Sophia Gluth Friedrich Dürrenmatt – Die Panne Recht als Farce

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Sophia Gluth Friedrich Dürrenmatt – Die Panne Recht als Farce
Sophia Gluth
Friedrich Dürrenmatt – Die Panne
Recht als Farce?
Dürrenmatts Erzählung „die Panne“, in der sich vier alte Herren
allabendlich treffen, um der Leidenschaft ihrer alten Berufe zu frönen, gibt
Einblick und Erkenntnisse in die Welt der Justiz.
Bei gutem Wein und Völlerei schmücken sich die Männer mit Phrasen von
Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit, um ihren Leben und dem ihrer Gäste,
Glanz und Außergewöhnlichkeit zu verleihen.
Friedrich Dürrenmatt gelingt es in „Die Panne“ nicht nur, seine
Protagonisten psychologisch zu sezieren, sondern stellt die Frage nach der
Bedeutung von Recht und dem, wozu Recht eigentlich dient. Durch die
Figur des Generalvertreters Traps, wird die inzwischen wohl zum
Aphorismus verkommenen Idee Hegels, das Vernünftige werde durch die
Strafe im Verbrecher geehrt, auf eine neue Ebene erhoben. Bei
Dürrenmatt wird das Vernünftige im Generalvertreter nicht nur geehrt,
sondern erst geschaffen.
Aus Traps’ kurzer Affäre mit der Frau seines vormaligen, früh verstorbenen
Chefs dreht ihm Staatsanwalt Zorn schließlich einen Strick und klagt ihn
des Mordes an. In der zunehmend alkoholisierten Stimmung der
Tischrunde sieht Traps sich bald nicht mehr als jemanden, der nur von
„günstigen Umständen“ profitiert hat, sondern als „Täter“. Er widerspricht
der Argumentation von Verteidiger Kummer, dass er unschuldig sei,
„gesteht“ den Mord und bittet Richter Wucht um das Urteil. Dieser
beendet den Abend, indem er den stark angetrunkenen Traps zum Tode
verurteilt und vom Henker Pilet ins Zimmer der zum Tode Verurteilten zur
Nachtruhe bringen lässt.
Nachdem dieser sich in der Faszination eines von ihm begangenen Mordes
sonnt, den man wohl nach heutigem als auch nach jemals geltendem
deutschen Recht nur als unglücklichen Unfall, oder je nach Perspektive,
nur als glücklichen Zufall bezeichnen kann, sieht er sein Dasein in einem
neuen Licht. Traps meint zu erkennen, dass er nun ein „wahrhaftiges
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Leben führen kann, wozu eben die höheren Ideen der Gerechtigkeit, der
Schuld und der Sühne nötig seien“. So kann auch er sich nun den Mantel
der Wahrhaftigkeit und der hohen Ideen umlegen und sich an der ihm
entgegen gebrachten Aufmerksamkeit und des Respekts erfreuen.
Der Leser vermag diesen Überschwang freilich nicht zu teilen und sieht
sich eher in den Ausführungen des Verteidigers und zu Teilen auch denen
des Richters bestätigt: in Wahrheit ist der Generalvertreter noch genauso
kleingeistig und überdurchschnittlich durchschnittlich wie in dem Moment,
als er mit seinem nicht minder langweiligen Studebaker in der Pampa
stecken blieb.
Würde man dem Generalvertreter sagen, dass das Recht lediglich eine
Farce ist, käme das für ihn wohl einem Todesurteil gleich, wenn auch es in
diesem Kontext an dem von ihm so geliebten Heroismus mangelt.
Für jemand anderen als ihn, besonders für diejenigen, denen der Sinn für
Realität noch nicht in eben genanntem Maße abhanden gekommen ist,
kann die Frage allerdings nicht so schnell beantworten werden. Ein
Prozess, in dem das Verbrechen und der Täter erst geschaffen werden
müssen, legt die Vermutung nahe, dass es sich nur um eine sinnentleerte
Hülle, ein Plagiat von etwas Bedeutsamen handelt – eben eine Farce. Das
Recht dient hier nur der Belustigung, der Erheiterung und dem
intellektuellen Sport. Die Beteiligten haben sogar die Todesstrafe wieder
eingeführt, um ihrem perfiden Spiel noch ein wenig mehr den Anstrich der
Ernsthaftigkeit zu verleihen.
Doch egal, wie ernst die Prozessbeteiligten es auch versuchen, ein Spiel
bleibt es trotzdem, und es bleibt anzunehmen, dass sich die Beteiligten
dessen auch bewusst sind, wenn auch die Grenzen teilweise
verschwimmen.
Doch ist ein Kriminalprozess auch in der Realität nur ein Spiel? Ist
Dürrenmatts „Panne“ eine Metapher, ein Sinnbild für das Funktionieren
der deutschen Justiz?
Dafür spricht, dass zumindest die alten Herren der Erzählung nach auch in
ihren früheren Leben mit beruflichem Ehrgeiz und taktischem Vorgehen
gleich Spielern den Prozess wie ein Schachspiel gestalteten, in dem dem
Angeklagten nicht mehr als eine Position auf dem Spielbrett zukam. Die
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Rollen waren klar verteilt und ein jeder agierte und funktionierte im
Rahmen des von ihm Erwarteten.
Von ihrem Geschick bei diesem Spiel zeugt der besagte Abend in
Dürrenmatts Erzählung, in dem die Figuren auf bildliche Weise mit ihren
Prozessrollen verschmelzen.
Als drei „ungeheure Raben, uralt, verschmiert und verwahrlost“
erscheinen sie dem Leser als dem gesellschaftlichen Leben entrissen,
gefangen in ihrer Welt, in der Worte wie Gerechtigkeit, Schuld und Sühne
nur noch als sinnentleerte Hüllen herhalten, für eine kümmerliche
Vorstellung von Menschlichkeit und Ehre.
Da ist der nachlässig gekleidete Herr Kummer, 82 Jahre alt, mit
„gewaltiger Säufernase und jovialen Glotzaugen“. Den Namen Kummer
trägt er als Verteidiger nicht zufällig. Mit scheinbarer Zärtlichkeit versucht
er dem Angeklagten ein Geständnis zu entlocken, und ist doch bei dessen
Nicht-Bereitschaft nur enttäuscht ob der mangelnden Dramatik und
mangelnder psychologischer Abgründe beim Angeklagten.
Ganz anders der Staatsanwalt Herr Zorn. Von langer hagerer Gestalt, das
Monokel vor dem linken Auge, Hakennase und wallender schlohweißer
Löwenmähne steht er für Ernst, Härte und Gnadenlosigkeit der
Strafverfolgungsbehörde. Seine vermeintliche Freundlichkeit gegenüber
Traps dient nur seiner Taktik und macht den Angeklagten zum Mittel zum
Zweck.
Dass der Angeklagte da an Erscheinung und Geist nicht mithalten kann,
passt perfekt ins Bild. Er ist der gewöhnliche Kleinbürger, der nicht
begreift, was eigentlich vor sich geht, der nicht versteht, wann das
Verfahren beginnt und endet und wie eine Marionette in einem Spiel,
dessen Regeln er nicht versteht, von einem Ort zum anderen bewegt wird,
abhängig nur vom Verhalten der eigentlichen Akteure: seines Verteidigers,
des Staatsanwalts und des Richters.
Erst beim Urteilsspruch fühlt er sich endlich frei und autonom, das
Todesurteil nimmt er dankbar an, glaubt er doch daran, nun endlich seiner
Bestimmung gerecht zu werden, sich selbst erfüllt zu haben. Und versteht
wieder einmal nicht, dass egal, wie das Urteil ausfällt, er schon lange
verloren hat und seiner Selbstbestimmung schon längst entkleidet wurde.
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Das Ende in „Die Panne“ kommt überraschend. Der Generalvertreter
hängt jäh und unerwartet im Fensterrahmen. Das Spiel ist ernst geworden,
ist wahr geworden – das sollte den Juristen an den Kern seiner Aufgabe
erinnern, an das, was er eigentlich tut: über Menschenleben richten, über
Menschenleben bestimmen.
Solange sich die Beteiligten im Verfahren darüber bewusst sind, kann man
noch hoffen, dass das Recht und die Rechtsprechung noch nicht zu einer
Farce verkommen sind.
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