Les Misérables

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Les Misérables
prag
Les Misérables - Musik: Claude-Michel Schönberg; Songtexte: Alain Boublil / Herbert Kretzmer; Tschechische Übersetzung: Zdenek Borovec; Regie: Petr Novotny; Bühne:
Mihail Tchernaev; Kostüme: Lucie Loosová; Musikalische Leitung: Milan Svoboda. Darsteller: u.a. Jan Jezek / Karel Cernoch / David Ulicník (Jean Valjean), Tomás Bartunek /
Daniel Hulka / Josef Stágr (Javert), Helena Vondracková / Jitka Cvancarová / Katerina Brozová / Sárka Marková (Fantine), Leona Machálková / Magda Malá / Markéta Sedlácková
(Eponine), Pavel Vítek / Pavel Polák (Marius), Lucie Cerníková / Tereza Mátlová / Sárka Marková (Cosette), Jirí Korn / Libor Zídek (Thénardier), Hana Krízková / Renáta Podlipská
(Mme. Thénardier), Tomás Trapl / Robert Jícha (Enjolras). Premiere: 11.09.2003, GoJa Music Hall, Prag
Les Misérables
Die Elenden von der Seine zum zweiten Mal an der Moldau
von Gunnar Habitz
Zur selben Zeit kehrte das weltweit erfolgreichste Musical nach Deutschland und
Tschechien zurück. War ‘Les Misérables’
hierzulande noch den großen Erfolg schuldig, der sich in anderen Ländern bekanntlich seit nunmehr 18 Jahren eingestellt hat,
so war es in Prag im Sommer 1992 viel zu
kurz aufgeführt worden. Trotz der damaligen Rolle als Lückenfüller läutete der
Weltklassiker des Musicalgenres damals
fast schon ungewollt einen unvergleichlichen Musicalboom ein, der eigentlich bis
heute anhält. Die Versionen in den beiden
Hauptstädten unterscheiden sich jedoch:
Berlin folgt Cameron Mackintoshs Londoner Original von 1985, in Prag dagegen
wird eine behutsam veränderte authorisierte
Fassung aufgeführt.
Tatsächlich kursierten in den letzten Jahren
mehrfach Gerüchte, dass die Elenden Prag
wieder erobern könnten. Am weitesten waren Pläne gediehen, das ehemalige Ausstellungshaus am Platz der Republik gegenüber des Gemeindehauses in bester Lage als
Theater umzubauen. Dieses Vorhaben
scheiterte, das Gebäude ist immer noch ein
eingestürzter Torso. Schließlich hat sich die
Agentur GoJa Gott-Janecek des Projektes
angenommen und als Spielort das ehemalige Pyramida-Theater ausgewählt, in dem
bereits ‘Hair’, ‘Mise’, ‘Grease’ und ‘Popelka’
aufgeführt wurden, jedoch nicht immer erfolgreich. Bei der Wiederaufnahme der
einst von Zdenek Borovec übersetzten Version
im inzwischen in GoJa Music Hall umbenannten Haus führt Petr Novotny die Regie,
der bereits ‘Jesus Christ Superstar’ und
‘Evita’ erfolgreich umgesetzt hatte. Ein
wichtiger Bestandteil dieser Stücke war
seinerzeit ein Liveorchester, das bisweilen
völlig aus den Prager Musicals verschwunden ist und nunmehr unter der Einstudierung von Milan Svoboda seine Renaissance
erlebt.
Auch für Kenner des Weltklassikers in seiner Originalinszenierung lohnt sich die seit
11. September aufgeführte neue Prager
Version, denn eine Reihe liebevoll umge-
setzter Ideen macht sie zu einer interessanten Abwechslung. Wer jedoch auf radikale
Streiche aus sein sollte, der dürfte enttäuscht werden. Auch wenn sich Neubearbeitungen bewusst oft drastisch vom Original entfernen, ist dies hier glücklicherweise
nicht der Fall. Also sind die Kostüme von
Lucie Loosová den originalen sehr ähnlich
und auch das Bühnenbild inklusive Drehscheibe (Mihail Tchernaev) ist nicht fern
vom ursprünglichen Vorbild. Am ehesten
weicht noch die Anfangsszenerie im Gefängnis ab. Sicherlich sind die Originalbarrikaden nicht zu übertreffen, doch wohl
einmalig werden sie in Prag von oben auf
die Bühne heruntergefahren.
Herausragend ist vor allem Javerts Selbstmordszene auf einer Brücke über einem
rauschenden Fluss, die im Original bei seinem Sprung nach oben fährt. In Prag ist
die Brücke ohnehin recht weit oben montiert. Sobald Javert zum Sprung ansetzt,
verbirgt der aufsteigende Dunst einem den
Blick auf die Gestalt, die sich dann plötzlich unten auf der Flussoberfläche wälzt.
Foto: Martin J. Polák
Helena Vondracková (Fantine)
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Tomas Bartunek (Javert)
Daniel Hulka (Javert) und Jan Jezek (Jean Valjean)
musicals 12. 03
prag
Die Prager ‘Les Mis’-Barrikade
Foto: Martin J. Polák
Das erfolgreichste Musical der Welt
braucht auch die erfolgreichsten Sänger des
Landes, denn nur mit einer erstklassigen
Besetzung ist es möglich, die 864 Plätze in
der Music Hall auf dem Ausstellungsgelände in Prag 7 regelmäßig zu füllen. Auffallend ist, dass viele Rollen mit den Darstellern von 1992 besetzt wurden. Jan Jezek
und Karel Cernoch standen seinerzeit schon
als Jean Valjean auf der Bühne, wobei ersterer sein Land sogar bei dem Jubiläumskonzert in der Londoner Royal Albert Hall im
Jahre 1995 vertreten durfte. Der Altmeister
des tschechischen Musiktheaters und aktive
Stepptänzer Jirí Korn als Thénardier ist alleine wegen seiner erstklassigen Mimik den
Eintritt wert. Als Fantine konnte Helena
Vondracková ein Comeback feiern, die vor
der Revolution gemeinsam mit Karel Gott
zu den wichtigsten Stimmen der damaligen
Tschechoslowakei gehörte. Beide füllen
noch heute bei ihren gemeinsamen Konzerten die Hallen.
Vor elf Jahren hatte Lucie Bílá als damals
noch unbekannte junge Stimme in der Rolle der Eponine ihren Durchbruch im Musicalgenre. An ihrer Stelle singt heute die damalige Zweitbesetzung und stimmlich gereifte Magda Malá, alternierend mit der bekannten, fast schon omnipräsenten Sängerin
Leona Machálková, die jedoch mehr sich
selbst als Eponine darstellt. Als Marius begeistert wie seinerzeit vor allem Pavel
Polák, alternativ singt der Hitsänger Pavel
Vítek. Gerade bei Malá und Polák könnte
man annehmen, sie seien in denselben Rollen von 1992 nicht weiter vorwärts gekommen, doch beide sind erstklassige Solisten,
die sich bisher zu Unrecht nicht als Stars in
Szene setzen konnten.
Als Javert ist Josef Stágr dem ‘Dracula’Titelhelden Daniel Hulka vorzuziehen, wobei Tomás Bartunek, regelmäßig Gast an europäischen Opernhäusern, die Polizistenrolle stimmlich am besten verkörpert. Doch
welche Besetzung man auch vorzieht bzw.
gerade erwischt: in Prag passen ebenfalls
der zweite und der dritte Anzug - ein weiterer Erfolgsfaktor für diese Produktion.
nur während der Sommerpause im Weinberger Theater. Und das zu einer Zeit, als
die Prager das Genre Musical noch nicht
wirklich kannten.
Es ist bereits das dritte Mal, dass in Prag
ein erfolgreiches Musical wiederholt wird.
Zunächst lief das Kultmusical ‘Krysar’
(Rattenfänger) im Wechsel mit ‘Hamlet’ in
dessen letzter Saison 2002. Im Frühjahr
dieses Jahres wurde schließlich mit Karel
Svobodas ‘Dracula’ das einzige eigene Stück
von Weltniveau nach erfolgreichen Gastspielen in Bratislava, Seoul und Moskau
wieder zurück ins Kongresszentrum geholt,
doch mangels groß angelegter Werbung
und wegen der ohnehin schon langen ersten
Laufzeit von knapp drei Jahren war das Interesse begrenzt. Bei ‘Les Misérables’ ist es
anders: in jeder vierten Straßenbahn und an
jeder fünften Litfasssäule wird das Musical
beworben. Außerdem lief es vor elf Jahren
Die Wiederholungen von ‘Dracula’ und
nun der Elenden haben die Messlatte mal
wieder angehoben und lassen hoffen, dass
die Prager Szene auf diesem Level weitermachen wird. Damit das Genre langfristig
erfolgreich bleibt, braucht es einfach die
großen Musicals statt zuviele der kleineren
Produktionen, von denen einige nach der
Jahrhundertflut förmlich weggespült wurden. Zwei weitere Stücke gesellten sich im
Herbst hinzu: das Sechziger-Jahre-RevueMusical ‘Rebelové’ nach einem gleichnamigen tschechischen Film sowie ‘Excalibur’
als musikalische Umsetzung der Artussage
mit Lucie Bílá in einer der Hauptrollen. Es
bleibt also spannend.
www.goja.cz/lesmis
Foto: Martin J. Polák
Magda Malá (Eponine) und Pavel Vítek (Marius)
musicals 12. 03
Jirí Korn (Thénardier) und Hana Krízková (Madame Thénardier)
Tereza Mátlová (Cosette)
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