immer noch im Restaurant
Tödi und konnte meine Arbeitsstelle in fünf Fussminuten
erreichen. In weniger als drei Tagen hatte ich mich bereits
mit der Hälfte des Personals unserer Abteilung verkracht,
aber sogar mit ein paar Botschaften hatte ich das Kriegsbeil
ausgegraben, indem ich ihnen Anweisung verpasste, wie sie
ihre Anfragen abfassen sollten. Meine Assistentin und
Sekretärin, eine ca. sechzigjährige Frau Bodenmann, nannte
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ich ein Reibeisen, und mit solchen wolle ich nichts zu tun
haben. Dann fluchte ich auch noch den Chef so laut
zusammen, dass ich fest überzeugt war, der würde direkt
zum Direktor eilen und sich beschweren. Vermutlich hat er
es auch getan, nur war eben der Direktor danach noch
freundlicher zu mir! Den verschonte ich aber auch nicht,
als ich mich negativ über den Zahltagsmodus äusserte, wir
mussten uns in einer Kolonne vor seinem Büro aufstellen
und dann einzeln den Barbetrag entgegen nehmen. Ich sagte
dem Laube, das sei nicht zeitgemäss, er antwortete:“Wir
sind eben altmodisch!“ Und ich erwiderte:“Das habe ich
auch schon festgestellt“. Er schaute mich seltsam an und ich
lachte. Ich dachte, den habe ich wohl auch noch zum Feind,
aber es schien nicht der Fall zu sein, irgendwie war er sich
wohl diese Art von „Zivilcourage“ nicht gewohnt, das ganze
Personal schien einen riesen Respekt vor ihm zu haben. Ich
nahm, wie immer, kein Blatt vor den Mund, kritisierte die
verstaubte Mentalität der Angestellten, machte mich oft
auch lustig über sie. Ich hatte überhaupt nicht vor, in dieser
Bude zu verbleiben, aber soviel ich auch provozierte, ich
musste nie zum Laube. Mir wurde bald klar, die Leute
scheuten jede Form von Konfrontation, sie zogen es vor
untereinnander zu flüstern und am Ende des Monats ihr
Salär zu beziehen! Der Chef wich einer direkten
Stellungnahme immer aus, er versuchte aber, mir mit seinen
unglaublichen Sprachkenntnissen zu imponieren, was ja
auch nicht schwierig war, weil ich mir daraus rein nichts
machte, und auch keinen grossen wert auf gepflegten
Briefstil legte, sondern mehr auf Klarheit und Kürze.
Dass er mich damit nicht geil machen konnte, plagte ihn
sehr, und er versuchte es dann manchmal mit Seitenhieben.
Natürlich blieb ich ihm die Antwort nicht schuldig. Meine
Karriere war hin, ich musste mich mit einer medioker Stelle
abfinden, das widersprach meinem Naturel.
Die grossen Freiheiten und Kompetenzen, die ich bei den
vorhergehenden Firmen der Privatwirtschaft inne hatte,
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gehörten nun der Vergangenheit an. Anfänglich durfte ich
nicht einmal meine Post selber unterschreiben.
Das führte zwangsläufig zu anderen Aktivitäten, eine davon
war die Politik, ich glaubte damals noch an eine saubere
Politik und dass diese realisierbar wäre. Bekanntlich war
Politik eines meiner Hobbies, mit 17 Kommunist, dann beim
Landesring, dann bei den Sozialdemokraten. Im Jahr 1969
war ich Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der Stadt
Zurich, kaufte jeden Monat die Marken fürs Parteibuch.
Selber ging ich aber nie an die Versammlungen.
Dafür war ich ein regelmässiger Besucher der „Spanischen
Bodega“ an der Niederdorfstrasse in Zurich. Dort
verkehrten ausser dem Max Frisch, Studenten, Alternative,
ja selbst RAF Terroristen und viele andere Leute.
Nachdem ich im Zimmer des Hotel Tödi nahezu verbrannt
wurde, zog ich dort aus und mietete ein Studio im Seefeld.
Ein Gast im unteren Geschoss schlief rauchend ein, und am
frühen Morgen entstand ein Zimmerbrand mit einem
ekelhaften Rauch. Als ich aufwachte und die Zimmertür
öffnete, stiess eine gewaltige Rauchwolke in mein Zimmer.
Ich schloss die Tür sogleich wieder zu und prüfte die
Fluchtwege übers Dach, keine einfache Sache! Also warf ich
das Zeug in den Koffer und wartere ab, da hörte ich die
Feuerwehr im Untergeschoss, ich war gerettet! Aber ich
hatte eine grosse Ladung Rauch in den Lungen, konnte
kaum noch atmen, und erholte mich erst nach zwei Wochen.
Ohne Spitalbesuch, der Rauch wa ja bereits in den Lungen!
Das Umweltproblem war damals noch kein Thema in der
Politik, ich wollte daher eine „Oekologische
Umweltschutzpartei“ gründen, die sich etwa mitte links
ansiedeln sollte. Im Tages Anzeiger suchte ich mittels
Inserat Interessenten, aber es meldete sich nur Kollege
Freddy Z. aus Vaduz, der dort bei einer Bank arbeitete und
meine Postfachnummer kannte. Aber das war nur ein Witz
von ihm.
Meine Begeisterung war leicht bedrückt, ich dachte, die
Leute interessiert das einen Scheiss. Da stiess ich auf einen
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Zeitungsartikel, wonach eine neue Partei, die EFP,
„Europäische Föderalistische Partei“ mit Sitz in Wien, sich
in der Schweiz in Gründung befand. Ich nahm Kontakt mit
dem Zentralpräsidenten Schweiz auf, H.P. Stämpfli, aus
dem Aargau. Ich legte ihm meine Pläne für die neue Partei
dar, wir stellten dabei fest, dass wir gar nicht weit
auseinander lagen, weil auch bei mir der europäische
Gedanke im Vordergrund lag. Und es ging dann Ruck-Zuck
weiter, ich wurde beauftragt, die „Zürcher Kantonalpartei“
zu gründen. Und schon am 6. Dezember 1969, gründeten
wir im Hotel Du Nord, beim Hauptbahnhof, die EFP des
Kantons Zürichs. Die Gründungsmitglieder reichten gerade
einmal aus, um den Vorstand zu belegen. Jeder stellte sich
die Partei etwas anders vor, aber die Statuten waren
vorgegeben, das Hauptziel war ein vereinigtes Europa auf
föderalistischer Grundlage. Aber dem Umweltschutz wurde
ebenfalls viel wert beigemessen, darum war diese Partei
genau nach meinem Gusto.
Ich wurde zum Kantonalpräsidenten ernannt, ausser dem
Tagesanzeiger, wurde die Partei von allen andern Zeitungen
ignoriert, während später die kleineren Blätter doch noch
aktiv von uns berichteten, weigerte sich die NZZ stets
standhaft.
Eine wenig demokratische Verhaltensweise, bedenkt man,
dass Europa doch schon damals ein Thema war. Das
Problem in der Schweiz war, dass wir keinen finanzpotenten
Guru als Sponsor hatten, in Oesterreich waren da immerhin
zwei bekannte Persönlichkeiten, Werner Molden, Verleger
und Otto von Habsburg. Für mich war das ein Hobby, aber
schon bald wurde es zu einer Riesenbelastung!
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Kapitel 6
Buch wird gedruckt
Mit der neuen Partei hatte ich mir eine ganz ordentliche
Arbeit mit viel Stress eingehandelt. Ich musste fast alles
selber erledigen, die andern Vorstandsmitglieder blieben
passiv und desinteressiert. Immerhin wuchs unsere Partei
rapide an und schon bald war sie die grösste aller EFP
Gruppen in der Schweiz. Schliesslich war der
Zentralpräsident nur noch eine Garnitur ohne Mitglieder,
alles drehte sich um die Zürcher Kantonalpartei. Jede
zweite Woche organisierte ich eine Sitzung, oft im
Restaurant Frieden an der Stampfenbachstrasse, dann
wieder im Du Nord, oder woanders. Und Geld war auch
kaum vorhanden, das meiste wurde von mir bezahlt oder
gesponsert. Schon bald entstand ein linker und ein rechter
Parteiflügel, die sich bei jeder Sitzung gegenseitig
beschimpften.
Ich musste erst immer diese Streithähne zum Schweigen
bringen.
Schon gab es die ersten Austritte, den einen waren wir zu
links, den anderen zu sehr rechts orientiert. Ich kam mir vor
wie ein Kapitän, der ein schiffbrüchiges Boot steuert.
Die Veröffentlichung meines Manuskriptes gab mir Mut,
wieder nach einem Verlag zu suchen. Ich konnte jetzt auf
die vielen begeisterten Leser im Generalanzeiger verweisen.
Für die eidg. Agentenprüfung, auf die ich mich nun im KV
vorbereitete, meldete ich mich im Branchenfach als
Inseratenakquisiteur. Und dafür musste ich mich als
selbstständiger Agent ausweisen können. Und ich schloss mit
dem Verlag des „Code Diplomatic et Consulaire“ in Goldach
SG, einen Vertrag ab. Ich hatte die exklusiven Rechte für
Chile, Philippinen, sowie kollektiv für die ganze Schweiz.
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Zudem vermittelte ich meinen Kollegen Fritz H., der sich in
England in Ausbildung befand, und nur dieser war später
wirklich erfolgreich im Geschäft.
Ich selber ernannte Delia auf den Philippinen und Virginia
in Chile, als meine Unteragentinnen. Aber beide wussten
nichts damit anzufangen. Ich befand mich ja in fester
Anstellung in Zürich und hatte kaum Zeit, auf die Suche
nach Inseraten zu gehen. Aber der Verleger in Golddach,
war von meinem Buch begeistert und wollte es drucken und
verlegen. Aber bei den Detailgesprächen wurde es immer
schlechter bestellt, mit seiner Begeisterung! Erst einigten wir
uns dahingehend, dass ich die Finazierung sicherstelle, der
andere wollte sodann den Verlag übernehmen. Weil ich aber
die Finanzierung leisten musste, wollte ich zuerst einen
Kostenvoranschlag sehen! Dieser wurde mir in Aussicht
gestellt, der Freddy war dabei Zeuge.
Ich wartete mehrere Wochen auf diesen Kostenvoranschlag,
als ich telefonierte um mich nach der Funkstille zu
erkundigen, sagte der Verleger:“Ja, das Buch ist bereits
gesetzt und druckbereit“. Aber das dicke Ende kam
noch:“Wir sind total überlastet , könnten sie nicht auch den
Verlag übernehmen?“.
Das war nun aber zuviel, ich überlegte, ob ich das Ganze
eigentlich übernehmen musste? Am liebsten hätte ich den
ganzen „Scheiss“ liegen lassen, aber da war dieser Vertrag
als Agent. Und wenn die nicht nötigenfalls bestätigten, dass
ich für sie Arbeite, hätte man mich von der Prüfung
ausschliessen können! Ich als Verleger? Keine Ahnung, und
was kostete der Druckauftrag?
Ich erklärte mein Problem dem Inhaber, dieser führte
interne Schwierigkeiten im Betrieb an, er war der Ansicht,
ich könnte das schon bewältigen, und er wäre sehr froh,
wenn ich einverstanden wäre. Da regte sich wieder einmal
mein humanistisches Gen in mir und ich sagte zu. Für die
ganze Produktion von 1000 Exemplaren, sollte ich rund
5000.- Franken hinblättern, das waren damals immerhin 2
½ Monatsgehälter. Dabei war nicht sicher, ob ich überhaupt
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ein einziges Buch werde verkaufen können? Inzwischen
bewohnte ich eine Dreizimmerwohnung an der
Bahnhofstrasse in Effretikon/ZH. Meine Freundin Delia
sollte im Sommer von den Philippinen herfliegen und so war
die Wohnung erforderlich, zudem weilte meine Mutter
zeitweise auch noch bei mir.
Und weil ich mich auf die höhere, eidgenössische
Agentenprüfung vorbereitete, setzte ich den Verlagsnamen
wie folgt fest: „ARUBA VERLAG“, wobei das „A“ für
„AGENTUR! zeichnete, und die restlichen Buchstaben sich
aus Vor- und Nachnamen ergaben.
Unter diesem Namen mietete ich mir in Zürich ein Postfach,
und trug auch eine Einzelfirma im Handelsregister ein.
Da ich mich auf vielen Gebieten als Agent versuchte, so etwa
auch als Immobilienagent für Spanienliegenschaften,
plazierte ich auch des öftern Inserate in ausländischen
Zeitschriften, wie die „Lavanguardia“ in Spanien oder die
„Int. Herald Tribune“. Und es kam vor, dass ich dann
Anfragen für Liegenschaften auf niederländisch ARUBA
erhielt. Mit diesen Aktivitäten habe ich aber in all den
Jahren nie Geld vedient, sondern nur Geld verloren. Einige
Male war ich nahe an einem Abschluss, weil ich jedoch
beruflich an Zürich gebunden war, fehlte mir die nötige
Freizeit, um mich den Kunden besser widmen zu können.
Einmal versuchte ich eine kleine Villa an der Costa Blanca
Zu verkaufen. Ein deutscher Pilot beauftragte mich damit,
das Haus sah ich selber aber nie, jedoch verliess ich mich auf
die Beschreibung des Eigentümers. Aber die Interessenten
beschwerten sich nach ihrer Rückkehr, das Haus entspreche
bei weitem nicht dem Prospekt! Ich zog mich sogleich von
diesem „Deal“ zurück, ausser Spesen nichts gewesen.
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Kapitel 7
Der Kandidat
Sodann, im Februar 1970, wurden in der Stadt Zürich die
Stadtratswahlen durchgeführt, erstmals durften auch
Frauen wählen. Und es gab eine Kandidatin, ein Frl.
Lieberherr, und eine völlig unbekannte Partei , die sich
EFP nannte, portierte einen Studenten, der hiess „Reto a
Porta“.
Und wie kam ich auf diesen Reto? Ende 1969, ich war
damals fast täglich in der Bodega, verliess eine Gruppe
Studenten das Lokal, ein grosser, schnauzbärtiger unter
ihnen machte irgendwelche politischen Sprüche:“Du bis
genau mein Mann“ rief ich ihm zu, „ich suche noch einen
Stadtratskandidaten, hast du Lust dazu?“ Und schon war
er bei uns einer der aktivsten Mitglieder, als er dann mit den
andern sieben Kandidaten im „Kaufleute Zürich“ auftreten
musste, war das für uns ein grosser Erfolg, die ganze
Sendung wurde im Radio übertragen. Und der Reto schlug
sich sehr gut, neben ihm sass die später gewählte Frl.
Lieberherr, und sie stellte fest, dass zwischen dem Reto und
mir irgend eine Verbindung bestand, kannte mich aber
nicht, wenn sie mich in späteren Jahren als Stadträtin sah,
schaute sie mich immer lange fragend an, sprach mich aber
nie an und so ergab sich auch keine Konversation. Ich
wusste aber wer sie war, sie jedoch nicht wer ich war. In
diese Wahlen steckte ich auch noch Geld aus meiner Tasche
hinien, wenn auch nicht sehr viel, blieb es doch eines der
bodenlosen Sponsorenfälle. Und wenn ich bedenke, dass
mein ganzes Leben fast nur aus „Sponsoring“ bestand,
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wundere ich mich heute immer noch, dass trotzdem für
mich noch genug Geld übrig blieb!
Aber wir wurden mit diesen Aktionen viel bekannter, ausser
der NZZ, ignorierten uns die Zeitungen nicht mehr, sogar
der Blick meldete manchmal mit ein paar Zeilen unsere
Aktionen. Unser Kandidat erhielt etwas über 4000 Stimmen,
blieb natürlich weit abgeschlagen, aber er konnte als
Störkandidat zB der EVP Stimmen abnehmen.
Und er wurde stadtbekannt, ob es ihm im Endeffekt
geholfen oder geschadet hat, konnte ich nie erfahren.
Er trat aber politisch nie mehr in Erscheinung. Damals war
er Can. Lic. Oec., wir trafen uns nie mehr. Spörri
Andere Leute kamen zu uns, so ein Herr P. aus Knonau. Er
gab sogleich den Ton an, kritisierte meine etwas legere Art
des Vorsitzes, manchmal begann eben die Sitzung eine halbe
Stunde später, das hatte ich schliesslich in Spanien gelernt.
Spörry hatte ein Buch über Landreform in der Schweiz und
in Europa, herausgebracht. Er wollte nun unsere Partei als
Träger dafür einspannen, plötzlich hatten wir ganz neue
Kriterien und Ziele. Und weil wir bei jeder Sitzung
Meinungsverschiedenheiten hatten, schmiss ich ihm eines
Tages den Bettel hin und sagte, ich könne nicht mehr, in der
Tat war ich mit den Nerven auch am Ende angelangt.
Vorerst verblieb ich als Vizepräsident. Solche Änderungen
wurden jeweils anlässlich der Sitzungen abgestimmt. Die
Statuten waren in allen Ländern gleich, es gab bereits eine
EFP in Oesterreich, Deutschland, Belgien, Holland und
Luxemburg. Ein Katalane bei uns sollte eine spanische
Partei gründen, doch das war zu Francos Zeiten nicht
möglich. Wir arbeiteten an Parteizielen in der Schweiz,
und hatten einige Studenten, die ganz gute Arbeit leisteten.
Selber verfasste ich ein Manifest: „Wege nach Europa“,
darin war u.a. die Vereinigung von Ost und West auf
friedlichem Wege angeführt. Das föderalistische Europa
ginge von Island bis nach Vladiwostok! Zwar ist es noch
nicht so weit gekommen, aber was heute existiert, war
damals ebenfalls eine unglaubliche Utopie. Um die Schrift
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aber drucken zu können, fehlte mir das nötige Kleingeld.
Das Original behielt ich viele Jahre auf, beim Mauerfall
suchte ich es aber vergeblich, vermutlich wurde es
irrtümlich entsorgt? Von allen Prognosen ist an sich nur
eine nicht eingetroffen, danach sollte ganz Lateinamerika
von Mexiko bis Argentinien kommunistisch werden, oder
zumindest sozialistisch. Ein föderalistisches Europa nach
schweizerischem Vorbild wollten aber die Regierungen in
Europa nicht haben, so wurde, unter dem Druck der
weltweiten Globalisierung, die EU von heute kreiert.
Sie wird jedoch den Erwartungen einer multikulturellen
Europagemeinschaft nicht gerecht! Und ich frage mich
heute noch, weshalb damals unsere Partei von allen
politischen Schattierungen boykottiert wurde?
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Kapitel 8
Die Heirat
„Verliebt dich oft, verlob dich selten, heirate nie, dann bist
du ein Genie!“ Grundsätzlich wollte ich bei diesem klugen
Spruch bleiben, seit nun 1966, waren Delia und ich in einem
regem Pen-Pal Briefkontakt, ich hatte in dieser Zeitspanne
weit über einhundert Luftpostbriefe von ihr erhalten und sie
auch von mir. Natürlich konnten wir uns dadurch etwas
besser kennen lernen, ich hatte aber immer den Eindruck,
dass sie sich das Leben in Europa und in der Schweiz nur
bruchstückhaft vorstellen konnte. Immer wieder zitierte sie
amerikanische Filme, die eine Lebensform zeigten, die auch
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bei uns damals fremd war. Und einige Kolleginnen aus dem
Büro und den Gaststätten, wie etwa das Frl. R. im
Swissairterminus in Zürich, waren gar der Ansicht, so eine
Verbindung könne gar nicht funktionieren! Mir waren alle
diese Kommentare egal, ich mochte das Aussergewöhnliche
und nutzte deshalb jede Gelegenheit dazu. Damals war es
noch möglich, mit einem Einfachflugschein in die Schweiz zu
kommen, aber dieser kostete mich 3200.-Franken, meine
Ersparnisse waren stark geschrumpft, sie hätten wohl kaum
für einen Rückflugschein gereicht. Für die Hochzeit
benötigte ich zwei Trauzeugen, einer war der Freddy, und
die Frau lokalisierte ich wieder in der Bodega. An einem
schönen Abend sass ich mit einer Spanierin am Tisch, wir
tranken Rioja Wein und plauderten den ganzen Abend, ich
war froh, dass ich wieder einmal meine Spanischkenntnisse
aufpolieren konnte. Die Maria, wie sie glaube ich hiess, war
mit einem Schweizer verheiratet, aber es machte den
Anschein, dass die Ehe am besten funktionierte, wenn sie
nicht zusammen waren.
Ich nahm sie als Trauzeugin in die engste Wahl.
Der Swissairflug von Manila erreichte Zürich am
Samstagmorgen, Freddy fuhr mich mit seinem Auto zum
Flughafen, ich schrieb der Delia, das sich eine Zeitung in der
linken Hand schwenke, zudem einen hellen Anzug trage,
dass neben mir noch ein kleinerer Kerl stehe, der Freddy.
Es war leicht sie zu erkennen, denn sie war die einzige
Asiatin bei den ankommenden Leuten, das hat sich im Lauf
der Jahrzehnte stark geändert.
Sie erkannte uns bereits früh, musste aber noch durch die
Passkontrolle und dann die Koffern holen. Ich sah, wie ihr
ein Mann half, die beiden Koffer auf den Rollwagen zu
liften. Wir durften ja nicht in den Transitraum und mussten
zusehen.
Wir begrüssten uns gegenseitig, aber ohne grosse
Emotionen, sie war sichtlich müde und wohl auch
überfordert. Freddy fuhr uns direkt nach Effretikon,
ich schlug vor, dass sie erst einmal schlafen sollte.
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Mutter begrüsste sie auf Schweizer-Deutsch, ihre Kleider
waren für das Klima untauglich, natürlich fror sie, obwohl
wir gegen Ende Juli zugingen. Und in einem Koffer war ein
grosser Jesus mit Lampe, dieser füllte fast den halben Koffer
aus.
Delia brachte ein Barvermögen von genau 2 US Dollars mit,
gut, meine Barschaft war damals nur wenig höher.
Zusammen konnten wir praktisch auf Null beginnen!!!!!!!
Weil das Besuchervisum nur auf einige Wochen ausgestellt
war, gingen wir bereits am Montagmorgen nach Illnau, aufs
Standesamt. Die Schweizer Botschaft in Manila hatte alle
Unterlagen ins Französische übersetzt, also einer
Amtssprache, die anerkannt war. Alles war in bester
Ordnung und wir konnten bereits am 21. August 1970
heiraten. Meinerseits gab es zwar schon noch einige
Bedenken, sollte ich sie wieder zurückfliegen lassen,
aber dann kam wieder das humanistische Gen auf, nein, ich
wollte das Ganze bis zum Abschluss bringen!
Da Delia keine Ahnung und auch noch keine Meinung hatte,
war ich in der Organisation der Eheschliessung relativ frei.
Es sollte so einfach wie nur möglich zugehen, schliesslich
war ich schon immer ein Gegner von grossen Anlässen und
Tam Tam.
Und Pomp war schon gar nicht nach meinem Gusto, in der
Bescheidenheit liegt schliesslich die wahre Grösse!
Aber ich wollte nach meiner Vorstellung die Feier geniessen,
deshalb reservierte ich im oberen Stock der Bodega den
grossen ovalen Tisch für rund 12 Personen für das
Abendessen. Empört fragte Kollegin R., ob meine Braut
damit einverstanden sei, dorthin gehe man doch nicht eine
Hochzeit feiern! Ich aber entgegnete, das sei eben originell
und einmal anders. Die Trauung war einfach, Freddy sollte
übersetzen, aber er sagte einfach etc. schon bald sagte der
Beamte:“wir lassen das besser weg, ihr wisst ja um was es
hier geht! Nachem die Maria noch an falscher Stelle
signierte,(man sollte eben keine Analphabeten als
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Trauzeugen nehmen) , war der Spuk nach wenigen Minuten
schon vorbei.
Und ich beantragte für Delia sogleich den Schweizer Pass,
den sie etwa 10 Tage später bereits in Händen hatte!
Fressorgien geniesse ich selten, aber diese Feier in der
Bodega war ein voller Erfolg, wir genossen die
Meeresfrüchte und den guten Rioja. Vom Büro kamen noch
drei Personen hinzu, und der Ehemann der Maria tauchte
auch noch auf. Und alle waren der Ansicht, das sei nun ein
besonders schöner Anlass gewesen. Doch eine Person war da
anderer Meinung, Delia, aber das sagte sie mir erst viel
später, sie wollte eine Riesenparty mit vielen Gästen und all
den Fressern, die man im Lauf der „Feier“ kaum alle
sprechen kann. Und so ein Anlass macht man eben nie für
sich, sondern für die andern, um zu zeigen, was für
Monsterparties man sich leisten kann. Und darüber hatten
wir eine ewige Meinungsverschiedenheit. Wenn ich so eine
Hochzeit sehe, habe ich immer den Eindruck, dass das
Brautpaar irgendwie „leidet“, geniessen tun es primär die
Gäste.
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Kapitel
Die Prüfung
Seit meiner schweren Erkrankung waren bereits wieder 1 ½
Jahre vergangen, ich musste noch immer auf meine Speisen
achten. Der hohe Blutverlust hinterliess auch seine Spuren,
so spürte ich auf der Leber einen permanenten Schmerz,
dieser hielt noch etwa zwei Jahre an, dann war die
Erinnerung an diesen Vorfall schon bald einmal vergessen.
Delia hatte vor ihrer Abreise noch diverse Kredite
aufnehmen müssen, kleine Beträge, die sie von Verwandten
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erhielt. Aber sie wollte diese möglichst bald zurück
vergüten. Darum schlug ich ihr vor, sich bei der Swissair zu
melden, zuvor schaute sie bei der Egyptair in Zurich vorbei,
aber die Stelle verlangte gute Deutschkenntnisse, darum fiel
sie aus dem Rennen.
Bei der Swissair ging es aber auch nicht reibungslos, nur mit
Hilfe meiner dortigen Kollegen, gelang es schliesslich, dass
sie bereits am 14. September 1970, also nur gut sechs
Wochen nach ihrer Ankunft in der Schweiz, in der
Schreibzentrale Balsberg anfangen konnte. Dort wurde sie
als Sekretärin und Korrespondentin für Englisch
beschäftigt. Im Grossbüro war auch eine Ursula A. die sich
ihrer annahm und sie auch informierte, falls ich sie nicht gut
behandle, sollte sie das ihr melden, ich dachte zwar, ich
könnte auf diese Hilfe verzichten! Immerhin wurde die
Ursula später die Patin unseres Sohnes.
Ursula sagte mir einmal, dass man die Delia gut möge weil
sie immer fröhlich wirke, die Leistung lasse aber zu
wünschen übrig, zwar produziere sie sehr viel Papier, aber
das meiste für den Papierkorb!
Meinerseits liebäugelte ich immer noch mit einem
Neubeginn meiner abgebrochenen Karriere. Diese OSEC
war für mich lediglich eine bequeme Übergangslösung, in
einer Institution die zur Mehrheit Leute beschäftigte, die
entweder wie ich, gesundheitliche Probleme hatten, oder
aber in der Privatwirtschaft nichts taugten, machte es wenig
Spass zu bleiben!
Mit dem KV-Diplom und einer höheren, eidgenösischen
Fachprüfung, sowie rund einem Halbdutzend anderer
Diplome, war ich überzeugt, dass es da noch Möglichkeiten
nach oben geben musste!
Im September/Oktober 1970, fand dann diese Prüfung statt,
ich nahm mir einen Weiterbildungsurlaub von der OSEC.
Es war damals Usanz, dass man jährlich bis zu einer Woche
Bildungsurlaub ohne Lohnkürzung beziehen konnte. Einzige
Voraussetzung, es sollte im Bereich der beruflichen Aufgabe
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liegen. Aber da meine Aufgabe sämtliche Branchen
umfasste, konnte man mir auch diese Agentenprüfung nicht
verweigern. Ich hatte dabei nur die Hälfte der
Vorbereitungskurse besucht, aber zur allgemeinen
Überraschung, schloss ich im Rang ab und erhielt noch eine
Auszeichnung. Dabei holte ich mir im Fach Deutschaufsatz
die absolute Maximalnote, nie zuvor schrieb ich an einer
Prüfung derart wild drauflos! Nur wenige Sekunden,
nachdem die Themen bekannt gegeben worden waren,
begann ich loszuschreiben, und ich brachte es auf etwa 25
Seiten! Andere schlossen bei drei bis sechs Seiten.
Ich staunte selber über meine Leistung!
Die Diplomfeier fand in Baden statt, Delia war auch dabei
und freute sich natürlich über mein Resultat. Am meisten
freute mich aber, dass ich es mit dem halben Aufwand in die
vordersten Ränge schaffte! Nach rund zwei Monaten erhielt
ich dann das grosse Diplom vom BIGA in Bern. Die
höheren Fachdiplome sind alle gleich aufgemacht, deren
beruflichen Werte sind aber unterschiedlich. So dürfte das
Buchhalterdiplom ganz oben angesiedelt sein, während das
Agentendiplom etwa in der Mitte liegt.
Nun wollte ich aber mit dem Studium endgültig aufhören
und das Gelernte in bare Münze umwandeln. Später musste
ich erkennen, dass ich viel zu viel Zeit mit Weiterbildung
vergab, statt wie andere, mich voll ins Karriereleben zu
stürzen. Einerseits war da der Rückstand auf die andern
mitschuldig, aber auch die Tatsache, dass ich mich nicht
orientieren konnte! Wer einen Hochschulabschluss
vorweisen kann, muss auch nicht nachweisen, was er
studiert hat. Ich hatte nun immerhin zwei staatlich
anerkannte Berufsabschlüsse, das KV-Diplom und das
höhere Fachdiplom als Agent. Zudem rundeten meine
Buchhaltungsstudien, und diverse andere Bildungsgänge das
Ganze ab!
Aber erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt,
sagt der Dichter S. Doch mehr darüber im nächsten Kapitel.
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Kapitel 10
Krank!
Im Herbst 1970, kurz nach meiner Heirat und nach
bestandener Prüfung, schickte mich die Firma zum
Vertrauensarzt der Pensionsversicherung. Dieser sollte
feststellen, ob ich die Voraussetzungen für eine vorbehaltlose
Aufnahme in die Versicherung erfülle. Ich war optimistisch,
hatte ich mich doch inzwischen sehr gut erholt. Aber der
Arzt sah das anders, ein alter, zynischer Kerl, fluchte
während der ganzen Untersuchung vor sich hin. Immer
wieder mass er den Blutdruck und fluchte noch lauter.
„Sie sind ein kranker Mann, sie haben viel zu hohen
Blutdruck, wussten sie das nicht?“ fragte er mich
vorwurfsvoll. Natürlich wusste ich rein nichts davon,
erschrack aber schon sehr über diese Nachricht!
Ich hatte danach an beiden Oberarmen blaue Flecken, so
sehr presste der Kerl meine Arme zusammen. Ich wäre nur
mit Vorbehalten aufgenommen worden, deshalb verzichtete
ich darauf und zahlte Beiträge in eine Nebenkasse, die ich
nach Bedarf auch jederzeitig auflösen konnte. Der Arzt
meldete mich bei einem Herz-Kreislauf Spezialisten an,
dieser hatte seine Praxis im Stauffachergebiet, dort musste
ich nun während einem ganzen Jahr jede Woche mindestens
einmal zur Kontrolle. Die erste Abklärung dauerte einen
halben Tag, danach wurde ich in Speziallabors eingewiesen,
dort wieder in Röhren geschoben und auf seltsame Geräte
geschnallt. Aber laut dem Spezialisten, wurde man auch da
nicht fündig, er, der Spezialist, übrigens auch nicht. Selber
unternahm ich nichts, weil ich dachte, die moderne Medizin
könne mein Problem lösen. Ich erhielt Tabletten zur
Senkung des Blutdruckes, aber da wurde ich erst richtig
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krank! Ich konnte nachts nicht mehr schlafen, dafür schlief
ich während der Arbeit am Pult ein! Die wöchentlichen
Kontrollen ergaben auch nur diffuse Erbegnisse, selber
hatte ich keinerlei Kenntnisse über dieses Gebiet.
Dann beschaffte ich mir Literatur, aber offensichtlich die
falsche. Ich las ein Buch über das Herz und seine
Krankheiten. Danach verspürte ich fast sämtliche Symtome,
wie sie zum Beispiel bei einem Infarkt auftreten. Schmerzen
im linken Arm bis zum Herz, Angstzustände, punktuelle
Schmerzen im Herzen etc., kurz, alles wie im Buch
umschrieben.
Ich legte das Buch wieder weg und suchte nach alternativer
Literatur. Wenn ich mit Freddy und Kollegen wandern ging,
schmerzten am folgenden Tag beide Lungenflügel höllisch!
Ich führte das auf den viel zu hohen Blutdruck zurück.
Im Lauf dieses Kontrolljahres versuchte ich unzählige
Tabletten, aber sie halfen mir nicht.
Nach diesem Jahr kam der Abschlussbericht, Dr.B. liess
mich folgendes wissen:“ Also, wir haben ihre Krankheit
leider nicht ausmachen können, sie leiden unter einem
essentiellen Bluthochdruck, damit können sie noch etwa 5
Jahre leben!“
Das war es also! Ich sollte noch bis 37 leben können, was
dachte sich der Idiot wohl, ich würde das einfach so
hinnehmen? Ich sagte nichts und verabschiedete mich für
immer von ihm, lieber keinen Arzt als so einen!
Wieder einmal war ich vollständig auf mich selber
angewiesen. Zuerst wollte ich meinen Blutdruck selber
messen können, aber diese Geräte gab es nur in einem
Spezialgeschäft in Zürich, Kostenpunkt um die 500.Franken! Ich kaufte ein altmodisches System mit
komplizierter Anwendung. Ich denke, allein durch die
Anwendung stieg der Blutdruck noch um einige Einheiten.
Es war keine ideale Lösung, aber schon bald kamen die
ersten modernen Geräte für den Privatgebrauch in den
Handel. Ich konnte nun während Jahren nachprüfen, wo die
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Ursachen für den hohen Blutdruck zu finden waren. Eines
war mir klar geworden, der Druck war nicht immer hoch,
Stress, aber auch Getränke und Speisen, konnten sich da
sehr deutlich manifestieren. Und noch etwas fiel mir auf,
allein schon der weisse Arztkittel konnte 20% mehr
ausmachen! Aber nur dann, wenn der Arzt mit seinem
langen Gestellt mass. Dr. Milek in Volketswil, war sozusagen
mein Hausarzt, zu ihm musste ich gehen, um die
blutdrucksenkenden Medikamente kaufen zu können.
Ich mass jeweils den Druck zu Hause und dann wurde dieser
nochmals in der Praxis von Dr. M. gemessen. Und dort war
er immer viel höher, also war entweder mein Gerät nicht
kalibriert oder aber der Druck war inzwischen viel höher!
Nach einiger Zeit wurde es mir zu bunt, ich sagte dem Dr.
M. ich bringe nun mein Gerät mit in die Praxis und werde
damit vor ihm messen. Und fortan blieb der Blutdruck
wesentlich niedriger, ich hatte sogar zwei Apparate.
Das Problem war damit noch lange nicht gelöst, aber ich
konnte damit leben. Hingegen musste ich möglichst jede
Form von Stress meiden, das hiess wiederum, dass ich
meine beruflichen Pläne vermutlich nun endgültig begraben
musste! Langsam aber sicher wurde mir bewusst, dass ich
keine andere Wahl hatte, als bei meinem Job zu verbleiben.
Immerhin konnte ich mit meinem Gehalt genug verdienen
um eine kleine Familie durchzubringen. Bei der OSEC
fühlte ich mich immer mehr wie ein Tiger in einem Käfig,
der zwar viel möchte aber nicht kann und nicht darf! Das
führte dann zu sporadischen „Ausbruchsversuchen“, was
natürlich jeweils wenig Anklang beim oberen Kader fand.
Jeder war nur um seinen bescheidenen Posten besorgt und
wollte möglichst nicht negativ auffallen. Besonders eine
eigene Meinung war verpönt, wurde bereits als
Sabotageversuch ausgelegt. Das erlaubte der Direktion, an
den internen Sitzungen den grössten Unsinn zu verbreiten,
ohne, dass da irgend ein Teilnehmer Einspruch erhob!
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Kapitel 11
Politik am Ende
Der Stress mit der Partei war wohl mit ein Grund für meine
Krankheit! Im Jahre 1971 waren Nationalratswahlen,
inzwischen war ich, gesundheitsbedingt, vom
Vizepräsidenten zum gewöhnlichen Mitglied abgestiegen.
Auf der Liste für die Nationalratswahlen, figurierte ich nur
an 11. Stelle. Und weil kaum einer eine Chance hatte,
gewählt zu werden, spielte das für mich auch keine Rolle
mehr. Während den Wahlen befand ich mich mit Delia auf
den Philippinen und kümmerte mich nicht weiter darum.
Die Partei schloss aber viel schlechter ab, als damals bei den
Stadtratswahlen, offene Rechnungen blieben unbezahlt,
oder wurden mir zugestellt, obwohl ich längst nicht mehr im
Vorstand war. Da wurde es mir zu bunt und ich gab meinen
Austritt bekannt, mit dem Hinweis auf meine
gesundheitlichen Probleme. Ein Dr. Schmied löste dann
denn Spörri als Präsidenten ab, später behauptete dieser
sogar, er wäre der Gründer der Partei gewesen.
Er begründete das mit einer Namensänderung auf „Europa
Partei“. Ist an sich unwichtig, aber aufgebaut hat er diese
auf unserer EFP, und diese habe ich in Zürich am 6.6.1969
gegründet, das kann der liebe Dr. auch nicht ändern! Ich
verabschiedete mich damit für immer von jeder Art von
Parteipolitik!
Im Militär lief es auch nicht ganz nach meinem Wunsch.
Mit 28 absolvierte ich den letzten Wiederholungskurs im
Auszug. Da ich ab dem vierten WK den Mitrailleurhalbzug
führen durfte, versprach mir der Kadi im fünften WK den
Wachtmeisterrang. Dieser war eigentlich angebracht für
einen Zugführer oder dessen Stellvertreter.
Aber dann war Funkstille, ich dachte, man habe es
vergessen und gehe nicht weiter darauf ein.
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Ich fragte darum auch nicht danach, denn es gab auch
Vorteile, erstens konnte ich mit 28, statt 30, den letzten WK
machen, und zweitens konnte ich auch als Korporal den Zug
führen. Ich hatte absolut keine Führungsprobleme, bei mir
gab es kein WENN und ABER, sondern nur klare Befehle
die man unverzüglich auszuführen hatte.
Den wahren Grund erfuhr ich erst 25 Jahre später,
anlässlich der Fichenaffaire.
Aber wenn ich schon gesundheitlich so angeschlagen war,
weshalb sollte ich noch Militärdienst leisten?
Ich wurde in das Landwehrbattailon 274 umgeteilt, das
passte mir auch nicht recht, und ich wollte endlich meinen
Rosthaufen von Sturmgewehr loswerden. Allerdings hätte
ich gerne eine Pistole gehabt, die erhielt man bei der HD
Hilfspolizei! Den Marschbefehl für den Landwehrkurs hatte
ich bereits erhalten, aber noch vorher musste ich vor UC in
Winterthur. Die hohen Offiziere schauten mich komisch an,
als ich den Wunsch äusserte, ich möchte zur Hilfspolizei.
Sie waren von meinen freiwilligen Diensttagen beeindruckt,
„Sie haben soviel freiwillig gemacht, wir schlagen ihnen
etwas Besseres vor, sie werden administrativ zum HD
umgeteilt und müssen nie mehr Dienst machen, als
Hilfspolizist müssten sie noch einen Umschulungskurs von
drei Wochen absolvieren!“
Gut, mir war das auch recht.
Damit verabschiedete ich mich vom Militär, musste aber
noch bis zum fünfzigsten Altersjahr an die Inspektionen
gehen.
Mit 17 hatte ich einen Traum, ich wollte bei der Infanterie
Zugführer werden, das war nach dem Film „Zur Hölle und
zurück“ mit Audy Murphy, welcher sein eigenes Leben
spielte. Seltsam ist schon, dass mir dieser Wunsch trotzdem
in Erfüllung ging, wenn auch sehr knapp!
Ich hatte mich nun von Politik und Militär befreit und
distanziert, das versprach mehr Freiraum, aber schon bald
war ich mit neuen Problemen konfrontiert.
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Kapitel 12
Flug nach Manila
Im Herbst 1970, also kurz nach der Heirat, unternahmen
wir noch eine Reise nach Spanien, insbesondere aber nach
Barcelona, wo ich früher doch eine längere Zeit verbrachte.
Natürlich wollte ich im „Benidorm“ wohnen, Delia gefiel
diese Absteige aber überhaupt nicht, und noch viel weniger
Freude hatte sie am Anblick der Isabella, die anscheinend
wieder ein Kind geboren hatte und frech behauptete, ich sei
der Vater! Sie sagte ja zwei Jahre zuvor, wenn sie diese
„Japonesa“ treffe, werde sie ihr das Gesicht zerkratzen.
Ich musste somit aufpassen, aber ausser ihren leeren
Behauptungen, die ich als Spass aufnahm, blieb sie friedlich.
Für den Herbst 1971, planten wir eine etwa dreiwöchige
Reise auf die Philippinen, Delia hatte bereits mehr als ein
Dienstjahr und durfte somit mit einem neunzigprozentigen
Discount auf den Normalpreis zählen. Damit wurde dieser
lange Flug für uns auch finanziell erschwinglich.
In Bangkok machten wir einen kurzen Aufenthalt im Narai
Hotel, dort trafen wir auch unseren Landsmann R.S. der als
Leiter der Reiseabteilung bei der Firma Diethelm in
Bangkok, beschäftigt war. Wenige Eindrücke von diesem
Aufenthalt sind mir geblieben, so etwa die Einladung von
R.S. in ein Nachtlokal im Naraihotel, deshalb, weil R.S. die
Zahlung der Rechnung grosszügerweise mir überliess. Dann
der Aufseher im Hotel, der mit lauten Geschrei uns folgte
und rief:“Sir, it is not allowed to take ladies into the room!“
Ich war wohl ebenso erstaunt und erwiderte kurz:“But this
is my wife!“ Ohne weiter zu prüfen entschuldigte sich der
uniformierte Mann und verschwand.
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(genau 20 Jahre später, 1991, wurde es jedoch bewilligt, man
musste lediglich eine Gebühr von 300.- TB entrichten und
die Sache ging in Ordnung).
Wie schon 1966, tobte in Vietnam immer noch der Krieg,
und ich erinnere mich, wie sehr die Thais sich damals vor
dem Vietcongs fürchteten, ein Taxifahrer sagte mir, dass er
ständig bereit sei, sollten die Vietnamesen kommen, er
sogleich mit seinem Fahrzeug in Richtung Burma flüchten
werde. Die vollständige Niederlage der Südvietnamesen und
Amerikaner, war dann ein unglaubliches Drama wie man es
kaum jemals in der Geschichte in dieser Form erlebte!
War die totale Niederlage der Franzosen in Diem Phien Phu
von 1954, der erste Schritt westlichen Gesichtsverlustes und
ein Schandfleck für den weissen Superrioritätsdünkel,
läutete die amerikanische Niederlage das sichere Ende der
westlichen Arroganz ein! Man darf heute sogar annehmen,
dass Vietnam damals problemlos auch Thailand hätte
einnehmen können, und dass die USA rein nichts
unternommen hätten. Mit Kambodscha und Laos war das ja
der Fall!
Auf den Philippinen herrschte eine sehr bleihaltige Luft,
und als wir sagten, wir wären unterwegs dorthin, wollte man
uns Mut machen mit der Frage:“Habt ihr auch
schusssichere Westen bei Euch?“.
Dort waren Wahlen angesagt, und täglich explodierten in
Manila Sprengkörper, in einem Fall, der nur wenige Tage
vorher anlässlich einer Tagung der Opositionspartei
stattfand, wurden mehr als 80 Personen getötet.
Wir schafften es bis zum „New Swiss Inn“ von Emil Landert
im Paco. Am Eingang war ein Wachturm mit Sandsäcken
und leichten Maschinengewehren, die Angestellten trugen
zum Teil Maschinenpistolen und Revolver. Ich fühlte mich
in ein Fort des Wilden Westens versetzt.
Ich hatte durst und wollte eine Flasche Bier ins Zimmer
bestellen, aber der Kellner winkte ab, während den Wahlen
dürfe kein Alkohol abgegeben werde. Nein, das war wohl ein
Witz? In den Ferien und kein Bier?
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Damals kannte ich den Emil noch nicht persönlich, 1966, als
ich noch ins alte Swiss Inn am Roxasboulevard wollte, hatte
er keine freien Zimmer.
Jetzt rief ich den Emil, der kam und fragte was ich wolle.
Ich sagte ihm, dass ich einen fürchterlichen Durst habe und
sein Diener mir kein Bier bringen wolle!
Er lachte und erklärte:“Ja, das ist eben so während den
Wahlen, aber machen sie sich keine Sorgen, ich lasse ihnen
eine grosse Harass Bier in den Kühlschrank stellen, und
wenn sie damit fertig sind, sind die Wahlen auch schon
vorüber“. Das war ein Wort, solche Leute waren mir
sympatisch, unkompliziert und praktisch veranlagt.
Er warnte uns aber noch, dass wir sehr vorsichtig sein
sollten, ein Menschenleben zähle hier rein nichts.
Wir zogen es darum vor, nur die Verwandten von Delia zu
sehen und sonst so wenig wie möglich herumzufahren.
Ein Kuriosum das mir damals aufgefallen ist, im Radio
wurden laufen Brücken gemeldet, die man meiden solle, weil
man dort überfallen werde. Dann sah ich die FEATI
Universität, jene, wo Delia studierte, da waren alle
Fensterscheiben eingeschlagen! Studentenunruhen!
Wir flogen nach Cebu und von dort nach Dumaguete,
in Dumaguete besuchte Delia die High School, auch dort
trafen wir auf Verwandte. Im Hotel Oriente fanden wir ein
Hotelzimmer mit Klimaanlage, es war feuchtheiss und alles
klebte am Körper.
Dann fuhren wir nach Ayungon, rund 85 Kilometer
nördlich, dort wuchs Delia auf, sie war ja Halbwaise, und
wurde von der Familie des Bruders ihres Vaters aufgezogen.
Der Vater war Lehrer und der Bruder Anwalt (Abocado)
Ein weiterer Onkel war der Oberlehrer im Dorf, ein anderer
Farmer und einer Kriminologe, dieser war in Manila und
wir trafen ihn zuvor dort. Dann waren da noch die
Grossmutter und der Grossvater, der aber getrennt von
seiner Frau weit oben in den Bergen wohnte. Auch die
Tanten waren Lehrerinnen, als wir eintrafen, wurde die
Schule sogleich geschlossen, ein paar Hundert Augen
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schauten mich an, als käme ich von einem anderen Planeten.
Man erklärte mir, dass die Kinder noch nie einen Weissen
gesehen hatten, weil die letzten beiden Weissen, zwei
Amerikaner vom Peacecorps, vor mehr als 10 Jahren in der
Gegend waren.
Mir wurde es echt ungemütlich, wie musste es den Affen im
Zoo zumute sein?
Das Städtchen hatte noch keinen Anschluss an das
Stromnetz, der Onkel hatte einen Bezingenerator, dieser
machte einen Riesenlärm und stank auch fürchterlich.
Darum wurde er nur kurz am Abend eingestellt um etwas
Licht zu spenden. Zur Feier meiner Ankunft, wollte man
eine Ziege schlachten, aber das konnte ich verhindern,
indem ich sagte, ich esse kein Fleisch.
Obwohl der Onkel ein relativ grosses Haus hatte, war das
Wohn- und Esszimmer nur mit einem Naturboden versehen.
Schweine zogen durch das Zimmer, draussen meckerten die
Ziegen, der Raum war voller Leute, und das bei etwa 38
Grad Hitze ohne Ventilator oder Klimaanlage!
Mir klebten die Kleider am Körper und ich hatte das Gefühl
in einer Waschküche zu vegetieren.
Aber das war erst der Anfang, wenn ich an die Wände
schaute, bemerkte ich, dass da viele Löcher nach draussen
waren, und in diesen Löchern sah ich Augen, viele Augen!
Die Augen bewegten sich! Himmel, was war denn das schon
wieder?
Haha, die Kinder, die den weissen Mann sehen wollten,
obwohl nur Kinder, wurde es mir doch etwas komisch zu
Mute.
Endlich durften wir uns in den oberen Stock zurück ziehen,
man hatte für mich ein Bett zurechtgemacht, mit
Moskitonetz!
Ich traf auf ein Holzgestell, ohne Kopfkissen, ohne weiche
Unterlagen, und es war kürzer als ich!
Als Kopfkissen nahm ich ein Kleidungsstück
aus meiner Reisetasche, dann fixierte ich das Moskito Netz.
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Auch im Obergeschoss war eine fürchterliche Hitze, ich
versuchte die Beine zu strecken und stiess auf die harte
Holzkannte, es war stockdunkel, schon bald hörte ich das
Summen der Besucher, Moskitos! Gut, dass ich ein Netz
hatte! Aber oha, am ganzen Körper erlebte ich einen
Generalangriff von Moskitos, Mücken aller Art etc.
Ich hatte eine Taschenlampe mit mir, jetzt erkannte ich die
grossen Löcher im Netz!
Ich schwitzte wie in einer Sauna, ein kühles Getränk war
Wunschdenken. Die ganze Nacht verbrachte ich mit kratzen
und umdrehen, jetzt wusste ich, wie es damals im Krieg in
einem japanischen Gefangenenlager gewesen sein musste,
eben genau so!
Und es kühlte auch kaum ab, auf jeden Fall wünschte ich
mir nichts anderes, als am nächsten Tag abzureisen!
Völlig verstochen stieg ich schon sehr früh aus dem Zimmer
nach unten, gab meine Lage bekannt und man schien mich
zu verstehen. Delia konnte bleiben, aber sie wollte auch
mitkommen. Im Oriente erholte ich mich von dieser
Horrornacht. Am Morgen kam noch der LOLO von den
Bergen herunter, er wurde getragen, weil er einmal so mit
85 einen Motorradunfall hatte, der Beinbruch heilte nicht
mehr aus. Ich durfte ihn aber nie dort oben besuchen, auch
später nicht, weil entweder die vielen bösen Geister oder
aber die kommunistischen NPA, etwas dagegen hätten.
Er war damals bereits um die 92 Jahre alt. Er erinnerte an
einen chinesischen Buddha, er war ja auch ein echter
Chinese. Damals exitierte noch die „Orient Airline“, diese
flog von Dumaguete nach Dipolog, auf Mindanao. Delias
Vater war Lehrer in Dipolog. Zudem lebte dort auch noch
der „reiche Onkel“, der älteste von den Brüdern. Er hatte
am meisten Vermögen, darum nannten wir ihn so. Ein
Kuriosum bei ihm, er hatte die uneheliche Tochter seiner
Ehefrau zur Frau! Beide lebten friedlich mit ihm
zusammen!“ Delias Vater war ständig betrunken, er war
aber immer noch im Schuldienst, nun, dort spielt es keine so
grosse Rolle, ob die Lehrer betrunken sind oder nicht.
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Beim reichen Onkel gab es elekterische Anlagen wie
Ventilatoren, Kühlschränke etc., und auch die Betten waren
bequemer. Wir besuchten dann auch Dapitan, der Ort, wo
die Spanier den Jose Rizal gefangen hielten. Man kann die
Gebäude wie eine Art Museum besuchen.
Die jüngste Tochter des reichen Onkels, Lisabeth, war
damals rund 20 und mit einem Buchhalter liiert, dieser soll
sich dann später den NPA angeschlossen haben. Ich hatte
mit ihm über diverses geplaudert, er war auch der Ansicht,
man müsse dort etwas verändern.
(Nachtrag, etwa im Jahr 2006, starb Lisabeth an Krebs, die
Behandlung war derart aufwändig, dass Delia auch noch
Geld schickte, obwohl sie selber gar keines hatte, natürlich
holte sie wieder Hilfe beim geborenen Sponsoren) .
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Kapitel 13
Die
Parapsychologie
Vom 14. bis etwa zum 22. Altersjahr befasste ich mich mehr
oder weniger mit der Parapsychologie und verwandten
Gebieten. Ende der Sechzigerjahre entstanden dann die
vielen Gruppierungen von Esoterikern, PSI-Forschern, New
Age Anhängern, etc. Selber abonnierte ich die bekannte
Monatsschrift „Esotera“ sowie weitere einschlägige
Schriften aus England und den USA. Ich wurde auch
Mitglied bei der „Schweizerischen Gesellschaft für
Parapsychologie“, besonders von deren Bibliothek machte
ich regen Gebrauch. Ich las unzählige Bücher und vergass
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dann das meiste später wieder. Die Erforschung der
paranormalen Erscheinungen fand ich besonders
faszinierend. Die Religionen aller Schattierungen konnten
alle diese Fragen nicht zur vollen Zufriedenheit
beantworten, sondern versteiften sich auf oft völlig
unhaltabare Behauptungen und liessen auch Drohungen
nicht aus, wenn es darum ging, ihren oft abstrusen
Glaubensbekenntnissen folge zu leisten! Andererseits
mochten die Religionslehren auch einen Funken Wahrheit
enthalten, und um einfache Gemüter zufrieden zu stellen,
hatten sie auch ihre Daseinsberechtigung. Den etwas
gebildeteren Zeitgenossen blieben sie aber viele Fragen
schuldig. Bei der Erforschung der paranormalen
Erreignisse, erstatetten die verschieden Forschungsgruppen
anlässlich der Jahresversammlungen, Berichte über ihre
Erkenntnisse und Forschungsergebnisse. Für mich bildeten
diese eine willkommene Ergänzung zu den literarischen
Informationen.
Auf die brennenste Frage, nämlich über das mögliche
weiterbestehen der Seele (Astralkörper) nach dem Tod,
sowie einer Reinkarnation in neue Lebewesen, erhielt ich
trotz vielen interessanten Hinweisen, keine einwandfreie und
nachweisbare Fakten!
Ich hatte aber schon einmal darauf hingewiesen, dass ich auf
Grund eines seltsamen Erlebnisses im März 1958, als ich von
Portbou nach Barcelona fuhr, und ich plötzlich dieses
sonderbare Wärmegefühl verspürte, etwa auf halber
Strecke! Es war mir zumute, als würde ich zu Hause
eintreffen! Dann der Freund von Isabelle in Barcelona,
welcher bei den Roten kämpfte und verletzt wurde, und als
er mir davon erzählte, war ich der festen Ansicht, ich sei
dabeigewesen und wir wären damals gute Kameraden
gewesen! Dann meine Riesenwut auf die Frankisten, die ich
schon als kleines Kind verspürte und den Grund dafür nicht
kannte!
Und als ich die katalanischen Schülerinnen unterrichtete,
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konnte ich ihrer Sprache fast problemlos verstehen, obwohl
ich gar nie Katalanisch gelernt hatte.
Aus all der Literatur, erfuhr ich, dass diese Zeichen
Hinweise waren, dass man einmal in einem früheren Leben
dort zu Hause war. Aber mit meinen rudimentären
Kenntnisse der Pendeltechnik, erfuhr ich noch mehr,
ja, ich wurde im Jahr 1900 dort geboren, und im Jahre 1937,
also mit 37 Jahren, im spanischen Bürgerkrieg von hinten
erschossen, und fiel von einem Berg runter.
Solche Gebirge gibt es in der dortigen gegend!
Nun kennt man aber noch die Theorie von den Wunden
oder Narben, welche man später in den neuen Körper
hinüber transferiert. Im Prinzip hat man bei einer Schuss
und Stichwunde dann dort ein Mal oder gar mehrere Male
oder Flecken (Leberflecken) meistens sind diese bereits
anlässlich der Geburt vorhanden, aber eine andere Theorie
besagt, dass sie auch erst dann auftauchen, wenn sie im
vorherigen Leben verursacht wurden! Also, wurde die
Wunde im Alter von 25 Jahren erlebt, soll sie im nächsten
Leben erst dann erscheinen, wenn der neue Körper dieses
Alter erreicht hat!
Und genau das war bei mir der Fall, mit 37 bildete sich auf
der rechten oberen Rückenseite ein Riesenmal mit einem
Durchmesser von ca. 3 cm. Dieses Mal ist dann immer so
geblieben! Und damit ist das mosaikartige Puzzle fertig,
ein einwandfreier Beweis ist es nicht, aber für mich doch
sehr relevant. Nebst den bereits genannten Fakten, kommen
noch weitere unbeantwortete Fragen auf, weshalb träumte
ich als kleines Kind immer, ich falle von einem Berg runter,
dabei hatte ich noch nie Berge gesehen! Diese Träume
hielten nur bis etwa zum 10. Altersjahr an, hingegen blieb
die Höhenangst bis heute, wobei sie etwas gemildert wurde.
Der Hass auf die Frankotruppen verblich auch bis zum 20.
Altersjahr.
Es würde diese Aufzeichnung sprengen, wollte ich näher auf
diese interessanten Themen eingehen. Leider ist rund 90%
all dieser Literatur eher Makulatur, hat man hunderte
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Bücher gelesen, weiss dann aber oft nicht viel mehr als
zuvor.
So war die Lektüre der Scientologie Bücher reine
Zeitverschwendung! Ich erhielt dann von dieser
aufdringlichen Organisation laufen Korrespondenz, wonach
ich eben den Stoff nicht begriffen hätte, und ich reif für
einige teure Dianetic Kurse sei! Auch 40 Jahre danach
erhalte ich noch Werbematerial von dieser einzig „wahren“
Religion.
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Kapitel 14
Fernstudium
Meine berufliche Weiterbildung war mit der zweiten
eidgenössischen Fachprüfung auch abgeschlossen.
Ich hatte nun diverse Fachdiplome und Ausweise, die mir
aber beruflich sehr wenig brachten, da war das PoehlmannDiplom, das ich anfangs der Sechzigerjahre in einem
Jahreskurs erwarb, das Ruf Buchhalterdiplom aus dem
Jahr 1956, das Privatdetektivdiplom von 1956/7, die halbe
Schlosserlehre in der LWB,(1954/55) die Lehre bei der
PTT,(1955-58)das KV-Diplom, das Journalistendiplom, das
eidg. Agentendiplom, die Handelsschule der
Akademikergemeinschaft, das beinahe eidg.
Buchhalterdiplom. Und ich sehe heute noch die entsetzten
Gesichter der Personalchefs, wenn sie meine vielseitige
Ausbildung bestaunten und fragten, wann ich denn all das
gemacht hätte und wofür? Dass ich auch noch sämtliche
Landwirtschaftsarbeiten kannte, und bei der Gärtnerei
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Sutter im Schlatt fast alle Gärtnertechniken erlernte,
musste ich dabei nicht auch noch erwähnen.
Aber der Zufall hilft eben oft auch mit, meine Aufgabe bei
der OSEC, war die Information und Auskunfterteilung über
die gesamte Schweizer Produktion. Das hört sich mit einem
Satz sehr einfach an, aber genau in meinem Job, den ich von
1969 bis 1997, ausübte, konnte ich wirklich alle meine
Kenntnisse voll einsetzen und davon Gebrauch machen, ich
hatte eigentlich nur zwei Schwachpunkte, die Chemie und
die Physik!
Dass ich in diesen Branchen nicht mehr wusste, bereute ich,
aber es war schliesslich unmöglich, sich überall gleich gut
auszukennen!
Und was noch schwieriger war, ich sollte mich in vier
Sprachen verständigen können! Deutsch, Französisch,
Englisch und Spanisch. Mit meinen Französischkenntnissen
stand es aber anfänglich nicht zum Besten! Ich schwitzte
ganz ordentlich am Telephon, weil sich die französisch
sprechenden Landsleute keinerlei Mühe gaben, langsam zu
sprechen oder sich so zu verhalten, wie man das mit einem
Fremsprachigen tun sollte! Vielmehr wurden sie ausfällig,
wenn ich ein technisches Wort auf Französisch nicht
sogleich verstand! Besonders frech waren dabei die
Angestellten der Handelskammer von Genf!
Wenn ich sie fragte, wie das Wort auf Englisch oder gar
Deutsch lautete, sagte die Dame:“Der versteht ja nicht
einmal unsere Sprache!“ Aber ich setzte mich darüber
hinweg, und nach einigen Monaten waren meine Kenntnisse
auch wieder auf einem besseren Niveau! Schon bei den
Engländern machte ich mit der welschen Arroganz
bekanntschaft. Ich fuhr damals den ganzen Tag über
Yverdon bis nach Morges zur Firma Demaurex. Unterwegs
hatte ich noch eine Panne und musste mein Auto reparieren
lassen. Damals, 1966, hatten wir nur eine Autobahn von
Lenzburg bis nach Grauholz. Alles andere war auf engen
Landtrassen und als ich gegen 16 Uhr endlich in Morges
eintraf, war ich derart ausgelaugt, dass ich das französische
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Wort für Eigelb nicht mehr wusste! Ich stammelte vor dem
Einkäufer etwas zusammen, so dass dieser einen
Lachkrampf kriegte, ich war derart deprimiert, dass ich
mein Gespräch auf Englisch und Deutsch weiter führte, was
natürlich der welsche Depp nicht vertstehen konnte und mir
die Gelegenheit verschaffte meinerseits dumm zu grinsen!
Ich litt demnach bereits unter einem starken Vorurteil,
gegenüber den Welschen Zeitgenossen! Und die Filiale
Lausanne wurde in all den Jahren zu einer feindlichen
Hochburg. Gegen Schluss meiner „Karriere“ bei der OSEC
eskalierte dann das Ganze noch mit einem meiner bösen
Artikel in der Hauszeitung! Worauf dann der Direktor,
Walter Fust, auf das Drängen von Lausanne, mir ein
Schreibverbot auferlegen musste!
Die Redaktorin, Ursula Renold, quittierte dann ihren Job,
sie wurde m.W. später Vizedirektorin des BIGA?(Es könnte
sich um eine andere Person mit genau gleichem namen
handeln, ich habe aber ihre Stimme im Radio DRS deutlich
wieder erkannt, und bin fast sicher, dass sie es ist!)
Jede Medaille hat immer zwei Seiten, Spanisch benötigte ich
nur sehr selten, dafür war aber Italienisch viel gefragt! Doch
diese Sprache war damals nicht gefragt, demnach lernte ich
die nötigsten Italienischwörter und so war es mir möglich,
besonders die Anfragen aus dem Tessin zu beantworten,
manchmal auch aus Italien. Und wenn die Welschen sich wie
wilde Paviane aufführten, waren die Tessiner praktisch
ausnahmslos sehr freundlich, bemühten sich langsam und
deutlich zu sprechen, und waren um jede Information sehr
dankbar. Freche Anrufe aus dem Tessin erhielt ich nur von
Deutschen dort oder von Deutschweizern.
Weil meine Arbeit kein Geld einbrachte, zumindest nicht
direkt, wurde sie innerhalb der OSEC richtiggehend
diskriminiert. Damit hatte ich mich abgefunden, aber als
dann auch das Salär darunter litt, griff ich zu einem Trick,
der dann viel Ungemach in die Bude brachte.
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Ich war seit 1958 KV-Mitglied, und der KV bot sich an, die
Arbeitsplätze zu evaluieren um festzustellen, ob man
zeitgemäss entlöhnt wird?
Ich sandte einen genauen Beschrieb meiner Arbeit
zusammen mit dem damaligen Stelleninserat in der NZZ,
zur evaluation an den KV. Mein Salär erwähnte ich
vorsichtshalber nicht!
Und das Ergebnis war umwerfend, ich sollte mehr als das
Doppelte verdienen! Die Erhebung schlug wie eine Bombe
ein, die Direktion musste eine Sondersitzung einlegen, man
gewährte mir dann einige Hundert mehr monatlich. Später
erfuhr ich, dass man alle Varianten, inkl. Aufhebung meines
Arbeitsplatzes besprach! Aber dazu hätten diese „Puppen“
wohl mehr Mut und Durchsetzungsvermögen benötigt!
Sie wussten, dass ich mit der Hilfe des KV rechnen konnte!
Um das Jahr 1972, fand ich eine Anzeige in einer englischen
Schrift, dort wurde angeboten, Leute, welche ihre Studien
nicht abschliessen konnten, könnten dies nun anhand eines
Fernstudiums mit einem amerikanischen College nachholen.
Ich dachte dabei nicht an mich, sondern an Delia, welche ja
ihr Studium nicht zu Ende bringen konnte.
Ich bestellte die Unterlagen aus Indianapolis(USA, erhielt
interessante Unterlagen, wobei ich festellte, dass auch ich
diese Kurse absolvieren konnte!
Nach etwa zwei Jahren konnte man mit dem Titel Dr.of
Psychology, und Dr. of Religious Science, abschliessen, eine
Disseration musste aber eingereicht werden.
Ich war begeistert, schrieb mich zusammen mit Delia ein,
damit wurden die Kurskosten halbiert.
Ich stellte dann fest, dass es sich um eine religiöse
Hochschule handelte, welche schon seit fünfzig Jahren
theologische Dr. Titel legal verleihen durfte. Das Studium
war sehr interessant, entsprach aber nicht dem
akademischen Standard in der Schweiz! Hingegen hatte ich
in den Fächern Psychologie, Theologie und Parapsychologie,
viel dazugelernt. Die Dissertation war einfach und wir
erhielten dann die grossen Diplome zugestellt. Ich stellte fest,
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dass viele Psychologen in der Schweiz, mit diesen Diplomen
eine Praxis betrieben. Später wurden sie eingeklagt und
durften sich beruflich nicht mehr Dr. der Psychologie
nennen!
Etwas danach stiess ich auf ein anderes College, das
„Collegium Neotarianum Philosophiae“ in Kansas City,
Missouri.
Dort absolvierte ich diverse Fernkurse und reichte dann
auch eine Dissertation ein, und mit den „Credits“ meiner
früheren Studien, erhielt ich dort schliesslich den Ph.D.
Aber auch dieser legale Titel, wird in Europa nicht
honoriert. Mir brachte er auch keinerlei Vorteile. Darum
führte ich den Titel nur auf einer Visitenkarte des BTS
Reisebüros, das jedoch eher scherzeshalber.
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Kapitel 15
Reise nach
Frankreich
Im Herbst 1970 fuhren wir, Delia und ich, bereits einmal
durch Frankreich, damals nach Barcelona/Spanien.
Im Juni 1972 ging es nach dem Südwesten, also genauer
nach Montagnac-la-Crempse, wo ich neun von 10
Jugendjahren in Frankreich lebte, das erste Jahr in
Gardonne, war mir ja nicht bewusst. Weil ich oftmals in
Frankreich war, erinnere ich mich nicht mehr an die genaue
Strecke. Geblieben ist mir aber, dass wir erste Klasse
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fuhren, und einmal nervte mich Delia derart, dass ich ihr
meine Hand zeigte, aber nicht schlug! Das war das einzige
Mal in unserer Ehe, dass ich beinahe die Nerven verlor, den
Grund dazu habe ich aber vergessen, wenige Wochen später
wurde mir aber ihr Verhalten verständlich, sie war
schwanger!
Ich erinnere mich, dass wir auch Lourdes besuchten, dieser
religiöse Jahrmarkt stimmt eigentlich eher nachdenklich!
Tragisch finde ich die vielen Hundert Hilfesuchenden, die
kaum eine Chance auf eine Spontanheilung haben können.
Dass in 150 Jahren nur gerade einmal 39 Wunderheilungen
stattfanden, finde ich sogar unter dem zu erwartenden
Durchschnitt, da schneiden selbst die philippinischen
Geistheiler besser ab .
Mit der Eisenbahn erreichten wir dann Perigeuex, dort
mietete ich ein Auto um damit nach Montagnac zu fahren.
Ich war letztmals 1967 dort, die alten Damen waren nun
inzwischen alle gestorben, aber der Nachbar Blondy, lebte
noch in seinem Haus. Lucien Flachat, mein Schulkamerad,
war in Marseilles, das Dorf war nur noch teilweise bewohnt,
die Hausdächer eingefallen, es war wie in einem verlassenen
Wildwestdorf. Wir fuhren am nächsten Tag nach Mussidan,
wo wir die Familie Steiner besuchten, das alte Paar war
krank, besonders Herr Steiner litt unter Magengeschwüren,
erinnere mich, dass ich ihm noch Ratschläge über deren
Heilung abgab, etwa Kartoffelsaft zu trinken, Reisbrei zu
essen, etc.
Delia stellte fest, dass mich die Leute hasserfüllt anschauten,
es waren fast nur schwarz bekleidete alte Frauen! Aha, da
wusste ich Bescheid, im Juni 1944, (siehe Teil 1), wurden
hier sämtliche Männer von den Nazis erschossen. Und ich
hatte das Riesenpech, mit einem „Tete Bosch“
herumzulaufen! Ich wurde als Deutscher erkannt und
demzufolge gehasst. Wenn ich dann mit den Leuten sprach,
ihnen erklärte, dass ich früher in der Nähe lebte und in die
Schule ging, wurden sie umgehend sehr freundlich und
luden uns sogar zu einem Glas Wein ein. Wir besuchten
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dann noch einen Sohn der Steiners, welcher das
Landwirtschaftsgut seiner Eltern weiter führte.
Ich glaube, eine der Schwestern war auch noch dort
beschäftigt, sie kannte mich nicht mehr, wir besuchten in
Montagnac die Schule, aber sie war etwa 12 oder 14 und ich
erst 7 bis 8 jährig! Die andern Kinder waren in den Städten
wie Lyon, Paris, Bordeaux, etc. berufstätig. Sie waren alle
hundertprozentige Franzosen, während ich es kaum auf die
Hälfte brachte. Eine wichtige Information erhielt ich von
den Steiners, sie kannten Bruder Hans gut, und was sie mir
erzählten war nicht sehr positiv. Hans war angeblich von
Bergerac nach Toulouse gezogen, dort soll er in einem
Alkoholrausch mit seinem Lastwagen einen Riesenunfall
verursacht haben! Die Zeitung habe seitenweise darüber
berichtet, vermutlich lebe er nicht mehr!
Und ich hätte ihn doch noch gerne getroffen, wir hatten
1964 eine Wette abgeschlossen, danach behauptete ich, die
Vietnamesen würden als Sieger aus dem Krieg hervorgehen
und die USA verlieren. Er sagte, obwohl sie sehr gute
Soldaten wären, könnten sie gegen die Waffenüberlegenheit
der AMIS nichts ausrichten. Und 1972 zeichnete sich diese
Entwicklung bereits deutlich ab. Nur allzu gerne hätte ich
ihn dabei sehen wollen, was für ein Argument er dabei
aufbringen würde.
Ende der Achtzigerjahre, beschloss ich eines Tages, mich
nach dem Schicksal von Hans zu erkundigen.
Behördlicherseits kamen keine Informationen, obwohl diese
an sich verpflichtet gewesen wären, die nächsten
Angehörigen zu informieren, sollte er verstorben sein.
Und das war sicher seine Mutter, also meine Mutter!
Aber sie erhielt nie eine Nachricht, ich konnte deshalb
annnehmen, Hans könnte trotzdem noch leben!
Ich schrieb an das Schweizer Konsulat in Bordeaux, und die
Antwort kam postwendend, dass Hans Theodor B. am 17.
12. 1979, in Toulouse gestorben sei.
Ich wollte wissen, woran er gestorben ist, aber da sperrten
sich die noblen Leute vom Konsulat, solche vertraulichen
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Informationen würden nur den Eltern erteilt, nun war aber
Mutter in der Zwischenzeit auch gestorben, ich war somit
sein nächster Verwandter, aber da wir nur „Halbe“ waren,
reichte ihnen das auch wieder nicht!
Ich wurde an die Heimatgemeinde Urnäsch-Herisau
verwiesen, aber auch dort klemmte man. Schliesslich gab ich
auf, es änderte ja doch nichts mehr! Mich interessierte
eigentlich nur, ob er an den Folgen des schweren Unfalls
oder aber wegen dem Alkohol starb? Nun bleibt diese Frage
wohl für immer unbeantwortet.
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Kapitel 16
Der Sohn
Nein, ich wollte eigentlich keine eigenen Kinder haben, ich
litt immer noch unter dem Trauma über den dramatischen
Tod von Schwester Klara!
Und so etwas würde ich ein kein zweites Mal durchstehen
können! Dann die Familienprobleme zwischen Mutter und
Vater, und schliesslich noch alle die Schwierigkeiten mit
meinem Bruder Ernst! Zudem fühlte ich mich absolut nicht
als Vaterfigur, der sich geduldig seinen Kindern widmet,
Windeln wechselt, die Milchflasche verabreicht. Da schlug
wohl wieder eine höhere Macht zu? Wir verfügten über eine
natürliche Fruchtbarkeitskontrolle, und ich war mir sicher,
als wir über die Ostertage 1972, nicht nach Chicago fliegen
konnten, weil eben kein Platz für die Angestellten frei war,
und Delia sich gewalltig aufregte, dass uns damals einer
dieser spanischen Kondome einfach riss! Ja, genau so
musste es gewesen sein, wie sonst würde sie wie die Maria
einfach schwanger werden? Und ich sollte mich auch über
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meine Fruchtbarkeit, bei der bereits ein geplatzter Kondom
genügte erfreuen! Gut, es war geschehen und wir standen
dazu, zudem kam ich zur Überzeugung, dass es doch besser
war, wenn ich mit 35 Vater wurde, als erst mit 40 oder noch
später. Und da war noch etwas, seit über vier Generationen,
gab es keinen männlichen Nachfolger mehr. Der
Urgrossvater starb in Ohio, er hinterliess ein Kind den
Grossvater, dieser wiederum zeugte etwa sieben Kinder,
aber nur mein Vater hatte zwei Knaben, Ernst und ich,
und der Ernst schien auch nicht um Nachwuchs zu sorgen!
So blieb diese lebenswichtige Aufgabe anscheinend mir
überlassen?
(Meinem Sohn erging es übrigens fast genau gleich, er sorgte
dann dafür, dass auch noch in der sechsten Generation
wieder ein Knabe da war!)
Delia ging weiterhin ganztags arbeiten, ich hoffte insgeheim,
dass es eine Tochter sein werde, sozusagen ein Ersatz für
Klara! Aber da nützte alle Meditation nichts, denn das
Geschlecht war schon bestimmt, als wir wussten, dass Delia
schwanger ist! Sie besuchte regelmässig den Frauenarzt, und
wir beschlossen, die Geburt im Privatspital oberhalb
Winterthurs anzumelden. Alles schien normal abzulaufen
und ich machte mir auch keine grossen Sorgen. Ein
Problem war allerdings das Befruchtungsdatum, dieses
konnten wir nur erraten, und der Arzt kam dann gegen
Ende Dezember zum Schluss, man müsse wohl eine
künstliche Geburt einleiten! Auch dazu hatte ich keine
eigene Meinung, weil mir das alles nicht bekannt war.
Obwohl Delia sehr klein und schlank war, war ihre
Schwangerschaft äusserlich bis zum Schluss kaum sichtbar!
Unsere Hauswärtin, die sie jeden Tag zur Arbeit gehen sah,
hatte keine Ahnung davon. Am 5. Januar 1973, mussten wir
frühmorgens ins Linthbergspital, ich ging zwar mit, aber
dann verzog ich mich ins Geschäft, ich wollte besser nicht
dabei sein, und im Nachhinein erwies sich dies auch als
richtig. Die künstliche Geburt wurde mittels Spritzen
veranlasst, die Hebamme kam und es sollte laut ihr
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ausreichen, wenn sie dabei war. Ich gab ihr meine Tel.
Nummer und sie sollte mich im Geschäft anrufen.
Aber ich wartete den ganzen Tag und wurde immer
nervöser, kein Anruf, nichts!
Gegen Abend hielt ich es nicht mehr aus und rief an,
die Hebamme sagte nur trocken:“Es ist ein Büblein“.
Ja, aber da war doch etwas faul! So langsam wurde sie
deutlicher, es habe eben ein Problem gegeben, und man
wisse nicht, ob es überlebe?
Ich fuhr aufgeregt nach Winterthur, OK, wenn es eine
Totgeburt war, dann musste man das akzeptieren, aber
dazwischen lagen viele Möglichkeiten, die ich absolut nicht
gebrauchen konnte! Noch war nichts klar, aber schon bald
wusste ich mehr, durch die lange Geburtsphase, waren
Mutter und Kind völlig am Ende. Und ein Kaiserschnitt, den
man aus meiner Sicht hätte machen müssen, war dann nicht
mehr durchführbar. Gut war ich nicht dabei, das hät
te ein Riesentheater gegeben!
Der Kinderarzt Dr. Reinhardt, wurde geholt, er sagte mir,
das Spital sei nicht für solche Problemfälle ausgerüstet, man
müsse den Säugling ins Kantonsspital Winterthur
überführen. Gut, ich hatte keine Wahl! Die Mutter blieb
aber im Linthbergspital zurück. Auf der Fahrt ins Spital
hörte ich das leise Stönen des Säuglings, jetzt begann ich
mit meiner Meditationstechnik, die ich im US College
erlernt hatte! Ich visualisierte, dass dieser ganz gesund sein
müsse, dass er im Alter von drei Jahren als gesunder Knabe
mit uns rund um die Welt fliegen werde! Dass ich keinen
Krüppel etc, akzeptiere, und so etwas gar nicht in Frage
käme.
Es war keine Bitte, sondern ein Befehl!
Delia taufte ihn Rey, ich hatte nur einen Namen für ein
Mädchen auserwählt, Grace Divina. Eigentlich sollte er
aber Ray heissen, aber sie meinte, die Schweizer würden das
dann falsch aussprechen, weil die meisten kein Englisch
verstanden.
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Rey wurde in einen Brutkasten gelegt, ich durfte ihn dann
am nächsten Tag besuchen gehen, allerdings nur aus der
Ferne hinter einer Glaswand und mit Masken und
Spezialkleidung ausgerüstet, kam ich mir vor wie der
Armstrong auf dem Mond.
Delia blieb im Spital oben, sie hätte ja doch nicht bei ihm
sein können!
Ich konnte ihm aber in die Augen sehen, und dann wusste
ich Bescheid! Sie leuchteten wie Kerzen in der Dunkelheit!
Und damit war mir persönlich bewusst, er war normal und
gesund!
Aber die Ärzte waren da anderer Ansicht, besonders ein
junger Dr. Sulzer, der mir an diesem Samstagmorgen den
grössten Unsinn erzählte.
„Wir standen irgendwo in einem Gang beim Ausgang und
der kleine Arzt begann mich über die allegemeine Situation
betreffend meinem Sohn zu informieren, ich erinnere mich
nicht mehr an die einzelnen Sätze und Aussagen, die er im
Lauf des Vormittags mit ärztlicher Arroganz verbreitete.
Vermutlich störte es ihn, dass ich fast einen Kopf grösser
war als er. Demzufolge musste er mich eben moralisch
kleinkriegen. Ich hatte keine Ahnung, was da alles auf mich
zukommen konnte. Sicher war nur, wegen der langwierigen
und schwierigen Geburt litt Rey unter Sauerstoffmangel
und war statt rötlich-weiss, eher blau und schrie demzufolge
nicht! Das konnte schlimme Auswirkungen haben, und der
Dr. Sulzer, profilierte sich mit seinem Almanach der vielen
Möglichkeiten einer Fehlentwicklung während gut zwei oder
drei Stunden. Ich hörte ihm kaum zu und nach einiger Zeit
sagte ich zu mir:“Du bist doch ein Riesendummkopf“, sowas
sagt man doch bekümmerten Eltern nicht!“ Aber ich
behielt es natürlich für mich, denn ich war ganz davon
überzeugt, dass der reinen Unsinn verbreitete. Er zählte alle
die Varianten auf, vom Vollidioten bis zum Hilfsschüler.
Und, dass wir den Sohn, sollte er zu den sehr schweren
Fällen zählen, in ein Heim geben könnten. Vermutlich sollte
diese Aussage mich beruhigen? Das Gegenteil war aber der
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Fall. Gegen Mittag verabschiedete ich mich von ihm und
seinen Schlusssatz habe ich nie vergessen:“Wenn wir etwas
Glück haben, dann springt er vielleicht mit sechs Jahren
auch im Sandkasten herum!“
Mit einem gewaltigen Zorn auf diesen Kerl im weissen
Kittel, fuhr ich nach Effretikon zurück. Der Delia wollte ich
über dieses lange Gespräch gar nicht detailliert berichten.
Mit dem Druck der Geburtsanzeigen musste ich auch noch
eine Woche zuwarten.
Einmal mehr wurden meine grossen Vorbehalte gegenüber
Ärzten bestätigt. Ich sagte der Delia, wir müssten intensiv
meditieren und alles im besten Licht sehen, denn es stehe
nicht sehr gut um unseren Sohn. Er müsse aber gesund sein
und etwas anderes komme nicht in Frage!
Nach einem Monat im Brutkasten durften wir ihn nach
Hause nehmen. Und nach sechs Monaten sollte in einem
Speziallabor in der UNIKLINIK Zürich, ein EEG Test
durchgeführt werden. Und wenn dieser positiv ausfalle,
werde er als normal und gesund erklärt, und dann von den
IV-Leistungen ausgeschlossen. Zuvor zahlte die
Invalidenversicherung die Spitalkosten. Und der Test
entsprach meinen Erwartungen und war erfolgreich, wir
konnten aufatmen!
(Rey besuchte dann die normale Schule, Primar und
Sekundarschule, hatte manchmal etwas Probleme mit dem
Leistungsdruck, abert er konnte die KV- Lehre absolvieren,
wurde Unteroffizier in der Armee. Heiratete und hatte
wieder einen Sohn, und zeigte zudem beim Hausausbau,
aussergewöhnliche handwerkliche Fähigkeiten).
Ich bin überzeugt, dass unsere gemeinsame und fest
entschlossene Medidation dabei eine wichtige Rolle spielten!
Persönlich habe ich schon in jungen Jahren mit der
meditativen Visualisation Ziele erreicht, die ich sonst nicht
geschafft hätte. Nur ein Beispiel, als ich zehn jährig war, las
ich in einem Magazin, dass in den USA, die
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durchschnittliche Körperlänge beim erwachsenen Mann 180
Zentimeter betrage. Und schon wurde das zu meinem Ziel!
Nur waren die erblichen Voraussetzungen gar nicht
vorhanden! Mutter war nur etwa 160 cm, Vater knapp 170,
Bruder Hans ebenfalls, und in der ganzen Verwandschaft
fand sich niemand mit mehr als 172 cm, (Ausnahme war der
„Kusin“ Trachsel Ueli, aber der war vom Schlag seines
Vaters, und mit dem war ich wiederum nicht verwandt!)
Zudem war meine Ernährung während und nach dem Krieg
auch nicht gerade optimal für einen langen Körperbau! Also
gut, ich hatte wieder keine Chance, das Ziel auch nur
annähernd zu erreichen!
Mich kümmerten aber alle diese Hindernisse nicht, ich
wollte unbedingt mein Ziel erreichen und zwar bis zum 18.
Altersjahr. Bereits mit 14 war ich 175 cm und ich musste
nur noch 5 cm schaffen. Natürlich mass ich fast jeden Monat
einmal nach, und mit 18 war ich dann wirklich 179.7 cm,
ohne Schuhe! Und schliesslich wurden es fast auf den
Milimeter genau 180 cm! (Bei ärztlichen Messungen war ich
dann oft 179 bis 183 gross, was aber eher auf die
oberflächliche Messung zurück zu führen war!) Zum
Vergleich, Bruder Ernst, welcher fast 10 Jahre jünger war,
brachte es kaum auf 170 cm, trotz besserer Nahrungsmittel
etc. Ich bin heute überzeugt, dass ich es ohne diese
Visualisation nur auf etwa 172 bis 174 cm geschafft hätte!
Leider habe ich nicht ausreichend von dieser Technik
Gebrauch gemacht. Auf anderen Gebieten, wie etwa im
Lotto, hatte ich aber damit keinen Erfolg, es gibt im
esoterischen Wissen dafür auch eine Erklärung.
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Kapitel 17
Wir kaufen ein
Haus
Von der Bahnhofstrasse in Effretikon, zügelten wir um ins
„Im Moos“, dort hatten wir nur eine Zweizimmerwohung,
die aber wesentlich billiger war. Rey wurde plötzlich
kugelrund, und die Ärzte ordneten an, ihm weniger Essen zu
geben, das hatte zur Folge, dass er jede Nacht lange Zeit
schrie und wir nicht mehr schlafen konnten, das führte
soweit, dass ich ihm einmal sogar ein Pflaster auf den Mund
drückte, Delia wurde wütend und entfernte es sogleich mit
einem Ruck, das aber tat ihm weh, so, dass er noch lauter
wurde, nun ja, ich war auch nicht besonders stolz auf meine
Tat! Da sagte uns die italienische Hauswärtin, wir sollten
doch nicht auf diese Ärtze hören, sondern tun was der
Säugling will! Und wir taten so und hatten das Problem
gelöst, die Gefahr mit dem fettwerden war eben nur eine
ärztliche Erfindung. Aber die Wohnung war eindeutig zu
klein, deshalb mietete ich bei der gemeinützigen
Baugenossenschaft eine grosse Dreizimmerwohnung an der
Rappenstrasse in Effretikon. Delia ging immer noch bei der
Swissair arbeiten, den Rey brachten wir am Morgen in die
Kinderkrippe. Schon bald gab es Probleme mit den
Nachbarn, ihre Kinder spielten ausgerechnet auf dem
Aussengang vor dem Kinderzimmer. Und Rey konnte nicht
schlafen. Also vertrieb ich die Kinder und hatte bald den
ganzen Stock gegen mich! Aber auch sonst gefiel mir diese
soziale Institution nicht, da wurden Pläne verteilt, wann
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man die Treppen, den Eingang oder den Keller zu reinigen
hatte. Oder zum ersten August wurde gar vorgeschrieben,
dass man Kerzen, Lampions etc. am Balkon aushängen
solle! Ich hatte genug von diesem Affentheater und wollte
ein Haus kaufen, aber Geld war kaum vorhanden. Ich
schaute mich in Effretikon um, aber die wenigen Angebote
waren kaum zahlbar!
Ich wurde einfach nicht fündig, wieder schien es mir, dass es
ein Häuschen, wie ich es mir vorstellte, gar nicht zu kaufen
gab. Ich versuchte es einmal anders herum, versandte etwa
20 Briefe an Liegenschaftenagenturen im Raum
Zürich/Winterhur. Erst blieb ich ohne jedes Echo, wie
bereits bei früheren Versuchen, dann, an einem Abend ruft
mich ein Mann aus Winterhur an, er habe möglicherweise
das, was ich suche.
Am Maurerweg 4, in Winterthur Geiselweid, war ein
Reiheneinfamilienhaus zu verkaufen. Am nächsten Tag ging
ich es anschauen, es war alt und etwas vernachlässigt, aber
ich sah da kein Problem, der Kaufpreis sollte bei 170.000.Franken liegen. Das war schon damals ein niedriger Preis
für ein Reihenhaus in der Stadt. Und der Agent sagte mir
noch, wie er dazu kam, meinen Brief zu lesen, erst habe er
diesen als Werbebrief in den Papierkorb geworfen, dann sei
ihm die schöne Briefmarke aufgefallen, er habe den Brief
wieder herausgeholt und erst dann gelesen, also das Ganze
verdankte ich der Marke!
Ich sagte sogleich zu, aber es gab da noch fast
unüberwindliche Schwierigkeiten. Neben dem Agenten war
noch ein Liegenschaftenhändler aus Seuzach involviert,
dieser pflegte jeweils das Haus bar zu kaufen, und dann
weiter zu verkaufen. Und damit er nicht zuviel Steuern
zahlen musste, griff er zum Trick mit dem Schwarzgeld.
Beurkundet sollten nur 150.000.- werden, den Rest sollte ich
als „Teilmöbelierung“ zahlen. Und weil ich nur knapp
20.000.- Franken gespart hatte, musste ich eine Hypothek
finden, die genau den Kaufpreis abdeckte.
Aber es gab damals, im September 1973, die grosse Ölkrise,
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die Banken gewährten keine Hypotheken, oder wenn, nur
noch erste, das hiess, ich hätte etwa 70.000.- Franken bar
zahlen müssen!
Ich blitzte bei allen Banken ab, nur Kollege Freddy, zeigte
sich bereit, mir aus der Patsche zu helfen! Ich fragte den
reichen Onkel Otto, aber der hatte hundert Ausreden!
Einmal mehr wurde mir bewusst, wie nutzlos Verwandte
sein können! Da griff ich zu einer Notlösung, unser neuer
Stellvertretender Direktor, Dr. H.J. H. war zuvor Direktor
bei der Credit Suisse, ich fragte ihn um eine Unterredung
und konnte ihm sogleich mein Problem schildern.
„Kein Problem, ich rufe sogleich den Direktor der Filiale
Unterstrass an,“ dort hatte ich ein Konto.
Er wechselte ein paar Worte mit dem Mann und dann war
die Sache gelaufen, ich hatte eine erste und eine zweite
Hypothek für den Gesamtbetrag von 150.000.Und, um den Kauf etwas besser darzustelllen, griff ich zu
einem Trick, vom Schwarzgeld durfte ich nichts erwähnen,
dafür konnte ich einen Ausbau von etwa 50.000.- Franken in
Aussicht stellen. Und das war dann mein Eigenkapital!
Ich nahm Urlaub auf halbtags, indem ich am Vormittag ins
Büro ging und am Nachmittag nach Winterthur, um das
Haus zu sanieren. Und das war eine Riesenarbeit, rund
einen Monat lang mussten wir noch zuwarten um
einzuziehen, dann war es endlich soweit. Mutter sollte im
obersten Stock wohnen, das Haus hatte drei Etagen und den
Keller. Ich baute dann noch eine Dusche ein, riss die Mauer
im Erdgeschoss heraus, um mehr Raum zu kriegen. Auch
der Garten verlangte viel Pflege und Arbeit. Delia ging nun
nur noch dreimal die Woche arbeiten, wir fanden für Rey
eine Tagesmutter, allerdings mussten wir ihn am Morgen
immer hinbringen, am Abend brachte uns Frau Ricklin den
Rey zurück. Es war aber aus finanzieller Sicht auch keine
optmale Lösung, die Tagesmutter und die Transportkosten
bis Kloten, kosteten fast gleichviel, was Delia bei der
Swissair netto noch verdienen konnte. Wir hatten aber noch
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verschiedene Reisepläne, danach sollte sie bei der Swissair
schluss machen!
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Kapitel 18
Reise um die Welt
Einmal rund um die Welt reisen, oder besser um die Erde,
ich hatte in jungen Jahren Santiago de Chile im Westen und
Tokyo Japan im Fernen Osten geschafft, aber dazwischen
war noch der riesige pazifische Ozean geblieben. Im Jahre
1975, als Rey gerade einmal zwei Jahre alt war, flogen wir
mit ihm auf die Philippinen, alle wollten den Nachwuchs der
Delia sehen und betasten! Für Rey wurde es eher eine
Horrorreise, und natürlich fing er sich ein Fieber ein, das
eben die Kinder kriegen, welche keine Abwehrstoffe gegen
die vielen Tropenviren haben. Wir besuchten ein zweites
mal Baguio und die dortigen Geistheiler, besonders Placido,
aber auch Tony Agpaoa, im Jahre 1971, war er nicht
anwesend, dafür gab er uns nun seinen grossen
Amerikanerwagen mit Fahrer für einen ganzen Tag
umsonst und lud uns zu einer umfangreichen Mahlzeit in
einem Chinesenrestaurant ein! Wir wohnten im Pineshotel
und waren eigentlich VIP Gäste, das veranlasste der Kollege
Rene Wanner, er war damals Manager im Tagatayhotel
gewesen, später sollte er das Pines in Baguio übernehmen.
Ohne uns zu informieren, verlangte er für uns VIP Service,
nach der Rückkehr fragte er etwas komisch, etwa nach dem
Service im Hotel, als ich sagte das sei ganz normal gewesen,
da verriet er uns dieses Geheimnis, da erinnerte ich mich,
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dass am Abend jeweils das Bettuch etwas zurückgemommen
wurde, aber das wird oft so gemacht, auch ohne VIP
Service! 1971 durften wir bei der Familie Reyes in Quezon
City wohnen, Jess war der Bruder der Fe Wanner, der Frau
von Rene. Er führte ein Architekturbüro und war auch
Bauunternehmer, aber er träumte von den USA, weil er auf
den Philippinen keine Zukunft sah! Ich riet ihm davon ab,
leider befolgte er meinen Rat nicht!
(Seine sehr hübsche Frau „Finita“ baute einen schweren
Autounfall, angeblich war ihr Gesicht verunstaltet, das war
die erste Hiobsbotschaft. Dann wanderte die ganze Familien
nach Kalifornien aus. Dort ging es eben nicht so einfach zu
und her, wie sich der Jess das so gedacht hatte. Er wurde
Mitglied einer religiösen Sekte, diese nahm ihm das ganze
Vermögen ab! Er war sich an einen gehobenen
Lebensstandard gewohnt und war plötzlich ein armer Mann
in den USA! Faszit, er erlitt einen Herzinfarkt und blieb bis
zum Lebensende im Komma! Er starb im Komma mit etwa
49 Jahren!)
Wir flogen schliesslich auch noch nach Zamboanga City,
dort wollte Delia ihren Halbbruder treffen. Wir nahmen ein
Zimmer im Lantaka Hotel, dort prangten ua. auch die
grossen Poster der „Tasadays“, ich bestaunte diese Leute
aus der Steinzeit und wurde damit genau gleich betrogen
wie die „National Geographic“ und der ganze Rest der
Welt.Weil es sich später herausstellte, dass der
philippinische Minister für die Urvölker, Manuel Elizalde,
alle zum Narren hielt. Die „Tasadays“ waren eine Erfindung
von ihm, es waren Leute vom Dorf und sie waren Lehrer,
Angestellte, Hausfrauen etc. .Immer, wenn Journalisten
kamen, diese durften nur mit Erlaubnis von Elizalde
aufkreuzen, und mussten sich Tage zuvor anmelden,
bemalten sich diese Leute mit Erde und Kot, und mussten
dann in die Höhlen untertauchen, dann, wenn die Weissen
kamen, machten sie Affenlaute und lausten sich gegenseitig.
Ich war damals Abonnent des „National Geographic“ und
bestaunte die Fotos dieser Menschen, die angeblich noch nie
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mit der „Zivilisation“ in Berührung standen! Immerhin
gestand er ihnen gute Eigenschaften zu, sie waren
Vegetarier und kannten kein Wort für Krieg!
Und die Flugzeuge, die oft am Himmel kreuzten, waren
Götter, vor denen sie sich sehr fürchteten.
Für die Philippinen war es eine gute Werbung, zumindest
bis zum Tag der Wahrheit! Unter uns, es war aber auch eine
Demonstration, was man von den Philippinen und seiner
Bevölkerung erwarten darf!
Jetzt, 1975 wohnten wir bei den Wanners in einem
Nobelquartier von Manila, die Fe hatte eine Haushälterin,
eine hässlichere Person hatte ich dort noch nie gesehen,
angeblich war sie von einem Bergstamm, also eine
Ureinwohnerin. Ich fragte die Delia, weshalb die Fe eine so
hässliche Frau angestellt habe? Sie sagte lachend:“Damit
der Rene nicht auf andere Gedanken kommt!“ Aha, darauf
wäre ich gar nicht gekommen, aber es war typisch
für die Fe, die an der „University of the Philippines“
Journalismus studiert hatte.
Über die Fe lernten wir auch den damals bekanntesten
Filmstar des Landes kennen, Louis Gonzales, er spielte ua.
auch in einem Film den Präsidenten Marcos, ich konnte
mich mit ihm gut unterhalten, und als ich den Namen
„Elisabeth de Oropesa“ erwähnte, sie war damals die
schönste Schauspielerin des Landes, leuchete er auf und
fragte mich: „Willst Du sie kennen lernen, kein Problem!“
Also, das wäre mir schon angenehm gewesen, aber sicher
nicht in Begleitung meiner Frau! Fe machte uns dann noch
bekannt mit einem anderen Filou, einem unehelichen Sohn
von Präsident Marcos, Rocky Ablan. Der lud uns gleich in
einen Gogoschuppen ein, dort wurde ein Mittagessen mit
Tanz geboten, der Rocky bot mir an, am Abend ohne meine
Frau mit ihm auszugehen, er werde mir Dinge zeigen, die ich
als Touristen nie zu sehen bekäme, unten in Makati! Aber
Delia wurde fuchsteufelswild, sie sagte, ich mit meiner
offenen Art, werde von Rocky erschossen, er trug immer
eine geladene Pistole auf sich, und er hatte in diesem
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Schuppen schon zwei Leute erschossen, ohne Folgen, weil
Papi ja der Präsident ist. Als er vernahm, dass wir nach
Dumaguete fliegen wollten, anerbot er uns einen Helikopter,
aber das war mir dann etwas zuviel, kein Problem, sein
Vater habe immer einen für ihn bereit. Als er mir dann noch
berichtete, dass er während dem Vietnamkrieg an den
Wochenenden nach Saigon flog, dort von den AMIS ein
Bombenflugzeug erhielt und dann wahlos Bomben auf die
Reisbauern warf, und sich dabei ergötzte, ging bei mir
einmal mehr der Vorhang runter! Sein Papa verlieh ihm
einen hohen militärischen Rang, schliesslich gilt der Papa als
der höchst dekorierte Filippino des zweiten Weltkriegs. Er
soll aber gar nie im Krieg gewesen sein, ja, er war nicht
einmal Soldat! Ich zahlte lieber selber für meinen Flug, als
von einem solchen Halunken abhängig zu sein.
Etwas anders waren die Kontakte zur spanischen
Oberschicht, der Pate von Rey, Fred Jenny, war viele Jahre
Chefkoch im Hilton Manila, er war mit einer Mestizin aus
der Magnoliafamilie verheiratet, die Charito, über Fred
Jenny, wurden wir dann Gäste bei einem grossen Anlass
der Magnolia Familien, diese hiessen Reyes, Muntagner etc,
Natürlich wohnten sie in einem Nobelquartier, da konnte
man nur mit Sonderbewilligung reinkommen.
Die Villa hatte einen Partyraum von mindesten 120 m2,
weit über einhundert Leute waren geladen, und was mich
erstaunte, es wurde fast nur Spanisch gesprochen!
Kein Problem für mich!
Einmal mehr konnte ich nur staunen, mit welcher
Selbstverständlichkeit diese Leute ihren Luxus auslebten.
Kaum die Hälfte wurde verspeist, der Überfluss war enorm
gross! Und was mich aufregte, nur etwa 300 Meter entfernt
waren die Mauern und dahinter massenhaft Slums! Krasser
konnte die Welt nicht mehr sein. Ich lernte auch die geistige
Einstellung dieser Leute gegenüber dem „gemeinen
Gesindel“ kennen! Seit Jahrhunderten kannte man auf den
Philippinen als oberste Kaste die weisse Rasse, gleichgültig
ob Spanier oder Amerikaner, dann folgten die Mestizos,
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welche aus Verbindungen der Spanier mit Einheimischen
Frauen hervorgingen. Dabei wurden diese meistens nicht
geheiratet sondern als Hausangestellte geschwängert. Die
nicht gemischten Filippinos bildeten sodann die absolute
Unterklasse. Wobei da noch viele Unterstufen existieren,
indem die Bergvölker und Kopfjäger wiederum ausgegrenzt
werden, und ganz unten figurieren die Ureinwohner, auch
„Negritos“ genannt. Sie sind nicht von der Mongolischen
Rasse abstammend, sondern haben eher Verbindung zu den
Australnegern. Sie wohnen meistens in Höhlen oder im
Urwald, haben sich nie zivilisatorischen Massnahmen
untergeordnet und leben heute noch wie vor 40 Millionen
Jahren. Nur mit Lendenschurz bekleidet und mit Bogen und
Pfeil ausgerüstet. Für zahlreiche Filippinos gelten sie gar
nicht als richtige Menschen!
Aber in Zamboanga fühlte man sich damals wie im Wilden
Westen des achtzehnten Jahrhunderts. Da war Krieg,
einmal die Moros gegen die Christen, dann die NPA
(Kommunisten) gegen die Regierenden und die Armee und
Polizei, und, wie der Bruder der Delia sagte, mussten die
Bauern ausserdem noch Schutzgelder an eine Gruppe
zahlen, die sich „Barracudas“ nannte, gewöhnliche
Banditen. Es war unmöglich einen Taxi zu finden, der es
wagte über die Stadtgrenze hinaus zu fahren. Wir wollten
das „Baumhaus“ besichtigen, das sich am Stadtrand befand,
nur für den doppelten Betrag fand sich schliesslich ein
Taxifahrer, der uns dorthin fuhr!
Dabei war die Gegend derart friedlich, wir stiegen hinauf
und verewigten uns im Buch der Besucher.
Nebenan war eine einfache Beiz, und dort tranken wir
etwas, ich fühlte mich dabei im Mexiko des Neunzehnten
Jahrhundert. Die Leute sprachen den Dialekt „Zabacano“
und der ist fast identisch mit Spanisch!
Auf der kleinen Insel, die wir im Meer draussen sahen, war
schon seit einem Monat eine japanische Airhostess in der
Gefangenschaft einer Moslemgruppe.
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Interessant war auch die Einstellung der christlichen
Einwohner, nur ein toter Muslim war ein guter Muslim!
Auch das erinnerte mich wieder an den Wilden Westen!
Wo aber ein toter Indianer ein guter Indianer war, die
Geschichte wiederholt sich eben immer wieder!
Zamboanga war aber nicht der Ort für einen ruhigen
Urlaub, wir waren froh, als wir wieder in den Norden
zurück fliegen konnte. Sowohl 1975 wie auch 1976, machten
wir fast die genau gleiche Reise auf den Philippinen, im 76
jedoch etwas kürzer, weil wir statt zurück, nun weiter
fliegen wollten, um den Globus!
Am Abend verliessen wir Manila via Guam in Richtung
Honolulu. Es wurde ein endlos langer Flug, kaum zu
glauben, was da noch für Distanzen dazwischen lagen!
Obwohl wir am Sonntagabend wegflogen, landeten wir in
Pearl City(Honolulu) am Sonntagmorgen!
Als Knabe träumte ich stets von Hawaii, besonders von den
angeblich hübschen Frauen! Was ich dann auf dem
Flughafen antraf, war eher ein leichter Schock für mich!
Da sassen doch diese „Schönen“ alten, fetten Weiber auf den
Bänken herum, trugen Blumengirlanden um die Hälse und
versuchten diese den ankommenden Fluggästen zu
verkaufen. Jede dieser Matronen wog sicher weit über 100
Kilogramm! Wenn da ein Mann noch nicht impotent war,
dann musste er es nach dem Anblick dieser
„Sumoringerfrauen“ sicher gleich werden!
Am Flughafen war ein Informationsbüro für die
Vermittlung von Hotelzimmern. Sehr gut, ich stellte mich an
und die freundliche Japanerin nannte uns immer die
Vorzüge des jeweiligen Hotels, und wenn wir ein Zimmer
wollten, war keines erhältlich, ausgebucht! Das Theater
dauerte mehr als eine Stunde, dann sagte ich der
freundlichen Dame, wir würden auf die Preisungen
verzichten, sie solle doch erst einmal fragen, ob noch ein
Zimmer frei ist! Sie verstand und dann ging es schneller,
die liebe Frau bot sich sogar an, uns notfalls bei sich
aufzunehmen, aber schliesslich fand sie doch ein Zimmer im
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Outrigger Hotel, aber nur für eine Nacht. Danach wollte sie
uns in einem japansichen Hotel unterbringen.
Wir planten eine Woche nach Maui zu fliegen, aber daraus
wurde nichts, Rey hatte nach dem ersten Tag plötzlich über
42 Grad Fieber! Der Filippinoarzt sagte, er habe auf den
Philippinen einen Virus eingefangen! Wir sollten darum eine
gute Woche rechnen, bis er wieder gesund erklärt werden
könne. Ich rannte am Abend durch die Gassen um Tabletten
zu kaufen, ich muss mich vermutlich in ein Rotlichtviertel
verlaufen haben, denn da standen Frauen aller Rassen
herum und alle wollten mich verführen, eine sagte
wörtlich:“Ich habe heute noch nichts Warmes im Bauch
gehabt“! Mir war aber absolut nicht darum, hier einen
Zwischenhalt zu machen, der gesundheitliche Zustand von
Rey war alarmierend!
Schliesslich fand ich eine Apotheke und eilte dann mit allen
den Pillen ins Hotel zurück. Tags zuvor beteiligten wir uns
an einem Ausflug in den Hafen (Pearl Harbour) dort zeigte
man uns die Reste eines von den Japanern versenkten
Kriegsschiffes, der „SS Arizona“, bekanntlich wurde Pearl
Harbour am 6. Dezember 1941, von japanischen Flugzeugen
angegriffen und dabei wurden zahlreiche Schiffe versenkt!
Ich wollte aber auch die „Hulashow“ sehen, ich ging alleine,
weil Delia beim Rey bleiben wollte. Der Zutritt war
kostenlos, allerdings wurde der Anlass jeden Tag von der
Firma Kodak organisiert. Ich wollte mit Super-8, filmen,
kam etwas spät an, die Leute scheinen ganz verrückt auf
diesen Anlass zu sein, und kommen schon eine Stunde
früher. Also, der bewaffnete Wächter wollte mich nicht
mehr hereinlassen, ich ging die Mauer entlang nach oben,
um von dort zu filmen, aber das wollten die Uniformierten
nicht dulden, als ich nicht weg wollte, zog doch dieser den
Colt Revolver und bedrohte mich damit!
Seltsame Methoden, ich ging dann weiter unten einfach in
die Menge hinein, konnte aber von dort nur wenig sehen.
Und da waren sie wieder, diese uralten Weiber mit ihren
Hularöcken und den Ukulelen!
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Und man konnte staunen, die älteste von ihnen, war schon
seit 1938 dabei! Eigentlich war das Ganze zum Kotzen,
amerikanische Subkultur primitivster Art!
Und wegen diesem Unsinn wollte mich der Polizist gleich
erschiessen. Eher frustriert lief ich dann die Strecke zum
Hotel zurück, Delia hatte wahrlich nicht viel verpasst, und
mit dem Rey dorthin gehen wäre noch fraglicher gewesen,
die Masse der Zuschauer hätte ihn ja erdrückt!
Also Hawaii wurde für mich eher zum Alptraum,
durchkommerzialisiert, wie ich vernahm, wird dasselbe
auch von den anderen polynesischen Inseln gemeldet. Ein
weiterer Grund, meinen Südseetraum endgültig zu
begraben!
Für Rey war diese Weltreise alles andere als ein Vergnügen,
und es ist an sich unsinnig, mit Kleinkindern sowas zu
unternehmen! Aber wir hatten unsere Gründe dazu, einmal
war es pflicht, den vielen Verwandten den Nachwuchs zu
zeigen, sodann hatten wir beschlossen, dass Delia nun doch
endgültig bei der Swissair aufgibt!
Von Honolulu aus flogen wir nach Los Angeles, dort wurden
wir von Verwandten abgeholt, mir war nie ganz klar wie
sich diese Verwandschaftsgrade zusammensetzten, es war ja
auch unwichtig. Wir landeten im Hollywoodquartier, eine
der Tanten führte eine Kinderkrippe, dabei viel mir auf,
dass die Kinder einfach am frühen Morgen von ihren
Müttern deponiert wurden, bis dann rund 20 Kinder den
Raum füllten. Die ganz kleinen wurden in einen Gatter
getan, die andern sassen auf den Sofas oder auf dem Boden
herum. Manche hatten eine triefende Nase, aber die Tante
kümmerte sich kaum darum, als die Kinder am Mittag
wieder abgeholt wurden, trugen die meisten immer noch
ihre Mäntel und Schuhe und den Schnuller im Mund. Diese
Art Kinderbetreuung schien aber durchwegs akzeptiert zu
sein. Wir wurden zu einem pompösen Seafoodessen in Santa
Monika eingeladen. Noch nie ass ich soviele Riesenlobster
wie dort, mit übervollem Magen ging ich dann mit dem Rey
zu einem Park mit zahlreichen Atraktionen. Ich stieg ohne
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nachzufragen, in ein Gefährt ein, den Rey auf meinem
Schoss, und kaum war ich festgeschnallt, fuhr das
Ungeheuer an! Wir wurden wie Bälle durch die Luft
geschleudert, ich musste den Rey fest halten, denn das
Fahrzeug stieg weit nach oben gegen Himmel! Immerzu
wurden wir hin und zurück gerüttelt! Rey schrie so laut,
dass selbst Delia ihn hören konnte, aber sie wusste nicht
woher die Schreie kamen! Ich verfluchte den Augenblick, in
dem ich dieses Fahrzeug bestieg, sehnte mich danach, dass
dieser Horrortrip endlich ein Ende finden würde. Mein
Magen drehte sich bereits im Kreis herum!
Endlich hielten wir an, ich rannte instinktiv in jene
Richtung, in der ich die Toiletten vermutete, und erreichte
sie gerade noch im richtigen Augenblick, die gesamte
Langustenmahlzeit endete in der WC-Schüssel!
Rey fragte, ob ich verrückt sei, da musste ich ihm
zustimmen, nie wieder, würde ich auf ein Gefährt steigen,
ohne mich zuvor zu vergewissern, um was es sich dabei
wirklich handelt!
Englisch ist eben nicht US-Amerikanisch, und schon gar
nicht kalifornisch, das musste ich erfahren, als ich
telefonisch ein Taxi bestellen wollte, ich rief die Nummer an
und sagte langsam, ich sei ein Tourist aus Europa und
möchte ein Taxi an die fragliche Strasse bestellen, aber der
Kerl am anderen Ende antwortete nur etwa
mit“ookmersannsnnnen“ peng, der Hörer war wieder
aufgelegt. Ich wurde zornig und sagte zu unseren
Gastgebern:“Haben die hier keinen Anstand, ich habe kein
Wort verstanden!“ Dann rief ich nochmals an, sagte
langsam auf Englisch meine Adresse und dass ich ein Taxi
möchte. Wieder dieselbe Antwort!
Aber kaum hatte ich den Hörer aufgelegt, stand draussen
eine Taxe, und als wir fortfuhren, kam gleich nochmals eine
Taxe! Das war eben auch Kalifornien.
Aber wie soll man sich als Tourist in nur wenigen Tagen an
diesen Dialekt anpassen? Wir besuchten auch Diseyland in
Annaheim, das war ein Riesenerlebnis für Rey und eine
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kleine Entschädigung für ihn und alle die Strapazen die er
ausstehen musste.
Aber sonst blieben mir von dieser Weltreise verschwindend
wenige in Erinnerungen. Den Grund dafür sehe ich in der
Normalität einer solchen Reise mit Kind und Kegel, man ist
nur in guten Hotels, ist nie allein, und gerät dadurch auch
viel seltener in abenteuerliche Situationen, wie das bei
meinen Reisen in jungen Jahren der Fall war!
Von LA flogen wir weiter nach San Francisco, das war dann
aber eine grosse Überraschung für mich, obwohl im gleichen
Bundesstaat, war diese Stadt ganz anders als LA, beinahe
wie eine englische Stadt, hügelig, windig, mit Chinatown,
der Golden Gate Brücke, die wir auf einer geführten
Rundfahrt durchfuhren, mit uns war auch die Tante Laling
aus Chicago dabei. Weiss nicht mehr, weshalb die uns dort
empfing? Gemeinsam flogen wir sodann weiter nach
Chicago. Je mehr wir uns dem Osten näherten, desto kälter
wurde es, es war das Frühjahr 1976, aber in Chicago wars
bitter kalt. Wir gingen die grossen Seen besichtigen,
ansonsten erinnere ich mich nur noch an einen kleinen
Zwischenfall, den der Rey in einem Warenhaus hatte.
Delia und Laling schauten sich die Waren an, ich wartete
mit Rey nebenan, da kamen zwei sehr dicke Negerinnen mit
einem kleinen Mädchen, das ebenfalls etwa dreijährig war.
Das Mädchen hatte einen kugelrunden Kopf und runde
Augen, es war schokoladenbrau, es saugte am Daumen und
schaute den Rey an, dieser schaute es an, als handelte es sich
um ein Gespenst vor ihm, plötzlich schupfte er die Kleine
weg und sagte:“I dont like you!“ Glücklicherweise waren die
beiden dicken Frauen so sehr in ihren Gesprächen vertieft,
dass sie den Vorfall nicht mitbekamen. Sonst hätten die wohl
noch angenommen, unser Sohn sei von uns so trainiert
worden!
Das war natürlich nicht der Fall, vielmehr sah er vermutlich
erstmals richtige Schwarze?
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Mit New York kam dann die letzte Station unserer
Weltreise. Wir machten eine Busreise durch die Stadt,
spezielle Erinnerungen sind mir aber davon nicht geblieben!
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Kapitel 19
Wir gründen ein
Reisebüro
Unsere Tagesmutter war wütend, als wir ihr beibringen
mussten, dass sie den Rey ab Frühjahr 76, nicht mehr
betreuen konnte. Aber wir hatten keine andere Wahl, und es
musste einfach sein!
Frau A.R. konnte keine eigenen Kinder kriegen, und weil ich
mich bereits im Jahr 1973 unterbinden liess, konnte ich
verständlicherweise auch nicht einspringen, sollte es
vielleicht beim Mann liegen!
Das Ehepaar besorgte sich dann gleich zwei Mädchen aus
Südindien.
Grundsätzlich muss man bei solchen „Verpflanzungen“
immer ein grosses Fragezeichen setzen!
Oft geht es gar nicht um das Kind, sondern um persönliche
und egoistisch motivierter Ziele!
Der gebildete Mensch kann solche „Triebe“ durchwegs mit
Alternativmassnahmen kompensieren!
Delia war nun ganztägig zu Hause und hatte mehr Zeit für
den Rey. Anfänglich war gar kein richtiges Reisebüro
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geplant, sondern wir wollten unter dem Namen „Philswiss
Travel Club“ eher Reisen nach den Philippinen
organisieren, sowie günstige Flugreisen nur nach dorthin
anbieten.
Wir gründeten den Club und hatten auch Statuten, dabei
waren alle automatisch Mitglieder, wenn sie irgend einen
Kontakt zu den Philippinen hatten, also eine Frau von dort
geheiratet hatten, oder es sich um eine der immer
zahlreicher werdenden Krankenschwester von dort
handelte. etc.
Vorerst galt es, günstige Flugtickets zu kaufen, und die
waren in der Schweiz kaum erhältlich. Es gab zwar einen
Brocker mit Namen SOF Travel, aber der ging um das Jahr
1975 schon einmal in Konkurs. Es gelang uns dann, in
München Flugscheine der Egypt.Air zu relativ niedrigen
Preisen einzukaufen. Wenn wir etwa 50.- Franken
draufschlugen, konnten wir die Flüge nach Manila für
1750.- bis 1850.- anbieten, das war rund 400.- bis 500.Franken günstiger als die billigsten Angebote von Danzas
Reisen.
Für ein Ehepaar mit kleinem Budget konnte das fast 1000.Franken ausmachen! Aber die Leute trauten uns nicht,
Filippinos schon gar nicht, so hatten wir im ersten Jahr,
1976 von April bis Dezember zwar viel Arbeit aber kaum
eine Buchung zu verzeichnen, das Resultat war mehr als
lausig! Ich denke, mehr als drei Flugscheine waren es nicht,
also ein Aufwand von weit mehr als 1000.- Franken und
einen Bruttoertrag von Fr. 140.- . Was solls, wir machten
weiter, das heisst ich machte weiter, denn Delia hatte da
kaum eine Meinung. Sie wollte zwar auch viel Geld
verdienen, aber erst musste sie lernen, ein Geschäft optimal
zu organisieren, ich versuchte während Jahren krampfhaft
sie diesbezüglich einzuschulen, aber einfacher hätte ich einer
Bergziege das Velofahren beibringen können! Sie hat es nie
gelernt. Im Jahr 1976 wollten wir mehr erreichen, ich stellte
eine Liste mit Adressen auf, die ich jeweils in Zürich aus
dem Tagblatt herausnotierte, wenn eine Heiratsanzeige mit
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einer Filippina ausgeschrieben wurde, aber auch von
Krankenschwestern erhielten wir Adressen, und sogar die
philippinische Botschaft gewährte uns Anschriften für den
Club. Ich verfasste ein Club-Bulletin und sandte dieses an
alle potentiellen Kunden, dabei war auch ein Angebote für
Billigflüge nach Manila. Inzwischen hatten wir Kontakte
nach London, von dort kamen die ersten „Low cost tickets“
anfangs der Siebzigerjahre. Wir verkauften immer mehr
Flugscheine, allerdings war unsere Marge derart niedrig,
dass wir keinen Gewinn erzielen konnten, wir konnten
immerhin die Unkosten voll decken. Im Jahre 1979, trennten
wir den Club vom Reisebüro, das Geschäft wurde als „Delia
Baehler BTS Reisen“, im Handelsregister als Einzelfirma
eingetragen. Wir mussten nun eine richtige Buchhaltung
führen und da kamen mir meine Kenntnisse zu gute.
Wir kauften einen Comodore Computer und diesen konnte
ich zumindest für die Buchhaltung gut einsetzen.
Wir beschafften uns auch einen der ersten Telefaxe zu einem
horrenden Preis, einen Telex, Kopiergeräte, sowie alle
Ausrüstungen die ein Reisebüro benötigt.
Erst in Uster, dann ab 1981 in Volketswil, belegten wir zwei
bis drei der Zimmer als Büroräume. Wir kauften
Flugscheine in ganz Europa ein, aber immer mehr auch von
Brockern in der Schweiz. In einem Konkursfall in
Hamburg, verloren wir dabei eine fünfstellige Summe! Das
war hart fürs Geschäft, aber wir machten weiter.
Inwzischen fungierte ich als Präsident der GmbH, oder
Ltd.Co. die wir etwa ab 1985 führten, vorher änderten wir
die Firma noch in „Bioesoterisches Reisebüro“ was oft mit
erotisch verwechselt und darum wieder geändert wurde.
Delia umschrieb sich als Manager oder Direktorin, wir
beschäftigten noch ein bis zwei Teilzeitangestellte, besonders
während den Ferien wars wichtig, jemanden im Büro zu
wissen. In den besten Jahren (1990/91),erreichten wir einen
Umsatz von 1.3 repektive 1.4 Millionen Franken. Danach fiel
unsere Ehe auseinnander und damit ging auch der Umsatz
jedes Jahr zurück. Und auch der Gewinn blieb aus, Delia
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musste nur noch für den Zahltag der Angestellten arbeiten,
ich führte nur noch die Buchhaltung, musste zusehen, wie
die einst blühende Firma jedes Jahr tiefer in die roten
Zahlen fuhr! Ein Fehler war auch, das Büro ins Zentrum
Volketswil zu verlegen, die Mieten und Unkosten
verschlangen zuviel Geld! Als es mir zuviel wurde, handelte
ich von mir aus, das Büro wurde gekündigt, die Angestellte
entlassen, und fortan sollte Delia das Geschäft wieder zu
Hause weiterführen. Schliesslich löste ich auch die GmbH
auf, was immerhin fast drei oder vier Jahre beanspruchte!
Delia sollte die „BTS Reisen“ als Einzelfirma ohne
Handelsregistereintrag weiter führen, das ist in diesem Fall
durchaus legal, weil sie den nötigen Umsatz für einen
obligatorischen Eintrag gar nicht erreichte, damit war ich
auch von der obligatorischen Buchführungspflicht
entbunden.
Seit nun 12 Jahren führt sie das Ganze auf kleinster
Flamme, ihre Kunden sind praktisch nur Filippinas.
Dabei habe ich ihr gesagt, sie müsse unbedingt zwei grosse
Behälter führen, einer für die Auslagen und einen für die
Einnahmen. Sollten die Steuern einmal anklopfen, werde ich
die Belege aufaddieren und ich bin überzeugt, sie wird kaum
einen Gewinn ausweisen können. Allein schon die
Räumlichkeiten und das Geschäftsauto, sowie die vielen
Geräte, etc. fressen den Gewinn mehr als auf!
Dass ich solange Buchhaltung studiert habe, wurde mir
somit doch noch nützlich! Und selbst die kritischen Leute
von der AHV, konnten meine Buchhaltung nicht
beanstanden! Für mich war aber die ganze
Reisebürogeschichte lediglich eine Kompensation für den
beruflichen Kollaps von früher. Es verhalf mir, meine
Kenntnisse in die Praxis umzusetzen, und dass man ohne
Eigenkapital eine Firma gründen und damit erfolgreich
werden kann, das konnte ich so beweisen. Nur wollte ich
ganz andere Dimensionen erreichen, wir standen 1976 etwa
gleich auf wie der Globetrotter Travel, dieser expandierte
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in die ganze Schweiz, sein Bulletin wurde immer
professioneller, während wir gehen an Ort machten.
Grund dafür: Ich machte alles nebenberuflich, konnte mich
für diese Aufgabe nicht freimachen, lange Zeit überlegte ich,
ob ich bei der holden OSEC künden sollte? Aber wegen
meinen gesundheitlichen Problemen, verzichtete ich dann
doch darauf. Und ich weiss heute, damit hätte ich mich
völlig aufgerieben! Und Delia war nun einmal nicht die
Person, die sowas hätte managen können. Sie schrieb
stundenlang an einer Offerte herum, wenn ich abends nach
Hause kam, sass ich praktisch jeden Abend bis 22 Uhr im
Büro und erledigte pendente Aufträge. Auch an den
Samstagen und oft sogar Sonntagen, verbrachte ich die
meiste Zeit im Büro der Delia. Ich hatte viel Spass an dieser
Arbeit und darum wurde es vermutlich nur ein positiver
Stress? Besonders interessierten mich Rund um die Welt
Kalkulationen, da diese weder die Delia noch die Angestellte
befriedigend lösend konnten, war ich derjenige, dem diese
Aufgabe zuviel.
Ab 1989 absolvierte Rey seine KV-Reisebürolehre bei uns,
ich hatte dafür gute Gründe, seine Belastbarkeitsprobleme
von der Geburt her, waren nur mir bekannt, ich wollte aber
kein Risiko eingehen, darum bereitete ich mich schon Jahre
zuvor darauf vor, gründete die Firma, absolvierte den KVLehrmeisterkurs, etc. und alles ging mit rechten Dingen zu
und her. Nur ein kleiner Schöheitsfehler war schon noch
vorhanden, ich als der Lehrmeister, war nur an den
Randstunden im Büro, ich instruierte aber Delia und die
Angestelten, dass, sollten die Lehrlingsexperten aufkreuzen,
ich, der Lehrmeister, gerade in Zürich an einer Sitzung sei!
Und das traf dann auch tatsächlich so ein, und ging ebenfalls
problemlos über die Bühne. Rey bestand die
Lehrabschlussprüfung, dann musste er sich selber
bewähren, wichtig war einfach einmal die Ausbildung.
Bei der OSEC wurde oft gemunkelt, ich würde nebenbei
noch eine Firma betreiben, das war nicht ganz richtig, ich
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fungierte nur als Präsident, Delia war die Managerin. Dass
ich die meiste Arbeit verrichtete war dabei unwichtig.
Zudem hatte ich bei meinem Kollegen Fritz H. noch drei
weitere Verwaltungsratssitze inne. Davon wussten die aber
nichts! Der Verwaltungsrat war ein gewisser Dr. R.B. von
Wattenwil. Und bei der OSEC arbeitete ein R.B. als
Beauftragter, Manager, Leiter, etc. aber ohne Titel. Bei der
BTS Travel Ltd, ein Direktor ehrenamtlich! Insgesamt viel
Arbeit, aber wenig finanzieller Rücklauf.
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Kapitel 20
Ein neues Haus
Im Februar 1968, verkaufte ich meinen Opel Record für
rund Fr. 900.- nach Kreuzlingen TG. Ich hatte verschiedene
Gründe dafür, einmal war es mein Desinteresse am
Strassenverkehr, der Verkehr wurde immer dichter und
man konnte kaum noch irgendwo in der Stadt Zürich
parkieren. Jede Fahrt in die Stadt wurde zum Alptraum,
keine Parkplätze, keine Parkhäuser, überall diese blauen
Zonen! 1956, als ich im Kanton Thurgau die Autofahrschule
absolvierte, war es noch herrlich auf den Strassen, ich
erinnere mich, dass ich von Weinfelden bis Frauenfeld
fahren konnte, ohne dass mir ein Auto entgegenkam!
Später dann, hatte ich immer welche Autos hinter mir, das
störte mich ausserordentlich, ich fühlte mich unfrei und
bedrängt! Aber es kam noch schlimmer, einmal, ich fuhr um
Mitternacht gedankenabwesend von Frauenfeld nach
Märstetten, vor Felben ist eine schnurgerade Strasse, ich
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fuhr etwa mit 100 Stundenkilometern und wollte einen
„Schleicher“ links überholen, ich sah weit vorne zwei gelbe
Lichter, damals waren diese noch zugelassen, sie täuschten
aber sehr auf die Distanz, indem man dachte, sie befänden
sich viel weiter weg! Ich befand mich auf der linken Seite
und hatte diese Lichter plötzlich direkt vor mir! Also ich
fuhr gegen Hundert und der vermutlich auch?
Jetzt erwachte ich aus meinen Gedanken, aber es schien
schon zu spät, eine Frontalkollision und damit das sichere
Ende für beide Fahrer war gewiss! Rechts neben mir war
der „Schleicher“, aber ich riss das Steuer brüsk nach rechts
und fuhr dann dem „Schleicher“ fast am Heck aufs Heck.
Der mit den gelben Lichtern brauste ohne Abzubremsen an
mir vorbei, aber mein Opel bockte wie ein Rodeopferd, ich
riss das Steuer sogleich wieder nach links herum, der andere
war vorbei, wie ein Stier unter dem Tuch des Toreros, und
der „Schleicher“ etwas weiter vor mir, ich sah nur noch ab
und zu die weiss-schwarz gestreiften Markierungen an den
beiden Strassenrändern und kam schliesslich quer auf der
Strasse zum Stillstand! Die beiden andern Fahrzeuge waren
verschwunden, und ich befand mich alleine mit zitterden
Händen im Auto. Die Sitze waren zu den
Windschutzscheiben katapultiert worden und die
Holzharasse im Kofferraum war hin. Ich konnte es einfach
nicht fassen, dass ich ohne einen Kratzer davonkam.
Vor Aufregung konnte ich kaum einschlafen.
Es gab damals weder Sicherheitsgurten noch Airbags, dafür
überlebte kaum jemand solche Zusammenstösse.
Dann kamen noch zwei weniger gravierende Vorfälle, beide
Male fuhr ich gedenkenabwesend auf eine stehende
Kollonne zu und konnte jeweils nur mit einer Vollbremsung
einen Unfall verhindern. Diese, sowie die Überzeugung, dass
Autos nur die Luft verpesten, veranlassten mich dann,
fortan im Leben auf ein Auto möglichst zu verzichten!
Meine Abneigung gegen Autos, wurden dann auch zum
Problem mit meinen späteren Ehefrauen. Aber ich
bevorzugte ein eigenes Haus mehr als ein Fahrzeug, zudem
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lagen beide kostenmässig nicht ganz in unserem Budget. Das
heisst, ohne die teuren Reisen auf die Philippinen und
dergleichen, wäre natürlich ein Auto schon noch drin
gelegen! Ich suchte darum auch immer nach einer
Wohnlage, die mir erlaubte, mit der Eisenbahn nach Zürich,
an die Arbeit zu fahren.Bei einer Mietwohnung war das
weiter kein grosses Problem, bei einem Hauskauf jedoch
schon viel eher, denn jeder Kilometer näher zur Stadt,
wurde entsprechend aufwändiger. Unser Häuschen in
Winterhur war da eher bescheiden und doch schon recht alt.
Delia träumte von einem neuen Haus und wir machten uns
daran, Angebote zu studieren. Ein freistehendes Haus lag
jedoch nicht im Bereich unserer Finanzen, ein Neubau war
nicht unter einer Million Franken zu haben, und liess sich
ein Haus darunter bauen, dann musste man sicher mit
einem Auto an den Arbeitsplatz fahren! Im Jahre 1979,
lasen wir von einem Projekt in Uster, Im Switzergut, dort
plante ein kleiner GU eine Überbauung von etwa 21
Reiheneinfamilienhäusern, dabei waren immer nur drei
Häuser zusammen und jedes Haus hatte unglaublich viel
Raum! Voll ausgebauter Keller, Parterre, einen ersten Stock
und einen Dachstock. Letzteren konnte man selber
ausbauen, und jede Etage hatte um die 65 m2 Wohnraum.
Wir kauften ein Haus ab Plan für den Festpreis von
315.000.- Franken, ohne Garage, die benötigten wir nicht!
Aber inkl. Land und alle Kosten. Dazu aufzahlen mussten
wir nur noch für die Dachfenster, sowie für den Umbau der
Küche. Der Verkauf des alten Hauses war wegen dem
„Schwarzgeld“ etwas mühsam, es kamen viele Interessenten,
einer unterschrieb sogleich einen Vorvertrag, die andern
gingen nach Hause, und am Montag stornierte der den
Vertrag, weil seine Frau „Stunk“ machte! Wir mussten
wieder neu beginnen, und fanden schliesslich einen
Architekten, der sich mit den Konditionen einverstanden
erklärte. Aber mehr als 20.000.- Franken verdienten wir am
Deal nicht. Aber mit dem bereits amortisierten Betrag,
schafften wir es problemlos, die 20% Anzahlung in Uster zu
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leisten. Der Bezug in Uster verzögerte sich um ein paar
Monate, und wir waren heilfroh, dass der neue Eigentümer
in Winterhur, nicht termingemäss einziehen wollte.
Anfang 1980 konnten wir schliesslich umziehen, mit den
üblichen Baumängeln etc., das Reisebüro siedelten wir im
ersten Stock an, die Lage dafür war sicher nicht optimal.
An sich war das Ganze ein sehr gelungener Kauf, aber dann
kam der grosse Schock! Die GU war insolvent geworden und
die Handwerker meldeten ihre Pfandrechte an! Das Ganze
wurde ein Fressen für die Anwälte, ich hatte noch eine
Restschuld von 11.000.- Franken zu leisten, andererseits
aber Handwerkerpfandrechte in doppelter oder dreifacher
Höhe eingetragen! Eine Firma zog sich zurück und es
verblieben mir nur noch die 11.000.- übrig, es konnte somit
nicht viel geschehen, aber die Nachlassverwaltung nahm
Jahre in Anspruch.
Stolz sagte Delia ihrer Kollegin in Sirnach, eine Frau Ritter,
sie besitze nun ein neues Haus, da fragte die Frau R. ob es
ein freistehendes sei oder ein Block, beim Wort Block war
die Delia wieder einmal beleidigt und beschwerte sich bei
mir, dass sie auch ein freistehendes Haus wolle, weil die
reiche Frau R. diese dumme Bemerkung machte.
Dazu kam dann noch die Nachbarin, Frau D. Als sie ihr
sagte, ihr Traum sei ein Winkelhaus mit einem
Schwimmbad. Klar, dass ich fortan keine Ruhe mehr hatte.
Dann geschah noch dieser dumme Unfall, Mutter war auf
Besuch, Sonntagmittag gingen wir Spazieren, da blieb der
Hausschlüssel drinnen stecken und Mutter liess die Tür
zuschnappen! Wir konnten nicht mehr öffnen, als wir
zurück kamen, schlug ich die Kellerscheibe ein und wollte
das Fenster öffnen, aber ich hatte vermutlich nicht alles Glas
rausgenommen, der Fensterrahmen fiel auf mein rechtes
Handgelenk und zerschnitt die Sehne, das Blut spritzte nur
so nach oben. Der Nachbar zur rechten Seite, legte sofort ein
Tuch um mein Handgelenk und fuhr mich ins Spital Uster.
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Dort wurde das Ganze genäht und ich konnte das Spital
wieder verlassen. Aber für Delia war das der Anfang vom
Ende in diesem Haus!
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Kapitel 21
Das richtige Haus
Für unser Reisebüro waren wir in Uster an einer recht
ungünstigen Lage. Der Fussweg zum Bahnhof Uster war
zwar auch nicht ideal, aber wohl noch das kleinere Übel.
Delia wollte unter allen Umständen ein freistehendes Haus
besitzen, davon 50% als ihr Eigentum eingetragen haben.
Aber da gab es grosse Schwierigkeiten, einmal Bauland in
einer guten Lage und zu einem vernünftigen Preis zu finden,
das war fast unmöglich, sodann der Preis, ein neues Haus,
freistehend in der Agglomeration von Zürich, war unter
einer Million nicht zu schaffen. Delia ging auf die Suche
nach Bauland, es war beinahe aussichtslos, entweder zu
abgelegen oder dann horrend teuer! Ich schrieb auch an die
Gemeinde von Effretikon-Illnau, aber auch die konnten oder
wollten nichts anbieten.
Da kam uns der Zufall entgegen, die Firma Göhner, hatte in
Mönchaltorf eine permanente Ausstellung für Fertighäuser
aus Deutschland, und wer ein Haus ab Fundament kaufte,
konnte auch Bauland dazu kriegen! Die meisten Angebote,
wie Möchaltorf selber, kamen für uns nicht in Frage, aber es
gab da noch ein Stück Land in Volketswil Hegnau. Und das
lag genau in 10 Kilometer Entfernung vom Paradeplatz in
Zürich und war auch nur 10 Km vom Flughafen Kloten
entfernt. Bis zum Bahnhof von Schwerzenbach waren es
ebenfalls nur rund zehn Minuten zu Fuss.
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Das konnte durchaus hinhauen, und ich war nun auch
begeistert von diesem Angebot. Das Land reichte für neun
freistehende Häuser, vier Parzellen waren schon vergeben,
entlang der Autobahn wollten wir auch nicht, somit blieb
nur noch eine Parzelle unten in der Wiese, dort graste ein
Pony und wir sagten dem Herrn Benz:“dort wo das Pony
grast, das wollen wir.“ Es gab dann noch ein Problem,
weil Delia unbedingt ein Winkelhaus wollte, meinten die
Göhnerleute vorerst, das Haus wäre zu gross für die Parzelle
von 654 m2! Gut, wir stellten ein Ultimatum, wenn das Haus
nicht reinpasst, dann kaufen wir nicht! Und siehe da, es ging
nahezu auf den Zentimeter genau! Das zweite Problem war
die Finanzierung, weil wir erst noch das Haus in Uster
verkaufen mussten, war unser Geldvorrat noch gar nicht im
Detail bekannt. Wir hatten rund 25.000.- Franken für eine
Reise auf die Philippinen gespart, daraus wurde nichts, aber
mit dem Erlös aus Uster und allen Erspanissen, konnten wir
mit rund 120 bis 140 Tausend Franken rechnen. Das
Bauland kostete allein um die 150.000.- plus Strassenanteil,
der Pauschalkaufvertrag für das Haus inkl. Fundament
sollte etwa bei 230 Tausend liegen. Der V.,Direktor der SC
Filiale Uster, rief mich an, ich müsste doch den Baukredit
über ihn machen. Leider sagte ich zu, was sich später als
Nachteil erwies. Wenn somit das ganze Haus auf 400.000.zu stehen kam, waren wir mit unseren 30% gut dabei!
Aber ich hatte noch nie ein Haus gebaut, diesmal als
Bauherr sollte ich es erleben!
Vorerst musste das alte Haus verkauft werden, und wieder,
1981, herrschte eine allgemeine Kreditsperre von Seiten der
Banken. Erschwerend kam noch hinzu, dass wir ein
Handwerkerpfand auf der Liegenschaft hatten. Allerdings
wurde der fragliche Betrag durch eine Bankgarantie
meinerseits sichergestellt. So, dass dem Käufer keinerlei
Schaden entstehen konnte, nur waren die meisten Leute
derart schlecht informiert, dass sie dabei ein rotes Tuch
sahen und kalte Füsse kriegten
Der Auflauf war gross, als wir an einem Samstagvormittag
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zur Besichtigung einluden, alle wollten kaufen und sogleich
am Montag auf ihre Bank gehen. Aber niemand meldete sich
danach!
Doch, da war einer, so ein schmieriger Kerl aus M. der
Unterzeichnete einen Vorvertrag und sollte innert einer
bestimmten Frist eine Anzahlung leisten, aber das tat er
nicht, sondern wurde sehr frech und arrogant, indem er von
mir eine Entschädigung für das Handwerkerpfand
verlangte, dass ich ihm eine Bankgarantie geben wollte,
ignorierte er, er drohte sogar mit seinem Anwalt, was für
solche schmierige Leute ja normal ist. Ich drohte ihm dann
meinerseits mit einer Schadenersatzklage wegen grobem
Unfug und unnötiger Umtriebe!
Schliesslich beantwortete ich die Einschreibbriefe dieses
Idioten nicht mehr und hörte auch nie mehr etwas von ihm.
Ich schrieb das Haus neu aus und erhöhte den Preis um
20.000.- auf 390.000.- Franken. Häuser von dieser Grösse
konnte man bis 700.000.- Franken verkaufen, aber unseres
hatte kaum Land und darum war es von Anfang an billig!
Es meldete sich nur ein ernsthafter Interesent, der hatte eine
Familie mit vier Kindern und wollte selber ein Haus bauen,
er hatte somit bereits die Kreditzusage seiner Bank!
Wegen der Kreditsperre, wurde dann aber das andere
Projekt nicht ausgeführt, und er befand, dass unser Haus
genau seinen Ansprüchen und Vorstellungen entspricht.
Und er begriff auch sogleich das Vorgehen mit dem Pfand
und war mit meiner Garantie mehr als zufrieden! Diese
Familie F. erwies sich dann als wahrer Glücksfall, ich hätte
keine besseren Käufer finden können!
Und da sie zwanzig Jahrer später immer noch dort wohnten
bewies, dass ich ihnen ein gutes Objekt verkauft habe.
Den Dachstock hatte ich damals selber schon ausgebaut, als
ich einmal den Nachlassvertrag studieren ging, es waren an
die 12 bis 14 Bundesordner, erkannte ich erst jetzt, dass die
Stadt Uster den Einbau der grossen Dachfenster gar nie
bewilligte.
Aber sie sind immer noch dort!
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In Volketswil wurde den ganzen Sommer hindurch gebaut,
erst musste das Land trocken gelegt werden.
Etwa im Oktober sollten wir einziehen können, aber es
wurde genau der 21. Dezember 1981!
Und während der ganzen Bauperiode erhielt ich im Schnitt
jeden zweiten Tag eine Rechnung die etwas mit der Bauerei
zu tun hatte! Der Baukredit von 350.000.- war längst
aufgebraucht, und die Haare, welche noch nicht weiss
waren, wurden es im Laufe des Sommers. Ich führte einen
ständigen Mehrfrontenkrieg, einmal mit der Firma Göhner,
die den Preis überschritt, dann mit der SC Bank, die sich
weigerte den Baukredit zu erhöhen, mit dem dummen
Hinweis, der Kostenvoranschlag wäre massgebend!
Dann mit der Telefondirektion, die erst in sechs Monaten
neue Leitungen erstellen wollte, dann mit der
Flurgenossenschaft, welche keine Entschädigung für die
Trockenlegung leisten wollte. Dann mit der Gemeinde wegen
der Baubewilligung, welche keine asymmetrischen Fenster
erlaubte, mit dem Gesundheistsamt, das ausführte, das Haus
müsse vor dem Bezug ein paar Monate austrocknen, und ,
und, !
Es war die Idee der Delia, für die Mutter eine
Einliegerwohnung zu erstellen, obwohl uns diese bereits in
Effretikon, in Winterthur und dann in Uster den Rücken
kehrte und davonlief, besonders wenn es darum ging dem
Rey zu schauen. Und ich wusste schon im voraus, es würde
sich einmal mehr wiederholen. Aber die Delia war eben auch
stur und einsichtslos, verglich alles mit den Philippinen.
Als die Kosten bis gegen Fr. 550.000.- anstiegen, stoppte ich
alle weiteren Aufträge, den Aussenumbau, den Dachausbau,
die Heizung im Dachgeschoss, etc. dafür bestellte ich
Baumaterialien für ein paar Tausend Franken, dann begann
für mich Akkordarbeit und Frondienst!
Während meine Nachbarn bereits im Januar bei der ZKB
ihre Baukredite in Hypotheken umwandeln konnten, blieb
die SC stur bei 9% Bauzinsen bis Juni 1982. Begründung,
die Bauarbeiten wären noch nicht ganz abgeschlossen. Da
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wurde ich aber sehr zornig, ich kündigte den Kredit per
sofort und ging zur ZKB. Ich verlangte aber noch die
Zinsdifferenz zurück, die ich so verlor!
Erst wurde ich einfach abgewiesen, dann schrieb ich den
obersten Herrn der SC, drohte mit Konsequenzen und den
Medien etc. Da wurde sie gesprächiger, ich erhielt eine
Einladung zu einer Aussprache an der Nüschelerstrasse.
Dort empfing mich ein Direktor Schlauri, zuständig f+r
besondere Streitfälle der mich erst mit Drohungen
kleinkriegen wollte, aber das ging gründlich daneben, ich
blieb hart und forderte den Betrag den sie mir geraubt
hatten, so nannte ich ihr Vorgehen. Wir diskutierten lange
hin und her, ich merkte, der hatte einen Auftrag, aber einen
Kompromiss musste er sicher eigehen können! Ich machte
ihn und wir fanden dann schnell einen Weg, den beide
Parteien gutheissen konnten. Die SC zahlte mir rund 3000.zurück.
An anderen Fronten focht ich ähnliche Zahlen aus, so etwa
gegen die Göhner AG, hoffnungslos war der Krieg gegen
den Spross, dort musste ich Beweise erbringen, dass es nicht
so war und das hätte mich noch mehr Geld gekostet, so liess
ich diesen Halsabschneider gewähren und zahlte 33.000.Franken für nichts, das heisst für etwas Erde und Kies im
Garten. Schliesslich verblieben uns dann noch Hypotheken
von ca. 450.000.- Franken, diese reduzierte ich auf 375.000.Um sie dann später wieder bis auf 425.000.- aufstocken zu
müssen. Bei einem Marktwert von ca. 980.000.- bis ca. 1.4
Millionen, ist dies aber ein verträglicher Posten.
Auf dem Höhepunkt der Liegenschaftenpreise, in den
Jahren 1988 bis 92, lag der damalige Verkehrswert um die
1.2 bis 1.4 Millionen Franken. Doch darüber in einem
anderen Kapitel.
Natürlich musste auch ein Schwimmbad gebaut werden,
gegen meinen Willen, nachdem alle Anwohner zugestimmt
hatten, erhielten wir die Baubewilligung und ich konnte mit
dem Aushub beginnen.
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Kapitel 22
Nochmals auf die
Philippinen
Wenn man verheiratet ist, berufstätig und von den täglichen
Aufgaben völlig aufgesogen wird, vergeht die Zeit fast ohne
Merkmale, man ist dann plötzlich fünf, zehn, fünfzehn und
mehr Jahre verheiratet, ohne, dass man noch etwas von
dieser „schönen“ Zeit weiss! Man fragt sich später: „Was
habe ich in diesen 30 Jahren überhaupt gemacht?“
Fünf Tage die Woche schuftete man im Geschäft, oft sah ich
meinen Sohn nur an den Wochenenden, dann, an den
Sonntagen ging man in den nahen Wald spazieren und die
gute Luft einatmen. Kaum wieder zu Hause, standen
Arbeiten am Haus, im Garten oder wie bei uns im Reisebüro
an. Grundsätzlich stand ich während all den Jahren in
einem Dauerstress, ich hatte stets Arbeit für 24 Stunden,
aber es blieben täglich nur deren 12 bis 14 Stunden dafür
übrig. Superkluge werden sagen, da mache man eben etwas
falsch! Das ist mir später auch klar geworden, wenn man
aber eine Frau hat, die über grosse finanzielle Ambitionen
verfügt, ist man nun einmal immer auf der Suche nach dem
grossen Geld. Und Frauen aus armen Ländern, sind fast
immer geldgeil veranlagt, die Regel von der Ausnahme mag
es auch geben? Im Gegensatz zu jenen in den
industrialisierten Ländern, kennen sie die Grenzen nicht,
weil sie sich gewohnt sind, dass es fortan immer nur
aufwärts geht! Ich muss zwar betonen, dass ich selber eine
ähnliche Laufbahn hinter mir hatte, jedoch war ich
genügsamer veranlagt.
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Ab dem Jahr 1983, wurden die Umsätze des Reisebüros
immer besser, und wir konnten uns bereits aufwändige
Studienreisen leisten. Seit 1976 waren wir nie mehr auf den
Philippinen, inzwischen starb auch der Vater von Delia,
auch der Grossvater war nicht mehr unter den Lebenden.
Über den Philswiss Club kam ein U.Z. auf uns zu, der wollte
unbedingt eine Frau aus den Philippinen heiraten, er machte
ein Inserat in einer Zeitung in Manila und erhielt eine
menge Post. Schliesslich hatte er noch zwei geeignete Frauen
zur Wahl, beide wollten ihn schliesslich heiraten, eine hatte
einen Bachelor Abschluss. Da rief er mich an einem
Sonntagmorgen an und fragte: „welche soll ich nun
heiraten?“ Da er etwas von einem Deppenimage zeigte,
schlug ich ihm vor, die Nichtakademikerin zu heiraten.
Dann ersuchte er mit uns nach den Philippinen zu fliegen.
Es wurde eine lustige Reise und er war heilfroh mit Leuten
reisen zu können, die das Land schon etwas kannten.
Wir fuhren mit dem TGV von Lausanne nach Paris, Gare
de Lyon, schon im Zug erfuhr er dann einen Anschiss von
mir, er vergass einen seiner Koffer im anderen Wagen.
Fortan überwachte ich ihn wie einen Rekruten im Militär.
Er hatte keine andere Wahl als meine Anordnungen zu
befolgen.
In Manila logierten wir im Dakota Mansion, der UZ wollte
sich ins Nachtleben stürzen, aber der Rey vermaselte ihm
das ganz schön, er sagte ihm:“wenn du ausgehts sage ich das
deiner Braut“. Sie wartete in Cebu City auf ihn.
In Cebu angekommen, trafen sich die beiden
Heiratskandidaten das aller erste Mal.
Wir liessen sie etwas alleine und wollten sie erst wieder auf
dem Zivilstandsamt von Cebu treffen.
Dort wollten wir dann die Heiratsvorbereitungen
organisieren, aber es gab ein Problem, der
Heiratsfähigkeitsausweis fehlte, diesen sollte er von der
Botschaft anfordern, aber das konnte Wochen in Anspruch
nehmen!
Und wir hatten nur drei Wochen Urlaub gebucht.
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Wir diskutierten hin und her, ohne Erfolg, da erinnerte ich
mich, dass man auf den Philippinen mit Geld sehr viel
bewegen konnte!
Ich fragte den Beamten, ob es keine Ausweichmöglichkeiten
gebe? Er schaute mich etwas seltsam an, ich glaubte diesen
Blick von früher zu kennen! Ich sagte dem UZ:“du musst
ihm etwas schmieren!“ Dieser in aller Lautstärke auf
Schweizerdeutsch:“Wieviel?“ Ich hielt ihn an leiser zu
reden, denn alle andern Beamten schauten jetzt zu uns
hinüber. Er nahm erst hundert Pesos aus dem Geldbeutel,
aber ich sagte ihm sogleich, dass das nich genüge, ich glaube
er reichte dann 500.-oder Tausend Pesos, die ich dann in
einem Papierumschlag sanft über den Tisch schob. ,
Der Beamte lächelte, zeigte mir dann einen Absatz im
Gesetzbuch, wonach eine Trauung trotzdem stattfinden
könne, wenn das Dokument fehle und die Botschaft es nicht
liefere! Ja, genau das erwartete ich von ihm und ich lobte
ihn in den höchsten Tönen, dass er ein sehr fähiger Beamter
ist!Er sagte nur noch, die beiden könnten schon am nächsten
Tag heiraten!
Der UZ wollte uns als Trauzeugen, aber wir flogen am
nächsten Morgen nach Dumaguete und das Paar wollte auf
unsere Rückkehr warten. Als wir jedoch nach gut einer
Woche zurück kamen, waren die bereits verheiratet,
angeblich habe man ihnen gesagt, sie müssten schon am
darauffolgenden Tag die Ehe schliessen. Und sie hielt nach
25 Jahren immer noch an!
Der Rückflug verlief auch nicht schlecht, jedoch hatten wir
wohl etwas Glück, denn nach Dubai begann das Flugzeug
plötzlich zu hüpfen und zu „husten“, der UZ sass weiter
vorne und sagte später, riesige Flammen seien aus einem
Triebwerk geschossen! Das Triebwerk wurde abgestellt, und
wir flogen problemlos bis nach Zürich weiter. Wir hatten
einen Fluggast ab Paris mit diesem Flugzeug, (wegen
Vorschriften, durfte man damals in Zürich nicht zusteigen
sondern nur aussteigen). Dieser flog dann eine ganze Woche
durch Europa, weil das Flugzeug immer wieder repariert
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werden musste, die Triebwerke waren hin! (Philippine
Airlines).
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Kapitel 23
Auf dem
Kriegspfad
Unser Reisebüro kannte schon von anbeginn die
Feindseligkeiten und Schmierenparolen der Konkurrenz.
Wir hatten noch kaum Flugscheine verkauft, als uns bereits
ein zweiseitiger Drohbrief vom Amt für Luftverkehr aus
Bern erreichte. Darin wurde uns vorgeworfen, dass wir
Flugtickets unter den in der Schweiz genehmigten Preisen
nach Manila anbieten!
Da waren sie bei mir an der richtigen Adresse, ich konterte
scharf zurück, beschuldigte sie mafioser Methoden und
übler Machenschaften, weil sie den armen Clubmitgliedern
zuviel Geld aus ihren Taschen zogen, wenn diese einmal
nach Hause fliegen wollten.
Das war im Jahr 1976, die Korean Air
flog neu von Zürich via Manila nach Seoul. Wir konnten die
Flugscheine in London sehr günstig einkaufen, mit Abflug
ab Zürich kosteten diese rund fünfhundert Franken weniger
als bei Danzas. Und weil verschiedene Krankenschwester
ihre Flüge bei Danzas stornierten und zu uns kamen, war
auch klar, wer da in Bern den schwarzen Peter spielte. Die
grosse Firma wollte den kleinen Verein auslöschen!
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Aber der Kleinkrieg dauerte an, und solange wir nur ein
Verein waren, wollten uns die neu enstandenen
Brockerfirmen in der Schweiz auch nicht direkt beliefern.
Mit Westminster Travel in London bezogen wir während
Jahren Flugscheine, und wir sahen diese Leute nie, aber wir
hatten mit ihnen nie Verluste zu verzeichnen. Nur einmal,
da gingen die Flugscheine auf der Post verloren, und wir
mussten Ersatz verlangen. Das führte dann zu einigen
Problemen.
Aber grundsätzlich arbeiteten die Leute dort vorbildlich
und wir waren auch stets gute Zahler.
Ab 1979 waren wir dann auch im Handelsregister
eingetragen und konnten offiziell als Reisebüro auftreten.
Wir bezogen unsere Flugscheine von fast allen Brokern in
der Schweiz und Westeuropa, von Milano bis Hamburg,
und von Wien bis London. Zwei andere Filippinas, welche
sich als Reisebüro etablierten, begannen gezielt mit Mobbing
und Falschmeldungen gegen uns zu agieren, das führte bis
zu Drohbriefen mit Bombendrohungen im Text! Aufgabe
von gefälschten Inseraten im Tagesanzeiger, darin wurden
bewusst viel zu tiefe Preise nach Manila angeboten und der
Direktor der PAL, ein E.R.
kam prompt auf uns zu. Der Tagesanzeiger verzichtete
immerhin auf die Zahlung, weil grober Unfug, ja, eine
strafbare Handlung vorlag!
Ich traf den PAL Manager im Hotel Zürich, er zeigte sich
kompromissbereit, indem er uns Zugang zu den
Brockerpreisen versprach. Aber das war gelogen, er wollte
mich nur ruhig stimmen. Dabei liess ich ihn wissen, dass ich
sehr ungemütlich werden könnte, sollte er sich erlauben,
mich über den „Tisch zu ziehen“ und unsere Büro zu
verarschen!
Und er tat es, indem er einem Kollegen und Gemüsehändler
aus seinem Dorf , Flugscheine gab, zu Preisen, die wir nicht
erhielten! Ich stellte eine Falle, zwar war mir bekannt, dass
Tonbandaufnahmen vor Gericht nur zugelassen sind, wenn
die andere Seite zuvor das OK, gegeben hat!
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Das war aber in diesem Fall unmöglich, ich stellte mich als
Fluggast beim Gemüsehändler vor, dieser prahlte glattweg,
von seinen besonderen Beziehungen zum PAL Manager.
Genau das wollte ich haben, ich kontaktierte die Redaktion
des Reisebüromagazins. Ein Journalist kam mich in Zürich
besuchen. Er nahm von der Story Kenntnis und brachte
dann eine Doppelseite sowie die Titelseite mit dem PAL
Flugzeug. Das schlug ein wie eine Bombe! Der Manager eilte
zu seinem Anwalt, und dieser wiederum sandte mir seine
üblichen Drohbriefe. Ich machte damals noch einen Fehler,
der mir ernsthafte Probleme hätte einfahren können.
Ich schrieb einen sehr agressiven Brief an die
Generaldirektion der Philippine Airline in Manila!
Beschuldige ihren Manager krimineller Machenschafte und
verlangte seine Absetzung. Das alles wäre soweit nicht
schlimm gewesen, hätte ich es nicht auf dem
Geschäftspapier der OSEC geschrieben. Natürlich startete
der Manager einen Frontalangriff, sowohl gegen mich, wie
auch auf die OSEC . Ich musste vortraben, ja, ich hätte den
Brief in der Mittagspause geschrieben und kein neutrales
Papier gefunden, das war sachlich richtig aber doch eine
eine Ausrede. Soweit so gut, aber dadurch wurde auch noch
die OSEC mitangeklagt, ich sass in einer Zwickmühle wie
schon lange nicht mehr, da war nun wirklich etwas schief
gelaufen. Mit einem Schönwetterbrief distanzierte sich die
OSEC von meiner Firma, nahm meine Angaben ebenso als
Ausrede, danach beschränkte sich der Manager auf mich,
indem er mich beschuldigte, ich würde seine Existenz
ruinieren! Ich blieb natürlich keine Antworten schuldig,
beschuldigte meinerseits den Manager des Betruges und der
Scharlatanerie. Nach ein paar Wochen versandete das
Ganze ohne irgend ein Resultat. Der Manager verzichtete
angesichts der vielen Beweise gegen ihn, auf ein
Gerichtsverfahren gegen uns.
Und ich machte geltend, dass ich noch sehr schwerwiegende
Beweise habe, die ihn sogar hinter Gitter bringen könnten,
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489
das war nur Bluff, aber anscheinend wirksam, denn nichts
ist gefährlicher, als ein unbekannter Feind!
Ein anderer ewiger Feind von uns war die holde Swissair!
Mit dieser waren wir schon von Anfang an, bis zu ihrem
unrühmlichen Ende, immer im Clinch geblieben. Die
Swissair belieferte grundsätzlich nur IATA Reisebüros, von
den vielen Reisebüros in der Schweiz, waren aber höchstens
30% IATA Mitglieder, kleine Firmen konnten schlichtweg
die Aufnahmebedingungen nicht erfüllen. Meistens
verkauften wir Graumarkt Flugscheine, da erhielten wir
vom Grossisten bis 14% Kommission, in der Regel gaben
wir die Hälfte der Provision den Kunden weiter und
konnten so günstiger anbieten. Normalpreistickets mussten
wir bei einem IATA Büro einkaufen, das gab oft nur 2 bis
5% Kommission, darum war es dann unmöglich diese noch
günstiger abzugeben. Dabei stellten wir fest, dass viele
Kunden, diese Flugscheine beim Kuoni etc. kauften, wenn
sie bei uns gleichviel zu zahlen hatten! Eine Mentalität, die
mir oft zu denken gab! Delia hatte die Angewohnheit,
potentielle Kunden, oder auch bestehende Kundschaft, zu
einer Mahlzeit einzuladen, in den allermeisten Fällen waren
es Schweiz-Philippinen Paare. Die Mehrheit verhielt sich
anständig, aber es gab da doch einige, die sich von ihrer
übelsten Seite her zeigten. Ein Paar aus dem Zürcher
Oberland, das wir schon lange kannten, das aber nie bei uns
buchte, lud Delia zu einer reichhaltigen Mahlzeit ein. Das
Paar griff tüchtig zu und ass königlich, mit Nachspeise etc.
Wer nun aber denkt, zum Dank dafür, habe der Mann bei
uns gebucht, irrt sich! Von einem Bekannten erfuhren wir,
dass der Kerl seine Tickets anderswo kaufte und sogar noch
mehr zahlen musste. Als ihn der Bekannte fragte, weshalb er
nicht bei BTS gebucht habe, soll der doch tatsächlich
folgendes gesagt haben: „Also, weshalb soll ich bei denen
buchen, wer ein derart teures Haus hat, benötigt doch kein
Geld!“
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Kapitel 24
50 Jahre alt
Das Jahr 1988, war nicht nur das Todesjahr meiner Mutter,
dreissig Jahre KV-Mitgliedschaft mit dem Veteranendiplom,
sowie 30 Jahre kaufmännische Tätigkeit, sondern auch noch
mein 50. Geburtstag! Seit ich den Job bei der OSEC versah
und verheiratet war, schien mein Leben nur noch
schablonenhaft zu verlaufen, ohne viel Abwechslung, täglich
die Fahrt mit der S-Bahn Zürich und zurück, dann die
Fusswege zum Bahnhof, einmal ging ich den Weg der
Strasse entlang, am Abend jedoch über den Steg des
Chimlibaches und den Einfamilienhäusern vorbei, um dann
die Ackerstrasse von hinten zu erreichen, so ergab das doch
etwas Veränderung in den grauen Alltag.
In Zürich, weil am frühen Morgen noch nicht ganz wach,
nahm ich den Weg über die Bahnhofbrücke, dann die
Stampfenbachstrasse hinauf, am Abend jedoch, da wagte ich
es über den Steg der Sihl und zum Platzspitzareal. Als noch
die Drogenszene war, prüfte ich zuvor immer, ob der Steg
voller Süchtiger war, denn die hatten auch noch grosse
Hunde bei sich. Und oftmals zog ich es vor, doch lieber den
Umweg über die Bahnhofbrücke zu nehmen. Aber es gab
auch Momente, da ging ich einfach entschlossen an den
vielen jungen Leute am Boden kauernd vorbei. Und ich
blieb immer unbehellicht, sowohl von den Hunden wie auch
von den Drogensüchtigen.
Und weil Delia mit der Arbeit im Reisebüro nie vorankam,
hiess es für mich nach dem Nachtessen noch die wichtigsten
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Anfragen zu erledigen, Tarife zu berechnen, etc.
Ich machte auch die Werbung und den Newsletter für den
„Philswiss Club“, wer bei uns einen Flug buchte, wurde
automatisch Mitglied und musste keine Beiträge entrichten.
Dieses Vorgehen war wohl die einzig richtige und gangbare
Lösung, denn die Disziplin unter der Kundschaft liess mehr
als zu wünschen übrig. Ein Ausflug auf die Insel Mainau mit
Schiff-Fahrt auf dem Bodensee, wurde mit einem
Anmeldetermin ausgeschrieben, aber keine einzige feste
Anmeldung war bis
Meldeschluss zu verzeichen, dafür dann ein zwei Tage vor
dem Ausflug! Das Gleiche war der Fall zum Europa-Park,
zum Mini-Swiss nach Melide, nach Engelberg, nach andern
Destinationen, bis ich dann endgültig genug hatte und so um
1989 den Bettel hinschmiss. Während Jahren hatten wir, der
„Philwiss-Club“, meistens beim Seebad in Greifensse, einen
„Picknick-Tag“ im Programm.
Und wenn da gegen 120 Leute kamen, war das Badeareal
voll besetzt! Ich wunderte mich lange, weshalb die Behörden
nie Einsprache erhoben, denn die Einheimischen hatten
jeweils keinen Platz mehr, aber vermutlich wussten sie gar
nicht, wer das organisiert hatte?
Dann war da noch der grosse Garten ums Haus, den ich nur
rudimentär bearbeiten konnte. Das arbeitsaufwändige
Schwimmbecken hatte ich schon vorher zugeschüttet.
So gegen 21 Uhr machte ich in der Regel auch Feierabend,
schaute noch Fernsehen, denn zu mehr war ich nicht mehr
fähig!
Mit 50 zählt man aber im Westen auch schon zum alten
Eisen, wie es so schön heisst. Und ich musste zugeben, meine
beruflichen Ziele hatte ich bei weitem nicht erreicht!
In diesem Alter rutschte der Karrieremensch vom Manager
zum Direktor und darüber hinaus! Und ich rutschte immer
auf dem gleichen Sessel herum, klar, wollte ich Karriere
machen, war ich eindeutig bei einer dafür untauglichen
Firma und hatte den falschen Job gewählt.
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Aber das wusste ich ja bereits 1969, als ich diese Stelle
antrat, wegen meiner gesundheitlichen Probleme riet mir
der Oberarzt in Frauenfeld, eine leichtere Arbeit zu
übernehmen. Und diesen Rat befolgte ich fast zwangsläufig,
wenn auch widerwillig!
Im Lauf der Jahre versuchte ich es mehrmals mit einem
besser bezahlten Job, zog meine Kandidatur aber meistens
vorzeitig zurück, weil sich immer dann die Probleme
häuften, nervöse Magenkrämpfe, hoher Blutdruck, wenns
um die Wurst ging! Dann erinnerte ich mich an die Worte
von Dr. Beck in Zürich:“Mit ihrem Bludruck werden sie
höchstens 37 Jahrer alt!“
Ich war damals 32 und er gab mir noch fünf Jahre!
Also, musste ich aus einer Zwanslage das Beste daraus
machen! Ich hatte eine interessante Arbeit, den weltweiten
Bezugsquellennachweis der Schweizer Exportproduktion,
empfing Leute aus der ganzen Welt, erhielt Telefonanrufe in
allen möglichen Sprachen, schriftliche Anfragen und auch
die Problemfälle der Botschaften, Konsulate und
Handelskammern. Die Arbeit war sicher genau nach
meinem Gusto und gefiel mir auch sehr gut, weniger gut
gefielen mir die andern Mitarbeiter, nur allzuoft wurden da
„Ladenhüter“ angestellt, erfolglose Juristen, gefeuerte
Manager, gesundheitlich Angeschlagene wie ich,
„trockene“ Alkoholiker, die es aber noch gar nicht waren.
Aber auch Kader von bankrotten Firmen, die oft am
Konkurs der Firma mitschuldig waren und dann bei uns mit
der grossen Kelle anrühren wollten, so musste ich einmal
einem solchen „Könner“ direkt sagen, dass ich von Einem,
der bereits beruflich derart versagt hat, keine Ratschläge
entgegen nehmen wolle. Dass dieser mich danach nicht
mochte liegt auf der Hand. Unsere Abteilung konnte kaum
Einnahmen verzeichnen, darum galten wir auch
entsprechend wenig in der Organisation OSEC. Ich nannte
sie sarkastisch:“Organisation sexuell entgleister Chaoten“,
in Wirklichkeit hiess sie aber:“Office Suisse d’Expansion
Commercial“. Deutsch:“Schweizerische Zentrale für
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Handelsförderung“, Englisch:“Swiss office for trade
promotion“. Weil aber unsere Welschen Kollegen in
Lausanne, nur mit Samthanschuhen angefasst werden
durften, mussten wir aus Rücksicht die französische Version
verwenden.
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Kapitel 25
Genug von
Kreuzfahrten
Unsere Ehe war nur noch eine Interessengemeinschaft, oder
besser noch: eine GmbH. Aber damit Sohn, Haus und
Geschäft zusammen blieben, erschien es mir durchaus
logisch, einfach so weiter zu leben. So, wie das heutezutage
schon fast Usanz ist, man hat sich nichts mehr zu sagen und
findet sich damit ab.
Delia pflegte seit den ersten Tagen oft zu fragen:“Wirst du
mich nie verlassen?“ Und meine Antwort war immer
gleich:“Natürlich nicht“. Etwa nach 15 Ehejahren wurde
diese Frage kaum noch gestellt. Da ich grundsätzlich meine
Versprechungen immer einhalte, galt das auch für die Ehe.
Irgendwie würde ich schon einen Weg finden, um innerhalb
der Ehe meine Freiheiten zu haben. Das taten ja andere
Eheleute auch, er flog mit dem Kegelklub nach Santo
Domingo, sie mit dem Frauenclub nach Kenya.
Delia war seit Jahren ganz wild auf Kreuzfahrten,
anfänglich war das noch interessant, weil man so viele Ziele
ansteuern konnte. Aber ihr Interesse galt mehr dem Leben
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an Bord, diese grenzenlose Fresserei, die inhaltslosen
Anlässe an den Abenden, die Flirterei mit der Besatzung.
Einige Male spielte ich auch mit, meistens war ich dann der
Clown, natürlich endete das immer mit einem
Riesengelächter. Bald aber hatte ich genug von diesen
hirnlosen Shows, ich verkroch mich ins Kino und genoss als
einziger Gast irgend einen Film, das war dann für mich die
Lebensqualität der Kreuzfahrt. Oder ich zog mich zurück in
die Bibliothek, traf dort auf 85jährige Engländerinnen und
führte mit diesen interessante und kluge Gespräche. So auch
mit einer Lady, die sich während dem 2. Weltkrieg in
London bei BBC als Radiosprechering betätigte. Das war
natürlich Musik für einen verhinderten Geschichtsforscher,
und wir unterhielten uns stundenlang, wie die BBC die
Meldungen der französischen Partisanen verbreitete, die
Landung in der Normandie, die Schlachten in aller Welt und
wie damals die Stimmung in London war. Als die damals
junge Frau nachts nach Hause ging, habe sie oftmals auf der
Strasse in Deckung gehen müssen, wenn etwa deutsche
Bomber angriffen oder V1 und V2 Raketen heranheulten.
Ja, das war Geschichte „Life“ und da die Frauen schon über
80 waren, hatte ich auch von Seiten der Delia keine
Probleme damit!
Ich genoss die Ruhe im Kino oder in der Bibliothek,
während oben auf Deck der Teufel los war, laute Musik,
Geschrei wie in einem Affengehege.
Delia beschwerte sich bei mir, was für ein langweiliger Kerl
ich doch wäre, der es vorziehe einen Film anzuschauen oder
mit alten Weibern über einen Krieg zu plaudern der ja noch
vor ihrer Geburt stattfand. Ja, unsere Interessen waren sehr
unterschiedlich, ich wollte zu Fuss durch die Wälder
wandern, sie aber in einem abgasstinkenden Auto durchs
Land rasen. Nein, ein Auto kaufen, das wollte ich nicht,
wozu auch? Schliesslich verkaufte ich im Februar 1968
meinen Opel in der Absicht, nie mehr ein Auto zu kaufen.
Zudem schlug ich mich damals mit der Gründung einer
Umweltschutzpartei herum, und da musste ich als Vorbild
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dabei sein. Weil sich auf meine Inserate aber nur eine
Person meldete und das erst noch ein Kollege, der meine
Postfach Nummer kannte, liess ich es beim Vorhaben und
gründete dann die „Europäische Föderalistische Partei“ des
Kantons Zürich.
Delia hatte kein Verständnis für derartige Anliegen,
schliesslich hatten die anderen Filippinas auch ein Auto,
darum musste sie auch eines haben! Für diese Zwängerei
fehlte mir aber die Einsicht.
Sie meinte, die andern würden ja doch auch keine Rücksicht
auf die Umwelt nehmen, weshalb also nur sie und ich?
Wir wurden darin nie einig, zu weit auseinander waren
unsere Positionen!
Es kam der Tag, an dem ich ihr sagte, sie solle alleine auf
Kreuzfahren gehen, denn es gab Fälle, da legte ich während
einer Kreuzfahrt von 15 Tagen, ganze 15 Kilo an Gewicht
zu! Die Wage zeigte jeweils weit über die 100 Kilo hinaus,
das war eher Frust als Lust am Anlass! Zudem war das
sinnloser Massentourismus, was mich auf längere Zeit
kaum befriedigen konnte. Lieber fuhr ich mit einem
Frachtschiff über die Meere, das taten wir einmal ab
Barcelona mit einem alten Schiff. Zehn Tage bis zu den
Kanaren und auf die diversen Inseln dort, dann wieder
zurück, das war ganz nach meinem Gusto. Aber Delia
vermisste eben den ganzen Tam Tam, konnte nicht schlafen,
weil sie immer dachte, das knarrige Schiff falle auseinander.
OK; wir einigten uns dann soweit, dass sie alleine auf die
Kreuzfahrten gehen solle, ich durfte dafür
alleine nach Manila fliegen. Dass das auch nicht gut gehen
konnte, liegt schon fast auf der bekannten Hand.
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Kapitel 26
Fernost und China
Das Reisebüro hatte eine gute Seite, alle unsere
Studienreisen, die wir auf Kosten der Firma durchführen
konnten, wurde auch von diesem finanziert. Und es war
absolut legal, auch aus steuerlicher Sicht, denn Delia und ich
mussten uns die Länder erst anschauen, die wir andern
Leuten anboten. Und wenn Rey auch davon
Nutzen zog, dann war das wiederum in Ordnung, denn er
sollte ja die kaufmännische Lehre in unserem Büro
absolvieren.
Nach dem Tod von Mutter konnten wir auch wieder längere
Auslandreisen unternehmen, für Juni 1989 planten wir eine
sehr ausgedehnte Reise nach dem Fernen Osten und dazu
eine Chinareise. Kostenmässig war das die teuerste aller
Reisen, mehr als 30.000.00 Franken, genau weiss ich das
auch nicht mehr! Wir flogen nach Möglichkeit mit der
Singapur Airline, weil diese uns am meisten Rabatt
gewährte, zudem aber auch einen vorzüglichen Service bot.
Wir flogen bis nach Singapur, dort gabs eine
Stadtbesichtigung und einen Ausflug auf die Sentosa Insel.
Eine andere Reise ging nach Johor Bharu, in Südmalaysia.
Dann flogen wir von Singapur nach Osaka, Japan,
die Hotelpreise waren exorbitant hoch, da hiess es möglichst
schnell weiter reisen! Wir gingen zum Bahnhof um die
Bahntickets nach Tokyo für den nächsten Tag zu lösen.
Rey blieb im Hotel, wollte angeblich schlafen, als wir aber
zurück kamen, hörten wir ein eindeutiges Stöhnen im
Zimmer, er schaute sich einen harten Pornofilm an. In
Japan gehört das, wie die Bibel bei uns, in jedes
Hotelzimmer. Aber wir stellten das sogleich ab und gingen
danach auswärts essen.
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Als wir am nächsten Tag auscheckten, sagte der Mann, wir
hätten noch einen Film geschaut, das koste etwas mehr.
Ich erklärte ihm den Fall und er liess das sogleich weg.
Gespannt warteten wir auf dem Bahnhof von Osaka auf die
Einfahrt des bekannten Shinkansen Zuges. Und er kam
pünktlich, wir standen an der Wagen Nummer, wo wir
einsteigen sollten. Er hielt fast auf den Zentimeter genau
dort an, und wir konnten problemlos einsteigen, nach zwei
Minuten fuhr er weiter nach Kioto.
Die Fahrt verlief fast lautlos und alles schien bestens zu
funktionieren, wiederum auf die Minute genau trafen wir in
Tokyo ein. Wir mieteten gleich im Bahnhofhotel unser
Zimmer, im Untergeschoss waren zahlreiche Restaurants
und man konnte dort zu günstigen Preisen gut speisen.
Seit meinem letzten Besuch in Tokyo waren immerhin 24
Jahre vergangen, die Stadt war einfach noch viel grösser
und wuchtiger als damals. Zum Flughafen konnte man mit
dem Zug fahren, am Schalter wollte man uns keine Tickets
verkaufen, es wurde auf die Ticketautomaten verwiesen,
aber da war alles nur auf Japanisch geschrieben. Ich ging
wieder zurück und reklamierte, aber es nützte nichts, wir
sollten die Tickets am Automaten beziehen! Da erinnerte ich
mich an eine Eintragung im Polyglott-Reiseführer, da hiess
es, man solle einfach das billigste Ticket nehmen und
einsteigen. Das taten wir dann auch und fuhren zu einem
sehr günstigen Preis zum Airport. Ohne Ticket kann man
nicht einsteigen, weil die Sperren das verhindern. Von
Tokyo flogen wir nach Taipei, Taiwan, bei der Passkontrolle
erhielt ich von der kleinen Chinesin einen Anschiss, ich hatte
beim Visaantrag auf meinem Formular irrtümlich das
Geburtsdatum von Rey eingetragen:“Your are not 16 years
old“ zischte sie mich böse an, ich lachte und entschuldigte
mich.
Die Hotelpreise waren hier etwas christlicher als in Japan,
dass zum Beipiel Spanisch in Fernost nicht zählt, erlebte ich
dann im Hotelrestaurant, zwei argentinische Geschäftsleute
wollten etwas bestellen, aber man konnte sie einfach nicht
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verstehen, da half ich aus und sie waren hoch erfreut, dass
hier doch noch jemand ihre Sprache konnte.Ein geführter
Ausflug brachte uns nach Wulai, tief in den Bergen von
Thaiwan, wo wir einer Tanzdarbietung der „Eingeborenen“
beiwohnen durften. Die Ureinwohner auf Thaiwan
stammen aus dem polynesischen Raum. Der Flug bis
Hongkong war von kurzer Dauer, wir wohnten in einem
fünfsterne Hotel, allerdings mit der üblichen Ermässigung
für Reisefachleute. In der Regel erhielt man bei den teuren
Hotels 50% Rabatt, der Aufenthalt war dann immer noch
teuer genug.
Von einem lokalen Reisebüro hatten wir eine komplete
Chinarundreise gebucht. Das war so wesentlich billiger als
etwa in Europa zu buchen. Anfangs Juni war das Tianmen
„Massaker“ in Peking, noch wussten wir zwei Wochen
danach nicht sicher, ob wir die Reise antreten konnten?
Es ging, wir konnten wie geplant losfliegen, erst nach
Shanghai, dann nach Peking, Xian, Guilin, Kanton und
wieder nach Hongkong. Wir waren fast die einzigen
westlichen Touristen im Land, es herrschte eine
bedrückende Stimmung. Auf dem Tianmen Platz wurden
laufend Leute von Polizei und Militär abgeführt,
In Kanton kauften wir diverse Möbel ein, Fracht und Zoll
via Genua, machten fast soviel aus, wie die Möbel selber.
Die meisten grossen Hotelblöcke waren leer, in Peking
röstete man unsere Toasts mit einer Kerze! In Guilin fielen
uns die vielen hübschen Verkäuferinnen in den fast leeren
Warenhäusern auf. Noch konnten wir nicht ahnen, dass Rey
13 Jahre später just eine Frau aus Guilin heiraten würde.
In Singapur machten wir noch einen Abstecher nach Kuala
Lumpur, dann gings wieder Richtung Europa, wir hatten
nach fast einem Monat Reisen genug.
Und für mich waren alle diese Komfortreisen nur ein Hauch
von dem, was ich früher als Einzelreisender erlebte.
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Kapitel 27
Ägypten
Um das Jahr 1990 war eine Ägyptenreise geplant,
noch ahnte ich nicht, dass es unsere allerletzte im
Familienkreis sein sollte. Vielmehr dachte ich, wir
hätten nun eine neue Form von Partnerschaft für
unsere Ehe gefunden.
Mein letzter Besuch in Ägypten ging auf das Jahr
1963 zurück, seither waren immerhin 27 Jahre
verstrichen. Delia und Rey waren zudem noch nie
dort, und alle freuten sich auf diese Bildungsreise.
Der Flug führte uns erst nach Hugharda am Roten
Meer, wir wurden von einem Minibus abgeholt und
durch die Felsenwüste nach Luxor gefahren, eine
gänzlich unbewohnte, gebirgige Landschaft, wie
leicht hätte man uns da überfallen können, aber es
geschah nichts und wir erreichten Luxor heil. Wir
hatten uns im Hotel, in dem man uns hinbrachte,
schon fast eingerichtet, als der Reiseleiter kam und
meldete, man habe uns ins falsche Hotel geführt. Das
„richtige“ Hotel war nur unweit davon entfernt, als
wir unsere Sachen auspackten, bemerkten wir, dass
wir unsere Nachtwäsche im ersten Hotel unter den
Kopfkissen vergessen hatten!
Also musste man zurück und das noch abholen, ich
raste durch die Nacht von Luxor und war schon bald
wieder mit der vergessenen Wäsche zurück. Das war
nun wirklich unnötiger Urlaubsstress schon zu Beginn!
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Am ersten Tag führte uns der Reiseleiter ins Tal der Könige,
sicher etwas vom eindrücklichsten jeder Ägyptenreise. Beim
Hatchesouptempel hielt uns der Reiseleiter einen langen
Vortrag über die Geschichte dieses Gebäudes. Damals
herrschte eine durchwegs friedliche Stimmung,
Kameltreiber führten die Touristen durch das grosse Tal. In
allen Ecken standen Gruppen von Touristen, welche mehr
oder weniger aufmerksam den Ausführungen der Führer
zuhörten. Man hatte so eine Art von Gefühl, wie es damals
vor etwa 5000 Jahren wohl sein mochte und war
dementsprechend tief beindruckt. Etwa 12 Jahre später,
wurden genau dort rund hundert Touristen von Terroristen
erschossen oder verletzt!
Die vielen Tempel in Luxor waren eine weitere Wucht, dabei
zeigte uns der Leiter anhand der Steinornamente, dass es
schon damals Pornographie gab!Luxor hat auch viele
riesengrosse Minarette, und als die Sonne blutigrot am
Horizont verschwand, riefen die zahlreichen Muezzine mit
Lautsprechern verstärkt zum Gebet auf. Für uns
„Ungläubige“ hörte sich das an, als würden die Ärmsten
ohne Narkose kastriert! Aber unser Leiter konnte uns diese
Befürchtungen ausreden. So weit ich mich erinnere, flogen
wir dann nach Assuan weiter, natürlich musste man den
neuen Standort von „Abu Simbel“ sehen, am wenisten
Überraschung bot der Nasser Staudamm, der war allen
bereits bestens aus den Medien bekannt. Von Assuan aus
begann die Reise nach Kairo, zwei aus unserer Gruppe
durften fliegen, die andern waren auf dem Zug gebucht.
Ein Zuger und Rey wurden dann zum Flug zugelassen, wir
andern mussten mit dem langsamen Zug fahren. Die zwei
konnten in Kairo in einem Fünfsternehotel genüsslich
schlafen, während wir in den ungemütlichen Sitzen der
Eisenbahn eingeklemmt waren, und am nächsten Morgen
stand der Zug mehrere Stunden etwa 50 Kilometer vor
Kairo. Am Nachmittag waren wir dann auch im Hotel.
Die Pyramiden und das Ägypten Museum waren dann für
mich eher Routine, hatte ich doch diese Stätten damals sehr
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gründlich angeschaut. Zu den Pyramiden ging ich zu Fuss,
und im Museum verbrachte ich den ganzen Tag. Allein sieht
man nun einmal mehr als in einer Gruppe, und man kann
sich viel besser in die mamalige Zeit hineindenken. Die
Gruppe stört mit den verschiedenen Auren, zudem wird
man andauernd von Sprüchen und Witzen abgelenkt. Das
ist für einen wie ich, der sich sehr intensiv und tief mit der
Geschichte befasst, wenig interessant, eher oberflächlich wie
das nun einmal heute Usanz geworden ist! Die meisten Leute
sind aber mit solchen „Bildungsreisen“ zufrieden und sind
dann zumindest ausgewiesene „Ägyptologen“!
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Kapitel 28
Geschafft!
Delia kam aus ärmsten Verhältnissen, als Halbwaise war sie
nur geduldet und musste ihr Studium an der FEATI
University in Manila, mit einem Nebenjob als Kassierin in
einem Chinesen Restaurant finanzieren. Sie kam 1970, mit 2
Koffern und 2 US Dollars in die Schweiz!
Und ich war nicht viel besser dran, 1958 gab ich alle meine
Ersparnisse für die Heilung meiner Schwester Klara aus,
dann, bis 1970, half ich den Brüdern Ernst und Hans mit
Geld aus, dem Hans für einen Autokauf, dem Ernst damit er
endlich eine Berufslehre abschliessen konnte. Ab 1963
kamen dann die grossen Reisen und das kostete auch Geld!
Mein Spanienjahr war zudem ein finanzieller Flopp, ich
verbrauchte dort vielmehr als ich einnehmen konnte. Der
Einfachflug Manila-Zürich kostete damals ganze 3.200.Franken. Und als Delia ankam, hatte ich gerade noch Fr.
2000.- Barvermögen und sonst rein nichts mehr! Man kann
ruhig behaupten, dass wir beide im Jahr 1970, damals auf
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dem Nullpunkt, wieder neu begannen. Während ich
keinerlei Ambitionen hatte, sprach Delia schon bald von
einer Million als Vermögen, sei es als Haus, Auto, Bargeld
oder sonstwie, als ein Lebensziel.
Das war nicht nach meinem Gusto, dachte ich doch, wenn
eine aus armen Kreisen komme, sei das kein Thema.
Aber die andern Filipinas in der Schweiz machten uns das
Leben schwer, ständig war die Rede vom grossen Haus,
Luxusauto, etc.
Für mich war das Unsinn, denn ich konnte ja keine Karriere
mehr einschlagen, nachdem mir die Ärtzte dies untersagten.
Ich erklärte das der Delia, aber ihre Antwort war ganz
anderer Natur:“Dann werde ich eben arbeiten gehen“
meinte sie selbstbewusst. Und vier Wochen später konnte sie
bereits bei der Swissair eintreten. Ich erklärte ihr dann, dass
wir auch ohne meine Karriere eine Million schaffen
könnten. Am meisten holten wir mit den Häusern heraus,
1973 das Reihenhaus in Winterhur, dann 1979 das neue
Reihenhaus in Uster, und schliesslich 1981 das freistehende
Winkelhaus in Volketswil. Und nach gut 20 Jahren konnte
ich ihr eine Aufstellung zeigen, wonach wir zusammen, mit
dem Haus abzüglich der Hypothek, mit dem Reisebüro,
welches damals einen Umsatz von 1.3 Millionen im Jahr
erbrachte, sowie allen unseren Barersparnissen, wir auf
satte 1.550.000.- Franken Gesamtvermögen kamen!
Aber Delia hatte da eine seltsame Vorstellung von einer
Million, sie sagte, das Geld müsste ich ihr doch auf den
Tisch legen können, also auf einem Haufen.
Es gelang mir nur halbwegs, sie davon zu überzeugen, dass
ein Haus eben auch zum Vermögen zählt, und auch das
Reisebüro einen Marktwert aufweise, den man aber nur
schätzen konnte. Aber selbst ohne Beizug des Reisebüros,
wäre die Millionengrenze weit überschritten gewesen. Sie
meinte, nur die Zahlen auf dem Bankonto würden effektiv
zählen!
Es war fast hoffnungslos sie zu überzeugen, erst als ich ihr
sagte, dann müssten wir eben das Haus und das Reisebüro
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verkaufen, dann könnte ich den Geldhaufen auf den Tisch
legen, aber soweit wollte sie nun doch nicht gehen, denn das
Haus war ihr Statussymbol.
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Kapitel 29
Mein Flug nach
Manila
Unsere Ehe war nur noch eine GmbH, genau so wie die
Firma BTS GmbH! Delia ging nur noch auf Kreuzfahrten,
und ich durfte oder musste annehmen, dass sie dort auf neue
Freier stiess! Sie schwärmte immer vom holländischen
Tourdirektor, welcher immer nur Spass machte! Eines
Tages schlug sie mir vor, doch einmal alleine nach Manila zu
fliegen um dort das Nachtleben im Mabini zu studieren. Erst
fand ich den Vorschlag leicht daneben, doch dann, nachdem
ich die reale Situation zu evaluieren begann, gefallen daran
fand.
Also buchte ich drei Wochen, zwei in Manila und noch eine
in Pattaya, Thailand, welches ich auch nur vom Hörensagen
her kannte, weil ich im März 1966 keine Fahrtgelegenheit
von Bangkok dorthin finden konnte.
Nach mehr als 20 Ehejahren, bereiste ich die Welt nun
wieder wie ein Grünschnabel, alles, was ich früher wusste
war vergessen, ich kannte nur noch die heile Welt im
eigenen Haus. So unterliess ich sämtliche Vorsichtsregeln,
die ich 30 Jahre zuvor als selbstverständlich befolgte.
Schon nach 2 Tagen geriet ich in Manila in eine
Touristenfalle übelster Sorte! Wie sich das im Einzelnen
abspielte, hielt ich im Buch „Flucht aus Manila“ fest. Vier
Tage nach meiner Ankunft war ich bereits wieder am
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Airport von Manila, diesmal auf der Flucht vor möglichen
Verfolgern. Erst in Hongkong konnte ich wieder frei
aufatmen, in Pattaya erholte ich mich dann eine volle Woche
im damals noch neuen Royal Garden Resort. Flog dann in
die Schweiz zurück, dort malte ich die Hausfassade neu.
Das Geld, das ich dadurch einsparen konnte, ergab ungefähr
den Betrag, den ich den Banditen geben musste! So blieb
mein Urlaubsbudget mehr oder weniger ausgeglichen.
Es war sicher eine harte Lektion aber doch noch glimpflich
abgelaufen, was ich auf meine Kooperationsbereitschaft mit
den Gangstern zurück führe, sie wollten Geld und mir ging
es darum, möglichst wenig zu geben. Dazu musste ich recht
kaltblütig argumentieren, diese davon überzeugen, dass
mein Vorschlag ihnen am meisten einbringe. Sie gingen auch
darauf ein und liessen mich frei, dann aber fand ich es doch
angebracht zu flüchten, denn Philippinos melken die gleiche
Kuh gerne mehrmals!
Dieses Horrorerlebnis hatte auch seine guten Seiten, fortan
überdachte ich eine Aktion lieber dreimal, wenn ich auf
Reisen war.
Natürlich kann man trotz grösster Vorsicht immer noch in
eine Falle geraten, aber es wird eher unwahrscheinlicher.
Delia verstand die Geschichte vermutlich falsch, sie
verbreitete plötzlich, ich hätte in Manila eine Polizeibusse
zahlen müssen, was natürlich nicht richtig war. Auch
deshalb hielt ich es für angebrachter, die Story in Buchform
festzuhalten.
Dafür halten mich ein paar Leser nun für einen
Paedophilen, aber ich bin immer noch der Ansicht, dass das
Mädchen von damals, wie von ihr behauptet, 19 war!
Aber das kann ich vermutlich nie genau abklären. Wenn
man im www. Central Luzon corruption.com, sucht, erfährt
man, wie solche Geburtsscheine gefälscht werden und wie
Touristen betrogen und erpresst werden!
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505
Kapitel 30
Schockmeldung!
Mir war schon lange bewusst, dass Delia etwas im Schilde
führte. Ich rechnete aber nicht mit einer Scheidung, denn
seit mehr als 20 Jahren fragte sie mich sporadisch:“Wirst du
mich nie verlassen?“ Und ich antwortete immer
gleich:“Natürlich nicht!“Es war an einem gewöhnlichen
Abend während dem Nachtessen, als sie mich plötzlich mit
dem folgenden Satz überraschte:“Ich möchte mich von dir
scheiden lassen!“ Ich glaubte nicht richtig gehört zu haben
und fragte nach:“Was hast du da soeben gesagt, ich glaube,
ich habe dich falsch verstanden“. Aber sie wiederholte den
Satz und nun wurde mir bewusst, dass sie es auch so meinte.
Ich verstand im ersten Augenblick rein nichts,
argumentierte wegen ihrer Zukunft und dem gemeinsamen
Vermögen, das nun dahinschmelzen wird. Sie gestand mir
dann, sie habe mich auf den Kreuzfahrten betrogen und
habe dadurch ein schlechtes Gewissen, sie könne mir nicht
mehr in die Augen schauen und dergleichen. Zudem habe sie
vor, einen sehr reichen griechischen Reeder zu heiraten, sie
gebe mir dann auch eine Million davon, wenn ich für die
Scheidung zustimme! Einmal mehr musste ich wegen ihrer
Naivität lachen, ob sie wirklich sowas glaube, natürlich
möge ich ihr die Millionen gönnen, aber ich glaube nun
einmal nicht an dieses Märchen! Ich befand mich in einer
Art von Trancezustand und glaubte zu träumen. Sagte ihr,
sie solle sich diesen Schritt doch noch gut überlegen, denn
der sei nicht problemlos.
Ich war dann eine ganze Woche lang wie in einem Delirium,
oder wie ein Zombie, mein Kollege im Büro bemerkte meine
Veränderung, sagte aber nichts.
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Nach einigen Tagen begann in mir ein totales Umdenken, ich
stellte mir die Frage, weshalb das so schlimm sein sollte,
zudem sei sie nicht meine persönliches Eigentum und jeder
Mensch sollte tun und lassen können was ihm beliebt.
Dass eine Scheidung nicht das Ende bedeutete und neue
Perspektiven eröffne. Und diese innerliche
Umprogrammierung wirkte wie eine Bombe, ich fühlte mich
plötzlich erleichtert und munter. Am Abend sagte ich der
Delia ich wäre nun mit eine friedlichen Scheidung
einverstanden, wir würden einfach alles zur Hälfte teilen,
denn zu Beginn der Ehe hatten wir beide nichts. Zudem
gebe sie mir nach der Heirat mit dem reichen Reeder eine
Million, und sollte sie später in finanzielle Nöte geraten,
werde ich ihr nach meinen Möglichkeiten ebenfalls helfen.
Aber all das sollte nicht in eine Scheidungskonvention
kommen, sondern eine mündliche Abmachung bleiben!
Ferner sei unser Verhältnis fortan wie Bruder und
Schwester. Ein Punkt, der mir weniger gut gefiel, war ihre
Zusicherung, sie wolle für mich weiterhin kochen, bis ich
eine andere Frau habe.
Der Gerichtspräsident forderte sie auf, doch so etwa 2500
Franken Alimente zu beantragen, doch das lehnten wir
beide rundwegs ab, wir hätten das bereits geregelt und
wollten keine gerichtliche Verfügung dazu haben!
Schliesslich willigte der sture Kerl ein und nach 20 Minuten
waren wir geschieden. Anschliessend gingen wir ins nahe
Kaffee um dort das Weitere zu besprechen. Weil Rey erst 19
war, erhielt ich für ihn noch das Sorgerecht für 9 Monate
zugesprochen. Ordnung muss schliesslich sein! Aber
vorläufig änderte sich bei uns rein nichts, das Familienleben
ging nach der Scheidung gleich weiter wie zuvor.
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Kapitel 31
Ich soll wieder
heiraten
Mit der Scheidung reduzierte sich mein Gesamtvermögen
um 50%, das war soweit in Ordnung, hatten wir doch am
Anfang beide keinerlei Vermögen. Das Reisebüro ging
logischerweise ganz auf Delia über. Wir erstellten dazu eine
Mischrechnung, zudem wollte ich ihr auch danach noch die
Buchhaltung führen, weil sie davon keine Ahnung hatte.
Und damit ihr Geschäftskredit nicht dahinschmolz,
verschwieg sie ihren Bekannten und Kundinnen die
Scheidung. Selbst die Patin von Rey wusste nichts davon, so
hatten wir oft gemeinsame Mahlzeiten und die geladenen
Gäste hatten keine Ahnung, dass wir geschieden waren.
Wir mieteten im Zentrum Volketswil ein Büro, dieses lag
allerdings an einer sehr schlechten Lage. Und es kam wie es
kommen musste, mit den schwindenden Einahmen konnte
Delia gerade noch ihre Angestellte und den Mietzins zahlen,
später legte sie gar noch Geld aus ihren Ersparnissen drauf.
Meine Mitarbeit beschränkte sich nur noch auf die
Buchhaltung, die ich meistens an Samstagen oder Sonntagen
vornehmen konnte. Im Haus belegte Delia nun den hinteren
Hausteil, welcher früher für meine Mutter bestimmt war,
ich blieb im Hauptteil des Hauses. Aber sie konnte es nicht
lassen, täglich für mich zu kochen, obwohl ich das gar nicht
wünschte!
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Sie war eben nicht davon abzubringen, genausowenig, wie
mit ihren täglichen Sprüchen, wann ich endlich eine andere
Frau suchen werde. Ich war nicht in Eile und schon gar
nicht überzeugt, ob sich das lohnen würde. Lieber wollte ich
alleine bleiben, aber nein, sie stellte das wie einen Untergang
dar. Also begann ich mich etwas umzusehen, erst im Inland,
dann im nahen Ausland, wie Deutschland und Oesterreich.
Als Esoteriker suchte ich durch ein Inserat in der Esotera,
wurde aber von diesen Angeboten bitter entäuscht. Da ging
es primär wirklich nur um materielle Dinge! All den
Blödsinn aufzählen wäre Zeitverschwendung! An sich war
nur eine einzige Frau auf meiner spirituellen Linie, aber das
Foto schreckte mich brutal ab, die sah aus wie eine
hundertjährige Indianerin! Und statt erotische Gefühle
auszulösen, erinnerte sie mich an Häuptling Sitting Bull von
den Sioux Indianern!
Ich sandte ihre Bewerbung zurück mit dem Hinweis, ich
hätte mich bereits anderweitig verpflichtet.
Delia wollte mir eine entfernte Verwandte andrehen, nur
sah die aus wie eine vom „Planet der Affen“. Also auch da
keine Liebe auf den ersten Blick!
Ich mochte es nicht, wenn Delia da noch mitsuchte, und ich
hatte es auch satt, jeden Tag hören zu müssen, ich solle mir
doch endlich eine Hausfrau zulegen.
Ich griff dann zu anderen Aktionen, einmal liess ich in einer
malayischen Zeitung, die allerdings in Singapur gedruckt
werden musste, weil in Malaysia Partnergesuche verboten
waren, ein Inserat laufen. Dann auch noch in der
„International Herald Tribune“, was folgenschwere
Konsequenzen zeitigte, wie im nächsten Kapitel ersichtlich
wird.
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Kapitel 32
Ein folgenschweres
Inserat
Mein Inserat in Malaysia war von der Quantität her ein
voller Erfolg! Ich erhielt nicht weniger als 57 Angebote,
davon waren rund ein Dutzend von Filippinas, die dort als
Hausangestellte engagiert waren. Weitere 15 Briefe
stammten von muslimischen Frauen, dann noch wenige
Inderinnen und der grosse Rest von chinesisch stämmigen
Frauen, die alle nur eines wollten, raus aus dem
muslimischen Land! Ich wollte etwa 12 Adressen „warm“
behalten und schickte den andern eine Absage. Von meinem
Inserat in der „Herald Tribune“, ergaben sich weniger als
10 Angebote. Alle stammten von Filippinas in Europa, eine
war in Helsinki, Hausangestellte, diese machte mir von allen
noch den besten Eindruck, dann waren da noch welche in
Italien (Rom), eine andere war aus Paris. Und die aus Paris
sah eher aus wie ein Panzerknacker, ihr Gesicht war hart
und dominannt, aber sie beeindruckte mit ihren
Sprachkenntnissen! Zudem bemerkte sie, dass sie schon
früher in der Schweiz war. Meine Intuition sagte mir aber
ganz klar:“Hände weg!“, auf die Intuition war fast immer
Verlass! Auch bei meiner Entführung in Manila, sagte die
Intuition deutlich:“Das ist eine Falle“. Aber die Neugierde
war nun einmal dominannter. Im Fall von dieser Aida in
Paris, wars genau gleich, ich sagte ab und klebte den
Umschlag zu. Da regte sich in mir eine Stimme, die sagte:“es
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ist doch so, dass alle ein Anrecht auf meine Adressen
haben“. Also öffnete ich den Umschlag nochmals und legte
meine Visitenkarte in den Umschlag, die Absage blieb aber
drin.
Schon nach zwei Tagen hatte ich die Aida am Telephon, und
sie verstand es vortrefflich, mein Interese zu wecken.
Am nächsten Wochenende war ich bereits unterwegs nach
Paris, auf der Fahrt las und beantwortete ich die vielen
Briefe. Aida holte mich am Gare de l´Est ab, und wieder
sagte meine Intuition:“Halt dich weg“.
Aida schwatzte den ganzen Abend wie ein Wasserfall, ihre
Laufbahn war imponierend, erst auf der Philippinischen
Botschaft in Rom, dann vier Jahre bei Agnieli (Fiat), zwei
Jahre bei Baron de Rothschild in Paris und vier oder sechs
Jahre beim Prinzen Agha Khan in Genf. Und weil sie sich
mit der Prinzessin von A.Khan besser verstand als mit ihm,
musste sie nach dessen Scheidung auch gehen.
Und nun war sie Betreuerin von Liegenschaften eines
steinreichen Parisers und musste dessen Sohn füttern.
Sie nahm mich mit in eine der luxuriösen Wohnungen,
teure Gemälde und Teppiche in Hülle und Fülle, es war der
reinste Luxus. Nur der Herr Sohn durfte dort wohnen, er
war aber meistens weg, wo, das wusste die Aida auch nicht.
Aida wohnte in einer kleinen Absteige, nebenan sei eine
Afrikanerin, und die habe oft stundenlange Orgasmen!
Nun, diese Nacht machte ich durch, und Aida durfte sich
endlich erkenntlich zeigen, sie wusste, die Negerin würde
sicher nicht reklamieren. Ich hielt mich mit einer
Doppelflasche Kola fitt, hielt bis in die Morgenstunden
durch. Mit einer Taxe fuhr ich dann zum Gare de l’Est in
die Schweiz zurück. Ich ging dann noch etwa zweimal nach
Paris. Und immer lief es nach dem gleichen Muster ab. Aida
verstand es mich zu begeistern, ich war irgendwie wie
behext! Jeden Abend rief sie an und das Gespräch dauerte
oft bis zwei Stunden. Wir beschlossen dann, dass sie von
Mitte Juli bis Mitte August zu mir kommt, damit wir einen
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Probemonat einschalten können. Einen ganzen Monat lang
trieben wir es jeden Tag wie die Zwanzigjährigen.
Es gab da aber noch ein Problem, Aida war auf den
Philippinen immer noch verheiratet, hatte dort drei Kinder
und einem Mann! Eine Heirat in der Schweiz war daher
kaum möglich, darum planten wir andere Wege. In Santo
Domingo organisierte ich eine Fernscheidung für sie, und
heiraten konnten wir ja in Las Vegas, das war einmal etwas
Anderes! Als Aida bei uns in Schwerzenbach eintraf, begann
sogleich ein fürchterlicher Sturm mit Gewitterregen. Es war
offensichtlich, dass da etwas klemmen musste!
Und der Reineclaudebaum im Garten war ganz entwurzelt!
Es war, zusammen mit der Intuition, ein weiterer Wink an
mich, dass ich mich da in ein ungutes Abenteuer einlasse.
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Kapitel 33
Heirat in Las Vegas
Mir wurde während der Probezeit durchaus bewusst, dass
diese Aida für mich eine Nummer zu gross war! Da sie aber
den Haushalt gut führte und auch daneben keinen Anlass zu
grösseren Klagen gab, sah ich mit veranlasst, die
Heiratsvorbereitungen voranzutreiben. Zudem hatte ich sie
im Haus und konnte sie nicht einfach wegweisen. Es gab
aber schon noch einige Unklarheiten, da war dieser ExFreund in Genf, ein angeblich reicher Kanadier, den sie Mr.
Winn nannte, dann ein Monsieur Didier, angeblich auch ein
Angestellter bei der reichen Familie, dieser aber wäre
oberschwul, und daher für mich keine Konkurrenz! Sodann
sagte sie eines Tages, Frau Agneli habe sie aus St.Moritz
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angerufen, ob sie sechs Monate bei ihr den Haushalt führen
könnte?
Schliesslich war noch ihre Tochter Elisabeth in Genf, und
für sie wollte sie auch noch aufkommen.
Ich hatte plötzlich eine nervöse Emsigkeit um mich, und sie
kochte statt für zwei Personen für eine ganze Gruppe. Ich
legte innert wenigen Wochen viele Kilos zu!
Wir buchten unsere Flugscheine bis nach Los Angeles, dort
wollte die Aida eine Verwandte oder Bekannte besuchen.
Eine Tante war regelmässige Spielerin in Las Vegas, sie
wollte mit uns fliegen, bot uns zugleich im Queens Hotel für
zwei Nächte ein Gratiszimmer an, als regelmässige Kundin,
erhielt sie vom Hotel stets Bonusse. Mit ihr kam noch eine
Mrs. Metro, (Filippina) sie war die Witwe eines reichen
Autoimporteurs
in Kalifornien. Wir flogen mit der Südwest Airlines für
einen Minipreis, diese kennt keine reservierten Sitze, für
jeden Flug werden einfach soviele Tickets verkauft, wie Sitze
vorhanden sind.
In Las Vegas gibt es zwei Varianten zum Heiraten, eine ist
nur zivilstandsamtlich, die andere ist in weiss und in einer
Kapelle. Da wir beide schon einmal verheiratet waren,
wählten wir die Variante Zivilstandsamt. Dafür wollten wir
am folgenden Vormittag hingehen, erst mussten wir
abklären, wo sich dieses Büro befand.
Las Vegas ist eine Spielerstadt, das beginnt bereits am
Flughafen, wo sich in den Hallen dutzende von einarmigen
Banditen befinden.
Das Queens war gleichzeitig eine Spielbank, man musste nur
nach unten fahren und landete direkt im grossen Kasino.
Auch das Frühstück hatten wir gratis, die Tante gab uns
ihre Voucher. Allerdings, hatte ich schon nach einem Tag
genug von diesem Geschmack!
Zu dritt, Aida, Frau Metro und ich gingen wir zu Fuss bis
zum fraglichen Gebäude, zuvor mussten wir in einem
kleineren Haus noch die Anmeldeformulare abholen.
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Im Büro wurden wir sehr freundlich empfangen, auch Witze
wurden laut, das förderte die Stimmung!
Eine Dame half uns beim ausfüllen der Formulare, Frau
Metro war die Trauzeugin, vor uns wurden noch zwei
Pärchen getraut, und nach rund 20 Minuten waren wir
dran. Der Mann, in den mittleren Jahren, machte Scherze
und als er den Namen Metro hörte, da horchte er auf. Ich
wusste damals nicht weshalb, erst später wurde mir bewusst,
dass bei der MGM Filmgesellschaft, der erste Mann
„Metro“ hiess!
Nach rund 15 Minuten war die Sache überstanden und
kostete mich etwa 105.- Franken. Die Urkunde ging an das
Schweizer Konsulat in San Francisco, und von dort nach
Bern. Wir besuchten am Nachmittag noch eine ehemalige
Hausangestellte von Frau Metro, eine Filippina, die nun mit
einem AMI verheiratet war. Das Paar lebte ausserhalb der
Stadt in einer Einfamilienhaussiedlung. Ein Bungalow war
damals für ca. 125.000.- USD zu haben. Und ich machte
ernsthafte Pläne, ob ich später nicht doch einmal meinen
Ruhestand in diesem Spielerparadies verbringen sollte?
Muss allerdings erwähnen, dass gleich hinter der Siedlung
die Wüste Nevada war und grün Seltenheitswert hatte!
Gegen Abend trafen wir uns wieder im Kasino, ich ging um
22 Uhr schlafen, Aida wollte weiter spielen.
Kurz nach Mitternacht ging die Türe krachend auf, Aida
kam stock besoffen ins Zimmer und hatte einen Kessel voller
Gewinnmünzen drin!
Am folgenden Tag verlor sie den grossen Gewinn wieder!
Wir blieben noch ein paar Tage in Los Angeles, flogen dann
als verheiratetes Paar in die Schweiz zurück. Dabei
bemerkte ich schon, wie sich die Aida immer dreister
benahm, jetzt, da sie verheiratet war, kamen die Ansprüche
schon viel klarer zum Vorschein.
Und von den erotischen Highlights, blieben nur noch die
Erinnerungen, mir wars plötzlich nicht mehr darum. Ja, die
Zerrüttung begann bereits eine halbe Stunde nach der
Trauung, als sie bemerkte, sie habe mich nun in der Zange
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und wenn ich nicht nach ihrer Geige tanze, würde mich das
sehr teuer zu stehen kommen! Ich überlegte damals
ernsthaft, ob ich nicht doch ins Büro zurück gehen sollte
und das Ganze als ungültig erklären sollte? Aber das wäre
vermutlich nicht einfach gewesen, darum liess ich es beim
Vorhaben! Ich hatte mir da etwas eingebrockt, und das
musste ich nun ausbaden!
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Kapitel 34
Keine gemeinsamen
Interessen!
Unsere Ehe war bereits eine Stunde nach der Trauung im
Eimer!
Statt erotischer Gefühle, erweckte die Aida in mir den
Eindruck eines stampfenden Flusspferdes. Natürlich
bemerkte sie meinen tiefen Fall im Bereich der Gefühle,
aber das war doch bei den meisten Paaren irgendeinmal
Usanz, bei den einen bereits auf der Hochzeitsreise, bei
andern nach dem ersten kind, und bei vielen erst viel später.
Dann gibt es noch jene Anpasser, die sich an die Umstände
gewöhnt haben und sich vor jeder Veränderung fürchten
wie vor dem Tod.
Die Aida schwärmte mir vor, dass sie ausser Sprachen, eben
auch gerne viel lese und reise, aber auch das Wandern
gehöre zu ihren Prioritäten. Ich musste bald einmal
feststellen, dass sich ihre Belesenheit und Allgemeinbildung
auf die oberen Zehntausend und deren Lotterleben
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beschränkte! Die Sprachen waren für sie nur ein
Statussymbol, damit konnte sie „Bildung“ vortäuschen!
Und ihre Wanderfreude reduzierte sich auf einen Ausflug
auf den Uetliberg, rund 10 Jahre zuvor.
Gingen wir zusammen wandern, verstand sie es, entweder
mit sehr kleinen Schritten, langsam voranzukommen oder
dann einfach wieder still zu stehen. Ich erklärte ihr, dass das
nicht die Art von Fussmärschen ist, an die ich gewöhnt war.
Sie begründete das dann mit den Agnelis, die, wenn sie die
Onassis auf Besuch hatten auch so im Privatpark
herumliefen. Ich quittierte das als „Bullshit“ das mich nicht
interessiere! Es ging dann jeweils in diesem Ton weiter, statt
Lust am Wandern wurde das zur Frust!
Aida wollte unbedingt noch ein Riesenfest aufziehen, eine
Art von Hochzeitsessen in der Schweiz. Sie lud wildfremde
Leute ein, so auch den Manager und seine Frau von der
Swissair Boston, obwohl sie wusste, dass ich keine
Menschenansammlungen mochte, mussten es gegen 50 Leute
sein. Von meiner Seite war nur der Kusin Ulrich eingeladen,
und natürlich Sohn Rey und Delia. Es musste der gleiche
Wein serviert werden, wie er bei den Agnelis konsumiert
wurde. Aida kaufte ein, als ginge es darum eine ganze
Armee zu verpflegen. Dazu hatte sie nun sogar ihren eigenen
Wagen aus Genf geholt, einen roten Mitshubishi.
Obwohl unser Wohnzimmer mit rund 50 m2 recht gross
war, konnten wir die Gäste trotzdem nicht alle dort
verpflegen, also baute ich im Garten Tische mit etwa 45
Stühlen auf.
Ich hatte an meinem Tisch noch einen Stuhl für Ueli
reserviert, da wollte die Lisabeth, die Tochter der Aida dort
sitzen, als ich ihr sagte, der Platz sei reserviert, machte die
einen Riesenkrach, natürlich war ich dann der Bösewicht!
Mir war dieses Schaufressen äusserst unangenehm,
unpersönlich und kalt! Danach meinte die Aida, es wäre fast
wie bei den Agnelis gewesen, nur eben mit zehnmal weniger
Gästen! Und ich sagte ihr, dass eine solche Fressorgie das
erste und letzte Mal stattgefunden habe. Nach diesem Anlass
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waren die Optionen nochmals gesunken, allerdings war
immer noch abgemacht, dass wir gegen Ende Oktober
zusammen auf die Philippinen fliegen. Nach einigen
dummen Fragen aus Bern, wurde dann auch unsere Ehe
rechtsgültig eingetragen. Mir wäre es damals auch recht
gewesen, wäre die Ehe als ungültig eingestuft worden.
Immerhin wurde vom zuständigen Amt argumentiert,
Filippinas könnten gar nicht geschieden werden!
Weil Aida aber schon lange im Ausland weilte, wurden beide
Augen zugedrückt. Ich erkundigte mich weiter bei der
philippinischen Botschaft in Bern, von dort erhielt ich eine
Warnung, ich solle nicht mit der Aida auf die Inseln fliegen,
weil diese dort noch immer als verheiratet gelte! Zudem
wusste ihr Mann nichts von der erneuten Heirat, sie meinte
aber, der würde mich nicht umbringen!
Ich hatte aber plötzlich keine Lust mehr hinzufliegen, ihre
Umgansart wurde täglich bösartiger.
Darum flog ich stattdessen nach Thailand und nach
Vietnam, Aida hatte noch einen Flugschein nach Manila.
Damit sie ihr Gesicht nicht verlor, verbreitete sie dann das
Gerücht, ich würde mich vor der Polizei dort fürchten, da
mir dies aber sehr gelegen kam, machte ich das Spiel für
einmal mit. Ich verprach ihr einen echten Goldring mit
Diamanten, dafür fuhr ich speziell nach Chanthaburi , an
der kambodschanischen Grenze.
Als ich ihr den Ring überreichte, meinte sie geringschätzig,
das sei doch eine Fälschung, ich hatte aber ein Zertifikat
dazu! Aida begann immer mehr zu provozieren, nichts war
gut genug, auch beim Fernsehen, hatten wir gegenteilige
Ansichten, darum versprach ich ihr auf Weihnachten einen
eigenen Fernseher, ich nannte auch das Budget: um die 500.Franken! Sie zeigte sich einverstanden, also liefen wir
einmal mehr in das nahe Interdiscount, 8 Minuten zu Fuss.
Unterwegs wieder die üblichen Sticheleien, bei den Agnelis
habe sie per Helikopter einkaufen können, und den Schal,
den sie da trage, der sei ein Geschenk der Jaqueline Onassis
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gewesen. All das war mir scheissegal, ich kam bereits leicht
geladen im Geschäft an, Aida steuerte sofort auf einen
Fernseher zu:“Ich will den da“, und zeigte auf einen Sony
für 2500.- Franken, ich erinnerte sie an mein Versprechen
und ihr Einverständnis, aber sie wurde wieder ausfällig, sie
wolle Qualität. Da platzte mir aber der Kragen:“Ich bin
doch nicht der Agha Khan“, rief ich laut durch den Laden!
Die Aida verlor erneut ihr Gesicht und rannte wütend
davon, ich hatte 500.- Franken gespart!
Getrennt liefen wir nach Hause, die Aida verschwand dann
jeweils wieder ein paar Tage nach Genf. Angeblich besuchte
sie Bekannte, mir war aber bekannt, dass sie ihren Freund
Winn, aufsuchte!
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Kapitel 35
Die Luft ist
draussen!
Die Eiszeit war angebrochen, Aida trieb sich in Genf herum,
angeblich bei ihrer Tochter, aber auch bei ihrem alten
Freund, dem Edward Winn, von dem sie sagte er habe
Millionen und wollte sie heiraten, aber er hätte seltsame
Sexpraktiken, die sie mir nicht erklären könne, darum wolle
sie nicht bei ihm sein! Ich konnte nie erfahren, was das für
Praktiken waren, schloss aber aus ihren Ausführungen, dass
es sich um Anal- oder Fäkalverkehr handelte.
Einen Teil des Monats Januar vebrachte sie noch bei mir,
dann, gegen Mitte des Monats, erhielt ich abends einen
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seltsamen Telephonanruf, Aida war abwesend, und eine
männliche Person wollte wissen, ab wann die Wohnung in
Zürich gemietet werde? Ich wusste rein nichts davon und
sagte dem Anrufer, dass ich keine Wohnung suche und er
vermutlich eine falsche Nummer anrief!
Ich hatte aber die leise Vermutung, dass Aida dahinter war!
Als sie kam, informierte ich sie über den Anruf, aber sie tat
so, als ginge sie das nichts an.
Aida brachte nicht weniger als 54 grosse Kartonboxen ins
Haus, sie erinnerte mich an eine Prinzessin auf reisen, oder
an Karl den Kühnen vor der Schlacht bei Murten.
Zwei drittel des Dachstudios waren mit Kleidern belegt, es
sah aus, als hätten wir da ein Kleidergeschäft ohne
Kundschaft eingerichtet. Dafür hatte sie ihre schlechten
Vorbilder, Jacqueline Onassis, vormals Kennedy, Baronin
de Rotschild, Frau Agneli und Prinzessin Agha Khan. Und
Leute von Rang mussten nun einmal Partylöwen sein, einer
wie ich, der Parties mied, wie der Teufel das Weihwasser,
war in ihrer Welt eben ein absoluter Niemand! Dass alle
diese skrupellosen Elemente reich wurden, weil sie
hauptsächlich die arbeitende Bevölkerung ausbeuteten, dazu
reichte ihr Horizont nicht aus um da einen Zusammenhang
zu erkennen. Für sie war das einfach gottgegeben, oder
schicksalsbedingt, und weil sie diesen Zeitgenossen den
Hintern abtrocknen durfte, fühlte sie sich zumindest bedingt
dazugehörig. Natürlich konnte sie auch meine
Geringschätzung diesen Primaten gegenüber nicht gutieren,
und wenn ich bemerkte, dass diese auf der Toilette noch
mehr stinken als Proletarier, weil sie das bessere Fleisch
erhalten, kriegte sie einen feuerroten Kopf!
Aida war dabei, ein Geschäft für Heilmassagen aufzuziehen,
ich finanzierte ihr die ganze Ausrüstung! Zuvor hatte sie
eine Stelle in Dübendorf, bei einem Ehepaar, das sich eben
auf solche Massagen spezialisiert hatten. Aber die Aida
verkrachte sich schon nach wenigen Tagen mit ihrer Chefin.
Ja, unsere „Ehe“ existierte nur noch auf dem Papier.
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Wir hatten keine gemeinsamen Interessen, nicht einmal bei
den Mahlzeiten, und wir hatten uns auch nichts mehr zu
sagen, wie es so schön heisst.
Am 31. Januar 1993, zog die Aida ohne Vorankündigung
aus. Sie machte mir aber doch noch einen Vorschlag, den ich
im Nachhinein gar nicht so schlecht fand, für 500.- Franken
im Monat halte sie meine Wohnung sauber und wasche die
Kleider. Zudem könnte ich sie auch in Oerlikon besuchen
kommen wenn ich Lust dazu habe.
Ich lehnte ab, eine Zustimmung hätte mir damals viel
Ungemach erspart, das konnte ich aber zu jenem Zeitpunkt
noch nicht wissen!
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Kapitel 36
Die Urahnen
Es gab da einen dunklen Punkt im Stammbaum, angeblich
soll der Grossvater meines Vaters um das Jahr 1869 in die
USA ausgewandert sein, dabei soll er Frau und ein Kind
zurückgelassen haben, jedoch ein Vermögen von rund
55.000.- Goldfranken mitgenommen haben! Mit dem
versprochenen Nachzug von Frau und Sohn klappte es aber
nicht. Diese hörten nie mehr etwas von ihm und verarmten
danach. Nach andern Quellen soll er aber nach Russland
oder sogar Südamerika gereist sein?
Und wenn Vater betrunken war, erzählte er immer die
Geschichte vom Grossvater, der mit viel Geld nach Texas
gereist sei und dort in einer Postkutsche ausgeraubt wurde.
Und das Geld habe später gesichert werden können und sei
an die Wohngemeinde Köniz gesandt worden. Aber niemand
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forschte weiter danach, darum ging ich der Sache mitte der
Achzigerjahre einmal selber nach, also das mit dem Geld an
die Gemeinde war ein Witz, hingegen wurde ich in OhioUSA, fündig. Am Heimatort war der Grossvater als
65jähriger, im Dorf Sardis, Provinz Monroe, in Ohio, im
Jahr 1894 gestorben. Aus Sardis erhielt ich gegen Zahlung
von USD 2.- eine Fotokopie aus dem Totenregister von
damals. Und siehe da, der Tote war erst 36 jährig!
Ob ein Schreibfehler vorlag, konnte nach so langer Zeit
nicht mehr festgestellt werden, ich musste an dieser Stelle
meine Abklaerungen einstellen.
Etwa sechs Jahre später erhielt ich aus Entre Rios
Argentinien, einen Brief von einem Juan Baehler,
Advokat, dieser hatte meine Adresse im Archiv der
Coopertive von Entre Rios gefunden, als ich einen Brief
dieser Gesellschaft beantwortete. Das Datum des Briefes lag
aber viele Jahre zurück und der Juan wollte wissen, ob ich
immer noch bei der OSEC in Stellung war?
Ich konnte ihm dies bestätigen, worauf er mich dann privat
anschrieb und einen interessanten Stammbau zustellte.
Danach stammten gegen 1500 Baehlers in Argentinien von
einem Einwanderer namens Juan B. ab. Einer soll sogar ein
General unter Peron gewesen sein, ein anderer Botschafter.
Und was besonders auffiel, dieser Juan war ebenfalls im
Juni 1829 geboren worden, also im gleichen Monat wie mein
Urgrossvater. Er soll mit viel Geld angereist sein, und ein
Sohn wäre nach den USA ausgewandert!
Da klingelten meine Ohren, man musste nur noch das
Geburtsdatum dieses Juan B. herauskriegen, war das
ebenfalls am 25. Juni , dann handelte es sich sicher um den
gleichen Mann! Aber seltsam, so gut diese Leute in
Argentinien dokumentiert waren, genau das Geburtsdatum
wussten sie nicht! Ich dachte an einen Trick, liess in Bern
abklären, ob damals ein oder zwei Reisepässe an einen
Johannes B. geboren 25. Juni 1829, ausgestellt wurden ?
Aber das Suchpech blieb mir treu, ich erhielt die Mitteilung,
dass kein Pass auf einen solchen Namen ausgestellt wurde,
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mit dem Hinweis, viele wären damals ohne Pass
ausgewandert. Ich meldete meine Erkenntnisse den
Argentiniern und erntete nur Tadel, was mir einfalle zu
schreiben, der Juan habe Geld von seiner Familie
unterschlagen. Damit war der Kontakt unterbrochen!
Alles deutete aber darauf hin, dass der Juan B. mit einer
anderen Frau verheiratet war und nach Argentinien
auswanderte. In der Zeit zwischen 1850 und 1869 konnte
nicht eruiert werden, wo in der Schweiz er sich aufhielt,
vermutlich war er bereits drüben und kam zurück, um sich
die reiche Bauerntochter der Familie Spycher zu ehelichen
und ihr ein Kind zu schenken, dann verkaufte er ohne ihr
Mitwissen den Hof und verschwand angeblich in die USA!
Dass ausgerechnet sein Geburtsdatum unbekannt bleibt, ist
wohl kein Zufall, und der Tote in Ohio war vermutlich sein
ältester Sohn, der dann ganz einfach als sein Vater
eingetragen wurde! Tote sprechen ja nicht!
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Kapitel 37
Neue Pläne
Die Verbindung mit Aida war in jeder Beziehung ein Flopp,
wir hatten ganz einfach keine gemeinsamen Interessen
vorzuweisen, und diejenigen, die sie anfänglich nannte,
waren schlichtweg falsch. Natürlich lag da der Fehler auch
bei mir, ich hatt eine völlig differenzierte Lebensauffassung.
Meine langjährigen Studien der Parapsychologie und des
humanen Sozialismus, machten aus mir einen andern
Menschen, mit einer Lebensphilosophie, die nun einmal
Leute mit einer Standardbildung nicht nachvollziehen
konnten. Dazu gehörte auch der Umgang mit materiellen
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Dingen, sicher verachtete ich das Geld auch nicht, war aber
der Ansicht, dass, wenn man genügend zum Leben hat und
noch ein wenig für Notfälle zurück gelegt hat, man durchaus
glücklich und zufrieden Leben konnte. Aber genau an
diesem Punkt begannen die Schwierigkeiten bei allen
meinen Partnerinnen. Wenn man natürlich glaubt, man
wäre ein besserer Mensch, wenn man ein Auto fährt, und
dazu noch ein Luxusmodell, dann ist aus meiner Sicht
solchen Menschen einfach nicht zu helfen! Die haben nicht
erkannt, dass eine Zivilisation mit solchen Prioritäten keine
Zukunft haben kann! Die ganze Protzgesellschaft erinnert
sehr an eine Affenherde, aber auch an andere Spezien aus
der Tierwelt. Dabei glaubt der Mensch doch ernsthaft, über
dem Tier zu stehen, das dürfte sich leider nur noch auf die
Sprache beschränken! Mir war daher schon lange vorher
bewusst geworden, dass ich eher eine Nadel in einem
Heuhaufen finden könnte, als eine Partnerin mit denselben
Prioritäten! Aber die Delia, die ja für mich kochte, pochte
laufend, ich sollte eben die richtige Frau finden, dabei
wusste sie selber, dass eine, die zu mir passte, kaum
auffindbar war. Der Aida liess ich noch sechs Monate Zeit,
um zurück zu kommen, danach wolle ich sie nicht mehr im
Haus sehen. Sie ging zudem ihrem Heilmasssage Business
nach, hatte kaum Zeit meine Wohnung in Ordnung zu
halten, worauf ich das Abkommen aufkündigte.
Jetzt reaktivierte ich meine Adressen aus Malaysia wieder,
dazu kam noch eine aus Hongkong, von einer Dorothy
Kwan, ihre Adresse fand ich damals in einem holländischen
Pen Pal Heft, schrieb ihr noch bevor ich die Aida besuchte,
musste aber dann auch melden, dass ich mich inzwischen
wieder verheiratet hatte. Diese D. Kwan war viel eher eine
Fata Morgana, sie erinnerte mich an die bekannte
Filmschauspielerin Nancy Kwan, (bekannt vom Film:“The
world of Suzy Wong“) ebenfalls aus Hongkong!
In Wirklichkeit bestand keinerlei Verbindung und
Verwandschaft, aber ich war schon immer etwas romantisch
veranlagt und sah in Gedanken immer die Schauspielerin
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Kwan vor mir. Ich schrieb an etwa sieben der verbliebenen
Frauen in Malaysia, sie alle waren immer noch ledig und
bereit, auszuwandern. Bis auf eine Muslimin in Penang,
waren alle gebürtige Chinesinnen. Es begann ein neues,
nicht minder seltsames Abenteuer!
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Kapitel 38
Auf Brautschau in Fernost
Vom materiellen Standpunkt aus war es ein unsinniges
Vorhaben, nach zwei gescheiterten Ehen noch eine dritte zu
riskieren! So gesehen sollte man gar nicht erst heiraten,
auch nicht das erste Mal, denn das bedeutet in der Regel
einen einschneidenden Vermögensverlust! Weil ich aber nie
speziell dem Geld nacheilte, war das für mich einfach ein
weiteres Risiko, mein verbliebenes Vermögen auch noch los
zu werden. Noch war ich ja mit der Aida gesetzlich
verheiratet, aber ich sah keinerlei Möglichkeit für eine
erneute Zweisamkeit. Deshalb ging ich ohne Bedenken
daran, einen Ersatz für sie zu suchen, und ich organisierte
Termine in den Städten Kuala Lumpur, Kota Bharu und
Penang. In Kuala Lumpur waren es anfänglich drei Frauen,
eine weitere wartete in Kota Bharu, und zwei in Penang.
Ende Oktober flog ich mit der Air India via Bombay und
Dehli nach Hongkong, dort hatte ich mit der Dorothy einen
Termin, aber auch mit dem Jacques Humair, der mit seiner
Marcha aus Brasilien angeflogen kam. Ich plante, erst
einmal diese sieben Frauen kurz kennen zu lernen, dann
zurück zu fliegen um mich zu entscheiden. Aber erstens
kommt es anders anders und zweitens als man denkt! In
Bombay logierte ich in einem Fünfsternehotel der Air India,
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hatte aber den Eindruck, da wären sicher vier Sterne zuviel
auf dem Angebot gestanden! Schrieb dann auch einen
Beschwerdebrief, den ich vor der Abreise übergab, erhielt
dann prompt nach sechs Monaten ein
Entschuldigungsschreiben, ich dürfte eben Indien nicht mit
europäischen Massstäben messen. Als ich aus dem Hotel
wollte, war da eine derart grosse Menschenmasse draussen,
dass ich vorerst wieder ins sichere Gehege des Hotels zurück
flüchtete! Dann erinnerte ich mich, dass ich ja 28 Jahre
zuvor ebenfalls in dieser Stadt umherlief und überlebte!
Ich fasste etwas Mut und schaffte es dann in die Massen
unter zu tauchen.
Dorothy wartete am Flughafen auf mich, sie trug eine rote
Windjacke damit ich sie aus der Masse der wartenden Leute
sogleich erkennen könnte. Ich hatte in einer Art von
Billighotel oder Jugendherberge ein kleines Zimmer für
weit über 100.- Franken gebucht. Aber es war nicht nur
teuer, sondern man wurde auch unfreundlich bedient, als
ich fragte, wo ich das Frühstück erhalte, wurde ich
kaltschnäuzig zurechtgewiesen, das stehe doch im Zimmer
angeschlagen.
Dorothy kam mich abholen und lud mich mit ein paar ihrer
Freundinnen zum Mittagessen ein. Dann kam der Jacque
mit Marcha, auch sie mussten mit einer teuren Unterkunft
vorlieb nehmen. Einen Tag hatten wir für einen Ausflug
nach Maccao reserviert, ich kannte diese Stadt nach bald 30
Jahren auch nicht mehr. Alles war verbaut und ein emsiger
Verkehr beherrschte die Strassen. Vom Hafen bis in die
Stadt nur Spielkasinos, nichts war mehr wie früher!
Der Marcha schien nichts zu gefallen, das Essen mochte sie
nicht und die Leute anscheinend auch nicht, so musste eben
der Jacque als Prellbock hinhalten. Wenig später trennten
sie sich dann für immer. Mir gefiel aber dieses Maccao auch
nicht mehr, und ich war froh, als ich Hongkong endlich
wieder hinter mir lassen konnte. Aber da war plötzlich ein
Problem aufgetaucht, Dorothy wollte mit mir nach Malaysia
fliegen! Ich erklärte ihr, dass ich dann aber etwelche
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Schwierigkeiten haben könnte, wenn ich mit ihr die andern
Frauen begutachtete. Schliesslich willigte ich ein, denn sie
hing an mir wie ein Rucksack und ich konnte sie kaum
einfach loswerden!
Der Abflug fiel buchstäblich ins Wasser, statt am
Nachmittag, flogen wir erst spät nachts nach Kuala
Lumpur, ein Flugzeug der China Air, stürzte bei der
Landung ins Meer.
Aber schliesslich schafften wir es doch noch, in Kuala
Lumpur hatten wir ein Fünfsternehotel. Ich telephonierte
einer der Ladies, diese kam prompt ins Hotel und verzog
natürlich ihr Gesicht, als die Dorothy an meiner Seite so tat,
als wären wir auf Honymoonreise. Das war echt gemein von
ihr, aber was wollte ich tun? Bereits schien sich
abzuzeichnen, dass wir vermutlich zusammen blieben.
Die zweite Dame erhielt meinen Brief nicht und war nicht in
der Lage kurzfristig anzureisen. Der Brief wurde dann
tatsächlich als „Unzustellbar“ in die Schweiz retourniert.
In Penang war der Treff mit der Frau aus Alor Setar wieder
gleich verlaufen, dafür sorgte die Dorothy. Die zweite
Kandidatin liess ich aus, nur noch jene in Kota Bharu wollte
ich treffen. Diese holte uns mit ihrem Auto ab und reagierte
auch nicht wie die andern, sie freute sich auf den Besuch
und führte uns in der Gegend herum. Auch zu einem
buddhistischen Tempel gleich am Fluss zu Thailand. Sie
kannte den Mönch dort persönlich und wir wurden durch
die Anlagen geführt. „Dort drüben sind sie viel freier als wir
hier“ und deutete auf die thailändische Seite hinüber.
Der nächste Morgen wurde zu einem verhängnisvollen
Moment, seit Kuala Lumpur, trug ich die Augenmedizin in
meiner Tasche mit mir. Ich dachte gar nicht daran, dass
diese ja bis auf 42 Grad erhitzt wurden. Zwar spürte ich
beim eintropfen ein leichtes „Brennen“, aber an jedem Tag,
kurz nachdem ich die Tropfen verpasst hatte, da war mein
linkes Auge plötzlich blind! Ich hoffte, dass sich das wieder
regeln werde, aber nein, es blieb dunkel!
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Dorothy machte dann noch eine Bemerkung, die mich etwas
störte, sie wolle keinen“ Krüppel“heiraten!
Sie flog zurück nach Hongkong und ich weiter nach
Bangkok. Ich wollte noch 10 Tage in Pattaya verbringen.
Das Auge blieb dunkel und ich musste mich bereits mit
dieser Tatsache abfinden, hoffte aber immer noch, es handle
ich um eine korrigierbare Störung. Im Tip Sandwich traf ich
einen Deutschen aus Frankfurt, er hiess Rudy und war
immer in Begleitung einer jungen hübschen Lady. Als er
zurück flog, sagte er mir, seine Freundin gehe jetzt nach
Hause und arbeite nie mehr an einer Bar, er werde dann
wieder kommen und sie eventuell heiraten. In der Tat waren
sie ein lustiges Paar, er um die 45 und sie 23. Tränen flossen,
als sie sich bei der Bar in der „Soi Postoffice“
verabschiedeten. Die Lady war ganz nass von den Tränen,
kaum war der Minibus weg, kommt sie zu mir und sagt:“Du
heisst ja auch Rudy, ich gehe jetzt mit dir“.
OK, sie war recht hübsch und ich mochte sie ja auch gut. Ich
liess sie an der Bar zurück und ging in mein Hotelzimmer.
Kaum war ich dort angekommen, rief die Dorothy aus
Hongkong an, sie komme am nächsten Tag angeflogen!
Aus war der Traum mit der Lady!
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Kapitel 39
Zweite Heirat in
Las Vegas
Der Aida hatte ich eine Frist von 6 Monaten gesetzt, falls sie
wieder zu mir zurück kehren wollte. Aber sie hielt sich
vornehm in Schweigen, und ich war sicher, dass sie kaum
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Anstalten dazu machen würde. Hingegen erhielt ich ab und
zu anonyme Telephonanrufe, das heisst, auf der anderen
Seite sprach niemand und hängte einfach auf! Sie wollte
vermutlich so herauskriegen, ob ich immer noch allein lebte.
Dorothy hatte sich mit ihrem Chef bei der Deutschen Bank
in Hongkong verkracht und ihren Job aufgekündigt. Sie
wollte möglichts bald in die Schweiz fliegen und heiraten.
Nun standen uns da aber noch etwelche Hindernisse im
Weg. Einmal war ich immer noch mit der Aida legal
Verheiratet, sodann konnte die Dorothy nur in der Schweiz
verbleiben, wenn sie mit einem Schweizer verheiratet war!
Die Aida sagte mit einmal, der Prinz Agha Khan habe seiner
Ex Frau 7 Millionen Dollar Abfindung zahlen müssen, und
sie, die Aida würde das auch so sehen, wenn ich mich von ihr
scheiden lassen würde. Nun hatte ich nicht einmal eine
Million, aber das Wenige, das mir nach der Scheidung mit
Delia noch blieb, wollte ich nicht aufs Spiel setzen.
Weil ich mir auch in den Kopf setzte, die Dorothy zu
ehelichen, begann ich ein Spiel, das mir ganz ordentliche
Schwierigkeiten einbrachte
Erst liess ich mich vom gleichen Anwalt in AnnaheimKalifornien, der die Aida von ihrem Mann geschieden hatte,
ebenfalls über Santo Domingo scheiden. Das ging an sich
problemlos, allerdings unterlief mir ein Formfehler, der sich
dann später unheilvoll auswirkte! Weil das Ganze über die
USA ablief, wurde die Urkunde nur vom amerikanischen
Konsulat in Santo Domingo beglaubigt. Ich war der Ansicht,
das würde genügen, weil auch bei der Aida die Schweizer
Behörden dieses Dokument anerkannten, aber jeder Fall ist
bekanntlich anders. Dorothy war etwas misstrauisch über
meine rasche Scheidung, hatte aber keine andere Wahl, als
mit gutem Willen mitzumachen. Wir hatten einen etwas
verrückten Plan, sie flog von Hongkong über den Pacific
nach Las Vegas, ich flog über den Atlantic bis dorthin. Und
unsere Flüge kamen praktisch zur selben Zeit in Las Vegas
an. Es war abgemacht, dasjenige das zuerst eintreffe, sollte
beim Ausgang warten. Kurz vor der Landung in Vegas,
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sackte das Flugzeug mit der Nase voran ruckartig nach
unten! Ich dachte sogleich, muss das jetzt sein, so kurz vor
der Heirat noch abstürzen! Aber das Flugzeug fing sich
wieder auf und wir landeten fast pünktlich in Vegas.
Dorothy wartete bereits am Ausgang auf mich, gut 20
Minuten war sie vor mir angekommen. Wir wohnten im
„Golden Nugget“ Hotel, ein altes vornehmes Hotel mit sehr
grossen Zimmern. Dorothy wollte in weiss heiraten, es war
ihre erste Ehe im Alter von knapp 40 Jahren.
Ich sagte zu, hatte ich doch das erste Mal nur eine
Zivilheirat genossen, wollte ich erfahren, wie sich so eine
komplette Kapellenheirat abwickelte?
Wir wählten das „Little White Chapel“ am Streep.
Dort hatten bereits Grössen wir Frank Sinatra und John
Holmes geheiratet. Das ganze Paket sollte um die 700.- US
Dollar kosten. Dabei waren eingeschlossen: die Miete meines
Tuxedos, das Brautkleid, die Fahrt vom Hotel zur Kirche,
die Trauung und die Urkunden, ein Geschenk, eine
Videokassette mit der Zeremonie,die Trauzeugen und der
Pfarrer, die Rückfahrt ins Hotel sowie auch die Lieferung
der ganzen Ausrüstung in unsere Unterkunft. Am
Nachmittag gings zur Anprobe in ein Geschäft, das uns
genannt wurde, in wenigen Minuten waren mein Smoking,
Hemd, Handschuhe und Hut bereitgestellt. Aber die
Dorothy benötigte den ganzen Nachmittag bis ihr weisses
Brautkleid endlich ihren Vorstellungen entsprach. Einmal
war der lange „Schweif“ zu kurz dann wieder viel zu lang!
Mir gefielt das ganze Theater nicht, aber da man ja nicht
jeden Tag heiratet, machte ich den Zauber mit. Die
Angestellten waren sehr geduldig und freundlich, was mir
wieder die ganze Zeit in Vegas beeindruckte, Freundlichkeit
gehört in Vegas einfach zum Geschäft. Und die Amis
bringen auch die nötige Naivität mit um in dieser Stadt zu
leben. Zusammen mit Pattaya, gehoert Vegas nicht umsonst
zur zweiten „Fun City“ auf dieser Erde. Dann kam der Tag
der Wahrheit, Dorothy und ich zogen uns die schmucken
Kleider über, die uns tags zuvor ins Hotel geliefert wurden.
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Noch nie zuvor kleidete ich mich so ein, und als ich in den
Spiegel schaute, erkannte ich mich kaum noch. „Kleider
machen Leute“, heisst doch der Spruch, der, so glaube ich,
von G.Keller stammt? Dorothy murgste lange an ihrem
weissen Brautkleid herum, dann endlich schaffte sie es auch,
sie sah aus wie eine 19jährige Jungfrau. Als wir in der
Hotellobby eintrafen, hagelte es nur so von Glückwünschen
von wildfremden Leuten. Eine wirklich aufstellende Art,
Stimmung zu schaffen, wir schwebten wie auf Wolken
getragen. Draussen kam unsere Limousine angefahren, ein
„long car“, ein elend langes Auto, vorne der schwarze
Fahrer mit Zylinderhut. Man konnte an etwa fünf Türen
einsteigen, ich ging einfach hin und öffnete eine Autotür, da
schrieb schon die Dorothy:“no, the driver is doing that
job!“.
Dieser stieg aus und öffnete dann die richtigen Türen für
uns. Und schon fuhren wir los ins „Little white chapel“.
Dort wurde alles perfekt abgewickelt, am Autoschalter
wurde gerade noch ein eiliges Pärchen getraut, und vor uns
hatte soeben ein mexikanisches Paar das JAWORT
abgegeben. Diese hatten ihre Trauzeugen aus Mexiko
mitgenommen, unsere standen bereit, habe aber keine
Ahnung mehr, wer das war? In der Kapelle wurde die
Hochzeitsmusik mit markannter Lautstärke abgespielt,
während wir feierlich Einzug hielten, natürlich wurde auch
gefilmt wie sich das gehört. Dann erfolgte die Trauung, von
welcher ich kaum noch etwas weiss, danach wurde das
obligate Geschenk überreicht, die Heiratsurkunde und die
Videokassette. Dann fuhr uns der „long car“ wieder zurück
ins Hotel, und dort wieder die feierlichen Gratulationen der
Leute, die gerade in der Hotelhalle weilten. Ganz spontan
und fröhlich, und wir hatten den Eindruck, dass wir zwei
nicht allein waren, sondern eine ganze Hundertschaft an der
Hochzeit teilnahm. Ich war glücklich, als ich in unserem
riesen Zimmer verschwinden und den Frack wieder
ausziehen konnte!
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Die Dorothy hingegen, die fühlte sich vermutlich wie die
Lady „DI“, und wäre am liebsten in der Lobby geblieben.
Von Las Vegas flogen wir weiter nach Atlanta, und von dort
nach Orlando in Florida, zwei Tage Disneyworld genügte,
ich hatte bei der Delia noch eine Kreuzfahrt nach den
Bahamas für uns gebucht, so wenisgtens hatte ich das in
Erinnerung. Am Flughafen von Miami, trafen wir dann
Passagiere, die auf eine Kreuzfahrt nach Mexiko wollten.
Nur wir wollten auf die Bahamas, da schlug die Dorothy vor,
ich sollte doch einmal unsere Tickets nachprüfen. Ich
schaute recht blöde drein, auch wir hatten Mexiko gebucht.
Irgendwie unterliess es die Delia, mich zu informieren, dass
ich nicht auf die Bahamas fahre, sondern eben nach Cancun
oder Cozumel. Auf dem Schiff die üblichen Blödeleien zur
Unterhaltung, so waren unter anderen die Hochzeitspaare
immer im Mittelpunkt, ständig wurde für diese irgend etwas
veranstaltet. So gewannen wir am Schlussabend noch eine
Riesentorte, die wir dann ganz einfach in der Kabine liegen
liessen. Aber ich war sowieso wieder einige Kilos mehr und
darum war das kein grosser Verlust.
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Kapitel 40
Nach dem
Mauerfall
Der Mauerfall in Berlin veränderte nicht nur die politische
Weltkarte, auch die Arbeitswelt veränderte sich dadurch
sehr markant negativ und zu Ungunsten der arbeitenden
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Menschen. Während der Zeit mit dem Kommunismus
herrschte eine ernsthafte Konkurrenz zum Kapitalismus!
Dies, obwohl die Theorien von Marx und Engels nie befolgt
oder gelebt wurden, lediglich oft zitiert! Die Leute, welche
die proletarischen Revolutionen veranlassten und
durchzogen, hatten kaum das Format für eine humane
Realisation dieser Thesen. Statt echten Sozialismus zu
fördern, wählten sie den bequemeren Weg über die Diktatur
der Partei. Weltfremde Bürokraten hatten das Sagen und
mussten versagen, darum musste diese Version von
Kommunismus scheitern. Das bedeutet aber nicht, dass die
sogenannte „freie Marktwirtschaft“, lediglich eine
zeitgemässere Umschreibung für den Kapitalismus,
irgendwie besser wäre, im Gegenteil, es gibt keine
destruktivere und menschenfeindlichere Wirtschaftsform!
Zwar bringt uns dieses System kurzfristig materielle
Vorteile, zumindest für einen kleinen Teil der Menschheit.
Andererseits brachte sie uns neue Formen von Sklaverei,
sowie einen Rückfall ins Dschungelleben!
Vom Humansozialismus zu:“Fressen und gefressen
werden!“ Der Stärkere beutet den Schwächeren aus, der
Dümmere sucht einen noch Dümmeren, der Freche geiselt
den Scheuen, der Reiche beutet den Armen aus, der
Schmarotzer den Edlen, kleine Minderheiten raffen
unglaubliche Summen an Vermögen zusammen,
Geldbeträge, die sie nicht einmal in hundert Leben
verbrauchen könnten. Und statt Verachtung zu kassieren,
werden solche Elemente in den Medien noch hoch gelobt.
Und dieses ungesunde System funktioniert nur, weil die
Menschen das Materielle in den Vordergrund stellen.
Und seit dem Mauerfall wurde auch die Arbeitswelt wieder
barbarischer und unmenschlicher.
Mit den Arbeitnehmern wird wie mit einer Manipuliermasse
umgegangen, einige Kriminelle kassieren Millionen und
entlassen dann einfach ein paar tausend Arbeiter, damit die
Firma wieder im Lot steht! Mobbing und Psychoterror wird
zur Arbeitsusanz, diese Agitationen erfolgen meistens in
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einer Mogelpackung etwa wie:“wir verlangen mehr Leistung
und Produktivität, wer zuwenig Einsatz zeigt, wird
entlassen!“ Und wie seit Urzeiten, finden sich immer
genügend „Schleimkriecher“ und Leute mit einer „Braunen
Zunge“ die sich als Handlanger der Sklaventreiber für die
Ausbeuter hergeben. Der Mensch lässt sich nun einmal
manipulieren und dressieren wie die Hunde. Und wehe,
wenn da einer nicht spurt, der ist dann eben ein
„Querschläger“ „Intrigant“ etc.
So erlebte auch ich die Arbeitswelt in vollen Zügen.
Da gab es fast alle Tierarten wie: Löwen, Tiger, Füchse,
Stinktiere, Chamäleone, Aasgeier, Katzen, Spatzen, Finken
(auch charakterliche Schmutzfinken) etc., aber auch
Zwerge, Kobolde und Zombis.
Wie beim Militär, auf Reisen oder eben bei der Arbeit, kann
man sich die Leute nicht aussuchen, mit denen man gerne
zusammenarbeiten möchte.
Da war einmal dieses sogenannte „Mitarbeitergespräch“,
das eine Einbahnstrasse war, von oben nach unten.
Noten wurden erteilt von Leuten, denen ich die Kompetenz
dazu absprechen musste. Ich verlangte eine offene
Aussprache von „Mann zu Mann“ und nicht eine Abfuhr
von einem unfähigen Vorgetzten! Natürlich erhielt ich nie
eine Antwort auf meinen Vorschlag und meine Person
wurde ganz einfach ausgelassen, was mir auch recht war!
Man kann sicher mit kleinen Kindern eine solche Benotung
vornehmen, aber nicht mit erwachsenen Leuten.
Eine Aussprache über die Karriere, die Entlöhnung etc., ist
sicher von Vorteil, ein schulmeisterliches Examenblatt aber
doch eher eine Erniedrigung! Nun war ich aber fast immer
der einzige Opponent in der Firma, die andern zogen die
Anpassung vor und so scheint eben die Mehrheit der
Arbeitnehmer zu sein. Eine Herde Schafe ohne eigene
Meinung, die sich bis zum Abgrund führen lässt!
Ich sass immer auf einer Art von Abschussrampe im
Betrieb, darum sammelte ich stets Material, das ich notfalls
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gegen die Direktion losschiessen konnte. Am Schluss, nach
28 Jahren, hatte ich einen dicken Bundesordner voller
Belege, am letzten Arbeitstag entsorgte ich diesen feierlich!
Da waren Beweise, z.B. Verschwendung von Bundesgeldern,
bis hin zu rassistischen Äusserungen an Sitzungen.
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Kapitel 41
Es läuft nicht wie geplant!
Nach unserer Rückkehr aus den USA, sollte der normale
Alltag wieder beginnen. Die Heiratsurkunde lag beim
Schweizer Generalkonsulat in San Francisco, ich konnte
annehmen, dass alles bestens abläuft und machte dabei
einen Fehler, der möglicherweise den Ausschlag gab für das
Schlamassel, indem ich mich nach kurzer Zeit befand.
Ich wollte fairerweise die Aida von meinen gemachten
Schritten informieren, indem ich ihr eine Kopie der
Scheidungsurkunde zustellte. Einmal musste sie es ja doch
erfahren, sofern sie nicht bereits davon Wind bekam?
Dorothy suchte inzwischen eine Anstellung und fand auch
eine recht gut bezahlte Stelle als Sekretärin bei einer
amerikanischen Firma im Flughafen Kloten.
Alles war provisorisch, weil unsere Ehe in der Schweiz noch
nicht amtlich registriert war.
Endlich trafen die Unterlagen vom Generalkonsulat in San
Francisco in Bern ein, aber da fehlte etwas, die
Scheidungsurkunde war nur von den USA Behörden
beglaubigt, nicht aber von der Schweizer Botschaft in Santo
Domingo! Das konnte ins „Auge“ gehen, den nun musste ich
diese Urkunde mit Express Post nach Santo Domingo
senden, und das Konsulat sollte das OK geben und diese
eiligst nach Bern senden!
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Aber inzwischen erhielt ich vom Bezirksgericht Zürich, eine
Vorladung auf Mitte Juni 1994, Thema:“In Sachen getrennt
Leben für das Ehepaar B.-M.“ , Aida hiess zuvor „Mateo“,
das war der Name ihres Ehemannes auf den Philippinen.
Vertreten war sie von einem Anwalt namens
„Gontensweiler“. Noch war ich zuversichtlich, dachte ich
doch, weil sie davonlief, die Schuld liege eindeutig bei ihr
und das Ganze könnte höchstens eine Formsache bleiben.
Zudem hatte ich eine Rechtsschutzversicherung für zivile
Prozesse und war der irrigen Ansicht, diese würde den Fall
schon übernehmen, sollte ich Schwierigkeiten kriegen!
Aber das war alles nur eine „Fata Morgana“, ich war auf
dem besten Weg in eine juristische Sackgasse zu rasen!
Und nun begann sich alles gegen mich zu wenden, mein
Expressbrief kam einfach in Santo Domingo nicht an,
obwohl eingeschrieben, die spanischsprechende Konsulin,
welche ich fast täglich telefonisch ansprach, gab sich jede
Mühe, aber sie sagte mir, leider würden gerade
Expressbriefe oft bis sechs Monate auf der Post liegen
bleiben! Das hörte sich bitter an, sollte das nun ausgerechnet
bei meinem Fall so sein, dann war ich geliefert! Ohne eine
beglaubigte Scheidungsurkunde an den Gerichtstermin,
nein, das musste ich unbedingt vermeiden!
Ich ersuchte um Fristerstreckung, mit der Begründung,
meine Papiere wären noch nicht eingetroffen, aber ich
erhielt eine brutale Absage, wie ich später erfahren konnte,
einzig darum, weil ich keinen Anwalt hatte! Ich ahnte das
Allerschlimmste auf mich zukommen, nur ein Wunder aus
Santo Domingo konnte mich noch retten!
Aber das Wunder blieb aus, der Brief war noch immer nicht
eingetroffen, zudem sagte mir die Frau Konsulin, die
Scheidung werde erst beglaubigt, wenn sie während einer
Zeit von vier Wochen im Anzeiger von Santo Domingo
publiziert war. Das war eine neue Hiobsbotschaft, unter
diesen Bedingungen konnte ich noch Monate warten, das
Wasser stand mir schon am Hals! Der Gerichtstermin kam
immer näher und näher!
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Kapitel 42
Die Katastrophe
Wegen den fehlenden Dokumenten hatte ich schon einige
Bedenken, was die bevorstehende Gerichtsverhandlung
anbetraf. Aber ich ging trotzdem gelassen an diese Sitzung,
beim Stauffacher wartete ich vor der verschlossene Haustür
zum Gericht. Draussen sah ich die Aida mit ihrem Anwalt
umherlaufen, intensiv diskutierend und manchmal zu mir
hinschauend. Etwa fünf Minuten vor dem Termin, erkannte
ich, dass man, um die Türe öffnen zu können, ganz oben
links einen Knopf drücken musste, eine an sich ausgefallene
Technik, denn wer das nicht wusste, stand einfach draussen
vor der Tür. Ich schaffte es noch zur Zeit im richtigen Stock
einzutreffen und mich zu melden. Schon wurde ich in einen
grossen Saal gewiesen, vorne sassen Richter und Personal,
rechts davor die Aida und ihr Anwalt, und mir wurde hinten
beim Eingang ein Platz zugewiesen. Protokolle wurden
verlesen, ich hörte nur teilweise zu, aber schon jetzt war mir
klar geworden, hier gab es nur einen Schuldigen, und der
war ich! Der Anwalt las seitenlange Anklagepunkte gegen
mich vor, dass mir hören und staunen verging! Ich wurde
mit Vorwürfen überschwemmt, die ich bei dieser
Gelegenheit zum aller ertsen Mal vernahm, etwa, dass die
Aida ausgezogen sei, weil meine Ex-Partnerin, die Delia im
andern Hausteil lebte, und ich würde diese immer noch
lieben, da kam ich aber ins Staunen, davon hatte ich keine
Ahnung gehabt. Und ich hätte die Aida ständig erniedrigt,
weil ich mich über ihre früherern Arbeitgeber lustig machte.
Es war erstaunlich, was wir in den knapp 90 Tagen, die wir
zusammen verbrachten für Partnerprobleme gehabt haben
sollen. Ich dachte, der Anwalt müsse nun einmal sämtliche
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Register aus der Kotgrube anbringen, hoffte, der Richter
werde dann schon neutraler sein und auch noch ein paar
entlastende Punkte zu meinen Gunsten finden. Schliesslich
hatte ich ja meinen Standpunkt klar und sachlich zuvor
schriftlich eingereicht. Aber da hatte ich mich ganz grob
geirrt, was dann der Richter in einer Art von Amoklauf
vortrug, das hörte sich für mich geradezu vernichtend an!
Da war der Anwalt im Vergleich gerade einmal sanft und
lieb. Der Richter liess keinen guten Faden an mir, also, ein
internationaler Heiratsschwindler, ein übler Bigamist dem
man Einhalt gebieten müsse, einer, der schon zwei Monate
nach der Trauung in Vietnam herumgehurt habe, (was
völlig falsch war, wenn schon, dann in Thailand!), einer, der
bereits anlässich des Hochzeitsessen, die Tochter der Braut
aufs Übelste beleidigt habe, ein Sadist, welcher von der
armen Frau verlangt habe, auf den Uetliberg zu laufen.
Es hagelte nur so von Vorwürfen, ich glaubte mich in einem
Albtraum, vernahm die Worte des verrückten Richters nur
wie von weit weg. Ich erinnere mich nicht, ob das Laudatio
eine Stunde oder mehr dauerte, ich weiss nur noch, dass
gegen Mittag, er noch von saftigen Alimenten sprach, die
man diesem Betrüger auferlegen müsse. Dann endlich
schloss der Richter und fragte mich dann, ob ich da noch
etwas hinzu zu fügen hätte?
Ich sagte nur, ich könne dazu nicht Stellung nehmen, da ich
das meiste zum ersten Mal gehört hätte, mehr brachte ich
nicht heraus!
Ich war noch so froh aus diesem Raum verschwinden zu
können, auf dem Weg nach Hause dachte ich, ob die wohl
wirklich meinen Fall behandelten oder ob da ein Irrtum
vorliegen könnte? Es war das allererste Mal, dass ich vor
einem Richter sass, zudem noch in einer Zivilstanssache,
aber ich hatte den Eindruck, ich hätte mindesten einige
Leute umgebracht und wäre ein Schwerstkrimineller.
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Kapitel 43
Kampf gegen
Windmühlen
Als ich dann das Gerichtsurteil zugestellt erhielt, ich hatte
bereits eine Phobie gegen diese Brieffarbe, war der
Scherbenhaufen komplet! Meine Scheidung in Santo
Domingo wurde mangels Unterlagen als ungültig erklärt,
die Ehe mit Dorothy in Las Vegas ebenfalls, da noch nicht
amtlich registriert, der Aida wurde zugestanden getrennt
von mir leben zu können, dafür musste ich ihr monatlich
Alimente von rund Fr. 2.800.- zahlen. Gegen diesen
Entscheid konnte ich innert einer Frist beim Obergericht
des Kantons Zürich, Rekurs einreichen. Und es kam noch
besser, meine Rechtsschutzversicherung zahlte 200.Franken und verwies auf das Kleingedruckte, wonach zivile
Prozesse nicht bezahlt werden! Sie empfahlen mir aber vier
ihrer „Vertrauensanwälte“, mit denen ich unbedingt
Kontakt aufnehmen sollte. Aber wir standen kurz vor den
Sommerferien, und drei von ihnen waren bereits abwesend
oder dabei zu gehen. Die Katastrophe war nun voll
eingetroffen, ich lag buchstäblich in der Scheisse! Nur einer
der vier Anwälte war da, ein Dr.P. im Kreis zwei, ich machte
einen Termin ab und suchte ihn auf. Dass der nicht gerade
der hellste war, stellte ich schon beim ersten Treff fest, wenn
er aber von meiner Versicherung einen Heiligenschein
verpasst erhielt, musste ich mich wohl täuschen!
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Ich schätzte ihn um die dreissig Jahre, eher introvertiert,
aber das musste ja noch kein Versager sein. Zudem hatte ich
keinerlei Erfahrung mit Anwälten, mein Kollege Fritz
pflegte aber zu sagen, es gebe drei Gaunerberufe, alle fingen
mit dem Buchstaben A an: Apotheker, Aerzte und Anwälte.
Und wenn einer sich Dr.iur. nannte, musste er ja immerhin
eine bestimmte Zeit in den Paragraphenfäkalien
herumgewühlt haben, damit er seinen Dr.Titel erhielt.
Also, ich erklärte ihm meinen Fall dreimal, denn zweimal
spurte er nicht, was ich auf Grund seiner dummen
Antworten erkennen konnte. Ich fragte ihn dann direkt, ob
er überhaupt ein Anwalt sei und schon einmal einen Fall
gehabt habe? Er lief rot an und zeigte auf die Buchreihe
hinter ihm: Ja, sehen Sie diese Bücher, das ist unsere
Rechtssprechnung!“Damit wollte er mir vermutlich
beibringen, er kenne sich da aus! Beim dritten Anlauf schien
er dann doch mehr verstanden zu haben und kam auf den
seltsamen Vorschlag, ich sollte doch nach Santo Domingo
fliegen und die Urkunden holen, weil im Gerichtsprotokoll
stand, ich sei gar nicht dort gewesen bei der Scheidung.
Ich musste ihm dann beibringen, dass das bestenfalls eine
Bieridee sei. Obwohl er sich Scheidungsanwalt nannte, hatte
er keine Ahnung, wie sich diese internationalen Fälle
abwickelten.
Ich traute dem Kerl nicht, musste aber schnell handeln, weil
die Frist am Obergericht ablief, also schlug er vor, dort
Rekurs einzureichen. Natürlich dachte er auch an sein
Honorar und gab mir einen Einzahlungsschein für den
Betrag von 5000.- Franken, das blieb auch seine einzige
Stärke bis zum Schluss! Er konnte es nicht lassen, mit jedem
Schreiben auch noch eine Honorarabrechnung zu senden.
Zusammen mit den Gerichtskosten, ergaben sich im Lauf
der Zeit gute Fr. 120.000.Für Spannung war gesorgt, nun kam auch noch die
Fremdenpolizei und wollte Dorothy ausweisen. Auch diesen
Fall übergab ich meinem Anwalt, da war er weniger
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überfordert. Immerhin verhalfen mir die Sommerferien zu
einer Verschnaufpause. Ich führte einen Mehrfrontenkrieg,
einmal mit dem Amt dür Zivilstansfragen in Bern, die
ständig fragten, wann endlich die Urkunde aus Santo
Domingo eintreffe, aber die blieb einfach auf der Post
verschwunden, dann waren da die Vorbereitungen für das
Obergericht, ein Termin war auf den Herbst vorgesehen. Ich
befand mich in einer sehr misslichen Situation, in einer
wahren Zwickmühle, aus der es keinen vernünftigen Ausweg
gab. Ich prüfte unzählige Varianten, kam aber auf kein
brauchbares Resultat, denn ich war nun in Zürich
festgenagelt. Der Anwalt schlug vor, nebst dem Obergericht,
gleichzeitig erneut eine Scheidungsklage beim
Bezirksgericht Uster, einzureichen. Das führte über die
Friedensrichterin, welche wir dann im Lauf der folgenden
neun Jahre noch zweimal aufsuchen mussten. Und jedes mal
sagte sie:“Aber ihr seid doch schon einmal da gewesen!“
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Kapitel 44
Endlich
eingetroffen!
Nach allen diesen Hiobsbotschaften, erhielt ich endlich eine
positive Meldung aus Santo Domingo, mein Expressbrief
war nach Monaten endlich bei der Schweizer Botschaft
eingetroffen. Ich befürchtete jedoch, dass dies den negativen
Ablauf meines Falles nicht mehr retten konnte.
Aber es war der letzte Strohhalm an dem ich mich
klammern konnte. Die Frau Konsulin, eine Dominikanerin,
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gab sich die grösste Mühe, sie veranlasste sogleich die
erforderliche Anzeige in der Zeitung, wobei die Kosten
grosszügigerweise vom Konsulat übernommen wurden.
Dann konnte sie die Urkunde beglaubigen und nach Bern
weiter leiten, dort jedoch versteckten sie sich in Schweigen,
rief ich an, war die zuständige Person nie anwesend!
Als ich dann endlich doch jemanden sprechen konnte, hiess
es lapidar, ja das Dokument sei eingetroffen, aber es gebe da
ein schwebendes Urteil aus Zürich! Das wars also, der Kreis
des Unheils war geschlossen, nun konnten die dort
argumentieren, sie müssten vorerst ein definitves
Gerichtsurteil abwarten! Ich kämpfte fortan gegen
Windmühlen und das ohne grosse Chancen. Ich war auf
dem besten Weg schachmatt erklärt zu werden. Anfangs
November war der Termin beim Obergericht, mein Anwalt
erklärte lediglich, dass wir beim Bezirksgericht Uster eine
erneute Scheidungsklage eingereicht hätten, immerhin
wurden dann die Alimente von fast 3000.- auf etwa 700.monatlich herabgesetzt. Beim Obergericht herrschte auch
eine andere Stimmung, da wurde ich nicht mehr wie ein
Schwerstkrimineller behandelt. In der Folge musste dann
die Aida ihre teure Luxuswohnung in Oerlikon, gegen eine
wesentlich günstigere tauschen. Nur wenige Tage danach
war der Termin in Uster fällig. An diese Verhandlungen
erinnere ich mich weniger, es ging auch zivilisierter zu als
damals beim Bezirksgericht Zürich. Zudem war ich nun der
Kläger und die Aida die Beklagte, wie das damals hiess.
Beide Parteien boten ihre Zeugen auf, dabei wollte die Aida
auch unsere Nachbarin Frau Poli aufbieten, aber diese
kannte die Aida gar nicht, doch die Aida beharrte darauf,
dass Frau Poli aussage, sie, die Aida habe im Garten
gearbeitet! Habe nie mitbekommen, was das bei einer
Scheidung soll?
Frau Poli wehrte sich gegen das Aufgebot, aber laut Gesetzt,
musste sie vorsprechen, ansonsten die Polizei sie festnehmen
konnte, dabei war sie selber die Frau des örtlichen
Polizeichefs. Frau Poli ging hin und sagte nur aus, sie habe
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diese Person noch nie gesehen. Aida hatte mühe Zeugen zu
finden, es gab ja nichts zu beweisen, ich hingegen, bot eine
ganze Anzahl auf. Im Nachhinein waren diese jedoch eher
wie Boomerangs für mich und keine Zeugen wären besser
gewesen. Da war der Erich, er hielt dem Gericht einen
Monolog über das Hurenwesen im Kreis vier,
seine Gutsprache für mich, hörte sich dermassen parteiisch
an, dass das Gericht befand, ich hätte ihn bestochen!
Dann die Anita, seine Frau, sie beklagte sich beim Gericht
nur über ihren Mann, den Erich, das Gericht wies sie
zurück, weil sie mich gar nicht erwähnte.
Dann kam die Delia, die über die Hexe Aida wetterte und
keinen guten Faden an ihr liess, das Gericht nannte ihre
Aussagen subjektiv einseitig. Sohn Rey, wusste auch nicht so
richtig was er sagen sollte, auch sein Auftritt war für mich
nutzlos wie alle andern auch!
Diese Zeugenbefragung dauerte allein gegen ein halbes Jahr,
dann wurde alles wieder vertagt, und der Anwalt der Aida
vestand es, die Termine x-mal verschieben zu lassen. Das
gehörte wohl zur Taktik, aber ich hatte mich langsam an
dieses Leben gewöhnt und baute meinen eigenen
Schlachtplan auf. Wer zuletzt lacht, lacht am besten, wurde
zu meinem Slogan. Mein massiv geschrumpftes Vermögen
verschrieb ich dem Sohn. Das Haus, respektive meinen
Anteil, vermachte ich dem Sohn als Erbvorbezug. Ich hatte
nach vier Jahren Prozessieren einfach nichts mehr!
Nach mehreren Sitzungen in Uster, wurde dann entschieden,
die Scheidungsklage wegen Zerrüttung abgewiesen, es war
die Idee meines Anwaltes auf völlige Zerrüttung zu
plädieren, aber dasGericht sah das anders, wer nur gerade
einmal ein paar Wochen zusammen lebte, könne gar nicht
zerrüttet sein!
Mein Anwalt schämte sich und kam auf die erneute Idee, es
doch in Santo Domingo zu versuchen, nun ja, das Honorar
hatte er bezogen!
Aber ich war nun auch nicht mehr in Eile, Dorothy schaffte
es, mit der Hilfe einer Anwältin, doch bleiben zu können.
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Zudem waren die Beziehungen zwischen ihr und mir auch
nicht mehr wie früher. Besonders bezuglich Intimleben hatte
ich etwas andere Vorstellungen, wenn ich einmal in
Stimmung war, dann hiess es, aber erst um 20.30, sie müsse
noch die Tagesbuchhaltung machen, ok, ich war dann um
diese Zeit bereit im Schlafzimmer, aber sie grübelte immer
noch am PC herum, und wenn ich rief, hiess es vom Büro
her:“in etwa 20 Minuten, ich habe noch eine Differenz von
20 Rappen“.
Um 21 Uhr immer noch nicht da, dann endlich, wenn ich
frustriert war, kam sie doch noch und sagte
ungeduldig:“aber schnell, um 21.30 ist der „Laden“
geschlossen!“ Ich wurde natürlich wütend und wollte diese
Spiele nicht mehr mitmachen, dazu kamen noch die
Ausraster wegen den Spinnen und Ameisen. Wenn sie so
einem Haustier begegnete, gegann sie derart laut zu
schreien, dass die Umgebung dachte, sie werde von mir
umgebracht!
Wir hatten eigentlich nur einen gemeinsamen Nenner, und
das war der schwarze Kater Timo. (Siehe:Timo der
schwarze Kater).Fortan arbeitete die Zeit für mich, und als
ich mich mit 59 vorzeitig pensionieren liess, erhielt ich
wegen dem Ehestand gesamthaft etwas mehr Geld, obwohl
ich noch Alimente zahlen musste. Ich war deshalb nicht
interessiert, diesen Zustand rasch ändern zu wollen, das
aber wusste die Aida nicht. Der Anwalt zog dann den
Gerichtsentscheid wieder vors Obergericht. Meine
veränderte Wirtschaftslage, veranlasste dann, dass seine
Rechnung und jene des Gerichts von der Staatskasse
übernommen wurde. Bald aber entliess ich ihn wegen
Unfähigkeit, sistierte den Fall beim Obergericht und
unternahm nichts mehr.
Später erfuhr ich, dass er nun Wirtschaftsanwalt wurde,
weil er sämtliche Scheidungsprozesse verlor. Ich denke, bei
der Müllabfuhr würde er besser abschneiden!
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Ich blieb somit weiterhin mit der Aida verheiratet und
plante erst ab dem Jahr 2003 erneut auf Scheidung zu
klagen.
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Kapitel 45
Vorzeitig
pensioniert
Ich war nur noch halbherzig bei meiner Arbeit, ein
Halbschuh von einem Vorgesetzten, ein neuer Direktor, den
man bei der Swissair abgeschoben hatte, angeheuerte IT
Spezialisten, welche es bestens verstanden, möglichst viel
Unruhe in den Betrieb zu bringen, Mobbing wurde in allen
Formen praktiziert. Zudem machte mir meine Sehkraft zu
schaffen, mit dem linken Auge war rein nichts mehr zu
sehen und beim rechten machte sich ein Graustar
bemerkbar. Mit der Dorothy wars mehr oder weniger auch
aus, weil aber meine Ehe nicht registriert war, musste ich
mich auch nicht scheiden lassen. Seit 1991 verbrachte ich
nun meine Langzeitferien in Pattaya. Meistens nahm ich die
sechs Wochen von Dezember bis Januar, wobei sich mit den
Feiertagen übers Neujahr gegen sieben Wochen ergaben.
Der Rückflug wurde immer mehr zur Qual, besonders, weil
ich in der kalten Jahreszeit immer über starke
Knochenschmerzen an den Gliedern verspürte.
Mit 57, also im Jahre 1995, versuchte ich in einen ersten
Versuch um eine vorzeitige Pensionierung aus
gesundheitlichen Gründen. Aber ich machte vermutlich
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einen Fehler bei der Untersuchung, wahrheitsgetreu sagte
ich, wieviel ich mit meinem rechten Auge noch sehen konnte.
Die Antwort vom ärztlichen Dienst der Bundeskasse war
dann auch entsprechend, ich könne durchaus noch genug
sehen um meine Arbeit auszuführen! Dabei war das schon
fast sarkastisch, weil ich nach wenigen Stunden am
Bildschirm einfach nichts mehr sah! Besonders nach der
Verabreichung der Augenmedizin. Im Januar 1997, ich kam
einmal mehr völlig frustriert aus Pattaya zurück, war dann
im Büro alles anders, ich war im Organigramm gar nicht
mehr aufgeführt, als ich den Direktor zur Rede stellte,
brachte der allerlei Ausreden vor, wie, es wäre ja nur eine
Übergangslösung und ich würde bis zu meiner vorzeitigen
Pensionierung genau die selbe Arbeit ausführen. Natürlich
akzeptierte ich solchen Scheiss nicht, stieg ihm nochmals auf
die Bude, wonach wir uns dann mit netten Worten unter der
Gürtellinie beglückten, wobei ich betonen muss, dass er
damit angefangen hatte, indem er mich „Hinterfützig“
nannte! Ich erklärte ihm dann, dass ich am allerliebsten
gleich aufhöhren wollte, weil ich ja doch kaum noch sehen
könne! Und nachdem er wohl dachte, einen, der ihm derart
die Meinung sagte, würde er am besten auch gleich
loswerden, sonst könnte er noch mehr hören, sagte er zu
meiner Überraschung:“Gut, ich helfe Ihnen dabei, ich
schreibe sogleich nach Bern,“ rief seine Sekretärin, aber die
war vermutlich gerade an einer anderen Sitzung?
Aber er versprach mir, die Sache selber in die Hand zu
nehmen und noch am gleichen Tag zu agieren. Ich kam
selten einmal so glücklich ins Büro zurück, wie an diesem
Morgen. Ich traute aber der Sache nicht so recht, denn der
Kerl war eine wahre Blindschleiche. Aber er hielt sein Wort,
jedoch waren da noch andere Instanzen zu überwinden!
Da war wieder dieser Augentest, und diesmal sah ich kaum
etwas, aber man wollte noch nicht zusagen, noch mussten
Abklärungen gemacht werden, so rief eine Person an, und
fragte, ob eventuell eine Halbtagsarbeit in Frage käme?
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Ich antwortete umgehend:“Also, was denken Sie eigentlich,
wenn ich ganztags kaum etwas sehe, dann ist das halbtags
auch so!“ Die Person war sprachlos und dann kamen keine
seltsamen Fragen mehr auf. Ich muss natürlich betonen,
dass auch meine Arbeit teilweise pendent blieb, ich erledigte
nur noch die aller wichtigsten Anfragen, so konnte ich das
gute Auge schonen. Und dann kam die erlösende Mitteilung,
ich konnte mich ab dem 1. August 1997 in den vorzeigigen
Ruhestand begeben. Und weil das aus gesundheitlichen
Gründen erfolgte, war laut Statuten auch keine
Rentenkürzung vorgesehen. Weil ich nun weniger
Einkommen hatte, fragte ich die Dorothy, ob sie bereit sei,
etwas an die hohen Hauskosten zu leisten, diese aber flippte
aus und argumentierte, sie wäre doch mit mir verheiratet
und schliesslich zahle die Delia auch nichts!
Sie suchte sich dann eine Vierzimmerwohnung in der Nähe,
die sie dann dreimal mehr kostete, als was ich von ihr wollte.
Aber mir konnte es nur recht sein, ich wurde dadurch auch
unabhängiger, konnte das Haus meinem Sohn
überschreiben und er zog dann später dort ein.
Der Abschied im Geschäft vollzog sich sehr nüchtern, ich
wollte keinen Tam-Tam, am liebsten gar nichts. Im oberen
Kader war man froh, einen Querulanten los zu sein, mein
Artikel in der Hauszeitung hatte sie alle schockiert, als ich
schrieb, den Wasserkopf in Lausanne, mit rund 40 bis 50
Personen, könnte man problemlos auflösen, niemand würde
etwas bemerken oder vermissen, stempelte mich in
Lausanne zur „Persona non grata“, zum, Bösewicht. Das
schrieb ich um das Jahr 1987-88, und zehn Jahre später
wurde dann das Ganze eben doch aufgelöst. Als ich die
Meldung im Radio vernahm, machte sich bei mir doch eine
leichte Genugtuung breit! Zwar wurde die Hauszeizung
auch in Bern gelesen, ich denke jedoch, dass es nicht mein
Artikel war, welcher den Ausschlag für die Schliessung gab,
weil auch andere Leute zum gleichen Ergebnis kamen, dass
es sich dort eher um eine Arbeitsbeschaffungszentrale
handelte und weniger um eine schweizerische
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Handelszentrale. Der damalige Direktor, verstand es
bestens, immer wieder neue Abteilungen zu kreieren, die
sich dann gegenseitig emporonanierten, darum
interpretierte ich unseren Kürzel “OSEC“ wie folgt:“
Organisation Sexuell Entgleister Chaoten“. Allein schon
diese sarkastische Bemerkung stempelte mich zum internen
Unmenschen.
Der Abschied von dieser Organisation, besonders aber vom
obereren Kader, (ich war ja beim unteren Kader) wurde
dadurch auch unproblematisch für mich.
Ich kann sagen, die Sympathien, respektive Antipathien,
waren gegenseitig. Ich hatte absolut keine Mühe, mich
materiell und spirituell von der OSEC los zu lösen.
Hingegen musste ich mich daran gewöhnen, am Morgen
nicht mehr den Wecker zu richten.
Und während den ersten Monaten war mir beim Aufwachen
nicht klar, ob ich nun wirklich im Ruhestand war, oder ich
das eventuell nur geträumt hatte?
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Kapitel 46
Rentner in
Thailand
Alles ging etwas schnell, noch konnte ich mich mit dem Titel
„Rentner“ nicht so richtig identifizieren, aber langsam
konnte ich mich mit diesem Zustand abfinden. Es war schon
eine tiefgreifende Umstellung, nach mehr als 40 Jahren
Arbeit einfach davon befreit zu sein, das heisst, man durfte
leben ohne dafür arbeiten zu müssen! Das können ja
bekanntlich nur sehr wenige Leute, denen es vergönnt war,
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reiche Eltern zu haben! Für mich war aber seit vielen
Jahren klar, dass ich meinen Lebensabend nicht in der
feuchten, kalten Schweiz verbringen wollte. Als ich noch mit
der Delia verheiratet war, liebäugelte ich natürlich mit den
Philippinen.
Aber das war dann plötzlich nicht mehr die allereinzige
Destination, die sich mir offenbarte. Ich machte richtige
Vergleichsstudien, unter Berücksichtigung aller wichtigen
Punkte wie: Lebenskosten, Klima, Distanz zur Schweiz,
Sprachen, Aufenthaltsmöglichkeiten,(Visum etc.), Religion
des Landes, Mentalität der Leute, etc.
Dabei war das Tessin die am nächsten gelegene Destination,
Hawaii die am entferntesten gelegen!
Auch Kalifornien und Florida waren dabei, ferner Mexiko
(Acapulco), Santo Domingo, Brasilien, die Kanarischen
Inseln, und auch die Costa Blanca und Costa del Sol. In
Südostasien waren es Thailand und die Philippinen.
Kambodscha und Malaysia waren damals noch nicht
aktuell, trotzdem blieben mir gegen 12 Destinationen zum
abklären und auswählen. Gegen den Schluss, blieben noch
drei Destinationen, Thailand, Philippinen und Brasilien.
Brasilien schied aus, weil dort Winter ist, wenn wir Sommer
haben, und ich wollte ja die Sommermonate, wenn
irgendwie möglich, jeweils in der Schweiz verbringen.
Thailand und die Philippinen erbrachten die gleiche
Punktzahl, nun musste ich abwägen, in Thailand gab es
wesentlich mehr günstige Angebote an Studios und
Wohnungen, war aber auch die Gesundheitsversorgung
markant besser, besonders in Pattaya und Bangkok,
aber auch das Essen war in Thailand ungleich besser als auf
den Philippinen. Auch der Buddhismus war mir
symphatischer als die katholische Kirche auf den
Philippinen. Hinderlich fand ich lediglich die Sprache, die so
anders war und die ich einfach nie richtig erlernen konnte.
Auf den Philippinnen war das Leben noch etwas billiger,
aber auch anspruchsloser, dafür war die Sprache Tagalog
und Englisch fast eine Einladung!
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Englisch sprachen die meistens Leute, und selbst Tagalog
konnte man in kurzer Zeit problemlos lernen. Wer nun aber
behauptet, ich hätte mich wegen den Thaifrauen (oder den
Frauen aus dem Isaan) schliesslich für Thailand
entschieden, liegt falsch, diesbezüglich fand ich zu den
Philippinen am wenisgten Unterschiede!
In Thailand wiederum, prüfte ich besonders zwei
Destinationen, einmal das eher verufene Pattaya (wobei
dieser Ruf auch schon früher völlig zu unrecht bestand, und
später nur noch geschichtlich aufrecht erhalten wurde, denn
dann müssten auch Orte wie Chiang Mai, Phuket, Bangkok
etc. den genau gleichen Ruf haben), dann noch Chiang Mai
im Norden. Im Jahr 1995, verbrachte ich einen ganzen
Monat in Chiang Mai, in den Wintermonaten kann es recht
kühle werden, aber sonst ist es auch angenehm und
preiswert.
Hingegen fehlte mir das Meer, ich pflege zwar nicht im
Meer zu baden, aber ich mag es am Meer entlang zu
wandern und die frische Meeresluft zu geniessen. Phuket
kannte ich nicht, aber die Informationen darüber klangen
eher nach Hochpreisdestination. Koh Samui kam nicht in
Frage, weil ich nicht auf einer Insel leben wollte, zudem
waren diese beiden Destinationen auch viel weiter vom
Flughafen Bangkok entfernt.
So entschied ich mich schliesslich für das Sündenbabel
Pattaya, 1997, mein erstes Langzeitjahr, verbrachte ich noch
im „New Firehouse“ , früher „Holidaycorner“, in
Südpattaya. Dort verbrachte ich meinen Urlaub von 1992
bis 1996, und leider verwahrloste das Hotel immer mehr, die
Preise aber stiegen trotzdem an. (Gut 10 Jahre später wurde
das Hotel abgebrochen!)
Ich suchte laufend nach Studios und
Langzeitwohnangeboten, dafür lief ich oft bis nach
Nordpattaya und Jomtien, und bis hinauf zur
Sukhumvitstrasse, es war immer gleich, je weiter weg vom
Zentrum, umso billiger die Unterkunft. Weil ich aber kein
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Fahrzeug lenken wollte, kam für mich einzig eine zentrale
Lage in betracht. Erst mietete ich während dreier Monate
ein Zimmer im „Apex Hotel“ an der Second Road, dann im
„Hotel Skawbeach“, wo die Preise sehr atraktiv waren und
die Zimmer aussergewöhnlich gross. Aber die chinesische
Familie dort war wenig flexibel für Langzeitangebote, so zog
ich nach rund zwei Jahren wieder aus. Schon mehrmals
pilgerte ich zum nahen „Diana Estate“ Komplex, aber jedes
Mal hiess es dort, es gebe keine freien Condos. Im Februar
2000, als ich beschloss, im Skawbeach auszuziehen, ging ich
nochmals ins Diana hinauf, ich lief dort in irgend ein Büro
und erkundigte mich, ob es möglich sei, auf den ersten
November ein Condo zu buchen? Der kleine Chef dort sagte
nur: „kein Problem, Sie müssen aber sogleich eine
Monatsmiete anzahlen“. Ich sagte:“Kein Problem, ich
bringe gleich das Geld!“ Als ich dann am ersten November
einzog, erhielt ich ein Condo im 8. Stock oben.
Ein Studio von rund 30 m2, mit Kochgelegenheit.
Und es gefiel mir dort derart gut, dass ich das Studio drei
Monate später kaufte. Der Preis war damals relativ niedrig
und ich bereute den Kauf nie. Natürlich war das nur für
eine Person gut, aber ich wollte ja fortan alleine wohnen.
Lieber zahlte ich einer Frau ein zweites Studio, damit ich
meine Freiheiten behalten konnte.
Payttaya bietet zudem ungleich viele Sport und
Ausflugsmöglichkeiten, wie kaum ein anderer Ort weltweit.
Golfen, Schiessen, Tauchen, Wassersport, Hochseefischen,
Reiten, etc. aber auch vorgelagerte Inseln, ein
Elephantenpark, Tigerzoo, Krokodilfarm, Mini Siam, Nong
Nough Garten. Aber auch viele grosse Einkaufszentren, und
nicht zu vergessen, eine Riesenauswahl an Restaurants von
fast allen Ländern der Welt. Leider ist der Strassenverkehr
seit jeher chaotisch, sind die Trottoirs oft mit grossen
Löchern bestückt, gibt es für den Fussgänger kaum eine
Möglichkeit, die Strassen gefahrlos überqueren zu können!
Auch damit muss man sich abfinden können und das Beste
daraus machen! Wer sich ständig darüber aufregt, sollte
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besser das Land wieder verlassen, denn ändern können wir
es nicht von uns aus.
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Ende Teil 4
NB:Natürlich könnte man da noch
einen Teil 5 folgen lassen, aber einmal
im Ruhestand, reduziert sich der
tägliche Lebenskampf auf belanglose
Dinge und ist längst nicht mehr derart
interessant wie die Jahre zuvor!
Persönlich bin ich der Ansicht, dass die
ersten 10 Jahre am meisten
interessieren, dann die Zeit von 10 bis
20, gefolgt von Teil 3, und Teil vier
bereits langweiliger ist, (Heirat).Band 5
wäre von 01.01.1999 bis und mit
31.12.2028. Doch darüber entscheidet
eher Lord Buddha!
Zusammenfassung:
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Teil 1: 01.09.1938 bis 31.08.1948
Teil 2: 01.09.1948 bis 31.08.1958
Teil 3: 01.09.1958 bis 31.12.1968
Teil 4: 01.01.1969 bis 31.12.1998
Kapitel
Seiten
Teil 1 :
72
132
Teil 2 :
78
155
Teil 3 :
30
105
Teil 4 :
46
160
________________________
Total :
226
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