Predigt 5. Mai 2013 - bei der Evangelisch
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Predigt 5. Mai 2013 - bei der Evangelisch
Gottesdienst 05.05.2013 Richterswil „Was kommt nach der Kirche?“ Inspirationen einer Reise zum frühen Christentum in Kleinasien/Türkei Liebe Gemeinde, liebe Freundinnen und Freunde in Christus, hoch über dem alten Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, liegt die Hagia Sophia, die Kirche der heiligen Weisheit, heute ein Museum. Ein gewaltiger Kuppelbau, der einstmals zu den 7 Weltwundern zählte. Was vor 1500 Jahren mit den damaligen einfachen Mitteln erbaut wurde, nötigt uns heute noch Staunen und Respekt ab. Erst der Petersdom in Rom sollte 1000 Jahre später diesen Bau an Grösse übertreffen… Eine kleine Gruppe aus Richterswil und der näheren und weiteren Umgebung erlebte dieses ehrfürchtige Staunen über die Hagia Sophia am eigenen Leibe. Heute, 1 Monat später, klingt das in den meisten immer noch nach… Nach der Eroberung Konstantinopels 1453 wurde die Hagia Sophia in eine Moschee umgewandelt, indem sie mit zahlreichen Minaretten und der üblichen Inneneinrichtung versehen wurde. Die meisten kostbaren Mosaiken und Ausmalungen blieben dabei glücklicherweise erhalten. Das war nicht überall so, denn der Islam kennt wie das Judentum ein striktes Bilderverbot. 1 Ähnlich wie bei uns in der Reformation wurden alle bildlichen Darstellungen entfernt, nur Blumenmuster und Schrift waren erlaubt. Abgesehen von den Glasfenstern ist unsere Richterswiler Kirche mit den Pflanzen und den Bibelversen ein beredtes Beispiel dafür. Die Künstler des Orients machten sozusagen aus der Not des Bilderverbotes eine Tugend, und so versetzen uns heute wunderschöne Keramikfliesen und Kalligraphien mit arabischen Schriftzeichen in ehrfürchtiges Staunen. Szenenwechsel: Hat man es nach gut 3 Stunden durch den unglaublichen Istanbuler Verkehr geschafft, in dem alle 16-18 Millionen Menschen gleichzeitig mit dem Auto unterwegs zu sein scheinen, ist dann mit einer Fähre über das Marmarameer gesetzt und dann noch etwas über Land gefahren, kommt man in ein beschauliches kleines Städtchen namens Iznik, dem antiken Nizäa. Kaum zu glauben, dass ausgerechnet hier im Jahre 325 Entscheidendes für den christlichen Glauben heftigst debattiert wurde: Wer ist Jesus Christus? Wenn er einfach nur ein Mensch war, wenn auch ein besonderer, wie soll er dann Erlöser sein? Erlösen, also befreien aus menschlichen Verstrickungen kann nicht der Mensch den Menschen, das kann nur Gott. 2 Also wurde festgehalten, dass Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist. Nicht etwa ein Gott neben Gott, sondern Gott von Gott, mit allen Eigenschaften, die auch Gott ausmachen. Vielleicht löst diese Frage bei uns Heutigen nur Achselzucken aus – damals ging es ums Ganze. Dass das auch heute noch so ist, darauf werden wir später zurückkommen. Nun jedenfalls standen wir ehrfürchtig in dieser kleinen Kirche in Nizäa, in der so grosses diskutiert wurde – als der Muezzin zum Gebet rief, mussten wir die Konzilskirche wieder verlassen. Denn auch sie ist heute eine Moschee… Der Gebetsruf aus dem Lautsprecher rief uns wieder in die Realität, ins Heute, 1788 Jahre später… Und so sollte es uns noch öfters ergehen auf dieser Reise zum frühen Christentum. Es ging uns so in den Resten von 6 der 7 Orte, an die Johannes seine Sendschreiben der Offenbarung schrieb, um sie zu ermutigen. Es ging uns so in einstmals griechischen und römischen Städten, in denen Paulus lebte und predigte. Wie Ephesus und Milet, wo er die Rede hielt, die wir vorhin gehört haben (Apg 20,17-38). Einen eigenartigen Zwiespalt erlebten wir zwischen damals und heute. Ein Reiseteilnehmer brachte es auf den Punkt: 3 „Ich bin ganz verwirrt und weiss gar nicht, wie ich das einordnen soll: Ich stehe hier, wo Paulus stand, wo das Christentum nach Europa kam, ich erlebe das hautnah, sehe es vor mir, bin mittendrin – und wenn ich aufwache, stehe ich in der Türkei von heute…“ Zum Glück kam weder der Kollege wie auch sonst niemand von uns auf die Idee, einen schönen antiken Stein als Andenken an Paulus oder Johannes mitzunehmen… Aber so rieben wir uns so manches Mal die Augen, ob dieses Spagats zwischen damals und heute. Und rieben uns die Ohren, wenn unser versierter Reiseleiter verkündete: „So ist es eben: zuerst waren die Heiden an einem besonderen Ort, dann kamen die Griechen und die Römer, dann wurde dort eine Kirche gebaut, die eben jetzt Moschee ist.“ Aber mich hat diese Frage seitdem nicht mehr losgelassen: Muss das so sein? Was kommt denn nach der Kirche? Zugespitzt formuliert, aufgrund der genannten Reiseerfahrungen: Werden unsere Kirchen auch mal zu Moscheen? Wir haben an der Wiege des frühen Christentums in Kleinasien gesehen, wie einfach das geht: Eine Nische für den Iman Richtung Mekka, den Boden mit Teppichen auslegen und ein paar kräftige Lautsprecher auf den Turm. Der steht ja schon. 4 Aber mal ganz im Ernst: Werden die Kirchen zu Museen, weil sie als Kirchen, wo Menschen zusammenkommen, nicht mehr gebraucht werden? Oder zu Einkaufszentren? Weil sie dann wenigstens am Sonntag schön voll sind, dann, wenn auch die letzten Dämme der Konsumwut, die den Menschen nur noch als Verbraucher sehen, brechen? Unsere reformierte Kirche unternimmt allerlei Anstrengungen, es nicht so weit kommen zu lassen: Mit vielen Studien, neuen Ideen inklusive Gemeindefusionen und der Umnutzung nicht mehr gebrauchter Kirchen. Bei uns hier sieht die Situation noch etwas anders aus, in Samstagern wurde gar eine neue Kirche gebaut, die wir nun gemeinsam nutzen. In der Stadt dagegen wird es anhand der Mitgliederzahlen bald einige Kirchen nicht mehr brauchen, das Beispiel von Wollishofen stand in der Zeitung. Bei allen nötigen Anpassungen unserer Kirche hat ein süddeutscher Religionsjournalist wohltuend davor gewarnt, sich in einen Reformstress zu begeben, an dessen Ende die Erschöpfungsdepression steht. Wo immer nur alles noch besser und ganz anders gemacht werden soll, wird gar nicht mehr gesehen, was gut geht und was Kirche eigentlich ausmacht… 5 Derzeit sind in Hamburg ca. 117000 angemeldete Teilnehmer am Ev. Kirchentag, dazu kommen noch zahlreiche spontane Besucher. Ein hoffnungsvolles Zeichen. Es macht Spass, evangelisch zu sein, ob lutherisch, reformiert oder freikirchlich. Noch einmal Szenenwechsel: Zurück nach Istanbul. Ja, auch dort gibt es noch Christen. Wir haben sie gesehen. Ein Teil unserer Reisegruppe traf die mit 250 Mitgliedern kleine evangelische Gemeinde deutscher Sprache. Ganz andere Dimensionen als auf dem Hamburger Kirchentag. Aber derselbe Geist: Über die Grenzen von Konfessionen und Herkunft hinweg treffen sich dort Menschen, um miteinander Gemeinde zu sein, Gottesdienst zu feiern, zu beten. Begrüsst wurden wir zB von einem holländischen Mennoniten, der die Öffentlichkeitsarbeit der kleinen Gemeinde macht. Einer Gemeinde, die es eigentlich gar nicht geben dürfte, die als privater Verein die Lücken der Religionsgesetze umschifft. So ist die Pfarrerin offiziell bei der deutschen Botschaft angestellt. Aber als Salz der Erde, wie es die Bergpredigt von uns Christen sagt, wird die Arbeit sehr geschätzt, sogar der Bürgermeister des Stadtbezirks besucht die Gemeinde regelmässig – obwohl es sie wie gesagt eigentlich gar nicht geben dürfte… 6 Was ist es, das sie durchhalten lässt? Sind es Immobilien? Was hat das Christentum durch alle Zeiten hindurch nicht untergehen lassen, auch wenn in Kleinasien aus den Kirchen Moscheen und später zum Teil Museen wurden? Was hat verfolgte Christen wie Hugenotten und Waldenser durch die Zeiten getragen? Aktionsprogramme? Verwaltungsstrukturen? Superlässige Veranstaltungen, die andere aber immer noch besser können? Sie ahnen es sicher schon, liebe Gemeinde, dass es noch etwas anderes sein muss. Aber was? Am besten zusammengefasst findet sich die Antwort nicht in topmodernen Marketingstrategien. Sie findet sich einem Dokument, dass dieses Jahr seinen 450. Geburtstag feiert. Aber doch immer noch am besten auf den Punkt bringt, was die Kraftquelle aller Christen durch alle Zeiten war und ist und sein wird. Denn da geht es nicht um Gebäude oder Strukturen, sondern um das ganz Innerste von jedem von uns, da geht es ums Ganze: Es ist die Frage 1 des Heidelberger Katechismus. Sie lautet: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Dass ich ganz und gar Jesus Christus gehöre.“ Das kann ich mir jeden Morgen und jeden Abend vor dem Spiegel sagen – probieren Sie das mal aus! 7 Das kann ich sagen, ob ich nun ein Schlitzohr bin oder ein Frommer, ich gehöre ihm. Und damit nicht mehr dem, wie ich meine, dass andere mich sehen sollten. Nicht mehr dem, was mir gelingt im Leben und was mir daneben geht. Nicht mehr dem, was mir an Leid geschieht oder was ich anderen zufüge, oftmals, weil ich es ja gut gemeint habe aber es nicht gut war. Was für eine Befreiung! Ich gehöre ihm – der mich immer so sieht, wie ich wirklich bin, wenn alle meine Hüllen fallen und ich dastehe, wie ich auf die Welt gekommen bin, nackt wie ein Baby. Das lässt mich fröhlich sein. Ich gehöre ja ihm, Jesus Christus. Das ist mein einziger Trost, das lässt mich ganz bei Troste sein. Das muss gesagt werden, das ist die Aufgabe von Kirche, in jeder Zeit immer wieder neu. Und erst dann kommen die Überlegungen, in welchen Gebäuden, in welchen Gemeinden und mit welchen Mitteln das gesagt wird. So kam und kommt die Kirche durch die Zeiten, trotz allem Versagen, das menschliches Bemühen immer mit sich bringen kann. Auch wenn die ersten Kirchen von damals heute Moscheen sind oder Ruinen. Das Christentum lebt. Manchmal muss man erst mal verreisen und das Vertraute mit etwas Abstand betrachten, um zu merken, was wichtig ist. 8 Wichtig ist, dass die Mitte stimmt und ausstrahlt in alles, was wir tun – und nicht umgekehrt. Oder, wie es Martin Luther so schön gesagt hat: „Wir sind es doch nicht, die da die Kirche erhalten könnten. Unsere Vorfahren sind es auch nicht gewesen. Unsere Nachfahren werden's auch nicht sein; sondern der ist's gewesen, ist's noch und wird's sein, der da sagt: Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ Dann kann die Antwort auf unsere Frage vom Anfang „Was kommt nach der Kirche?“ getrost und fröhlich lauten: „Nach der Kirche kommt – die Kirche“. Weil wir alle es sind, die zu Jesus Christus gehören. Amen 9