4 K 92/14

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4 K 92/14
FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 4 K 92/14
Beschluss des Senats vom 19.06.2015
Rechtskraft: Normen: Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011, Durchführungsverordnung
(EU) Nr. 876/2014, KN Unterposition 8525 8030, KN Unterposition 8525 8091, KN
Unterposition 8525 8099, KN Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI
Leitsatz: 1. Ist die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 der Kommission
vom 29.11.2011 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur
(ABl. EU L 319/39) auf die Produkte, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens sind
(multifunktionale Action-Cams), entsprechend anwendbar und ggf. gültig?
2. Ist die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 der Kommission vom
08.08.2014 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl.
EU L 240/12) auf die Produkte, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens sind,
entsprechend anwendbar und ggf. gültig?
3. Sind die Erläuterungen der Kommission zu der Unterposition 8525 8030 und den
Unterpositionen 8525 8091 und 8525 8099 KN (ABl. EU 2015 C 76/1) in der Weise
auszulegen, dass eine Aufnahme von „mindestens 30 Minuten einer einzelnen
Videosequenz“ auch dann gegeben ist, wenn die Videosequenz in getrennten
Dateien mit einer Dauer von jeweils weniger als 30 Minuten aufgezeichnet wird,
sofern der Betrachter beim Abspielen der Aufzeichnung den Wechsel zwischen den
Dateien nicht wahrnehmen kann?
4. Steht der Einreihung von Videokameraaufnahmegeräten, die Signale externer
Quellen aufzeichnen können, in die Unterposition 8525 8099 KN entgegen, dass sie
diese Signale nicht über ein externes Fernsehempfangsgerät oder einen externen
Monitor wiedergeben können?
Überschrift: Zollrecht; Vorlage an den Europäischen Gerichtshof: Erteilung einer
verbindlichen Zolltarifauskunft für ein Multifunktionsgerät mit Kamera- und
Videofunktion (sog. Action-Cams)
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die zolltarifliche Einreihung sog. Action-Kameras.
Die Klägerin führt u. a. Kameras des Herstellers X ins Zollgebiet der Union ein. Bei
diesen sog. Action-Kameras handelt es sich um batteriebetriebene elektronische
Geräte
mit
Funktionen
eines
digitalen
Fotoapparates
und
eines
Videokameraaufnahmegerätes, die insbesondere zur Dokumentation von Sport- und
Freizeitaktivitäten geeignet sind.
Unter dem 05.12.2012 beantragte die Klägerin für die fünf Kameramodelle der
Modellreihe Y „Modell-1“, „Modell-2“, „Modell-3“, „Modell-3 A“ und „Modell-3 B“ je
eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) und schlug die Einreihung in die TARIC-Nr.
8525 8091 90 vor. Die Modelle „Modell-1“, „Modell-2“ und „Modell-3“ unterscheiden
sich insbesondere im Hinblick auf die optische Qualität (Linse, Aufnahmewinkel) und
die Foto- und Videofunktionen. Die Varianten des „Modell-3“ (B und A) unterscheiden
sich vom Grundmodell nur im Hinblick auf das mitgelieferte Befestigungszubehör.
Der Beklagte reihte die fünf Kameras mit den folgenden vZTAen vom 21.01.2013 in
die TARIC-Warencode-Nr. 8525 8099 00 ein:
vZTA DE-1: Y Modell-1,
vZTA DE-2: Y Modell-2,
vZTA DE-3: Y Modell-3,
vZTA DE-4: Y Modell-3 A,
vZTA DE-5: Y Modell-3 B.
Es handele sich jeweils um multifunktionale digitale Videokameraaufnahmegeräte.
Die Speicherung und Wiedergabe von Videos mit einer maximalen Auflösung von
1.920 x 1.080 Pixel bzw. 2.716 x 1.524 Pixel bei 30 Bildern pro Sekunde für mehr als
30 Minuten sei die kennzeichnende Haupttätigkeit.
Gegen diese vZTAe legte die Klägerin am 22.02.2013 Einspruch ein und begehrte
nunmehr die Einreihung in die TARIC-Warencode-Nr. 8525 8030 00 (digitale
Fotoapparate). Zur Begründung verwies sie u. a. auf das Gutachten zur zolltariflichen
Einreihung der Kameras X Y von Prof. Dr.-Ing. C von der Technischen Universität D
vom 10.04.2013 (Gutachten C, Anlage 28 zur Klagschrift). Für die Kameramodelle
„Modell-2“ und „Modell-1“ half die Beklagte den Einsprüchen der Klägerin ab und
erließ am 21.11.2013 die vZTAe DE …7/…-1 und DE …1/…-1, mit denen diese
Kameras als „digitale Fotoapparate“ in die TARIC-Warencode-Nr. 8525 8030 00
eingereiht wurden. Da diese Entscheidungen von der unzutreffenden Annahme
ausgingen, dass diese Modelle Videosequenzen nur mit einer Auflösung von 800 x
480 Pixel aufnehmen könnten, wurden sie in der Folge widerrufen.
Die drei Kameras des „Modell-3“ (im Folgenden: streitgegenständliche Kameras), die
allein Gegenstand des weiteren Einspruchs- und Gerichtsverfahrens sind, weisen die
folgenden Produktmerkmale auf: Sie haben einen Auslöse-/Auswahlknopf, einen
Einschalt-/Modus-Schalter, eine LCD-Statusanzeige, jedoch kein Sucherdisplay. Sie
verfügen über ein Objektiv mit Festbrennweite und Aufnahmewinkeln von 150 Grad,
127 Grad und 90 Grad. Die mit der Linse und einem eingebauten Mikrofon
eingefangenen Ton- und Bildinformationen werden im MP4 H.264-Dateiformat auf
einer austauschbaren Speicherkarte gespeichert. Die Kameras haben keinen fest
installierten internen Speicher, auf dem Bild- und Toninformationen aufgenommen
werden können. Die Software der Kameras kodiert die aufgenommenen Daten in
einer Weise, dass eine Unterscheidung der durch die Kameras erzeugten MP4
H.264-Dateien von aus anderen Quellen stammenden Dateien möglich ist. Die
Kameras besitzen mehrere Fotofunktionen (Einzelfoto, Fotoserie, Fotointervall,
Dauerfotoserie, simultane Video- und Fotoaufnahme) mit einer Auflösung bis 12
Megapixel. Darüber hinaus können sie Videos bei 30 Bildern pro Sekunde in einer
Auflösung von mindestens 1.920 x 1.080 Pixel im Videoschleifenmodus bis zu 120
Minuten und bei ausreichender Leistung eines als Zubehör zu erwerbenden weiteren
Akkus und genügender Speicherkapazität der Speicherkarte auch länger
aufzeichnen. Videoaufnahmen, die länger als 26 Minuten und drei Sekunden dauern,
werden in mindestens einer weiteren MP4 H.264-Datei mit einer maximalen
Abspielzeit von jeweils 26 Minuten und drei Sekunden aufgezeichnet. Beim
Abspielen merkt der Betrachter den Wechsel von einer Datei zur nächsten nicht. Die
Videos können in unterschiedlichen Auflösungen aufgenommen werden. Je höher
die Auflösung ist, desto geringer ist die maximale Bildrate (Bilder pro Sekunde).
Mithilfe der XX-Software können Farbe, ISO-Limit, Schärfe und Belichtung von
Aufnahmen unmittelbar an der Kamera oder mittels einer Applikation auf einem mit
der Kamera verbundenen Smartphone oder einem Tablet-PC eingestellt werden.
Neben dem Kartensteckplatz für eine Speicherkarte verfügen die Kameras über
einen Mikro-HDMI-Anschluss, einen Mikro-USB-Anschluss, der auch ein Composite
A/V-Kabel und einen 3,5 mm Stereomikrofonadapter unterstützt, ein integriertes WiFi und einen Y-Anschluss. Über den unidirektionalen HDMI-Anschluss und die
unidirektionale Verbindung mit einem Composite A/V-Kabel können die Bild- und
Videodateien, die sich auf der Speicherkarte befinden, auf einem TV-Gerät oder
einem Computermonitor gezeigt werden, wobei keine Datenspeicherung auf dem
externen Gerät erfolgt, sondern die Daten nach der Übertragung verworfen werden
(Streaming). Die Steuerung der Wiedergabe erfolgt über die Kamera
(Bedienungsanleitung, S. 54). Das bidirektionale Wi-Fi ermöglicht über eine
Funkverbindung die Fernsteuerung der Kameras. Neben der mitgelieferten
Fernbedienung kann dies über einen Tablet-PC oder ein Smartphone erfolgen, auf
die die auf der Speicherkarte aufgenommenen Daten gestreamt werden. Eine
Aufnahme von Videodateien ist über die Wi-Fi-Schnittstelle nicht möglich (Gutachten
C, S. 14). Es können jeweils nur solche Bild- und Videodateien, die sich auf der
Speicherkarte der Kamera befinden, abgespielt werden, die die Kamera selbst
aufgezeichnet hat; Dateien aus anderen Quellen werden von der Kamera nicht
unterstützt und auf dem Display oder Bildschirm mit „FILE NOT SUPPORTED“
angezeigt. Über den Mikro-USB-Anschluss können die Kameras an einen Computer
angeschlossen werden, der die sich in der Kamera befindliche Speicherkarte als
externes Computerlaufwerk erkennt. Es können Bild- und Videodateien, die sich auf
der Speicherkarte der Kamera befinden, auf einem Computer gespeichert werden
und umgekehrt Dateien, die sich auf einem Computer befinden, auf die
Speicherkarte der Kamera verschoben werden. Die Steuerung dieses
Speichervorgangs erfolgt durch ein Dateiverwaltungsprogramm (z. B. Windows
Explorer) des Computers. Die Kamera kann in diesem Fall nicht bedient werden
(Gutachten C, S. 9). Andere Möglichkeiten der Speicherung von Bild- und
Videodaten auf der Speicherkarte der Kamera gibt es nicht. Mithilfe einer MP4tauglichen Wiedergabesoftware des Computers können Bild- und Videodateien, die
sich auf der vom Computer als externes Laufwerk erkannten Speicherkarte befinden,
auf einem Monitor, der mit dem Computer verbunden ist, wiedergegeben werden.
Der Y-Anschluss ist eine speziell für X-Kameras entwickelte Schnittstelle zur
Datenübertragung auf einen als Zubehör erhältlichen LCD-Touchscreen, auf den die
Bild- und Videodateien, die sich auf der Speicherkarte befinden, gestreamt werden
können.
Nach dem Erlass der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 vom 08.08.2014
(ABl. EU L 240/12), der eine X Y „Modell-1“ zu Grunde lag, erließ der Beklagte die
Einspruchsentscheidung vom 20.08.2014, mit dem der Einspruch, soweit ihm nicht
abgeholfen worden war, als unbegründet zurückgewiesen wurde. Die Kameras
stellten Multifunktionsmaschinen im Sinne der Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI KN
dar. Die Hauptfunktion, nach der die ganze Multifunktionsmaschine einzureihen sei,
sei die eines Videokameraaufnahmegeräts. Dies ergebe sich aus den Erläuterungen
Nr. 11.3 bis 12.5 zur Position 8525 KN. Danach seien multifunktionale, digitale
Fotoapparate nicht als digitale Fotoapparate einzureihen, wenn sie bei Ausnutzung
der maximalen Speicherkapazität und einer Auflösung von mindestens 800 x 600
Pixel und 23 oder mehr Bildern pro Sekunde eine mindestens 30 Minuten lange
einzelne Videosequenz aufnehmen könnten. Dies sei bei den Kameras der Fall.
Dass die Videosequenzen ab einer bestimmten Länge auf der Speicherkarte in
mehreren Dateien gespeichert würden, habe keinen Einfluss auf die gesamte
Aufzeichnungsdauer. Innerhalb der Videokameraaufnahmegeräte seien die Kameras
als „andere“ Videokameraaufnahmegeräte einzureihen. Auf den Kameras könnten
nämlich Videodateien mit Ton gespeichert werden, die von einer angeschlossenen
Datenverarbeitungsmaschine über einen USB-Anschluss übertragen worden seien.
Dieser Vorgang der Speicherung von Videodateien stelle eine Aufzeichnung von
Bildern und Tönen im Sinne der Unterposition 8525 8099 KN dar. Dies ergebe sich
auch aus der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014. Dass sich die damit
eingereihte
Kamera
hinsichtlich
der
maximalen
Pixelzahl
von
den
streitgegenständlichen Kameras unterscheide, sei unerheblich, weil die für die
Einreihung maßgeblichen Merkmale identisch seien.
Die Klägerin hatte bereits am 17.04.2014 Untätigkeitsklage erhoben und trägt im
Wesentlichen vor: Die streitgegenständlichen Kameras seien als digitale
Fotoapparate einzureihen. Sie unterfielen dem Wortlaut der Unterposition 8525 8030
KN und hätten auch die in den Ziff. 11.0 bis 13.0 und 17.0 der Erläuterungen zur
Position 8525 des Harmonisierten Systems (HS) beschriebenen objektiven Merkmale
und Eigenschaften von digitalen Fotoapparaten. Auch die Erläuterungen zur
Unterposition 8525 8030 KN stünden einer Einreihung als digitale Fotoapparate nicht
entgegen. Die das Ganze kennzeichnete Haupttätigkeit im Sinne von Anmerkung 3
zu Abschnitt XVI KN sei die Verwendung als digitaler Fotoapparat. Die Kameras
würden im Wesentlichen zur Aufzeichnung von sportlichen Aktivitäten verwendet.
Wegen der Eigenarten dieser Motive handele es sich typischerweise um Aufnahmen
mit den voreinstellbaren Fotofunktionen oder Filmen von wenigen Minuten Dauer.
Die streitgegenständlichen Kameras seien auch nicht in der Lage, eine
Videosequenz von 30 Minuten Länge aufzunehmen. Videoaufnahmen würden
nämlich ab einer Dauer von 26 Minuten und vier Sekunden nicht in einer, sondern
mindestens in einer weiteren Datei mit gleicher maximaler Abspielzeit aufgezeichnet.
Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 sei zeitlich nicht anwendbar, da der
Antrag auf Erteilung von vZTAen lange vor ihrem Inkrafttreten gestellt worden sei.
Sie sei auch sachlich nicht anwendbar, weil die streitgegenständlichen Kameras
Merkmale hätten, die bei der Kamera, die der Durchführungsverordnung (EU) Nr.
876/2014 zu Grunde liege, nicht gegeben seien. Jeder tatsächliche Unterschied in
den Produkteigenschaften sei erheblich. Die Verordnung könne auch nicht – der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entsprechend – außerhalb ihres
Anwendungsbereichs als Indiz für die zutreffende Einreihung von Waren
herangezogen werden. Im Übrigen ändere die Verordnung das bestehende
Tarifrecht. Sie knüpfe nämlich daran an, dass bei der Gestellung Dateien von einem
PC über die USB-Schnittstelle auf das Gerät übertragen werden könnten. Da dies
nach dem gegenwärtigen Stand der Technik quasi alle digitalen Fotoapparate
könnten, stelle das Vorliegen einer USB-Schnittstelle keinen sachlichen
Differenzierungsgrund für die Einreihung mehr dar. Die Durchführungsverordnung
(EU) Nr. 1249/2011 (ABl. L 319/39) stehe ihrem Begehren ebenfalls nicht entgegen,
da sich die damit eingereihten Videorekorder im Taschenformat in wesentlichen
Punkten von den streitgegenständlichen Kameras unterschieden. Sofern die
Kameras zolltarifrechtlich Videokameraaufnahmegeräte seien, wären sie nach der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) mangels autonomer
Aufzeichnungsmöglichkeit von Signalen aus externen Quellen in die Unterposition
8525 8091 KN einzureihen. Nach dieser Rechtsprechung stelle die Möglichkeit,
Dateien von einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine über die USBSchnittstelle auf das Gerät zu übertragen, keine autonome Aufzeichnungsmöglichkeit
dar. Die Software der streitgegenständlichen Kameras erlaube weder die
Aufzeichnung eines Videosignals eines anderen elektronischen Gerätes noch die
Steuerung einer Übertragung (Kopieren) von Dateien von einem externen
Speichermedium auf die sich in der Kamera befindliche Speicherkarte. Durch eine an
die Kamera angeschlossene automatische Datenverarbeitungsmaschine könnten
zwar Dateien auf die in der Kamera befindliche Speicherkarte übertragen werden.
Dazu sei jedoch nicht die Kamera selbst, sondern nur die Speicherkarte erforderlich.
Bild- und Videodateien, die sich auf der Speicherkarte in der Kamera befänden,
könnten nur dann auf einem an die Kamera angeschlossenen Bildschirm angezeigt
und wiedergegeben werden, wenn die Bild- und Videodateien durch die Kamera
selbst erzeugt worden seien.
Die Klägerin beantragt,
den
Beklagten
unter
entsprechender
Aufhebung
der
verbindlichen
Zolltarifauskünfte vom 21.01.2013 Nr. DE-3, DE-5 bzw. DE-4, jeweils in Gestalt
der Einspruchsentscheidung vom 20.08.2014, zu verpflichten,
1. ihr eine vZTA zu erteilen, mit der die Y „Modell-3“ in die TARIC-Code-Nr. 8525
8030 00, hilfsweise Nr. 8525 8091 90 eingereiht wird;
2. ihr eine vZTA zu erteilen, mit der die Y „Modell-3 B“ in die TARIC-Code-Nr.
8525 8030 00, hilfsweise Nr. 8525 8091 90 eingereiht wird;
3. ihr eine vZTA zu erteilen, mit der die Y „Modell-3 A“ in die TARIC-Code-Nr.
8525 8030 00, hilfsweise Nr. 8525 8091 90 eingereiht wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf seinen bisherigen Vortrag und führt ergänzend aus: Dass
Videosequenzen ab einer Dauer von 26 Minuten und 4 Sekunden in einer separaten
Datei gespeichert würden, habe keinen Einfluss auf die gesamte
Aufzeichnungsdauer, weil die Aufzeichnung durch den Beginn einer Speicherung in
einer zweiten Datei nicht unterbrochen werde. Dieses Ergebnis werde auch von der
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 bestätigt. Das Fehlen der
Zoomfunktion sei nach der Erläuterung Nr. 11.8 zu Position 8525 KN kein
zwingendes Abgrenzungsmerkmal zwischen Videokamera und Fotoapparat. Die
Durchführungsverordnung verstoße schon deshalb nicht gegen das Zolltarifrecht,
weil sie nur klarstellende Wirkung habe. Auch aus inhaltlicher Sicht spreche nichts
gegen ihre Berücksichtigung, weil die in ihr beschriebene Kamera den
streitgegenständlichen Kameras sehr ähnlich sei.
II.
Der Senat setzt das Verfahren in analoger Anwendung des § 74 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) aus und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union
(EuGH) gemäß Art. 267 S. 1 Buchst. b) des Vertrages über die Arbeitsweise der
Europäischen Union (AEUV) die im Tenor genannten Fragen zur Vorabentscheidung
vor, weil die rechtliche Würdigung des Falles unionsrechtlich zweifelhaft ist.
1. Rechtlicher Rahmen
Nach Ansicht des Senats sind die im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung (dazu 1.1) in Betracht kommenden Unterpositionen 8525 8030, 8525
8091 und 8525 8099 der Kombinierten Nomenklatur (KN) mit ihren TARICUnterpositionen (dazu 1.2), die Erläuterungen zur KN zu diesen Unterpositionen
(dazu 1.3) sowie die Durchführungsverordnungen (EU) Nr. 1249/2011 und Nr.
876/2014 (dazu 1.4) für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung. Im
Einzelnen:
1.1 Nach mitgliedstaatlichem Verfahrensrecht handelt es sich bei der von der
Klägerin angestrebten Verpflichtung des Beklagten auf Erteilung von vZTAen –
Verwaltungsakten im Sinne des mitgliedstaatlichen Rechts – um eine
Verpflichtungsklage. Bei einer solchen Klage ist, sofern der Behörde – wie hier – kein
Ermessen eingeräumt ist, nach mitgliedstaatlichem Recht grundsätzlich auf die
Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen
(BFH, Urt. v. 06.08.2013, VII R 15/12, juris, Rn. 10; Lange, in:
Hübschmann/Hepp/Spitaler, 226. Ergänzungslieferung, Febr. 2014, § 101 FGO, Rn.
25; Brandis, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 138. Ergänzungslieferung, Okt. 2014, § 101
FGO, Rn. 8, jeweils mit weiteren Nachweisen). Weiter ist allerdings zu
berücksichtigen, dass es sich bei einer vZTA um einen Dauerverwaltungsakt handelt.
Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für ihren Erlass müssen während der
gesamten Gültigkeit (Art. 12 Abs. 4 S. 1 ZK) durchgängig vorliegen (siehe Art. 12
Abs. 5 Buchst. a) i) ZK). Da nach dem mitgliedstaatlichen Verwaltungsprozessrecht
im Falle des Erfolgs der Klage der Beklagte verpflichtet werden würde, die vZTAe mit
Wirkung zum ursprünglichen Erlassdatum neu zu erteilen, ist mithin die Rechtslage
im gesamten Zeitraum zwischen diesem Tag – dem 21.01.2013 – und dem Schluss
der mündlichen Verhandlung von Bedeutung. Damit gilt Anhang I der Verordnung
(EWG) Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den
Gemeinsamen Zolltarif vom 23.07.1987 (ABl. EG L 256/1) in den – für die hier
relevanten
Unterpositionen
gleichlautenden
–
Fassungen
der
Durchführungsverordnungen (EU) Nr. 927/2012 vom 09.10.2012 (ABl. EU L 304/1),
Nr. 1001/2013 vom 04.10.2013 (ABl. EU L 290/1) und Nr. 1101/2014 vom
16.10.2014 (ABl. EU L 312/1) sowie die hierauf aufbauenden Unterpositionen des
Integrierten Tarifs der Europäischen Gemeinschaften (TARIC) gemäß Art. 2
Verordnung (EWG) Nr. 2658/87.
1.2 Die relevanten Unterpositionen der Position 8525 KN lauten wie folgt:
8525 80
8525 8030
8525 8091
8525 8099
– Fernsehkameras, digitale Fotoapparate und Videokameraaufnahmegeräte
– – digitale Fotoapparate, vertragsmäßiger Zollsatz (%): frei
– – Videokameraaufnahmegeräte:
– – nur mit Aufzeichnungsmöglichkeit des durch die Kamera aufgenommenen Tons und Bildes, vertragsmäßiger Zollsatz (%): 4,9
– – – andere, vertragsmäßiger Zollsatz (%): 14
Die Unterposition 8525 8091 KN wird im TARIC wie folgt weiter untergliedert:
8525 8091 10 0
Kamera
- mit einem Gewicht von nicht mehr als 5,9 kg
- ohne Gehäuse
- mit Abmessungen von nicht mehr als 405 mm x 315 mm
- mit einem ladungsgekoppelten (CCD) Einzelsensorelement
oder einem CMOS-Sensor
- mit nicht mehr als 5 effektiven Megapixeln zur Verwendung in
CCTV-Überwachungssystemen
("closed
circuit
TV",
"geschlossene Fernsehsysteme") oder in Geräten zur
Augenkontrolle
8525 8091 90 0
andere
Die Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI KN lautet:
Soweit nichts anderes bestimmt ist, sind kombinierte Maschinen aus zwei oder mehr
Maschinen verschiedener Art, die zusammen arbeiten sollen und ein Ganzes bilden,
sowie Maschinen, die ihrer Beschaffenheit nach dazu bestimmt sind, zwei oder
mehrere verschiedene, sich abwechselnde oder ergänzende Tätigkeiten
(Funktionen) auszuführen, nach der das Ganze kennzeichnenden Haupttätigkeit
(Hauptfunktion) einzureihen.
1.3 Die Erläuterungen der Europäischen Kommission zur Kombinierten Nomenklatur
der Europäischen Union (ABl. EU 2015 C 76/1; im Folgenden: Erläuterungen) zu
digitalen Fotoapparaten (8525 8030 KN) lauten (Europäischer Zolltarif [EZT]-Nr. 11.7
und 11.8):
Digitale Fotoapparate
Digitale Fotoapparate dieser Unterposition können immer Fotos aufnehmen und sie
entweder auf einem internen Speichermedium oder einem Wechseldatenträger
speichern.
Das Design der meisten Fotoapparate dieser Unterposition entspricht dem
herkömmlicher Fotoapparate. Sie verfügen für gewöhnlich nicht über ein
aufklappbares Sucherdisplay.
Diese Fotoapparate verfügen zum Teil über
Videosequenzen aufgenommen werden können.
Videofunktionen,
mit
denen
Fotoapparate werden in diese Unterposition eingereiht, es sei denn sie sind in der
Lage, bei Ausnutzung der maximalen Speicherkapazität in einer Auflösung von 800 ×
600 Pixel (oder höher) bei 23 Bildern pro Sekunde (oder mehr) mindestens 30
Minuten einer einzelnen Videosequenz aufzunehmen.
Im Gegensatz zu den Videokameraaufnahmegeräten der Unterpositionen 8525 80
91 und 8525 80 99 bieten viele digitale Fotoapparate beim Gebrauch als
Videokamera keine optische Zoomfunktion während der Videoaufnahme.
Die Erläuterungen zu Videokameraaufnahmegeräten (Unterposition 8525 80 91 und
8525 80 99 KN) lauten (EZT-Nr. 12.2-12.5):
Videokameraaufnahmegeräte
Videokameraaufnahmegeräte
dieser
Unterpositionen
können
immer
Videosequenzen aufnehmen und entweder auf einem internen Speichermedium oder
einem Wechseldatenträger speichern.
Gewöhnlich unterscheidet sich das Design der Videokameraaufnahmegeräte dieser
Unterpositionen von dem der digitalen Fotoapparate der Unterposition 8525 80 30.
Sie verfügen oft über ein aufklappbares Sucherdisplay und häufig wird eine
Fernbedienung mitgeliefert. Während der Videoaufnahmen bieten sie immer eine
optische Zoomfunktion.
Diese Videokameraaufnahmegeräte können auch Fotos speichern.
Digitale Fotoapparate sind von diesen Unterpositionen ausgeschlossen, wenn sie
nicht in der Lage sind, bei Ausnutzung der maximalen Speicherkapazität in einer
Auflösung von 800 × 600 Pixel (oder höher) bei 23 Bildern pro Sekunde (oder mehr)
mindestens 30 Minuten einer einzelnen Videosequenz aufzuzeichnen.
Die Erläuterungen zu “andere“ Videokameraaufnahmegeräte (Unterposition 8525
8099 KN) lauten (EZT-Nr. 12.8 und 13.1):
Hierher gehören Videokameraaufnahmegeräte (sog. Camcorder) mit denen nicht nur
die von der Kamera aufgenommenen Töne und Bilder, sondern auch Signale
externer
Quellen
(z.
B.
von
DVD-Playern,
automatischen
Datenverarbeitungsmaschinen oder Fernsehempfangsgeräten) aufgezeichnet
werden können. Die aufgezeichneten Bilder können über ein externes
Fernsehempfangsgerät oder einen Monitor wiedergegeben werden. […]
Dagegen gehören „Camcorder“, mit denen nur die von der Kamera aufgenommenen
Bilder aufgezeichnet und über ein externes Fernsehempfangsgerät oder einen
externen Monitor wiedergegeben werden können, zu Unterposition 8525 80 91.
1.4 Zwei Verordnungen der Europäischen Kommission (Kommission) zur Einreihung
bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur sind für den Rechtsstreit von
Bedeutung. Mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 vom 29.11.2011
(ABl. EU L 319/39) wurden „Videorekorder im Taschenformat“ in die Unterposition
8525 8099 KN eingereiht. Warenbezeichnung und Begründung der Einreihung lauten
wie folgt:
Warenbezeichnung:
Tragbares batteriebetriebenes Gerät zum Aufnehmen und Aufzeichnen von
Videosequenzen mit Abmessungen von etwa 10 × 5,5 × 2 cm (sogenannter
„Videorekorder im Taschenformat“), bestehend aus:
-
einem Kameraobjektiv und einem Digital-Zoom,
einem Mikrofon,
einem Lautsprecher[,]
-
einer Flüssigkristallanzeige mit einer Diagonale von etwa 5 cm (2 Zoll),
einem Mikroprozessor,
einem Speicher mit einer Kapazität von 2 GB,
USB- und AV-Schnittstellen.
Das Gerät kann nur Videodateien als Bildsequenzen im Format MPEG4-AVI
aufnehmen und aufzeichnen. Die Aufzeichnung erfolgt mit einer Auflösung von 640 ×
480 Pixeln bei je 30 Bildern pro Sekunde mit einer Aufzeichnungsdauer von
maximal 2 Stunden.
Die mit dem Gerät aufgenommenen Videosequenzen können entweder ohne
Änderung des Formats der Videodateien über die USB-Schnittstelle an eine
automatische Datenverarbeitungsmaschine oder über die AV-Schnittstelle an einen
digitalen Videorekorder, einen Monitor oder ein Fernsehempfangsgerät gesendet
werden.
Videodateien können über die USB-Schnittstelle von einer
Datenverarbeitungsmaschine an das Gerät gesendet werden.
automatischen
Begründung:
Einreihung gemäß den Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der
Kombinierten Nomenklatur sowie nach dem Wortlaut der KN-Codes 8525, 8525 80
und 8525 80 99.
Da das Gerät nur Videosequenzen aufzeichnen kann, ist eine Einreihung in den KNCode 8525 80 30 als digitaler Fotoapparat ausgeschlossen. Seinen Merkmalen nach
ist das Gerät ein Videokameraaufnahmegerät.
Da das Gerät Videodateien aus anderen Quellen als der eingebauten
Fernsehkamera aufzeichnen kann, ist eine Einreihung in den KN-Code 8525 80 91
als Videokameraaufnahmegerät nur mit Aufzeichnungsmöglichkeit des durch die
Kamera aufgenommenen Tons und Bildes ausgeschlossen.
Die Ware ist daher als anderes Videokameraaufnahmegerät in den KN-Code 8525
80 99 einzureihen.
Mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 vom 08.08.2014 (ABl. EU L
240/12) wurde eine „Action-Cam“ ebenfalls in die Unterposition 8525 8099 KN
eingereiht. Warenbezeichnung und Begründung der Einreihung lauten wie folgt:
Warenbezeichnung:
Tragbares batteriebetriebenes Gerät zum Aufnehmen und Aufzeichnen von Fotos
und Videobildern (sogenannte „Action-Cam“) mit Abmessungen von etwa 6 × 4 × 2
cm und einem Gewicht von etwa 74 g, bestehend aus
-
einem Superweitwinkelobjektiv,
einem Flüssigkristall (LCD)-Statusanzeiger,
Micro-USB- und Micro-HDMI-Schnittstellen,
einem Einschub für eine Micro-SD-Karte,
integriertem WLAN,
-
einem Port für optionales Zubehör.
Das Gerät hat weder einen Zoom, einen Sucher, noch ein Display zur Anzeige von
aufgezeichneten Bildern. Das Gerät ist nicht zum Halten in der Hand, sondern zur
Befestigung beispielsweise an einem Helm bestimmt. Es ist für dynamische
Umgebungsaufnahmen bei Tätigkeiten im Freien wie Radfahren, Surfen und
Skifahren aufgemacht. Die Videoqualität kann in einem Bereich von 848 × 480 Pixel
bis 1 920 × 1 080 Pixel eingestellt werden.
Fotos können nur in einer Qualität von 5 Megapixel aufgezeichnet werden. Die
Fotoqualität (wie Bildschärfe, Farbe, Bildgestaltung) kann nicht am Gerät eingestellt
werden.
Das Gerät kann Videodateien im MPEG4-Format aufnehmen und aufzeichnen. Bei
voll aufgeladener Batterie ist die längste Videoaufzeichnung mit einer fortlaufenden
Dauer von bis zu 3 Stunden in einer Auflösung von 1 920 × 1 080 Pixel bei 30 Bildern
pro Sekunde möglich. Die Aufnahme kann nur vom Nutzer beendet werden. Die
aufgenommenen Videobilder werden in getrennten Dateien mit einer Dauer von
jeweils etwa 15 Minuten aufgezeichnet.
Bei
der
Gestellung
können
Dateien
von
einer
automatischen
Datenverarbeitungsmaschine über die USB-Schnittstelle auf das Gerät übertragen
werden.
Begründung:
Einreihung gemäß den Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der
Kombinierten Nomenklatur, Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI sowie dem Wortlaut der
KN-Codes 8525, 8525 80 und 8525 80 99.
Angesichts der objektiven Merkmale des Gerätes wie seiner geringen Größe und
seines geringen Gewichts, der Tatsache, dass es beispielsweise an einem Helm zu
befestigen ist, und seiner Fähigkeit, ein Video mit einer fortlaufenden Dauer von bis
zu 3 Stunden aufzuzeichnen, ist die Hauptfunktion der Kamera die Aufnahme von
Videobildern.
Obwohl das Gerät das Design eines digitalen Fotoapparats hat, kann es ein Video
mit einer fortlaufenden Dauer von bis zu 3 Stunden in einer Qualität von mindestens
800 × 600 Pixel bei 30 Bildern pro Sekunde aufzeichnen. Die Aufnahme wird nicht
automatisch nach 30 Minuten beendet (siehe auch die Erläuterungen zur
Kombinierten Nomenklatur zu den Unterpositionen 8525 80 30, 8525 80 91 und 8525
80 99). Die Tatsache, dass die aufgenommenen Videobilder in getrennten Dateien
mit einer Dauer von je etwa 15 Minuten aufgezeichnet werden, hat keinen Einfluss
auf die Fähigkeit der Kamera zur fortlaufenden Videoaufzeichnung. Eine Einreihung
in die Unterposition 8525 80 30 als digitaler Fotoapparat ist daher ausgeschlossen.
Da das Gerät Videodateien aus anderen Quellen als dem eingebauten
Kameraobjektiv aufzeichnen kann, ist eine Einreihung in den KN-Code 8525 80 91
als Videokameraaufnahmegerät nur mit Aufzeichnungsmöglichkeit des durch die
Kamera aufgenommenen Tons und Bildes ausgeschlossen.
Das Gerät ist daher als anderes Videokameraaufnahmegerät in den KN-Code 8525
80 99 einzureihen
2. Vorlagefrage 1
2.1 Entscheidungserheblichkeit
Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten zum Neuerlass von vZTAen,
mit denen die streitgegenständlichen Kameras in die Unterpositionen 8525 8030 KN
oder hilfsweise 8525 8091 KN eingereiht werden. Die Durchführungsverordnung
(EU) Nr. 1249/2011, mit der „Videorekorder im Taschenformat“ in die Unterposition
8525 8099 KN eingereiht werden, ist in zeitlicher Hinsicht für den gesamten
Zeitraum, für den geänderte vZTAe erteilt werden müssten, anwendbar, da sie am
22.12.2011 – und damit vor den im Januar 2013 bekannt gegebenen und von der
Klägerin angegriffenen vZTAen – in Kraft trat. Allerdings ist die
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 in sachlicher Hinsicht auf die
streitgegenständlichen Kameras nicht unmittelbar anwendbar. Diese Kameras sind
nämlich nicht mit dem im Anhang der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011
beschriebenen Produkt identisch, da die streitgegenständlichen Kameras nicht in
allen Merkmalen mit der dort enthaltenen Warenbeschreibung übereinstimmen, was
im Übrigen zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht. Es entspricht jedoch der
gefestigten Rechtsprechung des EuGH, dass angesichts des Normcharakters von
Tarifierungsverordnungen diese nicht nur auf identische, sondern auch auf solche
Produkte anzuwenden sind, die denjenigen entsprechen, die von der
Tarifierungsverordnung erfasst werden (EuGH, Urt. v. 13.07.2006, Rs. C-14/05,
Rn. 32 – Anagram). Sollte die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 auf die
streitgegenständlichen Kameras entsprechend anwendbar sein, was freilich nach
dem Dafürhalten des Senats zweifelhaft ist (hierzu unter 2.2.1), könnte der Senat
eine Einreihung der streitgegenständlichen Kameras in die begehrten
Unterpositionen 8525 8030 KN oder hilfsweise 8525 8091 KN nicht vornehmen. Als
eine gegenüber der KN speziellere Regelung mit Normcharakter (EuGH, Urt. v.
13.07.2006, C-14/05, Rn. 29 – Anagram), durch die die Einreihung der von ihr
erfassten Produkte verbindlich geregelt wird, wäre die Durchführungsverordnung
(EU) Nr. 1249/2011 nämlich vorrangig heranzuziehen. Der beschließende Senat hat
allerdings Zweifel, ob die in der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 zum
Ausdruck kommende Lesart zur Auslegung des Begriffs „Aufzeichnungsmöglichkeit“
im Sinne der Unterposition 8525 8091 KN der Auslegung dieses Begriffs durch den
EuGH entspricht (hierzu unter 2.2.2), so dass sich die weitere Frage der Gültigkeit
der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 stellt. Als mitgliedstaatliches
Gericht ist der beschließende Senat nicht befugt, Handlungen von Unionsorganen,
zu denen auch Durchführungsverordnungen der Kommission gehören, selbst für
ungültig zu erklären (EuGH, Urt. v. 22.10.1987, Rs. 314/85, Slg. 1987, 4225, 4231
[Rn. 13] – Foto-Frost; bestätigt durch Urt. v. 06.12.2005, Rs. C-461/03, Rn. 21 –
Gaston Schul Douane-expediteur BV; Urt. v. 10.01.2006, Rs. C-344/04, Rn. 30 –
International
Air
Transport
Association).
Ungültig
wäre
eine
Durchführungsverordnung, die unionales Tertiärrecht darstellt, wenn sie gegen den
Wortlaut der KN – einer unionsrechtlichen Sekundärverordnung – in der
verbindlichen Auslegung des EuGH verstieße (vgl. Lux, in: Dorsch, Zollrecht, 95. EL,
Mai 2004, VO KN, Einführung, Rn. 154). Dies zu prüfen, obliegt allein dem EuGH.
Eine Vorlage ist im Streitfall nicht deshalb entbehrlich, weil der EuGH in seinem Urteil
vom 05.03.2015 (Rs. C-178/14 – Vario Tek) bei der Beantwortung der zweiten
Vorlagefrage
die
Gelegenheit
hatte,
sein
Verständnis
des
Begriffs
„Aufzeichnungsmöglichkeit“ zu konkretisieren, und die Durchführungsverordnung
(EU) Nr. 1249/2011 zu diesem Zeitpunkt bereits in Kraft war. Die dort gestellten
Vorlagefragen befassten sich nämlich nicht mit dem Verhältnis der
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 zum Wortlaut der KN, weil das
vorlegende Gericht insoweit keinen Widerspruch gesehen hatte.
2.2 Rechtliche Erwägungen des Senats
Es ist zweifelhaft, ob die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 auf die
streitgegenständlichen Kameras entsprechend anwendbar (dazu 2.2.1) und – sofern
diese Frage bejaht wird – gültig ist (dazu 2.2.2).
2.2.1 Sachliche Anwendbarkeit
Wie bereits ausgeführt, sind nach der Rechtsprechung des EuGH
Tarifierungsverordnungen aufgrund ihres Normcharakters nicht nur auf identische,
sondern auch auf solche Produkte anzuwenden, die denjenigen entsprechen, die von
der Verordnung erfasst werden (EuGH, Urt. v. 13.07.2006, Rs. C-14/05, Rn. 32 –
Anagram). Unionsrechtlich zweifelhaft ist allerdings, wann zwei Produkte einander
„entsprechen“ oder – in den Worten des Generalanwalts Mengozzi – „austauschbar“
(verb. Rs. C-362/07 und C-363/07, Schlussanträge v. 17.07.2008, Rn. 98 – Kip
Europe/Hewlett Packard) sind. Die Produkteigenschaften können rein tatsächlich
verglichen oder normativ gewichtig gegenübergestellt werden. Bei einer rein
tatsächlichen Betrachtung dürften die streitgegenständlichen Kameras schon
deshalb nicht einem „Videorekorder im Taschenformat“ entsprechen, weil Erstere
auch über eine Fotofunktion verfügen. Dies ist ein gewichtiger tatsächlicher
Unterschied, der die Einsatzmöglichkeiten der beiden Produkte maßgeblich prägt.
Durch die unterschiedlichen Funktionen sind sie aus Verbrauchersicht nicht
substituierbar und stehen daher nicht im direkten Wettbewerb. Außerdem verfügen
die „Videorekorder im Taschenformat“ ausweislich der Warenbezeichnung im
Anhang der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 – anders als die
streitgegenständlichen Kameras – über einen Digital-Zoom, einen Lautsprecher und
einen internen Speicher. Sie unterscheiden sich auch im Hinblick auf die Größe der
LCD-Anzeige und die Auflösung bei Videoaufnahmen mit 30 Bildern pro Sekunde.
Bei dem ebenfalls in Betracht kommenden normativen Ansatz könnte eine solche
Gewichtung dergestalt erfolgen, dass Produktmerkmale, die zolltarifrechtlich
irrelevant sind, bei einem Vergleich außer Betracht bleiben. In diesem Sinne könnte
die Rn. 34 der Anagram-Entscheidung (Urt. v. 13.07.2006, C-14/05) zu verstehen
sein, die auf die Begründung zur Einreihung der unter Ziff. 3 im Anhang der
Verordnung (EG) Nr. 442/2000 der Kommission vom 25.02.2000 zur Einreihung von
bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. EG L 54/33) genannten
Luftballons Bezug nimmt. Danach bleibt die Möglichkeit, die mit dieser Verordnung
eingereihten Luftballons mit unterschiedlichen Motiven zu bedrucken, außer
Betracht, weil dies die Einreihung als Spielzeugballon nicht beeinflusst. Überträgt
man diesen Gedanken auf den vorliegenden Fall, müssten bei einem Vergleich der
beiden Produkte alle Merkmale außer Betracht bleiben, die für die Einreihung nicht
relevant sind, was auf den Digital-Zoom, den Lautsprecher und den internen
Speicher zutreffen dürfte. Es fragt sich darüber hinaus, ob bei einem normativen
Vergleich der Produkte bzw. ihrer Eigenschaften auch die Fotofunktion der
streitgegenständlichen Kameras unberücksichtigt zu bleiben hat. Die Beantwortung
dieser Frage dürfte wesentlich davon abhängen, wie bei den streitgegenständlichen
Kameras, die sowohl Fotos aufnehmen als auch Videos aufzeichnen können, deren
Hauptfunktion im Sinne der Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI KN zu bestimmen ist.
Insoweit bieten die Erläuterungen wichtige Anhaltspunkte und Abgrenzungskriterien,
lassen indes – wie aus der Vorlagefrage 3 ersichtlich wird – bezogen auf den
Streitfall kein zweifelsfreies Ergebnis zu. Sollte der EuGH im Rahmen der
Beantwortung der Vorlagefrage 3 erkennen, dass der Umstand, dass die von den
streitgegenständlichen Kameras aufgenommenen Videobilder in getrennten Dateien
mit einer Dauer von 26 Minuten und 3 Sekunden aufgezeichnet werden, keinen
Einfluss auf die Fähigkeit der Kameras zur fortlaufenden Videoaufzeichnung hat, und
dass deshalb die Hauptfunktion der Kameras die Aufnahme von Videobildern
darstellt, dürfte im Streitfall eine Vergleichbarkeit der Kameras des
Ausgangsverfahrens mit den von der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011
erfassten „Videorekorder im Taschenformat“ zu bejahen sein, weil bei einem
normativ gewichteten Vergleich die Fotofunktion als nicht einreihungsrelevant außer
Betracht bliebe.
2.2.2 Gültigkeit
Für den Fall, dass die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 auf die
streitgegenständlichen Kameras anwendbar sein sollte, hat der Senat Zweifel, ob die
in dieser Verordnung zum Ausdruck kommende Lesart des Begriffs der „anderen
Aufzeichnungsmöglichkeit“ im Sinne der Unterposition 8525 8099 KN mit der
Auslegung dieses Begriffs durch den EuGH zu vereinbaren ist.
2.2.2.1 Die im Anhang der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011
beschriebene Kamera kann „Videodateien aus anderen Quellen als der eingebauten
Fernsehkamera aufzeichnen“, weil „Videodateien […] über die USB-Schnittstelle von
einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine an das Gerät gesendet werden“
können. Nach dieser Verordnung wird folglich die Übertragung von Dateien auf die
Kamera, die von einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine gesteuert wird,
als „Aufzeichnungsmöglichkeit“ verstanden, die eine Einreihung in die Unterposition
8525 8091 KN ausschließt. Oder mit anderen Worten: Können auf der Kamera über
eine USB-Schnittstelle mit Hilfe einer externen Datenverarbeitungsmaschine
Videodateien gespeichert werden, handelt es sich nach der in der
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 zum Ausdruck kommenden
Auffassung der Kommission um ein Videokameraaufnahmegerät, das als „anderes
Videokameraaufnahmegerät“ in die Unterposition 8525 8099 KN einzureihen ist;
darauf, ob die Kamera auch selbst in der Lage ist, Videodateien von externen
Signalquellen zu speichern, kommt es nicht an.
2.2.2.2 Die Rechtsprechung des EuGH zur autonomen Aufzeichnungsmöglichkeit im
Sinne der Unterposition 8525 8099 KN versteht der erkennende Senat wie folgt:
Hinsichtlich der Abgrenzung zwischen den Unterpositionen 8525 8091 und 8525
8099 KN hat der EuGH bereits mit Urteil vom 27.09.2007 (verb. Rs. C-208/06 und C209/06 – Medion/Canon) entschieden, dass es entscheidend darauf ankomme, ob
das Gerät über eine dv-in-Funktion verfüge. Der EuGH hat ausgeführt (Rn. 39-41
des Urteils [Hervorhebung durch den vorlegenden Senat]):
„39. Aus den Erläuterungen zur KN ergibt sich, dass der Unterschied zwischen
den Camcordern der Unterposition 8525 40 91 [heute 8525 8091] und denen der
Unterposition 8525 40 99 [heute 8525 8099] in der Fähigkeit der letztgenannten
Geräte liegt, nicht nur mittels der eingebauten Kamera oder des eingebauten
Mikrofons Ton- und Bildaufnahmen zu machen, sondern solche Aufnahmen auch
dann aufzeichnen zu können, wenn sie aus anderen Quellen als der eingebauten
Kamera oder dem eingebauten Mikrofon stammen. Das wesentliche Merkmal
eines Camcorders der Unterposition 8525 40 99 ist also insbesondere die „dv-in“Funktion, d. h. seine Fähigkeit, extern eingehende Videosignale aufzuzeichnen.
40. Der Benutzer kann auf diese Fähigkeit unmittelbar zugreifen, wenn der
Hersteller eine leichte Aktivierung der „dv-in“-Funktion dadurch vorgesehen hat,
dass sie in der dem Käufer beim Kauf des Geräts zur Verfügung gestellten
Bedienungsanleitung
erläutert
wird.
Wird
dieser
Vorgang
in
der
Bedienungsanleitung nicht behandelt, ist die „dv-in“-Funktion nur dann ein
wesentliches Merkmal des Camcorders, wenn die Einstellung von einem Benutzer
ohne besondere Fähigkeiten leicht vorgenommen werden kann, ohne dass der
Camcorder materiell verändert wird. Es ist daher unerlässlich, dass die Camcorder
vor der Freischaltung der „dv-in“-Funktion über eine die Hauptmerkmale dieser
Funktion aufweisende Struktur verfügen und dass die Elemente, die deren
Aktivierung ermöglichen, nicht durch externes Material hinzugefügt werden
müssen.
41. Im Übrigen setzt die Einreihung des Camcorders in die Unterposition 8525 40
99 voraus, dass der Camcorder, nachdem der Eingriff vorgenommen und die „dvin“-Funktion freigeschaltet wurde, in der gleichen Weise wie ein anderer
Camcorder funktioniert, bei dem die „dv-in“-Funktion ausdrücklich vorgesehen ist.
Vor allem muss dieser Camcorder wie Letzterer verwendet werden können, um
autonom und unabhängig von externem Material oder externer Software von
außen eingehende Videosignale aufzeichnen zu können.“
Nach Auffassung des Senats stellt der EuGH in Rn. 39 des Urteils zunächst fest,
dass ein Videokameraaufnahmegerät Aufnahmen aus anderen Quellen dann
aufzeichnen kann, wenn es über eine dv-in-Funktion verfügt. Damit beantwortet der
EuGH die maßgebliche Frage noch nicht, sondern formuliert sie dahin gehend um,
dass es auf das Vorhandensein der dv-in-Funktion ankomme. In den folgenden
beiden Randnummern befasst sich der EuGH sodann mit zwei separaten
Bedingungen, die die dv-in- Funktion erfüllen muss. Zunächst geht es in Rn. 40 um
die Freischaltung einer bei Gestellung nicht aktivierten dv-in-Funktion. Dieser
Problemkreis ist im vorliegenden Fall nicht von Bedeutung, da man offensichtlich
keine besonderen technischen Fähigkeiten braucht, um die Kameras mittels eines
USB-Kabels an eine automatische Datenverarbeitungsmaschine anzuschließen. In
Rn. 41 des Urteils dürfte der EuGH jedoch ein weiteres („Im Übrigen …“) Kriterium
für die dv-in-Funktion aufgestellt haben. Sie muss so ausgestaltet sein, dass von
außen eingehende Videosignale „autonom und unabhängig von externem Material
oder externer Software“ aufgezeichnet werden. Der Senat versteht diese Passage in
dem Sinne, dass der Aufzeichnungsvorgang vom Videokameraaufnahmegerät selbst
gesteuert werden muss. Dieser Vorgang muss vergleichbar sein mit der – vor
Markteinführung der digitalen Halbleiterspeicher gängigen – (digitalen oder
analogen) Aufzeichnung auf Magnetbänder. Diese Rechtsprechung dürfte der EuGH
in seinem Urteil vom 05.06.2008 (Rs. C-312/07– JVC France) durch Bezugnahme
auf die Entscheidung Medion/Canon bestätigt haben (Rn. 26 f. des Urteils).
In Anwendung dieser Rechtsprechung hat der Senat bereits mit Urteil vom
19.04.2011 (4 K 289/09, juris) – vor Erlass der beiden Durchführungsverordnungen –
entschieden, dass ein Videokameraaufnahmegerät, das bei einer Verbindung mit
einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine nicht mehr bedient werden kann
(sog. Slave Modus), Daten, die von einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine übertragen werden, nicht autonom aufzeichnet im Sinne der Unterposition
8525 8099 KN.
Auf eine weitere Vorlage des Finanzgerichts Düsseldorf hat der EuGH mit Urteil vom
05.03.2015 (Rs. C-178/14 – Vario Tek) nach Lesart des Senats seine
Rechtsprechung bekräftigt. Unter Bezugnahme auf die Rn. 39 und 41 des
Medion/Canon-Urteils verweist der EuGH erneut auf das Erfordernis der dv-inFunktion, d. h. die Fähigkeit, extern eingehende Videosignale aufzeichnen zu können
(Rn. 32). Hierbei sei erforderlich (Rn. 32),
„dass diese Camcorder für die Aufzeichnung extern eingehender Videosignale
autonom verwendet werden können, d. h. unabhängig von Software- oder
Hardware-Elementen, die nicht Teil der Originalausstattung sind.“
Damit dürfte der EuGH das in Rn. 41 des Medion/Canon-Urteils aufgestellte
Kriterium der autonomen Aufzeichnungsfähigkeit bestätigt haben.
2.2.2.3
Nach
Auffassung
des
vorlegenden
Senats
verstößt
die
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 gegen den Wortlaut der
Unterpositionen 8525 80 99 i. V. m. 8525 8091 KN in der dargestellten Auslegung
durch den EuGH. Zwar hat nach der Rechtsprechung des EuGH die Kommission ein
weites Ermessen bei der näheren Bestimmung des Inhalts der Tarifpositionen, die für
die Einreihung einer bestimmten Ware in Frage kommen. Dennoch hat die
Kommission aufgrund ihrer Befugnis zum Erlass von Maßnahmen gemäß Art. 9 der
Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 nicht das Recht, den Inhalt oder die Tragweite der
Tarifpositionen zu ändern (EuGH, Urt. v. 04.03.2004, Rs. C-130/02, Rn. 26 – Krings;
Urt. v. 13.12.1994, Rs. C-401/93, Rn. 19 m. w. N. – Goldstar). In Fällen, in denen es
nicht um die Auslegung eines HS-Codes – hier die Unterposition 8525 80 HS 2012
(„Television cameras, digital cameras and video camera recorders“) – sondern um
die Festlegung der richtigen achtstelligen Unterposition der KN, für die allein
Unionsrecht maßgeblich ist, geht, ist der Handlungsspielraum der Kommission
jedenfalls dann überschritten, wenn der Widerspruch zum Wortlaut der KN
offensichtlich ist (EuGH, Urt. v. 13.12.1994, Rs. C-401/93, Rn. 20 – Goldstar:
„offensichtliche[r] Beurteilungsfehler“; Schlussanträge des GA Jacobs v. 01.02.2001,
Rs. C-463/98, Rn. 84 – Cabletron, zustimmend zitiert in EuGH, Urt. v. 10.05.2001,
Rs. C-463/98, Rn. 21 f. – Cabletron).
Dies dürfte nach dem Verständnis des Senats vorliegend der Fall sein. Unter
Anwendung der soeben dargestellten Kriterien dürfte die von einer automatischen
Datenverarbeitungsmaschine gesteuerte Übertragung von Videodateien – die auf ihr
(oder auf einem mit ihr verbundenen Datenträger) gespeichert sind – auf eine
Kamera nicht als „Aufzeichnungsmöglichkeit“ im Sinne der Unterposition 8525 8099
KN angesehen werden. Dieser Vorgang erfüllt nämlich offensichtlich nicht die
dargestellten Voraussetzungen einer dv-in-Funktion. Die Kameras erfüllen nur die
Funktion eines Gehäuses für den Datenspeicher, mit dem er an eine elektronische
Datenverarbeitungsmaschine
angeschlossen
wird,
von
der
aus
die
Datenübertragung gesteuert wird. Die Datenübertragung auf die Kameras erfolgt
auch nicht unabhängig von Material oder Software, die aus Sicht der Kamera extern
ist. Die Übertragung findet nämlich mithilfe eines auf der elektronischen
Datenverarbeitungsmaschine installierten Dateiverwaltungsprogramms (z. B.
Windows-Explorer) statt. Diese Software erkennt die Kamera mit dem darin
befindlichen Speicher als externes Laufwerk. Nur so ist der Zugriff von der
elektronischen Datenverarbeitungsmaschine auf das in der Kamera befindliche
Speichermedium möglich. Die Datenübertragung erfolgt durch das Verschieben oder
Kopieren einer Videodatei auf das Speichermedium in der Kamera durch Bedienen
des Dateiverwaltungsprogramms der elektronischen Datenverarbeitungsmaschine.
Die streitgegenständlichen Kameras verfügen in ihrer Originalausstattung auch nicht
über Hardware oder Software, die es ihnen ermöglicht, selbsttätig externe
Videosignale aufzuzeichnen.
3. Vorlagefrage 2
3.1 Entscheidungserheblichkeit
Sofern die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 unanwendbar oder
ungültig sein sollte, hängt der Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits zumindest
teilweise – was noch auszuführen sein wird – davon ab, ob die
Durchführungsverordnung
(EU)
Nr.
876/2014
einer
Einreihung
der
streitgegenständlichen Kameras in die Unterpositionen 8525 8030 KN oder
hilfsweise 8525 8091 KN entgegensteht.
Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014, mit der sog. Action-Cams in die
Unterposition 8525 8099 KN eingereiht werden, ist in zeitlicher Hinsicht auf den
Ausgangsrechtsstreit ab dem 02.09.2014, dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens (vgl.
Art. 3), anwendbar. Zwar liegt dieser Verordnung die Kamera X Y „Modell-1“
zugrunde, die – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – mit den hier
streitgegenständlichen Kameras des „Modell-3“ nicht identisch ist. Sollte diese
Verordnung allerdings auf die streitgegenständlichen Kameras des „Modell-3“
entsprechend anwendbar und auch gültig sein, könnte der Senat eine Einreihung der
streitgegenständlichen Kameras in die begehrte Unterposition 8525 8030 KN bzw.
hilfsweise 8525 8091 KN jedenfalls für den Zeitraum ab dem 02.09.2014 bis zum
Schluss der noch ausstehenden letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat
nicht vornehmen. Da Einreihungsverordnungen nicht rückwirkend angewandt werden
dürfen (EuGH, Urt. v. 17.07.2014, Rs. C-472/12, Rn. 58 – Panasonic/Scerni
Logistics; Urt. v. 24.11.1971, Rs. 30/71, Slg. 1971, 920, 928 [Rn. 8] – Siemers; Urt. v.
15.12.1971, Rs. 77/71, Slg. 1971, 1128, 1137 [Rn. 8] – Gervais-Danone; Urt. v.
28.03.1979, Rs. 158/78, Slg. 1979, 1104, 1119 [Rn. 11] – Biegi), wäre der Senat
lediglich für die Zeit zwischen dem 21.01.2013 – dem Erlass der von der Klägerin
angegriffenen vZTAe durch den Beklagten – und dem 01.09.2014 durch die
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 nicht gehindert, eine Verpflichtung des
Beklagten zum Neuerlass von vZTAen auszusprechen, mit denen die
streitgegenständlichen Kameras in die Unterpositionen 8525 8030 KN oder
hilfsweise 8525 8091 KN eingereiht werden.
3.2 Rechtliche Erwägungen des Senats
Es ist zweifelhaft, ob die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 auf die
streitgegenständlichen Kameras entsprechend anwendbar (dazu 3.2.1) und gültig ist
(dazu 3.2.2).
3.2.1 Sachliche Anwendbarkeit
Der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 lag – wie bereits vorstehend
bemerkt – die Kamera X Y „Modell-1“ zugrunde. Die im Ausgangsverfahren
streitgegenständlichen Kameras des „Modell-3“ unterscheiden sich von dem Produkt
des „Modell-1“, denn sie können
-
-
nicht nur zur Befestigung an einem Gegenstand, sondern auch durch Halten in
der Hand benutzt werden,
Videos bei voll aufgeladener Batterie nur bis ca. 120 Minuten, jedoch mit einer
Auflösung von bis zu 3.840 x 2.160 Pixel aufzeichnen, wobei die Videodateien
nicht jeweils 15 Minuten, sondern 26 Minuten und 3 Sekunden lang sind,
Fotos mit einer Qualität von bis zu zwölf Megapixel machen,
die Fotoqualität mittels der XX-Software steuern sowie
die Aufnahme bei entsprechender Einstellung auch automatisch beenden
(Schriftsatz des Klägervertreters vom 17.06.2015, Rn. 56, Spiegelstriche 1-7).
Vor dem Hintergrund der in der Warenbeschreibung der Durchführungsverordnung
(EU) Nr. 876/2014 enthaltenen Merkmale neigt der beschließende Senat der
Auffassung zu, dass die vorstehend beschriebenen Unterschiede einer
entsprechenden Anwendung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 auf
die streitgegenständlichen Kameras nicht entgegenstehen, da diese im Rahmen des
anzustellenden Produktvergleichs weder bei einer tatsächlichen Betrachtung noch
bei einer normativen Gewichtung (vgl. hierzu bereits oben 2.2.1) erheblich sein
dürften. Allerdings ließe sich auch mit der Klägerin die Ansicht vertreten, dass bereits
jeder tatsächliche Unterschied in den Produkteigenschaften, sofern dieser nicht nur
marginaler Art ist, eine entsprechenden Anwendung der Durchführungsverordnung
(EU) Nr. 876/2014 auf die streitgegenständlichen Kameras des „Modell-3“
ausschließe.
3.2.2 Gültigkeit
Sollte
die
Durchführungsverordnung
(EU)
Nr.
876/2014
auf
die
streitgegenständlichen Kameras anwendbar sein, hat der Senat Zweifel, ob die
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 aus den unter 2.2.2 dargelegten
Gründen gültig ist. Denn die von dieser Verordnung erfasste Kamera soll ausweislich
der im Anhang enthaltenen Begründung deshalb „Videodateien aus anderen Quellen
als dem eingebauten Kameraobjektiv aufzeichnen“ können, weil bei der
„Gestellung […] Dateien von einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine über
die USB-Schnittstelle auf das Gerät übertragen werden“ können. Die von einer
automatischen Datenverarbeitungsmaschine gesteuerte Übertragung von Dateien
auf die Kamera wird damit als „Aufzeichnungsmöglichkeit“ angesehen, die eine
Einreihung in die Unterposition 8525 8091 KN ausschließt. Dieses Verständnis der
Kommission vom Begriff der „anderen Aufzeichnungsmöglichkeit“ im Sinne der
Unterposition 8525 8099 KN dürfte nach dem Dafürhalten des Senats von der
Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung dieses Begriffs abweichen. Ein weiteres
Bedenken kommt hinzu: Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 könnte
auch deshalb ungültig sein, weil sie nicht berücksichtigt, dass die von ihr erfassten
Kameras nicht dazu in der Lage sind, aus externen Quellen stammende
Videodateien über einen angeschlossenen Bildschirm wiederzugeben. Zwar kommt
es nach dem Wortlaut der Unterposition 8525 8099 KN einzig auf die
Aufzeichnungsmöglichkeit der Kamera an. Die Erläuterungen zu dieser Unterposition
verlangen jedoch zusätzlich, dass die aus externen Quellen aufgenommenen Bilder
auch über ein externes Fernsehempfangsgerät oder einen Monitor wiedergegeben
werden können. Die Erläuterungen können zwar für sich genommen nicht zur
Ungültigkeit einer Einreihungsverordnung führen, da sie nicht verbindlich sind
(EuGH, Urt. v. 20.11.2014, Rs. C-666/13, Rn. 25 – Rohm Semiconductor; Urt. v.
17.07.2014, Rs. C-480/13, Rn. 30 m. w. N. – Sysmex Europe) und somit kein
höherrangiges Recht darstellen, an dem sich eine Durchführungsverordnung messen
lassen müsste. Der EuGH hat jedoch in Rn. 37 der Entscheidung Vario Tek (Urt. v.
05.03.2015, Rs. C-178/14) ausdrücklich auf diese Erläuterungen hingewiesen. Dies
könnte man so verstehen, dass die Fähigkeit zur Wiedergabe der aufgenommenen
Dateien ein konstitutives Merkmal für die Einreihung in die Unterposition 8525 8099
KN darstellt, d. h. die Fähigkeit zur Wiedergabe aufgenommener Dateien im Begriff
der „Aufzeichnungsmöglichkeit“ im Sinne der Unterposition 8525 8099 KN enthalten
ist. Hierzu würde auch passen, dass der EuGH im selben Urteil (Rn. 33) darauf
hinweist, dass eine rein theoretische Verwendungsmöglichkeit zolltarifrechtlich außer
Betracht bleibt. Dies könnte in dem Sinne verstanden werden, dass die
Aufzeichnungsmöglichkeit dann eine nur theoretische – und damit tarifrechtlich
unbeachtliche – Verwendungsmöglichkeit ist, wenn die Wiedergabe der
aufgezeichneten Daten über das Gerät nicht möglich ist.
4. Vorlagefrage 3
4.1 Entscheidungserheblichkeit
Sollte die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 nicht anwendbar oder nicht
gültig sein (Vorlagefrage 1), müsste abhängig von der Beantwortung der
Vorlagefrage 2 entweder bezüglich des gesamten Zeitraumes zwischen dem
21.01.2013 und der noch ausstehenden letzten mündlichen Verhandlung vor dem
Senat – sofern die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 nicht anwendbar
oder nicht gültig ist – oder jedenfalls bezüglich des Zeitraumes vom 21.01.2013 bis
01.09.2014 – sofern die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 anwendbar
und gültig ist – über die Einreihung der streitgegenständlichen Kameras ohne
Berücksichtigung einer Einreihungsverordnung entschieden werden. Außerhalb des
Anwendungsbereichs einer Einreihungsverordnung ist zunächst zweifelhaft, ob es
sich bei den streitgegenständlichen Kameras um digitale Fotoapparate (Unterposition
8525 8030 KN) oder um Videokameraaufnahmegeräte (Unterpositionen 8525 8091
und 8525 8099 KN) handelt. Da die Kameras Foto- und Videodateien aufnehmen
können, ist die Einreihung nach Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI KN nach der
Hauptfunktion vorzunehmen. In den Erläuterungen zur Unterposition 8525 8030 KN
heißt es insoweit einerseits, dass im Gegensatz zu den Videokameraaufnahmegeräten der Unterpositionen 8525 80 91 und 8525 8099 KN „viele digitale
Fotoapparate beim Gebrauch der Videokamera kein optisches Zoom während der
Videoaufnahme“ bieten. In Konsequenz dieser Erläuterung hat die Kommission zum
anderen in den Erläuterungen der Unterpositionen 8525 8091 und 8525 8099 KN
formuliert, dass Videoaufnahmegeräte „während der Aufnahme […] immer eine
optische Zoomfunktion“ bieten. Dass die streitgegenständlichen Kameras über keine
Zoomfunktion verfügen, steht indes – wie der EuGH bereits entschieden hat – trotz
der insoweit anderslautenden Erläuterungen zu den Unterpositionen 8525 8091 und
8525 8099 KN, die zwar ein wichtiges, jedoch kein rechtsverbindliches Hilfsmittel für
die Auslegung der einzelnen Tarifposition sind, ihrer Einreihung in die
Unterpositionen 8525 8091 oder 8525 8099 KN nicht entgegen (EuGH, Urt. v.
05.03.2015, C-178/14, Rn. 29 – Vario Tek).
Die Erläuterungen weisen indes ein weiteres zwingendes Abgrenzungskriterium auf,
das im Streitfall eine Einreihung der Kameras in die Unterpositionen 8525 8091 und
8525 8099 KN ausschließen könnte. In den Erläuterungen zu diesen Unterpositionen
heißt es, dass Apparate von diesen „Unterpositionen ausgeschlossen sind, wenn sie
nicht in der Lage sind, bei Ausnutzung der maximalen Speicherkapazität in einer
Auflösung von 800 x 600 Pixel (oder höher) bei 23 Bildern pro Sekunde (oder mehr)
mindestens 30 Minuten einer einzelnen Videosequenz aufzuzeichnen.“ Die
Auslegung dieses Abgrenzungstopos ist nicht eindeutig. Die streitgegenständlichen
Kameras sind zwar in der Lage, mit der genannten Auflösung und Bilderanzahl
Videosequenzen aufzunehmen. Allerdings werden die aufgenommenen Videodaten
ab einer Dauer von 26 Minuten und vier Sekunden nicht mehr in einer, sondern in
mindestens einer weiteren Datei gespeichert, was der Fähigkeit der Kamera zur
fortlaufenden Videoaufzeichnung im Sinne der Erläuterungen entgegenstehen
könnte.
4.2 Rechtliche Erwägungen des Senats
4.2.1 Der EuGH ist für die Auslegung der Erläuterungen zuständig, auch wenn diese
nicht rechtsverbindlich sind. Der EuGH hat entschieden, dass er über die Gültigkeit
und die Auslegung der Handlungen der Organe der Union ohne jede Ausnahme im
Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens entscheiden darf (EuGH, Urt. v.
13.12.1989, Rs. 322/88, Slg. 1989, 4407, Rn. 8 – Grimaldi). Hierzu gehört auch die
Auslegung der Erläuterungen (EuGH, Urt. v. 05.06.2008, Rs. C-312/07, Rn. 33-37 –
JVC France).
4.2.2 Der beschließende Senat neigt der Auffassung zu, dass eine „einzelne
Videosequenz“ von mindestens 30 Minuten Dauer auch dann vorliegt, wenn die
Aufzeichnung in mehreren, jeweils kürzeren Videodateien erfolgt, sofern – wie hier –
der Betrachter beim Abspielen der aufgenommenen Videodateien den Wechsel von
einer zur anderen Videodatei nicht bemerkt. Da maßgeblich ist, was in den Augen
der Verbrauchers die Haupt- und die Zusatzfunktion ausmacht (EuGH, Urt. v.
05.03.2015, Rs. C-178/14, Rn. 24 m. w. N. – Vario Tek; EuGH, Urt. v. 14.04.2011,
verb. Rs. C-288/09 und C-289/09, Rn. 76 m. w. N. – Britisch Sky Broadcasting
Europe/Pace), dürfte es nicht auf die Dateistruktur ankommen, in der die
Videoaufnahme gespeichert wird, sondern darauf, ob die aufgenommene
Videosequenz in einer Weise wiedergegeben werden kann, dass ein Betrachter den
Eindruck gewinnt, eine mindestens 30-minütige ununterbrochene Videoaufzeichnung
zu sehen. Dieses Verständnis dürfte auch der Ansicht der Kommission entsprechen,
die in der Begründung des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) Nr.
876/2014 ausgeführt hat, dass „die Tatsache, dass die [von der Action-Cam]
aufgenommenen Videobilder in getrennten Dateien mit einer Dauer von etwa 15
Minuten aufgezeichnet werden, […] keinen Einfluss auf die Fähigkeit der Kamera zur
fortlaufenden Videoaufzeichnung“ hat. Allerdings ist der Wortlaut der Erläuterungen
insoweit nicht eindeutig, weil er keine Hinweise darauf enthält, wie die Aufzeichnung
zu erfolgen hat. Vor diesem Hintergrund und mit Blick darauf, dass – so der Vortrag
der Klägerin – mittlerweile nahezu alle Fotoapparate eine 30-minütige Videosequenz
aufnehmen könnten, ließe sich auch der Standpunkt vertreten, dass der Umstand,
dass die streitgegenständlichen Kameras lediglich Videodateien von jeweils weniger
als 30 Minuten in einer Datei aufzeichnen können, ihrer Einreihung in die
Unterpositionen 8525 8091 oder 85259099 KN entgegensteht, zumal es gilt, eine
Auslegung zu finden, bei der der Erläuterung noch eine Unterscheidungsfunktion
zukommt, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Auslegung einer Zolltarifposition
nicht je nach der technischen Entwicklung variieren kann (EuGH, Urt. v. 09.10.1997,
Rs. C-67/95, Rn. 22 – Rank Xerox).
5. Vorlagefrage 4
5.1 Entscheidungserheblichkeit
Die
Vorlagefrage
4,
die
sich
auf
das
Verhältnis
zwischen
der
„Aufzeichnungsmöglichkeit“ im Sinne der Unterpositionen 8525 8091 i. V. m. 8525
8099 KN und der „Wiedergabemöglichkeit“ im Sinne der Erläuterungen zur
Unterposition 8525 8099 KN bezieht, stellt sich dem Senat nur unter den folgenden
Bedingungen:
5.1.1 Zunächst dürfte die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 nicht
anwendbar oder nicht gültig sein (Vorlagefrage 1); anderenfalls wäre der Fall allein
auf der Grundlage dieser Verordnung zu entscheiden. Weiter müsste der EuGH zu
der Einschätzung gelangen, dass die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014
anwendbar und gültig ist (Vorlagefrage 2). In diesem Fall wäre die Einreihung der
streitgegenständlichen Kameras ab dem Tag der Wirksamkeit dieser Verordnung –
dem 02.09.2014 – geklärt; sie wären nämlich in die Unterposition 8525 8099 KN
einzureihen. Für den davor liegenden Zeitraum müsste dagegen – wie bereits
unter 4.1 ausgeführt – die Einreihung der streitgegenständlichen Kameras
unabhängig von einer Einreihungsverordnung erfolgen. Auf diesen Zeitraum bezieht
sich die Vorlagefrage 3. Sie müsste, damit sich die Vorlagefrage 4 stellt, dahin
gehend beantwortet werden, dass eine mindestens 30-minütige Videoaufzeichnung
über mehrere Dateien verteilt werden darf; anderenfalls wären die
streitgegenständlichen Kameras als digitale Fotoapparate (Unterposition 8525 8030
KN) einzureihen, und Abgrenzungsfragen zwischen den Unterpositionen für
Videokameraaufnahmegeräte stellten sich nicht. Die Bejahung der Vorlagefrage 2
hat zwar unmittelbare Auswirkungen nur auf die Zeit ab dem 02.09.2014. Die
materiell-rechtlichen Konsequenzen, die der vorlegende Senat hieraus ziehen muss,
beziehen sich jedoch – unter den genannten Voraussetzungen (Bejahung der
Vorlagefragen 1 und 3) – auch auf die Frage der Einreihung für den davor liegenden
Zeitraum.
Es
wäre
als
Konsequenz
der
Feststellung,
dass
die
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 gültig ist, nämlich materiell-rechtlich
geklärt, dass das Senden von Videodateien von einer automatischen
Datenverarbeitungsmaschine
über
die
USB-Schnittstelle
an
ein
Videokameraaufnahmegerät ein autonomes Aufzeichnen im Sinne der Unterposition
8525 8099 KN darstellt. Damit wäre jedoch – wenn der vorlegende Senat die
Rechtsprechung des EuGH richtig versteht – die Einreihungsfrage der
streitgegenständlichen Kameras noch nicht abschließend dahin gehend beantwortet,
dass diese in diese Unterposition einzureihen wären. In der Entscheidung Vario Tek
hat der EuGH nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach den
Erläuterungen zur Unterposition 8525 8099 KN die zu dieser Unterposition
gehörenden Videokameraaufnahmegeräte auch die Fähigkeit haben müssten, die
aufgezeichneten Audio- und Videodateien wiedergeben zu können (Urt. v.
05.03.2015, Rs. C-178/14, Rn. 37 – Vario Tek). Genau diese Erläuterungen wären
außerhalb des zeitlichen oder sachlichen Anwendungsbereiches einer der
Durchführungsverordnungen zu berücksichtigen. In der beschriebenen Konstellation
würde sich somit die Frage stellen, welche Auswirkungen es auf die Einreihung der
streitgegenständlichen Kameras hätte, dass diese Signale externer Quellen zwar
aufzeichnen, nicht jedoch über einen externen Monitor oder ein externes
Fernsehempfangsgerät wiedergeben können. Ihre Einreihung in die Unterpositionen
8525 8099 oder 8525 8091 KN würde von der Beantwortung dieser Frage abhängen,
weil sie nach dem in den Durchführungsverordnungen zum Ausdruck kommenden
Rechtsverständnis zwar zur Datenaufzeichnung in der Lage sind, die
Datenwiedergabe jedoch hinsichtlich der aus externen Quellen stammenden Signale
nicht möglich ist.
5.1.2 Würde dagegen die Vorlagefrage 2 verneint werden – wäre also die
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 nicht anwendbar oder unwirksam – und
wäre auch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 nicht anwendbar oder
nicht gültig (Vorlagefrage 1), wäre der Ausgang des Rechtsstreits lediglich von der
Beantwortung der Vorlagefrage 3 abhängig. Würde der EuGH diese Vorlagefrage
verneinen, wären die streitgegenständlichen Kameras im gesamten streiterheblichen
Zeitraum als digitale Fotoapparate (Unterposition 8525 8030 KN) einzureihen. Würde
er sie bejahen, wären sie als Videokameraaufnahmegeräte in die Unterposition 8525
8091 KN einzureihen, da sie – in Anwendung der oben (2.2.2.2) dargestellten
Rechtsprechung
des
EuGH
–
schon
nicht
über
eine
autonome
Aufzeichnungsmöglichkeit verfügten.
5.2 Rechtliche Erwägungen des Senats
5.2.1 Zunächst ist zweifelhaft, ob die Fähigkeit zur Datenwiedergabe bei der
Einreihung eines Videokameraaufnahmegerätes in die Unterpositionen 8525 8091
und 8525 8099 KN überhaupt berücksichtigt werden darf. Nach dem Wortlaut der
Unterposition 8525 8091 KN kommt es nämlich auf die Aufzeichnungsmöglichkeit
eines Gerätes an. Die Wiedergabe einer Video- oder Audiodatei ist nach dem
Verständnis des Senats ein anderer Vorgang als deren Aufzeichnung. Der EuGH hat
jedoch in Rn. 37 seines Urteils vom 05.03.2015 in der Rs. C-178/14 (Vario Tek)
ausdrücklich auf die Bedeutung der Erläuterungen zur Unterposition 8525 8099 KN
hingewiesen. Danach müssen die aufgezeichneten Bilder über ein externes
Fernsehempfangsgerät oder einen Monitor wiedergegeben werden können.
Gleichzeitig stellt der EuGH am Ende der Rn. 36 dieses Urteils allerdings fest, dass
Videokameraaufnahmegeräte immer (schon?) dann in die Unterposition 8525 8099
KN einzureihen seien, wenn sie aus externen Quellen stammende Daten speichern
könnten; außer Betracht bleibe lediglich, ob das Videokameraaufnahmegerät die
externen Daten selbst lesen könne. In welchem Verhältnis diese beiden unmittelbar
aufeinander folgenden Aussagen des EuGH zueinander stehen, bedarf auch mit
Blick auf die beiden Durchführungsverordnungen (EU) Nr. 876/2014 und Nr.
1249/2011
der
Ausräumung
unionsrechtlicher
Zweifel.
Die
in
der
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 getroffene Einreihungsentscheidung
scheint nämlich darauf hinzudeuten, dass es für die Einreihung in die Unterposition
8525 8099 KN nicht erforderlich ist, dass Videodateien, die aus externen Quellen
stammen, von der Kamera wiedergegeben werden können. Ansonsten hätte die
Kamera, die dieser Einreihungsverordnung zugrunde lag, nicht in diese Unterposition
eingereiht werden dürfen. Diese Kamera ist nämlich – genau wie die hier
streitgegenständlichen Kameras – dazu nicht in der Lage. Ob diese Erwägung
allerdings bei der Einreihungsentscheidung berücksichtigt wurde, vermag der Senat
nicht zu beurteilen, da weder die Warenbezeichnung noch der Begründungstext
hierzu Angaben enthält. Auch der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011
lässt sich nicht explizit entnehmen, ob die darin eingereihten „Videorekorder im
Taschenformat“, Signale externer Quellen wiedergeben können. In der
Warenbeschreibung findet sich lediglich der Hinweis, dass die mit dem Gerät
aufgenommenen Videosequenzen z. B. an einen Monitor oder ein
Fernsehempfangsgerät gesendet werden können. Ob hiermit auch die aus externen
Quellen stammenden Videodateien gemeint sind, bleibt offen.
5.2.2 Die Anwendung der Erläuterungen zur Unterposition 8525 8099 KN führt
ebenfalls nicht zu einer eindeutigen Einreihung der streitgegenständlichen Kameras.
Satz 2 des ersten Absatzes der Erläuterungen zur Unterposition 8525 8099 KN
(EZT-Nr.
12.8)
verlangt
für
eine
Einreihung
als
„andere[s]“
Videokameraaufnahmegerät
(Unterposition
8525
8099
KN),
dass
die
aufgezeichneten Bilder über ein externes Fernsehempfangsgerät oder einen Monitor
wiedergegeben werden können. Zwar ist nach dem Wortlaut der deutschen Fassung
nicht eindeutig, ob sich die Wiedergabefähigkeit der Kamera auch auf die aus
externen Quellen stammenden Aufzeichnungen beziehen muss. Die englische
Fassung von Satz 2 dürfte allerdings insoweit Klarheit schaffen, weil sie durch die
Verwendung des Adverbs „thus“ deutlich machen dürfte, dass sie sich auf die in
Satz 1 beschriebene Aufzeichnung auch von Signalen externer Quellen beziehen
muss. Nach der so verstandenen Erläuterung würden die streitgegenständlichen
Kameras nicht in die Unterposition 8525 8099 KN eingereiht werden können, weil sie
Signale externer Quellen nicht wiedergeben können. Nach dem dritten Absatz der
Erläuterungen zur Unterposition 8525 8099 KN (EZT-Nr. 13.1) würden die
streitgegenständlichen Kameras auch nicht in die Unterposition 8525 8091 KN
eingewiesen. Danach gehören nämlich nur solche Videokameraaufnahmegeräte in
diese Unterposition, „mit denen nur die von der Kamera aufgenommenen Bilder
aufgezeichnet und über ein externes Fernsehempfangsgerät oder einen externen
Monitor wiedergegeben werden können.“ Diese Voraussetzung erfüllen die
streitgegenständlichen Kameras nicht, da sie – unterstellt die Vorlagefrage 2 b)
würde bejaht werden – in der Lage wären, Signale externer Quellen aufzuzeichnen.
5.2.3 Wenn die streitgegenständlichen Kameras von den Erläuterungen zur
Unterposition 8525 8099 KN nicht erfasst werden, müsste die Einreihung allein
anhand des Wortlautes der einschlägigen Unterpositionen der KN und der objektiven
Wareneigenschaften erfolgen. Danach dürfte es auf die Fähigkeit zur Wiedergabe
von Videodateien nicht ankommen und die streitgegenständlichen Kameras wären in
die Unterposition 8525 8099 KN einzureihen, weil sie – unterstellt die Vorlagefrage
2 b) würde bejaht – in der Lage wären, Signale externer Quellen aufzuzeichnen. Man
könnte sich jedoch auf den Standpunkt stellen, dass die Aufzeichnungsmöglichkeit
ohne Wiedergabemöglichkeit eine rein theoretische Funktion eines Gerätes ist, die
zolltarifrechtlich unberücksichtigt bleiben muss (EuGH, Urt. v. 05.03.2015, Rs. C178/14, Rn. 33 – Vario Tek).
6. Angesichts dieser Zweifel an der Gültigkeit und der Auslegung des einschlägigen
Unionsrechts hat der Senat beschlossen, dem EuGH die im Tenor genannten Fragen
im Wege des Vorabentscheidungsersuchens vorzulegen.